Montag, 9. Mai 2016

Operationen ferngesteuert


Operationen ferngesteuert

Author D. Selzer-McKenzie

Video: https://youtu.be/MJAWqwjMGuQ

tienten tz.en, ist er kopfüber in eine Arr üleffliefts194.11Neepielkonsole abge¬taucht Das Skalpell führt ein etwa einein¬halb Meter großer Plastikturm, der sich mit vier riesigen Armen wie eine Krake über den Patienten beugt. Den ausladen¬den Bewegungen, die der Arzt mit arm¬langen Joysticks macht, folgen die Grei¬fer mit vorsichtigen Wendungen oder ei¬nem winzigen Rucken. Auf einem Bild-schirm, der unter der Decke hängt, kann man verfolgen, wie zwei der Arme eine Nadel überreichen, mit der die Harnröh¬re wieder an die Blase genäht werden soll. Arm drei hält währenddessen die Kame¬ra, Arm vier schafft im Bauch des Patien¬ten Plati für die Operation.

"Früher habe ich bei einer Prostataent-fernung mit sechzig Zentimeter langen Stäben herumhantiert und versucht, die Dinger nach zwei Stunden noch ruhig zu halten", erzählt Zecha, der als leitender Oberarzt der Urologie am Klinikum Stuttgart arbeitet. Selbst unter Spitzen¬chirurgen gilt die herkömmliche Schlüs-sellochchirurgie als Schwerstarbeit, die mancher nur unter Einnahme von Schmerzmitteln durchsteht. „Heute sitze ich bequem an der Konsole, zittere nicht, habe eine viel bessere Sicht, eine irrsinnige Bewegungsfreiheit und vier Arme auf einmal zur Verfügung."

Henrik Zecha ist unverkennbar ein Fan seines Operationsroboters vom Typ „da Vmci", den der amerikanische Her¬steller Intuitive Surgical auch in Deutsch¬land verkauft. Und er ist bei weitem nicht der Einzige: „Es ist, als würden Sie sich ganz klein machen und unten in den Bauch reinkriechen", schwärmt Benno Mann, Leiter der Chirurgie der Augusta Kliniken Bochum. Das mache sich auch bei den Ergebnissen bemerkbar: Dank Robotertechnik hätten Patienten, die er wegen Mastdarmkrebses operiert, weni¬ger Komplikationen, weniger Rezidive und kürzere Klinikaufenthalte. Ob das nur ein persönlicher Eindruck ist, ob es allein dem Fingergeschick am Joystick ge¬schuldet ist oder einfach nur mit einer vorübergehenden Glückssträhne zu tun hat, vermag er allerdings nicht zu sagen. Und auch niemand sonst: Die eigentli¬che Nagelprobe, den wissenschaftlichen Vergleich mit anderen Verfahren, hat der da Vmci noch nicht bestanden.

Das hat gerade die Urologen nicht da¬von abgehalten, im großen Stil in die Technik einzusteigen. Nachdem die Herzchirurgen, für die das Gerät ur¬sprünglich entwickelt worden war, den Roboter nach ersten Versuchen frustriert in den Keller geschoben hatten, entdeck¬ten die Spezialisten für die Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane schnell dessen Potential. Kaum war der Apparat im Jahr 2000 in Amerika zugelas¬sen, entfernte ein Deutscher, der Frank- furter Urologe Jochen Binder, auch schon die erste Prostata per Roboter. 16 Jahre später werden in den Vereinigten Staaten bereits 8o Prozent aller radikalen Prostatektomien, wie sich die komplette Entfernung des tumorzerfressenen Or¬gans samt Samenblasen und Lymphkno-. ten nennt, ferngesteuert durchgeführt. In Deutschland liegt der Anteil bei rund 3o Prozent. Das sind etwa 6300 Operatio¬nen im Jahr. Insgesamt 8o Kliniken nen¬nen im deutschsprachigen Raum einen da Vmci ihr Eigen.

Karriere machen medizinische Robo¬ter auch an anderer Stelle. Der Chirur¬gieassistent „Rosa" entnimmt Gewebe¬proben im Gehirn oder setzt Elektroden ein. Das „Cyberknife" bestrahlt punktge¬nau die Tumore von Krebspatienten, es gibt vollautomatisierte OP-Röntgengerä¬te und entsprechend ausgestattete Patien¬tenliegen in der Schwerionentherapie. Ei¬nen Senkrechtstart wie der da Vmci hat aber kein anderes System hingelegt.

