Paititi Hauptstadt der Inka von Selzer-McKenzie SelMcKenzie
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/7EALsBMxZ-o
Die Legende sagt, dass die Inka auf ihrer Flucht vor den Spaniern eine neue Hauptstadt gegründet haben sollen, die den Namen Paititi getragen hat. Auch hierher in die neue Hauptstadt sollen die Inka ihr gesamtes noch gerettetes Gold verbracht haben. Diese neue InkaHauptstadt Paititi gilt als versunkene Stadt und ist bisher auch nicht wieder aufgefunden worden.
Ich, der Author D.SelzerNcKenzie war mehrfach in Südamerika im Gebiet und habe auch versucht, letztmalig im Jahre 2013, versucht, diese versunkene sagenumwogene Stadt Paititi zu finden, leider ohne Erfolg. Deshalb plane ich in diesem Jahr, also im Jahre 2014, eine Expedition zusammenzustellen mit dem erneuten Versuch, die alte versunkene InkaHauptstadt Paititi samt ihren Goldbeständen (die wir bei erfolgreichem Fund natürlich nicht behalten dürften) zu finden.
Bereits im Jahre 1954/1955 hat eine deutsche Expedition versucht, Paititi zu finden, leider ohne Erfolg. Hier der Expeditionsbericht aus dem Jahre 1954/1955:
Unsere Welt steckt trotz allen Fortschritts immer noch voller Rätsel. Grosse Fragezeichen auf archäologischem Gebiet liegen über den AndenKulturen Südamerikas, den von Urwäldern verschlungenen Bauten Amazoniens und dem Schicksal der letzten Inkas.
Seit den kühnen Eroberungszügen eines Pizarro, den Entdekkungen eines Bingham in Macchupichu, eines Bennett in Tiahuanacu und dem tragischen Schicksal eines H.P.Fawcett sind viele Expeditionen ausgezogen, um die sagenhaften Stätten untergegangener Völker zu suchen und verborgene Schätze zu heben. Ungezählte Menschen — ernsthafte Forscher und Abenteurer aller Nationen — liessen dabei ihr Leben.
Unsere „AndenAmazonasExpedition 1954/55" hatte PAITITI zum Ziel, die mysteriöse, verschollene Inkastadt — irgendwo ostwärts der Anden. Wir haben am Fusse des Cerro Paititi im dichtesten Urwald — Ruinen entdeckt.
Sind wir damit einem der grossen Rätsel näher gekommen? Dies Buch und mein Film versuchen eine Antwort zu geben.
Der Wächter im Tal von Paititi: Diesen steinernen Götzenkopf, der wahrscheinlich einer der ältesten Kulturperioden Südamerikas angehört, entdeckten wir unter einer Felsgalerie im Talgrund am Südost fluss des Cerro Paititi.
Blick vom Lager V in 2450 Meter Höhe auf das Arbeitsgebiet der Expedition. Bezeichnungen: BL = Basislager Incapampa (1350 m), T = Gräberterrassen, L I = Lager I am Chinijo (800 m) mit Seilbrückenübergang, R = Ruinenmauern bei Km 2,3 und 2,5, L II = Lager II (1350 m), L III = Lager III (1320 m) — im Kreis gut sichtbar der helle Fleck der Zelte, 1 und 2 bei L III = die beiden Hügel im Tal von Paititi, genau nach Sonnenaufgang orientiert.
Blick vom MapiriWeg gegenCerroPaititi und dasOperationsgebiet der Expedition. Bezeichnungen: BL = Basislager, TT = Gräberterrassen, SB = Seilbrücke über den Rio Chinijo, L 1 = Lager I, R 1 und R 2 = Ruinenmauern bei Km 2,3 und 2,5, L 2 = Lager 2, L 3 = Lager 3 (Hauptlager Tulan), L 4 = Lager 4, dazwischen die Abzweigung zu P 305 — dem angepeilten Ort, an dem zuerst Ruinen vermutet wurden, L 5 = Lager 5, + = Gipfel des Cerro Paititi (3150 m).
Das Wort „Paititi" bedeutet in der Sprache der Hochlandindianer Boliviens und Perus „ZweiHügel" und ist im übrigen die Bezeichnung für eine seit der Unterwerfung Südamerikas durch die spanischen Conquistadoren lang gesuchte, sagenhafte Inkastadt, irgendwo in den Ostausläufern der AndenBerge gelegen. Nach anderen Versionen wird „Paititi" auch mit „ZweiPumas", „Zwei Metalle", oder gar mit „ZweitesReich" übersetzt, und diese vierte Bezeichnung würde den Vermutungen derjenigen recht geben, die damit den letzten indianischen Aufstand 17801781 unter Tupac Amaru — einem angeblichen Inkaprinzen — in Verbindung bringen.
Recht interessant sind die Überlieferungen der Hochlandindianer Boliviens, die von den „Musus" berichten (womit in Mittelamerika die Olmeken und ihre typische Tieflandkultur in Verbindung gebracht werden — im Gegensatz zu den Tolteken als den Vertretern einer ausgesprochenen Hochlandkultur), sowie die Aufzeichnungen von Franziskanermissionaren, die sogar von alljährlichen Pilgerzügen in ein völlig weltabgeschiedenes Gebiet erzählen, um „dem grossen Paititi" — dem »Kaiser der Musus" —, ihre Referenz zu erweisen.
Diese PaititiPilger brachten von solchen Reisen, wie es in den alten Quellen heisst, oft wundervolle Schmuckgegenstände mit und erregten so die Goldgier der Conquistadoren stets aufs neue. Archäologische Forschungen haben ergeben, dass die Inkas bereits Festungsbauten sowie Städtegründungen früherer Rassen und Völker übernahmen und neben oder auf ihnen — grösstenteils aus dem vorgefundenen Material — Tempel und Symbole ihres eigenen Sonnenkultes errichteten.
Zweifellos haben weltweite Katastrophen kosmischen Ursprungs auch in Südamerika und vornehmlich im AndenHochland gewaltige Umwälzungen herbeigeführt und uralte Kulturen erschüttert oder ganz ausgelöscht, denn dort wie überall in der Welt klingen immer wieder die alten Sagen und biblischen Geschichten von einer Sintflut auf. Tiahuanacu, das spätere Zentrum des inkaischen Sonnenkults, ist nach Ansicht von Fachleuten ursprünglich eine toltekische Gründung gewesen, die durch eine Erdkatastrophe zerstört
wurde. Man schreibt die Erbauung des UrTiahuanacus übergrossen, hell
häutigen und bärtigen Männern zu, die lange vor den ersten Inkas gelebt haben sollen, und die uns dort heute noch — in Stein gehauen — als Mono
lithen begegnen, wobei die Figur des sogenannten KonTiki — wieder berühmt geworden als Wappensymbol der abenteuerlichen Flossfahrt des norwegischen Forschers Thor Heyerdahl — besonders bemerkenswert erscheint.
Wenn man den alten Indianergeschichten Glauben schenken darf, so war es der Inka Yopanqui, der lange vor Pizarro den ersten Vorstoss nach Paititi unternommen hat, um eine verschollene Stadt zu suchen. Der Leiter dieses expeditionsähnlichen, kriegerischen Feldzuges führte seine Scharen den Rio Madre de Dios entlang, um später — ohne das Ziel erreicht zu haben, nach empfindlichen Verlusten durch Tropenkrankheiten — den Rückmarsch über die InkaFestung Samaipata anzutreten, die zwischen den heutigen bolivianischen Städten Santa Cruz und Cochabamba liegt. Es ist weiterhin eine bekannte Tatsache, dass man in fast ganz Südamerika von „El Gran Paititi", dem „grossen Paititi" spricht, das in einem weltabgeschiedenen Tal der Cordillere liegen soll, verborgen unter einem Gespinst von Nebel und Wolkenschleiern, die wie eine Tarnkappe wirken und den Ort der Sehnsüchte aller Abenteurer unsichtbar machen. Wie die verschiedenen Versionen auch lauten mögen — der Überlieferung nach verbreitet und immer wieder erhärtet durch die Erzählungen der alteingesessenen Indianer an den abendlichen Lagerfeuern — sollen in Paititi unwahrscheinliche Schätze vor der Habgier der spanischen Eroberer in Sicherheit gebracht worden sein, unauffindbar bis zum heutigen Tag.
Fest steht, dass die Inkas, deren Kernreich sich einst über den ganzen Altiplano — also über weite Teile der heutigen Länder Bolivien und Peru —erstreckte, in die Ostausgangstäler der AndenKette an strategisch wichtigen Punkten Befestigungsanlagen bauten, um ihre hervorragend kultivierten und dicht besiedelten Hochlandgebiete gegen das Vordringen kriegerischer Tieflandvölker aus den Niederungen des AmazonasBeckens zu schützen. Später dienten diese Festungen vielfach als letzte Zufluchtsstätten der InkaAristokratie, bis mit dem Untergang ihres Reiches und mit ihrem Aussterben teils auch diese Anlagen zerfielen und die Urkraft des Dschungels in ewigem Werden und Vergehen endgültig über ihnen zusammenschlug.
Nach P. H. Fawcett, dem berühmten englischen Forscher, der vor mehr als 30 Jahren mit seinem Sohn auf der Suche nach einer sagenhaften Ruinenstadt in den Urwäldern Brasiliens zwischen Rio Xingu und Rio Paraguassu verschollen ist, soll es nicht weniger als ein halbes Dutzend solcher Plätze geben, die mit dem Namen PAITITI belegt werden.
Dass es sich dabei um eine „InkaStadt" handelt — ausgerechnet in Brasilien und beinahe in AtlantikNähe —, ist unwahrscheinlich, denn so weit reichte der Arm der letzten InkaHerrscher gar nicht, und es ist vielmehr anzunehmen, dass das PAITITI Fawcetts eine vorinkaische — vielleicht olmekische — Gründung war und schon für die alten Inkas sagenhaft. Die Vermutungen Fawcetts und damit seine letzte Expedition basierten hauptsächlich auf einem alten — in Rio de Janeiro aufbewahrten — Dokument aus dem Jahre 1743 und auf Erzählungen von Abenteurern.
Ob dieser englische Oberst, der für Bolivien und Brasilien sowie für Peru hervorragende Forschungs und Grenzvermessungsaufgaben durchführte, je das Ziel seiner Sehnsucht erreichte? Wir wissen es nicht. Seine letzte Nachricht stammt vom 29. Mai 1925. Der Rest ist Schweigen. Forscherschicksal!
Warum Fawcett nicht in den Ostausgangstälern der Cordillere, sondern so weit entfernt in Brasilien sein Dorado vermutete, obwohl er im Verlauf seiner ersten BolivienExpedition im Jahre1906 zwischen Sorata und Mapiri dieselben InkaSteige herunterkam, die ich fast 50 Jahre später mit meiner Expedition passierte, und wieso ihm nicht auffiel, dass ein gern benützter Rastplatz Incapampa hiess und der Berg direkt gegenüber Cerro Paititi, ist nicht zu ergründen.
Von den im Verlauf dieses Jahrhunderts aufgefundenen Befestigungsanlagen, die zum Teil bereits präinkaischen Ursprungs sind, kennen wir vor allem Macchupichu im peruanischen UrubambaTal — auf Grund der Entdeckung durch Hiram Bingham im Jahre 1911 — und eine weitere in Südperu im Jahre 1954 in der Nähe der NegantoniWasserfälle aufgefundene Ruinenstadt, die ihre Entdecker — eine englische Expedition unter Leitung von F. Tennant — allerdings nur unter Vorbehalt mit PAITITI in Verbindung bringen. Auf bolivianischer Seite bestehen an solchen Baulichkeiten Samaipata am Ostausgang der Königscordillere zwischen Cochabamba und Santa Cruz sowie die Festungsreste von Condorhuasi, Incahuasi, Incallacta und Cuticutuni, wenn man von den im Gang befindlichen Ausgrabungen bei Chulumani, die ebenfalls präinkaischen Ursprungs sein sollen, vorläufig noch absieht.
Zur Conquistadorenzeit und im Anschluss daran gingen von den beiden Ländern Spanien und Portugal zahllose offizielle und private Expeditionen aus, um dem Geheimnis von Paititi auf die Spur zu kommen, und es ist in dem Zusammenhang vielleicht nicht ganz uninteressant, dass sich die spanische Regierung im Jahre 1679 bereits ganz offen „gegen die Verausgabung von so viel Geld" für ein Ziel wandte, das seit dem Tode Pizarros von nicht weniger als siebzehn Expeditionen vergeblich gesucht wurde.
Nach den Aufzeichnungen, die damals in einer in der Staatsbibliothek von La Paz aufbewahrten Chronik gemacht wurden, verdichteten sich zuletzt die Vermutungen, dass diese „verlorene Stadt" an den hügeligen Urwaldgebieten liegen müsse, die gegen den Rio Mapiri hinunterstreichen, und deren höchste Erhebung ein mit 3150 m Höhe vermessener AndenVorberg bis auf den heutigen Tag „CERRO PAITITI" heisst. Auch im Volksmund werden die ganzen grossen, von Urwaldflüssen durchzogenen Talkessel an den Abhängen dieses Gebirgsstockes „LOS VALLES DE PAITITI" — „die Täler von Paititi" — genannt.
Man muss in diesem Zusammenhang Fawcett recht geben, wenn er sagt: „Mag noch so viel Romantik alle möglichen Sagen ausgeschmückt haben, so bleibt dennoch die Tatsache einer legendären Existenz von einem hoch zivilisierten Restbestand eines antiken Volkes unter den Einheimischen weiter bestehen."
Ein Glückssucher namens Berg, der vor 40 Jahren glaubte, das Geheimnis lüften zu können, das über den Tälern des Cerro Paititi lag, soll nach mehreren Explorationen, die er von San Carlos sowohl als auch von Santa Rosa aus in die Täler des Rio Tarrappo und des Rio Bagante unternommen hatte, einige Zeit danach erschossen jenseits der peruanischen Grenze aufgefunden worden sein. Ob Berg den sagenhaften Goldschatz erbeutet — und verfolgt von anderen Abenteurern über die Grenze flüchten musste, um letzten Endes doch noch ermordet und ausgeraubt zu werden, wer kann das wissen?!
Von dem Österreicher Gerstorff, der ebenfalls kurz nach dem ersten Welt krieg einen Versuch unternommen hatte, durch das BaganteTal gegen den Cerro Paititi vorzustossen, hat man ebenfalls nie mehr etwas gehört.
Es liegt zweifellos ein tiefes Geheimnis über diesen Bergwäldern und Schluchten, und die Eingeborenen in den weit verstreuten kleinen Siedlungen der fernen Randgebiete sprechen nur mit Scheu und einer gewissen Ehrfurcht von PAITITI.
Während des letzten Weltkrieges, als man für ChinaRinde hohe Preise zahlte, haben es einige beherzte Männer gewagt, den Rio Chinijo in der Trockenzeit zu durchschwimmen, um ein Stück gegen den Rio Santa Ana hin in diese unheimlichen Urwälder einzudringen. Wer — so wie ich — zu Beginn der Regenzeit von einem der Höhenrücken des alten Saumweges zwischen Pararani und Mapiri dieses Gebiet zum ersten Mal geschaut und den Tanz der Nebel und Regenschleier bewunderte, die geradezu gespenstisch über die dicht bewaldeten Berge hinweg geistern, der kann absolut verstehen, dass die dort in der Nähe wohnenden Menschen ganz im Banne dieser gewaltigen „Paititi"Mystik leben.
Als ich im Jahre 1950 als Leiter der Deutschen AndenKundfahrt von Sorata aus am Oberlauf des Rio San Christobal eine Höhle untersuchte, hörte ich zum erstenmal in meinem Leben von Paititi, und zwar auf recht eigenartige Weise. Wir brauchten damals zum weiteren Vordringen in einem Einsturzschacht aus Sicherheitsgründen ein Sauerstoffgerät. Das aber lag in unserem Expeditionsquartier in Sorata und musste in einem Gewaltritt so schnell wie möglich herbeigeschafft werden. Bei meinem Eintreffen in diesem idyllisch am Fuss des Illampu gelegenen Städtchen flüsterte mir unser Gastgeber ganz geheimnisvoll zu, dass gerade heute morgen eine Expedition durchgezogen sei, „die uns in PAITITI zuvorkommen wolle!" Ich nahm diese Nachricht gelassen hin, denn ich wusste, — ehrlich gesagt — überhaupt nicht, was ich mit dieser Meldung anfangen sollte. Erst, als mich mein Gegenüber drängte, die Arbeiten in der Höhle von San Pedro aufzugeben, um ebenfalls Paititi anzugehen, musste ich Farbe bekennen und beichten, dass ich von diesem geheimnisvollen Platz soeben zum erstenmal in meinem Leben gehört hätte.
Ich weiss heute nicht mehr, schüttelte man über mich den Kopf, weil ich so ungebildet war oder weil man mir nicht glauben wollte? Einige Zeit später kam Manuel Posnansky — der Leiter dieser Expedition und Sohn des berühmten Archäologen gleichen Namens — mit seinen Begleitern von diesem Unternehmen zurück. Die Strapazen der vergangenen Wochen schienen noch in ihre Gesichter eingegraben zu sein. Sie erzählten von Feuerameisen und Moskitos, sowie von furchtbaren Gewittern und vor allem von Schlangen, die ihnen das Leben zur Hölle gemacht. Bis auf wenige Kilometer glaubten sie sich durch den Urwald an die Ruinen herangearbeitet zu haben, da erstand ihnen durch einen Gürtel von Palo SantoBäumen ein weiteres unüberwindliches Hindernis. Die Hohlräume dieser ehemals so berüchtigten Folterund Todesbäume der AmazonasIndianer bieten ideale Wohnstätten für Millionen von Feuerameisen, die sich auf jedes lebende Wesen herabregnen lassen. Solchen aussergewöhnlichen Belastungsproben war die Expedition sowohl ausrüstungsmässig als auch seelisch nicht mehr gewachsen. Es hatte beinahe den Anschein, als hätten die letzten Inkas auf den ehemaligen Ackerbauterrassen rund um ihre wenigen Zufluchtsstätten den Palo SantoBaum extra gepflanzt, um mit Hilfe eines MilliardenHeeres von Feuerameisen auch noch nach dem Untergang des inkaischen Imperiums die sorgsam gehüteten Heiligtümer und Schätze vor dem Zugriff Unbefugter zu bewahren.
Seit dem Zusammentreffen mit Posnansky hat mich das Zauberwort „ P A I TITI" nicht mehr losgelassen — nicht etwa, weil ich mich — wie so viele andere — als Schatzgräber betätigen wollte, das lag mir völlig fern. Was mich reizte, war die Aufgabe als solche, Gefahren und Hindernisse zu überwinden, an denen meine Vorgänger bislang scheiterten — und ein Ziel zu erreichen, das allen anderen bis jetzt versagt geblieben war. Ich sah mich im Geiste bereits in die tiefen Urwaldschluchten hinabstossen, um den Kampf zu bestehen gegen diese ganze feindlich gesinnte Urwelt. Mit Hilfe von Flammenwerfern und GiftnebelSprühgeräten wollte ich den PaloSantoGürtel durchbrechen. Ameisen und schlangensichere Kleidung, AluminiumSturmleitern, Wurfanker — von Harpunen geschleudert — Hängemattenzelte sowie Funksprechgeräte sollten die Ausrüstung ergänzen und mir als Requisiten dienen für filmisch unerhört eindrucksvolle Szenen. Das „forschende Abenteuer" als solches und die kämpferischen und sportlichen Erfordernisse waren es, die mich in erster Linie begeisterten. Der Schatz aber, den ich suchen und mit nach Hause bringen wollte, lag auf einem ganz anderen Gebiet. Die zukünftige Farbfilmausbeute von diesem einmaligen Unternehmen sollte der Reichtum sein, den ich bergen wollte. Auf diese Weise wird auch der breiten Masse der an solchen Expeditionen Interessierten die Möglichkeit gegeben, indirekt daran teilzunehmen, auf dass in ihren grauen Alltag wenigstens ein kleiner Schimmer dieser zauberhaften, fremden Welt des Abenteuers und einer verloren gehenden Romantik gleiten möge.
Das Geschehen während eines solchen Unternehmens ist hart, spannend und aufwühlend. Für derartige Themen brauchen Sensationen nicht künstlich am Schreibtisch von konzessionierten Filmdramaturgen konstruiert zu werden — eine erbarmungslose Natur diktiert das Drehbuch von selbst — Tag und Nacht.
Bis zur Realisierung meiner PaititiIdee als Expedition und als Filmstoff aber war noch ein langer, dornenvoller Pfad zurückzulegen. Mit Ausgang des Jahres 1952 erst ging meine AndenKundfahrt zu Ende, und das Jahr 1953 sah mich bereits wieder als Bergsteiger und Filmmann am Nanga Parbat, beteiligt am Kampf um einen der markantesten AchttausenderRiesen unserer Erde. Betrogen um die Früchte meiner dreijährigen Arbeit in Südamerika und am Nanga Parbat — ja, darüber hinaus sogar noch mit Verleumdungen besudelt und mit grenzenlosem Undank belohnt, stand ich zu Beginn des Jahres 1954 vor einem Nichts. Ich, der die Jahre zuvor in den Urwäldern des Oriente Boliviano fast spielend alle Schwierigkeiten überwunden und in den Monsunstürmen am Nanga Parbat meinen Mann gestanden, drohte — nach Deutschland zurückgekehrt — mit einem Male im Dschungel der Niedertracht zu ersticken.
Erst durch die grosszügige Unterstützung namhafter deutscher Ausrüsterfirmen im Verein mit der finanziellen Basis eines FilmVerleihs und nicht zuletzt auf Grund der Hilfe meiner deutschbolivianischen Freunde gelang es mir, in achtmonatiger zäher Arbeit ein neues und diesmal eigenes Expeditionsunternehmen aufzubauen.
Auftakt mit Hindernissen
Beinahe 4 Tonnen Expeditionsgut, berechnet für eine Teilnehmerzahl von 810 Personen — darunter Namen von hervorragendem Klang — verliessen Anfang September des Jahres 1954 Deutschland mit einem Frachter in Richtung Westküste Südamerika, um von dort aus per Bahn in das Hochland Boliviens befördert zu werden. Die Mannschaft selbst sollte drei Wochen später nachfliegen. Wegen plötzlich auftauchender beruflicher Gründe und privater Wünsche meiner Teilnehmer wurde leider nichts aus einer gemeinsamen Abreise — und so startete ich am 23.September 1954 allein zu meinem TransatlantikFlug von München aus nach Südamerika.
In Frankfurt stieg Frau Burgl Moeller zu, welche als Sekretärin das Unternehmen mit aufbauen half, gleichzeitig als Entomologin für den Film vorgesehen war und darüber hinaus als Assistentin unseres Expeditionsarztes tätig sein sollte.
Nach einem grossartigen Flug über Länder und Meere hinweg landeten wir am 26. September 1954 in der höchsten Regierungshauptstadt der Welt — La Paz/Bolivien — stürmisch begrüsst von meiner Frau und meinen drei Töchtern, die ich vor eineinhalb Jahren dort in der Obhut von guten Freunden zurückgelassen hatte, als ich zum Nanga Parbat flog. Der erste Dämpfer, den ich bald nach der Ankunft erhielt, war die Nachricht, dass meine in der Heimat gebliebenen "Teilnehmer" der bekannten Gründe wegen nun mit einem Male alle erst Anfang des Jahres 1955 nachkommen wollten. Da meine deutschbolivianischen Begleiter in La Paz ihre Mitwirkung aus ähnlichen Motiven ebenfalls „für später" in Aussicht stellten, war ich plötzlich in eine Situation geraten, die ich nach den beispiellosen Schwierigkeiten, wie sie gerade der Aufbau dieser Expedition in Anbetracht der Beschaffung der Ausrüstung und vor allem der Durchführung der Finanzierung mit sich brachte, bestimmt nicht verdient hatte. Nun sass ich vor den Toren meines Traumlandes auf einem Stapel Gepäck, berechnet für ein zweijähriges Unternehmen, das den vielversprechenden Titel „AndenAmazonasExpedition 1954/55" führte, ohne einen einzigen männlichen Begleiter!
Dabei war ich verpflichtet, einen grossen, abendfüllenden DokumentarFilm zu drehen, in dem die einzelnen Expeditionsteilnehmer — ihren Fähigkeiten entsprechend — mitzuwirken hatten. Zu allem Überfluss warteten auf mich jenseits der Cordillere bereits 20 Macheteros (Männer, die mit dem Buschmesser — Machete genannt — einen schmalen Pfad durch den Urwald schlagen) unter Führung ihres Capataz (Obmann), denen ich eine hohe Entschädigung hätte zahlen müssen, wenn ich nicht termingemäss am vereinbarten Platz eingetroffen wäre. Dazu kam, dass die Regenzeit jeden Tag hereinbrechen konnte mit all ihren Gefahren und Hindernissen. Eine Lage also, die bestimmt nicht beneidenswert zu nennen war nach all den Schwierigkeiten, die ich bereits gemeistert.
Ich war schon fest entschlossen, auch allein loszuziehen, nur von meinen Eingeborenen begleitet, da stiess in letzter Minute doch noch der junge Deutsche Rudi Braun, ein urwaldgewohnter, tüchtiger Draufgänger, zu mir, den ich bereits anlässlich einer IllimaniBesteigung — drei Jahre vorher — als prächtigen und zuverlässigen Kameraden kennengelernt und der ursprünglich schon auf der Teilnehmerliste gestanden hatte.
Aber auch diesem Lichtblick folgte ein neuer Schatten!
Wenige Monate vor meiner Ankunft in Bolivien war angeblich von einer Transportmaschine aus im Tiefflug festgestellt worden, dass die vermeintlichen Ruinen auf dem Hochplateau der Cerrania von Paititi (das alte Ziel Posnanskys), zu denen ich vordringen wollte, lediglich Felsformationen waren und dass das gesuchte InkaHeiligtum weiterhin irgendwo verborgen in den dichten Urwäldern schlummern musste und weder durch Flugzeuge noch von umliegenden Höhen ausgemacht werden konnte.
Man kann sich vorstellen, wie mich diese Hiobsbotschaft zu allem übrigen traf — und dabei hatte ich mir so schön ausgedacht, dass ich vom Endpunkt der PosnanskyExpedition des Jahres 1950 aus nur noch meinen Flammenwerfer wie einen Schweissbrenner anzusetzen brauchte, um mich durch den Ameisengürtel der Palo SantoBäume bis zu den Pforten der lang gesuchten Ruinenstadt durchzuarbeiten. Wieder stand ich vor einer neuen Hürde, die irgendwie genommen werden musste, wollte ich nicht mein ganzes Vorhaben und damit mich selber aufgeben.
Ich besuchte Posnansky, der gerade von einer Expedition aus dem Gebiet der MosetenezIndianer zurückgekommen war, um in La Paz seine Berichte über dieses Unternehmen auszuarbeiten. Leider hielt ihn diese Arbeit für Monate in Boliviens Hauptstadt fest, so dass der bekannte Forscher meiner Einladung zur Teilnahme an einer neuen PaititiExpedition nicht folgen konnte. Er gab mir jedoch viele wertvolle Anregungen, und vor allem schenkte er mir beim Abschied eine von ihm selbst gezeichnete Karte, in der die von seiner Expedition des Jahres 1950 begangenen Routen eingetragen waren.
Mit Hilfe dieser Unterlage konnte ich meinen eigenen Plan ergänzen, der bereits die Wege und Urwaldpfade früherer Unternehmungen enthielt, und eine genaue Übersicht über diejenigen Gebiete bekommen, die bis dato noch unberührt waren. Da blieben von den etwa 1500 Quadratkilometern um den Cerro Paititi herum zwischen Rio San Christobal und Rio Chinijo — einem Gebiet, das etwa dem zu einer Raute verschobenen Rechteck innerhalb der Begrenzungslinien München—Rosenheim—Kufstein—Bad Tölz—München entspricht — nur noch zwei grosse, weisse Flecken übrig. Einer im Nordwesten am Rio Bagante und ein anderer im Südosten am Rio Chinijo. Ich entschloss mich für den letzteren, weil dort hinunter ein verhältnismässig gut erhaltener, zum Teil noch von den Inkas gebauter Gebirgspfad in Richtung Mapiri führte, der sich allerdings dann in den unermesslichen Urwäldern, die gegen die Cordillere hochziehen, verliert.
Der Titicacasee auf fast 4.000 m Höhe
Auf einem Umweg von La Paz nach Sorata, dem eigentlichen Ausgangspunkt unserer Expedition, passieren wir mit unserem Volkswagen die berühmte BalcaSchlucht.
START IN BOLIVIENS HAUPTSTADT LA PAZ
Nach einer Seereise von fast drei Monaten und dem üblichen Hafenaufenthalt in Arica war am 15.November 1954 endlich mein Expeditionsgepäck nach La Paz gekommen. Dieser Zeitverlust aber konnte schnell wieder wettgemacht werden. Durch die grossartige Vorarbeit der Deutschen Botschaft in La Paz — vor allem in der Person des Kultur und Presseanaches Herrn Nagel — und dank der Tatsache, dass ich durch meine früheren Unternehmungen bei der bolivianischen Regierung noch in bester Erinnerung stand, befürworteten das bolivianische Aussenministerium und damit alle übrigen massgebenden Regierungsstellen mein Vorhaben in grosszügigster Weise.
Am 23. November 1954, zu einem Termin also, an dem die Regenzeit gerade ihre ersten Vorboten über die Königscordillere hinweg und über das bolivianische Hochland schickte, konnte ich endlich starten, begleitet von meinem Kameraden Rudi Braun, Frau Burgl Moeller und meinen beiden 16 und 17jährigen Töchtern Monika und Heidi, die nun — nach Ausfall der vorgesehenen Kanonen — die neue Expeditions„Mannschaft" bilden mussten. Meine Frau, Relly, war in La Paz zurückgeblieben, um den Nachschub von Material und die Nachrichtenübermittlung durchzuführen, während Frau Moeller und meine beiden Töchter neben der zoologischen Sammeltätigkeit das Basislager und die Bedienung der Funksprechgeräte übernehmen sollten. Hatte ich mir ein Jahr zuvor noch im Hinblick auf die schlechten Erfahrungen mit „holder Weiblichkeit" im Zusammenhang mit meiner AndenKundfahrt 1950/52 hoch und heilig geschworen, nie mehr eine Frau auf Expedition mitzunehmen, so waren diesmal direkt oder indirekt gleich vier daran beteiligt. Aber nach den letzten unerfreulichen Begebenheiten am Nanga Parbat und hinterher, wo bekanntlich nur Männer mitspielten, wagte ich einen neuen Versuch — diesmal allerdings in familiärer Zusammensetzung und mit alten Freunden, und ich kann nur sagen, dass ich mit dieser Kombination ausgezeichnet gefahren bin.
Auf einem altersschwachen und längst museumsreifen DodgeKleinlastwagen — Modell 1934 — reisen rund 1200 Kilo Expeditionsgut auf direktem Weg von La Paz nach Sorata. Schon auf dem ersten Teil der Strecke aus der im Durchschnitt 3600 m hoch gelegenen Stadt hinauf zum über 4000 m hoch gelegenen Altiplano traten die ersten Schwierigkeiten auf. Die schöne Betonstrasse war wegen Ausbesserungsarbeiten gesperrt, und der alte Karawanenund Karrenweg mit seinen Steigungen bis zu 20°/o setzten unserem Lastwagenveteran so zu, dass er manche Stellen rückwärts und mit kochendem Kühler überwinden musste, bis er in fast dreistündiger Arbeit die 6 Kilometer lange Strecke hinauf in die Hochebene geschafft hatte.
Dann ging's gewissermassen von selbst dahin — nur noch mit einer einzigen leichten Gegensteigung — hinunter ins Tal von Sorata, 2700 m hoch gelegen.
Später folgten die „Mann"schaft und das restliche Gepäck mit dem inzwischen eingetroffenen Expeditionsfahrzeug — einem VWKombi, bei dem die Geschwindigkeit zu Gunsten einer Gebirgsachse und damit einer besseren Steig und Geländegängigkeit reduziert war — nach.
Auf Umwegen reisen wir durch die schönsten Landschaften Boliviens nach Sorata, passieren dabei die berühmte und berüchtigte BalcaSchlucht, fahren durch angeschwollene Flüsse und Mondlandschaften, klettern über Eis und Schnee die grossartig angelegte Strasse zum 5300 m hoch gelegenen Chacaltaja hinauf, um dann wieder hinunter zu rollen über die weiten Hochebenen des südamerikanischen Tibets — nach Westen zu. Dort liegen — einstmals von den Wassern des TiticacaSees umspült — die uralten Tempelruinen von Tiahuanacu, dem Zentrum des inkaischen Sonnenkults. Noch gehen die Ansichten auseinander über Alter und Herkunft mancher riesiger Steinkolosse und Monolithen. Bolivianische Archäologen nehmen an, dass hier die "Wiege der Menschheit" zu suchen sei.
Die Ufer des TiticacaSees — des heiligen Sees der Hochlandindianer —kommen in unser Blickfeld; BalsaFischer kehren zurück auf ihren leichten BinsenBooten — und aufgeschreckt durch das Aufheulen unseres Motors und den warnenden Ton unserer Hupe löst sich eine rosa Wolke — Flamingos —von einer seichten Schlammbank.
über eine Passhöhe von 4600 m hinweg erreichen wir Sorata. Wir sind alle todmüde von den grossartigen Eindrücken unserer Fahrt und den vorausgegangenen Tagen und Nächten, die ausgefüllt waren mit Pack und Wiegearbeiten. Die MulaLasten dürfen ja für den schweren und gefährlichen Cordillerenübergang keinesfalls das Gewicht von einem Quintal =46 Kilo pro Tier, aufgeteilt in zwei Traglasten zu je 23 Kilo, überschreiten.
In der Nähe des Titicacasees auf bolivianischer Seite liegt die berühmte Ruinenstätte von Tiahuanacu mit dem monumentalen Sonnentor des Gottes Viracochu.
Auf InkaSteigen über die KönigsCordillere
Mit 30 PS waren wir in Sorata angekommen — mit 25 MulaKräften verlassen wir die kleine Stadt und damit das gastliche Heim, das uns Familie Fernholz in alter, treuer Anhänglichkeit geboten hatte. Unter grössten Schwierigkeiten und bei Schnee und Gewitterstürmen überwanden wir mit unserer kleinen Karawane mehrere Andenpässe zwischen 4000 und 5000 m Höhe, um dann — Tage später — hineinzutauchen in die feuchte Schwüle der Regen und Nebelurwälder jenseits der Cordillere. Hatten wir TolaPampa — einen alten KarawanenBiwakplatz, in 3450 m Höhe über dem Urwaldgürtel gelegen — eines Abends, noch in HochgebirgsSturmanzügen und mit Fäustlingen bekleidet, von Hagelschauern und Kälte getrieben, erreicht, so verliessen wir ihn am nächsten Morgen in unseren neuen TropenUrwaldOveralls und wanden uns schweisstriefend wenige Stunden später — die Mulas vorsichtig am Zügel führend — die schwindelnden Steige der YungasUrwälder gegen Pararani hinunter.
Seit im Jahre 1932 mit einem Grönlandunternehmen meine ExpeditionsWanderjahre begannen, ist es für mich etwas so Selbstverständliches geworden, unvorhergesehene Schwierigkeiten zu überwinden, dass ich mich mit einer eigenen Schilderung des Weges über die Königscordillere, der ja lediglich den Zugang zu unserem Operationsgebiet darstellt, nicht lange aufhalten möchte. Man wird mit der Zeit etwas abgestumpft und ist dann nicht mehr so aufnahme und wiedergabefähig wie ein noch ganz junger Mensch, der zum erstenmal eine solche Expedition miterlebt. Vielleicht ist es darum besser, wenn ich die Jugend zu Wort kommen lasse und von Fall zu Fall Tagebuchaufzeichnungen meiner damals gerade 17 Jahre alt gewordenen Tochter Monika mit verwende.
24.11.54
„Im Morgengrauen dieses nebelverhangenen Tages verlassen wir Sorata mit unserer Maultiertropa in Richtung HancoumaCumbre — einem 5200 m hohen Pass, über den der Steig nach Yani führt. Unterwegs schliessen sich ein paar finster aussehende Kerle an — mit grossen Packen und Pfannen beladen —die zum Goldwaschen nach Tipuani wollen. Sie machen keinen besonders vertrauenerweckenden Eindruck, und wir passen auf wie die Schiesshunde, dass keines unserer Lastmulas zurückbleibt. Tief unten aus dem Tal, wo ein Autoweg zu einer Mine führt, jault immer wieder ein alter, schwer beladener Ford auf, der wohl schon mit Pizarro herüber gekommen sein mag. Er gehört einem Österreicher, der hier auf einem Zivilisationsvorposten mit seinem AutoVeteranen einige der kleinen Bergwerke, die überall verstreut in der Cordillere liegen, mit Lebensmitteln versorgt und die gewonnenen Erze abtransportiert.
Allmählich löst sich der Nebel und gibt den Blick frei auf die Nordausläufer der Königscordillere. Beim Übergang über den ersten, noch untergeordneten Pass fallen uns grosse Steinhaufen auf, zu denen unsere Arrieros (Maultiertreiber) — Gebete murmelnd — weitere Steine legen. Beim Vorbeireiten an einer Felswand entdecken wir kleine, etwa 20 cm hohe, sogenannte Seelenhäuschen aus Steinplatten, die die alten Indios zum Dank oder zur Bitte den Berggeistern auf der Cumbre errichten.
Herrlich schön ist es hier oben. Grüne Matten, die hinunterführen ins Tal von Hancouma, Schafherden und Lamas sowie halbwilde Bergponys grasen in dem hellen Grün — hoch oben zieht ein CondorPaar weite Kreise, und tief unten in den Sumpflagunen baden — wie winzige Perlenketten — Schneegänse und Enten. Etwas flacher führt der Weg von der HancoumaAbzweigung —die die Eingeborenen ChuchuCumbre (sprich: Tschutschu) nennen — zu dem höher gelegenen LachisaniPass, der sogenannten Cumbre von Yani. Dort warten auf uns Austauschmulas für den Weiterweg nach San Carlos. Sehr vertrauenerweckend sehen sie nicht gerade aus — weder die Viecher noch die Leute. Meine Schwester Heidi, Burgl und ichbetrachten mit gelindem Schauer die alten, komisch geformten „Foltersättel" — wohl noch aus der Conquistadorenzeit. Man sitzt in ihnen mit Vorder und Rückenlehne zwar wie in Abrahams Schoss und kann unmöglich herausfallen, dafür aber beim Bergaufreiten unter tiefhängenden Ästen sich spielend leicht den Brustkorb eindrücken.
Hannes — das ist mein Vater — und wenn ich ihn ebenso nenne wie meine Expeditionskameraden, so ist das beileibe nicht Respektlosigkeit der Jugend von heute, sondern ich weiss nur zu genau, dass mein „alter Herr" nur ungern durch die Anrede „Vati" daran erinnert werden möchte, dass er die Vierzig überschritten und schon so grosse Töchter hat. Männer sind ja furchtbar eitel, und meinen Papa nehme ich da nicht aus.
"Hannes" — wie ich also meinen Vater und Expeditionsleiter im Rahmen unserer Unternehmung ebenfalls nenne — ist mit dem Chef der Tropa aus Yani — Don Julio Sanchez — nach längerem Feilschen über den Preis der Tour endlich einig geworden. Dafür braucht es aber beinahe unendlich viel Zeit, bis alle Lasten in Ledernetzen auf den Tragtieren verstaut sind und die Treiber unter sich die einzelnen Gepäckstücke ausgerauft haben, denn jeder sucht sich natürlich die leichtesten und handlichsten aus.
Hannes ist überall — teilt Kisten und Säcke ein, denn er muss darauf achten, dass beispielsweise Filmkameras und Material nicht auf ein und dasselbe Maultier kommen, damit im Fall eines Absturzes nie beide Kameras vernichtet sein können; daneben filmt er mit dem dritten Apparat, den er ständig im Rucksack bei sich trägt, Packszenen und interessante Passagen unterwegs, findet dann aber immer noch Zeit, dazwischen hier eine Korrektur anzubringen, dort zu schimpfen — oder uns von dieser herrlichen Aussichtswarte aus drüben am Illampu (6348 m hoch) die Aufstiegsroute zu erklären, die er zusammen mit seinem Kameraden im Jahre 1951 benützt hat. Er zeigt uns den Eisüberhang, wo sie damals biwakieren mussten, und mich friert beinahe bei seinen Schilderungen. Trotzdem aber bin ich mächtig stolz auf meinen Papa.
Die Fleteros drängen zum Aufbruch, weil der Wind Hagelschauer von Osten her über den Felsgrat treibt; aber Hannes bremst — denn er hätte gar nichts dagegen, ein kleines Schneegestöber zu Beginn unserer Tropenreise in seinen Kasten zu bekommen — und ist beinahe empört, dass die Maultiertreiber seinen künstlerischen Ideen so wenig Verständnis entgegenbringen.
In unseren schönen, blauen SturmÜberanzügen reiten Rudi und ich mit dem ersten Trupp voraus, während die anderen die Nachhut bilden. Aber nur kurz sind die Reiterfreuden, denn bald schon geht es durch ein steiles, enges Tal, und wir müssen unsere Tiere am Zügel führen. Hier auf der Ostseite des HauptCordillerenKammes reicht eine vielfältige Vegetation von Sträuchern und Bäumen bis hoch hinauf, und hier finden wir auch zum erstenmal wilde KnollenBegonien mit grossen, rosaroten Blüten.
Am späten Nachmittag passieren wir die neu erschlossene Goldmine eines Deutschen aus La Paz — aber ausser einigen Arbeitern ist niemand zu sehen —und wir sind froh, jetzt keinen Bekannten zu treffen, da wir vor Einbruch der Dunkelheit noch bis Yani kommen wollen. — Weiter unten überqueren wir den Fluss, und halsbrecherisch steil führt der Weg einen Hang hinauf. Da oben soll irgendwo Yani liegen, wo unsere Arrieros alle zu Hause sind. Es dämmert bereits — der Nebel beginnt einzufallen, und es wird ausgesprochen düster und nasskalt. Wir reiten noch einen Grat entlang auf die andere Bergseite, treiben unsere Maultiere über Felsstufen hinauf, bis wir — um eine Ecke herum — mit einem Mal am Eingang von einem Dorfe stehen — und was für einem! — Yani — 3500m hoch gelegen — hält den Vergleich mit einem Räubernest glänzend aus, und wie wir am eigenen Leibe verspüren konnten, lebt es ja auch mehr oder weniger von Spitzbübereien. Burgl vergleicht die Siedlung treffend mit einer Dekoration aus »Carmen". Düster und winkelig kleben Häuser und Höfe mehr über als nebeneinander. Tropfnasse Grasdächer über grauen Steinquadern, enge Gassen, verräucherte Türen und Fensterlöcher — teilweise verfallen; ein paar scheue und misstrauische Kindergesichter, umrahmt von dunklen Türhöhlen. Es sieht nicht gerade einladend aus hier in Yani. Aber der alte Julio Sanchez hat uns in seinem Hause eingeladen, und dort soll angeblich bestens für uns gesorgt sein, wie er Hannes beruhigend versichert, der daraufhin seinen Kontrollposten am Dorfeingang aufgibt, wo er ursprünglich die Tropa an sich vorbeidefilieren lassen wollte, um die Lasten zu zählen.
Obwohl Vati angeordnet hatte, dass in dem Hof unseres Quartiers auch abgeladen werden sollte, sind drei Arrieros mit über der Hälfte der Tropa bereits in verschiedenen Nebengassen mit unserem Gepäck in ihren eigenen Höfen verschwunden. Hannes tobt, weil Schlafzeug und Verpflegung nun im ganzen Dorf verteilt liegen.
Sanchez beteuert immer wieder, dass es „costumbre" — also ortsüblich sei, dass die einzelnen Arrieros und Maultierbesitzer die Lasten in ihren eigenen Häusern unterbringen, und es kostete einen richtigen Kampf, bis wir unseren ganzen Kram wieder beisammen hatten.
Unser Nachtquartier ist eine tolle Bude! Der Boden lehmgestampft, das Dach mit Pajabrava, dem widerstandsfähigen Langgras der Cordillere, bedeckt, und die Wände mit Zeitungen aller Herren Länder tapeziert. Sogar ein Völkischer Beobachter aus dem Jahre 1942 ist darunter — und in Schlagzeile wird darin auf der ersten Seite vom Fall der Festung Sewastopol berichtet.
Bevor wir unser Schlafgepäck hier ausbreiten, bearbeiten wir die ganze Behausung gründlich mit NexaPuder — und fluchtartig verlässt Heidi mit ihrer Benzinküche den „giftstaubverseuchten" Raum, um draussen im Vorhof unsere Abendsuppe zu richten.
Bei der Neugier der Dorfbewohner herrscht ein reger Durchgangsverkehr in unserem Hof, und deshalb beschliesst Hannes, trotzdem das dort gestapelte Gepäck mit einer Plane abgedeckt und verschnürt worden ist, Nachtwachen durchzuführen. Ich melde mich gleich zur ersten — und während die anderen in ihren molligen Schlafsäcken längst eingeschlummert sind, sitze ich — mit meiner Gaspistole bewaffnet — (Hannes traute dem weiblichen Teil der Expedition nur mit solchen Schiesseisen einigermassen genau Zielsicherheit zu) zwei volle Stunden am Eingang zu unserem Schlafgemach — ein bisserl steif gefroren, aber sonst hellwach — voller Stolz und im Bewusstsein, eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Ergebnis der Beobachtungen während der ersten Nachtwache meines Lebens: zwei Hunde umrunden den Gepäckstapel, einer hebt das Bein und gibt Visitenkarte ab; ferner eine Sau und vier Passanten mit der Taschenlampe identifiziert und teilweise verscheucht. Der sternenklare Himmel und die Kälte versprechen das beste Wetter für morgen, und Rudi kann schnarchen, so viel er will, ich werde ihn jetzt zur zweiten Wache heraustrommeln.
Der Talkessel von Sorata wird von dem 6366 Meter hohen Illampu, dem Nordp feiler der Königskordillere, überragt.
25. 11. 54
Kaum wagt man um 5 Uhr früh ein Auge aufzumachen, geht der Wirbel schon wieder los. Burgl, Heidi und ich pilgern zu einer kleinen Quelle oberhalb der Kirche, erfrischen uns dort und verarzten unsere Sonnen und Nebelbrände vom Vortag mit Salbe. Hannes und Rudi haben sich inzwischen mit den Kerlen beinahe schon wieder in die Haare gekriegt, wegen höherer Geldforderungen — und Heidi, deren perfektes Spanisch man neidlos anerkennen muss, dolmetscht tapfer und dezent in ihrer Adjutantenrolle, wenn Vati in der Hitze des Gefechts einen nur schwer verständlichen Cocktail von Spanisch, Italienisch, Französisch, Englisch und Bayrisch mixt. Es wird bei den Arrieros als besonders störend empfunden, dass unser Expeditionsleiter seine 50 Gepäckstücke genau im Kopf hat — und es daher nicht gelingt, auch nur ein einziges „per Zufall" in Yani zu „vergessen". Die Treiber schachern um den Preis und verfluchen ihre Mulas, die störrisch sind wie die Teufel. Hannes schimpft und schwitzt und — zahlt. Heidi ist nicht auf den Mund gefallen, als es darum geht, einen Träger, der sich — trotz guter Bezahlung für eine leichte AkkuLast — aus purer Bequemlichkeit dagegen wehrt, weiter mitzugehen, herunterzuputzen vor allen andern und so zur Vernunft zu bringen. „Bist du ein altes Weib, dass du Angst hast, mit uns ins Tiefland zu gehen?" —schleudert sie ihm auf Spanisch entgegen. Schallendes Gelächter quittiert diese schlagfertige Äusserung meiner jüngeren Schwester. Verlegen lächelnd und beschämt nimmt der Träger seine leichte Last auf und zieht mit uns.
Ich kann wieder mit den ersten gegen 7 Uhr früh losreiten, während „unsere Männer" sich als Nachtreiber betätigen.
Die Sonne ist längst aufgegangen, und aus dem goldenen Morgen wird ein heisser Tag werden. In vielen Kehren geht's zum Fluss hinunter und drüben in einem Seitental wieder hinauf. Auf diesem „Weg" darf man sich wirklich keinen falschen Tritt erlauben. Man würde in einem Wasserfall landen, der 100 m tiefer durch einen Canon tobt. An einer seichten Stelle oberhalb der Schlucht durchqueren wir dieses Wildwasser, und drüben beginnt der Anstieg zu einer Cumbre, der im Laufe des Tages noch zwei weitere Pässe folgen. Stunden geht es an steilen Graten entlang, Talwände hinauf und hinunter, an schäumenden Wasserfällen und an kleinen Tümpeln vorbei — ständig in einer Höhe von etwas über 4000 m.
Auf diesem uralten, inkaischen Königssteig transportieren diese widerstandsfähigen Mulas Jahr um Jahr — über Treppen und Stufen hinweg —wertvolle Lasten hinunter nach San Carlos, Mapiri und wieder zurück. Wie dickbäuchige Omnibusse schnaufen die Tiere daher — links und rechts mit unseren AluminiumTropenkoffern behangen. Oft hat man das Gefühl, sie müssten zusammenbrechen bei diesem Treppauf und Treppab, aber trotzdem finden sie immer noch genug Zeit, zwischendurch ein Maul voll Paja (Gras) zu rupfen und gelegentlich auch neben dem Weg dahinzustrolchen, was dann lautes Schelten ihrer Treiber auslöst.
Der Tornillo (Die Schraube), ein noch gut erhaltener Teil des inkaischen Königsweges, über den die Expedition nach Überwindung von vier Pässen von fast 5000 Meter Höhe in die Tieflandurwälder hinunterzieht.
Nachmittags müssen wir den grössten Teil des Weges zu Fuss gehen, vor allem am Tornillo, der berüchtigten Schraube, um die Tiere bei dem steilen Abstieg zu schonen.
Als wir abends in TolaPampa unser Nachtlager aufschlagen und zu fünft in unser DreiMannZelt kriechen, wissen wir alle, was wir hinter uns haben. Übrigens wollte sich auch der Laternen und AkkuTräger — scheinbar angekränkelt von Freiheits und GleichberechtigungsThesen politischer Rattenfänger — noch zu uns ins Zelt legen. über so viel Frechheit war Hannes einfach sprachlos — und eine unmissverständliche Handbewegung liess den Aufdringlichen schliesslich doch vorsichtshalber den Rückzug antreten.
Wir schliefen — nach einem Bad in dem naheliegenden, glasklaren Flüsschen — dicht zusammengedrängt alle mehr oder weniger gut, jedenfalls aber warm.
26. 11. 54
Schon früh um 5 Uhr rumort Hannes draussen vor dem Zelt in der Küchenkiste herum — und bei dem beruhigenden Summen des PrimusKochers döst man schnell wieder ein. Aber dann kreischt jäh und laut wie eine Säge der Reissverschluss des Zelteingangs, und jeder von uns erhält im Schlafsack sein Frühstück serviert: dampfende Ovomaltine und Büchsenbrot, mit Butter und Honig beschmiert. Dann muss jeder noch, ob er will oder nicht, eine tüchtige Ladung Haferbrei hinunterwürgen. Unser Expeditionsleiter ist in solchen Dingen ein Tyrann — denn der Weg, der vor uns liegt, ist schwierig, und bis zur nächsten Etappe sind es — wie er behauptet — mindestens 810 Stunden.
