Brexit: Die Folgen für Großbritannien und die EU
Author D.Selzer-McKenzie
https://youtu.be/TstZ2RzwHsY
Spätestens Ende 2017 werden die Briten über den weiteren
Ver¬bleib ihres Landes in der EU entscheiden. Aber was würde ein Austritt
Großbritanniens aus der EU bedeuten? Unserer Meinung nach halten viele der
wirtschaftlichen Argumente für einen Brexit einer genaueren Untersuchung nicht
stand. Damit bleibt der Brexit eine politische Entscheidung, die
Großbritanniens wirt¬schaftliche und politische Interessen aufs Spiel setzen
könnte.
Was haben die Römer je für uns getan?
Die Einstellung der Briten zur EU erinnert an die Szene aus
Monty Pythons Film »Das Leben des Brian«, in der der von John Cleese
dargestellte Reg die versammelten Mitglieder der Volks¬front von Judäa fragt:
»Was haben die Römer je für uns getan?« Dann wird darauf hingewiesen, dass sie
den Judäern den Aquä¬dukt, die sanitären Einrichtungen, die Straßen, die Bewässerung,
das Schulwesen, die medizinische Versorgung und die öffentli¬che Ordnung
gebracht haben. Woraufhin Reg die unsterbliche Antwort gibt: »Also gut ... mal
abgesehen von sanitären Einrich-tungen, der Medizin, dem Schulwesen, Wein, der
öffentlichen Ordnung, der Bewässerung, Straßen, der Wasseraufbereitung und den
allgemeinen Krankenkassen ... was, frage ich euch, haben die Römer je für uns
getan?«
Die EU gewährt Zugang zu einem Binnenmarkt mit mehr als 500
Millionen Menschen und fördert den freien Waren-, Dienst-leistungs- und
Kapitalverkehr sowie die Freizügigkeit von Arbeit- nehmern. Die Londoner City
ist faktisch zum Finanzzentrum der EU geworden, und in die EU geht auch die
Hälfte der britischen Warenexporte (Grafik 1). Zwar äußern UKIP und andere
immer wieder Unmut darüber, dass Großbritannien eine riesige Zahl von
EU-Migranten aufnimmt, doch in Wirklichkeit leben fast ebenso viele britische
Bürger im Rest der EU. So ergab die Volkszählung von 2011, dass etwa 1,9
Millionen EU-Bürger in Großbritannien leben und 1,8 Millionen Briten in den
übrigen EU-Ländern (Gra¬fik 2). Letzteres ist symptomatisch dafür, was mit der
öffentli¬chen Debatte über die EU nicht stimmt: Sie ist umwölkt von
Halbwahrheiten und Fehlinformationen.
Die EU-Mitgliedschaft bietet offensichtlich zwar Vorteile,
man darf aber nicht die Augen davor verschließen, dass sie auch Nachteile hat.
Auf dem ganzen Kontinent gibt es Sorgen über das Ausmaß der Auseinandersetzung
von Bürgern mit der EU sowie zahlreiche Beschwerden aus der Wirtschaft, dass
EU-Ver¬ordnungen ihre Arbeit behindern. Es gibt also Verbesserungs¬bedarf in
Bezug darauf, wie die EU funktioniert und was sie den Bürgern bietet. Aber wie
wir nachfolgend darlegen, ergibt eine
Kosten-Nutzen-Analyse, dass Großbritannien aus der EU-Mit¬gliedschaft
- politisch wie auch wirtschaftlich - größeren Nutzen zieht als aus einem
Alleingang.
Die politischen Aspekte des Brexits
Premierminister Camerons Versprechen von 2013, bis 2017 ein
Referendum über die EU-Mitgliedschaft durchzuführen, ist im innenpolitischen
Kontext zu sehen, in dem die euroskeptische Botschaft, mit der die UK
Independence Party hausieren ging, den politischen Status quo bedrohte. Im
Wahlkampf spielte das versprochene Referendum dann jedoch kaum eine Rolle. Denn
die EU-Frage ist den meisten Wählern viel weniger wichtig, als die Medien uns
glauben machen wollen. Tatsächlich ist deutlichzu spüren, dass sich die Debatte
gar nicht wirklich um die EU dreht. Sie ist Teil einer allgemeineren
Gegenreaktion auf die Globalisierung, die auch in vielen anderen europäischen
Ländern zutage tritt, in Großbritannien aber in einer Anti-EU-Stimmung Ausdruck
findet. Nach seinem Versprechen fühlt sich Premier¬minister Cameron jetzt
verpflichtet, seinen Worten Taten folgen zu lassen - in erster Linie, um zu
verhindern, dass der euroskepti¬sche Flügel seiner eigenen Partei ähnliche
Probleme verursacht, wie sie bereits die letzte Mehrheitsregierung der
Konservativen von 1992 bis 1997 plagten. Wird dieses Thema nicht angegan¬gen,
ergeben sich alle möglichen politischen Probleme für Cameron. Doch es besteht
wenig Zweifel daran, dass dies ein riskantes Spiel mit Großbritanniens
nationalen Interessen ist.
