Operationen ferngesteuert
Author D. Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/MJAWqwjMGuQ
tienten tz.en, ist er kopfüber in eine Arr
üleffliefts194.11Neepielkonsole abge¬taucht Das Skalpell führt ein etwa
einein¬halb Meter großer Plastikturm, der sich mit vier riesigen Armen wie eine
Krake über den Patienten beugt. Den ausladen¬den Bewegungen, die der Arzt mit
arm¬langen Joysticks macht, folgen die Grei¬fer mit vorsichtigen Wendungen oder
ei¬nem winzigen Rucken. Auf einem Bild-schirm, der unter der Decke hängt, kann
man verfolgen, wie zwei der Arme eine Nadel überreichen, mit der die Harnröh¬re
wieder an die Blase genäht werden soll. Arm drei hält währenddessen die
Kame¬ra, Arm vier schafft im Bauch des Patien¬ten Plati für die Operation.
"Früher habe ich bei einer Prostataent-fernung mit
sechzig Zentimeter langen Stäben herumhantiert und versucht, die Dinger nach
zwei Stunden noch ruhig zu halten", erzählt Zecha, der als leitender
Oberarzt der Urologie am Klinikum Stuttgart arbeitet. Selbst unter
Spitzen¬chirurgen gilt die herkömmliche Schlüs-sellochchirurgie als
Schwerstarbeit, die mancher nur unter Einnahme von Schmerzmitteln durchsteht.
„Heute sitze ich bequem an der Konsole, zittere nicht, habe eine viel bessere
Sicht, eine irrsinnige Bewegungsfreiheit und vier Arme auf einmal zur
Verfügung."
Henrik Zecha ist unverkennbar ein Fan seines
Operationsroboters vom Typ „da Vmci", den der amerikanische Her¬steller
Intuitive Surgical auch in Deutsch¬land verkauft. Und er ist bei weitem nicht
der Einzige: „Es ist, als würden Sie sich ganz klein machen und unten in den
Bauch reinkriechen", schwärmt Benno Mann, Leiter der Chirurgie der Augusta
Kliniken Bochum. Das mache sich auch bei den Ergebnissen bemerkbar: Dank
Robotertechnik hätten Patienten, die er wegen Mastdarmkrebses operiert,
weni¬ger Komplikationen, weniger Rezidive und kürzere Klinikaufenthalte. Ob das
nur ein persönlicher Eindruck ist, ob es allein dem Fingergeschick am Joystick
ge¬schuldet ist oder einfach nur mit einer vorübergehenden Glückssträhne zu tun
hat, vermag er allerdings nicht zu sagen. Und auch niemand sonst: Die
eigentli¬che Nagelprobe, den wissenschaftlichen Vergleich mit anderen
Verfahren, hat der da Vmci noch nicht bestanden.
Das hat gerade die Urologen nicht da¬von abgehalten, im
großen Stil in die Technik einzusteigen. Nachdem die Herzchirurgen, für die das
Gerät ur¬sprünglich entwickelt worden war, den Roboter nach ersten Versuchen
frustriert in den Keller geschoben hatten, entdeck¬ten die Spezialisten für die
Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane schnell dessen Potential. Kaum war
der Apparat im Jahr 2000 in Amerika zugelas¬sen, entfernte ein Deutscher, der
Frank- furter Urologe Jochen Binder, auch schon die erste Prostata per Roboter.
16 Jahre später werden in den Vereinigten Staaten bereits 8o Prozent aller
radikalen Prostatektomien, wie sich die komplette Entfernung des
tumorzerfressenen Or¬gans samt Samenblasen und Lymphkno-. ten nennt,
ferngesteuert durchgeführt. In Deutschland liegt der Anteil bei rund 3o
Prozent. Das sind etwa 6300 Operatio¬nen im Jahr. Insgesamt 8o Kliniken nen¬nen
im deutschsprachigen Raum einen da Vmci ihr Eigen.
Karriere machen medizinische Robo¬ter auch an anderer
Stelle. Der Chirur¬gieassistent „Rosa" entnimmt Gewebe¬proben im Gehirn
oder setzt Elektroden ein. Das „Cyberknife" bestrahlt punktge¬nau die
Tumore von Krebspatienten, es gibt vollautomatisierte OP-Röntgengerä¬te und
entsprechend ausgestattete Patien¬tenliegen in der Schwerionentherapie. Ei¬nen
Senkrechtstart wie der da Vmci hat aber kein anderes System hingelegt.