Um 7 Uhr früh — gerade ist die Sonne hochgestiegen — setzt sich die Leitmula mit ihrer bimmelnden Glocke am Halse in Bewegung — und im munteren Trott reihen sich die übrigen Lasttiere in die Tropa ein. Es soll hier eine Menge Bären geben, aber wir hatten nicht das Glück, einen zu sichten und fanden nur Fährten und Losung. Nun weiss ich auch, warum die LakritzenStangen, die wir als Schulkinder in Deutschland so gerne gelutscht haben, „Bärendreck" heissen. Die Ähnlichkeit ist unverkennbar!
Unterwegs zeigt sich, dass einzelne Mulas eine erstaunliche Vielfalt der verschiedensten Charaktereigenschaften aufweisen. Ich hatte ausgesprochenes Glück mit meinem Reittier. Es war sanft, trittsicher, aber faul, so dass ich ihm hie und da etwas Ehrgeiz eintreiben musste. Jedenfalls aber hatte es nicht so originelle Ideen wie die Mula von Burgl, die dauernd im Gehen Gras rupfte, war nicht so störrisch wie Heidi's Esel und auch nicht so feurig wie der Rappe von Hannes, mit dem uns Papa auf einem steilen Grat einen mustergültigen Sturzflug mit raffinierter Landetechnik vorexerzierte, als das Biest plötzlich einen Haken schlug und mit den Hinterbeinen auskeilte. Hannes hatte das Tier mit dem Knoten seines langen Zügelendes genau auf die empfindlichste Stelle unter den Schwanz getroffen. Eine peinliche Stelle übrigens auch auf diesem schmalen Weg, denn aus dem Abgrund leuchten die bleichen Gerippe von gestrauchelten Mulas.
Schon im Laufe des Vormittags tauchen wir ein in ein Nebelmeer, das um die Flanken dieser CordillerenAusläufer wogt, und das — wie eine riesige Daunendecke — bis jetzt die Tieflandurwälder unseren Blicken entzogen hat. Nun geht der berüchtigte Abstieg los — und wir müssen die Tiere wegen des abschüssigen, glitschigen Weges fast immer führen.
Die Inkas sind geniale Strassenbauer gewesen, obwohl sie keine Räder kannten. Der Saumweg, über den wir hinunter in Richtung Mapiri pilgern, ist zum grössten Teil inkaischen Ursprungs. Bedauerlich nur, dass seit dem Zerfall des Reiches der Inka anscheinend an dem alten Königspfad nichts mehr ausgebessert wurde.
Seit Mittag bewegen wir uns in der subtropischen Regenwaldzone. Sie begann mit stacheligen Bromeliaceen, dichtem Bambus und Palmfarnen. Später folgten höhere Bäume mit starkem Moosbehang, und ich hatte immer das Gefühl, es müsste mir von oben herab eine Vogelspinne oder eine Baumschlange auf den Hut oder in den Kragen fallen. Aber »unsere Männer" beruhigten uns, und im übrigen hatten wir ja an diesem Morgen nicht mehr unsere Hochgebirgsanzüge, sondern zum erstenmal die praktischen, gut schliessenden grünen UrwaldOveralls angezogen. Wir sahen aus wie Fallschirmjäger auf dem Kriegspfad, und ich kam mir mächtig wichtig vor.
Hannes filmte mehrere Male einige interessante Passagen, bis dann die Lichtverhältnisse immer schlechter wurden. Der Weg ist „muy cerrado" (stark eingeengt) und führt in tief ausgewaschenen Kanälen — überwuchert von Lianen, Bambusgestrüpp und umgestürzten Bäumen — teilweise wie durch einen Tunnel. Trotzdem die Arrieros drei oder viermal im Jahr mit ihrer Tropa über dieselbe Strecke kommen, fällt es ihnen nicht im Traume ein, diese für sie so lebenswichtige "Strasse" in Ordnung zu bringen. Irgendwie werden sich die Mulas mit dem Gepäck schon durchs Dickicht zwängen, auch wenn dabei die Kisten der Gringos (weisse Männer) Beulen bekommen und die Packsäcke aufgeschlitzt werden. Die Brüder sind viel zu faul, um mit der Machete den Weg freizumachen und behalten ihre Buschmesser — des kühnen Aussehens wegen — lieber im Gürtel.
Ab und zu sieht man nun unter der Nebeldecke lange Hügelketten gegen Osten zu verschwinden, steil und mit dichtem Urwald bedeckt, so weit das Auge reicht. Dort unten also soll irgendwo PAITITI liegen, die sagenhafte Inkastadt, die wir „erobern" wollen.
Ich bin etwas skeptisch beim Anblick dieser unendlichen Wälder. Aber reiten wir mal nach San Carlos — vielleicht kann man uns dort etwas mehr sagen, als aus der winzigen Karte hervorgeht, die Hannes von Manuel Posnansky geschenkt bekommen hat.
Gegen Abend erreichen wir Pararani mit ein paar freundlich aussehenden Hütten, die ganz aus den Stämmen und Blättern der CussiPalmen gebaut sind. In den Kehren der letzten Steilstufe oberhalb der Siedlung registrierten wir noch zwei aufregende Ereignisse. Meine Schwester Heidi, die plötzlich Anwandlungen bekommen hatte, an der Spitze — vor Rudi und Hannes — zu gehen, wäre in einem Engpass um ein Haar in eine Schlange hineingetappt, die mitten im Weg lag. Steinwürfe von Rudi verscheuchten diese ins Dickicht. Sowie der Weg breiter wurde und Hannes und Rudi mit ihren Mulas wieder nach vorne konnten, nahm Heidi gerne wieder ihren dritten Platz innerhalb der Tropa ein.
Kaum hat Hannes erneut die Führung übernommen, springt ein schwarzes, pantherähnliches Tier in den Weg, das nach einigen Fluchten schnell seitwärts im Walde verschwindet.
Im letzten Dämmern des Tages blasen wir in einer der Hütten, die uns gastfreundliche Bewohner zur Verfügung gestellt haben, unsere Gummimatratzen auf — und bei dem einsetzenden Regen sind wir froh, unsere schönen, neuen KlepperZelte noch wohl verwahrt in den Packsäcken lassen zu können. Heidi brät auf dem Primus Kartoffelschmarren, und je nach Geschmack gibt's dazu Sauerkraut oder Apfelmus.
Mahlzeit — kann man da nur wünschen, und eine ungestörte Nacht!!
27. 11.54
Zum Abschied — am Morgen — schenkten uns unsere Gastgeber einen Strunk Bananen mit etwa 50 Stück, die wir mittags bereits verschlungen hatten. Welch ein Unterschied zwischen den freundlichen Menschen hier, gegenüber den verschlossenen und verschlagenen Gesellen oben in Yani. Allerdings führen die Menschen unten in dem milden Klima ein wesentlich leichteres Leben als die oben im Hochland. Es wächst, wenn einmal richtig gerodet ist, beinahe alles von selbst — und ungemein schnell.
Heute brachten wir die letzte und kürzeste Etappe der Reise hinter uns und erreichten schon um vier Uhr nachmittags unser Ziel."
Soweit Monika.
BASISLAGER MIT „TELEFONANSCHLUSS"
Auf der Estancia San Carlos, einer Teeplantage (übrigens der einzigen grossen Boliviens), die von einem Deutschen verwaltet wird, wurden wir mit echt südamerikanischer Gastlichkeit aufgenommen. Diesen Platz hatte ich als Nachschubbasis für Verpflegung ausersehen, und dort sollten auch in guter Obhut die weiblichen Teilnehmer bleiben.
Nach einer kurzen Orientierung aber musste ich einsehen, dass San Carlos für eine Tropensommerfrische zwar herrlich gewesen wäre, sich aber viel zu weit entfernt von meinem eigentlichen Operationsgebiet befand. Sieben Stunden vorher hatten wir einen Platz passiert mit dem vielsagenden Namen IncaPampa. Dieses IncaPampa war nicht nur hervorragend als Basislager geeignet, weil es hoch über den Schluchten des Rio Chinijo, dem Cerro Paititi und einem riesigen Urwaldkessel gegenüber lag, sondern — weil das Wort allein schon einen gewissen Anhaltspunkt dafür bot, dass dieser Ort inkaischen Ursprungs war. Dabei handelt es sich lediglich um eine Lichtung in dem flachen Sattel eines langezogenen, schmalen, bewaldeten Höhenrückens, den Tropenstürme und Gewitter mit der Zeit von Bäumen freigefegt haben, wobei eine Art Pampa mit einem kleinen Teich entstanden ist. Abgesehen von dem Namen hat der Platz noch eine Besonderheit. Der kleine Teich ist durch einen Damm gestaut, dessen Konstruktion die typische Bauweise zu Inkas Zeiten verrät.
So zogen wir denn nach Regelung der Fragen des Verpflegungsnachschubs mit der ganzen Tropa, zu der noch 20 Macheteros kamen, zurück an den Rand der Wildnis, wo die drei Frauen das Basislager und die dort errichtete Funksprechstation übernehmen mussten, während ich mit meinem Begleiter Rudi Braun und den Eingeborenen in die Urwälder an den Ostabhängen des Cerro Paititi eindrang.
Während der Errichtung des Basislagers gab es immer wieder genügend Gelegenheit, von diesem idealen Beobachtungspunkt aus die Hänge und Schluchten des Cerro Paititi mit den Ferngläsern nach irgendwelchen Anzeichen alter menschlicher Siedlungen abzutasten.
Aber so sehr wir uns auch bemühten, nichts war weiter zu sehen als das monotone Gewoge hoher, dunkler Urwaldbäume. Darüber brandeten Wol
ken und Nebelschwaden ohn' Unterlass um diesen „Monte mysterioso".
Regenschleier und Gewitter zogen wechselweise über die waldigen Schluchten und uns hinweg, die wichtigen Beobachtungen erschwerend. Nur hin und
wieder stahl sich ein Sonnenstrahl durch den Brodem und gab den unheim
lichen, finsteren Wäldern wenigstens stellenweise ein freundlicheres Aussehen. An so einem lichten Fleck aber blieb ich auf einmal mit meinem Fern
glas hängen. Die Sonnenstrahlen waren weiter gewandert — der Fleck in
mitten des dunklen Grüns aber war hell geblieben, und aus dieser einsamen Insel in dem tiefen Urwaldozean ragten drei mächtige Palmen empor neben
einem grossen, braunen Etwas, das ich aus etwa 15 km Entfernung als eine
steinerne Säule, einen Monolithen deutete. Ich sah im Geiste bereits Mauern und Ruinen — von Tacuara (einer sehr schnell wachsenden Bambusart) über
wuchert, die sich wellenartig unter diesen drei einsamen Bäumen ausbreitete. Diese Entdeckung warf meinen Plan, als erstes den Cerro Paititi zu besteigen, über den Haufen. Ich stellte zunächst eine saubere Marschskizze zusammen, mit deren Hilfe wir zu dem Monolithen mit den drei Palmen vorstossen wollten.
Kompasszahl 305, das war fortan in den nächsten Wochen die Ziffer, nach der wir uns zu richten hatten — und Kompasszahl 305 war letzten Endes auch
die Zahl, die uns ans Ziel brachte, das allerdings nicht bei den Palmen lag, sondern lange vorher schon — auf dem Weg dorthin — in einem tiefen, völlig verborgenen Talkessel.
MIT BUSCHMESSERN IN DEN DSCHUNGEL
In den nächsten Tagen und Wochen kamen unsere Buschmesser und unsere Armmuskeln nicht mehr zum Ausruhen. Meter um Meter hieben wir uns vorwärts, den ganzen langen, beschwerlichen Weg durch finstere Urwaldschluchten und Bambusdickichte — über hohe Laub und Humusdecken, in die wir immer wieder einbrachen, und durch Wildwasser.
Allein um von unserem Basislager IncaPampa aus die 600 m Höhenunterschied durch den dichten Urwaldfilz hinab zum Rio Chinijo zu überwinden und einen brauchbaren Weg zu bahnen, benötigten wir volle drei Tage. Zwei weitere verstrichen, um über den etwa 40 m breiten, sehr reissenden Fluss zu kommen — und es waren bange Stunden, die viel Schweiss kosteten, bis wir endlich mit Hilfe unseres Wurfankers, der von einer Spezialvorrichtung abgeschossen wurde, ein erstes Doppelseil am anderen Ufer hatten. An dieser „Seilfähre" gesichert, können die ersten Leute und ein Bündel Macheten durch die reissenden Wasser schwimmen, ohne befürchten zu müssen, in den flussabwärts liegenden Stromschnellen für immer zu verschwinden. Aus dem ersten Hilfsseil entsteht dann bald ein primitiver Sessellift, mit dem wir Personal, Apparatur und Expeditionsausrüstung hinüberbefördern.
Unten in der Schlucht auf einem Felsvorsprung über den tosenden Wassermassen stand unser Lager I — und auf dem Weg dorthin hatten wir unsere ersten Begegnungen mit Schlangen und streichholzgrossen Ameisen, Tucangiras genannt, die ganz infernalisch stechen und dabei Gift injizieren. Zweimal im Verlauf der Expedition musste ich damit nähere Bekanntschaft machen, und jedesmal war der Stich mit blutvergiftungsähnlichen Erscheinungen verbunden — roten Striemen und Anschwellung der Drüsen, wozu dann noch Sehstörungen kamen, als würde man beim Entfernungsmesser einer Fotokamera die Doppellinien eines Gegenstandes zum Zwecke der Scharfeinstellung so lange hin und her schieben, bis sich die Konturen decken. Ob diese Sehstörungen direkt mit dem Stich der Tucangira, oder indirekt — wie meine Kameraden behaupteten — mit dem angewandten Gegengift, das heisst mit äusserlichen und inneren Alkoholeinreibungen, zusammenhingen, kann ich heute nicht mehr mit Sicherheit sagen.
Unsere Schlangenabenteuer verliefen weitaus glimpflicher, vor allem während der Arbeit am Sendero (Ausdruck für einen mit dem Buschmesser geschlagenen Pfad). Der Lärm der Arbeit, verursacht durch das Schlagen der Macheten, das Krachen von Ästen und Bäumen, sowie das stete Vorwärtsschreiten dieses Rumors in den sonst so stillen Urwäldern treiben die Schlangen und alle übrigen Tiere — sofern es sich nicht gerade um neugierige Affen handelt — rechtzeitig in die Flucht. Mein Tagebuch verzeichnet während des ersten Spähtruppunternehmens als Durchschnitt drei Schlangenbegegnungen innerhalb von 24 Stunden. Das ist nicht viel gegenüber den Schlangenabenteuern der PosnanskyExpedition des Jahres 1950, die von dem Ort Gonzata aus — also von Norden her in das Gebiet eingedrungen war und in den Monaten August/September zur Paarungszeit gleich Dutzende — und zum Teil zu Knäueln zusammengeballt — antraf. Bei uns bestand akute Schlangengefahr dann, wenn wir nach Regenfall auf dem bereits gebahnten Pfad zurückgingen und wieder Lasten nach vorne transportierten.
Die Feuchtigkeit löscht jedes Geräusch aus. Kein Rascheln des Laubes mehr, kein Knacken irgendeines Astes! Lautlos — wie auf Gummi — schleicht man im Sendero dahin, kriecht unter den Torbögen der BambusDickichte durch, um plötzlich in dem Zwielicht von einer Schlange gestellt zu werden, die von oben herunterhängt.
Das sind die gefährlichsten Augenblicke, denn Mensch und Tier handeln in solchen Momenten nur noch im Affekt.
Beide schlagen zu — und es kommt nur darauf an, wer schneller ist: Die scharfen Zähne des Reptils, oder die scharf geschliffene Klinge der Machete. Die meisten Schlangen, die unseren Weg kreuzten, befanden sich nicht am Boden, sondern über uns in den Bäumen oder zumindest neben uns in Augenoder Schulterhöhe, und der Gedanke, aus dieser für das Tier so bequemen Angriffsstellung heraus in den Kopf oder in die Halsschlagader gebissen zu werden, wirkt nicht gerade nervenberuhigend. Was nützt schon bei so einem Biss unser polyvalentes SchlangenSerum, oder das einheimische Especifico pessor, das wir neben Caliumpermanganat ständig mit uns führten? Das erstere ist intramuskulär zu verabreichen, das zweite löffelweise einzunehmen mit anschliessender 30stündiger Hungerkur, und das letzte in Kristallform in die Wunde zu pressen, um das Gift zu neutralisieren.
Aber auch am Boden heisst es, höllisch aufpassen! Hier liegen Äste, abgeschälte Rinden und Laub, und dazwischen — in oft unglaublicher Mimikry, kaum sichtbar für den Dahinschreitenden — eine Yararaca, eine Surucucu oder Buschmeister mit ihren gefährlichen Doppelfangzähnen, oder eine Yoperohohobo. Von letzterer weiss ich ein Lied zu singen, seit mich im Jahre 1951 bei einem Unternehmen an der brasilianischen Grenze eine in die Hand gebissen. Damals wurde ich, da Serum fehlte, nur durch die Kunst meiner eingeborenen Begleiter gerettet, die aus einer bestimmten Wurzelknolle eine Medizin für mich brauten.
Der Vorausgehende muss ständig auf der Hut sein und die Augen eigentlich gleichzeitig am Boden, auf beiden Seiten und in der Höhe haben. Dieses lauernde, langsame Vorwärtsschreiten über meterdicke Laub und Humuspolster — wie auf einer Sprungfedermatratze — immer wieder durchbrechend und sich dann hochrappelnd — jeden Augenblick gewärtig, während die Füsse unten zwischen Ästen und Wurzelgeflecht in einem Hohlraum baumeln, der genauso gut ein Schlangennest sein kann, gebissen zu werden, das ist aufregender, aufreibender und kraftraubender als ein Gang selbst in 6000 und 7000 m Höhe durch tiefen Schnee.
Nach Tagen mühseligen Vorwärtsschreitens in lähmender Hitze und Feuchtigkeit — immer der Kompassnadel nach — ist unser schmaler Urwaldpfad vom Fluss weg am jenseitigen Berghang hinauf und über einen langen Höhenrücken vorgetrieben worden, bis eine mächtige Felswand uns den Weiterweg sperrt. Ein kleiner Sturzbach tost hernieder. Hier schlagen wir Lager II und ziehen die Bilanz der vergangenen Woche: 500 m pro Tag sind wir im Durchschnitt vorangekommen.
Zum Zweck der Neuorientierung wird nun mit grossem Vorteil auch hier wiederum unsere mitgeführte Harpune eingesetzt.
Bereits während meiner Expedition 1951 im RioVerdeGebiet an der• brasilianischen MatoGrossoGrenze im Rahmen einer bolivianischen Grenzkommission hatte ich mir oft und oft gewünscht, möglichst leicht hohe Urwaldbäume besteigen zu können, um den Weiterweg zu erkunden — oder Orchideen zu sammeln. Mit zwölfzackigen Steigeisen — wie sie sonst nur bei Eisklettereien zum Einsatz kommen — sowie mit Hilfe von Brust und Hüftschlingen bewältigte ich damals unter dem Gaudium vor allem meiner bolivianischen Expeditionsbegleiter in stundenlanger, schweisstreibender Arbeit derlei nicht „tourenberichtsfähige" Urwaldriesen.
Diesmal schossen wir einfach einen Stahlpfeil mit leichtem Kunststoffseil über eine Baumkrone hinweg, zogen daran eine Strickleiter mit Aluminium Holmen hoch und konnten von einem solchen Luginsland aus sehen, wie es weiterging.
Durch einen Gürtel von CecropiaStämmen muss die Felssperre umgangen werden. Palo SantoBäume schieben sich dazwischen. In ihrem Blütenzauber verraten sie mit nichts, dass ihre Hohlstämme die bevorzugten Wohnungen der Feuerameisen sind; derselben Ameisen, vor denen letzten Endes auch die Expedition 1950 schon kapitulieren musste. Indios behaupten sogar, die Inkas hätten den Palo Santo extra gepflanzt, um die heiligen Stätten vor dem Zugriff Unbefugter zu bewahren. Diese Deutung — so interessant sie im ersten Augenblick auch erscheinen mag — ist natürlich völlig abwegig, denn genauso wie bei uns in gemässigten europäischen Zonen bei entsprechenden Bodenverhältnissen und in gewissen Höhenlagen ganz bestimmte Bäume gedeihen, so ist das natürlich auch in subtropischen und tropischen Gegenden der Fall. Cecropia bzw. Palo SantoStämme gelten allerdings auch heute noch als die berüchtigten Folter und Todesbäume der Amazonas—Indianer, denn schon ein Dutzend Feuerameisen auf der Haut können jeden Menschen zur Raserei bringen. Manch einer, der unvorsichtigerweise einen solchen Ameisenwald betrat, weiss ein garstig Lied zu singen von dem feinen „Nieselregen" dieser winzigen Bestien, die sich wie brennende Tropfen auf ihre Opfer herniederrieseln lassen.
Nur an zwei Stellen brauchten wir bis jetzt MagnesiumFackeln sowie unser SwingfogNebelsprühgerät als Flammenwerfer anzuwenden, um Feuerameisen, Tucangiras und Wespen in ihren Baumwohnungen auszuräuchern.
Die mitgeführten Giftnebellösungen hatten keine Sofortwirkung. Die Tiere wurden durch die Qualmstösse nur noch rabiater.
Mit Flammenwerfer und Axt durchbrechen wir das „Ameisenbollwerk" an der schwächsten Stelle. Um knapp ein Dutzend Bäume niederzuringen und eine acht bis zehn Meter breite Gasse für unsere barfuss laufenden Träger als Nachschubweg zu bahnen, brauchen wir fast zwei Tage. Neben Emsen, die sich im Basislager beinahe überfallartig an der Verpflegung gütlich taten, die nicht hermetisch verschlossen wurde, hatten wir vor allem in den Lagern I und II unter der „Saubea" zu leiden, die vieles anfrass, in erster Linie aber verschwitzte Lederriemen von Rucksäcken, Stiefel und Kleidung. Interessant war in diesem Zusammenhang, dass Gegenstände aus dem neuen deutschen Kunststoff „PAN" von diesen Ameisen gemieden wurden.
Aus Zeitersparnisgründen befasste ich mich gar nicht lange mit dem Ausbau unseres Lagers II, sondern trieb nach Öffnen der Gasse im CecropiaGürtel mit einigen wenigen Macheteros den Sendero weiter gegen den „DreiPalmenPlatz" und ein geplantes Lager III vor. Rudi hatte inzwischen die Aufgabe übernommen, mit den übrigen Peones die restlichen Lasten vom Lager I nach II zu bringen. An dem Tag höre ich um die Mittagsstunde aus der Ferne drei Schüsse dicht hintereinander — und etwas später einen vierten Schuss. — „Aha", denke ich — und hoffe im stillen auf eine gute Jagdbeute meines Kameraden. Gegen Abend kommt er — noch ziemlich erregt unter dem Eindruck eines Schlangenabenteuers — auf meine Funksprechstelle oberhalb Lager II. Er musste — allein unterwegs — durch die Krone eines Baumes kriechen, den ein Gewittersturm in der vorhergehenden Nacht in unseren Sendero geworfen hatte.
Als der Freund nach Überwindung des Hindernisses — inmitten von dürren Ästen stehend — eine kleine Atempause einlegen will, sieht er vor sich zwischen den Knüppeln am Boden ein armdickes Etwas von fast derselben Farbe wie die Umgebung — nur mit dem Unterschied, dass es glänzende Schuppen hat und sich langsam vorwärts bewegt. Nach der ersten Schrecksekunde will Rudi einen Schritt zurückgehen, aber ein hochstehender Ast in der Kreuzgegend hindert ihn daran — und das ist sein Glück; denn als er mit der Hand nach dieser Rückensperre angeln will und dabei der Blick zufällig hinter seine Absätze auf den Boden fällt, sieht er auch hier armdick Schuppen glänzen. In jähem Entsetzen reisst mein Kamerad seinen Kolt vom Gürtel und schiesst blindlings dreimal hintereinander auf den dicken Schlangenleib vor sich. Jetzt kommt Leben in das Gewirr von Ästen und Laub um ihn herum — und eine vielleicht 4 m lange Schlange, in deren Ring er gestanden, wobei der Kopf unsichtbar geblieben, bewegt sich seitwärts in das Dickicht. Ein vierter Schuss kracht hinterher, trifft — und blitzartig verschwindet dieser unheimliche Wegelagerer im Urwalddunkel. Ob es eine Boa war oder eine Buschmeister — die gefährlichste Giftschlange dieser Wälder — das konnte Rudi nicht sagen. Eines aber nahmen wir uns vor, möglichst nicht mehr allein zu gehen und uns im Vorausgehen abzulösen, soweit das nur irgendwie durchführbar war; denn das Schlimmste in diesen Urwäldern sind meines Erachtens weder Schlangen noch Vogelspinnen, sind nicht der Jaguar und die stürzenden Bäume — eine der grössten Gefahren ist die schleichende Apa thie, jenes Wurschtigkeitsgefühl, das einen befällt durch die Einwirkung der alles lähmenden Hitze, der Feuchtigkeit und Schwüle und letzten Endes
durch die Überbeanspruchung der Nerven und der Körperkräfte.
EIN ZUFALL FÜHRT ZU DEN ERSTEN RUINEN
Auch ich hatte an diesem Tag ein Erlebnis gehabt — vielleicht das grösste und aufwühlendste meines ganzen bisherigen Expeditionsdaseins. Nicht mit Schlangen, denn an Begegnungen mit ihnen war ich langsam gewöhnt; es war die erste archäologische Entdeckung, die mich so erregte, dass ich die folgenden Tage und Nächte nicht mehr zur Ruhe kam. Zum erstenmal hatte an dem denkwürdigen Morgen die Sonne geschienen, als ich mit Arauko — unserem Capataz des ersten Vorstosses — und den fünf besten Macheteros — an der Spitze Eliseo Durän — über die feuchten Moos und HumusPolster der Steilwand, die aus der Schlucht des Lagers II gegen Norden führt, hinaufkletterte. Ein BambusDickicht, so verfilzt, wie ich es bisher noch nicht erlebt, überzog den nächsten Höhenrücken, über den wir hinweg mussten. Bis hierher hatten wir uns am Vortag schon durchgeschlagen, so dass wir den Sendero mit einigen MachetenHieben nur noch zu verbessern brauchten. Die wenigen Meter, die der hier etwas niedere Urwald den Blicken freigab, waren ausgefüllt von hellgrünen, üppigen BambusGeflechten, die spinnwebartig bis zu den Baumwipfeln emporkletterten. Hier mochten die grünen Baum und Peitschenschlangen hausen, aber der Lärm unserer Buschmesser hatte sie wohl vertrieben. Beim Durchkriechen stockfinsterer, tunnelartiger Lianengänge und beim plötzlichen Hinaustreten in das grelle Sonnenlicht haben wir keine einzige von ihnen bemerkt, obwohl wir das Gefühl nicht los wurden, dass links und rechts und über uns Gefahr lauerte.
Höher wurde nun der Urwald wieder, und die dichten Baumkronen liessen kaum noch Licht durchfluten. Trotz des Sonnentages schlichen wir in gespenstischer Dämmerung dahin, kletterten einen langen Hang hinab bis zu einer Schlucht, durch die kristallklares Wasser sprudelte. Unser Vorwärtskommen war nun etwas einfacher. Das fehlende Licht zwischen den hohen Bäumen liess keinen Unterholzwuchs aufkommen — und die Macheteros brauchten nur hie und da einzugreifen, um eine Liane zu beseitigen, oder an einem Baum eine Markierung anzubringen. Nach kurzer Rast geht's weiter immer stur nach Kompasszahl 305. Von neuem beginnt das Schlagen der Macheten, das Kriechen unter modernden Bäumen durch und das kraftraubende Klettern über federnde Moos und HumusPolster. Vormittags gegen 11 Uhr mag es wohl gewesen sein, als das Gelände flacher wurde und wir über einen beinahe ebenen Talboden schritten mit wundervollen hohen Bäumen, unter die sich zum erstenmal wieder lange, schlanke Stelzenpalmen mischten. Schiefer in grossen Platten oder in mächtigen Quadern — von Moos und Baumwurzeln überwuchert — trat bald da, bald dort zutage, ohne dass uns daran etwas Besonderes aufgefallen wäre. Auf dem leicht gewölbten Geländerücken, der mitten durch das Tal zog und ein kleines Rinnsal von einem Wildbach trennte, der unter einer mächtigen, vielleicht 60 Meter hohen Felswand dahinrauschte, hatte der Sturm einen Baum aus seiner Bodenverankerung losgerissen und umgelegt. Mit den Wurzeln und dem Erdreich, die wie eine Schutzwehr hochgewuchtet wurden, war der Untergrund freigelegt worden. Ein idealer Platz, um ein wenig zurückzubleiben und schnell mal Mammheimlich zu verschwinden. Doch daraus wurde nichts.
Freudiges Erschrecken stoppte jäh alle biologischen Notwendigkeiten.
Dort, wo der Baum einst gestanden, war eine sauber geschichtete Felsentreppe sichtbar geworden — eine Entdeckung, bei der ich in helle Aufregung geriet. Dreissig Meter weiter vorne in der Wildwasserschlucht hatten sich meine Leute zur wohlverdienten Rast niedergelassen. Beim Abstieg dorthin tritt die Fortsetzung der Treppe zutage, aber diesmal nicht in Form von aufeinander geschichteten Steinen, sondern die Stufen sind nunmehr tadellos sauber in den Naturfels gehauen und gut erhalten. Am gegenüberliegenden Ufer führt eine weitere in den Stein gemeisselte Stufenreihe nach oben, um sich unter dem Humus eines dicht bewaldeten Steilhanges erneut zu verlieren. Neben und über den Treppen, die hineinführen in die Schlucht und wieder heraus, starren an beiden Ufern überhängende Felsen waagerecht in die Luft wie die Bogenreste einer eingestürzten Brücke. Die Platten aber, die einmal darüber gelegen haben mochten, ragen unten aus Rollkies und Schwemmsand heraus.
Ist das Ganze in grauer Vorzeit wirklich einmal eine Brücke gewesen, von Menschenhand gebaut, oder handelt es sich dabei um eine Laune der Natur? Das sind die Fragen, die sich mir mit einem Male aufdrängen. Aber es ist zu offensichtlich! Hier schwang sich einmal von einem Ufer zum anderen eine Brücke — wie von ZyklopenHänden gebaut — und als sie eingestürzt war, da hat man daneben als Notübergang bei Niedrigwasser Treppen in den Fels geschlagen.
Wie lange mag es her sein, seit hier zum letzten Male Menschen über den Fluss gegangen? — Das sind die Gedanken, die mich bewegen, während drüben — einen Seilwurf entfernt — meine Begleiter in der wärmenden Sonne sitzen und ihre einfache Mahlzeit verzehren, die aus geröstetem YuccaMehl besteht, das — mit kaltem Wasser und braunem Zucker angerührt — eine nahrhafte Suppe ergibt.
Sie haben noch keine Ahnung von diesen Funden — und ich sage auch vorerst noch nichts.
Weiss ich denn überhaupt, ob diese armen Teufel nicht nur verlockt durch Bezahlung und gute Verpflegung mitgegangen sind? Werden sie das gleiche archäologische Interesse aufbringen, das meine Expeditionskameraden und mich beseelt, oder wird in ihnen nicht vielleicht bei den ersten Entdeckungen schon hemmungslose Gier nach Schatzgräberei wach, wie sie mancher Expedition und manchem Forscher zum Verhängnis wurde? — Aber noch sitzen sie gemütlich drüben — lachen und schmatzen und schaben sich die aufdringlichen Schweissbienen einfach mit der Machete vom Oberkörper, während wundervolle tropische Schmetterlinge über der Gruppe von Menschen gaukeln und überall dort naschen, wo etwas Zuckerbrei verschüttet wurde oder Harnflüssigkeit in Moos und Sand versickert ist.
Ober den Steilhang, der aus der Schlucht herausführt, und der die einzige Möglichkeit nach oben zu kommen bietet, schlagen wir uns höher. Zur Linken ist die senkrechte Felswand, unter der wir rasteten, zur Rechten eine weitere carionartige Schlucht, in die in freiem Sturz von etwa 30 m ein mächtiger Wasserfall herniederdonnert. An Wurzeln, die über die steilen, bewachsenen Felsen herunterhängen, und an Bäumen hangeln und stemmen wir uns hoch. Wir müssen dabei höllisch aufpassen, möglichst nur dort hinzufassen, wo der Griff und seine nähere Umgebung zu übersehen sind, denn überall kreuzen Tucangiras unsere Passage. Nur sehr langsam gewinnen wir an Höhe. Der Berghang und die Steilabfälle scheinen kein Ende nehmen zu wollen. Nach drei Stunden machen wir in einem flachen Rincon (Rinnsal), in dem sich des feuchten Untergrundes wegen gewaltige Stelzenpalmen zu mächtigen Bäumen entwickelt haben, erneut eine kleine Rast. Kurz zuvor hat mich eine Tucangira in den rechten Handballen gestochen, als ich im Ausrutschen schnell einen Ast ergreifen musste, ohne ihn vorher in Augenschein nehmen zu können.
Ich kratze feuchte Erde in mein Taschentuch und mache mir damit einen Notverband. Im übrigen heisst es, die Zähne zusammenbeissen, denn ich will mir vor meinen Begleitern nichts anmerken lassen; aber das fällt mir — ehrlich gesagt — unendlich schwer. Ich bin froh, dass die Zeit schon ziemlich vorgerückt ist und ich den Leuten sagen kann, dass wir nun umkehren müssten, wollten wir noch vor Einbruch der Tropennacht unser Lager II erreichen.
Hinunter geht's — denselben Steig, den wir geschlagen. Wieder passieren wir die Stelle am Fluss, an der ich die Treppen entdeckte. Ich lasse die anderen vorausgehen, geniesse mit stiller Freude meine Beobachtungen und kühle im übrigen meinen dick geschwollenen, brennenden Handballen mit frischem Wasser. Geschrei meiner Macheteros treibt mich wieder weiter. Mit dem Ruf „Monos, monos" kommt einer der Leute zu mir zurückgerannt und bittet mich, einige Affen zu schiessen, die oben in den Baumkronen unseren Sendero kreuzen. Da frisches Fleisch und überhaupt jagdbare Tiere in unserem Arbeitsgebiet — vielleicht wegen der Überzahl an Schlangen — äusserst rar waren, tat ich ihnen den Gefallen und schoss zwei Silvadores, wie diese Affenart genannt wird. Um die herabgestürzte Beute zu bergen, müssen wir uns etwa 20 m in das Dickicht hineinschlagen. Während meine Leute sich in kannibalischer Lust mit unseren gemordeten „Vorfahren" beschäftigen, bemerke ich wenige Meter neben der Absturzstelle der Tiere völlig vermooste und von Bäumen und Wurzeln umklammerte Grundmauern eines alten Bauwerks. Die Aufregung und Freude ob dieses neuen Fundes war bei mir bestimmt mindestens so gross wie die der Macheteros über den Affenfleischbraten — und mit einem Male kam mir zum Bewusstsein, dass dieses einsame Tal an den Ostabhängen des Cerro Paititi der Angelpunkt, wenn nicht gar das Zentrum jener sagenhaften Stadt gleichen Namens sein müsste.
Nun waren auch meine Begleiter auf die Ruinen aufmerksam geworden und halfen emsig mit, von der Mauer Erdreich und Wurzeln zu entfernen, soweit das mit unseren Instrumenten — einigen Macheten und meinem alten Eispickel, den ich aus treuer Anhänglichkeit mit in die Urwälder genommen hatte — möglich war. Der vorgerückten Stunde wegen liess ich die Arbeit für Boden gerammt, meinen Rucksack darangebunden und meinen aufgespannten Regenschirm schützend darübergehängt habe, treten wir im Eiltempo den Rückweg zum Lager II an mit dem Gedanken, am nächsten Tag unverzüglich zurückzukommen, um hier Lager III zu errichten. Leider war an diesem Abend — eines aufziehenden Gewitters wegen — keine Funksprechverbindung mit dem Basislager möglich, und so konnte ich mein begreifliches Mitteilungsbedürfnis nur noch dem Freund gegenüber stillen — bis er mir keine Antwort mehr gab und ich ebenfalls — todmüde von den langen Wegen und durch einmalige Erlebnisse — einschlief.
Mit Hilfe eines Wurfankers, der von einer Spezialvorrichtung abgeschossen wurde, gelang es in zweitägigem Bemühen, endlich eine Seilbrücke über die Schlucht des Rio Chinijo zu spannen.
DIE ERDE BEBT
Wir benützten in dieser Nacht zum erstenmal unsere neuen Hängemattenzelte aus leichtem Kunststoff, denn bei den beengten Platzverhältnissen auf der einzigen, wenige Quadratmeter grossen Fläche in der Schlucht mussten in erster Linie unsere Helfer einigermassen bequem im Schutz ihrer dachförmigen Zeltplane untergebracht werden. Die vorerwähnten schaukelnden Behausungen, deren Seitenwände ganz aus Moskitoschleiern bestehen, werden bei ungünstigem Gelände und in tropischen Urwaldgebieten einfach zwischen zwei Bäumen aufgehängt und sind gemäss der hier anzuwendenden Devise „weg vom Boden und damit vom Ungeziefer" geradezu ideal zu nennen. Weniger ideal allerdings war für mich persönlich, dass ich sowohl das überdach als auch den Seitenschutz im Basislager zurückgelassen hatte.
Beim ersten nächtlichen Gewitter — begleitet von sturzbachartigem Regen —trieb mir der Wind das Wasser von rechts her durchs Moskitonetz. Während sich Rudi am nächsten Morgen gut ausgeruht und trocken von seinem Lager erhob — denn er hatte vorsichtshalber überdach und Seitenwände mitgenommen — glich mein Nachtasyl mehr einer zwischen Himmel und Erde hängenden Badewanne, in der ich beinahe bis zur Brust im Wasser lag. Da die KlepperWerke für solch aussergewöhnlichen Verwendungszweck natürlich keinen Badewannenstöpsel vorgesehen hatten, verschaffte ich — durch einen Stich mit meinem Stilett in die tiefste Stelle der Ausbuchtung unter meinem Sitzfleisch — den Wasserfluten freien Ablauf. Das langanhaltende, laute Plätschern und das schallende Gelächter meiner Macheteros, die etwa 10 Meter rechts von mir hangabwärts in der Talsohle genächtigt hatten, brachten mir zum Bewusstsein, dass man bei mir anscheinend ein Blasenleiden vermutete.
Der „Spähtrupp in die Vergangenheit der Inka?' auf dem Vormarsch durch den Urwald mit dem Flammenwerfer als „Geheimwaffe" gegen die Feuerameisen.
Die fröhliche Stimmung trotz dieses trüben, regnerischen Morgens wurde jäh zerstört durch aufgeregtes Schreien meiner Leute. „Terremoto!" Terremoto!" — „Die Erde bebt! Die Erde bebt!" wiederholen sie immer wieder und raffen aufgeregt ihre Habseligkeiten zusammen. Rudi und ich haben in unseren Hängematten durch die dämpfende Wirkung der Seilverspannungen kaum einen Stoss verspürt im Gegensatz zu den Männern unter dem Zeltdach, die direkt auf dem blanken Boden lagen. Trotz aller Überredungskunst gelingt es weder unserem Capataz Arauko noch meinem Freund und mir, unsere Helfer an einer überstürzten Flucht zu hindern. Ohne Gruss und Dank ziehen sie — wie von einer unheimlichen, dämonischen Macht getrieben — von dannen.
Neben dem Capataz waren wenigstens Durän und der kleine Primitivo geblieben, und so vereinbare ich mit Rudi, dass er mit ihnen die ersten Lasten nach Lager III bringen soll, während ich den Ausreissern nacheile, um sie vielleicht doch noch zurückzuholen, zumindest aber daran zu hindern, bei den Frauen im Basislager, mit denen wir ja keine Funkverbindung mehr hatten, Panikmeldungen zu verbreiten. Aber so sehr ich mich beeile, die Stunde Vorsprung, welche die Brüder haben, ist nicht einzuholen, und beim Flussübergang haben sie dämlicherweise den Sitz unseres Lifts am jenseitigen Ufer festgebunden, so dass ich ihn nicht benützen kann. Ich habe nur die Wahl, entweder durch den reissenden Fluss zu schwimmen, oder — amTragseil pendelnd — Hand über Hand 40 Meter hinüberzuhangeln. Ich entscheide mich für letzteres — lasse aber vorsichtshalber meinen Karabiner mit der Selbstsicherung einschnappen. Wenn man die lange Wegstrecke vom Lager II zurück zum Rio Chinijo — noch dazu in der Rekordzeit von viereinhalb Stunden — in den müden Knochen hat, dann fällt einem der Aufstieg mit 600 m Höhenunterschied bis zum Basislager unendlich schwer. Aber nach eineinhalb Stunden liegt auch dieser Steig hinter mir, und ziemlich abgekämpft und hungrig falle ich in Incapampa ein. Man hat dort keine Ahnung von den Vorkommnissen im Lager II, denn die Ausreisser waren unterhalb des Basislagers durchgeschlichen, ohne sich zu melden. Als ich später unsere drei getreuen Helfer fragte, warum sie nicht auch so wie die anderen getürmt seien, und ob sie denn keine Angst hätten, mit uns weiterzuarbeiten, erklärten sie mir, sie seien keine Hochlandindianer, sondern kämen aus dem Tiefland von den Stämmen der Chamas und Sirionos, und für sie seien die InkaGötter nicht zuständig. Diese Worte, die sie so gelassen aussprachen, waren für uns ein Fingerzeig, später nur noch Leute aus den tiefer gelegenen Urwaldregionen zu verpflichten — Männer also, die nicht so sehr von Aberglauben und Götterrache angekränkelt waren.
Auch im Basislager war in den letzten Tagen und vor allem in der vorhergehenden Nacht nicht alles wunschgemäss verlaufen — und unsere weiblichen Expeditionsmitglieder mussten eine Feuer und Wassertaufe über sich ergehen lassen, wie sie nicht alle Jahre vorkommt.
In weiser Voraussicht hatten sie beim Herannahen des Gewittersturms noch rechtzeitig den Antennenmast umgelegt, daher die Unterbrechung der Funksprechverbindung. Keine 50 Meter von den Zelten entfernt hatte der Hurrican zwei riesige Bäume entwurzelt, und zu allem Überfluss hatte auch noch ein Blitz dicht neben dem Lager eingeschlagen und dabei einen AluminiumHäring zum Schmelzen gebracht, der die Verspannung eines kleinen Sonnendaches hielt, unter dem wir vor einigen Tagen noch unseren Betriebsstoff für den Flammenwerfer und die Alkoholrationen für die Macheteros deponiert hatten. Nicht auszudenken, wenn der immerhin beinahe 100 Liter umfassende Spritvorrat explodiert wäre.
Auch in Huaricunca — dem nächsten Dorf auf dem Weg nach Mapiri —hatte der Sturm verheerend gehaust und zwei Hütten zerstört, wie wir aus der Meldung einer Frau erfuhren, die ihren bei der Expedition verpflichteten Mann zurückforderte. Eine Beurlaubung desselben war jedoch nicht mehr nötig, da er zu der Gruppe von Deserteuren gehörte, die am Morgen das Weite gesucht. Hatte er vielleicht eine Vorahnung gehabt von dem Unheil, das seine Heimstätte getroffen — und waren bei den anderen vielleicht ähn liche Motive die Triebfeder ihres Handelns? Bei unverbildeten Naturmenschen kann man oft die rätselhaftesten Dinge erleben, und telepathisches Sehvermögen ist in dieser Gegend — ähnlich wie in Tibet — nicht selten.
Hervorragend bewährt haben sich bei diesem Unwetter, von dem wir in der schützenden Schlucht des Lagers II überhaupt nichts merkten, unsere gut verankerten und windschlüpfigen KlepperZelte. Wenn ich jedoch unserer drei weiblichen Expeditonskameraden gedenke, die in ihnen jene Sturmnacht unter Blitz und Donner verbrachten, ohne dabei etwas Besonderes zu finden, so kann ich ihnen meine Anerkennung nicht versagen — selbst wenn mir meine Tochter Heidi später berichtete, dass sie sich beim ersten Blitz und Donnerschlag einfach den Schlafsack über den Kopf zog, um ihn erst wieder zurückzuschlagen, als das letzte Rollen in der Ferne verklungen war.
Sitzt man erst einmal im Basislager als "Hahn im Korbe", betreut und bekocht von drei weiblichen Wesen, so fällt es einem schwer, sich wieder loszureissen und erneut in die Wildnis zu ziehen. Aber drüben in dem grossen Urwaldkessel wartet eine Aufgabe — und diese lockt, trotz der "Sirenenklänge" hier, mächtiger denn je.
HOLZARBEIT TROTZ REGENZEIT
Glücklicherweise hatte ich vier Ersatzleute verpflichten können, mit denen ich nach zweitägigem Aufenthalt losziehe.
Frau Moeller und meine Tochter Monika geben mir das Geleit bis zum Lager I am Rio Chinijo, denn dort war ja ihr Hauptbetätigungsfeld für die Schmetterlingsjagd; ausserdem waren sie froh, für ein paar Stunden dem Basislager mit seiner MarihuisPlage entfliehen zu können. Diese Marihuis sind winzig kleine Fliegen, die selbst durch die Maschen unserer Gesichtsschleier kriechen und nach dem Stich heftig juckende Wunden mit Blutbläschen hinterlassen, welche leicht zu Eiterungen führen können. In der kühlen Schlucht des Rio Chinijo blieben wir eigenartigerweise — wenigstens um diese Jahreszeit — von solchen Stechfliegen verschont.
Bei unserem Sessellift angelangt, musste ich alle Überredungskunst aufbieten, weil zwei der neu angeworbenen Träger der Sache nicht recht trauten. Erst als Frau Burgl und meine Tochter Monika zur Aufmunterung in den Seilen ans jenseitige Ufer und wieder zurück fuhren, wollten sich die Männer von unseren behosten Damen nicht beschämen lassen und folgten ihrem Beispiel. Sicherheitshalber aber schnürten wir jeden der beiden Helden für die Fahrt hinüber noch extra in den Sitz.
Ein schallender Abschiedsjodler hinunter in die Schlucht, ein freundliches Winken mit den Schmetterlingsnetzen von drüben — dann bin ich wieder allein für viele Stunden.
Meine vier Träger können mit ihren schweren Lasten nur langsam vorwärts kommen, während ich nur mein Gewehr — und im Rucksack das Allernotwendigste — mitführe. Am Ende der ersten Spitzkehre oberhalb des Flusses springt aus der Felswand in hohem Bogen ein daumendicker Strahl frischen Wassers. Hier wird die leichte KunststoffFeldflasche gefüllt, denn bis die nächste Quelle erreicht ist, vergehen Stunden.
Die vielen Windungen hinauf zum Höhenrücken und aus der Flussschlucht heraus sind schon ein richtiger Trampelpfad geworden — und ich überlege mir, ob wir nicht eines Tages vielleicht kleine Mulas einsetzen könnten. Voraussetzung dafür wäre allerdings, sie über den Fluss zu bringen — und dann müssten noch viele Bäume durchschlagen werden, die quer über dem Weg liegen.
Wenn die Höhe einmal gewonnen ist, geht es auf dem Rücken fast eben dahin, so dass man eine schnellere Gangart einschalten könnte, wenn man nicht so verdammt aufpassen müsste. Fast mechanisch und im Zeitlupentempo schreite ich vorwärts; der Blick sucht gleichzeitig den Boden, das Buschwerk links und rechts — und die tiefhängenden Äste und Bambusstauden in der Höhe abzutasten.
Bevor ich durch die BambusTunnels schlüpfe oder über Baumstämme klettere, klopfe ich zuerst mit einem Stock die Hindernisse vor mir ab. So ein elastischer, starker Stock ist geradezu unentbehrlich beim Gang durch diese Wälder, und er bildet neben der Machete die beste Waffe gegen Schlangen. Zweimal an diesem Tag bin ich solchen begegnet; es waren eine Yararaca und eine Yoperohobobo, die sich auf Baumtrümmern gesonnt hatten. Bei meinem Näherkommen zogen sie es jedoch vor, ohne Eile zu verschwinden.
Nach sechs Stunden erreiche ich Lager II, das heisst den Platz dieses Lagers, denn die Einrichtung desselben ist bereits nach vorne ins Lager III transportiert worden — und ich sehe zu meiner Freude, dass Rudi in den zwei Tagen meiner Abwesenheit ganze Arbeit geleistet hat. Neben der alten Kochstelle liegt noch etwas trockenes Holz — und bald kann ich an einem flackernden Feuerchen meine verschwitzten Kleider trocknen. Zu allem Überfluss finde ich auch noch eine dicke YuccaWurzel und zwei grüne Bananen, die — in der Asche gebraten — das ausgefallene Mittagessen ersetzen müssen. Obwohl ich über eine Stunde gerastet habe, kommen meine Träger nicht nach. Ich markiere ihnen noch den Weg über den Bach und ziehe dann weiter gegen Lager III, das ich zwei Stunden später erreiche. Der Platz ist kaum mehr wiederzuerkennen, nachdem mein Kamerad mit seinen Leuten eine ganz anständige Lichtung in diese Urwaldmauer geschlagen hat. »Es war einfach nicht auszuhalten hier vor Hitze und vor Tabanos. Wir mussten etwas Luft hereinlassen auf unseren Lagerplatz", erklärt mir Rudi.
Diese Tabanos — Fliegen von der Grösse und dem Aussehen einer Hummel und mit einem Stechrüssel von über 1 cm — sahen und spürten wir hier zum erstenmal, und selbst auf meinen früheren Expeditionen im Oriente Boliviano habe ich nur die gewöhnliche Tabano, eine unserer Rinderbremse ähnliche Stechfliege, kennengelernt. Wie Düsenjäger umschwirrten uns Dutzende von diesen Blutsaugern, so dass wir vorzeitig in unseren Hängemattenzelten verschwanden, um Ruhe vor ihnen zu haben. Aber auch hier versuchten sie noch, ihr Opfer zu erreichen, und es war geradezu komisch anzusehen, wenn sie den langen Rüsselstachel durchs Moskitonetz schoben, um nach einer unbedeckten Körperstelle zu angeln. Die beiden Stunden nach Sonnenaufgang und vor Sonnenuntergang hiessen bei uns „die Stunden der Tabanos" —und wer sich's leisten konnte, der blieb um diese Zeit geschützt hinter dem Moskitero und ergötzte sich damit, den blutgierigen Bestien mit den Fingernägeln die Rüsselstachel abzukneifen, die sie durchs Moskitonetz bohrten. Mit Einbruch der Nacht verschwand immer das laute und rohe Brummen der Tabanos — und nur das feine Summen der Moskitos blieb.
Die erste Nacht im Lager III habe ich kaum ein Auge zugetan. Ein Gewitter war losgebrochen; Regenschauer wurden vom Sturm über die Urwälder hinweggepeitscht — und die Intervalle zwischen grellen Blitzen und nachtschwarzer Finsternis waren beinahe gleich lang. Obwohl sich in dieser Nacht unsere Hängemattenzelte tadellos bewährten, fror ich ganz empfindlich, da ich mich mit meinen durchgeschwitzten Kleidern hatte schlafen legen müssen. Nur drei von meinen vier Trägern hatten am Abend — kurz vor Beginn des Gewitters — noch das Lager erreicht, während der vierte, der ausgerechnet meine ReserveWäsche trug, angeblich im Lager II zurückgeblieben war, um dort unter dem kleinen Palmblattdach zu nächtigen, das die alte Feuerstelle vor Regen schützte. Am Morgen jedoch stellte sich heraus, dass er keine 200 m von unserem Lager III entfernt mitten im Urwald unter einer der rindenartigen, langen, zähen Hüllen geschlafen, die bei Sturm von den Blüten und Fruchtständen der Stelzenpalmen herabgerissen werden.
