Freitag, 24. Januar 2020

Gewinne beim Roulette + Sportwetten – genauer mit Higgs-Mechanismus


Gewinne beim Roulette + Sportwetten – genauer mit Higgs-Mechanismus

Author D. Selzer-McKenzie

Youtube-Video: https://youtu.be/pzfNVtM6vmY



Sie können ab den nächsten Tagen auf meiner Internetsite kostenlos eine neue Software herunterladen, die noch genauer und effizienter die Treffsicherheit beim Roulette und bei Sportwetten berechnen und vorprognostizieren kann. Alles passiert und ist programmiert auf der Basis des Higgs-Mechanismus. Bereits vor 50 Jahren, Ende der 1960er Jahre, hatte Higgs das Higgs-Teilchen angekündigt, aber erst nach der Jahrtausendswende hat die Wissenschaft das entschlüsselt und nachjgewiesen, und dieses Higgs-Teilchen ist eine ganz enorme Entwicklung für die Zukunft in allen Sparten. Nachstehend mal ein kurzer Überblick, und ich habe diese Erkenntnisse in der Software programmiert und die Treffersicherheit ist schon unübertreffloich.



Das Standardmodell der Teilchenphysik beschreibt erfolgreich die bekannten Elementarteilchen und deren Wechselwirkungen. Woher die Elementarteilchen ihre Masse erhalten, ließ sich im Rahmen dieses Modells aber lange Zeit nicht beantworten. Mit dem Fund eines bisher unbekannten Teilchens könnte sich die Lücke nun schließen.



1964 erschienen in der Fachzeitschrift „Physical Review Letters“ drei unabhängige Veröffentlichungen zu einem Mechanismus, der die Masse von Elementarteilchen erklären kann. Alle drei Aufsätze nahmen verschiedene Perspektiven ein und lieferten jeder einen Beitrag zur Gesamtidee. Die Autoren waren François Englert und Robert Brout, Peter Higgs sowie Gerald Guralnik, Carl Hagen und Tom Kibble.



Die Theorie sagt dabei die Existenz eines neuen Elementarteilchens voraus. Auf einer Konferenz im Jahr 1966 führte der Physiker Ben Lee den Namen „Higgs“ für dieses Teilchen ein – ein griffiger Name, der sich durchsetzte. Das im Juli 2012 am Forschungszentrum CERN entdeckte Elementarteilchen zeigt viele Eigenschaften des postulierten Higgs-Bosons. Und dennoch bedarf es weiterer Analysen, um sicher zu sein, dass es sich tatsächlich um das lang gesuchte Higgs-Teilchen handelt.



Vom 3. bis 9. Juli tauschen Wissenschaftler auf der International Conference on High Energy Physics, kurz ICHEP, die neuesten Ergebnisse der Teilchenphysik aus, unter ihnen auch Norbert Wermes. Wir fragten den Professor von der Universität Bonn, welche neuen Einsichten es über das Higgs-Teilchen gibt und was sich Physiker von der nächsten Betriebsphase des LHC versprechen.



Welt der Physik: Auf der ICHEP 2012 gaben Physiker den Fund eines neuen Teilchen am LHC bekannt. Seither versucht man, dessen Eigenschaften immer genauer zu bestimmen. Was weiß man exakt zwei Jahre später über das neue Boson?



Norbert Wermes



Norbert Wermes: Bei der Entdeckung 2012 wussten die Wissenschaftler nicht mit Sicherheit, dass das entdeckte Teilchen exakt das Higgs-Boson ist, wie es die Theorie vorhersagt. Die ersten Ergebnisse ließen lediglich auf ein Higgs-artiges Teilchen schließen. Es hätte auch ein neues Teilchen, wie zum Beispiel in supersymmetrischen Theorien verlangt, sein können und kann es auch immer noch sein. Genau um diese Frage ging es in den letzten beiden Jahren, nämlich herauszufinden, ob das Higgs-Boson exakt das Higgs-Boson des Standardmodells ist.



