Dienstag, 19. Mai 2009
Die Geschichte von Thyssen
Die Geschichte von Thyssen
Author D.Selzer-McKenzie
DIE GESCHICHTE DER FIRMA THYSSEN beginnt offiziell im Jahr 1891 mit dem Erwerb aller Anteile am Duisburger Steinkohlebergwerk „Gewerk¬schaft Deutscher Kaiser" durch August und Joseph Thyssen. Doch bereits in den Jahren zuvor ist August Thyssen auf verschiedene Weise unternehme¬risch tätig. Schon im Jahr 1867 gründet er zusammen mit seinem Schwager die Firma Thyssen, Fossoul & Co. Nach vier Jahren verlässt er das Unterneh¬men, um gemeinsam mit seinem Vater 1871 das Bandeisenwalzwerk Thyssen & Co. in der Nähe von Mülheim zu gründen.
Den Schritt zum Vertikalkonzern macht August Thyssen 1891 dann mit dem Einstieg bei der Steinkohlenzeche „Gewerkschaft Deutscher Kaiser", die er zu einem inte¬grierten Hüttenwerk am Rhein ausbaut. Unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg beginnt die Firma mit der Internati¬onalisierung. Es werden Dependancen in den Niederlan¬den, in Großbritannien, Frankreich, Russland, Argentinien sowie im Mittelmeerraum gegründet.
Das Ende des Ersten Weltkriegs bedeutet für August Thyssen nicht nur den Verlust zahlreicher Auslands¬beteiligungen und der lothringischen Unternehmen, son¬dern auch das Ende seiner unternehmerischen Expansion. 1925, damals über 80 Jahre alt, besitzt er noch immer die alleinige Verfügungsgewalt über seine Unternehmungen und stimmt grundsätzlich der Einbringung seiner Firmen in einen neuen Konzern, die Vereinigte Stahlwerke AG, zu.
Der arbeitsbesessene und äußerst kreative Unternehmer August Thyssen perfektioniert den Gedanken des vertika¬len Unternehmensverbunds. So errichtet er in Mülheim an der Ruhr ein Maschinenbauunternehmen, um die für seine Betriebe notwendigen Großgasmaschinen selbst herzustellen. Aus den gleichen Gründen beteiligt er sich an der Stahlweiterverarbeitung, an der Stahlveredelung und am Schiffbau. Ohne eigene technische Inventionen, aber an Innovationen durchaus immer interessiert, gelingt es ihm, von einem mittelständischen Unternehmer zu einem der ganz großen deutschen Eigentümerunterneh¬mer des ersten Viertels des 20. Jahrhunderts aufzustei¬gen. Die Unternehmensgewinne investiert er unmittelbar in den weiteren Ausbau seines Konzerns.
Am 4. April 1926 stirbt August Thyssen auf Schloss Lands¬berg bei Essen, das er 1902 als seinen Wohnsitz erwarb. Nach seinem Tod teilen seine Söhne Heinrich und Fritz sein industrielles Erbe auf.
Der erstgeborene Sohn Fritz ist bereits seit vielen Jahren in unterschiedlichen Funktionen bei Thyssen tätig und übernimmt 1926 den Aufsichtsratsvorsitz der Vereinigte Stahlwerke AG. Diese ist soeben durch den Zusammen¬schluss mehrerer Unternehmen des Industriezweigs ent¬standen. Ein Hauptgrund für diesen Zusammenschluss ist vor allem in der schwierigen Marktsituation Mitte der Zwanzigerjahre zu sehen. Ursprünglich sollte die Vereini¬gte Stahlwerke AG viel umfassender sein und ebenfalls Namen wie Hoesch, Mannesmann, Klöckner und Krupp beinhalten. Dazu kommt es jedoch nicht, und die Thyssen¬Gruppe wird mit 26 Prozent zum größten Anteilseigner des neuen Unternehmens.
1934 kommt es zu einer Neuordnung und Restrukturie¬rung der Vereinigte Stahlwerke AG, in deren Zug die August Thyssen-Hütte gegründet wird. Diese umfasst alle im Duisburger Raum liegenden Werke des Unternehmens
Im gleichen Jahr distanziert sich Fritz Thyssen vom NS- Regime. Im Jahr 1939 kommt es nach Kriegsbeginn zum offenen Bruch mit dem Regime, und seine Familie drängt Fritz Thyssen, Deutschland zu verlassen. Die geplante Flucht über die Schweiz und Frankreich nach Argentinien endet 1940 in Frankreich. Dort wird die Familie festgesetzt und später nach Deutschland ausgeliefert. Währendessen wurde das Vermögen von Fritz Thyssen beschlagnahmt, und der NS-Staat erlangte damit Einfluss auf die Unter¬nehmenspolitik. Die Produktion wurde immer mehr auf die Kriegswirtschaft umgestellt.
Wie viele deutsche Unternehmen erleiden die Produkti¬onsanlagen von Thyssen während des Zweiten Weltkriegs starke Zerstörungen. Nach Kriegsende werden viele ver¬bliebene Anlagen demontiert. Mit dem Petersberger Abkommen von 1949 wird die Demontage beendet. Die Entflechtungs- und Neuordnungspolitik der Westalliierten bedeutet für die Vereinigte Stahlwerke AG und ihre Betriebsgesellschaften allerdings die Liquidierung. In die¬sem Rahmen wird die Thyssen-Hütte aus dem Konzernge¬flecht herausgelöst. Sie ist der Grundstein für die 1953 neu gegründete August Thyssen-Hütte AG. Fritz Thyssen erlebt dies allerdings nicht mehr mit. Er verstarb 1951 in Argentinien. Seine Frau Amelie begleitet an seiner Stelle den organisatorischen Wiederaufbau der Thyssen-Gruppe.
In den folgenden Jahren erlebt Thyssen eine horizontale Diversifizierung. Dies geschieht vor allem durch Übernah-men anderer Stahlhersteller, und es verbreitert das Ange¬bot an Eisen- und Stahlerzeugnissen von Thyssen. 1969 läutet die Endphase der horizontalen Diversifizierung ein. In einer Kooperation mit Mannesmann vereinbaren beide Unternehmen eine Arbeitsteilung. Mannesmann erhält alle Produktionsanlagen für Röhren. Im Gegenzug erhält Thyssen die Anlagen zur Walzstahlerzeugung.
Die folgenden Jahre stehen im Zeichen der Errichtung neuer Geschäftbereiche. Thyssen will sich vom stark kon-junkturgetriebenen Stahlgeschäft unabhängiger machen. Die Übernahme der Rheinstahl AG 1973 stellt den Auftakt zum Ausbau von Thyssen als Mischkonzern dar.
Im September 1995 kündigen die Enkel von Fritz Thyssen, die Grafen Claudio und Federico Zichy-Thyssen, ihren Rückzug aus dem Unternehmen Thyssen AG, vormals August Thyssen-Hütte, an und verkaufen ihren Anteil von 15,4 Prozent an die Commerzbank. Seit dem Ausscheiden der beiden Grafen aus dem Aufsichtsrat der Thyssen AG 1997 gibt es keine Beteiligung mehr von Nachkommen des Unternehmensgründers am Unternehmen.
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