Es giesst immer noch — den ganzen Tag, die darauffolgende Nacht und auch noch den nächsten Tag — mit nur kurzen Unterbrechungen. Die Regenzeit ist in vollem Gang — und wir müssen dankbar sein für die kleinsten Aufhellungen und Pausen. Trotzdem geht die Arbeit weiter. Die Lagerschneise wird verlängert und erweitert — und der ganze Tag ist erfüllt von dem dumpfen Schlag unserer einzigen Axt, dem hellen Klingen der Macheten und dem lauten Krachen stürzender UrwaldGiganten. Die Leute haben eine besondere Technik, um möglichst schnell freie Flächen zu schaffen, und kennen weder Säge noch Keil. Sie schlagen die kleineren Bäume in Fallrichtung eines Urwaldriesen mit den Buschmessern nur an; den Rest besorgt dann der mit der Axt geschlagene, stürzende grosse Bruder. Auf diese Weise machen sie auch ihre Chacos — wie diese Urwaldlichtungen in ihren Heimatgegenden genannt werden — auf denen sie dann Bananen, Yucca und Mais pflanzen.
Bei aller Bewunderung für die Meisterschaft dieser Leute in ihrem zähen Kampf gegen den Urwald — mir gab es immer einen Stich, wenn so ein MammutBaum, der jahrzehntelang auf seinem Platz gewachsen, zu Boden musste; wenn die Axt an seinem Sockel immer tiefer eindrang und ein Zittern den Stamm durchlief bis hinauf in die letzten, feinen Blattrispen; wenn er wie ein lebendes Wesen versuchte, sich an kleineren Nachbarbäumen und armdicken LianenVerankerungen festzuklammern, von denen eine nach der anderen nachgab und riss; wenn er anfing, zu wanken und zu schwanken; wenn er sich ächzend zur Seite neigte, bis der Sturz unabänderlich und nicht mehr aufzuhalten war, und er — ein gefällter Riese — einem Urwelteinbruch gleich, hineinschlug in die grüne Unendlichkeit.
Weitere Entdeckungen
In zwei Tagen haben wir trotz Regen auf dem flachen Rücken, der sich wie eine Zunge ins Tal hineinschiebt, auf ungefähr 250 m Länge und 50 m Breite ausgeholzt — bis auf ein paar schlanke Stelzenpalmen und eine mächtige Würgerfeige, die wir als Schattenspender und des Landschaftsbildes wegen stehen liessen. Dabei wurde die vor Tagen gefundene Grundmauer eines alten Bauwerks ebenfalls freigelegt und — soweit es möglich war —auch der Boden innerhalb des Gevierts und aussen herum untersucht. Da uns jedoch alle Grabwerkzeuge fehlten, mussten wir uns auf wenige handtiefe Stichproben beschränken, die nur etwas Holzkohle zutage förderten, die ebensogut von Bäumen herrühren konnte, die von einem Blitzstrahl gefällt und verbrannt worden sind.
Links und rechts des Lomos — wie die Eingeborenen diesen Höhenrücken nannten — entdeckten wir weitere Mauerwerke, die sich wie DammschutzBauten in den Hängen zu beiden Seiten verloren.
Tropfnass suchten wir immer wieder unsere ZeltplanenDächer auf, um von Zeit zu Zeit die Kleider am Feuer zu trocknen — und es wird mir wohl immer ein Rätsel bleiben, wie unsere Macheteros es fertig brachten, aus diesen regentriefenden Wäldern brennbares Feuerholz herbeizuzaubern. Wir hatten schon Schwierigkeiten, bei dieser Luftfeuchtigkeit von 9095°/o unseren EsbitHartspiritus gebrauchsfähig zu erhalten. Langsam kroch die Nässe überall hinein, und wenn wir nicht im Besitz absolut wasserdichter KunststoffBeutel und hermetisch verschliessbarer AluminiumBehälter gewesen wären, so hätten Armeen von Schimmelpilzen in unseren Kleidern, im Proviant und auf unserem empfindlichen FarbfilmMaterial Orgien feiern können. Trotz allem bangte ich um meine wertvollen Streifen, deren Emulsionen bei dieser feuchten Wärme den idealen Nährboden für BakterienKulturen abgaben. Wenn man nicht jeden Abend die exponierten Filme aus Kamera und Kassette nahm, so waren sie bereits am nächsten Morgen verklebt und damit vernichtet. KieselgelSäckchen oder kleine Beutel mit trockenem Reis — beide haben die Eigenschaft, der mit ihnen zusammengepackten Filmrolle die Feuchtigkeit zu entziehen — waren die einzige Möglichkeit, meine wertvollen Farbfilmaufnahmen vor dem Verderben zu bewahren.
Auch in der dritten Nacht hielt der sintflutartige Regen noch an — und ich hatte bereits die Hoffnung aufgegeben, von unserem Lager III aus in der alten Marschrichtung zum „DreiPalmenPlatz" vorzustossen. Da lösten sich die Nebel am nächsten Morgen auf — und prachtvoll, einer Erlösung gleich, stieg die Sonne über dem Tal und der von uns geschlagenen Schneise herauf.
Um die durch die Regentage verlorene Zeit einigermassen einzuholen, teile ich meine „Streitmacht" in drei Gruppen ein. Rudi zieht mit Durän und Primitivo los, um den vor Tagen begonnenen Sendero endgültig bis zu den drei Palmen vorzutreiben.
Arauko erhält den Auftrag, die Umgebung des Lagers, das heisst den etwa 800 m breiten und 2 Kilometer langen Talkessel, mit einem Netz von MachetenPfaden zu durchziehen, während ich mit den letzten drei Leuten talabwärts pilgere, um einen InkaSteig zu verfolgen, der sich in dieser Richtung verliert.
Lager II mit den Hängemattenzelten als Schutz vor Bodenungeziefer
Wir passieren — immer dem Bachbett entlang — den festungsartigen Hügel inmitten des Tals und stossen nach etwa 300 m auf einen zweiten, etwas kleineren „BurgBerg". In der engen Schlucht an seiner Basis erkennen wir wieder deutlich ausgeprägte Treppen, und dicht daneben finden wir eine Brücke, mit Platten gebaut, von der jedoch ein Teil in den Bach hinabgestürzt ist.
Beim Queren unter einer Felswand durch hat einer meiner Macheteros ein kleines Bäumchen gekappt, das die letzte Stütze bildete für einen abgestorbenen, morschen Baum. Krachend schmettert das vermoderte Ungetüm zu Boden, reisst im Stürzen einen Machetero mit — ein Aufschrei, und Mann und Stamm rollen, sich mehrmals überschlagend, hinunter in die Schlucht. Das Ganze war nur ein Werk von wenigen Sekunden — und ich habe keine Hoffnung, den Machetero noch lebend vorzufinden. Derjenige, der das Unheil verursacht, ohne die Folgen zu ahnen, rennt — laut klagend — hinterher, denn der Verunglückte war sein eigener Vater.
Fast drei Wochen schon waren wir in den Wäldern unterwegs gewesen, da stiessen wir im hintersten Winkel des Tales von Paititi auf die ersten Ruinen — völlig vom Urwald überwuchert, trotzdem tadellos zu erkennen — Stein auf Stein, einst von Menschenhand erbaut.
Die erste freudige Erfolgsmeldung geht über Funkspruchgerät hinaus zu den Damen ins Basislager Incapampa.
Der Alte aber — bis auf die Haut durchnässt — kriecht stöhnend unten zwi schen den Felsen heraus—und mir fällt beinahe hörbar ein Stein vom Herzen, obwohl der Mann sein Gesäss mit der rechten Hand stützt und über sein Gesicht aus mehreren Wunden Blut herabläuft. Trotz des Sturzes hat der Mann seinen CocaKnollen eisern im Mund behalten — und er spuckt ihn nur ungern in seine Hand, um ihn später wieder verwenden zu können, als ich ihm ein Remedio (eine Medizin) in Form eines Stückes Traubenzucker zwischen seine Zahnlücken schiebe. Die Leute — und vor allem der Verunglückte, der sich wehleidiger gibt, als es bei den leichten Prellungen und Hautabschürfungen nötig gewesen wäre, sind ausserordentlich dankbar für meine Anteilnahme. Wie ich dem Alten aber zu allem Überfluss das Gesicht mit Hansaplast verpflastere, dass er aussieht wie ein CorpsStudent nach einer Mensur, da huscht ein geradezu stolzes Lächeln über seine blutverkrustete Visage — im Vorgefühl, am abendlichen Lagerfeuer Mittelpunkt der ganzen Expedition und Held des Tages zu sein. Nachdem wir noch im Wasser seine Machete gefunden, heisse ich ihn — zusammen mit seinem Sohn — zurück ins Campamento gehen, während ich mit meinem einzigen Mann auf den zweiten „BurgBerg" steige.
Am späten Nachmittag trifft eine Gruppe nach der anderen im Lager ein. Arauko berichtet von Felsplatten und umgestürzten, grossen Steinen, die überall verstreut im Walde liegen — und dass sie beim Hochlupfen einer Platte zwei Schlangen erschlagen hätten. Gegen Abend erst kommt Rudi zurück mit seinen Begleitern. Er bringt ebenfalls eine tote Schlange mit und erzählt, dass diese in einer Astgabel fest geschlafen hätte, unter der sie durchschlüpfen mussten. Da die Leute eine schlafende Schlange aus Aberglauben nicht töten, liessen sie sie weiter ruhen. Beim Rückweg jedoch war das Tier inzwischen wach geworden und machte Miene zu attackieren. Rudi erledigte die Schlange mit einem sauberen Kopfschuss seines 32er Kolts und brachte mir diesen Beweis seiner Schiesskunst mit ins Lager. Aber auch sonst packte er interessante Nachrichten aus, so dass ich am liebsten noch in der Nacht mit einer Laterne losgezogen wäre.
Der Marsch hinauf zu unserem alten Fernglasziel mit den drei Palmen hatte zwar keinerlei neue Sensationen ergeben, denn der vermeintliche Monolith war lediglich eine vom Blitz getroffene vierte Palme, die ihre langen, vergilbten Blätter den Stamm entlang hängen liess.
Aber keine 200 m von unserem Lager entfernt, dort, wo die Stufen bei der eingestürzten PlattenBrücke aus der Schlucht herausführen, war Durän beim Aufstieg am Morgen — eine Seillänge oberhalb zwischen Moos und Wurzelteppich und dem darunter liegenden steilen Fels — durchgebrochen und mehrere Meter hinuntergerutscht.
Als er sich mit Hilfe von Rudi und Primitivo heraufgearbeitet hatte und man die Einbruchsstelle genauer in Augenschein nahm, entdeckte man erneut tadellos erhaltenes Mauerwerk und in den Fels gehauene Stufen. Nachdem sie mit den Macheten mehrere Quadratmeter des Humusteppichs losgelöst hatten, stellten sie fest, dass die Treppe auf eine Plattform führte, die wiederum in einem Gewirr von Lianen, Laub und Moos untertauchte. Um das Tagesziel zu erreichen, beschäftigten sie sich nicht weiter mit der neuen Entdeckung — dafür beschäftigte ich mich um so mehr damit in dieser Nacht.
SONNENKULTSTÄTTE UNTER WURZELTEPPICHEN
Schon im Morgengrauen treibe ich meine Mannschaft heraus — und trotz eines leichten Nieselregens erreichen wir nach einer halben Stunde die Stelle, der nun unser ganzes Interesse gilt.
Systematisch fällen wir Baum um Baum — und je mehr von ihnen in die Tiefe stürzen, desto steiler wächst der Hang empor.
Vier Schlangen haben an diesem Morgen — durch den Lärm aufgeschreckt —ihre Verstecke verlassen und das Weite gesucht; die fünfte — eine lange, dünne, beinahe einfarbig schwarze — die wie ein Pfeil vielleicht 10 cm an meinem linken, gamaschenbewehrten Fuss vorbeischoss, als ich mit dem Eispickel eine Platte reinigte, erledigt Arauko mit seiner Machete.
Bis zur Wasserfallschlucht erstreckt sich nun schon unsere Lichtung — und grossartig ist jetzt der freie Blick auf die stürzenden Wassermassen, in welche die immer stärker werdende Nebelsonne sämtliche Farben des Spektrums zaubert.
Mit unserem Eispickel, mit der Axt, den paar Macheten und mit langen Stangen lösen wir dann von oben her den HumusBelag und rollen ihn wie einen Teppich zu mächtigen Walzen, bis diese — von den letzten WurzelVerankerungen losgeschlagen — unter der Zentnerschwere ihrer eigenen Last in die Tiefe stürzen. Wir spüren bei dieser Arbeit weder Hunger noch Durst noch Hitze — und selbst die Macheteros, die ich der Absturzgefahr wegen angeseilt habe, arbeiten, als gälte es, heute noch den Schatz zu bergen.
Als die Dämmerung hereinbricht, haben wir den oberen Teil eines uralten Heiligtums mit pyramidenförmig über mehrere Terrassen führenden Doppeltreppen freigelegt.
Todmüde fallen wir an diesem Abend auf unser Lager, und dennoch kann ich keinen Schlaf finden. Der Gedanke, als erster Mensch nach vielleicht Tausenden von Jahren wieder vor den Zeugen einer untergegangenen Kultur zu stehen, ist zu aufwühlend, als dass er einen zur wohlverdienten Ruhe kommen liesse.
Nächtliches Dunkel liegt noch über dem Urwald und unserem Lager, als ich mich fortstehle, ganz vorsichtig — und ohne Lärm zu machen. Hinter dem zitternden Lichtkegel meiner Taschenlampe taste ich mich den Sendero entlang, der hinüberführt zur Schlucht.
Unheimlich, ja geradezu feindlich hängt der Urwald in der Finsternis über mir. Bei der Schlucht angelangt, krieche ich auf allen Vieren über die nassen, glatten Steine, die im Wasser liegen und den übergang vermitteln. Leichter geht's drüben die freigelegten und gereinigten Treppen empor —und während ich über die umgeschlagenen Stämme den Steilhang hinaufklettere, weicht allmählich das Dunkel einem neuen Tag. — Endlich sitze ich oben auf der kleinen Terrasse, dem höchsten Punkt des am Vortag entdeckten „InkaHeiligtums", und hänge meinen Gedanken nach.
Der Talausschnitt mir gegenüber, in den sich die scharfe Silhouette des nächsten Hügels schiebt, ist nun wie in Gold getaucht.
Zu meiner Linken rauscht der Wasserfall dieselbe Melodie wie vor Jahrtausenden, und stäubender Gischt — vom Morgenwind in feinste Schleier zerteilt — sprüht bis zu mir herüber. Um diese Stunde mag es gewesen sein, dass InkaPriester zu beiden Seiten der Steilwand die Treppen hochstiegen —hinüberschritten zum Wasserfall und ihre heiligen Waschungen verrichteten, bevor sie sich auf die höchste Terrasse begaben, dem Volk am Fusse des Hügels zu künden, dass der Sonnengott auferstanden sei über dem Tal und der Welt, um von neuem Wärme und Leben zu spenden.
diese Steine sprechen könnten, dann hätten sie mir in diesem Augenblick auch nicht mehr zu sagen als das, was ich mit eigenen Augen sah. Eine Bestätigung dessen, was mir auch meine archäologischen Betreuer die vielleicht besten. Kenner der AndenKulturen — Herr Friedrich Buck und seine Lebensgefährtin Frau Alice, La Paz/Bolivien, mit auf den Weg gaben: in Paititi nicht ein inkaisches Troja zu vermuten, also keine STADT im eigentlichen Sinn, sondern auf Funde und Zusammenhänge zu achten, die auf eine alte KULT STÄTTE hinweisen.
Es war der 23.Dezember — ein bedeutsamer Tag im Kalender der Mayas wie der Inkas und —nun auch für mich. Die Sonne war hochgestiegen—wie eine rote Scheibe — genau hinter der höchsten Spitze der fern am Horizont liegenden Cerrania von San Carlos. Mein Blick flog hinaus zu ihr — von der obersten Treppenterrasse über zwei Hügelpyramiden hinweg, die in der Mitte des Tales vor mir aufragten. Dahinter aber — wie die Kimme auf einem Gewehrlauf —die Urwaldhänge über der Schlucht des Rio Santa Ana, und in der Ferne — präzis im Zentrum — das Korn mit dem nun aufgesetzten Ziel — der Sonnenscheibe. Lag in einer solchen Sonnenvisierlinie und der Möglichkeit einer astronomischen Ortung in grauer Vorzeit schon der eigentliche Ursprung von Paititi als heiliger Stätte eines Sonnenkults?
Das sind die Gedanken, die sich mir an diesem Morgen aufdrängen, als der erste Sonnenstrahl — über die beiden Hügel hinwegflutend — das Sanktuario vergoldete.
Es war kein Zweifel mehr, dass ich im Herzen von „PaiTiti" — dem Tal der „ZweiHügel" — stand, jenem Paititi, von dem die Chronisten zur Zeit Pizarros berichten, dass um die christlichen Weihnachtstage Indios aus dem Hochland über die Eisgebirge hinweg dorthin zögen zu einer Wallfahrt, und was sie an Schmuck und Kultgegenständen von solchen Reisen mitzurückbrächten, hätte die Habgier der spanischen Besatzung nur aufs neue entfacht. Trotz aller Foltern und Drohungen aber habe keiner dieser Pilger je den heiligen Ort verraten.
Schema der beiden astronomisch ausgerichteten Hügel im PaititiTal (Tulani) mit Ortungslinie zwischen Beobachtungspunkt „A" auf der obersten Terrasse der Felsentreppe und dem Sonnenaufgangspunkt „B" über der höchsten Erhebung einer ca.10 Kilometer entfernt liegenden Bergkette. Die Buchstaben „C" und „D" bezeichnen die „Kimme", welche durch die BerghangProfile am Talausgang von Paititi gegen den Zusammenfluss von Rio Chinijo und Rio Santa Ana hin gebildet wird. (Gezeichnet nach dem Sonnenstand vom 23.12.1954.
SELTENE GEBURTSTAGSGABEN FÜR EIN MÄDCHEN
Zum Frühstück haben wir unsere letzte Verpflegung verzehrt — einige Handvoll Reis und etwas Zucker — und dennoch arbeiten wir wie die Holzknechte auf der oberen Plattform des dem „Heiligtum" gegenüber liegenden „FestungsHügels", um freie Sicht für meine TeleObjektive zu bekommen. Nach den letzten Aufnahmen, die ich dann von dort aus mache, verlassen wir das Lager. Wir nehmen nur das Nötigste mit, denn ich will unter allen Umständen in wenigen Tagen hierher zurückkehren. Unsere Träger sind längst voraus. Rudi und ich hetzen trotz der Hitze im Eiltempo hinterher. Als wir unter einem Baumstamm durchkriechen, finden wir eine tote Yararaca am Boden, die Durän erschlagen hat. In einer Stunde bewältigen wir heute den Weg bis zum Lager II. Nach kurzer Rast traben wir weiter —leichten Herzens und unbeschwert von gewichtigen Lasten — über federnde Moospolster und abgeschlagene Äste hinweg, beflügelt von der Freude, ein Ziel erreicht zu haben, nach dem andere vergeblich gesucht. Um zwei Uhr nachmittags kommen wir auf den langgezogenen Höhenrücken direkt Incapampa gegenüber — aber noch gute vier Stunden entfernt und getrennt von ihm durch die tiefe Schlucht des Rio Chinijo. Dort holen wir auch unsere rastenden Träger ein, die als Marschverpflegung den letzten Saft aus ihren CocaBlättern kauen, während Rudi und ich unsere einzige Tafel OvoSport und zwei TraubenzuckerTabletten redlich teilen.
Wenn wir von dieser Stelle aus zum ersten Mal wieder in der Ferne die hellen, freundlichen Zelte des Basislagers durch die Bäume blinken sahen, dann war das jedesmal, als würden wir einen Blick in die Heimat tun. Unser Pistolensignal wird drüben mit der gleichen Anzahl von Schüssen beantwortet — und ein mächtiges Rauchzeichen findet in Incapampa ebenfalls Erwiderung.
Zwei Stunden später treffen wir unten am Rio Chinijo mit Burgl zusammen, die uns mit Tee und frisch gebackenen Kartoffelpuffern entgegengekommen war. Meine beiden Töchter waren oben im Lager geblieben, um sich mit der Zubereitung eines HeimkehrerFestschmauses zu befassen. Beim Aufstieg über die steilen Kehren, die aus der Schlucht heraus und hinauf nach Incapampa führen, gibt es viel zu erzählen — und immer wieder bleiben wir stehen, um die Ereignisse der letzten Tage bis in die kleinsten Details zu schildern.
Damit sie das Steigtempo angeben kann, lasse ich Frau Moeller vorausgehen. Vor einer kleinen Steilstufe, an der wir wieder einmal zu einem Stehkonvent anhalten, bemerke ich nach längerem Palaver und Gelächter etwa einen Meter links von mir als weiteren, allerdings ungebetenen Zuhörer eine lange, grüne Schlange, die angriffslustig den Kopf erhoben hat.
Ich unterbreche die Unterhaltung plötzlich mit einem kurzen: „Moment mal!" — führe langsam meinen Stock hinüber nach links, bis er nur noch etwa 30 cm über dem Kopf des Tieres schwebt, um diesem im nächsten Augenblick blitzschnell das Genick durchzuschlagen. Eineinhalb Meter war dieses schöne, grüne „Ding", das ich eine Stunde später oben im Basislager meiner Tochter Heidi — gut verpackt in einem PanSäckchen — als Geburtstagsgeschenk überreiche, denn sie ist an diesem Tag gerade 16 Jahre alt geworden. „So ein Souvenir sieht dir wieder ähnlich", meint sie lachend — und droht, mir die Schlange zum Souper zu servieren. Da ich für solche „Leckerbissen" nur in äussersten Notfällen zu haben bin, schleudere ich die Schlange lieber in die Gegend.
Dafür marschieren Rudi und meine Tochter Monika am nächsten Morgen frühzeitig los nach San Carlos, um spät am Abend beladen mit einem quiekenden Ferkel, 2 Hühnern und etwas Zucker und Reis zurückzukehren. Sie sind dabei 14 Stunden zu Fuss getippelt, eine ganz respektable Leistung. Da unsere Gier nach frischem Fleisch ins Unermessliche gestiegen, rupften wir die Hühner sofort, um sie noch als „MitternachtsFrühstück" in Form von Nudelsuppe mit Huhn geniessen zu können. Der folgende Tag war ein ausgesprochener Rasttag — und unsere Gedanken kreisten bereits nach dem Erwachen schon um das Schwein, das wenige Stunden später am Spiess gedreht wurde; und wenn ich nicht vorsorglich die gebratenen Keulen für den Rückweg zum Lager III beiseite geschafft, so hätte meine „Mannschaft" tatsächlich das ganze Ferkel auf einmal verzehrt.
Einer vorbeiziehenden MaultierTropa — wahrscheinlich der letzten, die in diesem Jahr noch über die Cordillere ging — gab ich Briefe und Telegramme mit nach Sorata.
Wir aber machten uns fertig, um noch einmal nach „Paititi" zu pilgern, mit dem Wunschziel, vielleicht auch noch Aufnahmen bei Sonnenlicht machen zu können. Das Abklingen der Regenfälle liess für die nächsten Tage recht Gutes erwarten. An Trägern standen mir allerdings neben Durän nur noch zwei Mann zur Verfügung. Alle anderen — auch den Capataz Arauko — hatte ich ausbezahlt und entlassen. Ausser Rudi und mir war diesmal noch meine Tochter Heidi mit von der Partie, die uns im Hinblick auf das nicht gerade passende Geburtstagsgeschenk so zugesetzt hatte, dass wir sie — als Ersatz für eine unmöglich zu beschaffende Geburtstagstorte—als erstes weibliches Wesen unserer Zeit mit nach „Paititi" nahmen. Sie hat sich dabei — zwischen mir und Rudi gehend — recht tapfer gehalten, und ich musste jedesmal innerlich grinsen, wenn ich mich als Expeditionsleiter und treubesorgter Vater nach ihr umblickte, und sie in ihrem grünen UrwaldOverall und mit der gleichen Schirmmütze ausgestattet wie wir — Machete und Gaspistole am Gürtel —mit ihren 16 Lenzen am Rücken mutig hinter mir herstapfte, ganz aus demselben Holz geschnitzt wie der Papa.
Trotz der Hitze des klaren Sonnentages und „belastet" durch weibliche Begleitung erreichen wir schon 8 Stunden nach Verlassen des Basislagers unser Lager III.
Der nächste Morgen sieht uns bereits frühzeitig alle oben auf der höchsten Terrasse des „Sanktuarios". Während Rudi und Durän mit den beiden anderen Macheteros darangehen, angeseilt die tiefer liegende zweite Terrasse freizulegen, wobei Heidi die Seilsicherungen in den Bäumen oberhalb über wacht und im Bedarfsfall nachlässt, steige ich auf den gegenüberliegenden "Festungshügel", um aus 250 m Entfernung mit Film und FotoKameras TeleAufnahmen zu machen. Immer wieder verschwindet die Sonne hinter Wolkenmauern, und es ist eine Nervenprobe sondergleichen, die wenigen Sonnenblitzer im geeigneten Augenblick auszunützen, um so beweiskräftige Bilder zu erhalten. Der ganze Tag ist ausgefüllt mit diesen Arbeiten, und drüben bei den Terrassen wandern viele Kubikmeter Erde, Wurzelwerk und Steine in die Tiefe.
Als Rudi beim Säubern der exakt gearbeiteten Wasserfalltreppe eine schöne, rotschwarz gezeichnete Korallenschlange für unsere Sammlung fängt, um sie an der äussersten Schwanzspitze haltend kurz darauf in einem Sack verschwinden zu lassen, da ist Heidi erst so richtig begeistert von diesem Expeditionsdasein und bedauert, dass sechs Wochen später in der Hauptstadt Boliviens für sie wieder der Ernst des Lebens beginnt — und dass das Hängemattenzelt mit der Schulbank und Gaspistole und Machete mit Füllhalter und Logarithmen vertauscht werden müssen, da sie erst einmal ein anständiges Abitur bauen soll.
Die letzten Tage des Jahres vergehen mit Orientierungsgängen und Vermessungsarbeiten in dem ganzen Tal, denn es gilt, neben authentischen Aufnahmen des bisher Entdeckten einen genauen Plan festzulegen für die eigentliche Hauptexpedition — des PaititiUnternehmens II. Teil — zu Beginn des Jahres 1955.
Der Rückweg nach Incapampa, das Einziehen des Seillifts am Fluss in der Schlucht, der Abbruch des Basislagers und das Verstauen des Expeditionsguts bei unserem nun zum Capataz avancierten Durän in Huaricunca, das alles erfolgt nach einem genauen Programm und nach alten Spielregeln. Unprogrammässig war leider der Verlust von 400 m belichtetem Farbfilm —bis zu diesem Zeitpunkt etwa 1/5 meiner Filmausbeute — in den hochgehenden Fluten des Rio Chinijo.
Grossartig hat sich unser Trägertrupp gehalten und trotz der körperlichen Strapazen immer den Humor bewahrt.
Indianische Typen aus Huaricunca
Dass wir am Rande des Urwaldes Weihnachten feierten und uns anschliessend mit den ersten Bild und Filmergebnissen der Expedition bei Regen und Schneetreiben über die CordillerenPässe zurückkämpfen mussten, dabei während einer Gewitternacht in Tolapampa zwei Mulas durch Absturz verloren, sei nur noch nebenbei bemerkt.
Nach den ersten Untersuchungen an Hand der mitgebrachten Fotos durch Herrn Friedrich Buck zu urteilen, der als einer der besten Kenner der AndenKulturen die archäologische Betreuung der Expedition übernommen hatte, scheinen die von uns aufgefundenen Ruinen der ChavinKultur — einer der ältesten in Peru entdeckten — am nächsten zu kommen. Da wir beim ersten Vorstoss weder Reste von Keramiken noch irgendwelche Metalle gefunden hatten, war es zu diesem Zeitpunkt noch schwer zu sagen, welcher Periode man diese erwähnten Bauten zurechnen durfte. Ob zu den offensichtlichen Verheerungen durch Erdbeben auch noch Zerstörungen durch Menschenhand zur Conquistadorenzeit kamen, konnte mit Sicherheit ebenfalls noch nicht gesagt werden.
Eines aber stand damals schon fest! Wenn wir zu Anfang des Jahres 1955 trotz der Regenzeit von neuem nach „Paititi" starteten, mit Ausrüstung und Verpflegung für beinahe ein halbes Jahr versehen, lag vor uns eine Aufgabe, die nur mit unerhörtem Durchstehvermögen und einem Fanatismus sondergleichen zu lösen war.
Wir konnten uns nach diesem ersten Erkundungsvorstoss ausrechnen, dass die Freilegung des Tals von Paititi einige Jahre in Anspruch nehmen würde und — dass als Erstes einige Hektar Urwald zu roden waren.
DIE HAUPTEXPEDITION 1955
Bei strahlendem Sonnenschein beziehen wir diesmal Anfang Februar von neuem das Basislager Incapampa. Einen Tag später giesst es in Strömen, und das Donnern der Wassermassen in der Schlucht des Rio Chinijo bringt uns zum Bewusstsein, dass während der Regenperiode noch weit grössere Schwierigkeiten auf uns warten als in den Wochen der ersten Erkundung.
Beinahe 100 Lasten liegen sauber gestapelt unter der riesigen Schutzplane, die unsere Zeltvorplätze überdacht. Mehr rutschend als gehend erreichen wir auf dem alten Sendero mit dem ersten Trupp von 10 Mann tags darauf —während eines Dauerregens —den Eingang der Schlucht. Dort, wo wir wenige Wochen zuvor eine Plattform ausgehoben hatten für unseren primitiven Sessellift, gurgeln jetzt schmutzigbraune Fluten. Auch unser schönes Kunststoffseil, das wir zur Erleichterung der Passage über dem Fluss hatten hängen lassen, war anscheinend durch einen mächtigen, stromabwärts treibenden Baum zerrissen worden — und die Enden hängen nun in Fetzen hüben und drüben ins Wasser. Vierzig Meter über dem alten Flussbett — in sicherer Höhe also — bauen wir in den Steilhang eine neue Terrasse für den Gepäckstapel. Schritt für Schritt wird der Weg vorgetrieben bis zur engsten Stelle der Schlucht. Aufklatschend poltern Erdreich und Felsbrocken in die Tiefe.
In tagelanger Arbeit entsteht ein Holzrost als Absprungkanzel für eine Seilbahn — zwanzig Meter über den tosenden Fluten, die hier mit ungeheurer Gewalt durch den Engpass schiessen.
Immer grösser wird das Gepäckdepot an der Übergangsstelle, ohne dass es uns bis dahin gelungen wäre, ein neues Seil ans andere Ufer zu bringen; da verlangen unsere Hilfskräfte eine Woche Faschingsferien.
Dass dieses internationale Narrenfest selbst noch am Rande der Urwälder so ernst genommen wird, war nicht vorauszuahnen — am allerwenigsten aber die Tatsache, dass aus den acht freien Tagen für unsere Träger vierzehn wurden.
Ein Glück nur, dass nach dieser Zeit statt 10 Mann gleich 25 eintrudelten. Scheinbar hatten Karneval und Alkohol ihr letztes Geld verschlungen, weil sie sich plötzlich gar so um den sonst zur Regenzeit so verpönten Urwaldjob rissen. Uns — das heisst diesmal Rudi Braun und mir, sowie Frau Moeller und meiner Tochter Monika als Basislagerbesatzung, kam diese Arbeitswilligkeit wie gerufen, um Zeitverluste aufzuholen.
Rudi und ich praktizierten unter Hängen und Würgen in der Zwischenzeit — während der Chinijo sich etwas beruhigt hatte — ein neues Seil ans jenseitige Ufer. Daraus wurde eine tadellose Seilbahn entwickelt, die auf zwei starken Hanftauen mit einer FlaschenzugDoppelrolle lief.
Menschen und Material — berechnet für eine weitere Arbeit von ca.sechs Monaten — schweben fortan in rollendem Einsatz hinüber ans andere Ufer und damit ins alte Lager I.
Auch ein Vierbeiner ist mit von der Partie — unser Esel Moritz — der unter „Hauruck" und mit viel Geschrei und Gelächter wie eine Strampelpuppe zwischen Himmel und Erde dahinsegelt, bis er an den Ohren hochgezogen wird und wieder festen Boden unter den Füssen spürt. Moritz war als erstes Tragtier für Paititi vorgesehen, dem bei Urwaldbewährung weitere folgen sollten. Wenige Tage später fanden wir den armen Grauschimmel — von einer Giftschlange gebissen—im Verenden, halbwegs zwischen Lager I und II. Er war jeden Abend ins ChinijoLager gekommen, um seine Maisration und Salz in Empfang zu nehmen, nachdem er tagsüber selbständig den alten Weiterweg getrampelt, beäpfelt — und die frischen Bambusschösslinge links und rechts des Senderos abgefressen hatte. Er war wohl aus Unachtsamkeit in eine Schlange getreten, die sich dann bitter gerächt.
Überhaupt mussten wir jetzt auf der Hut sein. Kein Tag verging ohne Schlangenabenteuer, und die wenigen Sonnenstunden während der Regenzeit schienen die Biester alle aus ihren Schlupfwinkeln zu locken. Die dickste BuschmeisterSchlange von fast 21/2 m Länge hatte unser neuer Capataz Durän erlegt.
Das Tier sprang ihn an aus einem Loch heraus. — Blitzschnell aber hatte unser Trägerobmann reagiert und ihr den Machetenrücken entgegengeschlagen. Die scharfe Doppelkante des Stahls brach dem Reptil das Genick noch im Vorschnellen.
Bemerkenswert war neben den Giftzähnen ein langer hornartiger Dorn am Schwanzende, von dem die Träger behaupteten, dass die Schlange ihn als todbringenden Stachel benütze. In Wirklichkeit dient dieser Hornfortsatz wohl nur als Verankerung, um die Schnellkraft beim Sprung zu erhöhen, denn er hat keinerlei Verbindung mit irgendeiner Giftdrüse.
„Sonntagsjäger“
Wie aus einem geradezu lächerlichen Jagdabenteuer durch das plötzliche Auftauchen einer Schlange unter Umständen Ernst werden kann, beweist ein Erlebnis unweit des Basislagers während der unfreiwilligen Faschingsferien, das ein Tagebuchauszug Monikas wiedergibt.
„Weil morgen Geburtstag von Hannes ist, haben Burgl und ich eine Überraschung inszeniert. Alles war bis ins kleinste vorbereitet. Aus dem Dorf San Jose wird der Festtagsbraten geliefert in Gestalt eines Hahns, den wir einige Tage zuvor durch eine vorbeiziehende Karawane in Auftrag gegeben.
Leider klappt die Sache nicht ganz, denn Hannes und Rudi kommen ausgerechnet in dem Augenblick vom Rio Chinijo zurück, als zwei junge Burschen mit dem noch lebenden Geburtstagsgeschenk und einem Strunk Bananen ebenfalls auf das Basislager zusteuern.
Freudestrahlend und ahnungslos geht Hannes auf die beiden zu und ersteht höchstpersönlich Hahn und Bananen für Bol. 2500, während Burgl und ich uns beinahe krümeln wollen vor Lachen, weil unser Herr und Gebieter den vorgesehenen Geburtstagsschmaus nun selbst käuflich erwirbt. Doch was heisst Schmaus?! Hans bestellt bei den beiden Männern zunächst einmal drei Hennen, damit der Hahn sich nicht so einsam fühlen soll — und so wie ich meinen Papa kenne, erinnert er sich weder daran, dass er übermorgen Geburtstag hat, noch kommt ihm zunächst der Gedanke, dass es ausser Zuchthähnen auch noch Brathähne gibt.
Vorerst verfüttert der Expeditionsleiter einen ansehnlichen Teil seiner Milchreisportion an ‚Casanova< — unser erstes ‚Haustier< — um es handzahm zu machen. Dann gibt er ihm die Freiheit, indem er ihm die Bastfesseln von den Beinen entfernt. Gemütlich geht der von uns erträumte Geburtstagsbraten auf der Lagerwiese spazieren. Gegen Abend aber haut das Vieh plötzlich ab in Richtung Wald, wohl um einen Schlafbaum aufzutun. Hannes und Rudi wetzen hinterher mit der Absicht, den Gockel zurückzutreiben oder zu fangen. ‚Handzahm' ist er nun freilich nicht mehr, sofern er das jemals war. Er verschwindet im hohen Gras und Urwalddickicht, und wir müssen den ‚Bauerngockel' — wie er jetzt mit einem Male heisst — für diese Nacht wohl abschreiben, trotzdem Hannes und Rudi bis in die Dämmerung hinein noch gackernd und krähend auf der Wiese herumstolzieren und so das Vieh zu locken versuchen. Der ,Ruf der Wildnis' ist stärker — und man beschliesst, das Tier anderntags — sofern man es überhaupt vor die Flinte bekommen sollte — regelrecht zu jagen, nachdem es sich nicht in das schöne Leben fügen will, das man für es vorgesehen hat.
Pünktlich weckt uns Radio Lima am nächsten Morgen durch einen geradezu idiotisch sich wiederholenden KarnevalsSchlager. Nach einem nächtlichen Gewitter wird's ein herrlicher Tag — und Hannes filmt einige Meter feuerrote Libellen im Flug in stundenlanger Arbeit an der Lagune, während ihn Hunderte von blutdürstigen Marihuis (winzige Stechfliegen) peinigen und piesacken. Es muss furchtbar schwierig sein, fliegende Libellen in die richtige Schärfe zu bekommen, denn er ist jedesmal ganz glücklich darüber, wenn ihm eine solch seltene Szene gelungen ist. Dann bekommt er noch einen grünsilbernen Falter — bildschön und halbleinwandgross — in den Kasten, und am späten Nachmittag tanzen riesige Mückenschwärme im Gegenlicht. Dazwischen aber läuft Hannes zu einem mächtigen Bau von Blattschneiderameisen, an die er für Filmaufnahmen einige seiner Geburtstagsbananen verfüttert, damit sie nicht nur Blattsegel spazieren führen.
Zwischendurch aber bereitet uns der Hahn Arger. Wir hörten ein einziges Mal sein lautes, erregtes Gackern oben am Wald, und als wir der Sache nachgingen, fanden wir ein paar Federn. Anscheinend war das dumme Tier von einer Raubkatze aufgefressen worden. Ein ‚billiger' Braten!
Lache Bajazzo — hören wir am Abend in einer ausgezeichneten Übertragung über Radio Lima aus der Metropolitan in New York.
Der Geburtstag von Hannes bricht an. Es hat die ganze Nacht gegossen, doch der Morgen ist zauberhaft mit seinen rosa Wölkchen über der Lagune. Mitten hinein in diese Stimmung kräht ein Hahn — unser Hahn — der trotz aller Verfolgung scheinbar noch lebt. Abwechselnd gehen nun Hans und Rudi auf die Jagd nach dem verwilderten ‚Haustier'. Bald fällt da ein Schuss und bald dort. Aber niemand kommt mit der Beute. Teurer Hahn! Denn jede Schrotpatrone kostet Bo1.300. Es ist wie verhext, meinen beide. Sie hatten das Biest jedesmal tadellos im Visier, aber wenn der Schuss krachte, sprang der Gockel laut schimpfend hoch und verschwand im Dickicht. Zu spät entdeckten sie nach der Untersuchung ihrer Munition, dass sie Vogelposten erwischt hatten anstatt starken Hühnerschrots. — Während des Geburstagsmahls — bestehend aus Kartoffelknödeln mit GulaschFüllung, Tomatensauce und in Fett gebratenen Bananen mit Zucker und Zimt — kräht der Hahn. Fast gleichzeitig ergreifen unsere Jäger ihre Waffen und stürmen los, während Burgl und ich die Reste des Festmahls gegen heranbrausende Fliegen verteidigen müssen.
Hans und Rudi wollen den seltenen Vogel nun in die Zange nehmen, und der eine pirscht sich den schmalen Saumpfad von Westen, der andere von Osten her an.
Im selben Augenblick entdecken sie dann den Rotkämmigen mitten im Weg — dort, wo sie eine Stunde zuvor gekochten Reis als Köder gestreut. Beide reissen die Büchsen hoch und können nicht schiessen, weil sie sich auf etwa 30 m Distanz gegenüberstehen und sich sonst mit Schrot duellieren würden. Mit einem regelrechten Hopser und einem Krähen, das fast wie Hohngelächter klingt, entweicht das Federvieh ins Dickicht. Rudi setzt in eine Bambusgasse, um das Tier wieder herauszutreiben, vor Hansens Flinte. Ein lauter Entsetzensschrei — und Hannes sieht gerade noch, dass sein Kamerad beinahe in eine gut drei Meter lange Boa gesprungen wäre, die in der warmen Lichtung ebenfalls auf den Hahn gelauert hat und nun wie der Blitz im Dickicht entschwindet. Der Schreck sitzt unserem jungen Freund noch so in den Knochen, dass er nur mühsam die sonst von ihm so geliebte Nachspeise hinunterwürgt. Wer aber erwischt den Hahn? — Jene Raubkatze, die ihm schon einige Federn gerupft, die Schlange — oder ...?
Mitten in den SiestaSchlaf kracht ein Schuss — und gleich darauf kommt Hannes, seine Geburtstagsbeute an den Beinen schwenkend, zurück ins Lager. Er war an der Reisköderstelle angesessen, bis ihm der ,Zuchthahn` vor die Flinte kam."
SCHWERE UND EREIGNISREICHE WOCHEN
Lager I liegt im Gegensatz zu der servierbrettartig freien Pampa del Inca tief unten in dem drückenden Waschhausdunst der ChinijoSchlucht. Was man auch anfasste, war feucht, die Schimmelpilze feierten Orgien, und die grosse Zeltplane, die vom ersten Vorstoss her als Schutzdach aufgespannt geblieben, war durch einen herabtropfenden Baumsaft an mehreren Stellen regelrecht durchgeätzt, als hätte jemand mutwillig Salzsäure daraufgespritzt.
Ich war deshalb begeistert über den Vorschlag unseres Durän, ein kleines palmblattgedecktes Haus zu bauen, und Rudi und ich kamen aus dem Staunen nicht heraus, mit welcher Fertigkeit ein Dutzend dieser Männer innerhalb von drei Tagen diese Hütte errichteten.
Aber was heisst Hütte — wir waren Hausbesitzer geworden und richtig stolz auf diesen PalmendachPalast, der keinen Tropfen Wasser durchliess und rund 20 Mann und unserem wertvollen Gepäck eine wettersichere Unterkunft bot.
Dabei waren für das Ganze keinerlei Nägel verwendet worden, sondern nur natürliche, im Wald vorkommende "Baustoffe" und Hilfsmittel. Wie uns Durän versicherte, würden die Verbindungen mit einer gewissen Lianenart den Dachstuhl besser zusammenhalten als Stahlseile. Allein das Verknüpfen der Palmblätter, deren dicke Mittelrispe an den obersten Spitzen erfasst und mit kunstgerechtem Griff gespalten wird, ist eine Wissenschaft für sich, und das Flechtwerk, obwohl es — von unten gesehen — wie ein Sieb ausschaut, hält gut ein Dutzend Jahre allen Witterungsunbilden und Tropenplatzregen stand.
Zum Richtfest stifte ich den stolzen Erbauern einen Liter Zuckerrohrschnaps zum Aufmöbeln ihres Abendtees, und sie spendieren uns als Gegengabe Milch aus Palmfrüchten der für den Hausbau gefällten Bäume. Sie sehen aus wie dicke Eicheln, haben auch eine Schale wie diese von blaugrauer Farbe — und zwischen ihr und einem muskatnussartigen Kern liegt eine mehrere Millimeter dicke, weisse Fettschicht, die abgekratzt und gekocht wird und ebenso gut schmeckt und sättigt wie dicker MilchKakao.
Sorgen machten uns die Hanftragseile unseres Sessellifts. Ganze Prozessionen von Ameisen benützten sie ebenfalls als Brücke, was die "saubeas" —eine besondere Familie dieser Krabbeltiere — scheinbar übelnahmen, denn sie versuchten offensichtlich, die Taue anzufressen und zu zerstören.
Mit PetroleumEinreibung und einer besonderen Giftpaste schützen wir unseren so wichtigen Übergang. Wie lange aber mochte der Hanf wohl Feuchtigkeit und Mikroben standhalten?
Seit Tagen schon arbeiteten Rudi und ich mit unserem zweiten Trupp am weiteren Ausbau unseres alten Pfads hinauf gegen Lager II. Der wild wachsende Bambus und auch andere Pflanzen waren in den wenigen Wochen unserer Abwesenheit — begünstigt durch die warmen Tropenregen — so hochgeschossen, dass wir an manchen Stellen kaum noch die alten Wegmarken sahen, vor allem, wenn umgestürzte Bäume das Durcheinander noch vergrössert hatten. Im Gegensatz zu unserem ersten Vorstoss Ende des Jahres 1954 kamen wir diesmal sehr viel langsamer vorwärts. Es ging ja nicht darum, möglichst schnell den alten Lagerplatz III zu erreichen, sondern einen regelrechten Weg zu bauen — und links und rechts dieses Saumpfads das Dickicht nach etwa vorhandenen Ruinen durchzuschnüffeln. Vor allem der langgezogene, dicht bewaldete Höhenrücken, der sich vom PaititiBerg herab bis zum Zusammenfluss von Rio Santa Ana und Rio Chinijo wie die Pranke eines Panthers — oder vielleicht besser gesagt einer Sphinx — hereinschiebt, hatte es mir angetan. Schon bei unserem allerersten Marsch den vom Regen ausgewaschenen Weg herunter über Pararani nach Incapampa war mir dieser Lomo — wie er hierzulande genannt wird — aufgefallen. Erinnerungen an meine Gebirgsjägerzeit im Kaukasus und im OrtlerGebiet wurden wach — und ich sagte mir, wenn ich den Auftrag gehabt hätte, dort den Zugang zur Hochcordillere zu verteidigen, hätte ich da oben meine Abwehrstellung gebaut.
Bekanntlich errichteten ja die Inkas der ganzen AndenKette entlang Sperrforts, um Angriffe von IndianerHorden aus dem Tiefland gegen ihr wohlorganisiertes Hochlandreich rechtzeitig abwehren zu können. Wer beschreibt deshalb unsere Freude, als wir Anfang März genau an der strategisch wichtigen Stelle auf der höchsten Erhebung dieses langgezogenen Hügels auf die Mauerreste eines alten Bollwerks stossen, das unzweifelhaft einmal eine wichtige Rolle gespielt haben dürfte. Fast meine gesamte „Streitmacht" —soweit sie nicht für Verpflegungsnachschub zwischen San Carlos und unserem Operationsgebiet tätig war — wurde hier nun eingesetzt.
Meterhohe Taja — ein Filzteppich aus Wurzelgeflecht und Humus — hatte die Ruinenmauern überzogen in den vielen hundert Jahren ewigen Werdens und Vergehens dieser Urnatur. Es ist bestimmt einfacher, im Sande Ägyptens oder Kleinasiens archäologische Arbeit zu leisten als in diesen feuchtschwülen Wäldern am Südostfuss des Cerro Paititi. Systematisch durchforschten wir die obere Plattform des Höhenrückens und die Umgebung des ersten Festungsbollwerks nach weiteren Spuren alter Menschheitskulturen. Oft und oft trennte uns nur ein Bambusvorhang von grünbemoosten Ruinenmauern, die in dem Halbdunkel untergingen, und an denen wir tagelang vorbeigelaufen waren, bis uns ein kleiner Zufall zur Entdeckung verhalf.
Mit einem Dutzend Macheten, 6 Eispickeln, 3 Äxten, selbstgebauten Holzgabeln und Asthacken rollten wir die Wurzelteppiche ab, nachdem wir vorher so manchen riesigen Urwaldbaum umgelegt hatten. 25 Meter im Geviert mass das besterhaltene Fort bei Km 2,5 — dem bei Km 2,3 (vom Lager I am Rio Chinijo aus den Weg entlang gemessen) einige weitere Mauern oder Schutzwehre vorgelagert waren. Zwei Schleuderkugeln, ObsidianPfeilspitzen und ein Steinbeil aus dunklem Basalt — Gegenstände, die wir während der Freilegungsarbeiten fanden — erbrachten den Beweis, dass um diese Befestigungsanlage früher gekämpft worden ist. Aber bis wir diesen Wäldern noch weitere Geheimnisse abringen konnten, sollten noch schwere Wochen und Monate vergehen.
Von wenigen Sonnenstunden abgesehen, goss es in diesen Märztagen fast pausenlos. Arbeitsbegeisterung und Fanatismus liessen uns Hunger, Durst und Regenschutz vielfach unwichtig erscheinen. Wie oft hingen unsere schönen KlepperCapes an einem Baum oder über einem Rucksack, bzw. über Foto und Filmgeräten, während Rudi und ich — keinen trockenen Faden mehr am Leib — weiterwirtschafteten.
Wenigstens funktionierte von Höhenrücken zu Höhenrücken nicht nur der Funksprechbetrieb, sondern auch die optische Signalgebung, und wenn wir einen Blick aus unserer Urwaldschneise an der Festungsmauer hinüberwerfen konnten zu den Zelten des Basislagers, das Burgl und Monika verwalteten, dann war es uns immer etwas komisch in der Magengegend. Wütend wurden wir nur, wenn uns die weibliche Besatzung drüben am anderen Hügel — 1200 m Luftlinie entfernt, doch getrennt durch die tiefe Schlucht des Chinijo — per Teleport den jeweiligen Küchenzettel durchgab. Unerreichbare Herrlichkeiten für uns — es sei denn, man hätte fast einen ganzen Tagesmarsch riskiert für eine Leibspeise. — So futterten wir eben mit unseren Trägern zusammen kalten Reisbrei aus der Büchse und am Vortag gekochte Yucca mit Salz und Schweineschmalz. Vollkornbrot gab's nur am Sonntag — genauso wie Bier — in Dosen; rein mengenmässig beides allerdings in »homöopathischen Dosen".
Grossartig haben sich unsere neuen Träger gehalten und trotz der körperlichen Strapazen ihren Humor bewahrt. Rund 25 Kilo musste jeder Mann im Durchschnitt oft stundenweit schleppen, egal, ob glühende Hitze über den Wäldern lastete oder Regenschauer niedergingen. Durän — unser Capataz — verstand es ausgezeichnet, die Leute zusammenzuhalten, und ohne Starallüren war er mehr ihr Vorarbeiter denn Vorgesetzter. Die schwersten Lasten nahm er als erster, genauso wie Hindernisse und Schwierigkeiten anderer Art. Besonders anzuerkennen war neben der physischen Leistung die psychische unserer Macheteros, Fremden zu helfen, in Regionen einzudringen, über denen — alten Glaubensanschauungen nach — die ungeschriebenen Gesetze eines Tabu liegen.
