Chinas Reserveabflüsse
Author D.Selzer-McKenzie
https://youtu.be/e16vNXwA5FQ
Seit Mitte 2014 sind Chinas Devisenreserven deutlich
geschrumpft, zuletzt mit zunehmender Geschwindigkeit. Grund für diese neue
Situation sind Nettokapitalabflüsse, die durch die Liberalisierung des Kapitalverkehrs
ermöglicht werden. Um krisenhafte Abwertungsphasen zu verhindern, dürfte die
chinesische Notenbank (PBoC) diese Politik noch einige Zeit fortsetzen. Die
Rücknahme der Maßnahmen zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs wäre nur die
allerletzte Alternative.
Chinas »neue Normalität«: Schwache Währung und
Kapitalabflüsse
Ein seit Jahrzehnten andauernder Trend hat sich gewendet.
Die Devisenreserven der PBoC sind von ihrem Höchststand Mitte 2014 bis
September kontinuierlich gesunken. Noch beunruhigen¬der ist, dass sich der
Reserveabbau zuletzt sichtbar beschleunigt hat (siehe Grafik 1).
Wegen seines hohen Außenhandelsüberschusses verzeichnet
China nach wie vor einen erheblichen Leistungsbilanzüberschuss, der für sich
genommen Forderungen der Chinesen gegen den Rest der Welt erzeugt, also zu
einem »Kapitalexport« führt. Was ist anders geworden? Jetzt exportiert jemand
anderes dieses Kapital als bislang. In der Vergangenheit war es chinesischen
Unternehmen und Privaten größtenteils nicht möglich, im Aus¬land zu
investieren; nur wenige Ausnahmen waren gestattet. Der Großteil der durch die
Nettoexporte vereinnahmten Devisen gelangte letztendlich zur PBoC, die damit
Devisenreserven ansammelte. Mit neuen Möglichkeiten grenzüberschreitenden
Kapitalverkehrs stehen den Chinesen heute beträchtliche legale Möglichkeiten
für Investitionen im Ausland offen. Zudem häufen sich Gerüchte, dass Kapital
das Land auch über illegale Kanäle verlässt. Der Effekt dieses veränderten
Verhaltens schlägt sich in Chinas Zahlungsbilanz nieder: Die Kapitalexporte
sind höher als die Kapitalimporte. Doch der Effekt zeigt sich auch
anschauli¬cher. Chinesen, die in den Metropolen dieser Welt Immobilien kaufen,
sind mittlerweile ein gewohntes Bild.
Wer Kapital aus China herausbringen will, benötigt Devisen.
Die zunehmenden Kapitalexporte erzeugen so Abwertungsdruck
auf den Renminbi. An zwei Tagen im August war zu sehen, was
geschieht, wenn die PBoC zulässt, dass sich dieser Abwertungs-druck entfaltet:
Der US-Dollar/Renminbi-Wechselkurs schnellte in einer schnellen Bewegung um
mehr als 31/2 Prozent in die Höhe. Seitdem (wie auch schon zuvor) bedient die
PBoC die überschüssige Devisennachfrage aus ihren Reservebeständen. Sie
verkauft Fremdwährungen aus ihrem Reserven-Portfolio und erhält dafür Renminbi
keiten eröffnen, werden sie diese auch in der Regel nutzen.
Dadurch können sie ihr Portfolio diversifizieren. Dieses Argument spricht für
anfängliche Kapitalabflüsse, die nachlassen könnten, sobald ein ausreichender
Diversifizierungs-effekt erzielt ist. Chinas Regime könnte hoffen, dass dieses
Stadium erreicht wird, bevor der Reservebestand der PBoC auf ein gefährlich
niedriges Niveau sinkt und bevor die Kapital¬abflüsse der Binnenwirtschaft
systemischen Schaden zufügen.
Andererseits könnte der Kapitalabfluss zumindest zum Teil
darauf zurückzuführen sein, dass Investitionsmöglichkeiten in China sehr teuer
geworden sind. In den vergangenen Jahren hat Chinas Volkswirtschaft sehr viel
gespart (Grafik 2). Dieses Sparen konnte größtenteils nur im Inland investiert
werden. Das könntezu signifikanten Überinvestitionen geführt haben. Die
Korrektur dieser Überinvestitionen würde wahrscheinlich länger dauern, weshalb
die Abflüsse in großem Umfang anhalten könnten.
Was macht die PBoC? Weiter Reserven verkaufen...
Kurzfristig scheint die PBoC kaum eine Alternative zu ihrer
aktu¬ellen Strategie der Reserven-Verkäufe zu haben. Der Abwer-tungssprung von
Mitte August zeigte deutlich, wie sich eine Aufgabe dieser Strategie auf den
Wechselkurs auswirken würde. Die Motivation für Investitionen im Ausland würde
sich ver¬stärken, wenn die Erwartung von Währungsverlusten aus
Renminbi-lnvestitionen (oder von potenziellen Währungs¬gewinnen aus
Investitionen im Ausland) unter den Investoren Konsens würde. Ein Teufels¬kreis
von Renminbi-Abwer-tung und Kapitalabflüssen könnte das Ergebnis sein. Im
Endeffekt würden die Renminbi-Wechselkurse deutlich überschießen und
Kapitalabflüsse über¬mäßig stark ausfallen - eine Situation, die das
chinesische Regime bestimmt verhindern will. sie noch einige Zeit fortsetzen,
aber wenn die Kapitalabflüsse im aktuellen Tempo anhalten sollten, könnte sogar
das gewaltige Reserven-Portfolio der PBoC irgendwann als unzureichend
erscheinen. Das würde die Motivation für Kapitalabflüsse zusätz¬lich
verstärken. Nur bis zu diesem Niveau fungieren Reserven als effektiver Puffer.
...oder die Liberalisierung des Kapitalverkehrs umkehren?
Sollten die Kapitalabflüsse einen zu großen Teil des Reserven-Portfolios
aufzehren oder sollten sie der Binnenwirtschaft zu sehr schaden, könnte Chinas
Regime versucht sein, die Liberalisierung der grenzüberschreitenden
Kapitaltransfers zurückzurollen. Nach unserer Einschätzung ist ein
grundsätzliches Zurückrollen der Kapitalverkehrsliberalisierung aber
unwahrscheinlich, solange der Reserveabbau ausreicht. Warum?
Sollte Chinas Regime die Liberalisierungsmaßnahmen wieder
zurücknehmen, würde dies signalisieren, dass die chinesische Wirtschaft immer
noch nicht fähig ist, um Kapital zu konkurrieren, und dass das Wirtschaftsmodell
der letzten Jahrzehnte in einer Sackgasse geendet ist. Man kann davon ausgehen,
dass ein Zurückrollen der bisherigen Liberalisierungsmaßnahmen für Chinas
Regime alles andere als ein leichter Schritt wäre. Es wäre wohl eher die
allerletzte Option. Zunächst dürfte ein Reserveabbau für die chinesische
Führung der viel einfachere Weg sein.
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