Konkret ist dazu herauszufinden, welche charakteristischen Eigenschaften es hat, was seine Masse genau ist, welche Lebensdauer es hat, was sein Spin ist und ob es so erzeugt wird und zerfällt, wie die Theorie es beschreibt. Eine signifikante Abweichung vom Standardmodell in einer der Eigenschaften würde sofort neue Physik jenseits unseres derzeitigen Gedankengebäudes bedeuten. Nur als Beispiel: Die Masse des Higgs ist inzwischen auf besser als ein halbes Promille gemessen und die Experimente konnten durch einen cleveren Trick seine Lebensdauer auf höchstens etwa fünfmal länger als theoretisch erwartet eingrenzen. Das ist eine hundertmal genauere Messung als man bis vor Kurzem noch für möglich gehalten hätte.



Auch die Zerfallshäufigkeit des Higgs in andere Elementarteilchen ist bisher ganz so wie erwartet, das heißt, sie ist direkt proportional zu deren Masse – übrigens ganz anders als üblich, so zerfällt zum Beispiel das schwache Boson Z0 gleich häufig in geladene Leptonen von verschiedener Masse. Diese Ergebnisse wurden auf der ICHEP 2014 in Valencia vorgestellt.



Der Nachweis des Higgs gelang am LHC zunächst durch den Zerfall des Teilchens in andere Bosonen, also in Teilchen, die Kräfte vermitteln. Kürzlich konnte auch der direkte Zerfall des Higgs in Fermionen – aus dieser Gruppe von Elementarteilchen setzt sich Materie zusammen – gemessen werden. Was lässt sich daraus schließen?

Alles, was wir sehen – Menschen, Tiere, Pflanzen, Erde und Planeten – besteht aus Materieteilchen. Insgesamt gibt es zwölf Materieteilchen, die in sechs Quarks und sechs Leptonen unterteilt werden. Beide Gruppen bestehen aus Teilchen dreier Familien.















Elementarteilchen und Grundkräfte



In der Tat, der Massengebungsmechanismus ist für Fermionen verschieden von dem für die schweren Bosonen W und Z: weniger elegant und, theoretisch eher unschön, ad hoc und mit zusätzlichen Parametern eingeführt. Ich persönlich wäre daher nicht zu sehr überrascht gewesen, wenn man beim Zerfall des Higgs in Fermionen die ersten Abweichungen von der Theorie messen würde. Mit der Übereinkunft, nur Messungen als ausreichend signifikant zu bezeichnen, wenn sie statistisch die Fünf-Sigma-Grenze überschreiten, wurde der Zerfall in Fermionen bisher streng genommen noch nicht zweifelsfrei bewiesen. Allerdings haben die beiden Experimente ATLAS und CMS unabhängig voneinander Signale von etwa vier Sigma im Zerfall in zwei Tau-Leptonen gemessen und erste Anzeichen – statistisch weniger signifikant – sieht CMS auch im Zerfall in zwei Bottom-Quarks.



Wenn man von den bisherigen Analysen ausgeht: Handelt es sich bei dem Teilchen um das vom Standardmodell der Teilchenphysik vorhergesagte Higgs-Boson?



Ja, in der Tat, bisher sieht es so aus. Es wäre sehr gut möglich gewesen, dass sich das als Higgs-Boson bezeichnete Teilchen als nicht exakt so standard-Higgs-artig erwiese. So vielfältig waren die untersuchenden Messungen. Dies ist aber bis jetzt nicht passiert. Bisher gibt es keine einzige Messung, die eine Abweichung von der Standardmodellvorhersage andeutet. Allerdings muss man zugeben, dass die Präzision, mit der die Überprüfung möglich ist, noch bei Weitem nicht die Präzision erreicht hat, die nötig wäre, um von einer Art „Beweis“ zu sprechen. Dies wird erst nach und nach, vor allem in den nächsten Jahren mit dem aufgerüsteten LHC-Beschleuniger und den verbesserten Experimenten gelingen.