Wegen des miserablen Wetters und im Hinblick auf unsere primitiven Werkzeuge müssen wir uns mit einer oberflächlichen Freilegung der Befestigungsanlagen begnügen und trachten, vor allem unser Hauptlager III zu erreichen und auszubauen.
Bedauerlicherweise schieden gerade jetzt, wo es darum ging, möglichst viele Lasten dorthin vorzubringen, zwölf unserer Träger aus. Die Witterung hatte ihnen ziemlich zugesetzt; einige fieberten und fürchteten, MalariaRückfälle zu bekommen.
Durch die hohen Trägerlöhne war ein gewaltiges Loch in unserer Expeditionskasse entstanden, und ich begrüsste deshalb die Nachricht, dass mit einer Maultiertropa aus Sorata zwei Kisten für uns im Basislager angekommen seien. Das bedeutete Post aus La Paz und das längst fällige Geldpaket. Leider stellte sich später heraus, dass es sich nur um einen Karton Seife und einen Kanister Petroleum handelte, die wir seinerzeit in Sorata zurücklassen mussten, weil wir keine Mula mehr dafür bekamen.
Wo unsere eigene kleine Tropa blieb, bei der auch — gut getarnt — die Geldkiste sein musste, darüber konnte keiner der in Incapampa durchziehenden Arrieros Auskunft geben. Nur, dass die Wege muy malo (sehr schlecht) und grosse Flächen abgerutscht seien infolge des letzten Dauerregens, wussten sie zu berichten. Wenn mir die letzten meiner Leute auch noch kündigten, konnte ich sie vielleicht gerade noch auszahlen, aber dann war Ebbe in der Kasse, und wir Gringos waren für den Rest unserer Expeditionstage zwischen Lager I und II „festgenagelt" bis der Proviant aufgegessen war. Was aber dann aus der wichtigen Filmarbeit werden sollte und all unseren anderen schönen Plänen, das lag vorerst noch hinter den Dunst und Regenschleiern verborgen, die von der Cordillere her über die Wälder herunter zogen.
Ich verfluchte den Entschluss, nicht eine grössere Summe Bolivianos von Anfang an mitgenommen zu haben — aber bei der fortschreitenden Teuerung bzw. den inflationistischen Tendenzen konnte ich nicht riskieren, meine Devisen auf einmal zu tauschen. Ich hatte vereinbart, dass alle vier bis sechs Wochen die nötigen Gelder aus La Paz mit dem üblichen Post und Nachschubtransport geliefert werden sollten. Wer aber konnte im voraus die katastrophalen Auswirkungen dieser fünf Monate währenden Regenzeit berechnen? Eine Regenzeit, wie sie seit Menschengedenken nicht mehr so schlimm war. Sie hatte sehr spät begonnen — zunächst ein glücklicher Umstand, sonst wäre der erste Spähtrupp zu Ende des Jahres 1954 schon buchstäblich ins Wasser gefallen. Dafür tobten die Regenfluten jetzt in einer solchen Konzentration, dass uns fast etwas fehlte, wenn die Tropfenmusik auf den Zeltdächern einmal unterbrochen wurde. Drei Wochen nur ohne Regen — und das im Zeitraum von fast einem halben Jahr — wurden von uns registriert. Der Entschluss von Rudi, unter solchen Umständen über die Cordillere zu gehen, nach Sorata — und notfalls bis La Paz, um nach dem Geld zu fahnden, war geradezu heldenhaft! All unsere Glück und Segenswünsche begleiteten den jungen Freund, als er mit zwei Mulas und einem Arriero im Nebel oberhalb Incapampa verschwand. Tröstlich für mich, dass er wenigstens 900 Meter exponiertes Filmmaterial mitnehmen konnte — aus der Regenzone heraus in den sicheren Gewahrsam des Hochlandes.
Sechs bis acht Tage nach Sorata kalkulierten wir — zwei weitere unter Umständen nach La Paz — frühestens in drei Wochen konnte Rudi wieder zurück sein. Wie sollten wir ohne ihn hier fertig werden?! Im ewigen Trott des Expeditionsalltags verging die Zeit schneller als uns manchmal lieb war. — Burgl und Monika schleusten die letzten Gepäckstücke mit einer Handvoll Träger zum Fluss, und ich pendelte weiter zwischen Lager I und II. Bevor vom Lager II Lasten nach III gebracht werden konnten, hiess es, einen neuen, kürzeren Weg zu bauen, der die Felswand ohne Höhenverluste umging. Dabei waren zwei Stege notwendig, damit die Träger sicher und gefahrlos mit ihren 25KiloBultos über die beiden Flüsschen kamen, die den Weiterweg zum Campamento III kreuzten.
Es ist immer ein feierlicher Augenblick, wenn man nach langer Abwesenheit wieder auf einen alten Lagerplatz stösst. Erinnerungen drängen sich unwiderstehlich auf. „Hier hat einmal mein Zelt gestanden, und dort das von Rudi — da war die Feuerstelle der Peones". Und gegenüber, wo wir seinerzeit im Baumschatten Siesta hielten und die Kerne von Mandarinen und Apfelsinen achtlos in die Gegend spuckten, waren kleine Pflänzchen gewachsen, gerade recht zum pikieren. Sechs grosse MangoFrüchte hatten wir beim letzten Hiersein vor Weihnachten verzehrt. Aus ihren flachen, harten Steinen waren nun winzige Bäumchen geworden, die sich mit ihren Pfahlwurzeln bereits zentimetertief zu verankern suchten. — Prächtig hatten sich in dem seinerzeit angelegten Gemüsebeet Knoblauch und Petersilie entwickelt — nur die Tomaten waren restlos verwildert, und der Salat stand da wie Kandelaber von Königskerzen. Unbrauchbares wurde schnell gejätet, und auf dem freigewordenen Plätzchen wurden Orangen, Mandarinenund Mangokeimlinge in Sicherheit gebracht, bis sie später dann verpflanzt werden konnten.
Versuchsweise hatten wir im vergangenen Jahr vor unserem Abmarsch noch zwei Säckchen aus dem neuen deutschen Kunststoff PAN deponiert mit Proviant und Küchenutensilien, als eiserne Ration für einige Tage. Ein Sack davon war im Freien an einem Baum festgebunden, ein anderer in der Erde vergraben und mit einer Steinplatte zugedeckt worden. Beide Depots hatten die drei Monate gut überstanden, waren weder von Ameisen angefressen worden noch vergammelt bzw. verschimmelt. Nur dort, wo wir zur Sicherheit den einen Sack noch mit einem normalen Hanfseil abgebunden hatten, war dieser restlos durchgefault.
Die Neueinteilung von Lager III, das ich aus Tarnungsgründen vorerst nicht Paititi nennen wollte, sondern „Tulani" — nach den dort vorkommenden TulaPalmen — musste grosszügiger durchgeführt werden, damit wir uns später nicht "auf der Pelle" sassen, was meist die Hauptursache für Expeditions und Lagerkoller ist. Besonders wichtig war, mit Duran abzusprechen, wo die Unterkünfte der Träger und die Latrinen angelegt werden sollten, und wo der Holzrost für den Hauptgepäckstapel hinkam. Bäume mussten fallen — grosse und kleine — als Baumaterial für ein weiteres Haus und — aus Sicherheitsgründen. Das Gefährlichste in den Urwäldern Südamerikas sind nämlich nicht Jaguare oder Schlangen, oder gar wilde Indianer; wirklich tödlich sind vor allem die riesigen, morschen Bäume, die bei Sturm — oder vom Regen vollgesogen—ganz plötzlich zusammenkrachen und wie bei einem Weltuntergang ganze Lichtungen hauen, alles dabei vernichtend, was unter Stamm und Äste kommt.
Die Rodung von Tulani wächst, und tagelang hallt das Schlagen von Äxten und Macheten sowie das Dröhnen stürzender Bäume in den Urwaldhängen gegenüber wider. Keine Säge konnte zu dieser Arbeit verwendet werden. Die Bäume standen alle im Saft, und die zähklebrige, gummiartige Flüssigkeit, die aus den dicken Borken floss, liess jede Säge rettungslos versagen.
Drei Schüsse krachten eines Nachmittags ganz in der Nähe, und bald betrat Rudi — nach einer Abwesenheit von 22 Tagen — mit einem schallenden Jodler die Lagerlichtung.
Abgekämpft, abgemagert und verschwitzt stapft er mit zwei Leuten daher, die ihm seine Sachen schleppen. Er ist todfroh, diesen Gewaltmarsch hinter sich zu haben. Mit einem Seufzer der Erleichterung und einem Becher Tee begrüsse ich ihn, und während er die Reste meiner Mittagssuppe verschlingt, berichtet er; wenn auch nicht alles so funktionierte, wie es eigentlich sollte —Hauptsache, Rudi war wieder da! Weder in Sorata noch in La Paz waren sofort Fahrzeuge aufzutreiben gewesen, die die vom Regen zerstörte Piste befahren wollten. Beim Hinweg — so erzählte der Kamerad — wäre um ein Haar der Lastwagen, der ihn mitnahm, abgestürzt, weil die Böschung nachgab. In La Paz hatte meine Frau Schwierigkeiten mit der Bank, weil die Überweisungen via New York nicht klappten. Auch die Post aus Europa war durch Unwetter ins Stocken geraten. Trotzdem brachte er einen Berg Briefe mit und Zeitungen — Erfreuliches und auch weniger Angenehmes.
Meine Tochter Heidi hatte am Chacaltaya (5300 m) das höchste Skirennen der Welt gewonnen — und meine Jüngste, Trixi, war mit Erfolg von ihrem Blinddarm befreit worden. — Herrlich war die Nachricht meines Verleihchefs bezüglich der Gewährung eines Sonderzuschusses. Damit war ich meine Geldsorgen für das nächste halbe Jahr los. Haarsträubend dagegen — und bis auf die Fotos nicht mehr wiederzuerkennen — war „mein" erster Bericht in einer deutschen Illustrierten aufgemacht. Da mein Originalartikel scheinbar zu seriös war, wurde ein Lektor angesetzt mit KarlMayAmbitionen, der aus dem Ganzen einen richtigen UrwaldReisser fabrizierte. Da wimmelte es nur so von giftigen Ameisen, die den InkaGoldschatz vor den weissen Eindringlingen verteidigten. Die Stelle aber, wo es heisst: „wir messerten uns geradezu in Angriffs wellen von Schlangen hinein", konnte uns nur noch ein schallendes Gelächter entlocken.
Dichtung und Wahrheit — wie weit liegen doch diese Gegenpole oft auseinander! Nach dem Ausbau von Tulani konzentrieren wir nun in erster Linie unsere ganze Kraft auf die Freilegung der Pyramidentreppe — etwa 150 m hinter dem Lager. Von beiden Seiten führen — zwischen zwei Wasserfällen — über drei Terrassen hinweg Stufen nach oben, von denen einige — in den Naturstein gehauen — noch gut erhalten sind.
Dort, wo der gewachsene Fels für das Herausmeisseln dieser Absätze nicht ausreichte, hat man den Anstieg einfach durch Aufeinanderschichten von grossen Schieferquadern ergänzt. — Armdicke Wurzeln halten oft seltsam geformte Steinplatten fest. Handelt es sich hier um Launen der Natur —oder um Reste eines zerstörten Bauwerks??
Das sind die Fragen, die sich uns immer wieder aufdrängen.
Vom Wasserlauf unterhalb des „Sanktuarios" weg — wie unsere eingeborenen Helfer diese heilige Treppe nennen — scheint einmal eine richtige Wasserleitung an einem flachen Hang entlang bis hinüber zu der Ruinenstelle unterhalb des Lagers geführt zu haben. Steinerne Tröge und Rinnenreste aus demselben Material legen davon Zeugnis ab. Immer noch weint der Himmel — ohne Unterlass — und spült die freigelegten Mauern und Stiegen sauber von anhaftendem Erdreich und Wurzelgeflecht. Wenn wir jetzt einen richtigen Feuerwehrschlauch hätten und ihn oben anschliessen könnten in dem etwa 1 Meter breiten Felsmaul, aus dem der Wasserfall 40 m tief in die Schlucht herabdonnert, dann könnten wir glatt mit Wasserkraft die Stufen von ihrem zähen Belag befreien.
Tropfnass wie getaufte Kirchenmäuse und verdreckt wie Maulwürfe kommen wir jeden Abend zurück zu unseren Leinwandbehausungen. Dann heisst es, Feuer entfachen und kochen. Feuchtes Holz qualmt und raucht — und erst ein Guss Dieselöl lässt die helle Flamme unterm Kochtopf hervorschiessen und das Essen warm werden. Benzin oder EsbitKocher anzuheizen, dazu ist man meistens viel zu müde und zu faul — und ausserdem passen diese modernen Kochgeräte so gar nicht zu der ganzen Urwaldatmosphäre. Vor allem müssen ja auch unsere Männer mit primitiven Mitteln auskommen — und man soll nicht unnötig Neid erwecken bei einfachen Menschen.
Unter solchen Witterungsverhältnissen ist es eine Zumutung, meine treuen Helfer weiter nur unter einer grossen Zeltplane hausen zu lassen — geplagt und gepeinigt in den kurzen Ruhepausen von Moskitos, Rüsseltabanos und winzigen Marihuis. Nur wenn das Feuer qualmt, nehmen die Blutsauger Reissaus — und die Männer haben die Wahl, sich entweder stechen zu lassen oder in dem beizenden Rauch um die Wette zu husten. Die Kleider werden überhaupt nicht mehr trocken, und wenn wir nicht schnellstens daran gehen, auch hier ein Haus zu bauen, muss ich damit rechnen, dass uns die Leute einer nach dem anderen davonlaufen.
So unterbrechen wir denn unsere archäologische Arbeit und beginnen damit, das nötige Baumaterial herbeizuschaffen. Die Stimmung wächst wieder, und vor allem ist's neben Durän der stämmige Plasmamani, der immer für gute Laune sorgt. „Mamani" ist einer der gebräuchlichsten Indianernamen und entspricht etwa unserem weitverzweigten „Meier" mit ei, ai oder ey. „Plasmamani" bedeutet demnach soviel wie „Obermeier", und dieser Indianer Obermeier hatte herausgefunden, dass unsere übergrossen KlepperTragsäcke wundervolle Schlafgelegenheiten abgaben für diejenigen, die diese Dinger sonst schleppen mussten. So leerten denn Rudi und ich in Gottes Namen den Inhalt dieser Packsäcke aus, damit unsere Leute hineinkriechen und — wie die Igel zusammengerollt — die Nacht darin verbringen konnten. Da lagen sie nun — die Schnüre in den Ösen oben zusammengezogen — wie Pakete auf dem blankgefegten Urwaldboden, der des Ungeziefers wegen mit NexaPuder bestreut war, und schnarchten einem neuen, arbeitsreichen Tag entgegen. Der „Duft", der jeden Morgen gemeinsam mit den Schläfern den zweckentfremdeten Hüllen entstieg, liess es uns geraten erscheinen, die Tragsäcke nur nach einer Generalreinigung wieder zu verwenden. Der Bau des neuen Hauses wurde genau über der Grundmauer der Ruine begonnen, die ich im Vorjahre entdeckt hatte, als ich einen Affen schoss.
Mächtige Stämme, die 8 Mann kaum zu schleppen wussten, wurden in den Lehmboden gerammt und auf ihnen dann der luftige Dachstuhl errichtet. Glücklicherweise schob der Wettergott manche Sonnenstunde zwischen die Regengüsse, so dass die Bauarbeiten rasch vorankamen. Von weit oberhalb des Lagers aus den Steilwänden des Cerro Paititi mussten die Palmwedel für das Dach herangeschleppt werden, denn ich hatte untersagt, in der näheren Umgebung des Lagers auch nur eine einzige Palme zu fällen.
Bei einsetzendem Regen hocken unsere Baumeister wie Affen im Gestänge ihrer Dachkonstruktion und binden hastig die letzten Palmwedel fest, bevor der Himmel seine Schleusen endgültig zu einem Wolkenbruch öffnet. Johlend vor Begeisterung sammelt sich alles im Schutz des neuen Wigwams, der sich — unter Sturzbächen einer ausserordentlichen Belastungsprobe ausgesetzt — sofort glänzend bewährt.
Für das anschliessende Richtfest stiften Rudi und ich die letzten zwei Liter Zuckerrohrschnaps — und bis in die Nacht hinein sitzen die halbnackten Männer singend um das lodernde Feuer versammelt, inmitten des Neubaus, während ihre nassen Hemden und Hosen im Dachgebälk trocknen.
Behäbig sonnt sich am nächsten Morgen meine kleine Zeltstadt in der Lichtung von Tulani — und nicht weit davon die neue Palmdachhütte unserer Macheteros.
VOR SCHLANGEN WIRD GEWARNT!
Ganz erfüllt von diesem Urwalddasein, hätten wir beinahe vergessen, Burgl und Monika nachzuholen, die immer noch auf nunmehr verlorenem Posten im Basislager sassen und „langsam aber sicher von den Marihuis aufgefressen wurden", wie sie uns — in vielsagender Übertreibung ihrer Zwangslage — durch's Teleport „flüsterten". Erschwerend kam hinzu, dass die Lagune von Incapampa trotz der Regenfälle nur noch eine kleine Schmutzpfütze war, in der sich zu allem Überfluss noch die Maultiere durchziehender Tropas suhlten. Anscheinend war durch das letzte Erdbeben unterirdisch ein Abfluss entstanden, durch den mit der Zeit der grösste Teil des Wassers versickerte. Die holde Weiblichkeit pumpte also — im wahrsten Sinne des Wortes — aus dem letzten Wasserloch und hatte dazu nur noch eine Filterausstattung für höchstens drei Tage.
Auch bei uns war nicht alles bestens bestellt, und es gab gewisse Arbeiten, die — auch auf Expeditionen — von Männern nur ungern erledigt werden; Geschirrspülen zum Beispiel und Wäschewaschen.
Socken hatte jeder von uns ein Dutzend zur Verfügung — aber kaum ein Paar war noch „salonfähig", und an den Stellen, wo normalerweise die Ferse sitzt, konnte vielfach die Faust hindurch. Rudi entwickelte sich zum Genie auf dem Gebiet der Kunststopferei, denn er benützte nicht nur Nadel und Faden, sondern zusätzlich auch noch einen Kletterhammer, um die beim Zusammenziehen der Löcher entstandenen Wülste, die sonst Wasserblasen verursacht hätten, glattzuklopfen.
Vor dem Abmarsch vom Basislager und später in Lager III.
Es wurden zwei Saris geschossen und sie betätigt sich als Schlangenbändigerin.
In drei Tagen — so vereinbarten wir durch Sprechfunk — wollten wir Burgl und Monika in Incapampa abholen. Bis dahin aber hatten wir noch alle Hände voll zu tun.
Es ist doch eigenartig, dass selbst ausgewachsene Männer immer unruhig werden, wenn Damenbesuch in Aussicht steht. Es fing damit an, dass Rudi zu mir kam und fragte, ob ich nicht wüsste, wo die Haarschneidemaschine verpackt sei. Ich selbst bemerkte zum erstenmal seit Wochen, dass wir ständig »Hoftrauer" unter den Fingernägeln trugen, und so machten wir uns nach einem gründlichen Bad unterm nahen Wasserfall mit Schere, Kamm und Bartbürste gegenseitig »landfein".
Am Vorabend unseres Abmarsches in Tulani vergasten wir als Höhepunkt unserer GrossreinemachAktion mit dem SwingfogGiftnebelgerät noch das ganze Lager, damit unsere weiblichen Expeditionskameraden nicht gleich zu Anfang schon zu sehr von Moskitos und Tabanos attackiert werden konnten.
Nach einer Übernachtung am Rio Chinijo betraten wir mit unseren Helfern das Basislager — besser gesagt den Platz, auf dem dasselbe einmal stand; denn die Frauen hatten die Zelte bereits abgeschlagen und verpackt und sassen erwartungsvoll auf Tropenkoffern und Gepäckstücken — zur Abholung bereit.
Mein Willkommgruss blieb mir im Halse stecken. Jede hatte ein lebendes Huhn im Arm wie ein Schosshündchen — und blitzartig wurde ich erinnert an „Casanova" und mein GeburtstagsJagdabenteuer. „Was wollt ihr denn mit diesen Hühnern wieder — doch nicht etwa in den Urwald mitnehmen?" war meine erste Frage. „Die hat uns die Alte aus Huaricunca zum Abschied gebracht", tönt's mir fast vorwurfsvoll entgegen.
Diese gute, bucklige, alte Indianerin, die so alle vierzehn Tage einmal wie eine wandelnde Schildkröte — auf einen Stock gestützt — den stundenlangen Weg aus ihrem Dorf oberhalb Mapiri heraufkam, um mit den Frauen zu plaudern, war uns in rührender Anhänglichkeit zugetan. Ihre Freundschaft mit der Expedition begann in den Tagen unserer ersten Reise nach San Carlos. Damals sass diese Oma mit dick verschwollenen, eitrigen Augen vor ihrem Haus am Weg und bat uns um ein Remedio (Medizin). Burgl verschaffte ihr mit Borwasser eine erste Linderung, und eine Tube PenicilinAugensalbe bewirkte fast ein Wunder. Als sie später dazu noch mit Hilfe unserer neuen BayerPräparate eine erfolgreiche MalariaKur machen konnte, fühlte sie sich uns in herzlicher Weise verbunden. Viele der wunderbaren Sagen um Paititi verdanken wir der Alten, vor allem die Geschichten vom Schlangen und Ameisenfluch sowie von der Tarnkappe über dem Haupt des Monte mysterioso; Gefahren, die nur für jene unwirksam wären, welche reinen Herzens, ehrlichen Wollens und nicht von Goldgier getrieben in die Urwälder am Fusse dieses Berges pilgerten.
„Schlangen verteidigen die Ruinen von Paititi" war eine ihrer steten Warnungen! Um vor allem unsere Frauen vor diesem Schlangenbann zu schützen, schenkte sie ihnen die beiden „Glückshühner", das heisst besser gesagt: ein Hühnerpaar.
Man kann als abgeklärter Mitteleuropäer und MärchenNormalverbraucher über solchen „Aberglauben" insgeheim grinsen soviel man will; eigenartig bleibt auf alle Fälle, dass diese „weise Frau" — wie meine Träger sie voller Hochachtung nannten — im Morgengrauen schon in Incapampa auftauchte, um ihr Abschiedsgeschenk zu überbringen. Die Alte muss bereits zu nächtlicher Stunde in ihrem Dorf aufgebrochen sein. Woher konnte sie überhaupt wissen, dass ausgerechnet an diesem Tag das Basislager abgebrochen wurde? Es war doch nicht gut möglich, dass sie unsere Teleportgespräche abgehört hatte, denn sie verstand ja weder Deutsch noch besass sie ein Funksprechgerät. Wir standen — ehrlich gesagt — vor einem Rätsel. Aber telepathisches Sehvermögen ist bei einfachen Naturmenschen oft keine Seltenheit. Sie haben jenen sechsten Sinn, der bei uns geringschätzig mit „Spökenkiekerei" abgetan wird. Es wäre falsch gewesen, die Frau nicht ernst zu nehmen, wie es überhaupt ein auf Expeditionen leider oft geübter Kardinalfehler ist, eingeborene Helfer als zweitklassige Menschen zu behandeln und nicht für voll anzusehen. Intoleranz, falsch verstandenes Herrenmenschentum und Arroganz haben schon manches Unternehmen zum Scheitern gebracht, und dass „Wilde", die nicht angekränkelt sind von „Europens übertünchter Höflichkeit" meist bessere Menschen sind, davon konnte ich mich gerade hier in Incapampa wieder überzeugen.
Wie wurde ich später in Deutschland angegriffen von „Besserwissern", weil ich so »unverantwortlich" gewesen, Frauen allein am Rande der Urwäl der sitzen zu lassen, noch dazu an einem Karawanenpfad, der von den „wüstesten Gesellen" begangen wird, — Notzuchtverbrechen und Gewalttaten gegenüber Frauen, wie sie uns die Weltpresse tagtäglich in Schlagzeilen serviert, kennt man in Bolivien nicht. Gemeinheiten solcher Art scheinen ein Privileg gerade jener „Kulturnationen" geworden zu sein, die ansonsten ihre mehr oder weniger holde Weiblichkeit im Film, am Laufsteg und auf Titelblättern in den „Himmel" heben.
Die zerlumptesten Kerle unter unseren Trägern — und Typen, die man in Europa allein ihrer Physiognomie wegen sofort zu Raubmördern und Frauenschändern stempeln würde, haben sich wie vollendete Kavaliere benommen und sind den weiblichen Teilnehmern unserer Expedition nie die gebührende Achtung schuldig geblieben.
Rührend war der Abschied von unserem „wandelnden Orakel", wie wir die Alte aus Huaricunca tauften. Nachdem ich sie noch gefilmt und geknipst, humpelte sie — auf ihren Stock gestützt — den MapiriWeg zurück, während wir gemeinsam — mit unseren „Glückshühnern" — in dem hohen Gras bei Incapampa untertauchten, bis uns im Anschluss daran wieder der Urwald des Chinijo schluckte.
Nur 500 Meter unterhalb des Basislagers waren wir beim Aufstieg am Morgen über eine niedrige Mauer gestolpert, die waagerecht unseren Weg kreuzte, und die erst nach Senkung der Humusschichten auf dem nun viel begangenen Nachschubpfad und durch Auswaschung freigeworden. Noch zwei solcher Terrassen, tadellos aus Steinen gemauert, konnten wir beim Abstieg mitten im Sendero entdecken, nachdem nun der geschulte Blick sich auf ganz bestimmte Anhaltspunkte konzentriert hatte.
Unser Weg war in den steileren Partien zu einem kleinen Wildbach geworden, und die Kraft des Wassers erst konnte die niedrigen Mauerwerke freilegen, über die wir vorher schon gut zweihundertmal mit und ohne Lasten hinweggetorkelt waren, ohne sie überhaupt zu bemerken. Man geht ja nicht in diesen Wäldern — man wankt dahin auf der federnden Taja wie ein Betrunkener. Das ist ja auch einer der Gründe, warum so ein Urwaldgang —von Hitze und Feuchtigkeit ganz abgesehen — weit mehr anstrengt als ein Marsch auf normalen und festen Wegen. „Es ist, als würde man auf Sprungfedermatratzen gehen", erklärte Rudi immer wieder — und er hat recht.
Wir hielten uns nicht lange auf bei unseren Neuentdeckungen und wollten eine genauere Untersuchung dieser Ackerbau oder Gräberterrassen nach Beendigung der Regenzeit vornehmen.
Es genügte uns zunächst die beruhigende Tatsache, dass wir hier zwischen Incapampa und dem PaititiBerg auf den richtigen Spuren waren — und wir freuten uns festzustellen, dass manchmal auch „blinde Hühner" auf archäologischem Gebiet recht gute „Körner" finden können.
Apropos Hühner! Burgl und Monika trugen sie wie Puppen im Arm, und sie liessen sich das gerne gefallen. Nur manchmal wurden sie unruhig und gaben ein aufgeregtes Gurren und Gackern von sich. Dabei machten wir eine erstaunliche Beobachtung; beinahe immer nach so einem Warnsignal bemerkten wir eine Schlange am Boden oder im Gebüsch. Auf dem vierzehnstündigen Weg nach Tulani, den wir wegen Schlechtwetter in Etappen durchführten, haben wir nicht weniger als 5 Schlangen ausmachen können — hauptsächlich auf Grund des eigenartigen Benehmens unseres Federviehs. — Ein bisschen eigenartig war uns Männern schon zu Mute bei dem Gedanken, an wieviel Schlangen wir in den Wochen vorher wohl vorbeigegangen sein mochten, als noch keine „SchlangenwarnGeräte, Modell 1955" uns begleiteten. Inzwischen allerdings hatten wir uns bereits an diese kriechenden und schlängelnden Weggenossen gewöhnt. Wir wussten, dass es nur in den seltensten Fällen Angriffslust war, was sie aus ihrem Versteck trieb, sondern meistens Neugierde. Irgendwie musste es ja auch einem Tier merkwürdig vorkommen, plötzlich einem aufrecht gehenden, grossen, fremden, zweibeinigen Wesen zu begegnen, das sich mit einem blitzend scharfen Ding durch den Urwald schlägt.
Der Rio Chinijo war seit unserem Weggang am Morgen noch weiter angestiegen. Neuschnee oben in der Cordillere bis herab zur Baumgrenze hatten wir von Incapampa aus beobachten können, und eiskalte Schmelzwasser mischten sich nun mit den Zuflüssen aus den schwülen Urwaldtälern.
Der übergang mit dem Seillift vollzog sich nach genauen Spielregeln und unter Einhaltung aller erdenklichen Sicherheitsmassnahmen. Doch davon —und über den Weiterweg nach Tulani — lasse ich wieder Monikas Tagebuch sprechen. Auf jungen Menschen, vor allem aber auf Frauen, wirkt ja so ein UrwaldErlebnis — fernab von dem Getriebe einer überzivilisierten Welt —viel intensiver als auf einen ausgewachsenen und abgebrühten Expeditionshasen.
Frauen erleben den Urwald
„Das übersetzen im Sessellift war eine aufregende Sache, vor allem für Hans, der mit Argusaugen darüber wachte, dass jeder Passant zusätzlich in seinem Sitz mit einer separaten Seilsicherung festgebunden wird. Nur Rudi springt wie ein Fallschirmjäger von der Kanzel und „segelt" — an der Rolle hängend — hinüber ans andere Ufer. Mir wird sogar eine zweite Seilsicherung umgebunden, bevor ich unter einem Geländer durch in den Tragsitz steigen darf. Wie ein Wickelkind im Steckkissen komm ich mir vor bei dieser Fahrt über den Abgrund. Es ist eine zauberhafte Tour — der gischtende, milchkaffeebraune Fluss tief unter mir zwischen den wasserüberronnenen Felsen —Urwaldmauern steigen zu beiden Seiten hoch — und darüber — in einem winzigen Ausschnitt — der Himmel, fahl und grau. — Rudi nimmt mich drüben in Empfang, und dann kommt Burgl an die Reihe in derselben Manier. Rudi hat grösste Mühe uns auszuwickeln und loszuknüpfen von den vielfachen Sicherungen. Hinterher kommen die Lasten — und die Hühner werden einfach auf einem Rucksack festgebunden für ihre Reise nach Paititi. Hans filmt daneben noch einige Passagen mit seiner Rucksackkamera — und unsere beiden Glücksvögel „dürfen" gleich dreimal hin und her, bis die notwendigen filmischen Auflösungen mit verschiedenen Objektiven gedreht sind. Erstaunlicherweise haben manche der Träger immer noch Angst vor der überfahrt und werden im Sitz festgeknotet, dass sie sich kaum mehr rühren können.
Das Schönste am Lager I ist neben unserem grossen Zelt auf einer gerade dafür ausreichenden Plattform das reizende Haus für die Träger, das mit seinen Palmblättern wie ein unfrisierter Kobold etwas weiter oben steht. Der Clou aber ist eine richtige Quelle, die in daumendickem Strahl aus einer Felswand springt.
Man schiebt auch diese "Anlage" den Inkas in die Schuhe, aber was wird in Bolivien nicht alles Inkaquelle und Inkabrücke genannt?! — Burgl ist selig — nach dem Schmutzwasser von Incapampa — hier nun endlich nach Herzenslust waschen und spülen zu können.
Das Wetter bessert sich — und stechend heiss schiebt sich die Sonne aus den Wolken. Wegen der vorgerückten Stunde und der Hitze beschliesst unser Expeditionsleiter hier zu bleiben, um den „Damen", wie er erklärte, nicht gleich am ersten Tag zuviel zuzumuten. In Wirklichkeit war's ihm nur darum zu tun, Schmetterlinge zu filmen, die in den wundervollsten Farben und Formen durchs Lager gaukelten. Eigenartig, dass hierzulande kaum einer dieser herrlichen Falter auf Blumen zu finden ist. Im Gegenteil: sie balgen sich im Verein mit Fliegen um die unappetitlichsten Dinge; dort, wo Urin in den Boden gesickert ist oder Spülwasser, sind sie am häufigsten anzutreffen. Nach der Mittagspause packe ich alle verfügbare schmutzige Wäsche in die Röhren meiner überhose — und was man sonst noch braucht, um Waschtag zu halten — und ziehe mit Rudi los, der sich erboten hat, zwischen der Quelle und einem Quarzblock eine Art Waschtrog aus Steinen zu bauen.
Zu Dutzenden kommen nun die schönsten Schmetterlinge, umflattern mich und die schmutzigen, verschwitzten Sachen, denn einem Duftcocktail aus Seife und Schweiss können sie nicht widerstehen.
Mit Feuereifer ist Burgl hinter ihnen her. Schmetterlingfang auf wissenschaftlicher Basis ist wahrlich keine Spielerei, und einen Falter ohne Beschädigung ins Tötungsglas zu praktizieren, erfordert Umsicht und Übung.
Dazwischen turnt Hans mit seiner Kamera umher und versucht, die buntesten dieser flatterhaften Wesen auf den Farbfilm zu bannen, ehe Burgl sie ihm vor der Nase, oder besser gesagt vor dem Objektiv wegfängt.
Drückend schwül wird es am Spätnachmittag, und ein Gewitter hängt in der Luft. Wir packen unsere Siebensachen zusammen und sind froh, mit den ersten Tropfen die nahe Behausung zu erreichen.
Der folgende Wolkenbruch schwemmt sogar die Feuerstelle weg, und wir wärmen deshalb unsere Abendsuppe oben im Haus bei den Peones. Mit
nassem Gefieder baumen die beiden Hühner auf, und obwohl wir ihnen eine schöne Plane als Regendach gespannt haben, sind sie von ihrem selbstgewählten Schlafbaum nicht mehr wegzubringen.
Eine häusliche Auseinandersetzung zwischen dem anscheinend noch sehr jungen und unerfahrenen Hahn und der weitaus älteren Henne ruft schallendes Gelächter bei unseren Macheteros hervor.
Liebebedürftig versucht der junge Sporenträger sich auf dem Schlafast an seine mütterliche Freundin zu drücken, aber diese verhaut ihn regelrecht, und
nachdem er mehrmals durch die rabiate Hühnerdame von seinem Postament heruntergeworfen worden ist, bleibt diesem Urbild eines Pantoffelhelden nichts anderes übrig, als ein Stockwerk tiefer zu übernachten. Bald wird es dunkel — und wir kriechen alle zusammen in unser grosses Zelt. Hans muss noch Film umlegen, und ich bekomme dabei zum erstenmal eine Ahnung von der Arbeit, die mir als zukünftige Kameraassistentin blühen wird. Die Erklärungen meines Lehrmeisters hören sich recht einfach an, aber bis ich einmal die nötige Übung habe, in völliger Dunkelheit sauber und exakt die wichtigen Handgriffe auszuführen, wird wohl noch einige Zeit vergehen.
Über der Schlucht tobt wieder ein Gewitter. Die Blitze erleuchten taghell für Sekundenbruchteile unser Zelt, so dass Hannes seine Einlegearbeit abbrechen muss, um keine Lichteinfälle auf den empfindlichen Film zu bekommen.
Am darauffolgenden Morgen steht unser Barometer so hoch wie noch selten, und als es gegen neun Uhr immer noch regnet, ermuntern wir unsere Leute, ruhig loszugehen, denn das Wetter würde sich bald bessern und wir kämen gleich hinterher. Voll Vertrauen auf die „Weisheit" der Gringos und ihre geheimnisvollen Instrumente ziehen auch gleich drei Mann dienstbeflissen los, um nach einer Stunde in einem wüsten Platzregen im Laufschritt zurückzukommen, durchgeweicht und verlacht von den weniger eifrigen und schlaueren Compafieros. — Es giesst den ganzen Tag weiter in unverminderter Stärke, und unsere Leute „feiern" und machen es sich gemütlich in ihrer regensicheren Bude. Auch wir verdösen und verlesen die Zeit, denn was kann man unter solchen Umständen im Urwald anderes tun?! — Sei froh, wenn dein Dach dicht bleibt und du zu essen hast! Man denkt an solchen Tagen kaum an etwas anderes, und nie ist Hunger — oder besser gesagt Fresslust —aufdringlicher und Verpflegung sparen schwieriger als an hundertprozentigen Regentagen.
Aus Versehen habe ich mir aus der Expeditionsbücherkiste Nietzsche gegriffen, das heisst seine „Fröhliche Wissenschaft" — und mir summt bald der Kopf von soviel konzentrierter Weisheit. Der Urwald draussen ist wie ein Sieb, durch das ständig Wasser tropft, während unter unserer Zeltkanzel der Rio mehr zu einer unheimlichen, lebendigen Masse wird; ein brauner Drache, der sich donnernd und brüllend durch die engen Felsen wälzt. Unter den nassen Schlägen seiner Pranken ducken sich tiefhängende Sträucher, und er zerrt an dem Gehänge und Gewirr von Lianen. Auf seinem Rücken führt er Bäume, Bohlen und Astwerk daher und schmettert sie gegen die Felsen am anderen Ufer, bis sie in dem donnerndem Gischt einer Wasserhölle für immer verschwinden.
Auch dieser Fluss gehört zu den Wächtern von Paititi, doch wir haben ihn gebändigt durch zwei dünne weisse Seile, die hinüberführen in eine neue Welt, — und die tosenden Wassermassen können unsere „Lebensfäden" nicht mehr zerreissen.
Mit der Abenddämmerung hat der Regen nachgelassen. Nebel ziehen dicht über den eilenden Wassern wie ein sichtbar gewordener Hauch und vermengen sich mit den graublauen Schwaden unseres Lagerfeuers. Irgendwo oben in den Hängen verglimmt das letzte Licht des Tages — die Schlucht ist erfüllt von einer donnernden Ruhe und kennt kein Schweigen.
Grau und trübe beginnt ein neuer Tag. Die Leute tragen wieder Lasten nach Lager II, und unser Kistenstoss hier am Fluss schmilzt merklich zusammen.
Hannes will mit uns erst weiterziehen, nachdem er noch einige Schönwetteraufnahmen an der Seilbrücke in seine Kamera bekommen hat. Es fehlen ihm noch wichtige Zwischenschnitte, wie er behauptet, und er muss es ja schliesslich wissen.
Um aber diesen sonnenlosen Tag nun doch auszunützen, geht unser Herr und Gebieter mit mir den Weg ins Lager II, und ich muss ihm dabei helfen, die Strecke zu vermessen, als Grundlage für eine exakte Karte nebst den dazugehörigen Höhenangaben.
Genaue 800 Meter über dem Meer steht der mächtige MaraBaum, an dem wir die Seilbahn befestigt haben. Die Höhe wurde bestimmt mit Siedethermometer und Aneroid. Die Arbeit beginnt an diesem Morgen, indem wir die Höhenmeter neben Kilometer 0 in die Rinde unseres Seilbrückenbaumes einschnitzen. Dann geht Hannes voraus mit einem 20MeterBergseil, bis es sich spannt und ich bis zur Wegmarke nachkommen kann. Nach 50 solcher Seillängen haben wir den ersten Kilometer hinter uns, und es ist nicht mehr weit bis auf die höchste Erhebung des langgestreckten Urwaldbuckels. Der Monte (Urwald) ist hier ungemein dicht, und der Untergrund der neuen Wegabkürzungen federt und schwankt, als würde man über die Polster eines noch jungen Hochmoores gehen.
Trotzdem aber gibt es keine Rasenflächen und freundlichen Matten wie drüben in Incapampa. — Sehr vergnüglich ist unsere Arbeit nicht. »Marke am Baum rechts!" „Halt!" „Seil aus!" „Seillänge 137!" so brüllen wir zum Beispiel und zerren uns mit dem Seilschwanz durch den Wald. Wir malen die wichtigsten Zeichen und Zahlen an die Bäume neben dem Weg. Hans zückt ab und zu sein Notizbuch, macht eine Kompasspeilung und befragt hie und da seinen Höhenmesser. Bemerkungen über Weg und Geländebeschaffenheit werden ebenfalls zunächst skizzenhaft festgehalten; damit wir später eine wirklich gute Karte anfertigen können.
Nach fünf Stunden haben wir bei Kilometer 4,8 Lager II erreicht — an einem kleinen Fluss gelegen — und dort befindet sich nun der grösste Teil unseres Gepäcks regensicher unter einer mächtigen Zeltplane. — Mit dem grossen Alpenvereinsschlüssel — wie Hannes den Eispickel nennt — öffnet er kunstgerecht eine der Proviantkisten, und wir können unseren Wolfshunger und Durst mit Würstchen und Kompott stillen. — Dann pilgern wir den Weg in der Hälfte der Zeit zurück. An der neu entdeckten Festungsruine bei Kilometer 2,5 wartete Durän mit seinen Leuten auf uns, um von Hans zu erfahren, in welcher Richtung weiter Urwald gerodet werden soll.
Schlangen sind uns auf dem ganzen Weg nicht begegnet. Sie bleiben anscheinend bei Schlechtwetter auch lieber zu Hause.
So stur die Messarbeit ist, die kleinen Rasten dazwischen sind recht unterhaltsam, vor allem, wenn Hannes von seinen früheren Unternehmungen im Chaco Boreal und an der brasilianischbolivianischen Grenze erzählt und Vergleiche zieht mit der Gegend hier.
Im Lager am Rio Chinijo überraschen uns Burgl und Rudi mit einem Berg von Kartoffelpuffern, die wir zur Hauptmahlzeit mit Sauerkraut — und zum Dessert mit Apfelmus verzehren. (Die Folgen waren dementsprechend!)
Am Abend scheint sich das Wetter zu bessern, und wir gehen deshalb fast gleichzeitig mit unseren Hühnern zu Bett. Unsere gefiederten Expeditionsgefährten, die wir „Ferdinand" und „Luise" nannten, fühlten sich im Lager bereits recht heimisch. Nach den ersten noch etwas heiseren Krähversuchen unseres Hahnes am Nachmittag scheinen ihm Kamm und Sporen so gewachsen zu sein, dass diesmal er vor dem Schlafengehen seine Partnerin regelrecht verprügelt, als sie ihm — wie üblich — mit Sdmabelhieben kommen will. Fassungslos purzelt nun die Henne von ihrem Stammplatz herunter. Unter dem Beifallsgejohl der Peones balgt sich das Federvieh am Boden und kullert in der Hitze des Gefechts bis in die kleine Wasserwanne an der Quelle. Nach dieser Abkühlung gibt Luise sich endgültig geschlagen und wird von jetzt ab eine folg und sittsame Hühnerfrau. Einträchtig zusammengekuschelt auf ihrem Ast, träumen die beiden einem neuen Morgen entgegen.
Ein zauberhafter Tag bricht an, und Hannes spannt alle Leute ein, um die letzten Filmaufnahmen an der Seilbrücke zu bekommen.
Fäuste gross beim Seileinziehen — Seilrollen nah in Aktion, von links nach rechts und von rechts nach links — Füsse baumelnd über dem Abgrund. Schwebende Schatten auf dem Wasser im Gegenlicht, dazwischen Morphos, diese herrlichen Schmetterlinge, die — bald smaragdgrün und bald türkisblau schillernd — wie taumelnde Blätter dahinsegeln, trunken von Sonne und Licht. —Filmisch gibt die Seilbrücke natürlich weit mehr her als der monotone Gang durch das Urwalddämmern, und Hannes ist voller Begeisterung über jede gedrehte Szene, die er sich trotz des schönen Wetters mühsam erkämpfen muss. —Über seiner Arbeit vergisst er ganz, dass wir eigentlich heute auch noch ins Lager III umziehen wollten, und ziemlich spät gibt er Durän wenigstens den Auftrag, noch einmal Verpflegungskisten bis zum Zwischencamp II zu bringen, damit der Tag nicht ganz verloren ist.
Die famose Luise legt während unserer Mittagspause auf Holzwollreste in einer leeren Proviantkiste ihr erstes Ei. Geradezu rührend benimmt sich Ferdirmnd; aufgeregt gackernd läuft er vor der Kiste hin und her, lässt sich dann immer wieder nieder und drückt mit, als müsste er das Ei legen. Scheinbar will er durch diese Anteilnahme seiner Gefährtin das Ganze erleichtern, und ein freudiges Krähen des stolzen Vaters verkündet das sensationelle Familienereignis im weiten Umkreis. Allein schon wegen Luise's „Niederkunft" hätten wir heute nicht mehr weiterziehen können.
Der Rest des Tages vergeht mit Vorbereitungen für den morgigen Umzug. Gegen Abend kommen die Leute zurück und schleifen unter »Hallo" eine zwei Meter lange tote Yararaca daher mit wundervoller Rückenzeichnung. Natürlich muss Hannes den Helden, der das Tier erschlug, noch schnell fotografieren, bevor er der Schlange dann kunstgerecht das „Fell" über den Kopf zieht, damit wir unserer Sammlung an solchen Häuten eine weitere Trophäe beifügen können.
Kaum haben wir uns wegen des morgigen Marschtags früh in unsere Behausung zurückgezogen, trommelt schon wieder Regen aufs Dach, und das gleichmässig starke Rauschen vom Fluss her lässt uns bald einschlafen. Erst als gegen 10 Uhr vormittags der Regen aufhört, können wir darangehen, das grosse Zelt abzubrechen und die Gepäckplanen — leider tropfnass — auf die verschiedenen Rucksäcke zu verteilen, damit jeder Mann auch wirklich mit 25 Kilo voll ausgelastet ist.
Die Hühner müssen wieder von uns „Weiberleuten" übernommen werden, und dann setzt sich die Prozession langsam in Bewegung.
Trotz der Sonne, die an diesem Tag stechend heiss durch die Baumwipfel in die 42 Spitzkehren des ersten Aufstieghanges hineinbrennt, kommen wir recht gut vorwärts.
Hannes legt an geeigneter Stelle immer wieder kleine Stehrasten ein, damit wir uns nicht überanstrengen sollen — wie er überhaupt rührend besorgt ist, uns diesen Urwaldgang so leicht und interessant wie möglich zu machen, damit wir die drückende Hitze und das dumpfheisse, stickige Brüten nicht so empfinden. Vor allem macht er auf Gefahren aufmerksam, dort, wo sie offensichtlich sind — aber auch auf Situationen, aus denen welche entstehen könnten. Er hat einen ausgesprochenen „Riecher" dafür, »Unrat" im Vorhinein zu wittern, und es ist bestimmt kein Zufall, dass — dank dieser besonderen Umsicht unseres „Capitanos" — auf keiner seiner Expeditionen und Fahrten bisher ein Unglück mit tragischem Ausgang vorgekommen ist.
Bis hinauf zum Höhenrücken hat sich keine einzige Schlange blicken lassen, obwohl unsere „Hühnerwarngeräte" auf Dauerempfang eingestellt waren. Ein lautes Aufgackern von Ferdinand bei Beginn der neuen, waagerechten Wegabkürzung nach dem Steilhang gilt — wie wir glauben — einem Pavo del Monte (UrwaldTruthahn), der schleunigst das Weite sucht. „Schade", meinte Rudi, „dieser Vogel hätte einen guten Braten abgegeben!" —Fünf Meter weiter sonnt sich eine schwarze Yoroma zwischen Steinen und Blattwerk. „Diese Schlange ist ungiftig und völlig harmlos", erläuterte Hannes. „Sie ist sogar sehr nützlich, weil sie vor allem Giftschlangen frisst."
In vielen Gebieten Südamerikas wird diese Verwandte der „Mussurana" als Haustier gehalten, ähnlich wie man bei uns daheim Katzen hält, um in Hütten und Lagerschuppen Ratten, Mäuse und Giftschlangen zu vertilgen. „Es ist natürlich Geschmackssache, ob man lieber eine Katze oder eine lange schwarze Schlange vom Sofa heruntertreibt, bevor man sich zum SiestaSchlaf hinlegt", meint Hannes grinsend und geht langsam wieder weiter.
Mitten in den Weg hinein hat der letzte Sturm einen Baum geworfen. Beim Durchschlüpfen unter den mächtigen Ästen müssen wir aufpassen. Tucangiras, diese gut vier Zentimeter grossen Riesenameisen, die mit kleinen roten zusammenleben, benutzen diese natürlichen Brücken, um zu ihrem Bau zu kommen, der ganz in der Nähe liegt.
Der Stich der „Istis" — wie die Tiere von unseren Leuten wegen eines Zischwarnlauts, den sie von sich geben, genannt werden — soll etwa der Wirkung von 23 Hornissenstichen entsprechen. Seine Folgen sind wegen der damit verbundenen Schmerzen und blutvergiftungsartigen Erscheinungen bei verschiedenen Eingeborenen Südamerikas oft noch gefürchteter als der Biss einer Giftschlange. Unangenehm der Gedanke, dass solche Tiere einem ins Genick fallen können, wenn man gerade durch ein Bambusdickicht kriechen muss.
Dort, wo sich der Höhenrücken gabelt und ein grabenartiges Tälchen bildet, ist unsere Marke von Kilometer 2 in einen Baum eingeschnitten. Dreihundert Meter weiter — nach Überwindung eines kurzen Steilhangs — trifft man schon auf die ersten Ruinenreste alter Befestigungsanlagen, die sich wie ein SperrRiegel über das Hochplateau hinwegziehen. Dahinter aber, an der Stelle, wo der Lomo bis auf eine Breite von nur noch 5 Metern etwa zusammenschrumpft und einen kleinen Sattel bildet, biegt der Weg scharf in nordwestlicher Richtung ab, um leicht fallend und steigend an dicht bewaldeten Urwaldhängen entlangzuführen, bis er schliesslich in dem grossen Talkessel von Tulani endet. — Unangenehmer Aasgeruch entströmt einem Bambusvorhang, als wir die Abzweigung erreichen. Einige Knochen und Hautfetzen, von Tausenden von Fliegen belagert, das ist alles, was Geier und Ameisen von unserem Esel Moritz noch übriggelassen haben. Nur die zierlichen Äpfelchen des armen Grauschimmels auf dem Pfad hinüber zum nächsten kleinen Flüsschen sind noch so frisch erhalten geblieben in der Urwaldfeuchtigkeit, als wären sie erst gestern gefallen.
Eine kleine Drossel fliegt dauernd vor uns her, bleibt aber immer wieder neugierig irgendwo sitzen, bis wir ihr wieder nahe gekommen sind. Ihr Singsang geht unter in einem Konzert von Urwaldrauschen und Vogelstimmen, und man kann nicht sagen, wer eigentlich der HauptTonangebende ist.
Immer näher dringt ein geradezu aufregendes, heiseres Geschrei. Tuncis sind in der Nähe — wie uns Rudi bedeutet — die „heiligen Vögel der Incas". Wir feuerrote, grosse Funken kommen sie neugierig heran aus Urwaldwipfeln und Astverstecken, machen artige Verbeugungen und Trippelschritte, flattern dahin und dorthin und wissen scheinbar nichts mit uns nie zuvor gesehenen Eindringlingen anzufangen.
Angenehm kühl und belebend ist die Rast am Rio Tuncini. So nennen wir diesen kleinen kristillklaren Bach von nun an im Einverständnis mit Durän — zur Erinnerung an den Empfang, den uns die mehr als taubengrossen „Feuervögel" hier bereitet haben. Ein paar Sonnenstrahlen stehlen sich zwischen Baumkronen durch und tauchen an manchen Stellen das Wasser wie in Silber. Mitten hinein in einen der Lichtstreifen schweben zwei Libellen —wie in Zeitlupe und von oben herab — ganz anders als sonst diese Insekten fliegen.