Dabei galt der Roboter als Operateur eigentlich schon als gescheitert. 1994 hat¬te der Orthopäde Martin Börner in Frankfurt versucht, die Chirurgen-Arbeit einer Maschine zu überlassen. Der „Ro-bodoc" sollte Oberschenkelknochen selb¬ständig und exakter als jeder Mensch auf-fräsen, um so den Prothesen mehr Halt zu verleihen. Die Folge war einer der größten deutschen Medizinskandale. „Die Patienten klagten reihenweise über Probleme: Schmerzen, Hämatome, Gangschwierigkeiten", sagt der Bochu¬mer Benno Mann. Etwa zehntausend Menschen wurden deutschlandweit von der Maschine operiert, Hunderte klag¬ten anschließend auf Schmerzensgeld.

Noch 2010, bei der Da-Vmci-Premiere in seiner Klinik, hätten sich viele Patien¬ten geweigert, von einem Roboter behan¬delt zu werden. Dabei ist der Apparat, wie Mann nicht müde wird zu betonen, ein sogenanntes Meister-Sklave-System. Ohne den Befehl des Chirurgen, soll das heißen, rührt der Roboter keinen Grei¬fer. Noch zwei Jahre später sei er von Kollegen wegen seines Innovationsmutes angegriffen worden. „Experimentell, un-

 

ethisch, unverantwortlich", hieß es da. In¬zwischen rennt man ihm wegen dessel¬ben Gerätes die Bude ein.

Heute traut man dem Roboter sogar wieder zu, ganz selbständig das Skalpet zu führen. In den Vereinigten Staaten hat sich ein Nachfolgemodell des Robo-docs vor kurzem erfolgreich um die Zu¬lassung beworben. Und vergangener Mittwoch zeigten Wissenschaftler auf Washington in Science Ti-anslational Medi¬cis, dass ein einarmiger Industrierobo¬ter samt Nähautomat und aufwendiges Zugspannungs- und 3-D-Sensorik erfolg¬reicher einen Schweinedarm zusammen¬nähen kann als ein erfahrener menschli¬cher Operateur. „Ich glaube, wenn wii uns anstrengen, wird auch relativ balc eine Blinddarmoperation durch einen au¬tonomen Roboter möglich sein", ver spricht einer der Autoren des Artikels der gelernte Kinderchirurg Peter Kim Bislang galt das Dogma, dass die Bearbei tung der sehr variablen und flexible' menschlichen Weichteile jede Maschin überfordern würde. Jörg Raczkowslq Leiter der Arbeitsgruppe Medizinisch, Robotik am Karlsruher Institut für Tech nologie, bleibt trotzdem nüchtern: „Da sind vielversprechende Versuche mit ei nem interessanten Experimentalsystern` lautet sein Urteil über die Ergebnisse de Kollegen. Mit einem Roboter, der tagtäg lich zum Einsatz an Patienten komm( habe die Maschine noch wenig zu tut

„So ein Gerät wäre sehr viel komplexer In der Regel sind es allerdings wenig' medizinische Gründe, die den Roboter

den Weg in den Operationssaal bahne]

Stolze 1,8 Millionen Euro kostet ein D: Vmci-System. Ausgegeben habe man cl:

viele Geld zunächst nur, erzählt Benr

Mann, weil ohne die Investition kein, der Wunschkandidaten Chefarzt in se

ner Klinik werden wollte. Allein im Ruf)

gebiet stünden mehr als zwanzig weite Geräte. „Wenn wir das Geld nicht in d

Hand nehmen, kommen bald keine F

tienten mehr", drängten die Bewerb( Auch in Stuttgart sah man sich vor alle

durch den Roboter im Nachbarhaus ui aus „Marketinggründen" zum DaLVin" Kauf gezwungen. Dabei ist der Einst

 

 der Geräte für die Kliniken häufig ein Minusgeschäft Rund dreitausend Euro kostet allein jeder einzelne der vier Grei¬fer und jede ein7Plne Schere, nach zehn Einsätzen müssen sie ausgewechselt wer¬den. Im Vergleich zu einer normalen Operation ist der Robotereinsatz im Schnitt 13oo Euro teurer. Die Kranken¬kassen übernehinen keinen Cent davon. „Ohne den hohen Preis wäre der Robo¬ter noch viel verbreiteter", sagt Jens-Uwe Stolzenburg, Leiter der Urologie der Universitätsklinik Leipzig. Ge¬schützt durch eine ganze Mauer von Pa¬tenten, genießt der Hersteller Intuitive Surgical zumindest aktuell noch ein Mo¬nopol und kann die Preise diktieren.

Ist das Gerät einmal da, greift die Be¬geisterung oft auf andere Fächer über. Benno Mann operiert inzwischen Speise¬röhre, Mast- und Dickdarm per da Vin-ci. In Stuttgart sollen demnächst nach den Bauchchirurgen auch die HNO-Ärz¬te und Gynäkologen an die Maschine.

