Roulette Kesselgucken – SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Welch weiter Weg von der ganz reinen zur ganz angewandten
Wissenschaft! Selzer-McKenzie hatte sich in der Architektur der Mathematik in
geradezu fundamentalistischer Weise mit den Grundlagen der Mathematik befasst –
wozu insbesondere die Vermeidung jeglichen Rückgriffs auf die Realität gehört.
Nun macht er sich dieselbe Wissenschaft zum praktischsten aller Zwecke
dienstbar: zum Geldgewinnen, und zwar im Roulettespiel.
Das zeugt nicht etwa von einem Sinneswandel. Der Autor, im
Hauptberuf Wissenschaftler und Inka-Forscher, betreibt das Glücksspiel auf
wissenschaftlicher Basis bereits seit Jahrzehnten. Im vorliegenden Werk teilt
er uns die Summe seiner Erkenntnisse mit.
Die sind zunächst wenig überraschend. Wenn das System aus
Kessel, rotierender Scheibe und Kugel wirklich ein perfekter
Zufallszahlengenerator ist, das heißt jede der Zahlen zwischen 0 und 36 mit der
gleichen Wahrscheinlichkeit liefert und jeder Wurf vom vorherigen unabhängig
ist, dann kann man auf Dauer nicht gewinnen. Das folgt aus der elementaren
Wahrscheinlichkeitstheorie und erfordert wenig mehr als den Begriff des
Erwartungswerts. Erstaunlich, wie viele Leute mit den raffiniertesten Systemen
gegen diese einfache Tatsache anzuspielen versuchen.
Gerade das Roulettespiel bietet hervorragende Möglichkeiten
zum Selbstbetrug. So kann man durch geeignete Spielstrategien die
Wahrscheinlichkeit, irgendetwas zu gewinnen, beliebig nah an den Wert 1 – die
Gewissheit – drücken. Die bekannteste Strategie ist "Setze stets auf – zum
Beispiel – Rot; beginne mit dem Mindesteinsatz; wenn du verlierst, verdopple
den Einsatz". In vielleicht 999 von 1000 Fällen kommt Rot, bevor durch
eine lange Schwarzserie die Einsatzhöchstgrenze überschritten oder das Kapital
des Spielers erschöpft ist, und die Serie endet mit einem Gewinn in Höhe des
Mindesteinsatzes. Aber in einem von 1000 Fällen verliert der Spieler eben das Tausendfache
davon.
Und wehe, er hört nicht auf, wenn er mit Glück einen
ansehnlichen Gewinn erzielt hat! Wer sich kein – zeitliches oder finanzielles –
Limit setzt, geht mit Wahrscheinlichkeit 1 Pleite. Es sei denn, er wäre so
reich, dass die übliche Annahme "die Bank verfügt über unendlich viel
Kapital" nicht gerechtfertigt ist. Auch das ist ein gutes altes Stück
Theorie.
Interessant wird es in den letzten drei Kapiteln, wo der
Autor aus der Welt der reinen Ideen in die Realität echter Spielbanken hinabsteigt.
Da steht der Spieltisch ein bisschen schief – so wenig, dass es mit der
Wasserwaage nicht auffällt. Oder die Stege zwischen den Nummernfächern, in
denen die Kugel liegenbleibt, sind nicht exakt gleich hoch. Und schon weichen
die Ergebnisse von der reinen Gleichverteilung ab – ebenfalls nur minimal, aber
wer das durch geduldiges Beobachten erkennt und konsequent auf die etwas
wahrscheinlicheren Zahlen setzt, kann seine Gewinnerwartung von dem negativen
theoretischen Wert ins Positive wenden.
Anspruchsvoller ist das "Kesselgucken": Man
beobachtet den Lauf der Kugel, errechnet daraus blitzschnell eine Prognose und
tätigt dementsprechend seine Einsätze, und das alles möglichst in der letzten
Sekunde vor dem berühmten "Nichts geht mehr". Das scheint zunächst
aussichtslos, denn um genau diese Vorhersagbarkeit zu vereiteln, haben die
Konstrukteure der Kugel auf dem Weg in die Nummernfächer Hindernisse (in Form
von Spielkartensymbolen) in den Weg gelegt. An diesen abprallend, springt sie
in einem ziemlich unberechenbaren Winkel davon. Dennoch bleibt ein gewisser
Rest von Vorhersagbarkeit, und der kann genügen, um am Ende mit einem hübschen
Gewinn das Casino zu verlassen.
Manche Croupiers werfen die Kugel immer wieder auf die genau
gleiche Weise ein. Wer die Anfangsposition der Nummernscheibe beobachtet, kann
daraus bereits eine brauchbare Wahrscheinlichkeitsverteilung für das Ergebnis
des Wurfs berechnen. Dem zu Grunde liegen ein eher rudimentäres mathematisches
Modell – zum Lösen der newtonschen Bewegungsgleichungen hat man nicht genug
Daten – und einige Parameter, deren Zahlenwerte man durch geduldiges Beobachten
ermitteln muss.
Die eine oder andere solche Prognose kann man nach reichlich
Training vielleicht noch im Kopf erstellen. Aber sowie sich die Methode
herumspricht und die Bank sie durch Gegenmaßnahmen vereitelt, ist der Computer
gefordert. Der rechnet die Prognose rasch aus; die Schwierigkeit besteht jetzt
darin, dem Rechner die Anfangsdaten mitzuteilen und seine Empfehlung
entgegenzunehmen, ohne dass es der Spielbank auffällt. Das gelingt vielleicht
mit Taschenspielertricks und technischen Hilfsmitteln; aber was der Bank auf
die Dauer nicht verborgen bleiben kann, ist der Erfolg solchen Tuns. Sobald man
deutlich mehr als den Zufallsanteil gewinnt, setzt die Bank mit Reparaturen,
neuen Vorschriften und notfalls Hausverboten dem Spiel ein Ende.
Es ist durchaus amüsant zu lesen, dass es in so großem
Umfang gelingen kann, dem Zufall ein Schnippchen zu schlagen. Aber zugleich
wachsen die Zweifel, ob mit diesen doch sehr aufwändigen Methoden ein
akzeptabler Stundenlohn zu erzielen ist. Angeblich ist der Autor bei
Spielbanken bekannt und gefürchtet. Aber er selbst, ganz Gentleman, verrät uns
mit keinem Wort, welche Reichtümer er mit seinen Methoden angesammelt hat.
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