Sie wirken fast wie Elfen mit ihren zarten, glasartig durchsichtigen, eigenartig rotierenden Doppelflügeln. In ihren Flugmanövern aber gleichen sie Heliokoptern, und deshalb nennen wir sie ganz einfach „Hubschrauberlibellen".
Eine Stunde nach Verlassen dieses herrlichen Rastplatzes erreichen wir Lager II, direkt unter einer grossen Felswand. Am Gepäckstapel vorbei führt unser Pfad hinunter in die Schlucht, über die die Männer einen guten Steg gebaut haben.
Hier gabelt sich nun der Weg: der alte zieht steil über den Berg hinweg durch die berühmte Ameisengasse im CecropiaWald — der neue aber, den wir benützen, führt in einer Breite von über 1 Meter ohne Höhenverlust zu unserem Tagesziel. Einmal noch queren wir ein richtiges Wildwasser, das die Peones Rio Tormiento („Stürmender Fluss") nennen, weil sie beim ersten Vorstoss an dieser Stelle wegen Hochwassers Lager schlagen mussten. Am anderen Ufer liegt rechts am Weg eine tote Buschmeister, die Durän einige Tage vorher erschlagen hat, als er nach einem Lastentransport ins Lager III wieder auf dem Rückweg war. Unsere Hühner „verbellen" auch prompt diese tote Schlange, der wir leider die schöne Haut nicht mehr abziehen können, weil sie schon in Verwesung übergegangen ist.
Einmal noch zieht sich unser Steig durch einen Graben, dann drücken wir uns an jenem grossen Felsklotz vorbei, der senkrecht steht, als hätte ein Riese ihn dort eingepflanzt. „Das ist der ZehnMinutenStein", erklärt uns Rudi, der mit uns weitergezogen — während Hannes mit Durän und den Trägern längst voraus war. „Nach Ablauf dieser Zeit müssen wir im Lager sein." Kurz vor Erreichen des Ziels aber schreit der Kamerad plötzlich „Halt!" und zeigt mit der Machete vor sich auf den Boden. Eine wundervolle Korallenschlange, vielleicht eineinhalb Meter lang, wie schwarz und rot lackiert —mit irisierenden Schuppen — windet sich gemächlich über den Boden. Sie scheint keinerlei Angst vor uns zu haben und verschwindet ganz ruhig und gemessen im Buschwerk, während unsere Hühner immer noch aufgeregt gackern.
Wie eine Oase des Friedens liegt nun Tulani vor uns —nach diesem stundenlangen Urwaldmarsch. Die Sonne hat den Modder in der Rodung aufgetrocknet. Ringsum aber steht der Regenurwald wie eine Mauer — dunkel, drohend, brütend warm und feucht. Nur hier in der Lichtung ist ein kleiner Luftzug zu spüren — die hohen TulaPalmen wiegen sich in der sanften Brise, und die Überdächer der Zelte bewegen sich wie grosse Tücher, die uns zum Empfang winken.
Drüben hört man den Wasserfall, und daneben muss die Treppe sein in jener Felswand, die zuerst entdeckt wurde.
Nach einer OvomaltineStärkung bei unserer Ankunft, die Hannes auch im Film festhält, übernehmen Burgl und ich sofort die Feuerstelle, und im Anschluss an ein gutes Abendessen kriechen wir ehrlich müde in unsere Schlafsäcke. Nur Hannes und Rudi rumoren noch draussen herum; sie nageln einen aufgespannten Regenschirm an einen hohen Baumstumpf und befestigen eine Leiter daran, um unseren Hühnern — auch im Urwald — eine standesgemässe und regensichere Unterkunft bieten zu können.
Luise, die sich unterwegs tapfer gehalten hat, legt abends nach langem Hin und Hersuchen voller Bedrängnis ein zweites Ei — ausgerechnet in meinen Hut, der am Gepäckstapel liegengeblieben war.
Morgen werden wir als erstes für unsere Eierlieferantin ein richtiges Nest bauen." — Soweit Monikas Tagebuch.
Der erste Morgen im Tal von Paititi bringt unseren weiblichen Teilnehmern gleich einige aufregende Erlebnisse.
Für Burgl als Frühaufsteherin ist es ein grosser, schwarzgelb gestreifter Panzertausendfüssler, der ihr bei der Morgentoilette über den Wasserkessel kriecht. Mit dem Buschmesser schleudert sie ihn in hohem Bogen in die Gegend. — Zufällig findet ihn Rudi wenig später wieder an einem Bau mit Tucangiras, die bereits über ihn hergefallen sind.
Im Nu habe ich auf die alarmierende Nachricht meines Kameraden hin die Kamera herbeigeschleppt und schussfertig gemacht, um diese seltenen Szenen in Grossaufnahmen bis zu MakroEinstellungen im Farbfilm festzuhalten. Burgl und Rudi bedienen die Blenden und müssen gleichzeitig aufpassen, dass mir die wildgewordenen „Istis" nicht an Stativ und Hosenbeinen hochklettern.
Scheinbar beeindruckt von unserer Nähe und dem Hantieren mit den Geräten, vor allem den blitzenden Silberpapierreflektoren — lassen die Tucangiras von ihrem Opfer ab, das die Gelegenheit wahrnimmt und schleunigst davonkriecht. Was aber nützen „tausend Füsse", wenn das Tier ausgerechnet auf den Eingang des Ameisenbaus zusteuert und sich darin zu verstecken sucht. — Damit ist sein Schicksal besiegelt, denn Tucangiras — die grössten Ameisen der Welt — kennen kein Pardon bei Ruhestörung.
Schnell ist die willkommene Beute durch Giftinjektionen zwischen die einzelnen Ringe getötet. Mit ihren Zangen gehen dann die Panzerknacker ans Werk, wobei die Zungen wie Stahlmeissel zustossen.
Fasziniert von diesem Erlebnis haben wir kaum bemerkt, dass Dutzende von Tucangiras nun auch gegen uns zum Angriff übergegangen sind und die ersten Vorhuten bereits Blenden und Kameras erklettert haben. Schleunigst schlagen wir die wilde Meute mit unseren Lederfäustlingen und mit Zweigen zurück und bringen uns im Anschluss daran mit der Apparatur in Sicherheit.
Monika döst noch immer in ihrem Zelt. Aber bei allem Verständnis für das Schlafbedürfnis eines jungen Menschen nach einem anstrengenden Marschtag lasse ich nun doch einen energischen Weckruf los. Sehr gedehnt klingt die Antwort: „ Ja — — ich komm ja schon!"
„Nein, bitte bleib, um Gottes Willen!" schreie ich entsetzt — denn in dem Augenblick, da Monika im Zelt zu rumoren beginnt, bemerke ich eine graugrüne Schlange, die sich blitzartig in einen der neben dem Eingang stehenden Schuhe zurückzieht. Sie scheint darin übernachtet und mein Kommando „Aufstehen" vorhin — auf sich bezogen zu haben.
Es ist eine alte Urwaldregel, Stiefel und Kleider, die nachts vor dem Zelt geblieben sind, am Morgen mit Vorsicht zu behandeln; nur zu gerne benützen Schlangen, Vögelspinnen und ähnliches Getier derlei Schlupfwinkel als Nachtquartier, und es ist alles andere als angenehm, mit einem nackten Bein in eine Hosenröhre zu fahren, die bereits von einer Schlange besetzt ist.
Kein Drehbuchautor der Welt hätte die Situation besser schildern können, als der Zufall sie mir nun darbot. — Während ich die Schlange beobachte und Monika hinter ihrem Moskitogitter auf weitere Anweisungen wartet, schleppen Burgl und Rudi meine beiden Filmkameras nebst Zubehör heran. Der eine Apparat richtet sein Teleobjektiv für eine Grossaufnahme auf die beiden Schuhe, der andere übernimmt die Totale des Zelteingangs, um die voraussichtlichen Reaktionen von Mensch und Tier in allen Phasen festzuhalten. Burgl bitte ich, eine Injektionsspritze mit Schlangenserum zu laden, denn bei der Szenenfolge, die mir nun vorschwebt, müssen sicherheitshalber alle Eventualitäten einkalkuliert werden.
Unserem Hauptdarsteller wird seine Stiefelwohnung offenbar ungemütlich, und vorsichtig schiebt er sich mehr und mehr heraus. Surrend erfasst die eine Kamera bereits diesen Augenblick. Dann fällt das Stichwort für Monika. Sie ist von mir genau instruiert und weiss, was sie zu tun hat. Rudi steht — gerade ausserhalb der Bildbegrenzung — mit schlagbereiter Machete, um blitzschnell eingreifen zu können, falls es nötig erscheint. Beide Kameras laufen jetzt. Monika verlässt — vorschriftsmässig gähnend — das Zelt und ergreift den am nächsten liegenden leeren Schuh, um ihn ganz gemütlich anzuziehen. Mit dem Offnen des Reissverschlusses am Zelteingang erstarrt die Schlange in ihrer Kriechbewegung und hängt wie ein lebloser, dürrer Ast —aber dennoch ganz gespannte Aufmerksamkeit — in gespenstischer Mimikry aus dem Stiefel.
Der entscheidende Augenblick kommt mit dem Griff nach dem zweiten Schuh. — Gross fährt die Hand ins Blickfeld meiner TeleOptik. Jäh wird die Schlange lebendig und schnellt der Hand entgegen. Wie der Blitz zuckt diese zurück. Mit einem Aufschrei springt Monika ins Zelt und reisst den Verschluss hinter sich zu.
„Grossartig" ertönt's spontan aus unser aller Munde.
Aber während ich mit der einen Kamera schon wieder die fliehende Schlange leinwandgross verfolge, übersehe ich hinter meinem Okular, dass das Tier nun direkt auf Burgl zuschiesst, die — wie mir später Rudi schildert —völlig überrascht von der neuen Situation — auf einer Kiste neben ihrer Serumspritze sass und eine Silberblende hielt. — Ganz unprogrammässig saust Rudi's Buschmesser in die Szene und trennt der Schlange den Kopf vom Leib.
Vor die Freude der seltenen Europapost haben die Götter von Patiti „Schweissbienen" gesetzt; die KameraArbeit aber muss sogar ohne Schutzgitter getan werden.
Beim Nachtfang von Schmetterlingen und mit einem Prachtexemplar von Nashornkäfer.
»Und das alles für die Firma", meint Monika trocken, indem sie nun ungefährdet ihr Zelt zur Morgenwäsche verlässt.
Unter Ausnutzung der letzten Sonnenminuten an diesem Tag baue ich in das bereits gedrehte Szenengerippe die noch nötigen Ergänzungsaufnahmen ein, um den Komplex »Stiefelschlange" zu einem filmisch wirksamen Abschluss zu bringen.
Keinen Augenblick zu früh sind die Filmgeräte unter Dach gebracht worden, da giesst es schon wieder in Strömen. Man ist während solcher Tropenplatzregen oft stundenlang zur Untätigkeit verdammt, und dabei brennt einem die Arbeit unter den Nägeln.
Zum Glück haben die Träger an diesem Schlechtwettersonntag zehn weitere Lasten aus dem Lager II geholt, allerdings für den doppelten Lohn nebst Feiertagszulage in Form von Zigaretten.
Gegen Abend kracht ein Schuss oben am Weg. Unverkennbar meine alte Donnerbüchse, die mich im Jahre 1932 schon auf eine GrönlandExpedition begleitet, und die ich nun Durän geschenkt habe zum Dank für seine Verdienste um unser Unternehmen. — Es war anfangs gar nicht so einfach gewesen, diesen simplen Peon — allen Traditionen zum Trotz — zum Capataz zu machen. Erst als ich ihm dazu noch diese alte, einläufige Schrotspritze verehrte — als äusseres Zeichen der neuen Würde — wuchs neben seiner Tüchtigkeit auch noch sein Ansehen.
Mit einem erlegten Sari kommt Don Eliseo — wie wir unseren Trägerobmann freundschaftlich auch beim Vornamen nennen — im letzten Büchsenlicht aufs Lager zu. — Diese rattenähnlichen Tiere — auch Goldhasen oder agutis genannt — sind, von einigen Affen abgesehen, das einzige jagdbare Wild in diesen Urwäldern um den Cerro Paititi. Sie ernähren sich hauptsächlich von »Fallobst", das heisst von faustgrossen, fleischigen, rosskastanienähnlichen Baumfrüchten einer DurianArt, die beim Aufprall auf den Boden auseinanderplatzen. — Ansonsten aber hausen die Saris voller Eintracht und in Freundschaft zusammen mit Schlangen — besonders der Buschmeister — in den gleichen Höhlen.
Leider konnten wir während der ganzen Expedition insgesamt nur zwölf „agutis" — in der Grösse unserer Feldhasen etwa — erlegen, und voller Wehmut dachte ich an meine früheren Unternehmungen im Chaco Boreal, am Rio Verde und in der Cerrania Ricardo Franco, wo wir unseren Küchenzettel bis zu 80 Prozent von der Jagd bestreiten konnten.
Bedenklich nahe an die Zelte heran kracht in der Nacht ein alter TahiboStamm mit zentnerschweren, blühenden EpiphytenKolonien mitten ins Lager — und ich beschliesse deshalb, alle Bäume umschlagen zu lassen, die irgendwie bei einem eventuellen Sturz die Hütte der Peones oder unserer Behausungen gefährden könnten. Nur kleine Schattenspender dürfen noch stehen bleiben innerhalb unseres Wohn und Schlafbereichs, und deshalb müssen leider auch drei gertenschlanke TulaPalmen fallen, deren gefiederte Kronen weit über die Wipfel der übrigen Urwaldbäume herausragten. Bei einer von ihnen konnten wir eine Stammlänge von 52 Metern vermessen. Neben idealen Wasserleitungsrinnen und Dachschindeln liefern diese RiesenFlederwische das delikateste aber zugleich auch teuerste Gemüse der Welt. Palmherzen bzw. ganz junge, zarte Palmspitzen schmecken — roh gegessen —wie Nuss, und gekocht, als Gemüse oder Salat, wie feinste Spargelspitzen oder Artischockenböden; sie waren bei unserem Vitaminhunger gerade das Richtige. — Jede Palme kann eine einzige Mahlzeit dieser Art für etwa vier bis sechs Personen in Form einer armdicken Spargelstange von ca.1 Meter Länge geben, aber dafür muss sie sterben. Nur Millionäre können sich einen solchen Luxus erlauben, oder — Holzknechte, wie wir es nun waren.
PLÄNE FRAGEN STÜRZENDE BÄUME
Auf drei bis fünf Hektar will ich als nächstes die Rodung um das Lager herum ausdehnen, um überhaupt einmal einen Überblick zu bekommen über die bisherigen Ruinenfunde — und damit weitere archäologische Möglichkeiten ins Auge zu fassen.
Ich musste mir ja endlich ein Bild davon machen können, welche Zusam menhänge zum Beispiel bestanden zwischen der Pyramidentreppe und der Wasserleitung unterhalb, die in südwestlicher Richtung hinüberführte zu Stützmauern und einem eingefallenen Stollen. Handelte es sich hier um einen alten Bergbau — oder um eine Zufluchtsstätte? — Was bedeuteten ferner die mächtigen Steinplatten, die in Treppenform auf ihrer Lehmunterlage in ein kleines Tal führten, und was hatte es mit zwei Ruinen auf sich, die wie grosse steinerne Bienenkörbe von fünf Meter Durchmesser in einem Nachbartälchen standen?
Wozu mochte einmal die hohe Kanzel aus riesigen Quadern am ersten Hügel — vierzig Meter direkt über dem Abgrund — gedient haben? War sie einst eine Opfer oder eine Richtstätte, von der aus man Menschen einfach in die Tiefe gestossen hat?
Welche Zusammenhänge bestanden zwischen den hünengrabartigen Felsgebilden und dem „ZehnMinutenStein" oben auf dem Weg zum Lager? Handelte es sich dabei um Stellen, die die Richtungen nach den Wenden bedeuteten, während die Ortungslinie vom Beobachtungsplatz auf der obersten Treppenterrasse über die beiden Hügel hinweg nach Tagundnachtgleichen festgelegt war?
All diesen Beobachtungen stand der Urwald hindernd im Wege. Deshalb musste er fallen — ja, noch viel mehr.
Mein Plan war, nach dem Abtrocknen der Lichtung das ganze Durcheinander von dürrem Holz und Stämmen — gemäss der in Südamerika üblichen Methode des Rodens — einfach anzuzünden.
Wie Vogel Phönix aus der Asche, so sollte das alte Paititi von neuem erstehen! — Das war die Idee, die uns in den nächsten Monaten vorwärtstrieb und begeisterte und die alle Mühen und Plagen vergessen machte. Erst wenn ein beachtliches Stück Wald abgeholzt und abgebrannt war, konnte überhaupt an Ausgrabungen gedacht werden. Alles andere musste Stückwerk bleiben, das nicht befriedigte.
„Ausgraben heisst Zerstören" — dieser Ansicht von Professor Böhringer (Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts) kann ich mich als Autodidakt auf dem Gebiet der Altertumskunde natürlich nicht verschliessen. Trotzdem möchte ich für meine Person diesen Leitsatz eines Experten erweitern, indem ich sage:
„Ausgraben heisst sinnvoll zerstören!"
Nach dem Brand sollte in unmittelbarer Umgebung der Ruinen zunächst einmal Gras gesät werden und zwar sehr dicht, damit der Urwald nicht wieder hochkommen konnte. Darüber hinaus legte ich die Plätze fest, wo wir später Apfelsinen, Bananen, Chirimoyas, Grapefruits, Mandarinen und Mangos pflanzen — und auf welchen Flächen wir Yucca, Mais und Reis anbauen wollten, als Nahrungsmittelbasis für spätere archäologische Aufgaben grösseren Stils.
Stählernen Spechten gleich hallen fortan die Schläge unserer Äxte durch die ewigen Wälder. Was zum Sterben verurteilt ist, muss fallen, und nur einzeln stehende Mara und LaurelBäume sowie Palmen dürfen weiter leben, um den Charakter des Landschaftsbildes zu erhalten und den Haushalt der Natur nicht zu sehr zu stören.
Meine treuen Helfer haben eine geradezu unwahrscheinliche Technik, auch dem dichtesten Urwald Herr zu werden. Zuerst hauen sie in Fallrichtung eines Baumgiganten eine ganze Gruppe von Stämmen nur leicht an. So wie im Hochgebirge durch einen einzigen rollenden Stein eine ganze Lawine entfesselt wird, bricht hier eine grüne Sturzflut los, wenn so ein Urwaldriese zu Boden muss und im Sterben noch reihenweise seine waidwundgeschlagenen Artgenossen niedermäht.
Wieder kracht unter den wuchtigen Axtschlägen des schwarzhaarigen Indianers Huanca ein herrlicher, hoher Baum — einer dorischen Säule gleich —von seinem Sockel am Rand eines Abhangs — hinein in das tieferliegende, berstende Gehölz, wälzt sich — eine kleine Welt zerstörend — am Boden, schnellt noch ein letztes Mal mit seinem Stammende hoch, um dann federnd für immer zur Ruhe zu kommen. Grüne Blätter wirbeln — im Gegenlicht —wie silberne Schneeflocken zur Erde. Abwartend schwanken Nachbarbäume in diesem Inferno. Sie wirken so hilflos mit ihren nur noch an Rindenfasern hängenden Armen, die ihnen der fallende Kamerad abgeschlagen — bis auch sie das Schicksal ereilt.
Diesen Totentanz sterbender Baumgiganten auch im Film zu erfassen und in künstlerische Form zu giessen, war eine Aufgabe, die mich voll und ganz erfüllte. Es war für mich selbstverständlich, dass ich dabei von den üblichen und zum Teil kulturfilmmässig oft recht langweilig wirkenden Holzfällerstories abgehen musste, um jene Wirkung zu erzielen, wie sie mir für eine Ideallösung vorschwebte. Beginnend mit rein dokumentarischen Totalen von der Arbeit der Männer im Urwald mussten sich Rhythmus und Tempo steigern über Halbtotale hinweg bis zu Einstellungen von Gesichtern, schlagenden Äxten, Fäusten und klaffenden Kerben in Leinwandgrösse.
Nach diesem Vorspiel stürzt der erste Baum von links nach rechts ins Bild. Der nächste kommt von rechts nach links — unter Aufstöhnen, das heisst im Originalton der berstenden und krachenden Holzfasern. Immer stärker konzentrieren sich im Bild Tempo und Bewegung — akustisch wirksam unterstützt durch den Einsatz von Musik, die wie ein Klagelied anmutet. Im Drehschwenk der Kamera beschreiben zuletzt die stürzenden Bäume Bögen und Kurven, bis dieser Totentanz der Urwaldriesen optisch und akustisch in einem Weltuntergangsfurioso seinen Höhepunkt und — mit schlagartig einsetzender Tonstille — seinen Ausklang findet.
Von Tag zu Tag vergrössern sich die Lichtungen. Bald fliegt der Blick frei vorbei an den Silhouetten hoher Palmen, die selbst das immergrüne Wipfeldach der Urwälder gegen den Cerro Paititi hinauf noch durchstossen. —Lauter und lauter kommt das Rauschen des Wasserfalls von der Treppenterrasse herüber zu den Zelten, und schon schimmert der weisse Gischt durch die lichter werdenden Laub und Lianenvorhänge.
HEIMATERINNERUNGEN UND EXPEDITIONSALLTAG
Luise hat bereits ihr fünftes Ei schön brav in eine Kiste gelegt, und wir leisten uns den Luxus, vier davon zum Frühstück zu verspeisen. Nur ein einziges bleibt — als Anreiz für weitere Produktion — im „Nest".
Ferdinand weckt schon im Morgengrauen — unter seinem Regenschirm heraus — mit einem zünftigen „Kikeriki", das fremd wirkt in dieser Umgebung und doch so anheimelnd klingt. Stets wälzt man sich nach dem ersten Hahnenschrei in der molligen Schlafsackhülle wieder aufs andere Ohr und döst weiter. Es ist ja meist noch stockdunkel. — Der Tropentag beginnt —gleichmässig jahraus, jahrein — erst um 6 Uhr früh und endet genau nach 12 Stunden — um 18 Uhr.
Bis in die Träume hinein schwingt der Weckruf weiter — und entführt einen sacht in eine andere Welt. Kindheitserinnerungen tauchen auf — Sommerfrische — ein Bauernhof in Oberbayern. Damals — auch so ein Biest von einem Gockel, der schon mitten in der Nacht zu krähen begann. Dieser Mistkratzer, der seinen Harem tagaus, tagein auf den stinkigen Fladenthron lockte, gleich hinter dem Kuhstall. Man roch ihn förmlich im Schlaf noch, diesen kunstvoll geschichteten, rechteckigen Haufen, auf den der alte Bauer so stolz war; und davor die dunkelbraune Brühe, in der sich die weissen Blüten der Holunderstauden wie Porzellanteller spiegelten. — Wenn wir Buben „Fangemandl" spielten, war diese „duftende" Pfütze oft die einzige „Rettung". Barfuss platschte man im „olympischen Dreisprung" hindurch, und in einem Sperrfeuerhagel von Jauchespritzern musste selbst der kühnste Verfolger den Rückzug antreten. —„Kikeriki!" Wieder kräht der Hahn! Morgenlicht, fahl und kraftlos, trifft die noch schlafmüden Augen. — Wo sind die Spielkameraden geblieben, mit denen man gerade noch gealbert?! Dahin — im Nichts zerronnen. Vorbei —die goldene, unbeschwerte Jugendzeit! — Moskitos branden in summenden Wolken gegen den Schleier des Zelteingangs, und wüste Flüche aus der Hütte der Peones bringen einen vollends zurück in die rauhe Wirklichkeit.
Weit von hier ist die gute, alte Heimat; dieses wundervolle Hügelland vor den Bergen mit seinen Seen so blau und so duftig wie ein zarter Föhntag —mit den behäbigen Bauernhöfen und barocken Kirchen, seinem urwüchsigen Menschenschlag und den vielen schönen Erinnerungen.
Länder und Meere liegen dazwischen — eine bunte, fremde Welt, die trotz ihrer abenteuerlichen Reize die alte Heimat nicht vergessen lässt.
Im Gegenteil! Niemals sind der Gedanke an sie und das Gefühl der Verbundenheit mit ihr stärker gewesen als auf meinen Fahrten in fremden Ländern, und stets packte mich das Verlangen nach der weiten Welt mit aller Macht — oft schon, wenn ich nur kurze Zeit wieder zu Hause war. In der Tragik dieses ewigen Hin und Herpendelns zwischen Fernweh und Heimweh — dieser chronischen Handwerksburschen und Vagabundensehnsucht —liegt eine gewisse schöpferische Kraft.
In der Fremde sing ich das Lob der Heimat, und in der Heimat berichte ich von der leuchtenden, lockenden, weiten Welt!
Die Wochen kamen, die Wochen gingen — so, wie Kalender und der Lauf der Gestirne es vorschrieben; und als der Monat April zur Hälfte vorüber war, da nahmen auch unsere Peones Abschied. Fast drei Hektar Urwald waren geschlagen. Nun wollten die Männer nach Hause — zur Reisernte, wie sie sagten. Oder bedrückte sie vielleicht doch der Gedanke zu sehr, ein Sakrileg zu begehen, wenn sie weiter mit uns zusammenarbeiteten — und sich vor allem an Ausgrabungen beteiligten? Noch war es ja längst nicht so weit, denn erst mussten die Lichtungen wenigstens drei Monate trocknen, bis überhaupt gebrannt und gegraben werden konnte.
Aber seit Rudi und ich einen Steinpflock ausgebuddelt hatten am ersten Hügel, waren die Leute etwas eigenartig geworden. Nicht, dass sie aufsässig gewesen wären, nein, im Gegenteil! Ich glaube, man hielt uns eher für leicht verrückt — „loco" — wie man hierzulande sagt, um dann mit jener mitleidigen, international bekannten und recht bezeichnenden kreisenden Fingerbewegung auf.die Stirn zu deuten, hinter der bekanntlich beim Menschen der Verstand sitzen soll. — Respektvoll, aber dennoch mit verhaltenem Grinsen beobachteten sie kopfschüttelnd unser Tun.
Wir pressten Blätter und Blüten zwischen alten Zeitungen für unser Herbarium und sammelten Schmetterlinge und Käfer — ja, wir fotografierten und filmten sie sogar. Wir zahlten den Leuten Prämien, wenn sie uns den Schlupfwinkel einer Schlange verrieten — oder eine tote brachten, die wir dann in Alkohol legten, anstatt den guten Zuckerrohrschnaps selber zu saufen. Wir interessierten uns nicht für Gold, obwohl uns unsere Helfer immer wieder aufforderten, Tulani doch aufzugeben und in die Nähe von San Carlos zu ziehen, um aus dem Flussbett des Corihuaira lieber das gelbe Metall zu waschen als hier Ruinen freizulegen und Bäume zu fällen. Wir waren in ihren Augen eben arme Irre, die man gewähren lassen musste.
Sie halfen uns, den 1,20 m hohen, schön gearbeiteten, spazierstockähnlichen Stein ins Lager zu schleppen. — Der alte Chamayro, der einst als Bub mit seinen Eltern aus der TiticacaSeeGegend gekommen war, um in den Wäldern von Mapiri zu siedeln, nannte den gefundenen Klotz „Intihuatana". Erst später erfuhren wir, dass an solchen in die Erde gerammten Steinen Inkapriester bei kultischen Handlungen den letzten Strahl der Sonne symbolisch festbanden, und dass solche Sonnenpflöcke auch in Tiahuanacu, in Cuzco und andernorts gefunden wurden.
Durän und der Indianer Huanca waren die Letzten, die gingen. Während ich mit dem Capataz noch die Abrechnung machte und den Zeitpunkt besprach für die Wiederaufnahme der Arbeit nach der Ernte, sollte Huanca nochmal ins Lager II zurück, um die letzten beiden dort liegenden Lasten zu holen — die eine nach dem Frühstück, die andere nach der Hauptmahlzeit. —Aber der Träger, der früh losgezogen war, liess sich den ganzen Tag nicht mehr blicken, und wir glaubten, er sei einfach abgehauen auf Nimmerwiedersehen.
Er war ja immer recht eigenartig gewesen, dieser fast nackte Halbwilde vom Stamme der Yuracare aus dem Tiefland — mit seinem binsensträhnigen, pechschwarzen Haar, der dunkelbraunen Haut und dem vorgeschobenen Bauch. Die anderen behandelten ihn auch immer verächtlich als „Indio", dem nicht zu trauen sei.
Da schleppte er bei Einbruch der Dunkelheit endlich eine Kiste daher, die er mit einer Lianenschlinge am Rücken trug, stellte die Last wortlos zu Boden und verschwand wieder im stockdunklen Wald. — Nach zehn Minuten kam er mit der zweiten Kiste.
Er hatte — wie uns Durän später berichtete — den ganzen Tag über abwechselnd die beiden „bultos" hundertmeterweise — als Staffette gewissermassen — hierhergeschleppt. Diese Methode erschien ihm viel praktischer, als zweimal in das andere Lager zu gehen. — Der Kerl war wirklich eine grossartige Type — wie er hernach dann am Feuer sass und an einem gerösteten Maiskolben nagte, voller Zufriedenheit mit seinem Tagewerk, mit sich selbst und der Welt, denn schliesslich war es ja seine Sache, auf welche Weise er die beiden Gepäckstücke heranbrachte.
Beim Abschied am anderen Morgen bat mich Huanca um papel hygienico (Toilettenpapier). Ich riss ihm einige Blätter in Meterlänge ab, aber damit war er nicht zufrieden. Er wünschte sich als propina — als ExtraBelohnung —eine ganze Rolle davon, und als Durän ihn grinsend fragte — wofür, gab er verlegen bekannt, dass er sich daheim Zigaretten damit drehen wolle.
Mit dem Weggang der beiden schien die Zeit für uns in diesem weltfernen Erdenwinkel stillezustehen, und wir fühlten uns wie auf einer einsamen Insel inmitten eines unendlichen grünen Ozeans. Expeditionsalltag und Filmarbeit aber liessen keine Langeweile aufkommen. Wir hatten alle Hände voll zu tun, nachdem uns keine Helfer mehr zur Verfügung standen.
Als erstes machten wir Kassensturz. Nach Auszahlung der Löhne und weiterer Vorschüsse bzw. Handgelder — damit wenigstens einige Leute nach der Ernte auch wirklich wiederkamen — verblieb uns noch genügend, um das Unternehmen planmässig zu Ende zu führen. Im übrigen hatten wir hier im Urwald keinerlei Gelegenheit, Geld auszugeben.
Beim Planieren einer Terrasse für unser Benzinaggregat passierte mir etwas eigenartiges; gerade, als ich mit meiner Axt zum letzten Hieb aushole, um eine im Boden liegende Wurzel vollends durchzuhauen, spüre ich plötzlich einen Schlag ans Eisen. Wie leblos fällt ein kleiner Kolibri zu Boden, der mitten im Flug gegen die sausende, blitzende Axt geprallt war. —Schade um dieses elfenhaft zarte, smaragdgrün und metallisch blau schimmernde Wesen, das nun mit hängendem Köpfchen und seinem langen Schnabel in meiner Hand liegt. Ins nächste Zelt gebracht, erholte sich das Tierchen rasch wieder von seiner Betäubung. Nach einigen Flugversuchen gegen das Moskitonetz lassen wir den kleinen Schwirrvogel frei und schauen ihm nach — fast mit Bedauern, dass er uns so schnell schon wieder verlässt. Wie ein gefiederter Pfeil schiesst er davon über die Lichtung.
Ein ganzer Tag verging, bis unser MiniaturElektrizitätswerk wieder aufgebaut und betriebsfertig in einem Hüttchen stand, das wir mit Palmschindeln in Form von Mönch und NonneZiegeln abdeckten.
Dieses 1000WattZündappAggregat, das zum Aufladen meiner Akkumulatoren für die Filmkameras und zum Betrieb von Tonapparatur, Funksprechgeräten und Radio lebenswichtig war, mussten wir trotz seiner Handlichkeit für den Weg über die Cordillere und bei Lagerwechsel leider immer wieder zerlegen, weil das Gesamtgewicht für Menschen und Maultiertransport zu gross war.
Wir hatten es wochenlang — aufgebaut — im Haus am Rio Chinijo gelassen, und Rudi musste manchen müde gewordenen Akku dorthin schleppen, um ihn wieder gebrauchsfähig zu machen.
Nun aber war der Motor hier — und an diesem Abend wie an manchem anderen strahlt unter dem Vordach des grossen Wohnzelts als Luxusbeleuchtung eine 60WattBirne, und nicht weit davon knallt das grelle Licht eines 500WattScheinwerfers gegen ein grosses weisses Tuch, das zwischen zwei Bäumen aufgespannt ist. — Erst das Blendlicht zaubert aus den nächtlichen Urwäldern die allerschönsten Schmetterlinge und Käfer auf die Fangleinwand. Inmitten dieser Schwärme lichttrunkener Insekten ist das Hauptjagdrevier von Burgl, die für unsere entomologische Sammlung manche Nachtstunde opfert, um ihre bisherige Ausbeute noch weiter zu vermehren.
Da stehen auf AluminiumKoffern Tötungsgläser — eine ganze Batterie in verschiedenen Grössen. Hier wird behutsam mit Pinzetten zugefasst, und dort werden Falter vorsichtig in kleine CyankaliRöhrchen abgeklopft, in denen ihr Leben im Nu erlischt. — „So ähnlich habe ich mir immer eine Hexenküche vorgestellt! Nur müssten statt der Falter dann Fledermäuse flattern — und an Stelle von dir müsste hier eine richtige Hexe hantieren — mit einer Warze auf der krummen Nase und einer schwarzen Katze!"
So nehme ich unsere AmateurZoologin hoch, um dann selber mit der Filmkamera in diesem schwirrenden Hexenkessel unterzutauchen. — Dieses Massenaufgebot bezaubernder „Stars" und der Charme und die Anmut ihrer Bewegungen sind faszinierend. Gibt es schönere Entwürfe für die Abendroben der Damenwelt als diese — von geflügelten Mannequins vorgeführt?
Hauchzarte Modelle duftiger Flügelkleidchen kommen hier zur Entfaltung, die im Schnitt, in ihrer Eleganz, in Farbe und Ausstattung jeden Modeschöpfer neidisch machen könnten, und für die Kaiserinnen und HollywoodSterne ein Vermögen opfern würden. — Wie in einer PiccicatoPolka trippelt und tanzt es über den „Laufsteg" in immerwährendem Dacapo; und ich pflück' mir die Schönsten mit dem Tele heraus, direkt von der Leinwand weg, um sie später wieder auf die Filmleinwand zu zaubern — zur Freude Tausender von Menschen, die nicht die Möglichkeit haben, eine solche Starparade in natura zu schauen.
Mit dem Erlöschen der Lichter ist die Nachtjagd zu Ende. Für Burgl beginnt die Hauptarbeit jedoch erst am nächsten Tag, wenn die Beute registriert und verpackt werden muss. Behutsam wird ein toter Falter nach dem andern in eine Dreieckstüte geschoben, die mit dem Fangdatum abgestempelt ist. Kleinere Schmetterlinge oder winzige Insekten — sofern es sich nicht um besondere Raritäten handelt — wandern gleich zu mehreren in so ein durchsichtiges Papiersäckchen. Hunderte solcher Tüten mit Inhalt füllen einen Blechbehälter, der nach dem Austrocknen der Tiere zugelötet wird. — Wieviel Stunden Arbeit aber hingen an diesen gefangenen Schmetterlingen und Käfern, den buntschillernden Agrias und den handflächengrossen Morphos, bis wir sie später glücklich einem Fachmann abliefern konnten — zusammen mit der genauen Beschreibung der Biotope?!
Nur ein einziges Beutestück blieb zurück — denn es war der besondere Stolz unserer Sammlerin — ein zwölf Zentimeter langer, dunkelbrauner Nas hornkäfer mit einer mächtigen Zange und einem ganz feinen, goldschimmernden Borstenpelzchen.
Die Wetterlage blieb weiterhin katastrophal, und ich verwünschte manchmal meinen Einfall, ausgerechnet in den berüchtigten niederschlagsreichen Yungas einen grossen Farbfilm zu drehen.
Hier an den Ostausläufern der Anden, wo zwei Klimazonen aufeinanderprallen, wo die feuchtheissen Dünste und Wolkendrachen des AmazonasBeckens mit den Kaltluftschlangen der eisbedeckten Cordilleren in dauerndem Kampfe liegen, musste es ja Tränen geben. Wie oft waren wir nach einer aussichtsreichen sternenklaren Nacht am Morgen voller Begeisterung und Zuversicht mit unseren Kameras losgezogen — über die Schlachtfelder der umgeschlagenen Bäume hinweg, um zu unseren Motiven zu gelangen. Kaum aber waren die Geräte aufgebaut, da weinte der Himmel von neuem los, und wir konnten nach einigem Warten unsere Apparate nur resigniert wieder abbauen und sie nach dieser Feuerwehrübung — unter Hürdenklettereien über die Lichtung hinweg — ins Lager zurückbringen. Solch trostloses Filmwetter hatte ich vorher nur noch in den Wintermonaten 1938/39 erlebt — und zwar in Feuerland am Monte Sarmiento und in den Regenurwäldern der MagellanStrasse. Nicht umsonst nannte man ja auch die Gegend dort unten den nassen A ... der Welt. Mit was aber sollten wir unsere Region noch vergleichen, wenn der bezeichnendste Kraftausdruck dafür schon anderweitig vergeben war? — Um ein paar lächerliche Filmszenen in den Kasten zu bekommen, musste man sich viele Tage plagen. Die Sonnenminuten wurden bei uns richtig gezählt! Freute man sich wie ein Kind, die Totale eines Vorgangs glücklich bei gutem Licht gedreht zu haben, so konnte es sein, dass die wenigen noch fehlenden Auflösungen erst Wochen später gelangen. Inzwischen aber hatte sich das Motiv vielleicht völlig verändert, oder die betreffenden „Stars" waren unterdessen flügge geworden.
Geradezu genarrt wurden wir in dieser Hinsicht bei dem Komplex „Bienenbaum". Ein an sich ganz einfacher Vorgang, der mit sämtlichen Details in einer Stunde hätte erledigt sein können, beschäftigte uns volle drei Wochen. Laut meinem Drehbuch, das ich fast jeden Tag in Fortsetzungen Burgl in die Maschine diktierte, sollten Rudi und ich einen Baum fällen, in dem wilde Bienen hausten. Allein um genügend Licht für die eigentliche Filmszene zu erhalten, mussten wir über ein Dutzend Bäume rundherum beseitigen. Kaum hatte dieser hölzerne Darsteller von uns einige Axtschläge verpasst bekommen — und meine Tochter Monika als HilfsKamera„Mann"
die Arriflex eingeschaltet, ging die Sonne weg. „Aus!" „Scheibenhonig!" —Und der Baum, der unbedingt bei gutem Licht fallen musste, war zu allem
Unglück schon angeschlagen. Nun half man sich mit Zwischenschnitten: Äxte gross, oder wild gewordene Bienen, aus der Röhre schwirrend — wie es dann in geradezu „klassischem" Filmdeutsch in den Drehbuchnotizen hiess —über die Schattenperioden hinweg.
Beinahe ein Monat verstrich, bis wir endlich aus dem inzwischen gefällten Baum das eigentliche Bienennest, filmwirksam herausgehauen, in Form einer
vorsintflutlichen Klotzbeute wieder aufgestellt hatten und drehen konnten,
wie seine Bewohner trotz der dauernden Störungen emsig weiterarbeiteten. Der Honig dieser Urwaldbienen, der nicht in Wabenzellen gestapelt wird wie bei unserer „Hausbiene", sondern in etwa faustgrossen, dunkelbraunen
Wachsbeuteln, ist beinahe dünnflüssig und schmeckt säuerlich süss, etwas nach Zimt. In Wasser verrührt, zusammen mit dem Pollenstaub von Tausenden von Blüten, entsteht eine orangegelbe milchige Emulsion, in der noch manch tote Bienen und Larven herumschwimmen, aber der Gesichtsschleier vor'm Mund hält unappetitliche Fleischeinlagen wie ein Teesieb zurück.
Dieser Göttertrank, der bei der lähmenden Hitze oft wunderbar erfrischt und stärkt, wird auch von den Eingeborenen als belebende Medizin sehr
geschätzt. Fünf solcher Naturbienenstöcke wurden während der Holzarbeit
im Laufe der Zeit erbeutet, gespalten und — trotz tapferer Gegenwehr ihrer Insassen — um recht beachtliche Quantitäten süsser Vorräte erleichtert. Nach
dem Raub aber kam die Pflege, und als wir die Hohlstämme mit zähen Lia
nen zusammengebunden und unter einem Regendach wieder aufgestellt hatten, arbeitete ein Heer kleiner geflügelter Sklaven weiter für uns. Auf diese
Weise konnten wir noch öfter wilden Honig ernten, um gemäss dem Prophetenwort ein wahrhaft biblisches Leben zu führen — allerdings ohne Heuschrecken.
Unserem Wunsch, sich einmal ganz aus dem Urwald zu ernähren, kam Mutter Natur nur teilweise entgegen. Wir hatten in unserem kleinen Ver
suchs und Schrebergarten unter anderem doch auch Bohnen gepflanzt, einfach so um Baumstümpfe herum, und diese Ranker waren inzwischen recht gutgediehen, so dass die erste Ernte gehalten werden konnte. „Grüne Bohnen” stand eines Abends auf dem Küchenzettel, und wir Männer leckten uns bereits im Vorgefühl dieses Genusses die bärtigen Schnauzen. — Fast wäre noch ein Streit entstanden innerhalb unserer kleinen Gruppe über die Zubereitungsart.
Die einen waren dafür, besagtes Gemüse nur leicht in Salzwasser zu kochen und dann in Butter — in unserem Fall in Schweinefett — zu schwenken — und der andere begeisterte sich für Bohnensalat. Ich wiederum schlug vor, die paar grünen Dinger doch noch etwas wachsen zu lassen, um zu sehen, ob sie auch ausreiften bei diesen Klimaverhältnissen, aber ich wurde überstimmt unter Hinweis auf unsere HülsenfruchtKiste, die auch einen Sack ausgereifter weisser Bohnen enthielt — und darüber hinaus aufgeklärt, wie lebenswichtig neben den täglich einzunehmenden Vitamintabletten vor allem frische Vitaminnahrung sei.
Es gab also grüne Bohnen — in Fett leicht gedünstet — für jeden ganze vier — und Rudi hatte gar nicht unrecht, wenn er meinte: „Dö schaugn ja aus wia auszuzelte Stabheuschreckn!"
Trotzdem wurde dieses Vorgericht fast feierlich verzehrt in dem Bewusstsein, dass es ja nur der Beginn einer späteren, hoffentlich grösseren Ernte war.
Auf jeden Fall — die ersten Schritte zur Selbstversorgung waren getan, und wir berauschten uns geradezu an den phantastischen Gedankensprüngen — im Rahmen unseres jetzigen „Neandertalerdaseins" und gewissermassen auf „klassischem" Boden — graue Vorzeit nachzuempfinden. — Unter solchen Aspekten hatten wir also in der Entwicklungssgeschichte der Menschheit soeben eine nächsthöhere Stufe erklommen. Aus nomadisierenden Jägern und Sammlern waren gewissermassen sesshafte Ackerbauern geworden, die lebenstüchtig vorwärtsstrebten, bis sie später allerdings auf dem Umweg über Platon, Goethe, Einstein, Eisenhower und Atomzertrümmerung so lebensmüde wurden, dass sie mit dem Gedanken spielten, durch einfachen Druck auf ein Knöpfchen die ganze „Firma" zu liquidieren. Völlig konkurrenzlos könnte man dann vielleicht eines Tages wieder — nach Abzug radioaktiver Wolken —mit wenigen überlebenden Exemplaren dieses Homo sapiens fröhlich ganz von vorne bei der Steinzeit beginnen.
NACHTAFFEN UND „MITESSER"
Vollmondnächte waren bei uns immer beliebt, nicht weil wir dann besonders verrückte Ideen spannen oder in romantischen Anwandlungen diese grosse, blasse Scheibe am dunklen Himmel ansangen, sondern weil dann meistens Nachtaffen aus den MapiriTälern in die Bergwälder hochkletterten, um Palmfrüchte und dergleichen zu schmausen. — Die kräftige Stelzenpalme hinter Burgls Zelt übte eine besondere Anziehungskraft auf diese Tiere aus. Aus dem buschigen Haupt des Baumes hingen lange Rispen herab, mit vielen dattelähnlichen, runden Früchten besetzt, die für menschlichen Geschmack aber gallebitter waren.
Man brauchte dann nur das Nachtvisier auf die Doppelflinte zu stecken —zwischen zwei grüne Lichter gegen den Palmwipfel hinzuhalten und loszudrücken. Nach dem dröhnenden Schuss, der die Stille der Nacht wie ein Kanonenschlag zerriss, purzelte ein „mono nocturno" aus der Baumkrone herunter. Diese Sorte von „Fallobst" wurde zur weiteren Bearbeitung den Küchengewaltigen übergeben, um später die Illusion eines Hasenbratens serviert zu erhalten.
Der erste Nachtaffe, den ich schoss, hatte überhaupt nichts Affenähnliches an sich, sondern sah eher aus wie ein kleiner Panther in seinem seidenweichen, graubraunen Fell mit den Krallenpfoten und einem Schwanz, der von einem Miniaturlöwen hätte stammen können. — Fast alle aber litten schwer an „borros" — oft drei bis fünf Zentimeter grossen Fliegenlarven, die sich unter der Haut gemütlich vom Fleische des Wirtstieres ernähren.
Während der Operation eines solchen „Mitessers" — in Farbe und Form einer etwas zu lang geratenen Brombeere ähnelnd, allerdings mit Ringen um den dicken Leib, die sich wie ein BandoneumBalg bewegten, — erzählte ich meinen „chirurgischen" Assistentinnen von einem Erlebnis mit einem Borro, den ich am eigenen Leibe getragen und verspürt hatte.
»Damals — bei jenem denkwürdigen Unternehmen am Rio Verde, zusammen mit einer bolivianischen Grenzkommission, im Jahre 1951 — hatte mich doch so ein Biest von einer Schmetterlingsfliege in die Oberlippe gestochen, ohne dass ich es überhaupt bemerkte.
Erst im Laufe der Zeit belästigte mich unter dem Schnurrbart ein unangenehmes Jucken, so als ob sich ein Eiterpickel entwickeln würde. Fünf Wochen später ging ich fast die Urwaldbäume hoch vor nagendem Schmerz, und als ich einmal laut aufstöhnte, antwortete mein guter Adlatus — der Indianersoldat Correa — nur vielsagend: ,Borro!' Nach einer eingehenden ‚klinischen' Untersuchung aber, bei der er mir — wie ein Pferdehändler — den Mund aufriss und die Oberlippe hochzog, erklärte er — befriedigt über den fortgeschrittenen Reifegrad des nunmehr daumendicken Geschwürs: ,Pasado mariand — ‚Übermorgen!'
Aus dem ‚Übermorgen' wurden zehn weitere Tage; dann legten sie mich in der Sakristei der halbverfallenen Jesuitenkirche von San Ignatius Velasco auf eine wurmstichige, geschnitzte Bank. Mein Kamerad Dr. Erich Haberfeiner flösste mir zur Beruhigung noch hochprozentigen Pisco (Schnaps) ein —und dann ging er ans Werk — nicht etwa als Arzt, denn das war er ja gar nicht, sondern als Dr. der Geologie und — als Menschenfreund. Seine Hammer und Schlegel gewohnten Händen ergriffen ohne Umschweife den Kern der Sache, das heisst: mit der einen Hand stemmte er meinen Hinterkopf fest auf die Bank, und der Daumen der anderen Hand drückte von der Zahnseite her gegen den Krankheitsherd in der Oberlippe. Correa — vorübergehend zum Sanitätsgefreiten avanciert — stocherte mit einem Streichholz in der Pfeife des medizinernden Geologen herum, bis er genügend teerdicken Tabaksaft beisammen hatte, den er dann auf die winzige Wundöffnung an meiner Oberlippe strich. Kaum war dieses Nikotinkonzentrat etwas eingedrungen, glaubte ich in der Sakristei und in der Kirche nebenan die zedernholzgeschnitzten KolonialbarockEngel singen zu hören. Ein bohrender Schmerz rumorte in meiner Lippe, als wollte er irgendwo gewaltsam heraus, und ich tobte auf meiner Folterbank, bis mich Erich, der Gute, beruhigte, indem er mir sanft sein Knie auf den Bauch drückte. ,Ya Ilega' — ,jetzt kommt er', schrie Correa plötzlich, und der Chor der Neugierigen in der Runde stimmte ein Freudengeheul an. Ich sah nur noch wie die Augen über mir sich weiteten, als der Freund mit seiner Pinzette eine Art Käsemade aus meiner Lippe zog. — Erleichtert betrachtete ich das Ding, das sich zwischen den Metallklammern krümmte und wand, und das heute noch in einem Glas Alkohol daheim in meiner Raritätenkammer existiert. Dieser Borro — das heisst mein Borro war genau 2,70 cm lang und 0,6 cm dick, elfenbeinweiss und bis auf einige wenige fast durchsichtige Haarborsten ganz nackt. Wer's nicht glauben will, der sehe sich's an!" Hatte ich auf Grund dieses Erlebnisses gedacht, in Sachen Borro Experte zu sein, so wurde ich am Cerro Paititi eines anderen belehrt. Der grösste, den wir einem der sechs von uns geschossenen Nachtaffen herausholten, war 5 cm lang und über 1 cm dick. Da ich damals gerade keine Gelegenheit hatte, dieses Prachtexemplar sofort zu den andern in Alkohol zu legen, gab ich ihn zunächst in ein altes Senfglas. Darin bewegte er sich wie ein ganz kurzes, dickes Regenwurmstück immer an der Glaswand entlang. Zwei Tage später gebar der Borro etwa ein Dutzend kleine weisse Räupchen, die denjenigen in „wurmigen" Äpfeln ähnlich sahen, während die brombeerähnliche Hülle leer am Boden lag.
Sie war also gewissermassen nur das „Flugzeugmutterschiff" gewesen, in dessen Bauch sich die Räupchen entwickeln, bis sie sich verpuppen können, Flügel bekommen, um von neuem irgendeinen Wirt anzubohren, ein Ei in die Wunde zu legen — und so den Kreislauf der Vermehrung wieder von vorne zu beginnen.
IDYLLE UND GEFAHREN
Seit dem Weggang der Träger schien es, als hätten die in unserem Raum stationierten Stechmücken und sonstigen Plagegeister ihre ganze Wut auf uns konzentriert, besonders auf unsere holde Weiblichkeit, die sich ja nicht so wie wir des Schutzes eines wohlgediehenen Vollbarts erfreuen konnte. Es war an manchen Tagen gar nicht möglich zum Beispiel PorträtAufnahmen von den beiden zu machen, weil ihre Gesichter verstochen und verschwollen waren wie Plumpuddings.
Eine fast schlagartige Unterbrechung der Insektenplage trat nur bei Surazo ein — dem eisigkalten Südwind aus der Cordillere — der oft mit tagelang anhaltenden Regenfällen verbunden war. Während des österlichen „Surs" —wie ihn die Einheimischen nennen — wurden von uns beispielsweise in Tulani nur zwischen plus zwölf bis plus 15 Grad Celsius gemessen, also recht niedrige Temperaturen am Rand des tropischen AmazonasBeckens, besonders fühl bar natürlich, weil wir an Vortagen solcher Witterungsumschläge oft plus 40 Grad und mehr im Schatten registrieren konnten. Man ist nach einer solchen „Affenhitze" vor allem empfindlich gegenüber nasser Kälte und fröstelt weit mehr als beispielsweise im winterlichen Europa bei zehn bis fünfzehn Grad minus.