Anfang der m9oer Jahre war schon ein-mal ein ähnlicher Innovationsrausch in der Chirurgie zu erleben. Die Ärzte hat¬ten gerade die Schlüssellochtechnik ent¬deckt. Auch weil bald kaum noch ein Pa¬tient zu finden war, der sich für eine ent¬zündete Galle auf herkömmliche Weise den Bauch aufschneiden lassen wollte, habe sich die Laparoskopie-Methode wie ein Lauffeuer verbreitet, erzählt Ulrich Wetterauer, Chef der Urologie der Uni¬versitätsklinik Freiburg. Erste Fallstudien, in denen einzelne Chirurgen das Ergeb¬nis bei vielleicht zwanzig oder dreißig la-paroskopisch Operierten mit der Kompli-kationsrate und dem Behandlungsverlauf anderer Patienten verglichen, stimmten tatsächlich optimistisch. Aber gerade sol¬che Kleinstudien seien stets sehr fehleran¬fällig, sagt Wetterauer, weil sie bei der Auswahl der Studienteilnehmer immer zum Rosinenpicken verführten.

Als die Wissenschaftler nach einigen Jahren systematischer und genauer nach¬schauten, stellte sich tatsächlich heraus, dass es den Patienten mit der Schlüssel-lochtechnik nicht unbedingt besserging. Dafür hatten sie häufiger Komplikatio¬nen. „Ein neues Verfahren muss erst ein¬

gelernt hatten. wie die

Geraten  am besten zu bedienen seien. und die Hersteller die Kinder¬krankheiten der Geräte ausgemerzt hat¬ten, verschwanden auch die Probleme.

Nur eeheint man aus den damaligen Fehlern wenig gelernt zu haben: „Auch die OP-Roboter wurden im Prinzip unge¬prüft in den Markt eingeführt", kritisiert Wetterauer. „Selbst für die gängigsten Verfahren wie die Prostata-, die Nieren¬oder Blasenoperation fehlen weiterhin aussagekräftige Studien", bemängelt der Leipziger Jens-Uwe Stolzenburg. Das österreichische Ludwig Boltzmann Insti¬tut zog nach einer gründlichen Analyse der Datenlage im vergangenen Jahr so¬gar das Fazit, ein Vorteil für den Patien¬ten sei nicht erwiesen: „Die Roboter-chirurgie scheint vielmehr ein nützli¬ches, aber kostspieliges Werkzeug für Operateure zu sein."

„Wenn 14 Autoren in 14. verschiedenen Untersuchungen zu dem Schluss kom¬men, dass die Operation gleichwertig oder teilweise sogar besser als Konkur-renzverfahren ist, dann kann das kein Zu¬fall sein", hält dem der Leipziger Jens-Uwe Stolzenburg entgegen. Einiges spricht dafür, dass er recht hat. Aber muss man angesichts einer so wackligen Datenlage gleich einen Marketingwett¬lauf veranstalten, der die Robotertechnik bis in die kleinsten Kliniken verbreitet? Auch die Da-Vinci-Euphorie hat schon eine Phase der Abkühlung hinter sich. So deutete vor zwei Jahren das Ergebnis einer Studie an 87 000 Frauen darauf hin, dass zumindest bei Operationen am Eierstock der Einsatz des Roboters mit leicht erhöhten Komplikationsraten ver¬bunden ist. Gerade in kleineren Abteilun¬gen mit wenigen Patienten, heißt es un¬ter der Hand, mangele es den Operateu¬ren manchmal an Ubung. Deshalb bietet der Hersteller den Ärzten heute ein aus¬gefeiltes Trainingsprogramm an. Aller¬dings ist die Teilnahme freiwillig.

Weitere Studien sollen nun für mehr Klarheit sorgen und zum Beispiel klären, ob die ferngesteuerte Prostataentfer-nung tatsächlich das beste Verfahren ist. Auf dem Kongress der Deutschen Gesell¬schaft für Chirurgie in Berlin wurde kürzlich berichtet, dass Mastdarmkrebs-Patienten nach einem Da-Vmci-Eingriff zumindest nicht häufiger leiden als klas¬sisch Operierte. Ob sie auch eher darauf hoffen können, vom Tumor befreit zu werden, muss sich noch zeigen.

Früher oder später, sagen die Exper¬ten, könnte der Roboter in der Tat die herkömmliche Schlüssellochchirurgie ab¬schaffen. Das heißt aber nicht, meint Jörg Raczkowsky, dass er den Chirurgen ganz aus dem OP-Saal verdrängt: „Den vollautomatischen Operateur wird es mei¬ner Meinung nach in absehbarer Zeit nicht geben", sagt er. Er sieht die Maschi¬nen ganz einfach als intelligente Werk¬zeuge, die dem Menschen manche Din¬ge abnehmen. Nähen, Sägen oder Boh-ren zum Beispiel.

 



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