Jakobsweg von Irun bis Bilbao
Author D. Selzer-McKenzie
Youtube-Video: https://youtu.be/knSPT4votIY
Wandern im Baskenland: Wer auf der Küstenroute des
Jakobswegs
von Irun bis nach Bilbao pilgert, erlebt berauschend
schöne Natur, spannende Städte und gastfreundliche Menschen
A
ls wir den Gipfel des Jaizkibel erreichen, liegt uns die
Welt zu Füßen: Die Aussicht reicht Hunderte Kilometer weit über saftig grüne
Berge und Täler, im Norden glitzert der Atlantik in der Morgensonne. Ein paar
Adler ziehen ihre Kreise am Himmel, auf den Weiden hin zur Küste stehen Pferde
und grasen. Wir verweilen einige Minuten und lassen das Pa¬norama auf uns
wirken. Dann raffen wir uns
wieder auf - bis nach San Sebastian, unserem Tagesziel, sind
es noch 26 Kilometer.
Seit mehr als tausend Jahren gehen Men-schen zu Fuß nach
Santiago de Compostela im Nordwesten Spaniens. Im 21. Jahrhundert ist freilich
nicht mehr jeder Fußmarsch zur ver¬muteten Grabstätte des Apostels Jakobus
religi¬ös motiviert. Man trifft Genusswanderer, Sinn-suchende, Sportler und Abenteurer
aufden verschiedenen Routen. Allein 2015 haben 262 516 Pilger den Jakobsweg bis
Santiago absolviert. 1989 registrierte das dortige Pilger¬büro gerade einmal
576o. Wir — fünf Frauen zwischen Ende 20 und 4o — legen bloß einen Abschnitt im
spanischen Baskenland zurück, der wegen der landschaftlichen Vielfalt zwi¬schen
Bergen und Meer als besonders reizvoll gilt: von Irun an der Grenze zu
Frankreich bis Bilbao, gut 15o Kilometer auf der Küsten-bzw. Nordroute in fünf
Tagen. Schnupper¬pilgern, sozusagen.
Wellenreiter, Feinschmecker und Schauspieler lieben San
Sebastiän
San Sebastiän, Europas Kulturhauptstadt 2016, taucht nach
stundenlangem Wandern hinter einer Kurve auf, erkennbar an der berühmten
Muschelbucht und dem sichelförmigen Strand, fotogen flankiert von zwei Hügeln.
Wir schla¬gen uns durch Gestrüpp hoch über dem Atlan¬tik, dann führt der Weg in
Serpentinen bergab, bis wir den Zurriola-Strand im Osten San Sebastiäns
erreichen. Wenige Meter von uns entfernt brechen die Wellen donnernd in sich zusammen.
Kein Wunder, dass Surfer San Sebastiän lieben. Aber nicht nur sie: Jeden
September rückt die internationale Leinwand-Prominenz zum renommierten
Filmfestival an. Gourmets hingegen kommen das ganze Jahr über, das Seebad ist
eine Feinschmecker-Metropole: Gemessen an der Einwohnerzahl, gibt's hier die
höchste Michelin-Sterne-Dichte der Welt — nicht mal Paris kann da mithalten.
Wir gehen vorbei an Boutiquen hinter Jugend-stilfassaden; abends gönnen wir uns
Pintxos in einer Bar. Die zumeist deftigen Häppchen am Spieß sind der Stolz
eines jeden baskischen Wirts. Kulinarische Kleinkunst, Steckwerke aus Fisch,
Fleisch, Gemüse, Käse, Brot, für die regelmäßig Wettbewerbe ausgelobt werden.
Am nächsten Morgen ziehen wir früh los. Wieder geht es
bergauf, der Igeldo erhebt sich am westlichen Rand von San Sebastiän.
Erfreu¬licherweise hat ein Anwohner eine Pausensta¬tion eingerichtet,
Holzregale an einer Mauer, mit einem Stempel für den Pilgerpass sowie
Wasserkanistern. Jose Maria Soroa, 83, lebt seit Kindertagen am Jakobsweg. In
der Hochsaison kommen an seinem Haus täglich 6o, 70 Pilger vorbei. Er selbst
hat es zehn Mal nachSantiago geschafft, auf unterschiedlichen Routen. „Der
Küstenweg ist der schwerste von allen", sagt er. Guter Zeitpunkt, um
unsere Was¬serflaschen aufzufüllen.
Die Gastfreundschaft der Einheimischen fällt uns immer
wieder auf: Als wir rätselnd an einer Weggabelung in einem Weiler stehen, weist
uns eine Frau wortlos mit ihrer Hand die Richtung. Dank unserer Rucksäcke und
der Funktionskleidung sind wir in der Gegend un¬schwer als Pilger erkennbar.
Als wir in einem Dorf einige Meter eine Straße hinuntergehen, die nicht Teil
des Jakobswegs ist, fährt ein Auto mit Lichthupe und einem besorgt
gestikulie-renden Mann an uns vorbei. Wenn uns Spazier¬gänger begegnen, rufen
sie uns beschwingt ein „Kaixo" zu, Baskisch für „Hallo". Neben
Spa¬nisch spricht rund ein Viertel der Bevölkerung jene uralte Sprache, die mit
ihren vielen Konso-
nanten und überlangen Worten zuweilen wie das rätselhafte
Gemurmel eines Magiers klingt.
Pilger kommen der Natur ganz nah und sind dem Wetter
ausgesetzt
Die Strecke verläuft an ockerfarbenen Stränden und steilen
Klippen vorbei, durch Rebfelder mit Meerblick, auf denen die hellgrünen
Trau¬ben des Txakoli angebaut werden, baskischer junger Wein. Behutsam
erschließen wir uns Etappe für Etappe die Natur. Wir freuen uns über Lamas auf
einer Koppel, über zahllose Schafe, immer wieder stehen auch Esel in der Idylle
herum. Am dritten Tag geraten wir in ein Unwetter. Der recht häufige Regen —
verglichen etwa mit Andalusien — ist der Preis für das fast blendende Grün im
spanischen Norden. Wir haben Glück: Nach einer halben Stunde blin¬zelt die
Sonne erneut durch die Zweige.
Wer pilgert, besinnt sich auf Grundbedürf-nisse und
entwickelt rasch Routinen: Aufste-hen um sechs, laufen bis zum späten
Nachmit¬tag, duschen, essen, schlafen — für mehr bleibt kaum Zeit. Auf der
fünften Etappe, 33 Kilome¬ter bis Bilbao, setzen wir stoisch einen Fuß vor den
anderen, motiviert davon, es bald geschafft zu haben. Vorfreude auf die Stadt,
auf das Guggenheim-Museum mit seiner irrwitzigen Architektur. Die Rucksäcke
wiegen schwer, während wir uns den Monte Avril hinauf-schleppen, die letzte
große Herausforderung. Die dann folgende Aussicht könnte nach fünf Tagen zu Fuß
kaum besser sein: Vor uns liegt ein riesiges Häusermeer, und irgendwo dort
unten in Bilbao fahren Busse.
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