GuangXi China Reise Travel SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/A-AuwDi4ys0
Dort, wo bizarre Karsthügel und steile Reisterrassen die
wohl eindrucksvollsten Landschaften Chinas formen, wird die Natur zum
Bühnenbild.
4 Die Erde muss
bei der Geburt dieser Land¬schaft einen Schluckauf gehabt haben. So steil ragen
die Karstberge als Hörner und Höcker, Kuppen und Köpfe, Zacken und Zipfel
empor. Zu ihren Füßen gleiten hunderte Kormoran-fischer auf ihren Flößen im
Takt der Orchester¬musik durchs Wasser. Grelle Lichtblitze zucken, Scheinwerfer
tauchen die Szene mal in Grün, Blau oder Lippenstiftrot. Schließlich geht der
Mond auf, schwebt über der Wasseroberfläche. Ein Mädchen tanzt darauf von einer
Sichelspitze zur anderen und singt vom Leben ihrer dritten Schwester Liu.
Seit über fünf Jahren wird das Musical „Sanjie Liu" auf
einer der größten
Landschaftsbühnen der Welt aufgeführt. Da¬bei singen, turnen
und tanzen über
600 Darsteller auf dem Li-Fluss vor 2000 Zuschauern. Nahezu
jede dieser Vorstellungen ist ausverkauft.
Regissieur Zhang Yimou choreografierte die Olympischen
Sommerspiele in Peking und gilt mit seinen Filmen „Hero" und „Leben!"
als chi¬nesischer Steven Spielberg. Das farbenfrohe Spektakel auf dem Fluss
verschont den Besucher mit landesüblichem Kitsch und beeindruckt trotzdem.
Dabei geht es um das Leben der Feld¬arbeiterin Liu Sanjie, die einer Legende
nach die beste Sängerin der Zhuang-Minderheit war und sich in ihren Liedern
gegen die Unterdrückung durch die örtlichen Despoten auflehnte.
Heute wird das dritte Kind einer Minderheiten¬familie oft
als „Liu-Kind" bezeichnet. Die Zhuang sind inzwischen mit 16 Millionen
Men¬schen das größte der 56 Minderheitenvölker Chinas und leben im autonomen
Gebiet Gu-
angxi. Eine faszinierende Gegend, die aufgrund ihrer
bizarren Gipfel zum Weltnaturerbe zählt. Seit Jahren tuckert täglich eine
Armada von Aus¬flugsschiffen mit jährlich bis zu 20 Millionen Besuchern den
berühmten Fluss entlang.
Buddha der Barmherzigkeit
Auf Deck werden die Digitalkameras aus den Taschen gekramt,
während wie vor 100 Jahren ei¬ne Frau am Ufer ihre Wäsche im Flusswasser
wäscht. Auf der anderen Uferseite gleitet der „Buddha der Barmherzigkeit"
vorbei, ein Hügel mit besonders dickem Bauch. Ihm folgen „Pin¬sel" und
„Zankapfel" und tausende weitere Hügel ohne Namen.
Vor etwa 300 Millionen Jahren war das ganze Gebiet von einem
Meer bedeckt. Dann ver-dichteten sich Reste von Fischknochen und Gräten mit
Karstschlarnm, wurden an die Ober¬fläche gepresst und dort von Sonne und Wind
in ihre bizarren Formen gemeißelt. Ein Grund, wa¬rum auf den Gipfeln
Korallenversteinerungen zu finden sind.
„Für uns sind die Landschaft und das Musical nichts
Besonderes", sagt Shi Lou und lacht, „wir sind hier aufgewachsen."
Sie wischt sich die Hände am Snoopy-Motiv auf ihrer Küchen¬schürze ab. Die
28-Jährige vom Volk der Yao wohnt eine Tagesreise weiter nördlich. An die¬sem
Tag kocht sie Rindfleisch mit gerösteten Erdnüssen für ihre Herbergsgäste. Dazu
hackt ihr Mann das Fleisch in Stücke. In der Küche bau¬meln Mettwürste von der
Decke. Darunter ste¬hen auf einem Waschbecken die Zahnputzbecher der Familie.
Viel Platz gibt es nicht: Im Sommer ist jedes Zimmer und jedes Bad vermietet.
