Samstag, 27. Juni 2009

Adele Spitzeder - Finanzbetrügerin



Adel Spitzeder (1832 bis 1895) Kapitalanlage-Betrügerin Author D. Selzer-McKenzie : Aidele Spitzeder (1832 bis 1895) beschränkte sich nicht auf das Schauspielgewerbe. Sie versprach Menschen, die ihr Geld anvertrauten, 10 Prozent Zinsen im Monat. Das Geschäft florierte, und bald nannte man ihr Gewerbe die „Dachauer Bank". Ende 1872 wurde sie verhaftet und wegen Betrugs verurteilt. 31 000 Kunden verloren ihr Geld. München, zu Be­ginn der Gründerzeit in der zweiten Hälf­te des 19. Jahrhunderts. Adele Spitzeder wohnte mit einer Freundin und sechs Hunden in einem Münchener Gasthof und fragte sich, wie es mit ihr weiterge­hen sollte. Ihr Metier, die Schauspielerei, brachte ihr nicht viel ein, und so lebte sie von kärglichen 50 Gulden im Monat, die sie von ihrer Mutter erhielt. Aber dann wendete sich das Blatt, wie Spitzeder in ihren Memoiren („Geschich­te meines Lebens", Buchendorfer Verlag, München 1996) schrieb: „Durch meine frühere Holzfrau wurde ich nämlich mit der Frau eines in der Au wohnenden Zim­mermanns bekannt . . . Sie brachte mir Geld und vermittelte späterhin noch weite­re Darlehen von einem Berufsgenossen ih­res Mannes. Letzterer machte sodann selbst Geschäfte mit mir und war über­haupt der Erste von den Tausenden, wel­che so viel persönliches Vertrauen zu mir fassten, ohne jedwede Sicherheit oder De­ckung Geld darzuleihen. Dieser Zimmer­mann, den der von mir gegebene hohe Zins zu einer Art Schmusergeschäft ver­anlasste, brachte mir nicht nur sein eige­nes, sondern auch das Geld anderer Leu­te, so eines weiteren Zimmermanns, ei­ner Geflügelhändlerin und eines Dienst­manns." Es mag erstaunlich klingen, dass Men­schen ihr Geld vorbehaltlos einer frem­den, nicht gerade erfolgreichen Schau­spielerin anvertrauten. Und obwohl Spit­zeder „ihnen haarscharf und mit unum­wundener Offenheit detaillierte, dass ich nicht im Stande sei, auch nur die gerings­te Sicherheit oder Deckung bieten zu kön­nen"; kamen ihren Kunden keine Beden­ken. Vielmehr sagten sie: „Das macht nix, wir wollen's probieren." Ihr Gewerbe ließ sie in kein Handelsregister eintragen, wohl aber ließ sie sich von einem Anwalt versichern, dass ihre Geldgeschäfte legal seien. 1 Wie kamen die Menschen dazu, so un­vorsichtig zu sein? Vermutlich war es das Versprechen Spitzeders, 10 Prozent Zins im Monat zu zahlen, und die bald umlau­fenden Nachrichten, wonach die Schau­spielerin die versprochenen Zinsen auch wirklich auszahlte. Das Ergebnis war, „dass ich es in der Folge mit einer wahren Kreditlawine zu tun bekam, welche mich förmlich betäubte, jedoch sich weder däm­men noch sonstwie aufhalten ließ". Spitz­eder lebte weiterhin in München, doch da ihre Kunden zu einem guten Teil aus dem Norden der Großstadt kamen, nannte man ihr Geschäft bald die „Dachauer Bank". Nicht nur Bauern und Arbeiter ver­trauten ihr, sondern ganze Kommunen. Einige Bauern verkauften ihre Höfe, um alleine von Zinseinnahmen zu leben. Mit den ihr zufließenden Mitteln bezahl­te Spitzeder zunächst eigene Schulden, dann erwarb sie ein kleines Gut bei Ober­föhrung, und schließlich verlieh sie nach eigenen Angaben Geld zu hohen Zinsen: „Ich lieh das nicht zu meinem Bedarfe not­wendige Geld wieder aus, aber zu 15 und 20 Prozent, jedoch nur an solche Perso­nen, welche derartige Zinsen stets zu zah­len pflegten, also Kavaliere, Offiziere und dergleichen." Dagegen will sie „minder be­mittelten Leuten" wie Handwerkern und Kaufmännern Geld zu niedrigeren Zinsen verliehen haben. Die „Dachauer Bank" erlangte bald ei­nen großen Bekanntheitsgrad, und Spitz­eder vermochte es, sich ein seriöses Image zu geben. Sie galt als fromm und spendete Geld für soziale Zwecke. So eröffnete sie unter anderem die „Münchener Volkskü­che", ein Gasthaus mit 4000 Plätzen und äußerst niedrigen Preisen. In den Zeitun­gen wurde vorteilhaft über sie berichtet, und zeitweise betrieb sie sogar ein eigenes Blatt. Ihr Geschäftsbetrieb verlief jedoch chaotisch. Eine ordentliche Buchführung betrieb sie niemals, und es erstaunt im Nachhinein vor allem, dass die Behörden auch niemals danach verlangten. Das eta­blierte Geldgewerbe wetterte indessen ge­gen die „Dachauer Bank" und andere ähn­liche Etablissements, die sie „Schwindel- Banken" nannten. Als Spitzeder im Zuge ihrer späteren