Ein junger Nasenbär — in freier Wildbahn gefangen und auf den Namen „Schniifir getauft — ist bald der erklärte Liebling der Expedition.
Wenn wir im Verlauf eines solchen Nieselwetters, das sehr an heimatliche Herbstnebeltage erinnerte, auch viel frischer und energiegeladener waren als sonst, so wickelten wir doch gerne unsere roten Schärpen um, zum Schutz gegen Nierenerkältungen, und holten unsere RheumaWäsche und Pullover aus den Tropenkoffern.
Beim Aufstieg zum Cerro Paititi passieren wir einen zauberhaften Wasserfall, der in mehreren Kaskaden durch den Urwald herniedersprüht.
Während der Regenzeit am Cerro Paititi und auf unseren Märschen über die Hochcordillere habe ich manchmal der glücklichen Fügung gedankt, die ausgerechnet meinen Schulspezi Nicki Strickwarenfabrikant werden liess und mir des weiteren in Professor Dallinger von der „SCHACHENMAYRei" in Salach einen grosszügigen Wollexperten sandte. Durch die Genannten erfuhr ich erst, dass reine Schafwolle den edelsten und gesündesten Bekleidungsrohstoff darstellt, den es überhaupt gibt, und dank ihrer fachlichen wie kameradschaftlichen Empfehlungen wurde die vermeintlich „verrückte Idee", ausgerechnet ins tropische Südamerika Wäsche aus hundertprozentiger Schafwolle mitzunehmen, in die Tat umgesetzt. Heute kann ich nur sagen, dass diese Idee die einzig richtige war, denn die besonderen biologischen Eigenschaften dieses natürlichen Körperschutzes kommen ja erst zur Geltung, wenn man — so wie es bei uns der Fall war — den ganzen Tag in Schweiss gebadet einer plötzlichen Abkühlung ausgesetzt ist. Auf Grund meiner Erfahrungen stehe ich auf dem Standpunkt, dass man gerade in heissen Zonen auf Wollkleidung nicht verzichten sollte, um vor allem auch die Rückresorption der bei der Transpiration ausgeschiedenen Stoffwediselschlacken sicher zu vermeiden, denn gerade diese gesundheitsschädlichen Schlacken sind die Hauptursache mancher Haut und Körperschäden. — Was mich zu Anfang störte, war lediglich das Wort „Rheuma". Ängstlich vermied ich, dass jemand von dieser RheumaWäsche in unseren Tropenkoffern erfuhr, denn in meinem Freundeskreis von Bergsteigern und Expeditionisten hätte es sonst sofort geheissen. „Aha, jetzt wird er a scho alt! Es zittern die morschen Knochen!" Bekanntlich soll aber das Leben beim Mann erst mit 40 beginnen, und wer will sich in solchen „Jünglingsjahren" schon als alter „RheumaKnacker" bezeichnen lassen?! Drum lieber vorbeugen in jeder Beziehung!
Neben den mollig warmen Pullovern war bei Sur der „Fliegende Holländer" Trumpf, denn das sehnsüchtige Lied „Oh, lieber Südwind, blas noch mehr ... und halte die Mücken uns fern ..." erklang allabendlich schaurigschön durch die Wälder, beflügelt von den leichten Alkoholfahnen eines Schlaf und Gesundheitstrunks genannt „Lecke del tigre", zu deutsch: „Tigermilch", den uns Burgl aus einer Mischung süssdicker Kondensmilch, heissem Wasser und 98°/oigem Zuckerrohrschnaps braute.
Noch ein Gesunderhaltungsmittel bei Klimaextremen möchte ich hiermit verraten: SCHNUPFTABAK — jawohl, richtigen Regensburger „Schmalzler" — gegen tropfende Nasen gleich gut wie für zu trockene. Ausser Rudi und mir haben nicht nur die Peones recht gerne von unserem Vorrat geschnupft, der vom kräftigen, vollfetten Brasil über drei weitere Sorten hinweg bis zum feinsten MentholTabak reichte, sondern auch unsere ExpeditionsDamen. —Warum sollten sie auch nicht? — Ihre Näschen waren unter solchen Umständen genauso pflegebedürftig wie die RiechKolben der Männer — und Frauen auf Expeditionen, die MentholTabak schnupfen, sind mir lieber als jene, welche Puder tupfen. — „Der ,Sehmai` hält Nase, Augen und Verstand frisch", erklärte mein Grossvater uns Buben immer, die wir andächtig zuschauten, wenn er eine Prise mit Handrücken oder Daumen zelebrierte, und nicht umsonst werden unseren schnupfenden Bauern ein „guter Riecher, klare Augen und ein heller Kopf" nachgerühmt. — Warum sollten so urwüchsige Gewohnheiten und Erfahrungstatsachen nicht auch auf uns AmateurSchnupfer Einfluss haben können? Von der fröhlichen Gaudi beim Reihumwandern der Tabaksdose ganz abgesehen — wirkt ihr Inhalt bestimmt reinigend in des Wortes doppelsinnigster Bedeutung, und die explosionsartigen Hatschis sowie die Unregelmässigkeit ihrer „Zündfolge" nach den gemeinschaftlich genommenen Prisen lässt manchen Konfliktstoff in einem befreienden Gelächter untergehen — auch auf Expeditionen.
Kummer bereitete uns während dieser Wochen Luise. Sie hatte recht wacker immer wieder für Frühstückseier gesorgt, bis sie eines Tages unlustig zu quängeln begann und ihre Legetätigkeit einstellte. Sie trieb sich auch grösstenteils ausserhalb des Lagers herum — bis hinein in den Urwald — aber auf einmal war sie spurlos verschwunden. Wir suchten die ganze Umgebung nach ihr ab, fanden jedoch kein einziges Federchen. Wir dachten deshalb weniger an ein Raubtier, als an eine grosse Boa, die Luise mitsamt den Federn verschlungen haben musste. Trauer im ganzen Lager, vor allem bei Ferdinand, der nun als Witwer oben unter seinem Regenschirm ganz alleine schlief. Wir betreuten und hüteten ihn nun besonders liebevoll, denn wenn ihm auch noch ein Unglück zugestossen wäre, so hätte das — nach dem Orakel der alten Indianerin aus Huaricunca — bestimmt Unheil für die Expedition bedeutet. Wir waren zwar nicht abergläubisch, aber doch etwas eingesponnen von dieser Mystik, die über dem Ganzen schwebte, und irgendwie bedrückte uns die Sache doch, dass wir Luise immer wieder ihre Eier weggenommen hatten. Vielleicht war sie — dadurch vergrämt — auf Wanderschaft gezogen, um nie mehr zurückzukehren.
Die tägliche Regenglocke über dem Tal, die fast einer Dauerbrause gleichkam, liess unsere Stimmung auf den Nullpunkt sinken, und wenn wir auf dem Weg von den Zelten hinunter zur Hütte der Peones, die wir nun als Tagesaufenthaltsraum benützten, an "Ferdinand unter dem Regendach" vorbei mussten, machten wir schuldbewusst ein grossen Bogen.
Der Expeditionsleiter mit einem freigelegten Steinpfosten und einem alten Steinbeil, dessen Befestigung er gerade erklärt.
Eines schönen Tages aber — es war wirklich der erste mit strahlender Sonne nach langen, trüben Wochen — war Luise wieder da, abgemagert bis auf die Knochen und — nicht allein. Hinter ihr her piepsten acht süsse, kleine Kücken, die sie — irgendwo versteckt im grossen, grossen Walde — ausgebrütet hatte.
Der Einzug unserer treuen Henne ins Lager glich einem Triumphzug, und wir streuten ihr — wie einer Fürstin — zwar nicht Blumen, aber Händevoll Reis, Gries — und Rosinen.
Ferdinand überkugelte sich beinahe vor Vaterstolz, umschwärmte Luise mit Kratzfüssen und Flügelspreizen, und erst, als er ihr unzweideutig noch näher treten wollte, gab sie ihm zu verstehen, dass so etwas in Gegenwart der Kleinen unschicklich sei.
Der Strohwitwer a. D. musste seine Wiedersehensfreude also etwas dämpfen und auch ohne nachträglichen Tatbeweis anerkennen, dass die Kücken seine Kinder waren, denn wo hätte Luise sonst einen Fehltritt begehen können — fernab von einer zeugungskräftigen Hühnerwelt?!
Mit Schönwetter kam neuer Auftrieb über uns, und wir gingen daran, end lich den Stolleneingang in der Nähe zu untersuchen, der unterhalb der einen Stützmauer — fast verdeckt von Laub und Moder — lag, und von oben herab durch die Peones zur Latrine degradiert worden war. Diese doppelte Tarnung war zunächst ein Glück für uns, denn sonst hätten sich unsere Helfer wohl sofort als Schatzgräber betätigt. Leider aber konnten auch wir — nach dem Abzug der Leute — wegen des „Tarnanstrichs" nicht gleich ran an den „anrüchigen" Ort; erst nach geraumer Zeit nahmen wir die Gelegenheit wahr, uns von der reinigenden Wirkung der Regengüsse zu überzeugen.
Vorsichtig räumten wir Berge von Laub und Taja weg, und als wir dann endlich unsere behelfsmässigen Hebebäume ansetzten, um die grossen Felsbrocken wegzuwuchten, die die Öffnung verrammelten, stürzte der viele Zentner schwere, mächtige Stein, der oben quer gewissermassen die Krönung des Eingangsportals bildete, herab und hätte mich um ein Haar erschlagen. —In solchen Situationen setzt für Augenblicke der Herzschlag aus, und man überlegt hernach, was wäre, wenn ...?
Für diesen Tag hatten wir genug von weiteren und tieferschürfenden archäologischen Untersuchungen des Stollens, aus dessen Gründen nur das geheimnisvolle Rauschen eines unterirdischen Wasserlaufs heraufhallte.
Zum Expeditionsalltag gehört auch die Löhnung der Träger und das Führen des Tagebuches, das hier in ein Tongerät gesprochen wird.
KLEINER BÄR GANZ GROSS
Verlegenheitshalber und um die Zeit auszunützen, beschlossen wir, die drei halbmondförmigen Bögen von Stützmauern, die sich gegen den Stolleneingang hinzogen, genauer zu untersuchen, sie zu vermessen und zu filmen.
In einer Drehpause deutete Rudi auf einen umgeschlagenen Baum, etwa 20 Meter entfernt, an den wir unsere Rucksäcke und Gewehre gelehnt hatten — und über diese Brücke schlenderte — wie ein Handwerksbursch — ein kleiner Nasenbär daher. Er pfiff — das heisst er zwitscherte fast wie ein Vogel und liess seine bewegliche Nase witternd in der Luft herumgehen, so wie einer, der gerade nach Hause kommt und schnuppernd frägt: „Was gibt's denn heut Gutes zu essen?" Rudi und ich verhielten uns mucksmäuschenstill — im Schutz eines Blätterdachs — und ich konnte sogar rechtzeitig meine Kamera einschalten und drehen, wie der kleine Bursche seine Nase in die Mündung unserer Schrotspritze steckte. Brrr — das war nichts für ihn — Pulver roch er offenbar nicht gern; doch da war noch etwas anderes, was ihn magnetisch anzog.
Mein Rucksack stand unten am Boden — halboffen. Er enthielt die Reste eines Käsebrotes und in einer Konservenbüchse noch etwas Pflaumenkompott. In elegantem Drehsprung, wobei der lange, buschige Schwanz wie ein Steuer wirkte, landete das Bärchen direkt vor dem Rucksack. Vorsichtig —wie ein Dieb — schaut das Tier sich um; wieder wandert die Nase prüfend im Kreise und holt aus allen Himmelsrichtungen Luftproben ein. Rudi und mir läuft der Schweiss herunter, denn wir fühlen uns entdeckt. Doch der Wind steht gut, und wenn ich jetzt die Kamera abgeschaltet hätte, wäre die plötzliche Tonstille vielleicht zum Verräter geworden.
Mit resoluten Bewegungen seiner Vorderpfoten legt jetzt der Nasenbär den Rucksackeingang vollends frei, um gleich darauf mit dem Kopf darin zu verschwinden. — Wir hören das Rascheln von Papier. — »Unser guter Kas!" meint Rudi. Dann scheppert die Konservenbüchse. ‚Hoffentlich läuft kein Obstsaft auf mein Fotomaterial', ist mein einziger Gedanke.
Laut schmatzend — wie zum Luftholen — erscheint das mit Fruchtsauce verschmierte Schnäuzchen für einen Augenblick wieder im Sonnenlicht, um umgehend zu dem gefundenen Fressen zurückzukehren.
»Pst! Den fang ich", wispert mir Rudi zu und schleicht schon davon —»immer an der Wand lang" — das heisst an der Stützmauer. Es sind geradezu aufreibende Minuten, bis mein Kamerad sich an das Ziel herangeschoben hat. Mein Gerät ist abgeschaltet, damit ich noch genügend Filmmeter übrig habe für den entscheidenden Augenblick — denn Rudi beim Anpirschen kann ich ja nachträglich immer noch drehen.
Fast beängstigend ist die Stille nun in diesem Rincon (Graben). Der Freund ist bis auf knapp einen Meter an den kleinen Dieb herangekommen . . . Vorsichtig — ohne das geringste Knackgeräusch zu verursachen — lege ich den Schalthebel herum, und leise fängt meine Kamera an zu surren.
Da — blitzschnell fährt der Kopf des Bärchens hoch — ein Stück Silberpapier klebt ihm noch an der Nase — wachsam streift sein Blick in die Runde — und dann — wieder hinein in die Speisekammer, dass kaum noch Hinterteil und der quergestreifte Schwanz herausschauen, — Velveta sei Dank! Faszinierende Düfte — trotz tropensicherer Verpackung — fesseln das Tier aufs neue.
Zeitlupenartig schiebt sich Rudi's Hand nach oben — ein Satz — ein Schubs —ein Schrei .. . Rucksackschnur zu — Bär gefangen!
Die Heimkehr ins Lager war ein Ereignis, und die Neugier der Frauen auf den „tollsten Fund bisher", wie wir behaupteten, wurde richtiggehend auf die Folter gespannt, bis wir den Rucksack behutsam öffneten und ein niedlicher kleiner Wollknäuel sich entwirrte, der nach anfänglichem Zögern aus seinem Gefängnis kletterte.
„Ach, ist der süss!" kam's fast synchron von weiblicher Seite. Er war etwas grösser als eine junge Katze, aber gar nicht scheu, trotz des aufregenden Abenteuers, das hinter ihm lag. Er machte auch keinerlei Anstalten zu fliehen, sondern steuerte sofort auf unseren Mittagstisch zu, um ihn genauestens in Augenschein zu nehmen und laut schmatzend Kondensmilch aus einem Becher zu schlürfen. Hinterher wurde noch ein Knackwürstchen verspeist, schnell im Vorbeigehen mit der Schnauze der Deckel der Teekanne hochgelupft und Limonade daraus geschlabbert. Dann kletterte er zutraulich an Burgl hoch. Ihr Hemdkragen schien ihn zunächst besonders zu interessieren, denn erst nachdem er ihn gründlich berochen, stieg er ein Stockwerk höher. Der lachende Mund der geduldigen Tierfreundin hatte es ihm nun angetan. Mit seinen Krallenpfötchen untersuchte er beinahe sachverständig die blitzblanken Zähne, aber als es dann ans Zahnfleisch ging, wurde er als Dentist abgelehnt. Da enterte er noch eine Etage weiter hinauf und schnupperte — Nase an Nase. Trotz unseres schallenden Gelächters fing er bei seinem Gegenüber ganz ungeniert an zu popeln nach dem berühmten Sprichwort: „Wer andern in der Nase bohrt, ist sich des rechten Weges wohl bewusst."
Abgewehrt, zerzaust er noch rasch die Frisur von Burgl, springt dann wie ein kleiner Kobold zu Rudi hinüber, um kurz darauf in dessen Schoss — wie ein Kind, das sich müde gespielt — einzuschlummern. — Mit dieser Einführung wurde der Nasenbärenbub, der anscheinend seinen Eltern durchgebrannt war, der Liebling der gesamten Expedition.
Die erste Nacht verbrachte er bei Rudi im Schlafsack — tief unten — und am nächsten Morgen erzählte der Freund begeistert von seinem lebenden Fusswärmer, der bereits völlig „zeltrein" sei und sogar mitten in der Nacht hinausverlangte, wenn er mal musste.
Einige Tage später aber hatte sich der Schlafgast die Gunst seines Herrn, der dem Kleinen auch tagsüber grosszügig seinen Leinwandpalast zur Verfügung gestellt, damit er nach Herzenslust darin toben konnte, restlos verscherzt. Draussen durfte er sich in der ersten Zeit nur unter Aufsicht bewegen, damit er nicht auf die Idee kam, in den Wald zurückzuspazieren, wo er sich verlaufen und so auch noch seinen Pflegeeltern abhanden kommen konnte. —Im Zelt — allein gelassen — passierte es. „Die kleinere Bescherung liess er einfach diskret unter's Kopfkissen laufen. Auf meine Pistole aber hat er mir regelrecht einen Kaktus gepflanzt", meinte der Wohnungsinhaber entrüstet, als er sein Schiesseisen bei den abendlichen Aufräumungsarbeiten in der Dämmerung unversehens anfasste.
Burgl, die mitleidige Seele, nahm das ausgestossene Bärenkind daraufhin zu sich, bis es sein eigenes Häuschen bekam.
Ober „Schnüffl" — wie wir den Kleinen tauften wegen seiner ewig beweglichen Schnorchelnase, die fast ausschliesslich mit Schnüffeln beschäftigt war — und über seine Streiche bei der Expedition könnte man allein ein ganzes Buch schreiben. Einige typische Beispiele jedoch dürften genügen, um zu zeigen, wie dieser liebe Tolpatsch uns durch seine rührende Anhänglichkeit und mit seinen ulkigen Einfällen über manche schwere Stunde hinweghalf. Ich glaube sogar, dass er geblieben wäre, wenn seine Eltern ihn eines Tages zurückgefordert hätten, weil er sich einfach zu uns gehörig fühlte. — So zutraulich und unbefangen können nur junge Urwaldtiere sein, die den Menschen nicht kennen und keine Ahnung haben, dass er eigentlich das grösste und gefährlichste Raubtier auf unserer Erde ist.
Nur einmal riss er aus, und das musste er büssen. Anscheinend wollte er an diesem Tag auf Nestersuche gehen, denn Eier und Jungvögel sollen ja neben Schlangen und Kerbtieren besondere Leckerbissen bei diesen Allesfressern sein, die wie Grossbären, Marder und Hunde übrigens gemeinsame tertiäre Vorfahren haben. Schnüffl's unwahrscheinliche Fähigkeit, auf Bäume zu klettern — und sein umfangreiches Repertoire an Vogelstimmen, die er meisterhaft zu imitieren verstand, setzten uns immer wieder in Erstaunen. —Harmlos zwitschernd, hoppelte er — Nase voraus — dem Walde zu und hörte weder auf Rufe noch Schelten. Wir schwärmten aus wie zu einer Treibjagd, aber schon hatte er unsere Absicht bemerkt — und dahin ging's mit einem „Affenzahn" über am Boden liegende Bäume und durchs Gebüsch. Mit hängenden Zungen wetzten wir hinter dem Ausreisser her. Dies FangemandlSpiel schien ihm Vergnügen zu machen, denn immer wieder blieb er stehen, lockte uns mit zarten Flötentönen, um — wenn wir ihn fast greifen konnten —mit spöttischem „Wuffwuff" — hakenschlagend wie ein Hase — erneut zu entwischen. Aber schliesslich hatten wir ihn doch so in die Enge getrieben, dass er sich nur noch mit „rettendem" Sprung auf ein fünf bis sechs Meter hohes Bäumchen flüchten konnte. Da sass er nun, atemlos keuchend, aber trotzdem wie vor Gaudi beinahe kichernd, und blickte uns mit seinen schalkhaften Äuglein von oben herab an. Ganz plötzlich jedoch begann er zu toben, als sässe er auf einer glühenden Herdplatte. Feuerameisen waren über ihn hergefallen! Er war in der Hitze der Hetzjagd ausgerechnet auf eine Cecropia geklettert, und nun rächten sich die Bewohner dieses Hochhauses bitter ob solcher Ruhestörung. Blitzschnell zuspringend, haut Rudi mit einem einzigen Schlag seiner Machete den armdicken Hohlstamm durch, und Schnüffl schwingt mit der Krone in hohem Bogen hernieder.
Bei seinem kühnen Sprung — weg von dem stürzenden Baum — und durch das katzenartige Aufkommen am Boden hat unser Held die meisten seiner blutrünstigen Widersacher aus dem Fell verloren, und die restlichen liess er sich willig von uns herauskämmen. — Für unsere Studien an dem nun gefällten, jungen Palo Santo zeigte der kleine Vagabund kein Interesse. — Gerade hier waren die Ameisenwohnungen und ihre Aus und Eingänge, sowie die eiweiss und fettreichen Futterkörperchen, welche diese Bäume an der Basis der Blattstiele für ihre Dauermieter und Verteidiger als Nahrung stets aufs neue bilden, besonders gut zu beobachten.
Trotz dieses Hereinfalls war Schnüffl's Gier nach Vogelfleisch nicht gedämpft worden. Wie ein harmloser Teddybär pinscherte er bald darauf hinter den Kücken her, aber Luise war fix! Wie eine Furie stürzte sie sich von hinten auf ihn, und wenn wir nicht rechtzeitig hinzugesprungen wären, hätte ihm die rabiate Hühnermutter die Augen ausgehackt; dass sie dazu fähig war, bewies die Henne einige Wochen später, als eine grosse Beutelratte im Morgengrauen ihre Jungen überfiel und sie mit wuchtigen Schnabelhieben das Raubtier blindschlug, so dass einer unserer Peones diesem in Südamerika so berüchtigten Hühnermörder mit einem Knüppel vollends den Garaus machen konnte.
Noch niemals zuvor hatte ich bei einem Tier im Verhältnis zu seiner Körpergrösse so mächtige und krummdolchartige Reisszähne gesehen wie bei dieser Beutelratte mit ihrem weissen, maskenhaften Gesicht. — übrigens haben wir diese Zufallsbeute abgezogen und in Essig gelegt, um sie einige Tage später mit grossem Appetit zu verspeisen, denn auf Frischfleisch waren wir genauso scharf wie unser jüngstes vierbeiniges Expeditionsmitglied. Um „Schnipsi" — wie wir unseren Liebling auch riefen — zu seinem ersehnten Geflügel zu verhelfen, schoss ich von Zeit zu Zeit einen der kleinen Papageien, die allabendlich zu Hunderten aus dem Tiefland heraufkamen, um über uns in den Waldbergen ihre Schlafbäume aufzusuchen. Ansonsten aber brauchten wir uns um seinen Speisezettel nicht besonders zu kümmern. Er verschlang heisshungrig — wie wir — Würstchen mit Sauerkraut oder Büchsengoulasch mit Spaghetti, trank SpatenbräuBier wie ein Bayuware und Ovomaltine wie ein OlympiaKandidat.
Zusätzlich sammelte er als Selbstversorger grosse, singende Zikaden mit durchsichtigen Flügeln, fing abends an der Lampe unterm Zeltvordach manch dicken Brummer und mauste Burgl beim Nachtfang oft die grössten Käfer und Schwärmer von der Leinwand weg. Auf's Frühstück freute er sich immer besonders. Es bestand meist aus süssem Haferbrei, wovon er ebenfalls sein Schüsselchen voll bekam. Er quietschte aber geradezu vor Begeisterung, wenn auf seiner Ration — mit Zucker und Zimt garniert — noch lebendfrisch ein dicker Regenwurm sich krümmte. Diese saftigzarten Erdbewohner schienen neben den fetten, speckglänzenden Maden vermodernder Bäume eine wahre Delikatesse für ihn zu sein. Wenn wir ihm aus dem Wald faulende Strünke holten, konnte er sich stundenlang damit beschäftigen, irgendwelche Insassen herauszupopeln. — Ein beliebtes Spielchen war auch für ihn, uns die Hosen taschen auszuräumen, wenn wir nach der Arbeit ins Lager zurückkehrten. Er hatte bald heraus, dass wir in leeren Streichholzschachteln hie und da eine Heuschrecke oder Ähnliches mitbrachten, was er sich dann mit unglaublicher Geschicklichkeit aus den verstecktesten Winkeln hervorholte.
Waren wir mehrere Tage unterwegs, so kannte seine Wiedersehensfreude kaum noch Grenzen. Er sprang an uns hoch — laut zwitschernd wie junge Vögel im Nest — um im nächsten Augenblick schon wieder „wilder Wuff" zu spielen und an einer Zeltstange hinaufzuentern. Es konnte auch passieren, dass er einem aus purem Übermut von unten in die Röhren der weiten Überhosen hineinfuhr und wieder heraus — einen Moment überlegte, um dann völlig ausser Rand und Band Monika oder Burgl anzuspringen. Hier hatte er seine Stammplätzchen im Ausschnitt der buschjackenähnlichen Überblusen, um wie ein KänguruhJunges im Beutel der Mutter herauszuschauen.
Die Wissenschaftler bezeichnen den kleinen Kobold mit „coati", die Südamerikaner mit „tejon", und wir nannten ihn oft auch den „Hosen" und den „B(1)usenbären" — von anderen Kosenamen ganz abgesehen.
Fangball zu sein, machte ihm den grössten Spass. Wenn er von einem zum anderen geschutzt wurde, streckte er die buschige Rute waagerecht hinaus in die Luft, dieses Schmuckstück, mit dem er einen richtigen Kult trieb.
Tiefsinnig betrachtete er einmal Monika, wie sie mit Sonnenbrandsalbe unsere Stiefel pflegte, weil uns das Schuhfett beim Transport in der Hitze ausgelaufen war. »Was die kann, kann ich auch" — mag er sich wohl gedacht haben — nahm eine Tatze voller Creme, schnupperte daran, legte sein Schwänzchen gravitätisch im Bogen vor sich hin und salbte es mit Inbrunst ein. Von diesem Augenblick an war kein Fettnapf mehr vor ihm sicher. Er machte auch später keinen Unterschied, ob es sich nun um Schweineschmalz oder Motorenöl handelte. — Reissverschlüsse waren für seinen beweglichen Nasenknorpel kein Problem, wenn es galt, ein Necessaire und dessen Inhalt zu erreichen. Als Salbenersatz nahm er auch Seife oder Zahnpasta. Letztere frass er sogar mit sichtlichem Behagen, und oft entstieg er einem Zelt, bis über die Ohren mit Zahnputz verschmiert.
In seinem Bedürfnis, sich nützlich zu machen, wirkte er manchmal wie ein hilfsbereites Kind, vor allem beim Wäschetrocknen. Da turnte er kopfunter an den Seilen hin und her, als gälte es, ihre Tragfähigkeit zu untersuchen.
Mit diesen Inspektionstouren aber war seine Arbeit noch lange nicht zu Ende. Stück für Stück der nassen Wäsche prüfte er mit seiner Nase, und geniesserisch zog er den Duft der Seife ein. Aber auch andere Gerüche zogen ihn magisch an. Wehe, wenn die Socken nur noch ein Jota artfremden Odeurs enthielten! — Rücksichtslos zerrte er sie von der Leine und warf sie zu Boden, damit sie von neuem — und gründlicher — gereinigt werden mussten.
Später, als nicht mehr zu befürchten war, dass Sc,hnüffl türmte, nahmen wir ihn gern zur Arbeit mit, in der näheren Umgebung des Lagers. Da lief er meist schön brav wie ein kleiner Hund vor uns her, die Nase witternd am Boden. — Vor allem interessierten ihn Ausgrabungsarbeiten, nicht weil er vielleicht auch archäologische Ambitionen hatte wie wir, sondern, weil es dabei immer etwas zum Schnüffeln gab.
Eine Asequia, Teil einer in Stein gehauenen Wasserleitung, oder Holzkohle und Aschenreste an einer Ruinenmauer bedeuteten für uns aufregende Funde — für unseren Mitläufer, der wie ein Dackel buddelt, sind das alles nur Vorratskammern mit Kerbtieren und Regenwürmern. Für Skorpione allerdings, die sich häufig unter Steinplatten verborgen hielten, zeigte unser junger Assistent kein Interesse. Ausser Rand und Band geriet er nur, wenn eine Schlange in der Nähe war. Sogar auf Häute war er wütend, und nachdem er von Burgl's Zelt weg eine solche geklaut, die dort zum Nachtrocknen hing, und sie so zugerichtet hatte, dass von einer »Trophäe" nicht mehr die Rede sein konnte, überliessen wir sie ihm zum Spielen, das heisst zu einem regelrechten Kampftraining. Wild ging er immer wieder den vermeintlichen Gegner an, wenn wir die pergamentartig knackende Hülle von der Schwanzspitze her in Bewegung setzten, duckte sich zum Sprung, biss in die Gegend wo einmal das Genick war — und schüttelte schliesslich die Beute unter heiserem Knurren wie ein junger Foxterrier, der mit einem alten Schlappschuh rauft.
Eines Morgens schrie mir Rudi, der schon zeitig zu der Ruine gezogen war, an deren Westseite wir einen uralten Abfallhaufen mit Spielzeugschäufelchen und einem kleinen Gittersieb in Millimeterarbeit nach Holzkohle und Keramikresten untersuchten: „Komm schnell mit deinem Kurbelkasten, hier ist eine Pfundssache!" Während ich mit Kamera und Stativ loshaste, und Monika hinter mir her mit dem schweren StahlAkku keucht, male ich mir schon in Gedanken aus, was für einen archäologischen Schatz Rudi wohl entdeckt haben könnte. — Beinahe war ich enttäuscht, als der Kamerad auf das Mauerwerk deutete, aus dem „nur" eine graugrüne Schlange mit hellen, perlartigen Schuppen züngelte. Aber dann ging mir jäh ein Licht auf! „Schlangen verteidigen die Ruinen von Paititi" hatte die Alte aus Huaricunca immer geunkt. Dies war ja gewissermassen die Grundstory zu dem Thema. Eigenartig, dass das Tier — wie zur Abwehr — nur dann hervorschnellte, wenn Rudi am Boden unterhalb scharrte und grub.
Wundervoll — aber unheimlich zugleich — waren die Bewegungen des Reptils, , diese aalglatten Windungen, und dann wieder das völlig geräuschlose Verschwinden in dem Versteck, wenn wir uns ebenfalls etwas zurückgezogen hatten und uns ruhig verhielten. Kaum aber begann Rudi weiterzuarbeiten, schoss sie schon wieder wütend hervor. Hatte sie Eier in der Nähe, oder gar lebende Junge in einer Höhlung, die sie verteidigen wollte?
Doch all das interessierte mich zunächst nicht.
Fasziniert von dem Geschehen, liess ich nur meine Kamera laufen, wechselte fast mechanisch die Optiken, gab Rudi Regieanweisungen, pfiff meine neugebackene Assistentin an, und die beiden „Stars" „spielten", als hätten sie nie etwas anderes getan.
Fing ER zu scharren an, setzte SIE sich züngelnd in Szene — Kamera schwenkt nach unten! Unheimlich schiebt sich ein Schlangenschatten über die grabenden Hände. — Jetzt RevolverkopfWechsel der Optik auf Halbtotale! „So, Rudi — und nun etwas näher ran — noch näher, bitte! — Stop!" Blitzschnell, als wollte sie ihn in die Schlagader beissen, stösst das Tier zu. Mein Kamerad aber ist dem Angriff ausgewichen und ergreift nun zum Gegenstoss seinen Spaten. Doch diese Waffe ist zu unhandlich, und die Schlange kann unbehelligt wieder im Mauerwerk verschwinden.
Verschiedene Opfermesser und eine Nadel aus Bronze in natürlicher
Schade, man bekommt nie genug an solchen Szenen, so grossartig sie auch sein mögen. Man ist nie restlos zufrieden mit sich und dem optischen Geschehen. Besseres Licht hätte man gebraucht! Die Schatten waren zu hart! Eine Silberblende hätte hier sein müssen! — So ähnlich lauten dann meist die Selbstbezichtigungen — und insgeheim freut man sich doch, einen so wunderbaren, dokumentarischen Handlungsablauf auf Zelluloid gebannt zu haben.
Während man im voraus schon in Bildern denkt und sich im Geiste mit dem Schnitt beschäftigt, ob nicht diese oder jene Auflösung noch nötig wäre, bedrängen einen quälende Zweifel wieder. — Am liebsten möchte man das Ganze nochmal drehen, von einem völlig anderen Blickwinkel aus — und mit neuen Einstellungen. Aber leider hatte sich ja nun unsere Hauptdarstellerin zurückgezogen — irgendwohin in Gesteinstrümmer und Buschwerk, und Monika's Eile beim Kassettenwechsel wäre diesmal gar nicht so nötig gewesen.
Pumakopf und Frauenkopf am Griff von Opfermessern (stark vergrössert).
Die Expeditionsmitglieder im Lager III bei der Sichtung ihrer archäologischen Funde.
Letzten Endes doch befriedigt, packten wir unsere Siebensachen, um wieder zu den Zelten hinüberzupilgern. Da bemerkten wir plötzlich Schnüffl, der mit Burgl gekommen war, wie er eifrig zwischen den Felstrümmern des alten Bauwerks herumsuchte. Er schien eine ganz bestimmte Witterung in der Nase zu haben, und gerade hatte ich meine Kamera wieder drehfertig gemacht, da sprang der Nasenbär auf einen Felsblock zu — keine vier Meter von mir entfernt — und ... stellte die Schlange. Wie der Igel die Stacheln, so sträubt Schnüffl im selben Moment die Rückenhaare, um sich dann langsam, aber zielstrebig—wie ein kleiner Spielzeugpanzer, NasenRüsselKanone lang nach vorn gestreckt — an den Feind heranzuschieben. Völlig unerwartet kommt der Gegenangriff der Schlange — ein Vorwärtsschnellen aus ihrer Lauerstellung unterm Felsblock heraus. überrascht, und mit wütendem „Wuff" zieht Schnüffl blitzschnell seinen empfindlichen Riecher ein, und der Biss des Reptils gleitet ab an seinen steil gestellten Nackenhaaren. Ärgerlich richtet er sich nun auf. Wie ein ganz grosser Bär geht er auf den Hinterpfoten direkt auf die Schlange zu, die sich inzwischen wie eine Feder zusammengezogen hat, um die Schnellkraft beim nächsten Sprung zu erhöhen. Aber Schnüffl bleibt vorerst in respektvoller Entfernung stehen und schiebt der Feindin nur mehrmals seine rechte Pfote entgegen, wie ein Boxer, zur Herausforderung und zum Massnehmen gewissermassen. Wütend zischt die Schlange vor, aber ebenso rasch zieht das Bärchen seine Rechte zurück, und der Angriff verpufft ins Leere. — Jetzt mit der Linken vorgetastet — wie ein alter Ringfuchs. — Vorbildlich ist dabei die Beinarbeit unseres Champions, wenn er auf seinen Hinterfüssen hin und her tänzelt. —Zack! Wieder zuckt der lebendige Giftpfeil aus dem Felsschatten heraus, diesmal gegen die linke Krallentatze des Bären. Mit eleganter Drehung weicht er der Attacke aus, aber da hat sich die Schlange um wenige Zentimeter zu weit vorgewagt. Blitzschnell beisst Schnüffl zu und fasst die Todfeindin genau im Genick. „Catch as catch can" — „pack zu, wie du kannst"! Unter dem Zwang dieses mörderischen Gesetzes ringen die beiden nun am Boden. Die Schlange hat mehrere Windungen ihres muskulösen Leibes um Sdinüffl geschlungen, versucht, ihn zu würgen — und vor allem aber, die messerscharfen Krallenpfoten ihm an den Körper zu fesseln. Mit einem dumpfen, wilden „Wuff", das fast ein unterdrückter Fluch sein könnte, reisst der Bär seine Rechte aus der Umschlingung, führt zwei rasche Schläge damit gegen den Kopf der Widersacherin und kratzt ihr mit seinen Tatzendolchen die Augen aus. —Wahnsinnig vor Wut und Schmerz, löst sie die Umklammerung, und auch Schnüffl muss die Gegnerin noch einmal freilassen, weil seine Reisszähne für einen einzigen, tödlichen Biss noch nicht genügend entwickelt sind.
Geblendet, schiesst die pfauchende „vipora" bald dahin, bald dorthin, verbeisst sich krampfhaft in einen Ast, als wäre es ein Fuss des Gegners, versucht zu fliehen, aber der kleine Bär spielt nur noch Katz und Maus mit ihr, bis er mit einigen festen Bissen Genick und Kopf des Reptils zermalmen kann.
Schlangenzunge scheint eine Delikatesse für die Familie der „coatis" zu sein, denn sie frisst er zuerst — und dann ... die zarten Eingeweide, bevor er beginnt, seinen Riesenspaghetti weiter zu bearbeiten. Mit diesen Szenen waren mir meine bisher spannendsten Tieraufnahmen im PaititiGebiet gelungen — und mit den letzten Filmmetern in der Kassette erwischte ich gerade noch unseren kleinen „Siegfried", wie er — seinen „Lindwurm" hinter sich herzerrend — losrannte, um das Beutegut sicher in seiner Schlafkiste zu verstauen.
Zwei volle Tage erschien Schnüffl nicht mehr zu den offiziellen Mahlzeiten. Er kam nur noch zum Trinken und zu dringenden Geschäften aus seinem Holzbau heraus.
Als er am dritten Tag sein Trommelbäuchlein wieder präsentierte, konnte er kaum noch die ersten zwei Meter am Antennenmast — bis zum First unseres Zeltvordachs — hochklettern, und von der eineinhalb Meter langen Schlange fanden wir in seiner Schlaf und Vorratskammer keinen einzigen Schwanzwirbel mehr. —
Dieser Kampf mit der Schlange brachte Schnüffl auch „beruflich" schlagartig nach vorn. Durch ihn hatte er sich vom komischen Fach zum jugendlichen Helden emporgerungen und wurde damit der eigentliche „Star" meines Expeditionsfarbfilms „Vorstoss nach Paititi". Trotz seiner Erfolge aber blieb er sich selber treu.
Er schnüffelt weiter ... zu Weltruhm gelangt — vielleicht sogar eines Tages in Stein gehauen — als Maskottchen und Wappentier über den Torbögen unserer Finanzämter.
Verheissungsvolle Funde
Wenige Stunden nach dem grossen Auftritt unseres vierbeinigen Lieblings war auch die Arbeit auf dem Gebiet der Altertumskunde wieder recht erfolgreich. Wir hatten schon vor längerer Zeit — nach dem Wegräumen der Taja und Humusschichten von dem kleinen flachen Höhenrücken, auf dem unsere Zelte standen, in den darunter liegenden graublauen Tonen und den gelben Lehmablagerungen der Flanken Reste von Feuerstellen gefunden. Da in dem engen Talkessel Blitzschläge in solcher Konzentration kaum die Ursache sein konnten, fingen wir an, diese „dunklen Punkte" systematisch zu untersuchen. Winzige Stückchen Holz und Knochenkohle, die wir dabei zutage förderten, konnten nur Überreste von Lagerfeuern oder Opferstätten sein — und damit gewissermassen Leitfossilien für die Möglichkeit archäologischer Funde. Fein säuberlich sammelten wir alles, was uns irgendwie bemerkenswert erschien, um später durch eine Untersuchung nach dem Carbon14Verfahren eventuell das Alter bestimmen zu lassen.
An einem Erdaufwurf von etwa 1,50 Meter Länge und 1 Meter Breite, der wie ein Grabhügel wirkte neben einer grubenartigen Vertiefung, setzten wir ebenfalls Spaten und Pickel an. Die Stelle kam mir vor, als hätte hier schon einmal jemand gebuddelt.
Nachem wir die Grube selbst untersucht hatten, durchforschten wir die kleine Erhöhung und schaufelten Gestein und Erdreich wieder zurück — dorthin, wo sie vermutlich einmal waren.
Dabei fiel uns ein flacher, handtellergrosser Stein auf, der sich als Reibschale entpuppte — in Dreiecksform, mit abgerundeten Ecken und einer exakt gearbeiteten Aushöhlung in der Mitte.
Auch den dazugehörigen Stössel fanden wir noch an der gleichen Stelle —und ein etwas plump gefertigtes Steinbeil aus dunklem Basalt. — Handelte es sich hier um ein längst ausgeplündertes Grab? — Oder stammten Hügel und Grube nur von einem umgestürzten Baum, der bei seinem Fall das Erdreich mit den Wurzeln hochgewuchtet hatte und an der niedrigsten Stelle dann —nach dem Vermodern des Strunks — diese kleine Vertiefung zurückliess? —Vielleicht hatte zu Füssen des Baumes einmal ein Mensch gerastet, oder gar Schutz gesucht, und — als der Sturm die Krone packte — die Flucht ergriffen, dabei seine Waffe — und die Reibschale zurücklassend? Phantasie sind angesichts solcher Funde keine Grenzen gesetzt, und vielleicht geniesst gerade ein Autodidakt derartige Situationen besonders intensiv, weil er nicht gehemmt ist durch die strenge Methodik einer rein wissenschaftlichen Lösung.
Für mich persönlich war von jeher das mit derlei Entdeckungen verbundene Erleben als solches das Berauschende und nicht so sehr der archäologische oder gar der merkantile Wert der Dinge.
Angespornt durch diese neuen Funde und in Anbetracht des immer noch trüben Filmwetters nahmen wir auch die Arbeit am Stollen wieder auf und räumten vor allem die grossen Blöcke weg, die ein weiteres Vordringen erschwerten oder gar gefährdeten.
An der rechten Eingangsseite war ein schöner, goldgelber Lehm zwischen die Felsbrocken eingelagert — und von ganz tief unten herauf hörten wir dumpf und unheimlich das Gurgeln irgendeines unterirdischen Rinnsals. Wahrscheinlich handelte es sich dabei um einen versteckten Ablauf unserer Lagune, die wir gestaut hatten, als ein riesiger Baum von unseren Peones gerade so umgeschlagen wurde, dass er zu einem Dammbau direkt einlud. —Kaum einen halben Meter waren wir in dem zusammengestürzten Stolleneingang vorangekommen, da verhinderte ein dicker Felsklotz, schräg verkeilt
— und verklemmt durch andere grosse Brocken — ein weiteres Eindringen. Unterhalb dieses Sperriegels versuchten wir, mit unserem Eispickel und einem Brecheisen kleinere Steine und Modder wegzuscharren, bis ein Klirren — Metall auf Metall — unsere Arbeit jäh stoppte. „Da war doch etwas!" Aus dem nassen Schutt heraus klaubte ich eine Art Bronzebeil, schmutzverschmiert und grünspanüberzogen. Oder war es vielleicht ein flacher Hammer gewesen? Wie kam dieses Gerät überhaupt hierher? Was wurde mit ihm bearbeitet? Etwa eine Goldader, die sich in dem Stollen hinzog? — Nach den Quarzbrocken zu schliessen, die überall herumlagen, konnte man das vermuten. Wir wühlten in dem Kleinzeug von Schmutz und Steinen, bis die Felsplatte — kalt und abweisend — uns nur noch allein gegenüberstand.
Goldmaske vom Südostfuss des Cerro Paititi.
Wir fanden nichts mehr an diesem Tag. Der Gedanke aber, dass dieser Stollen irgendein Geheimnis barg, war aufregend und liess uns nicht mehr los. Spät am Abend noch kam Durän und schleppte einen grossen Sack Yucca, Bananen und Papayas (Baummelonen). Neben einem reizenden Brief von Don Willy und der Einladung, ihn zu besuchen, brachte unser Capataz auch die Nachricht mit, dass am nächsten Morgen fünf Peones über den Fluss geschleust werden wollten, um wieder bei uns mitzumachen. So sehr mich diese Eröffnung auch beglückte — wegen der Fortführung unseres Programms, das als wichtigen Punkt auch die Besteigung des Cerro Paititi enthielt, war ich auch wieder traurig. Die schöne Zeit der völligen Weltabgeschiedenheit war damit für eine Weile zu Ende — und vor allem die Möglichkeit, in aller Ruhe und ungestört am Stollen weiterzuarbeiten.
Beinahe ängstlich beobachteten wir Durän an diesem Abend, ob er wohl den alten Latrinenplatz wieder aufsuchte, der ja völlig verändert war und unsere Tätigkeit sofort verraten hätte.
Aber nach Einbruch der Dunkelheit war dem Neuankömmling wohl der Weg dorthin zu weit gewesen, und am nächsten Morgen verschwand er schon — wie wir detektivisch feststellten — beim ersten Büchsenlicht hinaus zum Rio Chinijo, um seine Compaihros abzuholen.
Wir aber tarnten sofort den Stollen wieder, so gut es überhaupt ging, mit Laub, Gestrüpp und Astwerk und nahmen uns vor, später — zu gegebener Zeit — weiterzuforschen.
Ameisenheer im Angriff
Es war unangenehm schwül — und irgend etwas Beunruhigendes, Bedrükkendes lag in der Luft.
Der grosse Waldbrand von Tulani
Vögel schwirrten aufgeregt über den Waldrand herein in die grosse Lichtung. Noch nie kamen die feuerroten Tuncis so nahe wie an diesem Tag. Eine Art Drossel schrie heiser durch die Gegend. Webervögel und sogar Falken flatterten wie bunte Lappen durcheinander . .. Drei Aasgeier zogen ganz tief ihre Kreise.
Seit dem traurigen Ende unseres Esels Moritz hatten wir diese grossen Polizeivögel nicht mehr gesehen. Immer wieder sausten sie im Sturzflug hernieder — bald der eine, bald der andere — um sich dann von neuem in die Lüfte zu schwingen.
Drüben, wo der alte Sendero zum Lager II die Lichtung verliess, um im Wald zu verschwinden, schien sich irgend etwas zu tun. Mit Gewehr und Fotogerät pirschten Rudi und ich uns hinüber. Die Ursache des Aufruhrs war bald gefunden.
Cazadores — die berüchtigten Jagd oder Treiberameisen — ein Millionenheer war im Anmarsch. Unheimlich das Knistern von Milliarden Füssen auf
trockenem Laub! Wie gebannt blieben wir stehen, denn dies Naturschauspiel
war so faszinierend, dass alles andere in den Hintergrund trat. — Ich vergass ganz, einen der Truthähne zu schiessen, die kaum zwanzig Schritt von mir
immer wieder zu Boden flogen, um sich irgend etwas zu holen, was sie dann
oben auf einem Ast verspeisten. Dabei hätten wir so dringend Frischfleisch gebraucht. Auch meine Filmkamera holte ich erst, als es schon fast zu spät
war. Wir fühlten uns wie hypnotisiert und schauten von unserem Baumstamm herab, wie von einem Feldherrnhügel aus, auf die genialen Operationen mächtiger, kriegsstarker Armeen, die in breiter Front angriffen.
Voraus — Ameisenspähtrupps — kleine Grüppchen, nur der Aufklärung dienend, ohne exakte Marschformation, sondern ganz unregelmässig durcheinanderrennend, bald dahin, bald dorthin — in ein Loch hinein und wieder heraus — unter einem Baumstumpf durch und zurück.
Aber schon diese einzelnen Vorläufer genügten, um Käfer, Chulupis (Schabenart), Heuschrecken, Kröten, Schlangen, Ratten und selbst Saris in kopfloser Flucht aus den verschiedensten Schlupfwinkeln herausstürzen zu lassen, als sichere Beute der dicht aufmarschierenden Ameisenkampfgruppen, oder der Vögel, die sich wie moderne Schlachtflugzeuge in das Getümmel stürzten — nicht etwa, den Angriff zu unterstützen, sondern um sich die besten Stücke zu schnappen. Eine riesige Invasion war hier im Anrollen. Auf einer Frontbreite von 100 bis 150 Metern — Division hinter Division—Armee um Armee, diszipliniert marschierend, befehligt von Offizieren — genau wie die Soldaten — mit mächtigen Zangen bewaffnet, dicht bei dicht, in einem Seitenabstand von ein bis zwei Metern zogen sie dahin — über jedes Hindernis hinweg, irgendeiner geheimen Order folgend. Ihr Draufgängertum und ihre Todesverachtung kannten keine Grenzen.
Ganz nahe bei uns war einer der Geier auf eine Schlange niedergestossen und hatte versucht, sie in den Fängen mit hochzureissen. Erst nachdem auch noch der krumme Schnabel zugepackt, konnte er die Widerspenstige zähmen und in die Lüfte entführen.
Aber er kam nicht weit! Laut schreiend liess er seinen Raub wieder fahren. Hunderte von Cazadores hatten sich, an der Yararaca festgebissen, mit hochschleppen lassen und waren anscheinend in der Luft über ihren Piloten hergefallen. Sie mussten ihm in die Nasenlöcher eingedrungen sein, in den Schnabel, den Schlund — hatten sicher die empfindlichen Augen bedroht und den grossen, mächtigen Vogel in seinem ureigensten Element bist aufs Blut gepeinigt. Eine Schlange fiel wieder vom Himmel — und hinterher rieselten Jagdameisen, wie ein fein verteilter Regen.
Ob sie sich nochmals am Kampfe beteiligten?
Die Schlacht war in vollem Gange, und der rechte Angriffsflügel schwenkte nun hinter der Lagune ein, direkt auf das Haus der Peones zu. Vor den wenigen natürlichen Stegen über einen trägen kleinen, kaum meterbreiten Wasserlauf drängten sich die Soldaten zu Tausenden, bis sie zum Teil im Gänsemarsch über die verschiedenen Ast und Blattbrücken konnten. An einer Stelle am Ufer wurde gebaut wie an einem sauber geschichteten Scheiterhaufen. Ein winziger, wackeliger Turm entstand, der krumm und leicht windschief etwa 10 bis 15 Zentimeter hoch emporwuchs, bis er die hängende Spitze eines breiten HeliconienBlattes erreicht und ummauert hatte, das sich vorher von drüben im Bogen über das schmale Rinnsal geschwungen, ohne hier den Boden wieder berührt zu haben.
Nun aber war die Brücke fest untermauert, und ein weiterer Heerstrom konnte sich darüberwälzen.
Auf leisen Sohlen, um ja nicht zu stören, pirsditen wir uns als neutrale Beobachter von einer interessanten Stelle zur andern. Fasziniert von dem Treiben — haben wir viel zu spät erst bemerkt, dass wir von den regulären, disziplinierten Kampfeinheiten längst überrollt worden waren. Die Masse der Beutesammler und der Tross durchkämmten nun in wüstem Durcheinander das Gelände und machten auch vor uns nicht halt.
Unter wilden Verrenkungen — bereits Ameisen in den Kleidern — verliessen wir fluchtartig die Gefahrenzone, die wir kurz zuvor in sanftem Tangoschritt durchquert.
Terpsichore — die Muse des Tanzes — aber liess uns huldvollst noch eine „historische Stunde” nachempfinden, erfüllt von den Geburtswehen dieses AmeisenBoogieWoogie und illustriert durch Hosen auf Halbmast, flatternde Hemden darüber — und dazwischen — an haarigen Waden entlang —emsig fingernde Hände auf der Jagd nach den Urhebern dieser neuesten Tanzschöpfung.
