Wales, Great Britain
Author D. Selzer-McKenzie
Youtube-Video: https://youtu.be/cGdumCfWmcs
In „Narrowboats" wurden früher Güter auf Kanälen
transportiert. Heute dienen sie Urlaubern als schwimmendes Zuhause auf Zeit.
11> Die „Queen" ist kein leichtes Mädchen. Stolze
acht Tonnen bringt sie bei einer Länge von elf Metern auf die Waage. Mit knapp
zwei Knoten schiebt sich der gelb-blaue Stahl-Koloss durch den trägen, braunen
Monmouthshire and Bre-con Kanal. Dass sich die „Queen" gar so ge-mächlich
fortbewegt, liegt weniger an ihrem Gewicht als an den Untiefen dieses 56
Kilometer langen Wasserwegs. Gerät das Boot einmal zu nah ans Ufer, kann es
leicht auf einer Sandbank stecken bleiben, denn der Kanal ist kaum einen Meter
tief.
Aussteiger auf dem Boot
Gerade hatten wir uns erst an den Linksverkehr auf
britischen Straßen gewöhnt, nun heißt es: „Auf Gewässern fährt man weltweit
rechts. Das gilt auch fürs Vereinigte Königreich." So erklärt es Nigel
Curtis von Road House Narrowboats in Gilwern nördlich von Cardiff. Seit vier
Jahren führen Nigel und seine Frau Sally die kleine Ma-rina mit vier Schiffen
nahe der Brücke 103. Die Kanal-Enthusiasten gaben dafür ihre stressigen Jobs in
Bournemouth in Südengland auf.
Die erste Erkenntnis: Auf einem "Narrowboat",
einem langen, schmalen Hausboot, gibt es weder Steuerrad noch Joystick oder
Bug- und Heck-
strahlruder, kein Echolot zum Anzeigen des Ab¬stands
zwischen Kiel und Grund oder der Ge¬schwindigkeit. Am Heck befindet sich nur
eine lange Eisenstange, die Ruderpinne. Eine Ein-He¬bel-Schaltung mit
Vorwärts-, Rückwärtsgang und Leerlauf steuert den Dieselmotor. „Man fährt nach
Gefühl. Wenn Wellen ans Ufer schwappen, seid ihr zu schnell", erläutert
Nigel. „Das Schleu¬sen ist ,dead easy` (kinderleicht). Wenn ihr wisst, wie man
eine Badewanne füllt und entleert, dann habt ihr das Prinzip verstanden."
Einst Gütertransport
Die zahlreichen Kanäle in Großbritannien stam¬men aus der
Zeit der industriellen Revolution ab Ende des 18. Jahrhunderts. Thomas Dadford
jun. ist der Erbauer des Monmouthshire and Brecon Kanals. Zusammen mit seinem
Vater und zwei Brüdern war er für die Konstruk¬tion diverser Wasserstraßen in
Wales verant-wortlich. Pferdebahnen brachten aus den umlie¬genden Zechen und
Wäldern Kohle, Kalkstein, Erze, Schiefer und Holz zu den Kanälen. Die
„Narrowboats", die einst ebenfalls von Pferden gezogen wurden,
transportierten die Güter dann in die größeren Städte oder zu den Seehä¬fen
entlang der Küste. Mitte des 19. Jahrhun-
derts begann bereits der Rückgang des Waren¬transports auf
dem Wasserweg, da die Eisenbahn immer mehr verbreitet und zudem preiswerter
war. „Ab Ende der 1960er-Jahre entwickelte sich langsam der Tourismus auf
einigen wiederbe¬lebten Abschnitten. Über 3.000 Kilometer be¬trägt das
historische Wasserwegenetz in Wales und England."
Endlich dürfen wir den Schlüssel umdrehen. Der Motor rattert
wie ein Traktor. Nigel drückt die „Queen" vom Ufer aus ein Stück Richtung
Kanalmitte. Behutsam in den Vorwärtsgang, Wir schippern unter einem hellgrünen
Buchen¬dach, durch das die Mittagssonne mit ihren Strahlen goldene Sterne auf
die Wasseroberflä¬che malt. Entenmütter geben ihren Küken im
und das Hoch- und Runterkurbeln der Ventile, um Wasser ein-
und auszulassen, erfordert eini¬ges an Muskelkraft. Nach 15 Minuten ist das
Becken gefüllt und die „Queen" um drei Meter angehoben. „Dead easy"!
