Kommt jetzt die Zinswende?
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/p50wfxHQoYk
Kommt sie? Oder kommt sie nicht? Die Zinswende. Sollten sich
die Vorzeichen an den Rentenmärkten dauerhaft ändern, müssen Berater und
Fondsanleger
umdenken.
Vor wenigen Wochen mehrten sich die Anzeichen einer großen
Wende: Die erste Leitzinserhö¬hung in den USA seit mehr als zehn Jahren galt
als ausgemachte Sache. Die Rentenmärkte hatten begonnen, sich darauf
einzustellen. Eine Zinswende wurde nicht nur für die USA, sondern auch für
Europa eingepreist. Damit würde eine Normalisierung der Zins¬landschaft
beginnen, die weitreichende Konsequenzen auf die Kapitalmärkte hätte und ein
strategisches Umdenken erfordern würde. Unübersehbare Zei-chen eines
schwächeren Wirtschafts-wachstums in den beiden größten Volkswirtschaften der
Welt, den USA und China, ließen dieses Szenario aber wieder unwahrscheinlicher
werden.
BUND-FUTURE ALS ZINS-INDIKATOR
Das beste Barometer für die Erwartun-gen an die
Euro-Zinsentwicklung ist der Bund-Future, der Terminkontrakt auf deutsche
Bundesanleihen. Sie gel¬ten als der „safe haven" schlechthin, der sichere
Zufluchtsort für Kapital. Diese Sicherheit bezieht sich allerdings nur auf die
Einschätzung, dass Zins- und Tilgungszahlungen für die Anleihen pünktlich
geleistet werden. Vor einer Änderung des Zinsniveaus schützen auch deutsche
Bundesanleihen nicht. Weil die Bonität hier gar nicht erst in
Frage gestellt wird, macht das den hoch¬liquiden
Terminkontrakt auf „Bunds" zum Indikator der Zinsentwicklung.
Zwischen der letzten Aprilwoche und der ersten Juniwoche
dieses Jahres erlebte der Bund-Future dramatische Kursverluste. Kurseinbrüche
von fünf, zehn oder gar 20 Prozent binnen weni-ger Wochen kannten Anleger eher
vom Aktien- als vom Rentenmarkt. In diesen Wochen waren es aber vor allem
Ren¬tenfonds mit lang laufenden Anleihen, die solche Verluste erlitten.
Warnen¬de Stimmen hatte es genug gegeben. Noch am 21. April, unmittelbar vor
den crashartigen Kursverlusten, hatte der bekannte US-Rentenfondsmanager Bill
Gross getwittert, deutsche zehnjährige Bundesanleihen seien die beste
Speku-lation des Lebens auf fallende Kurse. Besser noch als die Spekulation
gegen das britische Pfund 1993. Die Frage sei nur das Timing gegen das laufende
An-leihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank. Zu diesem Zeitpunkt stand
der 10-Jahres-REX-Performance-index bei 619 und der Bund-Future bei 159,9.
Beide Gradmesser für die Bör-senkurse von langlaufenden Bundes-anleihen hatten
kurz zuvor erst neue Allzeit-Rekordhöhen erreicht. Bis zum 7. Mai ging es dann
rasant abwärts: Der REX-Index fiel auf 586, ein Kursverlust
von 5,3 Prozent. Der Bund-Future fiel bis auf 153 Prozent,
womit alle Gewin-ne seit Anfang Dezember binnen we-niger Tage verloren gingen.
Der Tweet von Bill Gross zeigt aber auch, wie schwierig das Timing war, denn
wäh-rend Gross noch die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt stellte, war dieser
schon gekommen. Zumindest nach In-formationen der
Wirtschaftsnachrich-tenagentur Bloomberg soll Gross selbst noch gar nicht in
nennenswertem Um¬fang „short" gewesen sein.
Der Kursrückschlag blieb nicht auf deutsche Bundesanleihen
begrenzt. Zunächst „erwischte" es auch andere Staatsanleihen, dann weitere
Segmente der Rentenmärkte. Die Rendite zehnjäh¬riger US-Bonds stieg von 1,85
Prozent über 2,28 Prozent - ebenfalls zurück auf das Niveau vom vergangenen
Dezember. Die Kursverluste an den Rentenmärkten summierten sich binnen drei
Wochen auf über eine Billion Dollar.
Sollte das die Zinswende sein? Sollte sie viel schneller und
heftiger kommen, als selbst ihre Propheten erwartet hatten? Im Mai kam es zu
einer Stabilisierung an den Rentenmärkten, die zum Beginn ei¬ner Gegenbewegung
wurde. Als die Ver¬handlungen zum dritten Rettungspaket für Griechenland Ende
Juni und AnfangJuli zu scheitern drohten, stieg der Bund-Future binnen weniger
Tage von 150 auf 153,4. Deutsche Bundesanlei-hen brachten also binnen weniger
Tage Kursgewinne von mehr als zwei Prozent und damit ungefähr das Dreifache
des¬sen, was sie als reguläre Jahresrendite einbringen. Als in der zweiten
Julihälfte und im August die Anzeichen einer welt¬wirtschaftlichen Abschwächung
zunah¬men, verhalf das den Rentenmärkten zu einer weiteren Kurserholung. Der
Bund-Future stieg wieder über 155.
KURSGEWINNE VON HEUTE = KURS¬VERLUSTE VON MORGEN?