Der Prozess des Referendums (und sein mögliches Nachspiel)
Noch vieles kann sich ändern im Vorfeld des Referendums, des¬sen Termin noch
nicht feststeht. Vor der Wahl hat die Regierung versprochen, dass es bis Ende
2017 kommt. Doch es wird zunehmend darüber spekuliert, dass es bereits 2016
stattfinden könnte, um Konflikte mit den Wahlterminen in anderen Ländern zu
vermeiden. Meinungsumfragen zeigen, dass die britischen Wähler zum Verbleib in
der EU tendieren (Grafik 3). Doch diese Ergebnisse sind mit Vorsicht zu
genießen, denn vor der Parla¬mentswahl im Mai waren die Umfragedaten sehr
ungenau ausgefallen.
Falls die Wählerschaft tatsächlich für den Austritt aus der
EU votiert, müsste die britische Regierung sich auf Artikel 50 des
Lissabon-Vertrags berufen, der von der EU verlangt, ein
Aus¬trittsabkommen auszuhandeln. Sobald dieser Prozess in Gang gesetzt ist,
dauert der Verhandlungsprozess maximal zwei Jahre (oder bei beiderseitiger
Zustimmung auch länger). Derweil gel¬ten die bestehenden EU-Regelungen weiter,
wobei Großbritan¬nien die Austrittsverhandlungen nicht beeinflussen könnte. Die
Bedingungen des Austritts werden in erster Linie von der Euro¬päischen
Kommission festgelegt, und es könnten sich Austritts¬bedingungen ergeben, die
für die britische Seite nicht günstig sind. Es gab Überlegungen, dass
Großbritannien den Prozess nach Artikel 50 vermeiden
könnte, indem es den
European Communities »Was
Großbritannien betrifft,
Act von 1972 aufhebt und ist
einer der größten Vorteile
somit einseitig austritt. der
EU-Mitgliedschaft der
Zugang zum europäischen
Doch das würde ebenso Binnenmarkt.«
viele Probleme aufwerfen
wie lösen, nicht zuletzt
die Frage, wie die Forderungen von Migranten zu behandeln
sind - sowohl von Ausländern in Großbritannien als auch von britischen Bürgern
in anderen EU-Staaten. Bei einem solchen Ergebnis wäre zudem eine Retourkutsche
von Großbritanniens ehemaligen EU-Partnern möglich, was sogar noch weniger
günstig wäre als der Prozess gemäß Artikel 50.
Im Brexit-Fall könnte überdies die Diskussion um Schottlands
Unabhängigkeit wieder auf die Agenda gelangen. Es war beab- sichtigt, dass dieses
Thema nach dem Referendum von letztem Jahr für eine Generation vom Tisch ist.
Doch die Scottish Natio¬nal Party (SNP), die bei der Wahl in diesem Jahr 56 der
59 Parla-mentssitze nördlich der Grenze errungen hat, vertritt die Ansicht,
dass ihr in der Brexit-Frage ein Vetorecht zusteht. Doch ein sol-ches wird ihr
höchstwahrscheinlich nicht gewährt. Und da die SNP sich auf die Fahnen
geschrieben hat, Widerstand gegen einen Austritt aus der EU zu leisten, besteht
die unerquickliche Aussicht auf eine Neuauflage des Referendums von letztem
Jahr, wobei der Ausgang nächstes Mal noch weniger sicher wäre.
