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Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie
Eine Tour vom verschlafenen Sittwe zum boomenden Ngapali Beach in Myanmar ist wie e
Zeitreise zu uralten südostasiatischen Traditionen und Legenden.
► Frühmorgens, wenn das Licht noch sanft, die
Luft noch kühl und das Leben noch schläfrig ist,
entfalten sie ihren größten Zauber. Die letzten in
gelbes Licht getauchten Nebelschwaden kriechen
aus dem dichten Regenwald und müssen mehr und
mehr der aufgehenden Sonne weichen. Lange
Schatten tauchen die Welt in wundersames Zwielicht.
Die Bauern füttern ihre Tiere und wärmen sich
am offenen Feuer. Frühmorgens sind die Tempel
von Mrauk U voller Magie.
Zwist der Minderheiten
Außerhalb seiner Grenzen ist wenig über Myanmar
bekannt. Seitdem die Briten 1948 das Land verließen,
ist es in einem andauernden Zwist mit seinen
Minderheiten verwickelt und in weiten Teilen unzugänglich.
Das ehemalige Königreich Arakan, heute
Rakhine, lüftet nun seine Schleier als eine Gegend,
deren Mystik noch vom alten Orient bestimmt ist
und die Jahrhunderte lang das Einfallstor der Kolonialmächte
nach Südosten war. Die Geschichte hat
die Wege der portugiesischen Eroberer vergessen, die
hier im 15. Jahrhundert eindrangen.
Ehe man sich nach einem sanften Morgen versieht,
schwängert schwüle tropische Hitze die Luft. Noch
sind es wenige Ausländer, die das alte Arakan, einst
ein selbstständiges Königreich ganz im Westen
Myanmars, fast schon an der Grenze zu Bangladesch,
durchstreifen. „Das wird sich ändern", ist
Zin Nyein Aye überzeugt, die in der Hauptstadt
Yangoon lebt, aber als ortskundige Führerin immer
wieder mit erlebnishungrigen Besuchern auf wenig
begangenen Pfaden unterwegs ist. Rakhine mit seiner
Tempelstadt Mrauk U oder der Küstenmetropole
Sittwe erfüllt die tief sitzende westliche Sehnsucht
nach den letzten Landstrichen dieser Erde, die noch
nicht von Tommy Hilfiger, Mercedes und Burger
King durchgestylt wurden. Hier, wo die Zeit im
Angesicht mysteriöser Schönheit stehen geblieben
zu sein scheint, wird einem angesichts der Fülle von
Neuem die Zeit knapp.
Sittwe ist die größte Stadt Rakhines — an die 200.000
Einwohner soll dieses große Dorf haben. Ein Ort wie
in einer anderen Zeit und in einem anderen Land.
Fahrradrikschas rollen gemütlich die Hauptstraße
auf und ab, gelegentlich schnauft ein vorsintflutlicher
Lastwagen vorbei. Die Menschen sind freundlich.
Man wähnt sich irgendwo in Indien oder
Bangladesch. Im Hafen, zu britischen Zeiten der
wichtigste neben Kalkutta im Golf von Bengalen,
wimmelt es von Holzruderbooten, die zwischen
Uraltfrachtem und dem Kai pendeln. In den schmalen
Gassen zwischen den in die Jahre gekommenen
englischen Holzhäusern reiht sich ein Verkaufsstand
an den anderen, angefüllt mit Hunderten von Säcken
verschiedenster Reissorten.
Ist Sittwe das große Dorf, dann ist Mrauk U,
„Mia-u" ausgesprochen, das Ende der Welt. Sieben,
acht, neun Stunden dauert die Reise mit einer alten
Balanceakt: Mit einem Lächeln bietet diese Fr.
einem kleinen Markt exotische Früchte an.
Barke auf dem Kaladan River nach Mrauk
nach Strömung des Flusses, der biblische
bereithält. Fischer werfen ihre Netze aus,
schwärme ziehen vorbei, Wasserbüffel suhl(
im seichten Uferwasser. Reisfelder werden
chaischem Gerät bearbeitet. Der wasse
Kaladan, der wie alle anderen Flüsse des Lar
Himalaya entspringt, ist existenzielle Leb(
und einziger Transportweg in diesem unersc
nen Teil Myanmars. Was sich nur irgench
dem Wasser bewegen lässt, wird als Transpoi
kel genutzt: prähistorisch anmutende Rudi
ebenso wie winzige Barken mit vielfach gel
Stofffetzen als Segel. Kleine Kähne mit einer
Bambusabdeckung und qualmender Feuerstelle
dienen wochenlang als Behausung, während Reis
transportiert wird. Die hochverehrte Pagode Urittaug
mit ihrem goldenen Chedi wandert langsam
durchs Blickfeld. In der Ferne sind die Berge des
Chan-Gebirges auszumachen. Die Privatbarken mit
den Ausländem überholen das zweistöckige Govemmentboot,
das zwangsläufig an Szenen aus dem
Film „Fitzcarraldo" erinnert.
Entdeckung der Langsamkeit
In Mrauk U, dem verschlafenen Städtchen mit seiner
wunderschönen Umgebung, sind Fremdenführerin
Aye und ihre Gäste mit dem Fahrrad unterwegs.
Es ist die Entdeckung der Langsamkeit.