Das Holzhaus hat der Schwiegervater, wie es hier Tradition ist, vor acht Jahren
ganz ohne Nägel gebaut. Es liegt 1060 Meter über dem Meeres-spiegel inmitten
der Longji Reisterrassen bei Dazhai, zweieinhalb Autostunden nördlich von
Guilin, und ist nur zu Fuß erreichbar.
„Langhaardorf" Huangluo
Frauen in indigoblauen Trachtenblusen und mit
wettergegerbten Gesichtern tragen das Gepäck der Gäste in Bastkörben auf dem
Rücken hoch. Bei jedem Schritt wackeln die Creolen in ihren Ohrtunneln: In
ihrer Jugend war es Tradition, sich zur Hochzeit die Ohrläppchen weiten zu
las-sen. Die Yao haben ihre eigene Sprache, können aber auch Mandarin, die
jüngeren Englisch.
Die älteren Yao tragen Tracht und traditionelle Frisuren.
Dabei wickeln sie ihr Haar im Kreis um den Kopf. Der Nachbarort Huangluo ist
als „Langhaardorf" bekannt. Die Frauen vom Red Yao Volk lassen sich nur
einmal im Leben die Haare schneiden - kurz bevor sie heiraten. Der
abgeschnittene Haarschopf wird anschließend als Perücke in die Frisur
eingeflochten. Oft sieht man
wie die Frauen am Flussufer ihre Haare waschen. Das ganze
Gebiet um Jinjiang und Dazhai wird von verschiedenen Minderheiten der Yao,
Zhu-ang, Miao und Dong bewirtschaftet. Sie bauen hauptsächlich Reis an. Die
Felder zählen zu den größten ihrer Art in China. Einer Legende nach lebte vor
langer Zeit ein himmlischer Büffel hier, der sehr viel Dung hinterließ. Nach
Jahren - so glaubte man - verwandele sich dieser in der Erde zu Gold.
Zwei Reisfelder weiter unten
Davon hat Schwiegervater Pan noch nichts ge¬merkt. „Das
Pflügen ist das Schwerste", sagt der hagere Mann, „auch wenn ich dafür
einen Wasserbüffel vom Nachbarn leihen kann." Sein Enkelsohn wird wohl
eines Tages in die Stadt ge¬hen, um dort sein Geld auf leichtere Art zu
ver¬dienen. Sicher wird er dann die Farben seiner Heimat vermissen: Im Frühling
leuchten die Hänge grün, im Sommer gelb und im Herbst orange. So wie die
Karstberge haben auch die Reisterrassen eigene Namen wie „Wirbelsäule des
Drachen" oder „Goldener Buddha-Gipfel". An den schönsten Stellen
stehen Warnschilder, die um Achtsamkeit bitten. Denn wer auf den schmalen,
steilen Wegen zwischen den Stufen ¬abgelenkt vom Staunen und Fotografieren -
die Balance verliert, landet schnell mal zwei Reisfelder tiefer.
Tiere in der Landwirtschaft: Viele Bauern arbeiten noch mit
Wasserbüffeln.
Am Abend begrüßen Zikaden die Dämmerung mit einem lauten
Zirpkonzert. Urplötzlich fällt die Nacht ins Land, als hätte jemand das Licht
ausgeknipst. Ein paar Hunde bellen, dann ist es still.
Am nächsten Morgen weckt Shi ihre Gäste schon um fünf Uhr
früh. Noch ganz verschlafen schnü¬ren sie die Wanderschuhe und stiefeln in den
kühlen Morgen hoch ins „Musikparadies", so heißt ein Aussichtspunkt mit
Blick auf die Reis-felder. Eine ganze Gruppe Urlauber aus den um¬liegenden
Herbergen wartet schon dort. Jeden Morgen veranstaltet die Natur hier nämlich
ihr eigenes Licht-Spektakel. Ganz langsam kriecht die Sonne hinter der
Bergkuppe hervor. Dabei glänzen die mit Wasser gefüllten Felder wie tau¬sende
Streifen Silberpapier. Und plötzlich gießt der Tag mit Schwung sein Licht in
die Landschaft. So wie es kein Musical-Scheinwerfer je schaffen würde
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