Die wirtschaftlichen Aspekte des Brexits: Der Nutzen eines
Binnenmarkts
Was Großbritannien betrifft, ist einer der größten Vorteile
der EU-Mitgliedschaft der Zugang zum europäischen Binnenmarkt, der aus Gesetzen
resultiert, die in den 1980er und 1990er Jahren verabschiedet wurden. Mit
Beitritt zur EWG 1973 ging Großbri-tannien eine Zollunion ein. Aber im Zuge der
Umsetzung des europäischen Binnenmarkts vertiefte sich die wirtschaftliche
Integration der EU-Staaten durch die Abschaffung anderer nicht-tarifärer
Handelshemmnisse (zum Beispiel Verbesserung der Faktormobilität, harmonisierte
aufsichtsrechtliche Anforderun¬gen und Steuern). Generell wird davon ausgegangen,
dass die Schaffung des Binnenmarkts einen positiven wirtschaftlichen
Nettonutzen ergeben hat - wobei zahlreiche Studien jedoch lediglich die
Schwierigkeiten bei der Quantifizierung dieses Nutzens hervorheben konnten. Tabelle
1 hebt einige der größten Vorteile hervor, die aus der EU-Mitgliedschaft
erwachsen. Zu den wichtigsten zählt, dass diese Großbritannien ermöglicht, auf
internationaler Ebene eine überproportional große Rolle zu spielen: Die
Bevölkerung der EU ist mit 500 Millionen grö¬ßer als die der USA und Japans
zusammen. Als EU-Mitglied hat Großbri¬tannien Einfluss auf die Festlegung der
Regeln, die für einen riesigen Absatzmarkt gelten. Auch bietet der Binnen¬markt
Kostenvorteile, denn Unternehmen haben nur einen Satz Regeln zu beachten, anstatt
mit allen Handelspartnern separat verhandeln zu müssen. Schlussendlich - und
das mag kontroverser sein - wird behauptet, dass die EU die Bereitstellung
kostengünstiger Güter und Dienstleistungen für EU-Bürger sicherstellt, indem
sie ihre Wirtschaftsmacht nutzt, um Monopole zu bekämpfen.
Versuche, den Nutzen (und die Kosten) zu quantifizieren,
haben zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Eine Studie, die die
geistige Grundlage für das Projekt des europäischen Binnen-markts bildete,
wurde 1988 durchgeführt und ergab, dass die Einführung des Binnenmarkts über
einen Zeitraum von fünf Jah-ren zu einem Nutzen führen würde, der
schätzungsweise 4,3 bis 6,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU
entspricht. Einer jüngeren Studie zufolge hatte der europäische Binnenmarkt bis
2006 das BIP der EU um 2,16 Prozent erhöht und 2,75 Millionen zusätzliche
Arbeitsplätze geschaffen. Das ist nur halb so viel wie ursprünglich behauptet.
Allerdings ergab die Studie, dass das Potenzial des Binnenmarkts noch nicht
ganz realisiert worden ist und sich der Effekt verdoppeln lässt.
Die Kosten eines Binnenmarkts
Die empirischen Daten zeigen zwar mehrheitlich, dass die EU
netto einen wirtschaftlichen Nutzen mit sich bringt. Doch darf man nicht
übersehen, dass die Mitgliedschaft auch mit Kosten verbunden ist. Diese
gliedern sich in drei Bereiche: (1) Wirt-schaftliche Kosten entstehen aus der
Durchsetzung einer protek-tionistischen Politik, die den Nutzen der vielen (der
Konsumen-ten) zugunsten bestimmter wichtiger Interessengruppen verrin-gert. (2)
Regulatorische Kosten werden vielfach als belastend betrachtet. Dass die
Regulierung zugenommen hat, ist nicht zuleugnen. Doch die Frage ist, ob die
Kosten, insbesondere für kleine und mittelgroße Unternehmen, den Nutzen
überwiegen. (3) Fiskalische Kosten: Großbritannien ist ein Nettobeitragszahler
in den EU-Haushalt, und die Euroskeptiker behaupten, dass dieses Geld besser
für inländische Projekte verwendet werden könnte.
In Bezug auf die wirtschaftlichen Kosten behaupten die
Gegner, eines der größten schwarzen Löcher sei die Landwirtschaft, wo Landwirte
Subventionen vom Steuerzahler bekommen, die die Lebensmittelpreise auf einem
Niveau halten, das höher ist, als es ohne die gemeinsame Agrarpolitik wäre.
Großbritannien zieht zwar keinen Nettonutzen aus der gemeinsamen Agrarpolitik.
