Meziad Höhle im Apusenigebirge Romania Reise SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie
Video:
http://www.youtube.com/watch?v=U6ErCojqdC8
Es gibt Situationen im Leben, in denen nichts vorangeht, so sehr man auch kämpft. Ungüns¬ tig, wenn man dabei in
einer unterirdischen Höhle weilt. Der Abschnitt der rumänischen Königshöhle, in dem ich festste-cke, ist eine senkrechte Röhre. Ein enger Schlund, vielleicht zehn Meter tief, an dessen Wand ein Me¬taffleiterchen vor sich hin rostet. Soeben bin ich die oberste Sprosse hinaufgeschwankt, aber diese Blech-Krücke ist kürzer als die Röhre. Ein einziger, großer Schritt wäre nötig, um in den Gang dar¬über zu gelangen, der zum Aus¬gang führt. Nur: mein Bein ist zu kurz. Vergeblich zieht mein Füh¬rer Tzupi von oben an meinem Arm - sein Bewegungsspielraum ist gering. Vergeblich versucht sein Freund Florin, von unten zu schie¬ben - er hat nur eine Hand frei, steht selbst auf der Leiter. Seit ei¬ner halben Stunde hänge ich fest, in einem Berg, in dem man sich auch nicht einfach mal eben retten lassen kann.
Eine Höhlenrundreise durch das Apusenigebirge, die sogenann-ten „Sonnenuntergangsberge", das klingt romantisch: Im Westen Rumäniens, wo die Sonne sich zur Ruhe bettet, wogte einst ein Oze-an. Zeit und Wasser pressten die Ablagerungen zu Kalkstein, später nagten Regen und Flüsse knapp 5000 Höhlen hinein - formten ein Land unter der Erde mit eigenen Landschaften, Bewohnern und Ge¬setzen. Ein Schattenreich, zu dem sich im Kopf ein Labyrinth aus Mythen und Geschichten auftut, bevölkert von Ungeheuern und Zwergen, geschmückt mit Schät¬zen.
Das Flugzeug landet in CluiNapoca
poca, einer 340 0 Stadt mit einem Kern aus Barock-gebäuden. Ein Museum zeigt hier Steine, Fotos und den Abdruck ei¬ner Bärenklaue. Scherben der Er¬kenntnis, die ein ehemaliger Be¬wohner der Stadt aus der Unter¬welt nach oben trug: Emil Raco¬vitä, geboren 1868, Begründer der Biospeläologie — der Erforschung von Lebewesen in Höhlen. Seine Nachfolger lehren am ersten rumä¬nischen Institut für diese Wissen¬schaft wenige Straßen weiter.
Die Amateurforscher sind hinge-gen in Clubs organisiert, die jähr¬lich zu einem Treffen zusammen¬kommen. Diesmal im Studenti¬schen Kulturhaus von Cluj: An Stellwänden hängen Plakate mit unterirdischen Landkarten, über eine Leinwand flimmern Seen in ewiger Nacht.
Zwischen den Besuchern schlen-dert ein Mann mit grauem Vollbart und der markanten Nase einer Den-kerbüste umher. Viorel Lascu, 49, ist Präsident des rumänischen Höh¬lenforscherbundes: „Mit 15 habe ich mich an einem Tau durch ein Loch in eine Höhle gelassen. Als ich am Seilende ankam, war der Bo¬den nicht zu sehen; und ich hab's kaum geschafft, wieder hochzuldet¬tern." Mehr als 130 Höhlen hat er seither entdeckt, und besichtigt etwa 5oo. "Mich reizt es, Orte zu er-forschen, an denen noch niemand war, Steine oder Lebewesen zu fin-den, die keiner kennt. Oft bringen wir Amateure den Uniwissenschaft¬lern Proben mit ans Licht." Viorel ist dürr, als habe er gehungert, um in Höhlen schlüpfen zu können.
aus, als könne er einen Berg, der zu eng ist, mit Muskelkraft aus-einanderdrücken. Am nächsten Morgen fahren wir zu zweit in die Sonnenuntergangsberge. Draußen ziehen Wiesen und Dörfer vorbei, später faltet sich der Weg zu Ser¬pentinen. Endlich halten wir auf dem Runcuri-Karst-Plateau - ein Meer grüner Hügel mit Weiden und Wildern.