Dabei galt der Roboter als Operateur eigentlich schon als
gescheitert. 1994 hat¬te der Orthopäde Martin Börner in Frankfurt versucht, die
Chirurgen-Arbeit einer Maschine zu überlassen. Der „Ro-bodoc" sollte
Oberschenkelknochen selb¬ständig und exakter als jeder Mensch auf-fräsen, um so
den Prothesen mehr Halt zu verleihen. Die Folge war einer der größten deutschen
Medizinskandale. „Die Patienten klagten reihenweise über Probleme: Schmerzen,
Hämatome, Gangschwierigkeiten", sagt der Bochu¬mer Benno Mann. Etwa
zehntausend Menschen wurden deutschlandweit von der Maschine operiert, Hunderte
klag¬ten anschließend auf Schmerzensgeld.
Noch 2010, bei der Da-Vmci-Premiere in seiner Klinik, hätten
sich viele Patien¬ten geweigert, von einem Roboter behan¬delt zu werden. Dabei
ist der Apparat, wie Mann nicht müde wird zu betonen, ein sogenanntes
Meister-Sklave-System. Ohne den Befehl des Chirurgen, soll das heißen, rührt
der Roboter keinen Grei¬fer. Noch zwei Jahre später sei er von Kollegen wegen
seines Innovationsmutes angegriffen worden. „Experimentell, un-
ethisch, unverantwortlich", hieß es da. In¬zwischen
rennt man ihm wegen dessel¬ben Gerätes die Bude ein.
Heute traut man dem Roboter sogar wieder zu, ganz
selbständig das Skalpet zu führen. In den Vereinigten Staaten hat sich ein
Nachfolgemodell des Robo-docs vor kurzem erfolgreich um die Zu¬lassung
beworben. Und vergangener Mittwoch zeigten Wissenschaftler auf Washington in
Science Ti-anslational Medi¬cis, dass ein einarmiger Industrierobo¬ter samt
Nähautomat und aufwendiges Zugspannungs- und 3-D-Sensorik erfolg¬reicher einen
Schweinedarm zusammen¬nähen kann als ein erfahrener menschli¬cher Operateur.
„Ich glaube, wenn wii uns anstrengen, wird auch relativ balc eine
Blinddarmoperation durch einen au¬tonomen Roboter möglich sein", ver
spricht einer der Autoren des Artikels der gelernte Kinderchirurg Peter Kim
Bislang galt das Dogma, dass die Bearbei tung der sehr variablen und flexible'
menschlichen Weichteile jede Maschin überfordern würde. Jörg Raczkowslq Leiter
der Arbeitsgruppe Medizinisch, Robotik am Karlsruher Institut für Tech nologie,
bleibt trotzdem nüchtern: „Da sind vielversprechende Versuche mit ei nem
interessanten Experimentalsystern` lautet sein Urteil über die Ergebnisse de
Kollegen. Mit einem Roboter, der tagtäg lich zum Einsatz an Patienten komm(
habe die Maschine noch wenig zu tut
„So ein Gerät wäre sehr viel komplexer In der Regel sind es
allerdings wenig' medizinische Gründe, die den Roboter
den Weg in den Operationssaal bahne]
Stolze 1,8 Millionen Euro kostet ein D: Vmci-System.
Ausgegeben habe man cl:
viele Geld zunächst nur, erzählt Benr
Mann, weil ohne die Investition kein, der Wunschkandidaten
Chefarzt in se
ner Klinik werden wollte. Allein im Ruf)
gebiet stünden mehr als zwanzig weite Geräte. „Wenn wir das
Geld nicht in d
Hand nehmen, kommen bald keine F
tienten mehr", drängten die Bewerb( Auch in Stuttgart sah
man sich vor alle
durch den Roboter im Nachbarhaus ui aus
„Marketinggründen" zum DaLVin" Kauf gezwungen. Dabei ist der Einst
der Geräte für die
Kliniken häufig ein Minusgeschäft Rund dreitausend Euro kostet allein jeder
einzelne der vier Grei¬fer und jede ein7Plne Schere, nach zehn Einsätzen müssen
sie ausgewechselt wer¬den. Im Vergleich zu einer normalen Operation ist der
Robotereinsatz im Schnitt 13oo Euro teurer. Die Kranken¬kassen übernehinen
keinen Cent davon. „Ohne den hohen Preis wäre der Robo¬ter noch viel
verbreiteter", sagt Jens-Uwe Stolzenburg, Leiter der Urologie der
Universitätsklinik Leipzig. Ge¬schützt durch eine ganze Mauer von Pa¬tenten,
genießt der Hersteller Intuitive Surgical zumindest aktuell noch ein Mo¬nopol
und kann die Preise diktieren.
Ist das Gerät einmal da, greift die Be¬geisterung oft auf
andere Fächer über. Benno Mann operiert inzwischen Speise¬röhre, Mast- und
Dickdarm per da Vin-ci. In Stuttgart sollen demnächst nach den Bauchchirurgen
auch die HNO-Ärz¬te und Gynäkologen an die Maschine.
