Dienstag, 6. September 2011

Alabasterküste France Reise Travel SelMcKenzie Selzer-McKenzie


Alabasterküste France Reise Travel SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie

Wie geht's? Ca va? Und schon setzt es Küsse. Links, rechts und noch mal links. Das gehört sich so. Bei jeder Gelegenheit. Wer sonst nie geküsst wird, hier wird er's be¬stimmt: In einem Frankreich, wie man es höchstens noch aus alten Kommissar-Maigret-Filmen kennt. Wir sind in der nördlichen Normandie, an der Cöte d'Albätre. Paris ist gera¬de mal zweieinhalb Autostunden entfernt. Und doch auf ei¬nem anderen Planeten. In den Ortschaften an der Küste ist alles ein bisschen anders. Ruhiger, gemütlicher, verträum¬ter. Bestes Indiz: Niemand drängelt an der Supermarktkas¬se, und die Kassiererinnen haben für jeden Kunden ein freundliches Lächeln. Wo gibt es denn das sonst noch? Dass in der Normandie die Kühe hübscher als die Mäd¬chen sind, behaupten ohnehin nur die Pariser. „Weil sie neidisch sind auf unsere unvergleichliche Sahne und auf
Zum Glück ist der Golfstrom nahe, das Klima auch im Winter eher mild. Im März liegen in den Wäldern riesige gelb-weiße Teppiche von Osterglocken, ihnen folgt ein Heer von blauen Glockenblumen. Im Sommer glüht in den Gärten das vielfarbige Feuerwerk mächtiger Horten¬sien, im Herbst kontrastieren die Rot- und Orangetöne der pilzreichen Mischwälder mit dem Immergrün der mächtigen Pinien.
Wildromantische Kulisse
Die pure Idylle ist Varengeville sur Mer. Das Seefahrer-Kirchlein hoch über dem Meer stammt aus dem 12. Jahr¬hundert, die meisten Häuser haben Erker und Türmchen. Und Gespenster, wie die Einheimischen schwören. Hinter den hohen Hecken verbergen sich zwei Zaubergärten, die



die weltbeste Butter',' meint Laurent. Der Fischer müsste die 60 schon länger überschritten haben, nur seine hellen Augen scheinen viel jünger. Bei einem „Petit Ballon" in sei¬ner Stammkneipe im Hafen von Veules-les-Roses kommt er schnell in Redelaune. ,Vielleicht haben die Pariser aber auch nur Angst': überlegt er. „Dass wir Normannen wie vor 1000 Jahren die Seine heraufrudern könnten, um sie mal wieder ordentlich zu verdreschen ..."
Ein Fest fürs Auge
Wollen die Normannen in Wirklichkeit aber gar nicht, weil es ihnen an der Alabasterküste viel zu gut gefällt: Die wei¬ßen Felsen, die kleinen Buchten und schmalen Täler — und die spektakuläre Küste. Ein Fest fürs Auge. Auf immerhin 130 Kilometern fällt der europäische Kontinent steil ab ins Meer. Das ist nicht nur dramatisch, sondern auch eine ein¬zigartige Komposition aus Farben und Licht. Kein Wunder also, dass hier Künstler wie Courbet, George Braque und vor allem Monet malten, was die Palette hergab. Doch auch der Ozean und die atlantischen Winde haben aus den weichen Kreidefelsen wahre Kunstwerke geschaffen. Wie den „Elefantenrüssel" und die „Nadel" in Eträtat.
74 Centaur 7/2011

zu den prächtigsten Frankreichs zählen: der romantische Bois de Moutiers mit seinen Liebespaar-Lauben und der an seltenen Pflanzen so reiche Garten Le Vasterival. Diep¬pe, einst ein gefürchtetes Piratennest, ist die größte Stadt an der Alabasterküste und das erste Seebad. 1824 ani¬mierte Marie Caroline, Herzogin von Berry, den Adel zum bis dato ungewohnten Bad im Meer. Die Altstadt von Dieppe könnte noch heute eine stimmige Kulisse für Pira¬tenfilme abgeben. Mit der Festung von 1433 auf dem Fel¬sen über dem Meer, den engen Gassen und den Wasser¬speiern der Kathedralen Saint-Jacques und Saint-Remy, mit ihren Teufelsköpfen und mythischen Ungeheuern. Manchmal laufen einem Männer mit kantigen Gesichtern über den Weg, knorrig und verwittert wie ein Stück Strandgut, gut vorstellbar als direkte Nachfahren von kalt¬blütigen Seefahrern, Elfenbeinhändlern und Piraten.
Ein Füllhorn für Genießer
Samstag ist ganz Dieppe ein einziger Markt — und was für einer! Jeder begeisterte deutsche Hobbykoch wür¬de sofort auf die Knie fallen und die Schöpfung preisen. Die Stände quellen über von den unglaublichsten Köst
lichkeiten. Dazwischen pralle Landfrauen im Kittel und zierliche Parise¬rinnen mit Zweitwohnsitz und drei perfekt gekleideten Kindern im Schlepptau. Natürlich wird unentwegt geküsst, dass man sich schon wundert, wann die Leute überhaupt zum Einkaufen kommen. Ökosie¬gel beim Geflügel? Braucht keiner. Das
Huhn ist bekannt, der Kopf ist ja noch           Sprichwörtliche Herkunft
dran. Letzte Woche hätte man es im   Den Camembert hat 1791 an
Nachbardorf beinahe überfahren. Im  geblich eine Bäuerin aus dem
Hafen mit seinen vielen kunterbunten            gleichnamigen Ort erfunden
Booten reihen sich die Restaurants. Für
ein paar Euro gibt es frische Miesmuscheln in normannischer Sahne. Dazu einen eiskalten Muscadet-sur-Lie und ein noch warmes Baguette. Mehr braucht es nicht zum Glück. Auffallend ist nur, dass sich die schmucklosen Gebäude an der Seeseite von Dieppe so gar nicht in den Rest des Stadtbilds fügen mögen. Die stolzen Bürgerhäuser, die dorteinst standen, wurden im 2. Weltkrieg bei der Operation Jubilee zer¬stört. Der Landungsversuch der Westalliierten am 19. August 1942, bei der 237 Schiffe und 7 500 Soldaten, hauptsächlich kanadische Truppen, beteiligt waren, scheiterte jedoch unter hohen Verlusten. In Dieppe, Pourville und Varengeville erinnern noch heute mit Blumen geschmück¬te Gedenkstätten an diesen Tag, der vor dem Hintergrund der erfolgrei-chen Landung am D-Day im Juni 1944 leicht in Vergesseneit gerät.
Szenerien für die Staffelei
Zeit nehmen sollte man sich auch für das Hinterland der Küste mit sei¬nen Blumenwiesen und Wäldern wie dem Foret d'Eawy, dem einsti¬gen Jagdgebiet der Herzöge der Normandie. Mit einer Flasche Cidre und einem Camembert im Rucksack findet sich noch weit in den Herbst hinein ein sonniges Plätzchen für ein perfektes Picknick. Und obendrein jenes Licht und jene Ruhe, die schon der passionierte Frei¬luftmaler Monet suchte. Das unmittelbare Naturerleben gehört zum Impressionismus, und man kann es in der Normandie jederzeit haben: Himmelslandschaften mit feinen und gröberen Wolkenpinselstrichen, der violette Flaum der Flachsfelder, die roten Klatschmohnflecken, die Pappelreihen entlang der Seine — es fällt nicht schwer, sich in Monets Bildwelten zu träumen. •

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