Mit robusten Overalls, Gummi¬stiefeln und Helmen mit Stirnlam¬pen bekleidet, stapfen wir auf eine Felswand zu, in der sich unten eine Art Mauseloch befindet: Der Ein¬gang der Dobos-Höhle ist so klein, dass man nicht
spalten sickert, Kalk aus dem Ge-stein löst, in der Höhle den Kalk wieder abgibt und so diese Formen schafft - diese Landschaft lässt die Phantasie tanzen: Gut möglich, dass dies der Hausgarten eines Rie¬sen ist. Wenn man zusätzlich die Lampen ausknipst, nichts hört, nichts sieht, meint man, ferne Stimmen zu vernehmen. Was ist real in diesem Land unter der Erde, wann besucht man hier bloß die eigene Phantasie?
Die Dobos-Höhle war einfach zu erreichen. Um hingegen zur nächsten zu gelangen, müssen wir das Auto im Wald parken und uns eine halbe Stunde an einem Flüss¬chen entlang durchs Dickicht han¬geln. So, sagt Tzupi, sei die Kö¬nigshöhle auch entdeckt worden: „Die Forscher liefen einfach bis zur Quelle, Höhlen werden ja meist durch Wasser geschaffen. Manche findet man auch durch Wind: Beim Wandern bemerkte ich mal, dass sich Blätter am Bo¬den bewegten. Ich bückte mich, sah eine Öffnung im Fels daneben und wusste Bescheid: Wenn ein großer Raum hinter einem kleinen Loch liegt, zirkuliert Luft hin¬durch."
Auch aus dem trockenen Neben¬eingang der Königshöhle weht es kalt. Durch einen Schlund mit Za¬cken, ein steinernes Haifischmaul, klettern wir in eine Art Vorhöhle mit einer Eisenklappe im Boden: „Um neugierige Touristen vor sich selbst zu schützen", sagt Tzupi und zückt einen Schlüssel.
Diese Bemerkung, das Haifisch- maul, die Klappe - die Tatsache, dass Tzupi vorsichtshalber seinen Freund Florin mitgebracht hat: Das alles hätten Warnungen sein können, dass es sich nicht um eine Vorhöhle handelt, sondern die Vor¬hölle. Warnungen vor dem, was folgt: die Röhre mit der wackeli¬gen Leiter. Die Felswand danach, mit nur einem daumendicken Na¬gel als Tritthilfe. Die Steinzacken im Boden. Wir krabbeln, wir krie-chen, nur die Schwerkraft verrät, wo oben und unten ist; bis zu einer weiteren Leiter, über der man noch durch einen Kamin klettern müsste. Immer wieder rutsche ich an den Wänden ab. Wir müssen umkehren. Und bleiben auf dem Rückweg in der Röhre mit der Lei¬ter hängen, bis die Männer mich ir¬gendwie hinaushieven. Der moder¬ne Berg wird mit einem Schlüssel entriegelt. Leider hilft der nicht bei der Frage, wie man wieder raus¬kommt.
Zum Glück sind unsere nächs-ten Ziele Show-Höhlen, eigens prä¬pariert für Untergrundamateure wie mich. Der Weg zu ihnen führt durch Dörfer mit rumänischer, oft aber auch ungarischer Mehrheit und erinnert daran, dass die Ge¬gend jahrhundertelang zum Nach-barland gehörte. Die Bevölkerung über der Erde hat ihre Wohnhöh-len außen grell gestrichen, die Al-ten sonnen sich auf Stühlen davor, die Jungen spielen Fußball.
Die Bevölkerung unter der Erde lebt auf engstem Raum zusammen, sie klebt förmlich aneinander: mit etwa 20 000 Einwohnern ist die Meziad-Höhle eine Fledermaus-großstadt: vierstöckig, mit riesigen Hallen und einer natürlichen Brü¬cke, die größer ist als manche ge¬baute. Besuchergruppen mit Stirn-lampen schieben sich wie Autoko¬lonnen durch die Nacht.
Echos tuscheln nimmermüde miteinander. Trocken und stein-grau ist diese Stadt, und sie hat ein Müllproblem: Unter einem fiepsen¬den dunklen Fleck an der Decke, einem Kindergarten, türmt sich eine weiche Masse. Fledermaus- scheiße.