Verhaftung nach Unterla­gen gefragt wurde, antwortete sie: „Ich er­klärte ferner, dass ich Handelsbücher nicht zu führen verstände, weil ich keine kaufmännischen Kenntnisse besäße und auch kein kaufmännisches Geschäft ge­führt hätte." Zeigen konnte sie lediglich ei­nige „Privatbücher", aus denen sich aber nicht viel erkennen ließ. Die Schauspielerin hatte ihre Geldge­schäfte niemals richtig organisiert. In ei­ner Wohnung wurden Säcke mit Geld de­poniert, und die wachsende Zahl ihrer Mit­arbeiter, zum Schluss waren es um die 40, besaß überwiegend keine beruflichen Er­fahrungen im Bankgeschäft. Spitzeder ver­lor auch den Überblick, was ihre Mitarbei­ter so alles trieben. Später reute sie ihre Naivität: „Sie waren von selbst gekom­men, ohne mein Zutun, und sie führten keine anderen Empfehlungskarten mit sich als leere Geldbeutel. Doppelzüngig und habsüchtig kamen sie einher wie Wöl­fe im Schafspelze und stellten sich mir mit knechtischem Sinne zur Verfügung; sie streuten mir Weihrauch, winselten mir Er­gebenheit und vergaßen niemals, hinter meinem Rücken zu lachen." Seit Mitte 1871 nahm in der Münchener Politik das Unbehagen gegenüber der „Dachauer Bank" zu, aber lange fanden die Behörden keinen juristischen Grund, gegen Spitzeder vorzugehen. Denn nach wie vor zahlte sie regelmäßig Zinsen an ihre Kunden, und so kamen die Kunden nicht auf die Idee, ihre Einlagen abzuzie­hen. Um die Schauspielerin zu Fall zu brin­gen, verbündelen sich schließlich rund 40 Kunden, die ihre Einlagen auf einen Schlag zurückforderten. Gleichzeitig wur­de Spitzeder verhaftet. In ihrem Besitz fand man Wertpapiere, Geld und Schmuck über mehr als eine Mil­lion Gulden, über die Höhe der Forderun­gen an Spitzeder lagen aber keine Unterla­gen vor. Spitzeder waren nach eigener Aus­sage keine Verfehlungen bekannt: „Mein Gewissen war rein, ich war mir keiner Ver­schleppung bewusst, die mir ebenfalls zu Last gelegte mangelhafte Buchführung konnte mir, als einem Weibe, doch auch nicht als Verbrechen angerechnet werden und so sah ich meiner öffentlichen Ver­handlung ohne Herzklopfen und mit frei­er Stirne entgegen." Ganz so harmlos waren ihre Geschäfte allerdings nicht gewesen, und als sich die Behörden schließlich einen Überblick ver­schafft hatten, entdeckten sie einen Fehl­betrag von rund 8 Millionen Gulden. Mehr als 30 000 Anleger hatten ihr Geld verloren; wohin die Mittel abgeflossen wa­ren, ließ sich nicht vollständig ermitteln. Am 20. Juli 1873 wurde Adele Spitzeder wegen betrügerischen Bankrotts zu einer Haftstrafe von drei Jahren und zehn Mona­ten verurteilt. Das Gericht berücksichtigte bei der Wahl des Strafmaßes zu ihren Gunsten, dass sie immer gesagt hatte, über keinerlei Sicherheiten zu verfügen, und die fehlende Auflage der Behörden zur Führung von Handelsbüchern. Die Verurteilte hielt das Urteil nicht für angemessen: „Mein Verteidiger hingegen, Herr Accessist Angstwurm, übersah die wichtigsten Anhaltspunkte, welche not­wendig meine Freisprechung zur Folge ha­ben müssten." An anderer Stelle bezeich­net sie sich als „die ehrlichste Person in der ganzen sogenannten ,Dachauer Bank—. Adele Spitzeder stammte aus einer tra­ditionsreichen Künstlerfamilie; ihre El­tern Josef und Betty Spitzeder waren ein seinerzeit berühmtes Sängerpaar. Nach dem frühen Tode des Vaters und der Wie­derverheiratung der Mutter wuchs die jun­ge Adele in einem angesehenen Wiener In­ternat auf. Später wieder in München, nahm sie Schauspielunterricht, doch trotz eines erfolgreichen Beginns verlief ihre Karriere unbefriedigend, und so fand sie sich Mitte der sechziger Jahre in München mittellos wieder. Nach ihrer eigenen Schil­derung geriet sie nahezu ahnungslos in das Geldgeschäft, und sie fühlte sich von dem Kundenansturm völlig überwältigt. Ihre geschliffenen Manieren trugen sicher­lich zu dem guten Eindruck auf viele Kun­den bei. Ihre Haftstrafe saß Spitzeder in einem Münchener Gefängnis ab, wo sie' auch ihre Memoiren schrieb. Nach ihrer Freilas­sung lebte sie kurz im Ausland, kehrte dann aber nach Deutschland zurück, wo sie noch einmal versuchte, eine Bank zu er­öffnen. Doch dieses Mal schritten die Be­hörden sofort ein. Danach trat sie unter dem Namen Adele Vio als Volkssängerin auf. Im Oktober 1895 starb sie in Mün­chen.

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