Bis Talybont-on-Usk wollen wir es noch schaffen, bevor am Himmel die Sterne
angeknipst werden. Stockdunkel wird es bereits vorher im Ashford-Tunnel. Kurz
dar¬auf machen wir die „Queen" an den Pollern vor Brücke 144 fest.
Eine elektrische und drei handbetriebene weiße
richtet Bill Furniss an der Llangollen Wharf: „Schon 1884
gab es die ersten Touristenboote, die von Pferden gezogen wurden. Ich führe
diese Tradition weiter und biete Ausflugstouren zu den Fällen an." Wir
machen uns mit der motorisier¬ten beige-grünen „Catherine" in Richtung des
18-bogigen Pontcysyllte-Aquädukts auf. „Der für diese gigantische Konstruktion
verwendete Mörtel besteht aus Kalk, Wasser und Ochsen¬blut", verrät uns
Bill. In einer scharfen Rechts¬kurve biegen wir bei Trevor in den 307 Meterschlammigen
Wasser Schwimmunterricht. Zot¬telige Wollknäule blöken auf den angrenzenden
grünen Weiden: Croesu y Cymru — Willkom¬men in Wales! Alle paar Kilometer
passieren wir verschlafene Dörfer. Nur aus den Pubs und Restaurants dringt
munteres Stimmengewirr. Llanelly, Llangattock und Crickhowell, das vom
„Tafelberg" überragt wird, liegen bereits hinter uns, als die erste von
fünf Schleusen hinter Llangynidr in Sicht kommt. Das untere Tor steht offen.
Doch links vom Schleusentor strömt Was¬ser aus, das einen starken Sog
verursacht und den Bug des „Narrowboats" herumreißt. Wir stehen plötzlich
quer im Kanal! Mit Tauen und vereinten Kräften zweier Spaziergänger bringen wir
die „Queen" unter Herzrasen und Schwei߬ausbruch wieder in Position. Ganz
vorsichtig bugsieren wir das Boot nun in die Schleusen¬kammer hinein. Nicht das
Prinzip der Kammer¬schleuse erweist sich als Krux, sondern das
Früher Alltag, heute außergewöhnlich: Ein Pferd zieht den
Kahn durch den Kanal.
Ziehbrücken säumen den Weg am nächsten Morgen. Bis Brecon,
wo der Fluss Usk den Kanal mit Wasser speist, ist es noch ein Tagestörn. Da wir
einen weiteren Kanal in Nordwales erkun¬den wollen, drehen wir bereits in
Pencelli um und begeben uns auf die Rücktour, auf der uns für längere Zeit ein
roter Milan begleitet. Ein Tunnel, fünf Schleusen und genau 50 Holz- und
Steinbrücken liegen vor uns, bis Nigel seine „Queen" und uns hinter Brücke
103 wieder in Empfang nimmt.
Auch nach 200 Jahren noch wunderbar zu befahren
Szenenwechsel: 160 Kilometer nördlicher befin¬det sich der
spektakulärste aller britischen Aquä¬dukte auf dem Llangollen-Kanal. „Geflutet
wird dieser Wasserweg durch die ,Horse Shoe Falls',
In der Schleuse wird es ganz schön eng, auch wenn das Boot
nicht breit ist.
langen gusseisernen Trog des Aquädukts ein. Die Bauweise vor
200 Jahren mutet abenteuerlich an, doch sie hat sich bewährt: Der schottische
Konstrukteur Thomas Telford ließ schwere Me-tallplatten verschrauben und diese
mit walisi¬schem Flanellstoff, der vorher in kochende Zu¬ckerlösung getränkt
war, abdichten. Die Naht¬stellen wurden danach mit Blei versiegelt. Die
Fahrrinne ist nur minimal breiter als „Catheri-ne". An der Ostseite
verläuft der Treidelpfad, der durch ein Geländer zum Abgrund hin gesichert ist.
Zur anderen Seite umgibt uns nur eine fri¬sche Brise, und 37 Meter tiefer
rauscht der wilde Fluss Dee durchs Tal.
Das Städtchen Chirk ist unser Ziel. Der gleichna¬mige
Aquädukt bildet die Grenze zu England. Es wäre so „dead easy"
weiterzuschippern, nur lei¬der fehlt uns dazu die Zei
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