Mittags kam — wie erwartet — Durän mit den neuen Peones, ausgerechnet in dem Augenblick, da ihr Haus von Ameisen nur so wimmelte. — Aber die Leute grinsten darüber. Was für uns ein aufwühlendes Erlebnis gewesen, beeindruckte sie nur insoweit, als ein Nutzen damit verbunden war. Dicht vor Tulani war ihnen mitten im Sendero ein fetter Sari vor die Flinte gelaufen, der sich retten wollte vor der krabbelnden, mordenden Flut, die auch die barfuss laufenden Träger zu einem Umweg zwang.
Zum Einstandsfest, für das die Cazadores schon den Braten geliefert, veranstalteten sie auch noch ein Grossreinemachen in Haus und Umgebung, um alles Ungeziefer zu vernichten.
„Mehr kann man ja schliesslich im Urwald nicht verlangen", meinte unser Capataz, der in seinem Heimatdorf schon manchen Ameisensturm erlebt hatte. Er schilderte, dass so ein Oberfall gar nicht so gefährlich sei, und dass man mit Kind und Kegel und Haustieren immer ausweichen — und den oft bis zu 200 Meter breiten Heerbann passieren lassen kann. Wirklich gefährdet seien nur Gehbehinderte, wehrlose Kranke oder alleingelassene Säuglinge. Ansonsten aber wären die Cazadores „muy ütil" (sehr nützlich), denn Ratte und Maus, Wanze und Laus, alles würde vernichtet sein, wenn die Menschen in ihre blitzblank geputzten Häuser zurückkehrten, nach dem Abzug dieser freiwilligen KammerjägerArmee, die Mutter Natur befehligt. — Die Erzählungen Duräns wirkten beruhigend, ja begeisternd, denn im stillen erhoffte ich mir ja besonders wirkungsvolle Filmaufnahmen, wenn sich dieser Strom dunkler Leiber über unsere hellen Zelte ergoss, die ja nur knapp 50 Meter vom Haus der Peones entfernt lagen. — Der Reporter eines Revolverblattes hätte in dieser Situation bereits die grosse Chance seines Berufsdaseins gewittert und sensationelle SchlagzeilenMeldungen losgelassen: „Riesige Ameisenheere als Vollstrecker des IncaFluchs!" — „PaititiLager von AmeisenArmeen überfallen!" — „Expedition rettet nur noch das nackte Leben!"
Planmässig erreichten die ersten Kampfgruppen die Längsverspannung des vordersten Zeltes, da geschah etwas völlig Unerwartetes. Ohne irgendeinen für uns plausiblen Grund schwenkte die gesamte AmeisenArmee halblinks ein — und der rechte Flügel zog — irgendeinem Zwange folgend — im Abstand von nur etwa einem Meter an unseren Leinenpalästen vorbei, ohne jedes Interesse an einer Plünderung. Wir waren sprachlos, ja geradezu enttäuscht, denn meine ganzen schönen Filmpläne von einem Ameisenüberfall waren damit zunichte gemacht. Nie wieder würde mir ein solches Massenaufgebot billiger Komparsen zur Verfügung stehen. Ob die Imprägnierung der Zelte die Ursache des Ausweichens war, oder die Schnüre aus PanMaterial? Vielleicht ahnten die Tiere instinktiv, dass in unseren sauberen Behausungen kein Ungeziefer zu holen war. — Schimpfend verurteilte ich den Reinlichkeitsfimmel der Frauen, die am Vortage noch NexaPuder im Lager gestreut. Man sucht ja stets krampfhaft nach Schuldigen, wenn einmal etwas anders verläuft, als man gedacht. „Bestimmt hat mir dieser Sch ...UngezieferPuder die Sensationsaufnahmen meines Films vermasselt" — stand für mich einwandfrei fest, und resigniert wollte ich schon meine Kamera wieder abbauen, da kam mir eine Idee. Gleich darauf liefen Rudi und ich — mit GiftpuderBüchsen bewaffnet — dem Ameisenheer voraus und versuchten durch einen rasch gestreuten weissen Wall, den ganzen „Rangierbahnhof" umzuleiten.
Aber auch diese Abseitslinie durchbrachen sie ungerührt und rannten weiter. Nun versuchte ich es schnell noch mit einem Lockmittel — bevor die letzten Divisionen vorbeimarschiert waren. Leberwurst! Eine ganze Büchse davon opferten wir und beschmierten damit das Dach und die Verspannungen von Burgl's Zelt, weil es strategisch noch am günstigsten stand. Einige der "Soldaten" machten halt und betasteten die graue Paste, die — so verführerisch duftend — mitten auf der "Strasse" lag. Sie zwackten mit ihren Zangen hinein in die weiche, fettige Masse.
Aber diese rührte sich nicht. Sie wehrte sich ja gar nicht, sie war ja ohne Leben — und deshalb uninteressant für Cazadores, deren ganzer Instinkt nur auf Kampf, auf Töten und Raub eingestellt ist. — Maden hätten in der Streichwurst sein müssen, dicke, feiste, lebendige Maden! — Einen letzten Versuch startete ich, um doch noch zu meinen Aufnahmen zu kommen.
Ungeachtet der Folgen riss ich ein grosses Stück Baumrinde hoch, über das gerade einige Hundertschaften Ameisen marschierten — und schleuderte das Ganze in titanischer Lust auf das mit Leberwurst präparierte Zeltdach. —Aber niemand von den anderen kam diesem versprengten Haufen zu Hilfe, wie ich gehofft.
Rasch leerte sich die Leinwand, die für mich so viel bedeutet hätte, und unaufhaltsam eilten die letzten Nachzügler wieder dem riesigen Heere zu, das wie ein Phantom im Walde verschwand, so — wie es Stunden zuvor erschienen.
Um manche Erfahrung reicher und um eine FilmIllusion ärmer war ich, als dieser Tag zur Neige ging. Das Erlebnis als solches war begeisternd schön! Es auf dem Umweg über Optik und Zelluloid auch anderen in seiner Gesamtheit vermitteln zu können, wäre noch schöner gewesen! Aber — Naturfilmarbeit ist ein ewiges Ringen mit verpassten Gelegenheiten. Die Tücke des Objekts, die Unvollkommenheit der Technik und die Unzulänglichkeit des Menschen lassen nichts wirklich Vollkommenes werden.
Selbst der schönste Film kann nur ein Abklatsch sein — ein kleiner Ausschnitt nur aus einem wahrhaft grandiosen Naturgeschehen.
EIN LÄCHELN AUS DER VERGANGENHEIT
Als nächster und wichtigster Punkt stand nun die Besteigung des Cerro Paititi auf dem Programm. Nicht länger sollte unser „Hausberg" ein Monte mysterioso bleiben, geheimnisumwittert und unnahbar. Am Pfingstsonntag wollten wir auf dem Gipfel stehen — nur eine Woche noch fehlte bis zu diesem Fest.
Während Durän mit seinen Leuten den Auftrag erhält, unseren alten Sendero — hinauf gegen das grüne Plateau von Kompasszahl 305 — wieder zu öffnen und an geeigneter Stelle ein Lager IV vorzubereiten, versuchten Rudi und ich, den Rio Tulani aufwärts eine weitere Anstiegsmöglichkeit gegen das Bergmassiv hin zu erkunden.
Nach einer verhältnismässig kühlen Maiennacht dämmert ein frischer, klarer Morgen herauf, der einen sonnigen Tag verspricht. Rudi und ich sind mit einer normalen Tagesration losgezogen, nebst leichter Schlafausrüstung für ein eventuelles Urwaldbiwak. Nach Verlassen unserer grossen Lichtung schlagen wir uns mit den Macheten eine schmale Piccada gegen den Rio Tulani hin und kommen — zum Teil im Wasser watend — in dem Flusstal rasch vorwärts.
Hinter einer scharfen Biegung bietet sich uns ein phantastisches Bild. Über eine Felswand am anderen Ufer springt aus vielleicht 50 Meter Höhe in drei Kaskaden ein mächtiger Wasserfall hernieder. Die Sonne durchleuchtet ihn von der Seite in einem wundervollen, plastischen Streiflicht, und eine leichte Brise trägt den feinen Sprühregen bis zu uns herüber. Ungeheuer die Wucht der stürzenden Massen in eine tiefe Gumpe! Die Bäume in der näheren Umgebung werden dauernd von einem orkanartigen Sturm gepeitscht. Unbeschreiblich üppig wuchert ringsherum die Vegetation. Palmfarne, sowie dick bemooste Baumriesen mit Epiphyten, Bromeliaceen und Orchideen wechseln mit dichten, grünen Bambusschleiern.
Nebelschwaden entstehen fast aus dem Nichts — durch die Sonnenwärme geboren und hochgesogen — und wenn diese Dünste durch die Baumkronen geistern, umstrahlt von den Gloriolen des Gegenlichts, dann kommt man sich vor wie ein Weihnachtszwerg in einem undurchdringlichen Wald von Rauschgoldengeln.
Eine Zauberwelt tut sich auf, ein Märchenwald voller Schönheit und voller Geheimnisse. Da gaukeln Schillerfalter im Sonnenglast, dort schwirren Kolibris von Blüte zu Blüte, hier krabbelt eine GespenstSchrecke, wie ein wandelndes Blatt, und sogar Borkennarben hat Mutter Natur auf die Flügel gepinselt in unbeschreiblicher Mimikry. Mit einem furchterregenden Horn am Rücken zieht eine seltsam bunte Raupe ihres Wegs. Wird aus ihr einmal ein ebenso schöner Falter wie dieser grosse Morpho, der wonnetrunken flussaufwärts taumelt, bis ihn das grüne Geheimnis schluckt?
Man müsste Flügel haben wie diese Schmetterlinge, um schnell hinauf in die Bergwälder zu kommen. Mühselig aber müssen wir erdgebundenen Wesen, die wir den dünkelhaften Glauben hegen, bald vollends die Welt zu beherrschen, unseren Weg bahnen, und jede Fliege, die wir spielend zwischen zwei Fingern zerdrücken können, ist uns haushoch überlegen. Ein glatter, glitschiger Felsblock hemmt das weitere Vordringen im Flussbett, und unsere Muskeln und Macheten haben Arbeit genug, bis ein Tunnel durchs Dickicht geschlagen ist. Dann gleiten wir über eine Wandstufe hinab, um sanft auf dem darunterliegenden Moospolster zu landen. Viel zu spät bemerken wir, dass wir mitten in eine Ansammlung zitronengelber Falter gesprungen sind, die dort irgendwelche Flüssigkeit gesogen. Zart und zerbrechlich ist das Leben der Schmetterlinge — und brutal der Mensch, der dazwischentritt. Gewalt bestimmt sein Handeln, und Vernichtung bleibt zurück in seiner Spur. Dort, wo das Flusstal nach Norden abbiegt, ist ein weiteres Vorwärtskommen unmöglich; es sei denn, wir würden die tropfnasse, grünbemooste Wand erklettern, über die in einem breiten Staubfall das Wasser herabkommt. Aber direkt an der Biegung auf der orografisch rechten Seite des Wasserlaufes erkennen wir eine Möglichkeit aufzusteigen.
Fast scheint es, als hätte hier einmal ein ZickzackWeg hinaufgeführt zu einer sterbenden Baumgruppe, die an der fast sonnenlosen Südseite im eigenen Moder erstickt.
Auf einer Plattform angelangt, sehen wir tatsächlich einen verhältnismässig gut erhaltenen Steig, der sich nach rechts wendet, direkt unter eine überhängende Felswand, die er mit einer Art Laufgang durchbricht. — Unheimlich wirkt dieser Ort! Wir zögern beide, unter diesem überhang durchzugehen. Lianen und Wurzeln hängen von der Decke, und bei den runden Löchern links an der Wand wird man das Gefühl nicht los, als müssten jeden Augenblick Schlangen herausschiessen. Ein eigenartiger Raubtiergeruch liegt in der Luft, und vorsichtshalber schleudern wir Steinbrocken hinein in diesen Gang, der nach rechts — etwa 40 Meter tief — zum Fluss hin abfällt. Aber es regt sich kaum etwas. Nur einige sandfarbige Mauergekkos wechseln in hurtigen Sätzen, beinahe an den Wänden klebend, ihre alten Positionen, und ein paar grosse „vampyros" (Fledermäuse) flattern aufgeregt — und geblendet von dem hellen Tageslicht — hinab in den Schutz der im Talgrund stehenden dunklen Bäume.
Mit unseren Macheten hauen wir zunächst einmal die Lianenhindernisse von der Decke und bahnen uns in gebückter Haltung einen regelrechten Weg unter diesem Balkon durch, der staubtrocken die Felswand durchschneidet. Eine gute Stunde lang mochten wir uns — schweisstriefend vor Aufregung und Anstrengung — fast bis zum Ende dieser etwa 30 Meter langen Felsgalerie hingearbeitet haben, da entdeckten wir zur Linken eine Menge gut handgrosser Schieferplatten, zum Teil noch an die Wand gelehnt, zum Teil am Boden liegend und unter dem von oben herabgebröckelten gelben Quarzsand halb begraben.
Solche Plattenansammlungen kannten wir bereits von Cordillerenübergängen her und von schwierigen Wegstellen im Hochland. Sie sind stets ein Beweis für den frommen Sinn der Indios und ihre Dankbarkeit gegenüber den alten Göttern — Pachamama, der Allmutter Erde, und Viracocha, dem Sonnengott.
Auf ihren Wegen über die Berge, lange schon vor Erreichen solcher »mal pasos" (gefährliche Strecken), sammeln die Indianer ihnen geeignet erscheinende flache Steine, die sie dann — Gebete murmelnd und Maiskörner oder Cocablätter als Opfergaben streuend — an den entscheidendsten Punkten niederlegen. Manche schleppen sogar mehrere und bauen sogenannte „Seelenhäuschen", indem sie einfach eine Platte über zwei am Boden liegende vierkantige Brocken setzen. — Ähnliche Bräuche habe ich auch an den Grenzen Tibets erlebt, damals im Jahre 1934, als wir auf dem Rückweg aus dem KarakorumHimalaya in Eilmärschen das Hochland der Deosei überschritten.
Jäh und unvermittelt bricht unser Felsband ab an einer glatten, feuchten Wand. Unten rauscht der Fluss über riesige Quader, die hier einmal mitsamt dem alten Weg hinuntergestürzt sein mochten. Der Steig selbst musste vor langer Zeit über ein schmales Gesimse hinweg direkt durch die senkrechte Mauer geführt haben, hinauf gegen das grosse Plateau oberhalb der Wasserfallwände, zu dem — auf einem anderen Weg — Durän sicher schon längst gelangt war, um unser Lager IV vorzubereiten.
Der Gedanke, nach Bergsteigerart einfach einen Quergang durch die Plattenschüsse vor uns zu legen — mit Geländeseil und Mauerhaken, scheiterte daran, dass wir nur zwei grosse Eisenstifte bei uns hatten, von der Unmöglichkeit, später einmal schwerbepackte Träger über solche Manöverpfade zu lotsen, ganz abgesehen.
Beim Untersuchen des trockenen Sandes und der dazwischenliegenden Schieferplatten finden wir Holzkohlenreste. — Hatten hier einmal unter dem Überhang Menschen vorübergehend Schutz gesucht — bei einem Unwetter vielleicht? Oder handelte es sich um eine Dauerwohnung? — Voller Erregung scharrten wir weiter. Da stossen wir mitten zwischen den ehemaligen Bauteilen dieser rührend primitiven steinernen Andachtshüttchen auf einen abgeflachten Brocken aus porösem, etwas rötlichem Sandstein, in den eine etwa daumendicke Rinne eingearbeitet ist. Als wir das Ganze umdrehen, grinst uns mit eigenartigem maskenhaftem Lächeln das Gesicht eines Götzen ent gegen, nicht grösser als ein Kinderkopf, mit ausdrucksvollen Augen, flacher, abgeplatteter Nase und halbmondförmig hochgezogenem Mund. Nur an der einen Stirnseite ist er etwas beschädigt, und auch ein Auge und die Nase sind leicht angeschlagen, aber sonst gut erhalten. Vielleicht hatte er einmal oben in der kleinen Nische gestanden, direkt unter der Felsplatte, die ohne Zweifel das Dach eines Seelenhäuschens gewesen, welches zuletzt nur noch auf einem Unterbau ruhte, nachdem der andere Sockel mit dem steinernen Götzenkopf abgerutscht war. Wir bessern dieses tabernakelähnliche Steinhüttchen aus, indem wir wieder einen passenden Klotz darunterfügen. Zur Rekonstruktion stellen wir nun den Kopf in die Offnung. Er passt hinein, als hätte er immer da gestanden.
Wer aber mochte ihn wohl hierher getragen haben? Wie lange konnte das zurückliegen? Woher kam dieses Votivbild überhaupt, das so unverkennbare Ähnlichkeit aufweist mit den Figuren vor der Kirche in Tiahuanacu, die man den allerältesten südamerikanischen Kulturperioden zurechnet? Fragen, Vermutungen und Zweifel schwirren in raschem Wechsel durch unsere Köpfe. Der Götze aber lächelt nur sein unergründliches, zauberhaftes, mystisches Lächeln — auch, als ich ihm mein Reservehemd umwickele, bevor er zum Transport im Rucksack untertaucht.
An einem leichten 40MeterKunststoffseil und einer Reepschnur, die wir über einen Baumstumpf laufen lassen, fahren wir wie im Lift die Steilhangwand hinab — direkt zum Fluss, um vielleicht auch dort unten noch etwas zu finden. Aber Wasser und Strömung haben im Lauf der Zeit alle Spuren verwischt. Nur grosse, glatte Felsen liegen in der Tiefe.
Beschwingt von der Freude über unseren Fund — und beflügelt von dem Drang, auch Burgl und Monika schnellstens die frohe Botschaft nebst Beweisstück zu übermitteln, rennen Rudi und ich — überglücklich — den Weg in einer guten Stunde wieder zurück, für den wir beim Aufstieg rund sechs Stunden gebraucht.
Unser RINGEN UM DEN „MONTE MYSTERIOSO"
Durän hatte inzwischen auf dem langgezogenen Höhenrücken gegen den Cerro Paititi hin in etwa 1800 Meter Höhe eine kleine Lagerlichtung geschaffen, so dass wir für den nächsten Morgen alles startklar machten. — Nach einer hoffnungsvollen, sternenklaren Nacht goss es in Strömen — drei Tage lang — und erst am vierten, als es gegen Mittag aufklarte, zogen Rudi und ich mit Durän und drei weiteren Leuten los — über das Sanktuario hinweg auf dem vom ersten Unternehmen her noch bekannten Sendero. Zweieinhalb Stunden später schon konnten wir unsere leichten Bergzelte aufstellen, neben einer Gruppe feinfächeriger, schlanker Palmen.
Lager IV stand in 1730 Meter Höhe, leider nur 300 Meter über Tulani, aber doch schon ziemlich am Beginn eines gegen den Vorgipfel von Ost nach West steil aufstrebenden, bewaldeten Höhenrückens. — Der Pfingstsamstag bescherte uns leider Regen — und eine Temperatur von nur 11 Grad über 0. Um 8 Uhr morgens starteten wir trotzdem, und nachdem der am Vortag präparierte Sendero zu Ende war, krochen wir buchstäblich nur noch im Schneckentempo vorwärts, durch den dichten, tropfnassen Regenwald. —Alle halbe Stunde wechselten wir uns ab bei der Machetenarbeit.
Je höher wir kamen, um so undurchdringlicher wurde der grüne Filz. Stangen, die normalerweise im Holz kaum armdick waren, erschienen mit dem üppigen Moosbehang wie Bäume von einem halben Meter Durchmesser. Der ganze Wald wirkte wie eine Versammlung alter, ehrwürdiger, bärtiger Männer, die durch einen Geisterspuk hierhergeraten und verzaubert worden waren. — Kein Laut war vernehmbar, und unsere Schritte gingen völlig unter in den schalldämpfenden Schichten meterdicker Moospolster, und hätte das Schlagen der Macheten nicht geklungen, dann wäre die Illusion, in einer Traumwelt zu wandeln, vollkommen gewesen.
Völlig durchnässt, schlagen wir am Spätnachmittag unterhalb des Gratverlaufs, der von Süd nach Nord gegen den Hauptgipfel zieht, ein Lager V in 2450 Meter Höhe. Gut 700 Meter Höhenunterschied also hatten wir doch noch an diesem Tag geschafft, und als es gegen Abend aufklart, können wir —vereinbarungsgemäss — ein Rauchsignal hinuntergeben zu den Zelten von Tulani, die in der Tiefe wunderbar zu sehen waren. Mit drei Schüssen und Leintuch winken — das waren unsere vereinbarten Zeichen für „Verstanden " und "Alles in Ordnung" — kam die Antwort zurück, und beruhigt konnten wir uns schlafen legen.
Auch der Pfingstsonntag begann mit Regenschauern, und um 6.30 Uhr früh konnten wir eine Temperatur von nur 10 Grad über 0 messen. Während unsere Begleiter ziemlich froren, waren Rudi und ich richtig frisch. Die Höhe tat uns gut nach der dumpfen Enge der Wälder, und energiegeladen packten wir den letzten Aufschwung hinauf zum Grat.
Der Wald blieb nun zurück, und übermannshohe, dichte TolaBüsche traten an seine Stelle. Eine halbe Stunde nach Verlassen des Lagers erreichten wir eine richtige grüne Wiese auf einem breiten Höhenrücken, der sich über unzählige Mugel und Plateaus hinanzog zum Gipfel des Cerro Paititi.
Von unten hatte der Weiterweg wie ein scharfer Grat ausgesehen, und nun standen endlose mit Buschwerk bewachsene Flächen vor uns, hie und da von
einer Sumpfwiese unterbrochen. Nebelschwaden und Regenböen wurden
vom Wind über die offenen Hänge gepeitscht, während wir uns in dem dichten Gestrüpp — zum Teil auf Tierpfaden — vorwärts rauften. Immer wieder
trafen wir auf die Losung von Venados (kleinere Berghirsche) und Bären, aber scheinbar war diesen Tieren das Wetter hier oben zu schlecht, und sie mochten wohl in ihren tiefer liegenden Schlupfwinkeln geblieben sein.
Der Wunsch, unseren geringen Proviantvorrat mit Hilfe meines Winchesters ergänzen zu können, blieb daher leider unerfüllt. Stunden vergingen
mit mühsamer Machetenarbeit. Immer wieder brandet der Urwald bis herauf zu den Höhen, ja zum Teil fliesst er über die Einsattelungen in dichten grünen Wogen hinweg und stellt die einzige direkte Verbindung her mit den Nachbartälern.
Einmal nur rissen die Nebel auseinander und gaben für wenige Augenblicke die Durchsicht frei — bis hinüber zur Königscordillere, die eisbedeckt, in strahlender Sonne 60 Kilometer entfernt ist, und doch zum Greifen nah scheint. — Dieser einzige Lichtblick versöhnte mit allen Strapazen dieses Tages — und auch mit der Tatsache, dass wir lange vor Erreichen des Nebengipfels um 16 Uhr in 2850 Meter Höhe umkehren mussten, wollten wir noch vor Einbruch der Dunkelheit das Lager erreichen.
Der folgende Morgen sah uns wieder frühzeitig auf den Beinen. In dem nun gebahnten Weg kamen wir so schnell vorwärts, dass uns die Träger kaum folgen konnten. Um 9 Uhr erreichten wir schon die Umkehrstelle vom Vortag, da tobten wieder Regen und Graupelschauer über uns hinweg und erschwerten das Offnen des weiteren Pfads mit den Messern. — Um 10 Uhr mussten wir alle schutzsuchend unter unsere Klepperumhänge kriechen und warten — inmitten von regelmässig geformten gras und staudenüberwucherten Wällen.
Es sah aus, als hätte hier oben einmal eine Siedlung bestanden und als wären die Mauerreste mit der Zeit von Rasenpolstern überzogen worden. An einer Stelle stiessen wir unsere Macheten hinein und trafen tatsächlich darunter auf Stein.
Knapp unterhalb der 3000MeterGrenze mussten wir wieder umkehren. Bei dem Unwetter und der Kälte wäre ein forcierter Einsatz unverantwortlich gewesen, um so mehr als bis jetzt keine Möglichkeit bestand, Gelände und Panoramafotos aufzunehmen als Grundlage für eine spätere Kartenskizze.
Um 13.30 Uhr erreichten wir wieder Lager V, verstauten dort unsere Habseligkeiten wettersicher in einem Zelt — für einen späteren Besteigungsversuch — und rannten bei strömendem Regen hinunter nach Tulani.
Welch gute Geister dort walteten, wussten wir erst recht nach solchen Gewalttouren zu schätzen. Blitzblank aufgeräumte Zelte, frische Wäsche und —trotz des langsam zur Neige gehenden Proviants — eine immer noch hervorragende Küche — waren die besonderen Annehmlichkeiten, die wir gerade unserer weiblichen Besatzung zu verdanken hatten.
Sieben volle Tage war nicht daran zu denken, in die Hochlager am Cerro Paititi zurückzukehren. Der Sur tobte mit voller Gewalt, und bis auf drei Leute liefen mir alle davon, weil sie sich bei solchem Regenwetter daheim etwas Besseres wussten.
Wir fingen beinahe an, trübsinnig zu werden, vor allem ich, wenn ich an die noch fehlenden Filmszenen dachte — und an die Abmachungen mit meinem Verleih, um diese Zeit bereits mit einer komplett abgeschlossenen Arbeit in Deutschland zu sein.
Aber — der Mensch denkt — und das Wetter lenkt!
Wenigstens brachte ich eines Abends durch eine »geniale" Bastelei und mit Hilfe meiner sämtlichen Akkumulatoren unser Radio wieder in Betrieb, das schon seit Wochen ausgefallen war.
Der erste einwandfreie Empfang schenkte uns das zweite ViolinKonzert von Tschaikowsky — übertragen aus Lima — mit dem Solisten Sacha Heifetz.
Die Musik hob uns wieder hinweg über manche seelische Depression — wie sie der Höhepunkt und Ausklang dieser verspäteten Regenzeit nun einmal mit sich brachten.
Weitere Ablenkung bot uns ein Schachspiel, das Monika in wochenlanger „Freizeitgestaltung" aus den Hölzern des Waldes geschnitzt hatte — die weissen Figuren aus einem weichen, lindenartigen Material und die schwarzen aus dem ebenholzfarbigen, ungewöhnlich harten von Palmstämmen.
Wenn bei der Arbeit an diesem »Kunstwerk" auch mein schönes Stilett abbrach, der Verbandskasten nicht zur Ruhe kam — und die schwarzen Bauern
aussahen wie dicke, junge Steinpilze, die gerade den Nadelwaldboden durchstossen wollten, so hat dieses Spiel mit seinen herrlichen Kombinationen uns doch viele schöne Stunden beschert.
Leider machte uns Rudi mit einer Blinddarmreizung ernstlich Sorge in diesen Tagen — fernab von jeder Möglichkeit einer ärztlichen Hilfe. — Ob die Kaltwasserumschläge die Gefahr bannten oder gar meine Drohung, ihn mit dem Küchenmesser zu operieren?
Am 6. Juni erst schien die Regenzeit wirklich zu Ende zu gehen, und in einem Zug steigen Rudi und ich mit zwei Mann von Tulani aus bis hinauf
ins Lager V, wo wir wieder die Nacht verbringen. — Bei strahlendem Frühsonnenschein starten wir anderntags und stehen dank unserer Vorarbeit um 11 Uhr schon auf dem Hauptgipfel des Cerro Paititi (3150 m).
Einmalig schön ist der Rundblick von dieser zwischen Andenkette und Tiefland gelegenen einsamen Hochwarte aus.
Der stolze Illampu mit seinen fast sechseinhalbtausend Metern beherrscht als Eckpfeiler der eis und schneebedeckten Königscordillere im Westen das
Bild. Unser ganzer langer Weg — im oberen Teil mit der idealen Linienführung des alten inkaischen Königssteigs über die Berge herunter nach Incapampa — lässt sich bis auf wenige unübersichtliche Strecken gut verfolgen.
Dazwischen branden Nebel in den Tälern in ewigem Spiel, prallen gegeneinander, türmen sich auf, umarmen einander — und lösen sich wieder auf in Nichts.
Weit draussen in dem Hügelland im Südosten liegt San Carlos — unsere „ultima esperanza", die letzte Hoffnung, wenn uns der Proviant wegen Zeitüberschreitung knapp wurde oder sonst etwas schiefgehen sollte.
Direkt gegen Sonnenaufgang müsste Mapiri zu sehen sein, aber nur die mächtigen Kiesbänke, die der Rio San Christobal aus den Bergen herausgetragen, leuchten in der Ferne.
Von Nordosten herauf führen die geheimnisvollen Täler des Rio Tarrappo und des Bagante, die bereits zwei Expeditionen zum Schicksal wurden. Was aber mochten die anderen urwaldbedeckten Hügel und Täler ringsum an Unerforschtem noch bergen?
Der Weg Manuel Posnanskys von Gonzata her ist nur schwer auszumachen, trotzdem wir noch gegen Nordwesten den Grat absteigen bis zum Ansatz des BaganteTals. Kein Steinmann, kein Anzeichen irgendeiner menschlichen Spur — weder am Gipfel noch unten in der Scharte. Nur eine Steinplatte auf dem höchsten Plateau — von Blitzschlägen in mehrere Stücke zerhauen —schenkt einer herrlich schwarzweissgefleckten Schlange verschwiegene Versteck und SonnenbadeMöglichkeiten.
Dass wir die Gipfelschlange vom Cerro Paititi als Andenken kassierten —ähnlich wie bei manchen DolomitenTouren die Sterne des Edelweiss — war für uns selbstverständlich, und Rudi fing das Tier in altbewährter Meisterschaft mit Genickgriff und blanker Hand und lavierte es in einen Kunststoffbeutel, von denen wir für Sammelzwecke immer einige mit uns trugen. Wir hatten inzwischen jede Scheu vor Schlangen verloren — standen mit ihnen auf du und du — und fingen sie zuletzt wie Karnickel aus einem Gehege.
Ein loderndes Feuer in dem trockenen Gras, von uns entfacht auf dem völlig baumfreien höchsten Punkt, wurde vom Wind rasch gen Westen getrieben und verkündete in der weiten Runde unseren endlichen Gipfelsieg —nach mehrwöchiger Belagerung und fast vierzehntägiger schwerer Arbeit.
Kaum eine Unternehmung in meiner ganzen langen Bergsteigerzeit hat mir derartige Schwierigkeiten bereitet wie dieser Urwaldberg mit seinen lächerlichen 3150 Metern und der Besonderheit seiner klimatischen Verhältnisse.
Beim Abstieg besuchen wir rasch noch die eigenartigen Strassen und Linien auf dem weiten Pass am Ansatz des TarrappoTals, die beinahe wie Marskanäle wirken und zwischen oft meterhohen Wiesen und Mooswülsten liegen. Manche dieser senkrechten Graswände scheinen tatsächlich Mauern ehemaliger Bauten zu bergen, die hier oben vielleicht einmal standen.
Für eine genaue Untersuchung dieses Phänomens fehlten uns die Zeit und die Mittel. Es wäre dies vielleicht lohnende Aufgabe eines späteren Unternehmens, das von einem hier oben errichteten Lager aus mit geeigneten Geräten operieren müsste.
Mit reicher Ausbeute an Film und Fotomaterial, vor allem aber mit PanoramaAufnahmen als Grundlage für eine Übersichtskarte des Gebiets, kehrten wir am Spätnachmittag wieder ins Lager V zurück. Unterwegs fingen wir noch eine schöne „Korall" mit schwarzroten Bandagen, die — wie die Gipfelschlange — in ein eigenes Säckchen wandern musste.
Aus massiven Balken errichteten wir unser Blockhaus am Fusse des Cerro Paititi —Stützpunkt für weitere Arbeiten bei unseren nächsten Unternehmungen.
Nach einer geruhsamen Nacht falten wir am nächsten Morgen wieder die Zelte zusammen und steigen — schwer bepackt — nach Tulani ab. Im Lager IV sonnte sich schon wieder eine gut daumendicke Korallenschlange, die wir in derselben Manier vom Boden weg „pflückten". Nachdem die anderen „StoffWohnungen" schon vergeben waren, wurde ihr als Notunterkunft ein leeres Rosinensäckchen zugeteilt, das wir zu den anderen hinten auf den Rucksack banden.
Als wir nach der Begrüssung und nach einer ersten Erfrischung in Tulani auch unsere „Ringel"Schätze zeigen wollten, stellte sich zu unserem Schrekken heraus, dass sich das zuletzt gefangene Reptil unterwegs glatt durch den Proviantsack gebissen hatte und spurlos verschwunden war. Ein Glück noch für Rudi, dass er diesmal den Schlangenbeutel wegen des Gepäcks nicht einfach in einem leeren Rucksack unterbringen konnte.
Nicht auszudenken, wenn so ein Biest einem hinterrücks „aus der Tüte" steigen würde, um plötzlich als lebendes Halsband zu fungieren!
Seitdem wir auf Anraten unseres tropenmedizinischen Betreuers — Dr. Villarejos, La Paz — neben unseren bisherigen Schlangensera auch Cortison mitführten, das sich — selbst in verzweifelten Fällen von Schlangenbiss — schon öfters bewährt hatte, waren wir leichtsinnig geworden im Umgang mit diesen Kriechtieren.
Die Mitglieder der erfolgreichen Unternehmung. Von links nach rechts: Hans Ertl, Heidi Ertl, Frau Burgl Moeller, Frau Relly Ertl, Monika Ertl, Rudi Braun.
„Viechereien“
Zum Festessen anlässlich des Gipfelsiegs musste ich „Geierwally" schlachten, wie wir ein weisses, altes, nackthalsiges Suppenhuhn nannten, das uns Don Willy zusammen mit „Tante Frieda" — einer schwarzen Schopfhenne —schon vor vierzehn Tagen aus San Carlos geschickt hatte, damit wir die Besteigung des Cerro Paititi würdig feiern konnten. Fast hätte die dauernde Verschiebung dieser Bergtour noch zu Komplikationen im Lager geführt.
Ferdinand ging fremd. Er hatte sich die „nackte Schöne" angelacht, während das Huhn mit dem KapotteHütchen als „Fräulein von der Heilsarmee" zu der betrogenen Luise hielt und alle plumpvertraulichen Annäherungsversuche unseres HühnerDonJuans unmissverständlich ablehnte. Erst als die weisse Ehebrecherin zusammen mit breiten Nudeln im Kochtopf schwamm, liess sich auch die Schwarze herbei, Ferdinand gleichfalls zu trösten, und als auch sie den Weg allen Hühnerfleisches gegangen, war der eheliche Frieden bei unseren Glücksvögeln wieder hergestellt.
Leider machte „Tante Frieda" auch nach ihrem Ableben noch Schwierigkeiten. Während des Siedens und überlaufen zerbarst explosionsartig der steinerne „Herd". Nachdem ich den kippenden Kochtopf gerettet und als Expeditionsvater die herrliche Suppe verteilt, zeigten wir alle statt einer begeisterten Miene — die Zunge. Ich hatte aus Versehen beim Würzen statt der Salzbüchse die Dose mit dem Backpulver erwischt, und „Tante Frieda" in Lauge war ungeniessbar. Ohne Brühe — dafür aber das Hühnerfleisch kurz in Kondensmilch gelegt und mit CurryReis angerichtet — konnten die murrenden Mägen bald beschwichtigt werden, und die Stimmung bei der Expedition war wieder einmal gerettet.
Nach einem solchen Schlemmermahl konnte es ruhig erneut im alten „abwechslungsreichen" Turnus weitergehen: Montag — Linsen, Dienstag — Nudeln, Mittwoch — Bohnen, Donnerstag — Reis, Freitag — Linsen, Samstag —Nudeln, Sonntag — Bohnen usw. —
Unsere gefangenen Schlangen hatten es in dieser Hinsicht viel leichter. Sie wurden mit Fröschen und dicken Käfern gefüttert, und diese leichtverdauliche Kost nahmen sie in ihren geräumigen AluminiumKäfigen dankbar entgegen, bevor sie von Fall zu Fall als Kleindarsteller zum Filmen herausdurften. Nur unsere Gipfelschlange hatte ausgesprochenes Pech mit einem Frosch. Der liess sich nämlich nicht fressen, sondern wandte eine Kriegslist an. Er hüpfte nicht — wie die anderen dummen Kollegen — der Schlange fast von selbst in den Rachen, sondern ins Genick, umarmte sie »liebevoll" von hinten, legte wie ein Jockey seinen Kopf flach auf den ihren und klammerte sich wie ein Affe am Halse fest. Auf diese Weise liess er sich willig im Käfig herumtragen, und alle Versuche des Reptils, den Reiter abzuschütteln, um ihn fressen zu können, scheiterten an der raffinierten Technik von »Anton", wie wir den Mutigen nannten, den Burgl dann wegen „Tapferkeit vor dem Feind" aus dem Käfig »beförderte" und an unserer Wasserstelle in Freiheit setzte. Wir begegneten diesem lebenstüchtigen grünbraunen Frosch noch öfter unten an der Quelle, vor allem, wenn wir unsere Kochtöpfe zur Vorreinigung unter den Wasserstrahl gestellt hatten, der aus einer Palmröhre floss. Da schwamm unser Freund oft mitten in so einer runden AluminiumBadewanne mit Nudelresten um die Wette und fing dabei Fliegen, die sich mit Vorliebe an den verkrusteten Rändern des Tiegels gütlich taten.
SELBSTMÖRDERIN „KORALL"
Auch mit der schönen Korallenschlange erlebten wir etwas Seltsames. Rudi hatte sie aus dem Käfig gleiten lassen und zwar genau durch das Blickfeld meiner Filmkamera. Das Reptil hatte am Abend vorher noch in aller Gemütsruhe eine Kröte verzehrt, und seine Bewegungen wirkten behäbig und ausgeglichen. Ich war recht zufrieden mit meinem »Star", aber — wie gewöhnlich — nicht hundertprozentig. Vor allem fehlte die Sonne, und deshalb bat ich Rudi, das Tier wieder in den Käfig zurückzugeben, damit wir das Ganze bei besserem Licht wiederholen könnten. Mein Kamerad fing das Reptil wie immer und liess es erneut in die Kiste wandern. Kaum war der Deckel geschlossen, da vernehmen wir ein wüstes Schlagen aus dem Aluminiumbehälter. Wir reissen die Offnung hoch und sehen zu unserem Entsetzen, dass die Schlange sich selbst in die dickste Stelle ihres Leibes gebissen hatte und durch das eigene Gift am Verenden war.
Selbstmord von Tieren kannte ich bis dato nur bei Skorpionen, denn das berühmte Experiment mit dem Feuerkreis, in dessen Mitte sich dieser Giftstachelträger selbst erdolcht, wenn er keinen Ausweg mehr sieht, hatten wir während des Krieges in Nordafrika oft von Arabern vorgeführt bekommen.
Der Freitod einer Schlange jedoch war mir bis zu diesem Zeitpunkt unbekannt.
Dass man bei der psychologischen Beurteilung solcher Begebenheiten vorsichtig sein muss, ist klar. Man kann bei Tieren nicht einfach dieselben seelischen Regungen und Gedankengänge voraussetzen wie bei Menschen. Trotzdem lässt sich nicht bestreiten, dass—wie das Beispiel mit der Korallenschlange lehrt — auch Tiere vielleicht von der Schöpfung mit etwas Ähnlichem beschenkt worden sind, was wir gemeinhin mit „Seele" bezeichnen, oder zumindest mit „Charakter".
Man kann sich vorstellen, dass die „Korall" bei der guten Verpflegung zunächst ihr Schicksal erträglich fand. Plötzlich war sie wieder frei und konnte in gewohnter Weise über den ihr bekannten Boden dahingleiten, bis der Genickgriff ihr von neuem die Freiheit raubte und das „Gefängnisportal" ein zweites Mal hinter ihr zuschlug.
Nach rein menschlichem Ermessen war die erste Gefangenschaft noch auszuhalten. Die neuerliche Freiheitsberaubung aber ging über die "seelischen Kräfte" des Tieres, und es verübte Selbstmord. Es scheint, dass gerade diese schwarzrotbebänderten Korallenschlangen besonders freiheitsliebend sind, denn wir hatten ja schon einmal erlebt, dass sich eine solche beim Transport durch einen festen Leinensack arbeitete. Eine andere wieder hob den steinbeschwerten Deckel eines Blechbehälters und entkam ebenfalls. Die ungemein schönen Tiere müssen also im Verhältnis zu ihrer Grösse über aussergewöhnliche Körperkräfte verfügen.
Wenn ich heute zurückdenke an unsere Abenteuer mit Schlangen während dieser Expedition, so möchte ich sagen, dass ich sie irgendwie liebgewonnen habe, nicht etwa, weil sie mir zu besonderen Filmaufnahmen verhalfen, oder weil wir diese in Alkohol gelegten „Opfer der Wissenschaft" an Interessenten abliefern konnten, sondern weil ich sie wirklich schön finde und aufregend in ihrer Ruhe, in ihren Bewegungen, in ihren Listen und im Kampf. Sie gehören in diese Landschaft wie die Moskitos, die bunten Falter, die Kolibris und die Palmen, und es ist jammerschade, dass viele Menschen grundsätzlich jede Schlange töten, ganz egal, ob sie giftig ist oder nicht. Wir haben das zu Anfang genauso gemacht, aus purer Angst und Vorsicht, bis wir uns an sie gewöhnt — und gelernt hatten, dass noch lange nicht jede Schlange gleich beisst. Von den einundsechzig genau registrierten Begegnungen mit diesen Tieren im Verlauf von 8 Monaten Expedition ist nur ein einziger Fall vermerkt, wo eine Buschmeister wirklich angriff, während man bei drei anderen Schlangen nur vermutete, dass sie attackieren könnten.
Vielleicht ist der weitverbreitete Abscheu vor diesen Reptilien bei jener SchlangenUrgrossmutter auf dem Baum der Erkenntnis im Paradiese zu suchen, die ja bekanntlich mitbeteiligt gewesen sein soll an der Vertreibung von Adam und Eva. Als Symbol des Bösen geistert dieses Tier von der ersten Bibelstunde an in unseren Köpfen, und weder der spätere BiologieUnterricht noch die rührenden Beispiele des heiligen Franz von Assisi können uns zu der einzig vernünftigen Erkenntnis führen, dass auch Schlangen Kinder der Schöpfung sind und eine wichtige Aufgabe zu erfüllen haben in dem vielfältigen und wunderbaren Haushalt der Natur.
Vorbereitungen für den Endspurt
Mit der Besteigung des Cerro Paititi hatten wir zwar den höchsten Punkt unseres ExpeditionsProgramms erreicht, nicht aber den Höhepunkt. Die allerwichtigste und schwierigste Aufgabe stand uns noch bevor. Sie gipfelte darin, den lange schon geplanten grossen Waldbrand durchzuführen, der für eine Übersicht und Neuorientierung auf archäologischem Gebiet ebenso wichtig war wie als Schlussapotheose für den Film.
Normalerweise werden in diesen Regionen Rodungsbrände in den Monaten Oktober und November vorgenommen, also am Ende einer langen Trokkenperiode und nachdem der Wald dafür etwa bis Juli geschlagen worden ist. Drei Monate Trockenzeit sind unbedingt erforderlich, wenn ein entsprechender Erfolg erzielt werden soll.
Wo aber blieb das dafür nötige Wetter in diesem aussergewöhnlich regenreichen Jahr? Wir schrieben schon Mitte Juni, und dennoch waren die Sonnentage noch immer gezählt. Dabei hätte ich bekanntlich spätestens Ende dieses Monats schon wieder in Deutschland sein sollen. Zu allem übrigen gesellten sich neue Schwierigkeiten mit den Peones. Bis jetzt hatte ich die Leute noch halten können, weil ich das doppelte und dreifache der normalen Löhne bezahlte. Seit Anfang Juni aber lief alles wieder zum Goldwaschen in die Gegend von Tipuani.
Für ein Gramm Gold erhielt ein Mann genauso viel in Bolivianos, als ich ihm pro Tag an Höchstlohn einschliesslich Regen oder Gefahrenzulage bezahlen konnte. Ein Gramm Gold pro Tag aber war das Allerwenigste, was ein Arbeiter wusch. Die meisten von ihnen erzielten 68 Gramm als Tagesausbeute und verdienten demnach innerhalb von acht Stunden mehr, als ein Waldarbeiter bei mir in der Woche. Probleme über Probleme türmten sich aufeinander, die alle irgendwie bald gelöst werden mussten, sollte unserem Unternehmen nicht noch in letzter Minute der wirklich verdiente Enderfolg versagt bleiben. Zunächst liess ich alle jene Leute ziehen, die lieber Gold waschen gingen. Nur unser getreuer Durän blieb noch bei uns mit seinen beiden compadres (Verwandten). Dann verschob ich meine Deutschlandreise auf Ende Oktober und gewann dadurch wieder etwas Zeit. Leider nicht soviel, dass ich bis Ende August/Anfang September schon mit gut ausgetrockneten Lichtungen rechnen konnte. Deshalb fasste ich den Entschluss, zwanzig Maultiertraglasten Dieselöl über die Kordillere schleppen zu lassen, um dem Urwaldbrand etwas nachzuhelfen und Zeit einzuholen. Auch Proviant war noch nötig für weitere zwei Monate, nachdem der unsere fast zu Ende war.
Sechs Wochen rechnete ich allein mit der Neuorganisierung, wenn wir Anfang August wirklich in die Schlussphase der Expedition kommen wollten —gar nicht viel Zeit auf dem Kontinent des Mariana, des „Alles auf Morgen verschieben".
Darin liegt ja gerade die Tragik für jeden, der dem Zwange deutschen Tempos unterworfen ist und exakte Termine und Verträge einhalten soll in einem Lande, dem Gemächlichkeit und beschaulidie Ruhe über alles gehen, und unter Menschen, die einfach kein Verständnis haben für die Unrast und das hektische Treiben Europas.
Wichtige Botengänge führten uns abwechselnd nach San Carlos, nach Mapiri und sogar über die Kordilleren bis Sorata und wieder zurück. Daneben mussten die dringendsten Filmarbeiten erledigt werden, damit dieses PuzzleSpiel in Zelluloid endlich eine endgültige Form gewann. Pünktlich traf am 5. August in Incapampa die grosse Tragtierkarawane ein mit Brennöl und Proviant für das letzte entscheidende Geschehen. Relly, meine Frau, die bis jetzt oben in La Paz an verantwortlicher Stelle sass, um die Verbindung mit der Expedition einerseits und Deutschland andererseits aufrechtzuerhalten, war diesmal selbst mit Heidi und der ganzen Tropa in unser Arbeitsgebiet gezogen, um die verschiedenen Plätze, die ihr bis jetzt nur vom Hörensagen ein Begriff waren, auch in Wirklichkeit kennenzulernen. Als Familienmutter mit noch schulpflichtigen Gören war es ihr bis dahin leider noch nie vergönnt gewesen, auf einer meiner Expeditionen wirklich dabei, zu sein. Nur die wenig angenehmen Dinge im Zusammenhang damit: endlose Schreibereien, BehördenBesuche, nächtelange Dunkelkammerarbeit, finanzielle Schwierigkeiten und Sorgen aller Art kamen auf ihr Konto, während ich das grosse Abenteuer in einer fremden, lockenden Welt suchte und fand. Geduldig wie Penelope wartete sie manche Jahre auf ihren Odysseus, und ich kann dem Schicksal nur dankbar sein, das mir die Freiheit schenkte und eine verständige Frau, die mir diese Freiheit nicht nahm. Begeistert wie ein Kind, das seine Sandburgen herzeigen möchte, zog ich mit Relly allein voraus nach Tulani, während Rudi, Burgl, Monika und Heidi in Incapampa blieben, bis Durän kam mit seinen 12 Trägern, die er inzwischen neu verpflichten wollte.
Die mörderische Hitze der letzten Tage wurde wieder von trübem, regnerischem Wetter abgelöst, das für den langen Weg gerade das Richtige war. Die erste Rast machten wir trotzdem schon kurz hinter Incapampa, nicht etwa weil wir bereits müde waren, sondern weil ich dem Neuling einige von den 7 Gräberterrassen zeigen wollte, die sich über einen Kilometer lang in dem dichten Urwald hinziehen. Beim Hinunterspringen von einem Absatz zum anderen brach unter meinen Füssen ein breites Stück weg und rutschte, eine ganze Halde bildend, den Berghang hinab. Als ich meine blauen Flecken untersucht und festgestellt habe, dass noch alles heil ist, entdecken wir an der Bruchstelle einen wundervollen, kaum beschädigten Urnentopf, frei daliegend wie zum Mitnehmen auf einem Präsentierteller. Nach oberflächlicher Reinigung können wir eine Art Zündholzmotiv feststellen unter einer tadellosen Glasur, und bei der Untersuchung des Erdreichs, das über den steilen Waldboden verstreut liegt, lesen wir noch einige ziemlich brüchige Knochen und ein paar SteinPfeilspitzen auf. Dass in diesen Terrassen allerhand verborgen liegen musste, darüber waren wir uns längst im klaren, seit wir einige Zeit vorher Tonscherben gefunden hatten, die, wie sich später herausstellte, inkaischen und präinkaischen Ursprungs waren. Sollten wir deshalb aber die ganzen Mauern durchwühlen, sollten wir die Ruhe von Toten stören, die viele Hunderte Jahre hier ruhten und nach christlichen Glaubensgrundsätzen ihrer Auferstehung entgegenschliefen? Ich hätte das Ganze als ein Sakrileg betrachtet und ich freue mich, sagen zu können, dass wir mit Absicht auch später keine einzige dieser letzten Ruhestätten von Inkakriegern geöffnet haben und unsere schönsten Funde dort machten, wo vom Sturm gefällte Bäume die Gräbermauern zertrümmert hatten oder ein ganzes Stück durch einen Bergrutsch zerstört war. Vielleicht hält man uns deshalb für sehr einfältig in unserer materialistisch eingestellten Zeit. Egal, wir sind nun mal so und haben unsere eigenen Anschauungen über Wert oder Unwert wissenschaftlich getarnter Gräberschändungen.
Die nächste Rast war erst wieder fällig nach der Seilliftfahrt über den Rio Chinijo. Stolz zeige ich meiner Frau unser erstes „Haus", das zwar nur auf sechs Pfählen ruhte, aber dafür kaum etwas gekostet hatte. Weiter pilgern wir in gutem Tempo. Es ist ein eigenartiges Gefühl für mich, zum erstenmal nach fast 20jähriger Ehe mit meiner eigenen Frau auf Expedition zu sein und mit ihr ganz allein durch den Urwald zu tigern. Aber in den ersten Ehejahren kamen die Kinder, dann der Krieg, und in der schweren Nachkriegszeit musste sie zu Hause die Stellung halten, während ich meinem Beruf nachging und später meiner Passion als Zugvogel.
Nachmittags 4 Uhr erreichen wir das Lager Tulani nach einem achtstündigen Marsch und damit das Ziel unserer Reise. Viel Zeit bleibt nicht mehr bis zum Einbruch der Dunkelheit, um noch den Wasserfall zu zeigen, das Sanctuario, die abgeholzten Hügel, den Stollen, sowie unseren Pflanzgarten, der mit reifen Tomaten zur Ernte einlud. Morgen mussten wir ja schon wieder zurück sein in Incapampa, damit Relly und Heidi tags darauf den Anschluss nicht verpassten an ihre Tropa, mit der sie wieder heimwärts wandern wollten, unter Mitnahme exponierten Filmmaterials und überflüssigen Expeditionsgutes. Ihre Mission, die letzten wichtigen Dinge sicher ins Basislager zu bringen, war erfüllt. Andere dringende Aufgaben erwarteten sie wieder in La Paz. Unsere „Gruppe Unentwegt" aber startet nach dem Abzug der beiden in der richtigen Endspurtstimmung von neuem nach Tulani. Sechs Tage lang schleusen Durän und seine paar Leute Brennöl und Proviant nach vorne, dann verlassen auch sie uns, um vereinbarungsgemäss vier Wochen später bei dem geplanten grossen Brand mitzuwirken. Wir sind wieder allein für einige Zeit und können uns ungestört der Schlussarbeit widmen.