Zwischen 1430 und 1784 war Mrauk U die Hauptstadt
eines mächtigen Königreichs. Die Pagoden,
mehr als 200, sind Kunstwerke, die oft abweisend
wie Festungen oder gar Bunker wirken. Vermutlich
ein Spiegelbild der Erbauer: Die Könige Mrauk Us
verbreiteten zu ihrer Zeit Angst und Schrecken. Über
350 Jahre Zentrum für Kunst, Kultur und Handel,
erlebte Mrauk U innerhalb weniger Jahre seinen
Niedergang, nachdem die Engländer 1826 den
Verwaltungssitz nach Sittwe verlegt hatten.
Das Nationalheiligtum Rakhines, die Mahamuni-
Pagode, liegt so weit außerhalb, dass man am
Markt einen Fahrer mit offenem Jeep chartern muss.
Es hoppelt gewaltig, was niemand zu stören scheint,
sind es doch ohnehin meistens Ochsenkarren, die
über die von sommerlichen Regengüssen gepeitschten
Straßenreste fahren. Plötzlich hat sich die Form
der Bambushüte geändert. „Nach ihnen lässt sich
die Region bestimmen", klärt Aye auf. „Spitzkegelig,
aber breitkrempig mit rotem Bommelchen", das sei
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Der Tempel ist ein begnadeter Flecken: Kleine Lichter
flackern ums vergoldete Dach, Mädchen schweben
mit Räucherstäbchen und lautlosen Bewegungen
vorbei, ein Soldat hat es sich in einer Hängematte
in der Krone eines alten, knorrigen Frangipani-Baums bequem gemacht. Der Legende nach
soll Buddha hier vor 2500 Jahren mit seinen
Schülern gerastet haben. Ein bezaubernder Ort der
Stille. Mönche erbitten von den Betreibern der Pilgerstände
Reisspenden. In der Ferne lassen sich
Wasserbüffel ausmachen, die sich in einem schlammigen
Reis-Acker suhlen, dazwischen kleine, mit
blauen Wasserhyazinthen überwucherte Bäche.
Durch die umgebenden Berge ist der Arakan mit
fünf Litern Regen pro Quadratmeter jährlich das
niederschlagsreichste Gebiet des Landes und dadurch
prädestiniert für den Reisanbau.
Monoton rattert der Schiffsmotor auf einem Nebenfluss
des Kaladan, dem Lemro. Das kleine Motorboot
quält sich flussaufwärts zu abgelegenen Siedlungen
des Chin-Staates. Der Blick auf die stille Schönheit
unberührter Natur ist wie Meditation. Einige Hütten
liegen versteckt im grünen Dickicht oberhalb der
steilen Uferböschung. Wo es der Flusslauf zulässt,
sprießen Gemüse, Erdnüsse und andere Nutzpflan-
zen fast an den Wasserlauf heran, waschen Frauen
ihre Wäsche und sich selbst, tollen Kinder verspielt
umher, leuchten goldene Stupas durch Bambusund
Palmengewirr.
Weit über das gebirgige, durch reißende Flüsse zerschnittene
Land verteilt, leben hier einige Dutzend
unterschiedliche Volksgruppen und sprechen 40
verschiedene Sprachen. Da kommt auch Aye nur
mit einem Lächeln weiter. Die im Spinnennetz-
Muster tätowierten Frauen freuen sich über unsere
kleinen Geschenke. Ist es nur Schönheitsideal oder
soll die Tätowierung böse Geister vertreiben? Eine
Antumrt mncc anrh Ave cf.fuddle hleihen Aber die
Tätowierung soll einst Voraussetzung für eine Heirat
gewesen sein.
Ein paar Tage später und viele Kilometer südlicher
nach unglaublich ländlicher Unberührtheit setzt
sich Thandwe in Szene. Seit dem achten Jahrhundert
thront der Sandaw Pay über der alten Stadt, die,
wie ganz Rakhine, stets mehr vom benachbarten indischen
Bengalen beeinflusst war als vom burmesischen
Kernland um Mandalay oder Bagan. Grün
und dunstig breitet sich das Land hinter Thandwes
großzügigen Holzhäusern aus. Zierliche Pfahlbauten
flitzen am sandigen Landstraßen-Bankett vorbei.
Ein Bauer führt seine Enten spazieren und auf
einem kleinen Markt bieten Frauen exotische
Früchte an.
Strand unter den Stränden
Und endlich Myanmars Traumstrand von Ngapali:
ein langes, schwarzes Band, endlos, dahinter
schlanke Palmen, die sich nach Westen verneigen.
Ngapali Beach gilt als Myanmars Filetstück unter
den Stränden. Schon deshalb, weil der Sand weiß ist
und das Wasser blau. Bereits die britischen Kolonialherren
fühlten sich dort pudelwohl. Rudyard Kip-ling und George Orwell führen die Liste der Berühmtheiten
an. Die Herkunft des Namens Ngapali
soll auf eine italienische Reisegruppe aus Nepal,
Naples auf Englisch, zurückgehen — man muss in
einem Land der Legenden und Geschichten nicht
alles glauben...
Zierliche Ochsenkarren zuckeln vom frühen Morgen
bis in die Dämmerung die Wasserlinie entlang,
transportieren Palmblätter in ihre Dörfer. Die
Fischer hocken im Sand, nachdem sie gemeinschaftlich
die Netze durchs Wasser gezogen haben,
und genießen nach getaner Arbeit Cheroot-
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