Doch dies ist gegen den Nutzen aus dem EU-Kartellrecht und den Nettonutzen aus
Bereichen wie zum Beispiel der Umwelt¬politik aufzurechnen. Die regulatorischen
Kosten sind ähnlich schwer zu beziffern: Das Funktionieren eines Binnenmarkts
mit weitgehend harmonisierten Standards erfordert einen aufsichts¬rechtlichen
Rahmen. Doch selbst die EU erkennt an, dass es ein Problem mit Bürokratie gibt:
Nach Berechnungen der Hoch¬rangigen Gruppe im Bereich der Verwaltungslasten
haben die EU-Verwaltungslasten bei 123,8 Milliarden Euro (0,9 Prozent des
EU-BIP 2012) die Spitze erreicht; seitdem sind Maßnahmen ergriffen worden, die
diese um 0,2 Prozentpunkte des Bruttoin¬landsprodukts senken werden. Eine in
Großbritannien oft geäu¬ßerte Kritik ist, dass die Regulierung »vergoldet« sei
(das heißt, es werden Standards erlassen, die über die EU-Mindeststandards
hinausgehen) und mit mehr Eifer durchgesetzt werde als in anderen EU-Nationen.
Das mag zutreffen oder auch nicht (und dieser Behauptung wird von der britischen
Regierung heftig
widersprochen), doch dieses Problem ist hausgemacht und
kommt nicht aus Brüssel.
Das Problem der fiskalischen Kosten ist eher leichter zu
quanti-fizieren. Der von Großbritannien 2014 geleistete Bruttobeitrag zum
EU-Haushalt wird auf 19,2 Milliarden britische Pfund (1,1 Prozent des BIP)
geschätzt. Nach Abzug von Rabatten und anderen Einnahmen belief sich der
Nettobeitrag auf 9,8 Milliar¬den britische Pfund (0,5 Prozent des BIP). Somit
war Großbritan¬nien in 41 der 42 Jahre seiner EU-Mitgliedschaft ein
Nettobei¬tragszahler (die einzige Ausnahme bildete 1975). Im Zeitraum von 1973
bis 2014 betrug der Netto¬beitrag im Durchschnitt 0,35 Prozent des
Brutto-inlandsprodukts. Seitdem ist er jedoch gestiegen und dürfte 2016 bei 0,5
Prozent die Spitze errei¬chen (Grafik 4). Großbritannien ist in absoluten
Zahlen nach Deutschland der zweitgrößte Nettozahler (Grafik 5), auf
Pro-Kopf-Basis jedoch nur der fünftgrößte. Dennoch reichten die britischen
Nettobeiträge 2013 aus, um die Netto-EU-Einnahmen von Griechenland, Ungarn,
Slowenien und Irland zu decken.
Doch während Großbritannien insgesamt ein Nettozahler ist,
sind die Landesteile, in denen der Lebensstandard unter dem EU-Durchschnitt
liegt, Nettoempfänger von zentralen Mitteln.
Offiziellen britischen Daten zufolge erhielt Wales 2009
EU-Mittel in Höhe von 74 britischen Pfund pro Kopf und Nordirland erhielt 106
Pfund pro Kopf; Schottland kam in etwa plus/minus null heraus. Das impliziert
eindeutig, dass ohne EU-Gelder sogar noch höhere Transfers von den
Steuerzahlern in England zu denjenigen in den anderen Teilen Großbritanniens
nötig wären.
Bewertung von Nettokosten und -nutzen
Es sollte nicht überraschen, dass die unter der
Schirmherrschaft der EU durchgeführten Studien Resultate ergaben, die für den europäischen
Binnenmarkt günstig sind. Ebenso überrascht nicht, dass Personen und
Organisationen mit euroskeptischen Ansichten generell behaupten, dass die
Kosten der EU-Mitglied-schaft deren Nutzen überwiegen. Deshalb sind Versuche,
Kosten und Nutzen präzise abzuschätzen, mit Vorsicht zu genießen. Allerdings
sind die euroskeptischen Studien in zweierlei Hinsicht zu kritisieren: Erstens
basieren sie auf pessimistischen Annahmen und berücksichtigen mögliche
Reformszenarien nicht. Zweitens konzentrieren sie sich generell nur auf die
direkten Kosten und Nutzen, ohne den potenziell bedeutenden Nutzen zweiter
Ord-nung zu beachten. Ein Beispiel: Selbst wenn Großbritannien kein EU-Mitglied
wäre, müsste es eigene aufsichtsrechtliche Regelun-gen erlassen; die Kosten der
Bürokratie würden also nicht ein¬fach verschwinden. Und wie einige Studien
zeigten, wirken sich ausländische Direktinvestitionen aus der EU potenziell
signifikant aus, und zwar über ihren Einfluss auf den technischen Fortschritt
und ihre späteren Auswirkungen auf Potenzialwachstum und Wettbewerbsfähigkeit.
