Lüsener Tal Südtirol Italia Reise Travel SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Lüsener Tal Südtirol Italia Reise Travel SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Author D.Selzer-McKenzie
Das Auto quält sich durch den Nebel die schmale Bergstraße von Brixen nach Lüsen hinauf. Die Sicht wird mit jedem Höhenmeter schlechter. Schließlich taucht der Kirchturm auf - und versinkt auch gleich wieder im feuchten Dunst.
Baum für Höheres
Kurz, bevor das Tal in einer Sackgasse endet, trifft man am Wegesrand auf den Stolz Südtirols: einen abgesägten Baumstumpf. Um die Rinde hat sich ein Mantel aus Schnee gelegt. Eine Eisschicht sitzt auf der hellen Schnitt fläche, die die Motorsäge hinterlassen hat, und nagt an den Jahresringen.
den Rest der ehemals 34 Meter hohen Fichte als Denkmal ausweist. Im vergangenen Jahr hat Inhaber Mattin Ragginer sie als Weihnachtsbaum für den Papst gespendet. 20 Männer brauchten zwei
Stunden, nur um die Äste auf dem Schwertrans porter am Stamm festzubinden. Die Fahrt nach Rom dauerte vier Tage. "Mein Vater hatte zu Lebzeiten schon oft Kaufangebote für den Baum be kommen, ihn aber nie hergegeben", sagt der 30- jährige Ragginer. "Er hatte wohl gespürt, dass er für etwas Höheres vorgesehen ist." Schließlich schaffen es nicht viele Bäume nach Rom auf den Petersplatz. Der Auserwählte muss mindestens 30 Meter hoch und gleichmäßig gewachsen sein und noch dazu an einer Straße stehen, dan1it man ihn gut abtranspor tieren kann. Jedes Jahr kommt er aus einem ande ren Land.
In Südtirol wurde der Vatikan damit schon zum
zweiten Mal fündig. Das Lüsnettal ist eine der wald
reichsten Regionen. An den Hängen drängen sich
Noch fehlt eine Informationstafel, die Schmackhafte Rast im Gasthof bei Schlutzkrapfen mit Ricottakäse.
Tannen, Lärchen und ehrwürdige Zirbelkiefern mit
clicken Stämmen. Es duftet nach Harz und Holz. Seit jeher leben hier viele Menschen von der Forstwirt schaft. Das Talliegt abseits vom Trubel der großen Skipisten zwischen Peitlerkofel und EissacktaL Auf einsamen Pfaden wandert man durch den Tief schnee hinauf auf die 1800 Meter hoch gelegene Lüsner Alm. Die Hügel sind nur mäßig steil und per fekt zum Langlaufen, Schneeschuh- und Winter wandern.
Auf einer Wanderung geht es an schön gewachsenen
Fichten vorbei, die es sicher auch nach Rom ge schafft hätten, wenn sie an einer Asphaltstraße auf gewachsen wären. Der Schnee knirscht unter den Schuhen, irgendwo in den Wipfeln meckert ein Tannenhäher, den man hier Zirbengratsch nennt. Und plötzlich reißt die Sonne ein Loch in die Wol ken und gibt den Blick auf die grandiose Bergkulisse der Dolomiten frei.
liebliche Lüsner Alm
Gegen die scharfkantigen Felsen mutet die Lüsner Alm geradezu lieblich an. Sie ist die längste Alm und die Wiege des Schneeschuhwandems in Südtirol. Schon 1994 hat der Lüsner Franz Hinteregger die ersten Individualgäste im Winter heraufgefühtt. Inzwischen bietet der Hotelier täglich Schneeschuh wanderungen an und begleitet viele davon selbst. Unterwegs locken gemütliche Gasthöfe zur Einkehr. Während die verschwitzten Jacken ausdampfen, pro biert man Plentner Knödel aus Buchweizen oder deftige Schlutzer - mit Spinat und Ricotta gefüllte Teigtaschen. Das Hochplateau ist gespickt mit klei nen Alml1ütten. Nahezu vor jeder steht ein Jesus kreuz. Selbst eine kleine Kapelle befindet sich direkt neben der Loipe.