Vor weitere Erfolge jedoch scheinen diesmal die Götter Schweissbienen gesetzt zu haben, und zwar in solchen Massen, dass sie kaum noch mit unserem „Swingfog" zu bewältigen waren. Diese Insekten stechen zwar nicht, sondern beissen höchstens, wenn sie sich in Bart oder Haaren verfangen, und sind ebenso zudringlich wie übelriechend, und überall in Suppe oder Limonade schwimmen diese ekelhaften Plagegeister. An heissen Tagen können wir kaum noch ohne Gesichtsschleier auskommen. Die KameraArbeiten müssen des freien Okulars wegen leider ohne Schutzgitter getan werden, und das kostet Nerven.
EIN ALTER STOLLEN GIBT SEIN GEHEIMNIS PREIS
Manchmal gibt es Tage, die vor Ereignissen direkt platzen. Schon am Morgen bei ihrem ersten Spaziergang findet Burgl in unserem Versuchspflanzgarten zwischen jungen Teestauden ein kleines Steinbeil, völlig offen am Boden, und zwar unweit der Stelle, an welcher wir seinerzeit die Reibschale entdeckten. Wahrscheinlich war in dem Erdaushub, den wir damals von der Schaufel weg oft auch in die Gegend warfen — unkenntlich vor Schmutz — auch dieses alte Werkzeug enthalten, und erst Regen und Sonnenschein konnten es von den tarnenden Krusten befreien. Während der angeregten Diskussionen, die um den Fund entstanden, benützte Schnüffel die Gelegenheit, in Burgls Zelt „nach dem Rechten" zu sehen. Unsere entomologische Sammlerin, die vorher beim Packen ihrer bunten Lieblinge, von einem „inneren Drang" beseelt, alles liegen und stehen gelassen hatte, um ... ein Steinbeil zu finden, musste nach ihrem „Seitensprung" in die Gefilde der Archäologie mit Entsetzen feststellen, dass der Nasenbär inzwischen manch schönen Falter auf seine Eignung als Trockenverpflegung untersucht hatte.
Angeregt durch Burgls Fund beschlossen wir, unsere alte Idee mit dem Stollen sofort zu verwirklichen, um so mehr als diese nach dem Weggang der Leute sowieso hoch aktuell geworden war. Für das Beiseiteschaffen des grossen Steines hatte ich mir schon vor längerer Zeit etwas Besonderes einfallen lassen, und nachdem die alte Tarnung weggeräumt ist, setzen wir einfach wie eine übergrosse Lötlampe unseren Flammenwerfer gegen das Hindernis, um es zu erhitzen. Nach einiger Zeit, rasch weg mit dem Brenner, einen Kochtopf voll frischen Wassers auf den glühend heissen Stein, und er zerspringt Stück für Stück, dass es nur so eine Freude ist. An einem einzigen Vormittag ist der grosse Sperriegel beseitigt, aber dahinter tauchen neue Hindernisse auf. Der ganze Stollen ist einmal von der Seite her eingedrückt worden, und seine Freilegung würde mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln nicht zu bewältigen sein. Nur einen einzigen Meter haben wir geschafft, aber der genügte. Als ich hinter dem weggeräumten Block etwas zur Seite gehe, um Rudi mit seinem Brecheisen ebenfalls heranzulassen, da trete ich mit dem Absatz auf etwas, das mir am Knöchel hochkippt und scheppert, als wäre ich in einen Blumentopf getappt. Nach einer oberflächlichen Säuberung entdecken wir eine Schale von etwa 2530 cm Durchmesser, angefüllt mit Schmutz und irgendwelchen Metallgegenständen. Behutsam trage ich den kostbaren Fund, gefolgt in fast feierlicher Prozession von meinen Kameraden, zu unserer Wasserrinne, um vorsichtig den Lehm herauszuwaschen. Was wir dabei ans Sonnenlicht holen, übertrifft unsere kühnsten Erwartungen und lässt alle bisherigen Strapazen und Witterungsrückschläge für einen Augenblick in Vergessenheit geraten. Opfermesser aus Bronze, die mit ihren zum Teil noch gut erhaltenen Schneideblättern am unteren Ende wie kleine Hellebarden wirken. Die wundervoll gearbeiteten Griffe stellen Menschen und Tierköpfe dar. Eines der winzigen Gesichter lässt sich recht gut als grober, negroider männlicher Typ erkennen, während ein Frauenantlitz geradezu klassisch schöne Züge trägt. Die zwei kleinen Köpfe von Llamas sind recht gut getroffen. Nur ein Pumakopf wirkt etwas sanft, wie ein stupsnäsiges BambiRehlein. Eine KantutaBlüte aus Bronze in natürlicher Grösse als Nachbildung der heiligen Inkablume — übrigens auch heute noch die Nationalblume Boliviens — wirkt trotz des schweren Metalls so leicht wie ein richtiger Blütenkelch. Eine Art Tischglocke in Form und Mass aus derselben Legierung, jedoch ohne Klöppel, trägt ein Gesicht und hat gleichsam Arme und Hände vorne über den Mantel gefaltet. Im Eifer des Auspackens und vor Aufregung übersehen wir beinahe ein kleines kugelähnliches Ding mit einem Henkel daran, vollkommen mit Schmutz verschmiert. Als ich es unter dem Wasserstrahl abschwenke, um den Dreck wegzuwaschen, klingt etwas in seinem Innern, zaghaft zuerst und gedämpft, dann aber lauter werdend und zuletzt kristallklar und rein wie das Quellwasser selbst. Ich halte eine Schelle aus Bronze zwischen den Fingern, in der ein kleiner Metallschusser durch den dünnen Wasserstrahl in Rotation gebracht wurde. Vor wie vielen hundert Jahren mag dies kleine Ding zum letzten Mal geklungen haben, bis wir es an diesem Septembertag zu neuem Leben erwecken durften? Das ist der Gedanke, der in dem Augenblick alle bewegt, und der uns mit Ehrfurcht und Bewunderung erfüllt. Die Tonschale, aus der durch meinen unbedachten Tritt am oberen Rande ein Stück herausgebrochen wurde, zeigt beim Waschen auf dem rotpolierten, glänzenden Grund innen schwarze Zeichnungen von Schlangenhalsvögeln und aussen ein typisches Stufenornament in Verbindung mit Dreiecken, Ringen und Wellenlinien. Eine zähe Lehmkruste am Innenboden aber hätte uns das wertvollste Stück dieser Funde beinahe verheimlicht. Metallisch gelb schimmert es plötzlich beim Auskratzen der Schale durch. Ein goldener Boden? Nicht ganz. Es ist eine flache Maske aus purem Gold, etwa in Handtellergrösse mit dem stilisierten Gesicht eines Monolithen. Zwei Lisen zu beiden Seiten deuten darauf hin, dass diese dünne Goldblattfolie vielleicht einmal am Brustlatz irgendeines Priester oder Fürstenkleides festgenäht war. Ganz im Banne unserer Entdeckungen diskutieren wir noch stundenlang über Alter und Herkunft dieses Versteck bzw. Depotfundes. Oder war es vielleicht eine Opfergabe, die man erst dann knapp hinter dem Eingang des Stollens verbarg, als der Hauptteil schon eingestürzt war und Menschenleben gefordert hatte? Die Steine schweigen, und auch die goldene Maske starrt stumm geradeaus — mit rätselhaftem Blick in die scheidende Sonne dieses ereignisreichen Tages.
Gold blendet, Gold verblendet. Längst hätten wir genug gehabt an Beweismaterial für das Vorhandensein alter Kulturen im Gebiet von Paititi. Aber wann hat der Mensch genug? Wann gibt er sich je zufrieden mit dem Erreichten? Wie die Berserker schleppen wir am anderen Morgen schon Kanister um Kanister Brennöl in die vorgesehene Feuerlinie. Wir wollten gar nicht erst lange auf Durän und seine Leute warten, sondern schon vorher den grossen Brand legen, damit noch genügend Zeit blieb, um ungestört wühlen zu können, für den Fall, dass sich nach dem Erlöschen des Feuers neue archäologische Möglichkeiten ergäben. Eine glühende Hitze und das Klettern mit schweren Lasten über ein Gewirr von gefällten Baumstämmen jedoch brachten uns bald wieder zur Vernunft, und obwohl sechs Tage lang hintereinander eine strahlende Sonne über dem ganzen Lande herrschte und die Lichtungen ausdörrte, dass Laub und Aste beim Darübergehen nur so krachten, zündeten wir nicht an, sondern wollten damit etwas warten. Jeder weitere Schönwettertag konnte die Wirkung des Brandes nur steigern, und es sollten ja möglichst auch die grossen Stämme zu Asche werden. Da fiel am Morgen des siebten Tages plötzlich der Luftdruck sehr stark, und ein Regenvogel jammerte, als wollte er die nächste Sintflut ankündigen. Moskitos, Tabanos und Marihuis summten stechlustig durch eine bleierne Schwüle, und alle Anzeichen deuteten auf einen baldigen Witterungsumschlag hin. Wenn jetzt wieder Regen käme, überlegten wir, dann wäre der Brand auf Wochen hinaus wieder unmöglich geworden, ja, der geplante Abschluss des Unternehmens, der vor allem für den Film der Höhepunkt werden sollte, wäre buchstäblich ins Wasser gefallen. Wir mussten also handeln.
DER GROSSE BRAND
Unsere Brandlinie sollte durch das kleine Tal laufen, das die beiden PaititiHügel von unserem flachen Höhenrücken trennt, auf dem das Lager steht. Damit war die riesige Lichtung in etwa zwei Hälften geteilt, und die Flammen mussten sich, normale Windverhältnisse vorausgesetzt, von uns entfernen, so dass für Zelte und Hütten nach menschlichem Ermessen keine Gefahr bestand. Noch bläst der Wind in gleichbleibender Stärke aus der günstigen Richtung, und nachdem meine Filmkameras schussbereit aufgebaut sind, schlagen Rudi und ich die Kanister an, um ihren Inhalt zu versprühen. Dann gehe ich zu meinen Geräten zurück, während der Kamerad mit einem Bündel Wachs und MagnesiumFackeln auf den äussersten Brandplatz zusteuert. Ein Freudengeheul empfängt die erste Stichflamme, die den gegenüberliegenden Hang hinaufzüngelt. Aber unsere Kameras — eine wird von Monika bedient — werden erst zu tun bekommen, wenn sich das Feuer entlang der ölpräparierten Linie fortgepflanzt hat. Wir müssen Film sparen und dürfen wirklich nur hundertprozentig gute Aufnahmen schiessen. Bald ist es soweit. Ganze Garben dieser prasselnden, knatternden und jaulenden Lohe steigen zum Himmel. Ein Flammenmeer wächst aus sich heraus, wird immer grösser und grösser und brandet die Hänge hoch, dass die wenigen dort stehen gebliebenen FarnPalmen zu tanzen beginnen vor Hitze und Qualm wie in einem höllischen Spuk. Seltsam traurig klingt das monotone Rufen eines Vogels vom Waldrand herüber, und dieses klagende Pfeifen passt so gar nicht zu der pompösen Prachtentfaltung und den Farbenorgien des Feuerzaubers gegenüber, angesichts dessen man sich eher ein Monsterorchester und Kompositionen Wagnerscher Prägung vorstellt. Die ganze Natur ist in Aufruhr geraten. Ein Schwarm Papageien fliegt kreischend und schimpfend um den Brandherd herum und trägt die Kunde von unserem Frevel hinunter in die Täler von Mapiri. Aasgeier, die nimmermüden, alles sehenden und beuteahnenden Polizisten der Luft, ziehen ihre Kreise. Dann stürzt der eine wie ein Geschoss, verschwindet hinter einer Feuerwand, um gleich darauf wieder aufzutauchen mit einem grösseren Tier in den Fängen, das auf der Flucht vor den Flammen in panischer Angst vielleicht alle Vorsicht vergessen hat. Wie ein Segelflieger, der die Thermik ausnützt, lässt sich der grosse Vogel von der heissen Luft über dem Tal emportragen, bis er drüben in den Felswänden über dem Rio Santa Ana einen passenden Frühstücksplatz gefunden hat. Auf der Flucht vor Rauch und Flammen hat sich ein zauberhafter Falter (Heliconius Huebneri) auf Burgls Hand niedergelassen und saugt ihr den Schweiss von den Poren als Wegzehrung für den Weiterflug. Sie, die Hunderte schöner Schmetterlinge ins Fangglas wandern liess, bringt es nicht übers Herz, diesen zutraulichen Falter zu töten. Er schäkert richtig mit ihr, flattert mehrmals hoch und setzt sich wieder auf die Hand, als wollte er sie liebkosen und streicheln mit seinen gelbrot gestreiften, dunkelsamtenen Flügeln, bevor er weiterflattert, vom Winde und Feuer verweht, dem schützenden Walde entgegen. Dieses Zwischenspiel, das uns der Zufall schenkte, und das ich zur Gänze im Film festhalten konnte, wirkt wie ein Entreact, eine Fermate inmitten einer Welt von Aufruhr und Vernichtung. Seit Rudi die erste Fackel geworfen, ist fast die halbe Rodung planmässig von dem Brande erfasst worden, und befriedigt stellen Monika und ich unsere Geräte beiseite, um eine Erfrischungspause einzulegen, bevor ich mit der Handkamera auf Details Jagd machen will.
„Wo ist eigentlich Schnüffl?” stellt plötzlich einer die Frage. „Er war doch noch hier vor einiger Zeit!" „Schnüffl, Schnüffl", hallen unsere Rufe durch das ganze Lager; nichts rührt sich. Der kleine Bär, der immer angewuffelt kam, wenn man ihn rief, liess sich nirgends blicken. Ein unheimlicher Verdacht stieg in uns auf. Sollte er vielleicht getürmt sein aus Angst vor dem Feuer, und war gar er jenes Beutetier, das der Raubvogel hochgeschleppt? Furchtbar der Gedanke, dass unser kleiner Liebling, dem wir so viel Spass und so grossartige Filmaufnahmen zu verdanken haben, ein solch grausiges Ende gefunden haben sollte.
Der klagende Vogel drüben am Waldrand ging uns allmählich auf die Nerven in dieser Situation. Auch die aufgeregt gackernden Hühner, die so angaben, als hätten sie alle auf einmal Eier gelegt, verstärkten im Verein mit der drückenden Schwüle die gereizte Stimmung bei uns. Wir verteilten uns im Lager, und jeder suchte für sich nach Schnüffl. Da entdeckte Monika an der feuchten Stelle, wo der Weg zum Lager II unsere Lichtung verlässt, den Abdruck seiner Krallentatzen. War Schnüffl tatsächlich geflohen, nach Monaten treuer Anhänglichkeit, aus Furcht vor den Flammen und vielleicht auch vor uns, die wir zu einer solchen Vernichtungsaktion fähig waren? Zu viert rennen wir den Sendero entlang in Richtung Lager II. Losung mitten im Weg! In unserer Freude sprechen wir sie übereinstimmend sofort als von Schnüffel stammend an und rennen weiter, ohne jedoch irgendwelche Spuren von unserem Nasenbären zu finden. Niedergeschlagen pilgern wir fast wie eine Trauerprozession zurück nach Tulani. Auf halbem Weg kommen uns die Hühner entgegen. Rührend ihre Anhänglichkeit und ihre freudige Begrüssung. Aber sie machen keinerlei Anstalten, wieder mit uns zu gehen, sondern wollen weiter nach Lager II. Nur mit Mühe können wir sie alle greifen, und mit ganzen Armen voll Federvieh ziehen wir unseres Wegs. Was hätten wir darum gegeben, wenn wir auch Schnüffl wieder bei uns gehabt hätten! Brandgeruch, der uns entgegenzieht, lässt uns für einen Augenblick haltmachen. Alle befällt uns fast gleichzeitig eine dunkle Ahnung. Der Wind hat gedreht! Wir beschleunigen unsere Schritte. Wir rennen, als drohend blaue Rauchschwaden auf uns zukommen. Am Ende des Wegs, wo die Lichtung bereits durchschimmert zwischen den letzten Stämmen, glauben wir, es ist alles aus. Eine mächtige Feuerwalze, viele Meter hoch, kriecht den Lagerhang herauf, direkt auf uns zu. Heulend und orgelnd, vor teuflischer Lust sich fast überschlagend, peitschen die Flammen Funken, angesengtes Laub und stickigen Rauch vor sich her, die trüb gewordene Sonne noch mehr verdunkelnd. Als erstes treiben wir die flatternden Hühner zurück in den feuchten, bergenden Wald und stürzen selbst hinaus in die brennende Lichtung. Rudis Zelt steht bereits in Flammen, und die anderen daneben schwingen und beben in Wind und Funkenflug, den der heranbrausende Feuersturm vorausschickt. Mit einem einzigen Schwung reisst Rudi sein Schlafzeug aus der brennenden Behausung hinaus auf den blanken Lehmboden unseres Lagerplatzes, während Burgl von ihrem abseits liegenden Zelt einfach die leichten Aluminiumhäringe löst und das Ganze mit Inhalt wie einen mächtigen Ballonsack hinter sich herzerrend zum Ufer der kleinen Lagune zieht. Die anderen Zelte sind beinahe leer, aber leider fest verankert an Baumstämmen im Boden und nicht loszureissen in der dafür nötigen kurzen Zeit. Ich geb's deshalb auf und renne zu meiner Filmkamera, um wenigstens noch einige Meter von unserem brennenden Zeltdörfchen zu erhaschen, während die anderen die letzten Sachen herauswerfen und sogar noch Gelegenheit haben, ein überdach zu retten, das nur zum Teil angesengt ist. Ein Glück nur, dass so manche nicht mehr benötigte Expeditionskiste von den beurlaubten Trägern bereits vor Tagen schon hinaus zum Lager I transportiert worden war. Das Gepäck von Tulani aber stand feuersicher mitten im Sumpfwald der kleinen Lagune, da der alte Kistenstapel, von wenigen Aluminiumkoffern abgesehen, im Rahmen der Brandvorbereitungen aufgelöst wurde. Nachdem von den Zelten nichts als nach Gummi stinkende Lappen übrig geblieben waren, konzentrierten wir unsere ganze Arbeit auf die Sicherung der Holzhütte, deren Palmstrohdach durch Funkenflug besonders gefährdet war. Mit grossen Planen, die wir einfach durch die Lagune zerrten und dann tropfnass über das Häuschen klatschten, konnten wir fürs erste unsere Notunterkunft schützen, bis dann gegen Abend das langersehnte Gewitter hereinbrach und ein ausgiebiger Regenguss jede weitere Ausbreitung des Brandes verhinderte. Erleichtert atmeten wir auf und gossen gierig eine schnell zubereitete Apfelmuslimonade durch die ausgetrockneten Kehlen. Wir waren alle stockheiser vom Schreien und Rufen und Hasten in Rauch und Qualm und verdreckt und todmüde wie nach einer Bombenbrandnacht während des Krieges. Gespenstisch wirkte die Brandkulisse durch den hineinzischenden Regen in der Dämmerung. Die fein verteilt niederrieselnden Was serfäden zu beiden Seiten unseres Strohdaches aber, die vom Winde bewegt und von den Flammen beleuchtet wie Glasperlenvorhänge schimmern, verbreiten in unserer Hütte Geborgenheit und die Illusion eines Märchenpalastes aus 1001 Nacht. Laut gackernd durchbrechen unsere Hühner den Zaubervorhang und flattern kletternd eine schräge Stange hoch. Nachdem ihr alter Schlafbaum und der Regenschirm vernichtet sind, übernachten sie einfach in der Hütte über unseren Köpfen mit einer Selbstverständlichkeit, als hätten sie nie etwas anderes getan. Da sprich mir noch einer von dummen Hühnern! Nur Schnüffl kam nicht, und obwohl keiner ein Wort davon sprach, gingen wir alle von demselben Gedanken bedrückt noch mal hinaus in den flammenden Regenabend und suchten und lockten — und fanden ihn gemütlich schlummernd in seinem Hüttchen, das in der Nähe der verbrannten Zelte stehengeblieben war, und das wir vorher schon mehrmals durchsucht und dann einfach beiseite gestellt hatten. Scheinbar war unser „Herr Nasenbär" zusammen mit den Hühnern von dem Ausflug zurückgekehrt, denn er war direkt ungnädig, als wir ihn vor Begeisterung wie einen verlorenen Sohn an uns drücken wollten. Kaum aber hatten wir den Kleinen aus seiner Behausung gezerrt, da sprang er schon wieder zurück und holte ein fast abgenagtes Vogelskelett heraus, von dem er sich unter keinen Umständen trennen wollte. In diesem Augenblick war uns alles klar. Schnüffl hatte während des Brandes das Weite gesucht, auf der Flucht als Wegzehrung schnell einen Vogel geschnappt, vielleicht den Partner desjenigen, der dauernd so nervenzermürbend schrie, und war dann, als der Regen kam, wieder zurückgekehrt in seine gemütliche Behausung. Was haben Tiere doch für einen Instinkt, und wie sind sie uns Menschen in mancher Beziehung haushoch überlegen?! Freudestrahlend tragen wir unseren Ausreisser ins Haus und machen ihm sicherheitshalber ein weiches Bettchen in einem der leeren, grossen, gutversperrbaren Schlangenkäfige.
In dieser Nacht lag ich noch lange wach. Der Regen hatte aufgehört, und wenn der Wind in Glut und Asche fuhr, stiegen gespenstische Funkenregen hoch. Auch manche Flamme erwachte wieder zu neuem Leben, und flackerndes, rotes Licht spielte geisterhaft in unserer Hütte, tanzte über die schlafenden Hühner hinweg und über die Gesichter meiner schlummernden Kameraden. Wir schliefen alle ohne Moskitonetz, denn Qualm und Rauch und Flammen hatten ein Grossteil der Blutsauger vernichtet oder vertrieben.
Umsonst huschten Fledermäuse durch den Raum. Es gab nichts zu jagen in dieser Nacht — oder vielleicht doch? Waren denn diese grossen Vampyros (Desmodus Rotundus) überhaupt auf Insekten aus, oder wollten sie einen von uns ansaugen, ähnlich wie Maultiere? Oft haben wir draussen in Incapampa Mulas bedauert, wenn sie mit hängenden Köpfen dastanden und das Blut in feinen Tropfen vom Halse floss, aus den SaugBissWunden, die ihnen die grossen Fledermäuse in der Nacht zugefügt hatten. Unheimlich wirkte das Geflatter dieser lebenden Schatten, in dem unruhigen Licht der vielen Holzfeuer ringsum, und ein Frösteln überfiel mich jedesmal, wenn der Luftzug der grossen Hautflügel mein Gesicht traf. Sollten meine Kameraden oder ich am anderen Morgen vielleicht auch die Wundmale dieser unheimlichen Nachttiere auf Stirn oder Wangen tragen? Mit einem Ruck kam ich aus meinem Schlafsack und liess die Moskitonetze über die Schläfer, und im Schutz dieser Schleiersärge schlummerten sie einem neuen Tag entgegen. Was wird er uns bringen? Es sind immer die gleichen Fragen, die mich quälen, seit Wochen und Monaten in den vielen schlaflosen Nächten. Werde ich meine Ergänzungsaufnahmen von dem grossen Brand drehen können? Wird der Regen nicht zu viel gelöscht haben? Ob wohl das Licht ausgereicht hat bei der letzten Aufnahme, als eine Korallenschlange auf der Flucht vor den Flammen durch die Lagune schwamm? Siebzig Prozent meiner Tagebuchnotizen von dieser Expedition befassen sich mit dem Wetter und den davon abhängigen Filmarbeiten. In gleitender Skala — von normalen Wettersorgen ausgehend — über Fragen, Kommentare, Hoffnungen, Beschreibungen, Verwünschungen bis zur völligen Verzweiflung. Ein Wunder, dass wir es bis jetzt überhaupt gesundheitlich und nervlich noch aushielten in dieser ... beinahe hätte ich gesagt „Grünen Hölle". Aber jenen abgedroschenen Ausdruck will ich getrost jenen überlassen, die per Flugzeug, Auto oder Eisenbahn heute Südamerika unsicher machen und dann zu ihrer eigenen Glorifizierung dicke Bücher darüber schreiben. Ich für meinen Teil möchte die PaititiWälder eher ein „grünes Fegefeuer" nennen, durch das wir gehen mussten, um geläutert wieder herauszukommen, in Bescheidenheit, Ehrfurcht und Bewunderung vor der Schöpfung, die uns viele Monate ein Stück Urnatur dargeboten hat.
Mattes Flutlicht floss am anderen Morgen über den riesigen, schwelenden Chaco. Ein blauer Holzrauch, immer wieder hochgehende Flammen, das Wabern und Singen der Glut, dazwischen die dumpfen Explosionen berstender Steine, träge weisse Schwaden im Gegenlicht, welche die sterbenden Bäume und Farnpalmen zu beinahe überirdischen Gebilden verzauberten. Das sind die Impressionen, die ich zu Beginn des neuen Tages zum Teil mit meiner Kamera einfangen kann. Zu viert pilgern wir „auf der Flucht" für den Film durch das kleine, brennende Tal unter dem Lagerhügel. Es ist glühend heiss im Zentrum dieses Parabolspiegels zwischen den einzelnen Brandherden und unter einer unbarmherzigen Sonne, die wie flüssiges Blei in der Luft zu kochen scheint. Einsam steht oben im Lager meine Kamera auf ihren drei Holzbeinen und arbeitet wie ein moderner Roboter ganz allein, den Blick dreier Linsen starr auf uns gerichtet, die wir unter Lebensgefahr, fast blind vor Hitze und glühenden Gasen, durch den Talgrund stolpern. Neben dem Gerät steht meine selbstgebastelte SchalterWaage, die hauptsächlich aus zwei Holzklötzen besteht. Bei Beginn der Szene hatte ich das eine Gewicht abgeschossen, die Klappe fiel, und die Kamera fing an zu laufen. Am Ende des Motivs angelangt, schoss ich wieder, dabei fiel auch der andere Holzklotz um und schaltete den Antrieb meines Filmgeräts wieder aus. Da ich im Rahmen meines Expeditionsfilmes notgedrungen manchmal auch vor der Kamera mimen musste und gleichzeitig aber als mein eigener Kameramann und Regisseur auch hinter derselben Apparatur stehen sollte, assistierte mir mein selbsterschaffener Holzgehilfe und brachte mich über manche Schwierigkeiten hinweg, vor allem im Anfang der Expedition, als noch nicht Monika dabei war, um aufs Knöpfchen zu drücken, oder wenn wir, wie in diesem Falle, alle in der Szene gebraucht wurden. Bis zu 150 Meter Entfernung wirkte dieser »Selbstauslöser", von meinem Zielfernrohrgewehr in Betrieb gesetzt. Bei kurzen Distanzen stand mir ein Kabel von 15 Meter Länge zur Verfügung, das ich aus der „Dekoration" heraus als Darsteller und Kameramann über einen Nähmaschinenfusssdialter selber bediente. Nur ein unwahrscheinlicher Fanatismus, gepaart mit dem Willen, sich nicht unterkriegen zu lassen, konnten über solche Neandertalermethoden der Filmtechnik hinweghelfen. Was Wunder, dass man einen Totschlag begehen könnte, wenn man, so wie ich, später erfahren muss, dass mehrere 100 Meter solcher unter schwierigsten Umständen entstandenen Aufnahmen »durch Versagen einer Sprühanlage" — sprich Fahrlässigkeit in einer Kopieranstalt —vernichtet worden sind. Dass mich der Fluch der Inkas auch noch bis in den „Entwicklungstopf" verfolgen würde, und dass mein Film infolge Fehlens wichtiger Schlussaufnahmen später in Resignation ausklingen musste, hätte ich mir damals noch nicht träumen lassen. Auch nicht, dass ein Kritiker über unser Unternehmen von »Urwaldpicknicks" schrieb. Der Wunsch, einen solchen „Kunstbetrachter" wenigstens im Geiste in einen Haufen Urwaldameisen setzen zu können, ohne Hose natürlich, ist allein so berauschend, dass man über das Geschreibsel eines solchen Schnösels ruhig wieder zur Tagesordnung übergehen kann.
PIONIERARBEIT FÜR DIE ZUKUNFT
Atemlos kommen am Nachmittag Durän und seine Getreuen nach Tulani. Sie hatten von den Heimatdörfern aus die riesigen Rauchsäulen zum Cerro Paititi hochsteigen sehen, dachten an ein Unglück und waren sofort aufgebrochen, um nach uns zu schauen. Begeisterung und Dankbarkeit leuchteten aus ihren Augen, als sie erfuhren, wie wir ihr Häuschen gerettet hatten.
Sechzehn Tage blieben noch, bis die Maultiertropa in Incapampa eintreffen sollte, um uns wieder abzuholen, und diese Zeit musste im Endspurttempo restlos ausgenützt werden, wollte ich meine Pläne einigermassen erfüllen. Auf dem Platz, wo einst unsere Zelte standen, wurde als erstes ein richtiges kleines Blockhaus errichtet, auf sechs schweren VierkantPfeilern von honiggelbem, eisenhartem TatachayaHolz. Obwohl die mächtigen Baumstämme, aus denen die Pfähle von unseren Leuten mit der Axt herausgehauen wurden, vielleicht schon Jahrzehnte im Urwald gelegen hatten, duftete das Holz so würzig und frisch, als wäre es erst vor kurzem gefällt worden. „Tatachaya kommt in diesen Regionen äusserst selten vor und wird nicht von Feuchtigkeit angegriffen", erklärte uns Durän. Deshalb suchte er noch zwei Tage lang, bis er auch für die Giebel lebende Stämme aus demselben Material in der Gegend von Lager II gefunden und nach Tulani geschleppt hatte. Auch manch schöne Stelzenpalme musste dran glauben, bis genügend 2,5 Meter lange Schindelrinnen zum Decken von 65 Quadratmetern Dachfläche und ein entsprechender Firstabschluss vorhanden waren. Ohne einen einzigen Nagel, nur aus dem Material, das uns die Wälder lieferten, stand nach zehn Tagen unser Haus im Stil einer Tiroler Almhütte als fester Stützpunkt für meine weiteren Unternehmungen in den nächsten Jahren. Schon während des Hausbaues hatte ich inzwischen freigewordene Helfer vorausgeschickt mit dem Auftrag, aus San Carlos die längst bestellten Bananenstecklinge, zweihundert an der Zahl, sowie weitere ZitrusFruchtBäumchen und Yuccastecklinge zu holen, die dann im Verein mit den Produkten aus unserer eigenen kleinen Baumschule an passender Stelle ausgepflanzt wurden. In unmittelbarer Umgebung der Ruinenmauern — nach dem Brand wurden drei weitere entdeckt, ohne dass wir noch Zeit und Gelegenheit gefunden hätten zu genaueren Untersuchungen — säten wir RayGras, Gramadote und Alfalfa und auf die übrigen, mit verkohlten Baumstämmen gespickten Flächen Bergreis und Mais, soweit nicht Yuccastecklinge wuchsen. Bei den Getreidesorten rechneten wir weniger auf eine spätere Ernte — das meiste frassen ja doch Vögel in der Zwischenzeit —, sondern auf weiteres dürres Material für ein reinigendes Strohfeuer. Die bis zu drei Meter hoch werdenden ausgetrockneten Maisstauden brennen wie Zunder und vernichten bei günstigem Wetter ein Grossteil der vom ersten Brand zurückgebliebenen Baumstämme. Wie uns Freund Hoffmann, San Carlos, versicherte, können aus einer Tonne Holz 2030 Kilogramm Asche gewonnen werden, die 1440% Kali, 12,5% Natrium, 69°/o Kalk und Magnesium, 22,5°/o Phosphorsäure und 1530°/o KieselsäureSilikate enthalten, also eine recht hübsche Bodendüngung, auch wenn eine Menge wertvollen Stickstoffs mit den Flammen auf Nimmerwiedersehen in die Luft geht. Der in der Erde gebundene Stickstoff selbst bleibt, und da der Boden in der dortigen Gegend kaliarm ist, bedeutet die Kalianreicherung durch das Abbrennen einen wesentlichen Faktor für ein gutes Wachstum. Von etwa 10 Hektar Urwald, die wir in Tulani und am FestungsLomo geschlagen hatten, wurden alle abgebrannten Flächen besät oder bepflanzt, so dass das Hochkommen des wegen seiner Dichte gefürchteten Sekundärurwaldes und Buschwerks fürs erste unterbunden ist. Von Natur aus wächst in diesen Wäldern alles, nur kein einziges Hälmchen Gras für Mulas und Rinder. Entsprechend meinem Plan wollte ich unbedingt für eine Verpflegungsbasis in unmittelbarer Nähe der Fundstätten Sorge tragen. Und nachdem inzwischen ein beträchtliches Areal unseres damaligen Operationsgebietes in meinen Besitz übergegangen ist, hoffe ich damit die Grundlage geschaffen zu haben für meine zukünftigen geologischen, minentechnischen und archäologischen Arbeiten, die ich zusammen mit Fachleuten und guten Freunden ausführen will.
Rückblick und Ausklang
Eine richtige Feierabendstimmung liegt am Ende unseres letzten Expeditionstages über dem Tal von Paititi. Nichts von der sonst üblichen Hast des Packens ist bei uns spürbar. Es ist alles geschehen, was getan werden musste. Das meiste Gepäck liegt schon draussen am Chinijo, und die wenigen Lasten hier sind bereits verteilt für den morgigen Abmarsch. Wir sitzen zum letzten Mal auf der neuen Baumstammbank vor unserem Haus und bedauern eigentlich, dass wir nun Abschied nehmen müssen von allem, was wir hier geschaffen und was uns inzwischen ans Herz gewachsen war. Die Luft ist weich wie Seide, und über das Tal herauf schwebt wie ein zarter grüner Schleier die Dämmerung. Ein paar rosarote Wolken segeln noch am Himmel, ziehen hinter den gefiederten Silhouetten der Palmen durch, die leise im Abendwind spielen, als würden sie von vielen unsichtbaren Fingern gestreichelt. Drüben am Sanctuario schüttet brüllend der Wasserfall aus übervollem Felsenmaul unentwegt einen mächtigen Strahl in die Tiefe, und hier versuchen Grillen und Zikaden mit ihrem eigenen Orchester den Ton anzugeben. Unsere Hühner sind schon schlafen gegangen unterm Dach, und nur Schnüffel turnt noch zwischen den Sparren umher, um das Federvieh zu ärgern. Bei dem Geschrei eines uhuähnlichen Nachtvogels aber huscht unser Held schnell herunter zu uns ans Feuer und drückt sich friedlich und sittsam in den Schoss von Burgl. Es ist beinahe heimatlich geworden hier, seit wir die Hütte gebaut, Bäume gepflanzt und gesät haben, und eine Sehnsucht nach Sesshaftigkeit befällt mich bei dem Gedanken an den morgigen Abschied. Am liebsten wäre ich hier geblieben in unserem netten, kleinen Blockhaus und dem ganzen herrlichen Gebiet. Trotz mancher nicht ganz angenehmer Beigaben ist die Gegend um den Paititiberg so zauberhaft und das Wissen um diese uralten Kulturgebiete in seinen Wäldern so aufwühlend, dass ich wohl mein ganzes Leben lang nicht davon loskommen werde. Vielleicht wird dieses Hüttchen einmal Zufluchtsstätte sein für mich und meine Getreuen, wenn wir der überzivilisierten Welt überdrüssig geworden sind. Anderntags aber beginnt unwiderruflich die grosse Reise, das Aufspulen des Wegbandes mit jedem Schritt, wie auf einer unsichtbaren Haspel. Incapampa, Pararani, Tolapampa, Yani, so heissen die Stationen über die Kordilleren hinweg. Ein langer Pfad, den wir nun schon sechsmal gingen, Rudi sogar zum 8. Mal. Mit 920 km steht der junge Freund im Rahmen der Marschleistungen der Expedition an erster Stelle, und neben den Andenpässen zählen vor allem seine Botengänge nach San Carlos und Mapiri. Auf dem zweiten Platz folgt Monika mit 690 km, auf dem dritten liege ich—im Zeichen des Sesshaftwerdens mit nur 660 km, dann kommen Burgl mit 485 km, Heidi mit 335 km und Relly mit 175 km. Schnüffl zählt nicht, denn er wird von Rudi wie ein Dackel im Rucksack getragen, aus dem er von Zeit zu Zeit oben herausschnüffelt, und unsere Hühner marschieren wie im „Vogelhändler" in einem Käfig am Rücken eines Trägers über die Berge. Immer höher schraubt sich unsere Tropa mit 30 Maultieren die steilen Kehren gegen die Pässe hinauf, und immer weiter bleiben die Wälder zurück, in denen wir acht Monate lang gelebt und gearbeitet haben. Kurz unterhalb Palmar, einem Rastplatz vor Verlassen der Baumzone, lässt sich eine graugrüne Schlange aus einem Wipfel heraus direkt auf ein Maultier herunterfallen. Wenn Rudi den Vorfall nicht sofort bemerkt und das Biest nicht blitzschnell am Genick gegriffen hätte, wäre das wertvolle Tragtier vielleicht gebissen worden und verendet.
Zwei Tage später ziehen wir über den ersten, mit etwas Neuschnee verwehten Kordillerenpass, während es hinter uns im Osten in einem phantastischen Gewittersturm über dem Cerro Paititi immer wieder wetterleuchtet.
Unser Arriero Ramon ist der Karawane schon lange vorausgegangen und hat, Gebete murmelnd, Kokablätter und Reiskörner bis hinauf gegen das grosse Steinmal gestreut für PachaMama, „die gute Mutter Erde", und Viracocha, „den wärmenden Sonnengott". Ganz in Gedanken versunken und mit einem Blick wie in eine weite, ferne Welt gerichtet, lässt er die Tropa und uns an sich vorbeidefilieren. Was mag dieser einfache, gläubige Mensch wohl denken in diesem Augenblick? An „Tahuantinsuyo“, das Reich der vier Weltteile, wie die Hochlandindianer poetisch das umfassende Erbgut nannten, das einst Pizarro zerstörte, oder an „Kollasuyo", das allerälteste Reich der Aimaras oder Kollas, deren Kultur hinüberreicht in dunkle erdgeschichtliche Fernen?
Man müsste die Sprache dieser Menschen sprechen und ihre religiösen Ideen kennen. Ihre Göttersagen und mündlichen Überlieferungen würden vielleicht manchen Schlüssel zur Vergangenheit bergen und unter Umständen mehr aussagen können, als Ruinen und Grabbeigaben dies vermögen.
Mit unserer Rückkehr nach La Paz in den letzten Septembertagen des Jahres 1955 war unsere Expedition zu Ende gegangen.
Schnüffl gewöhnte sich rasch an das Leben in der Zivilisation und genoss nach dem Rucksacktransport sein eigenes Zimmer mit Kletterbäumen und Gartenauslauf zusammen mit einer kleinen, schwarzen Katze, die ich ihm als Freundin zuteilte, weil ich ihm noch keine richtige, graue NasenbärenFrau besorgen konnte.
Ferdinand und Luise mitsamt ihrem Nachwuchs wohnten, sogar eierlegend, ebenfalls noch einige Zeit bei uns, so lange, bis sie meine sorgsam gehüteten Blumen im Patio restlos zerpflückt hatten. Um den Kreis zu schliessen — eingedenk des Orakels der Alten aus Huaricunca — schenkte ich die ganze Hühnerfamilie wieder einer alten Indianerin, und wenn sie inzwischen nicht gestorben sind, leben sie heute noch.
Unsere Funde aber sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in Boliviens Hauptstadt geblieben, und an ihnen hängen nun all die schönen und aufregenden Erinnerungen dieses Spähtrupps in die Vergangenheit.
Wenn man mich heute fragen würde nach dem absoluten Höhepunkt dieser an besonderen Eindrücken so reichen Expedition, so müsste ich bekennen, dass weder die erregenden Augenblicke bei der Entdeckung der ersten Ruinen noch das Herzklopfen beim Aufblitzen der Goldmaske in meiner Erinnerung obenan stehen. Grösstes Erlebnis bleibt wohl für uns alle das erste, zarte, zaghafte Klingen jener kleinen Schelle aus Bronze, als der feine Wasserstrahl der Quelle das unscheinbare Ding von neuem erweckte.
Ein Hauch der Vergangenheit war in diesem Augenblick spürbar, und eine Zauberstimme sprach leibhaftig zu uns vom ewigen Stirb und Werde. Nie vorher in meinem Leben hätte ich geglaubt, dass dieses Wühlen im Staub der Vergangenheit, das Blättern in dem unerschöpflichen Buch unserer Menschheitsgeschichte und das Forschen nach dem Schicksal versunkener Kulturen einen Autodidakten wie mich so voll und ganz erfüllen kann. Dabei sind es gar nicht so sehr die Funde allein, die bei mir solche Begeisterung erwecken, auch nicht die Feststellungen, welche Kulturperioden im Tal von Paititi ihre Spuren hinterlassen haben könnten, sondern mir geht es einzig und allein um das Erlebnis als solches bei dieser Arbeit, um das prickelnde und manchmal fast beängstigende Gefühl, plötzlich als Mensch unseres mehr oder weniger glorreichen Atomzeitalters zurückversetzt worden zu sein an die Stätten von Epochen, die vielleicht 500, 1000 oder noch mehr Jahre früher in Blüte standen.
Dass mich solche archäologischen Aufgaben auch als Bergsteiger heute ungleich mehr fesseln als das Wettrennen um die letzten noch uribestiegenen Gipfel unserer Erde, darf man mir glauben. Nach der Bezwingung von Everest, K2, Kantsch und Nanga Parbat sind HimalayaExpeditionen zur Dutzendware geworden und zum Teil auch gewinnbringende Objekte in der Hand gerissener Manager.
Mag auch der Kampf und vielleicht sogar der Erfolg an einem der Achttausenderriesen das grösste Erlebnis sein im Dasein eines Bergsteigers; mit dem Erreichen des Ziels stirbt das Ziel. Was wirklich bleibt, ist nur die Erinnerung an den schweren Weg dorthin.
Zuerst das harte, männliche Ringen um jeden Meter, dann der Gipfel, der keine Erlösung bringt, ja meist enttäuschend wirkt, je mehr Brimborium um ihn herum gemacht worden ist — und schliesslich das Hinunterkämpfen, ausgepumpt und sterbensmüde; so etwa sehen sie aus, die einzelnen Etappen einer schweren Himalayafahrt. Wo bleiben dabei all die feinen Regungen, die sich voll Ehrfurcht mit den Dingen der Schöpfung befassen, so wie einst Dichter die Berge besungen? Wenn ich mir im Falle Everest oder Kantsch jene sauerstoffmaskenbehangenen Bergroboter vergegenwärtige, so kann ich mir kaum vorstellen, dass in den Herzen und Hirnen der also Gewappneten überhaupt jenes Fühlen und Denken keimen konnte, das sich voller Hochachtung mit dem Kosmos und der Vergangenheit unserer Erde beschäftigt.
Die Technik erobert in ihrem Siegeslauf alle Winkel unseres Daseins und drängt das echte und ehrliche und ursprüngliche Erleben immer mehr zurück. Ein Rekord jagt den anderen, was gestern noch letzter Schrei war, ist heute schon vorbei. Vielleicht findet die Menschheit das letzte, grosse technische Wunder schon in naher Zukunft mit dem Vorstoss in den Weltenraum und dem kühnen Griff nach den Sternen.
Ich suche unter solchen Umständen lieber das echte Abenteuer im Vergangenen, denn es birgt noch manch ungelöstes, steinernes Rätsel inmitten der unberührten Wälder Südamerikas.
Mag auch das Ringen mit Urwaldtücken in lähmender Hitze, in Regen und Morast oft an die Grenzen menschlichen Leistungsvermögens führen und manche Ähnlichkeit aufweisen mit einer schweren Bergfahrt; wenn aus dem Halbdunkel grüner Bambusschleier eine Ruine auftaucht, wenn müde Finger über ein Steinbeil gleiten, um es von anhaftender Erde zu befreien, wenn der Geruch modernden Laubes und abgestorbener Baumriesen eine fast betäubende Atmosphäre verbreitet, dann spürt man jene brausende Melodie immerwährenden Werdens und Vergehens, weit mehr noch als auf den Hochgipfeln unserer Erde.
Jenes „Sariri", wie der Indio symbolisch diese ewige Wanderschaft nennt: aus der Erde geboren werden und in ihren Schoss zurückkehren, zu PachaMama, der Allmutter Erde, Inkarnation einer leidenschaftlichen Verehrung und höchste Gottheit neben der Sonne im Rahmen dieser tellurischen Religion auf dem Dach des „südamerikanischen Tibets".
Es kann sein, dass derlei Ideen etwas ausgefallen wirken in einer „aufgeklärten", von Wirtschaftswundern und technischen Errungenschaften geblähten Welt, in der die Masse den Ton angibt und stupide über Gedanken hinwegtrampelt, die ihr unbequem erscheinen, weil sie an letzte Dinge rühren.
Aber vielleicht liegt gerade in solchen Überlegungen — aus dem Mythos der Ureinwohner des Altiplano herausgegriffen — die eigentliche Lösung des Rätsels um Paititi, der uralten Kultstätte zur Verehrung der beiden gewaltigen Antipoden Sonne und Erde.
VERZEICHNIS DER FÖRDERER UND SPENDER Expedition 1954/1955:
Nachstehende Firmen und Personen haben das Unternehmen während der Vorbereitungszeit in Deutschland gefördert oder in besonderem Ausmass unterstützt:
AgfaAktiengesellschaft, LeverkusenIRhld.
Arauner, Dr. phil.,Kitzingen (GlykopastNahrung)
Arnold & Richter K.G.,München
BaldaKamerawerk, Nürnberg (SuperBaldinette)
Bartmann Paul, Brotfabrik, LandshutINdby. (Dauerbrot)
BarakudaGesellschaft, Hamburg (Harpunen)
BayerPharmaBüro, München (Delial)
BehringWerke A.G., Marburg a. d. Lahn (Schlangenserum)
Bernbacher & Sohn K.G., Teigwarenfabrik, München
Bernhard Gebr., Regensburg (Schnupftabak)
Bogner Willy, München (Hochgebirgs und Tropenspezialkleidung)
Borde Apparatebau, Abt. Sportgeräte, Zürich/Schweiz
Cassella Farbwerke, FrankfurtMainkur (PanMaterial)
Cela Landwirtschaftliche Chemikaliengesellschaft, Ingelheim/Rh.
DesitinWerk, Carl Klinke GmbH, HamburgOthmarschen
Deutsche HoffmannLa Roche A.G., Grenzach/Baden
EnnaWerk, Optische Anstalt GmbH, München
Ertl Hans sen., Technische Artikel, München 38, MariaWardStrasse 1
EsbitWerk, Erich Schumm GmbH, Murrhard/Wttbg.(Trockenbrennstoff und Kochgeräte)
FeurichKeksFabrik, München
FrakoKondensatoren u. ApparateBau GmbH, Teningen/Baden
Franke & Heidecke, Braunschweig (RolleiflexKameras)
Frommer Alfred, Inh. Ernst Günther, München (Fotogeräte und Zubehör)
GeigyA.G., Abt. Schädlingsbekämpfung, Basel/Sdiweiz
GekaWerke, Offenbach/Main (Photochem. u. pyrotedm. Werke)
Gossen, Erlangen (Messgeräte und „Tippa“Schreibmaschinen)
HapagLloydReisebüro, München
Herrmann Gebr.,KölnEhrenfeld (Kieselgel, Entfeuchtungsmittel)
H. 0. Horn, Neuer Film Verleih GmbH, München
IlokaKameraWerk, Hamburg
KautexWerk, Hangelar
KlepperWerke, Rosenheim (Spezialzelte, Faltboote, Regenbekleidung, Schlafsäcke etc.)
Knorr A.G., Nahrungsmittelfabrik, Heilbronn/Neckar
KraftKäsewerke GmbH, Lindenberg/Allgäu (Velveta)
LinhofKameraWerk, München
MaizenaWerke, Hamburg (Traubenzucker)
Menzel Karl, Etuis und Lederwarenfabrik, Offenbach/Main
Merck A.G., Darmstadt (Medikamente und Schädlingsbekämpfungsmittel)
MetzApparateFabrik, Fürth/Bayern (MecaBlitzGeräte)
Müller Karl, FotogeräteBau, Memmingen (NovoflexFernbildlinsen und MakroGeräte)
Müller & Siebe, München (Fotogeräte und Zubehör)
Neipp & Faul, Schuhfabrik, Tuttlingen/Wttbg. (Spezialstiefel)
Nestle A.G., Frankfurt/M., (Neskaffee und Spezialnahrung)
Nicki Georg, Strickwarenfabrik, München (RheumaUnterwäsche etc.)
Niehaus & Dütting, NinoflexWerk, Nordhorn (Spezialstoffe)
Nymphenburger Verlagshandlung, München
Obermeyer & Co., Fabrik pharmazeutischer Präparate, Hanau/Main
Oetker August, Bielefeld
Pabst, Foto und Kinotechnik, München
PfanniWerk, München (Inh. Otto Eckart)
Pollitzer H., Langen bei Frankfurt/M.
ProtonaProduktionsgesellschaft m.b.H.,Hannover und Hamburg (MinifonTagebuch
Tongerät)
Quick Illustrierte, München
Rehm Karl K.G., Internationale Spedition, München
Reich Ottmar (Dr. Huber), Hutfabrik, Lindenberg/Allgäu (Spezialkopfbedeckungen)
RexMotorenWerk, München
Sedlmayr Gabriel, Spatenbrauerei, München
SeitzWerke GmbH, Bad Kreuznach (Wasserfilterpumpe)
Schachenmayr &Co.,SalachlWttbg. (Spezialwolle)
SchoschoWerke, Hamburg
Schuster, Asmü, Sporthaus, München
SchwingfeuerVertriebsgesellschafl GmbH, Überlingen/Bodensee („Swingfog"Vernebelungs
und FlammGeräte)
Telefunken GmbH, München/Berlin (Funksprech und Rundfunkgeräte)
Textilhaus Beck am Rathauseck (Inh. Gustl Feldmeier), München
WallbergApotheke (Inh. Rudolf Bachhuber), RottachEgern/Tegernsee
Wander Dr. A. GmbH, Osthofen1Rhld. (Ovomaltine und OvoSport)
Werkgenossenschaft Fulpmes, Tirol (Eispickel und Bergausrüstung)
WetzellGummiwerke A.G., Hildesheim (SpezialLuftmatratzen und Wassersäcke)
Württembergische Metallwarenfabrik, Geislingen/Steige (Dampfdrucktöpfe)
ZargesLeichtmetallbau K.G.,WeilheimlObb. (Spezialtropenkoffer und Aluminiumleitern)
Zementwerk Rohrdorf (Inh. Georg Wiesböck)
Zollner Carl, Leinenweberei und Wäschefabrik
ZündappWerke, München (Aussenbordmotoren und Lichtmaschine)
Dienstag, 25. Februar 2014
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.