Der Nachbarort ist eine Geister¬stadt. Die letzte Ruhestätte von etwa hundert Höhlenbären, die von Menschen in einen Rummel
platz verwandelt wurde: Den Park-platz der Bärenhöhle von Chi§cän säumen Souvenirstände, von dort schiebt sich die Menschenschlange durch ein Kassengebäude. Die Tropfsteine sind ausgeleuchtet und haben Namen, „Damokles-schwert", „Weihnachtsbaum" und „Rakete". Alles wurde in Zahlen er¬fasst - größte Säule: 7,08 Meter. Selbst zu den Bären, deren Kno¬chen herumliegen, gibt es Leichen¬mathematik: 600 Kilo wogen sie, waren drei Meter lang und einein¬halb Meter hoch.
Sie brachten hier ihre Jungen zur Welt und hielten Winterschlaf, jagten aber draußen. „Faszinierend sind auch Tiere", sagt Tzupi, „die permanent im Dunkeln leben." Blind seien die meist, hätten lange Fühler und eine helle Farbe. „Übri¬gens ergaben Experimente, dass
sich beim Menschen schon nach 20 Tagen in einer Höhle der innere Rhythmus umstellt, man ist dann abwechselnd 24 Stunden wach und schläft zwölf Stunden. Auch wir ver¬ändern uns da unten recht schnell."
Die Sonne streichelt die Wälder mit Nachmittagslicht, als das Auto die Serpentinen zum Ghetar-Pla¬teau hinaufkeucht. Heute ist der letzte Tag der Reise. Berge haben wir geöffnet. Die Knochen einsti¬ger Ungeheuer erblickt, mit eige¬nen Dämonen gekämpft und das Labyrinth der Unterweltsmythen umgegraben. Doch das Kostbarste aller Höhlengeschichten fehlt: Gibt es hier denn gar keine Schätze?
Tzupi parkt, führt mich durch ein Wäldchen und dort auf einer Eisentreppe in eine etwa fünfzig Meter tiefe Senke hinab. Unten ste¬hen wir vor einem Gefrierfach der 1 Natur: In einer Höhle ruht der zweitgrößte Untergrundgletscher Europas. „Weil die Senke so steil und tief ist und warme Luft immer nach oben steigt", sagt Tzupi, „ist es hier unten kalt genug."
Ein Rundweg aus Holzplanken führt über den frostigen, etwa ioo 000 Kubikmeter großen Klotz am Boden, auf dem ein Wasserfilm steht. Knapp 4000 Jahre alt ist der Gletscher der Eishöhle von Sari5oara. Ein weiß-grauer Greis, der Geschichten von früher er¬zählt: Forscher können aus seinen Eisproben auf Klima und Pflanzen vergangener Zeiten schließen - ein kostbares *Wissen.
Rechts neben dem Eingang hat ein Wissenschaftler im Jahr 1947 eine kleine, rote Linie in die Wand geritzt, den Eisstand markiert. Heute liegt die Oberfläche etwa ei¬nen Meter achtzig tiefer. Wasser tropft. Es ist das Ticken einer Le-benszeituhr: Schon der Nibelun¬genhort war in einer Drachenhöh¬le nicht sicher - und so manch an¬derer Schatz auch nicht, er taut.
Anreise Von Deutschland aus flie¬gen die staatliche rumänische Flug-gesellschaft Tarom (www.tarom.de) und Lufthansa (www.lufthansa.com) den Flughafen Cluj-Napoca an. Von dort aus sind es mit dem Auto oder dem Zug noch 160 Kilometer nach Oradea, Haupteinstiegspunkt ins westliche Apusenigebirge.
Der Veranstalter Apuseni Experi¬ence, der auch Privattransfers anbie¬tet, organisiert geführte Wander-, Rad- und Höhlenreisen im Apuseni¬gebirge — mehrtägige Untergrund¬touren in der Gruppe oder individu¬ell. Anzahl und Schwierigkeitsgrad der Höhlen sind frei wählbar (ab etwa 90 Euro am Tag). Alle Reisen för¬dern nachhaltigen Tourismus, da ein Teil des Geldes in eine lokale NGO fließt (Telefon 00 40/7 40 06 28 62 oder www.apuseniexperience.ro). Literatur Wer sich Höhlen an der Oberfläche nähern will, kann das mit
Höhlen. Verborgene Welten" (Pri¬mus-Verlag 2008) von Stephan Kem¬pe tun (29,90 Euro).
Weitere Informationen gibt das rumänische Touristenamt (www. rumaenien-tourismus.de).
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