Arzneien aus der Natur
Die meisten der 1400 Einwohner im kailiolischen Lüsen sind sehr gläubig. Früher waren sie zudem sehr abergläubisch. Sie läuteten die Glocken, um Unwetter abzuwenden, und erschreckten Kühe mit kaltem Wasset; um ihnen Krankheiten auszutrei ben. Ende des 18. Jal1rhunderts lebte die angesehene Ärztefamilie Ragginer im Li.isental, mit der Mactins Uralmen womöglich über mehrere Ecken vetwandt waren. In Zeiten medizinischer Not heilte sie Mensch und Tier mit Arzneien, Salben und Ölen aus mehr als 130 Pflanzen und Kräutern. So empfahl Josef Ragginer damals Sumpfdotterblumen oder Bertramwurzeln bei Zahnweh, Arnika gegen Entzündungen und eine Salbe aus Olivenöl und Wachs, wetm "Frauen leiden". In Anlehnung an die damalige naturverbundene Heilphilosophie und Kräuterlehre hat Franz im "Badehäusl" neben dem
Hotel einen Destillierkessel gebaut, in dem er Düfte von Ringelblumen, Erdheersamen und Lavendel fil tert. An diesem Tag riecht es nach Zirbelkiefer. Kräu terfrau Herta zeigt Besuchern dort die Herstellung von Zirbelölbalsam und Frischpflanzensalbe, die ge gen Entzündungen, aber auch bei Muskelkater hel fen soll. Am Abend kann man in der Bachsauna schwitzen, in der Solegrotte floaten oder in einem Wasserbett entspannen.
Selbst entworfen
Franz Hinteregger hat als 21-Jähriger mit dem Lüs nerhof das erste Hotel im Ort eröffnet und inzwi schen mehrere Auszeichnungen dafür erhalten. Sämtliche Saunen und Zimmer hat er selbst entwor fen, ebenso die Fassade aus Lärchenholz. Dabei überlässt er nichts dem Zufall. "Bei jeder Ecke über lege ich mir, wie ich sie am besten gestalte", sagt der heute 50-Jährige. Inzwischen ist er auch im Ge meinderat und kän1pft als Mitglied der Baukommis sion für den Erhalt der Identität Lüsens und der Verschönerung des Dorfes.
Die Straße hinunter führt an traditionellen Bauem
höfen mit glücklichen Hülmem vorbei. Auf dem noch etwas schmucklosen Rathausplatz plätschert Wasser in einem Brunnen. Freundlich grüßt die alte Dame, clie sich aus dem Fenster lehnt, um nach dem Wetter zu sehen. Ein Stück weiter steht man plötz lich vor einem "Muslhaufen" - einem Stapel aus Baumstämmen, wie man Um im Wald oft findet. Nur die eingefassten Fenster und der Unterbau las sen auf ein Wohnhaus schließen. Hier lebt der Brixe ner Künstler Am1in Blasbichler. Er hat das elterliche Haus seiner Mutter zu einem modemen Kunstwerk umgebaut, das sich gut in die Landschaft einfügt. "Es erinnert uns an das, was es in Li.isen schon im mer gab: Holz-ein Element aus unserer Geschich te", sagt Franz, der sich ungeachtet der Kritik man cher Dorfbewohner für diesen Bau stark machte.
Franz liebt alles, was aus Holz ist. Demnächst will er ein Stück Wald kaufen, um Rohstoff für neue Ideen zu haben. Eine gut gewachsene Fichte würde auch er ganz sicher für den Papst spenden. Schließlich wurde Martin Ragginer zum Dank nach Rom ein geladen und vom Papst gesegnet. Die Begegnung war für ihn ein besonderes Ereignis, das er sein Leben lang nicht vergessen wird. "Als der Papst den Saal betrat, war es so still, man hätte eine Tannen nadel fallen hören können", erzählt er mit leuch tenden Augen. Seinen Baum hat Martin allerdings kaum wiedererkannt mit dem Meer aus 2000 fun kelnden Lichtem in den Ästen
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