Sonntag, 22. Mai 2016

Wales, Great Britain


Wales, Great Britain

Author D. Selzer-McKenzie

Youtube-Video: https://youtu.be/cGdumCfWmcs

In „Narrowboats" wurden früher Güter auf Kanälen transportiert. Heute dienen sie Urlaubern als schwimmendes Zuhause auf Zeit.

 

11> Die „Queen" ist kein leichtes Mädchen. Stolze acht Tonnen bringt sie bei einer Länge von elf Metern auf die Waage. Mit knapp zwei Knoten schiebt sich der gelb-blaue Stahl-Koloss durch den trägen, braunen Monmouthshire and Bre-con Kanal. Dass sich die „Queen" gar so ge-mächlich fortbewegt, liegt weniger an ihrem Gewicht als an den Untiefen dieses 56 Kilometer langen Wasserwegs. Gerät das Boot einmal zu nah ans Ufer, kann es leicht auf einer Sandbank stecken bleiben, denn der Kanal ist kaum einen Meter tief.

Aussteiger auf dem Boot

Gerade hatten wir uns erst an den Linksverkehr auf britischen Straßen gewöhnt, nun heißt es: „Auf Gewässern fährt man weltweit rechts. Das gilt auch fürs Vereinigte Königreich." So erklärt es Nigel Curtis von Road House Narrowboats in Gilwern nördlich von Cardiff. Seit vier Jahren führen Nigel und seine Frau Sally die kleine Ma-rina mit vier Schiffen nahe der Brücke 103. Die Kanal-Enthusiasten gaben dafür ihre stressigen Jobs in Bournemouth in Südengland auf.

Die erste Erkenntnis: Auf einem "Narrowboat", einem langen, schmalen Hausboot, gibt es weder Steuerrad noch Joystick oder Bug- und Heck-

 

strahlruder, kein Echolot zum Anzeigen des Ab¬stands zwischen Kiel und Grund oder der Ge¬schwindigkeit. Am Heck befindet sich nur eine lange Eisenstange, die Ruderpinne. Eine Ein-He¬bel-Schaltung mit Vorwärts-, Rückwärtsgang und Leerlauf steuert den Dieselmotor. „Man fährt nach Gefühl. Wenn Wellen ans Ufer schwappen, seid ihr zu schnell", erläutert Nigel. „Das Schleu¬sen ist ,dead easy` (kinderleicht). Wenn ihr wisst, wie man eine Badewanne füllt und entleert, dann habt ihr das Prinzip verstanden."

Einst Gütertransport

Die zahlreichen Kanäle in Großbritannien stam¬men aus der Zeit der industriellen Revolution ab Ende des 18. Jahrhunderts. Thomas Dadford jun. ist der Erbauer des Monmouthshire and Brecon Kanals. Zusammen mit seinem Vater und zwei Brüdern war er für die Konstruk¬tion diverser Wasserstraßen in Wales verant-wortlich. Pferdebahnen brachten aus den umlie¬genden Zechen und Wäldern Kohle, Kalkstein, Erze, Schiefer und Holz zu den Kanälen. Die „Narrowboats", die einst ebenfalls von Pferden gezogen wurden, transportierten die Güter dann in die größeren Städte oder zu den Seehä¬fen entlang der Küste. Mitte des 19. Jahrhun-

 

derts begann bereits der Rückgang des Waren¬transports auf dem Wasserweg, da die Eisenbahn immer mehr verbreitet und zudem preiswerter war. „Ab Ende der 1960er-Jahre entwickelte sich langsam der Tourismus auf einigen wiederbe¬lebten Abschnitten. Über 3.000 Kilometer be¬trägt das historische Wasserwegenetz in Wales und England."

Endlich dürfen wir den Schlüssel umdrehen. Der Motor rattert wie ein Traktor. Nigel drückt die „Queen" vom Ufer aus ein Stück Richtung Kanalmitte. Behutsam in den Vorwärtsgang, Wir schippern unter einem hellgrünen Buchen¬dach, durch das die Mittagssonne mit ihren Strahlen goldene Sterne auf die Wasseroberflä¬che malt. Entenmütter geben ihren Küken im

 

und das Hoch- und Runterkurbeln der Ventile, um Wasser ein- und auszulassen, erfordert eini¬ges an Muskelkraft. Nach 15 Minuten ist das Becken gefüllt und die „Queen" um drei Meter angehoben. „Dead easy"! Bis Talybont-on-Usk wollen wir es noch schaffen, bevor am Himmel die Sterne angeknipst werden. Stockdunkel wird es bereits vorher im Ashford-Tunnel. Kurz dar¬auf machen wir die „Queen" an den Pollern vor Brücke 144 fest.