Kursgewinne haben in den zurücklie-genden Jahren bei
Rentenpapieren immer größere Bedeutung gewonnen — in dem Maße, in dem die
reguläre Verzinsung immer niedriger wurde. Kein Dauerzustand, das war klar.
An-ders als Aktien, die mit dem Wert des Unternehmens immer weiter steigen
können, haben die Kurse ein natürli-ches „Gravitationszentrum", nämlich
ihre Rückzahlung. Und Höhenflüge weit über den Nennwert müssen früher oder
später ins Gegenteil umschlagen. Die Frage ist nur, ob es ein gemächli-cher
Sinkflug oder ein Absturz wird.
Dass die Kursverluste von April bis Juni die Anleger nicht
so stark getroffen ha¬ben, wie die Zahlen vermuten lassen, liegt vor allem
daran, dass „die verlore¬ne Billion" für alle Anleiheinvestoren, die
zumindest ein halbes Jahr und län¬ger investiert waren, nur den Verlust vorher
erzielter Buchgewinne bedeutet. Die Zahl derer, die erst bei Höchstkur¬sen
eingestiegen sind, ist ebenso wie die Zahl derer, die rechtzeitig auf fallende
Anleihekurse gesetzt haben, gering. Das Volumen aller marktgängigen Anleihen
auf den Welt-Rentenmärkten beträgt insgesamt gut 45 Billionen Dollar.
Auch die Erschütterungen für Ren¬ten- und Mischfonds hielten
sich in Grenzen. Hauptverlierer waren, wie zu erwarten, jene Rentenfonds, die
erklär-termaßen auf langlaufende Rentenpa-piere ausgerichtet sind,
beispielsweise
entsprechende Renten-ETFs oder stark an der Benchmark „10
Jahre Bund" ausgerichtete Fonds. Sie verloren alle Gewinne seit
Jahresbeginn und gerie¬ten im laufenden Jahr leicht in die Ver-lustzone. Die
große Mehrheit der aktiv gemanagten Renten- und der beliebten Mischfonds konnte
die Kursverluste aufgrund der breiten Streuung über verschiedene
Rentenmarktsegmente und im Durchschnitt meist kürzere Restlaufzeiten abmildern,
sodass die Fondsanteile gegenüber Jahresbeginn ganz überwiegend im Plus
blieben.
Als Warnsignal für die meisten Misch-fonds sollte man
allerdings verstehen, dass wie bereits im Frühjahr 2013 nach der
„Tapering"-Ankündigung in den USA parallel zum Rentenmarkt auch die Aktienmärkte
den Rückwärtsgang eingelegt haben. Einmal mehr nahm in der Abwärtsbewegung die
Korrelation zwischen den Haupt-Assetklassen Ren-ten und Aktien zu. Insbesondere
Risi-ko-Paritäts-Strategien gehörten des¬halb zu den Verlierern der Entwicklung
von April bis Juni.
„AUSRUTSCHER" ODER TRENDWENDE? Der Kurseinbruch an den
Rentenmärk-ten hatte viele „auf dem falschen Fuß erwischt". Und so wurden
viele Gründe angeführt, die nicht eine dauerhafte Trendwende an den
Rentenmärkten befürchten ließen. Einmal mehr seien Hedgefonds oder selbst
handelnde Compüterprogramme der Grund für den Ausverkauf gewesen. Doch den
Hin¬tergrund für die fallenden Anleihekurse lieferte die wirtschaftliche
Realität: Die konjunkturelle Schere zwischen der
schon seit Jahren' gut laufenden US-Wirtschaft und der nun
aufholenden Euro-Wirtschaft schließt sich. Dieses Szenario musste an den
Kapitalmärk¬ten eingepreist werden, als die Makro-Daten aus etlichen
Euro-Ländern wie Spanien, Belgien und Österreich einen Aufschwung in der Eurozone
signali-sierten. Damit wurde das Szenario einer dauerhaft schwachen Konjunktur
in Eu¬roland, die für viele Jahre der Stimula¬tion durch Anleihekäufe der
Notenbank bedarf, weniger wahrscheinlich. Das zu¬nächst bis September 2016
angesetzte Anleihekaufprogramm der EZB könnte dann auslaufen, zumindest aber im
Vo¬lumen verringert werden.
Vielleicht könnte das „Tapering", das schrittweise
Zurückfahren der An-leihekäufe, sogar schon im Laufe des nächsten Jahres
beginnen. Sollten die Inflationsraten sich auf die Zielgröße von zwei Prozent
zubewegen, dürfte es der EZB schwer fallen, ihr „Quantitative Easing" in
vollem Umfang fortzusetzen. Die an den Kapitalmärkten eingepreiste
Inflationserwartung auf Sicht von zehn Jahren vollzog diesen Anstieg schon.
Auch der kräftige Anstieg der Kreditver¬gabe spricht für eine wirtschaftliche
Be¬lebung und dann steigende Löhne und Preise. Wenn in den letzten Wochen
die¬ses Jahres die deflationären Basiseffek¬te des gesunkenen Ölpreises
auslaufen, werden die auf Jahresbasis berechneten Inflationsraten wieder
steigen. Wenn dann nach der US-Notenbank auch die EZB das Ende von
„Quantitative Ea-sing" ankündigt und über erste Leitzins¬erhöhungen
spekuliert wird, kommt die Zinswende doch noch.