Anfang der m9oer Jahre war schon ein-mal ein ähnlicher
Innovationsrausch in der Chirurgie zu erleben. Die Ärzte hat¬ten gerade die
Schlüssellochtechnik ent¬deckt. Auch weil bald kaum noch ein Pa¬tient zu finden
war, der sich für eine ent¬zündete Galle auf herkömmliche Weise den Bauch
aufschneiden lassen wollte, habe sich die Laparoskopie-Methode wie ein
Lauffeuer verbreitet, erzählt Ulrich Wetterauer, Chef der Urologie der
Uni¬versitätsklinik Freiburg. Erste Fallstudien, in denen einzelne Chirurgen
das Ergeb¬nis bei vielleicht zwanzig oder dreißig la-paroskopisch Operierten
mit der Kompli-kationsrate und dem Behandlungsverlauf anderer Patienten
verglichen, stimmten tatsächlich optimistisch. Aber gerade sol¬che Kleinstudien
seien stets sehr fehleran¬fällig, sagt Wetterauer, weil sie bei der Auswahl der
Studienteilnehmer immer zum Rosinenpicken verführten.
Als die Wissenschaftler nach einigen Jahren systematischer
und genauer nach¬schauten, stellte sich tatsächlich heraus, dass es den
Patienten mit der Schlüssel-lochtechnik nicht unbedingt besserging. Dafür
hatten sie häufiger Komplikatio¬nen. „Ein neues Verfahren muss erst ein¬
gelernt hatten. wie die
Geraten am besten zu
bedienen seien. und die Hersteller die Kinder¬krankheiten der Geräte ausgemerzt
hat¬ten, verschwanden auch die Probleme.
Nur eeheint man aus den damaligen Fehlern wenig gelernt zu
haben: „Auch die OP-Roboter wurden im Prinzip unge¬prüft in den Markt
eingeführt", kritisiert Wetterauer. „Selbst für die gängigsten Verfahren
wie die Prostata-, die Nieren¬oder Blasenoperation fehlen weiterhin
aussagekräftige Studien", bemängelt der Leipziger Jens-Uwe Stolzenburg.
Das österreichische Ludwig Boltzmann Insti¬tut zog nach einer gründlichen
Analyse der Datenlage im vergangenen Jahr so¬gar das Fazit, ein Vorteil für den
Patien¬ten sei nicht erwiesen: „Die Roboter-chirurgie scheint vielmehr ein
nützli¬ches, aber kostspieliges Werkzeug für Operateure zu sein."
„Wenn 14 Autoren in 14. verschiedenen Untersuchungen zu dem
Schluss kom¬men, dass die Operation gleichwertig oder teilweise sogar besser
als Konkur-renzverfahren ist, dann kann das kein Zu¬fall sein", hält dem
der Leipziger Jens-Uwe Stolzenburg entgegen. Einiges spricht dafür, dass er
recht hat. Aber muss man angesichts einer so wackligen Datenlage gleich einen
Marketingwett¬lauf veranstalten, der die Robotertechnik bis in die kleinsten
Kliniken verbreitet? Auch die Da-Vinci-Euphorie hat schon eine Phase der
Abkühlung hinter sich. So deutete vor zwei Jahren das Ergebnis einer Studie an
87 000 Frauen darauf hin, dass zumindest bei Operationen am Eierstock der
Einsatz des Roboters mit leicht erhöhten Komplikationsraten ver¬bunden ist.
Gerade in kleineren Abteilun¬gen mit wenigen Patienten, heißt es un¬ter der
Hand, mangele es den Operateu¬ren manchmal an Ubung. Deshalb bietet der
Hersteller den Ärzten heute ein aus¬gefeiltes Trainingsprogramm an. Aller¬dings
ist die Teilnahme freiwillig.
Weitere Studien sollen nun für mehr Klarheit sorgen und zum
Beispiel klären, ob die ferngesteuerte Prostataentfer-nung tatsächlich das
beste Verfahren ist. Auf dem Kongress der Deutschen Gesell¬schaft für Chirurgie
in Berlin wurde kürzlich berichtet, dass Mastdarmkrebs-Patienten nach einem
Da-Vmci-Eingriff zumindest nicht häufiger leiden als klas¬sisch Operierte. Ob
sie auch eher darauf hoffen können, vom Tumor befreit zu werden, muss sich noch
zeigen.
Früher oder später, sagen die Exper¬ten, könnte der Roboter
in der Tat die herkömmliche Schlüssellochchirurgie ab¬schaffen. Das heißt aber
nicht, meint Jörg Raczkowsky, dass er den Chirurgen ganz aus dem OP-Saal
verdrängt: „Den vollautomatischen Operateur wird es mei¬ner Meinung nach in
absehbarer Zeit nicht geben", sagt er. Er sieht die Maschi¬nen ganz
einfach als intelligente Werk¬zeuge, die dem Menschen manche Din¬ge abnehmen.
Nähen, Sägen oder Boh-ren zum Beispiel.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.