Eine elektrische und drei handbetriebene weiße

 

richtet Bill Furniss an der Llangollen Wharf: „Schon 1884 gab es die ersten Touristenboote, die von Pferden gezogen wurden. Ich führe diese Tradition weiter und biete Ausflugstouren zu den Fällen an." Wir machen uns mit der motorisier¬ten beige-grünen „Catherine" in Richtung des 18-bogigen Pontcysyllte-Aquädukts auf. „Der für diese gigantische Konstruktion verwendete Mörtel besteht aus Kalk, Wasser und Ochsen¬blut", verrät uns Bill. In einer scharfen Rechts¬kurve biegen wir bei Trevor in den 307 Meterschlammigen Wasser Schwimmunterricht. Zot¬telige Wollknäule blöken auf den angrenzenden grünen Weiden: Croesu y Cymru — Willkom¬men in Wales! Alle paar Kilometer passieren wir verschlafene Dörfer. Nur aus den Pubs und Restaurants dringt munteres Stimmengewirr. Llanelly, Llangattock und Crickhowell, das vom „Tafelberg" überragt wird, liegen bereits hinter uns, als die erste von fünf Schleusen hinter Llangynidr in Sicht kommt. Das untere Tor steht offen. Doch links vom Schleusentor strömt Was¬ser aus, das einen starken Sog verursacht und den Bug des „Narrowboats" herumreißt. Wir stehen plötzlich quer im Kanal! Mit Tauen und vereinten Kräften zweier Spaziergänger bringen wir die „Queen" unter Herzrasen und Schwei߬ausbruch wieder in Position. Ganz vorsichtig bugsieren wir das Boot nun in die Schleusen¬kammer hinein. Nicht das Prinzip der Kammer¬schleuse erweist sich als Krux, sondern das

 

Früher Alltag, heute außergewöhnlich: Ein Pferd zieht den Kahn durch den Kanal.

Ziehbrücken säumen den Weg am nächsten Morgen. Bis Brecon, wo der Fluss Usk den Kanal mit Wasser speist, ist es noch ein Tagestörn. Da wir einen weiteren Kanal in Nordwales erkun¬den wollen, drehen wir bereits in Pencelli um und begeben uns auf die Rücktour, auf der uns für längere Zeit ein roter Milan begleitet. Ein Tunnel, fünf Schleusen und genau 50 Holz- und Steinbrücken liegen vor uns, bis Nigel seine „Queen" und uns hinter Brücke 103 wieder in Empfang nimmt.

Auch nach 200 Jahren noch wunderbar zu befahren

Szenenwechsel: 160 Kilometer nördlicher befin¬det sich der spektakulärste aller britischen Aquä¬dukte auf dem Llangollen-Kanal. „Geflutet wird dieser Wasserweg durch die ,Horse Shoe Falls',

 

In der Schleuse wird es ganz schön eng, auch wenn das Boot nicht breit ist.

langen gusseisernen Trog des Aquädukts ein. Die Bauweise vor 200 Jahren mutet abenteuerlich an, doch sie hat sich bewährt: Der schottische Konstrukteur Thomas Telford ließ schwere Me-tallplatten verschrauben und diese mit walisi¬schem Flanellstoff, der vorher in kochende Zu¬ckerlösung getränkt war, abdichten. Die Naht¬stellen wurden danach mit Blei versiegelt. Die Fahrrinne ist nur minimal breiter als „Catheri-ne". An der Ostseite verläuft der Treidelpfad, der durch ein Geländer zum Abgrund hin gesichert ist. Zur anderen Seite umgibt uns nur eine fri¬sche Brise, und 37 Meter tiefer rauscht der wilde Fluss Dee durchs Tal.

Das Städtchen Chirk ist unser Ziel. Der gleichna¬mige Aquädukt bildet die Grenze zu England. Es wäre so „dead easy" weiterzuschippern, nur lei¬der fehlt uns dazu die Zei

 


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