Fazit
Nach Prüfung der Daten scheint der Nutzen der
EU-Mitglied-schaft für Großbritannien die Kosten zu überwiegen. Die EU ist zwar
eine Institution mit vielen Fehlern. Doch Euroskeptiker, die die EU auf
wirtschaftlicher Basis kritisieren, verfehlen weitge-hend das Thema. Die Belege
dafür, dass ein Abbau der Bürokra-tie Großbritanniens wirtschaftliche Situation
verbessern würde, sind gelinde gesagt nicht überzeugend. Der gesunde
Menschen-verstand sagt uns, dass eine Welt mit geringeren Handelshemm-nissen zu
höherem wirtschaftlichen Wohlstand führen sollte als eine mit stärkeren
Hemmnissen. Somit dürfte ein Brexit-Ergeb-nis, das den Zugang zum europäischen
Binnenmarkt beschränkt, nicht in Großbritanniens nationalem Interesse sein.
Zahlreiche empirische Daten untermauern diese Einschätzung, wenngleich einige
Studien zu dem Schluss gelangen, dass die Verluste im Handel durch Gewinne in
anderen Bereichen mehr als kompen¬siert werden können.
Ebenso ist der ungehinderte Zugang zu einem Markt von 500
Millionen Menschen ein Vorteil, den die britische Finanzdienstleis-tungsbranche
nach den aktuellen Regelungen genießt. Bewegte sich das Land außerhalb der EU,
entfiele dieser Nutzen im Gegenzug für sehr unsichere Gewinne. Denjenigen, die
behaup¬ten, dass Großbritannien die Einbußen im Handel mit der EU durch eine
Steigerung seiner Exporte in die stark wachsenden asiatischen Märkte
kompensieren könnte, entgeht ebenfalls das Wesentliche - nämlich, dass reiche
Länder in unmittelbarer Nähe tendenziell den größten Gewinn aus dem Handel
ziehen. Alles in allem stellt der Brexit unserer Meinung nach ein
wirtschaftliches Spiel mit den nationalen Interessen dar, wobei nicht
ersichtlich ist, dass dieses zu positiven Ergebnissen führen würde.
Wir sind von den wirtschaftlichen Argumenten für den Brexit
zwar nicht überzeugt, aber auch nicht blind für die Defizite der EU. Fragen der
demokratischen Legitimation und ihre Ferne von den Bürgern der Mitgliedsländer
haben in den letzten Jahren ihre Legitimität in Frage gestellt. Doch in einer
Welt zunehmender geopolitischer Spannungen und des Aufstrebens globaler
Supermächte wie beispielsweise Chinas werden die europäischen Nationen als Teil
der EU besser in der Lage sein, ihre Präsenz auf der Weltbühne zu wahren. Trotz
aller Fehler der EU wird oft der ursprüngliche Zweck dieser
Staatenge¬meinschaft übersehen, nämlich nach einem Jahrhundert der Konflikte in
Westeuropa die Nationen miteinander zu verbin¬den. Dieses Ziel hat sie
erreicht, denn sie hat dazu beige¬tragen, die längste Zeit des Friedens und
Wohlstands der Moderne herbeizuführen.
Es scheint zwar gute wirtschaftliche Argumente für einen
Verbleib in der EU zu geben. Doch letzten Endes muss Gro߬britannien den
wirtschaftlichen Nutzen gegen die politischen Kosten abwägen. Denn die EU
ändert ihren Charakter, um die Probleme der Eurozone zu bewältigen. Doch in
Anbetracht der Option einer halb losgelösten Existenz außerhalb der EU, in der
Großbritannien sich schwerlich dem Einfluss der EU entziehen könnte, ist unser
Fazit, dass die EU zwar keineswegs perfekt ist, dass aber das Leben draußen
noch viel härter sein könnte.
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