Donnerstag, 2. Juni 2016

Jakobsweg von Irun bis Bilbao


Jakobsweg von Irun bis Bilbao

Author D. Selzer-McKenzie

Youtube-Video: https://youtu.be/knSPT4votIY

Wandern im Baskenland: Wer auf der Küstenroute des Jakobswegs

von Irun bis nach Bilbao pilgert, erlebt berauschend

schöne Natur, spannende Städte und gastfreundliche Menschen

 

 

 

A

ls wir den Gipfel des Jaizkibel erreichen, liegt uns die Welt zu Füßen: Die Aussicht reicht Hunderte Kilometer weit über saftig grüne Berge und Täler, im Norden glitzert der Atlantik in der Morgensonne. Ein paar Adler ziehen ihre Kreise am Himmel, auf den Weiden hin zur Küste stehen Pferde und grasen. Wir verweilen einige Minuten und lassen das Pa¬norama auf uns wirken. Dann raffen wir uns

 

wieder auf - bis nach San Sebastian, unserem Tagesziel, sind es noch 26 Kilometer.

Seit mehr als tausend Jahren gehen Men-schen zu Fuß nach Santiago de Compostela im Nordwesten Spaniens. Im 21. Jahrhundert ist freilich nicht mehr jeder Fußmarsch zur ver¬muteten Grabstätte des Apostels Jakobus religi¬ös motiviert. Man trifft Genusswanderer, Sinn-suchende, Sportler und Abenteurer aufden verschiedenen Routen. Allein 2015 haben 262 516 Pilger den Jakobsweg bis Santiago absolviert. 1989 registrierte das dortige Pilger¬büro gerade einmal 576o. Wir — fünf Frauen zwischen Ende 20 und 4o — legen bloß einen Abschnitt im spanischen Baskenland zurück, der wegen der landschaftlichen Vielfalt zwi¬schen Bergen und Meer als besonders reizvoll gilt: von Irun an der Grenze zu Frankreich bis Bilbao, gut 15o Kilometer auf der Küsten-bzw. Nordroute in fünf Tagen. Schnupper¬pilgern, sozusagen.

Wellenreiter, Feinschmecker und Schauspieler lieben San Sebastiän

San Sebastiän, Europas Kulturhauptstadt 2016, taucht nach stundenlangem Wandern hinter einer Kurve auf, erkennbar an der berühmten Muschelbucht und dem sichelförmigen Strand, fotogen flankiert von zwei Hügeln. Wir schla¬gen uns durch Gestrüpp hoch über dem Atlan¬tik, dann führt der Weg in Serpentinen bergab, bis wir den Zurriola-Strand im Osten San Sebastiäns erreichen. Wenige Meter von uns entfernt brechen die Wellen donnernd in sich zusammen. Kein Wunder, dass Surfer San Sebastiän lieben. Aber nicht nur sie: Jeden September rückt die internationale Leinwand-Prominenz zum renommierten Filmfestival an. Gourmets hingegen kommen das ganze Jahr über, das Seebad ist eine Feinschmecker-Metropole: Gemessen an der Einwohnerzahl, gibt's hier die höchste Michelin-Sterne-Dichte der Welt — nicht mal Paris kann da mithalten. Wir gehen vorbei an Boutiquen hinter Jugend-stilfassaden; abends gönnen wir uns Pintxos in einer Bar. Die zumeist deftigen Häppchen am Spieß sind der Stolz eines jeden baskischen Wirts. Kulinarische Kleinkunst, Steckwerke aus Fisch, Fleisch, Gemüse, Käse, Brot, für die regelmäßig Wettbewerbe ausgelobt werden.

Am nächsten Morgen ziehen wir früh los. Wieder geht es bergauf, der Igeldo erhebt sich am westlichen Rand von San Sebastiän. Erfreu¬licherweise hat ein Anwohner eine Pausensta¬tion eingerichtet, Holzregale an einer Mauer, mit einem Stempel für den Pilgerpass sowie Wasserkanistern. Jose Maria Soroa, 83, lebt seit Kindertagen am Jakobsweg. In der Hochsaison kommen an seinem Haus täglich 6o, 70 Pilger vorbei. Er selbst hat es zehn Mal nachSantiago geschafft, auf unterschiedlichen Routen. „Der Küstenweg ist der schwerste von allen", sagt er. Guter Zeitpunkt, um unsere Was¬serflaschen aufzufüllen.

Die Gastfreundschaft der Einheimischen fällt uns immer wieder auf: Als wir rätselnd an einer Weggabelung in einem Weiler stehen, weist uns eine Frau wortlos mit ihrer Hand die Richtung. Dank unserer Rucksäcke und der Funktionskleidung sind wir in der Gegend un¬schwer als Pilger erkennbar. Als wir in einem Dorf einige Meter eine Straße hinuntergehen, die nicht Teil des Jakobswegs ist, fährt ein Auto mit Lichthupe und einem besorgt gestikulie-renden Mann an uns vorbei. Wenn uns Spazier¬gänger begegnen, rufen sie uns beschwingt ein „Kaixo" zu, Baskisch für „Hallo". Neben Spa¬nisch spricht rund ein Viertel der Bevölkerung jene uralte Sprache, die mit ihren vielen Konso-

 

nanten und überlangen Worten zuweilen wie das rätselhafte Gemurmel eines Magiers klingt.

Pilger kommen der Natur ganz nah und sind dem Wetter ausgesetzt

Die Strecke verläuft an ockerfarbenen Stränden und steilen Klippen vorbei, durch Rebfelder mit Meerblick, auf denen die hellgrünen Trau¬ben des Txakoli angebaut werden, baskischer junger Wein. Behutsam erschließen wir uns Etappe für Etappe die Natur. Wir freuen uns über Lamas auf einer Koppel, über zahllose Schafe, immer wieder stehen auch Esel in der Idylle herum. Am dritten Tag geraten wir in ein Unwetter. Der recht häufige Regen — verglichen etwa mit Andalusien — ist der Preis für das fast blendende Grün im spanischen Norden. Wir haben Glück: Nach einer halben Stunde blin¬zelt die Sonne erneut durch die Zweige.

Wer pilgert, besinnt sich auf Grundbedürf-nisse und entwickelt rasch Routinen: Aufste-hen um sechs, laufen bis zum späten Nachmit¬tag, duschen, essen, schlafen — für mehr bleibt kaum Zeit. Auf der fünften Etappe, 33 Kilome¬ter bis Bilbao, setzen wir stoisch einen Fuß vor den anderen, motiviert davon, es bald geschafft zu haben. Vorfreude auf die Stadt, auf das Guggenheim-Museum mit seiner irrwitzigen Architektur. Die Rucksäcke wiegen schwer, während wir uns den Monte Avril hinauf-schleppen, die letzte große Herausforderung. Die dann folgende Aussicht könnte nach fünf Tagen zu Fuß kaum besser sein: Vor uns liegt ein riesiges Häusermeer, und irgendwo dort unten in Bilbao fahren Busse.

 








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