Im Einklang mit dem Standardmodell



Man hat das Gefühl, die Wissenschaftler würden nur allzu gerne Abweichungen vom Standardmodell nachweisen. Warum eigentlich?



Nun, das Standardmodell hat trotz seiner überwältigenden Erfolge viele Defizite: Es beinhaltet unter anderem die Gravitation nicht, hat keine Erklärung für Dunkle Materie und besitzt eine ganze Reihe von Stellschrauben, oder Parametern, die erst durch experimentelle Messungen festgelegt werden müssen. Interessanterweise ist auch die relativ leichte Masse des Higgs-Bosons selbst ein Problem. Es müsste eigentlich auf der Grundlage der bisherigen Theorie viele, viele Größenordnungen schwerer sein. Diese ungeklärten und „unnatürlichen“ Dinge lieben die Physiker nicht. Außerdem gibt es gleich mehrere theoretische Ansätze, die einen Teil dieser Fragen lösen könnten, der prominenteste Ansatz ist die Supersymmetrie.



Sowohl solche alternativen Ansätze als auch das Standardmodell werden Physiker ab dem Frühjahr 2015 so genau wie nie zuvor überprüfen können – dann endet die Umrüstungspause am LHC. Was passiert in diesen 18 Monaten, in denen der Beschleuniger stillsteht?



Der Ring wird technisch aufgerüstet, ein schwieriges Unterfangen. Sie erinnern sich sicher, dass 2008 ein Unfall im LHC-Ring passierte, weil kritische Verbindungen an den supraleitenden LHC-Magneten sich für die hohen Ströme als nicht ausreichend sicher erwiesen. Der LHC wird dann 2015 mit fast der doppelten Energie und einer noch höheren Strahlintensität wieder anlaufen. Die Experimente nutzen die Zeit, um einige der Subdetektoren zu reparieren und durch noch präzisere Instrumente zu erweitern, zum Beispiel durch eine zusätzliche Pixeldetektorlage im ATLAS-Experiment, die noch näher an den Kollisionspunkt herangeht.



Tau-Leptonen im ATLAS Detektor



Sind die Daten aus der vorherigen Betriebsphase eigentlich schon alle ausgewertet?



Weitgehend ja, die intensive Auswertung der Daten nach allen wesentlichen Fragestellungen war ja Gegenstand der Bemühungen der letzten beiden Jahre. Der Fokus wird danach zuerst auf den neuen Messdaten liegen, da sie durch die höhere Energie eine höhere Chance bieten, neuen Phänomenen auf die Spur zu kommen. Man wird aber auch die bisherigen Daten mit den neuen kombinieren, um zusammen auf eine höhere statistische Aussagekraft zu kommen.



Was erhofft man sich von den neuen Daten bezüglich der Erforschung des Higgs?



Nun, ich persönlich lebe in der Erwartung, dass das Higgs eine fundamentale Bedeutung für die Physik des frühen Universums hat, die über seine Rolle zur Massengebung vielleicht sogar hinausgeht. Schließlich ist es das erste Mal, dass mit dem Higgs ein fundamentales skalares Feld – so nennen wir das – entdeckt wurde. Gleich mehrere grundlegende Fragen der Physik, darunter zum Beispiel die Phase der Inflation im frühen Universum oder die sogenannte „Quintessenz“, werden mit skalaren Feldern in Verbindung gebracht. Zum Thema Inflation, also einer mit Überlichtgeschwindigkeit erfolgten Ausdehnung des Universums zu ganz frühen Zeiten, gibt es zum Beispiel bereits eine ganze Reihe von theoretischen Veröffentlichungen, die das Higgs dafür verantwortlich machen wollen oder damit in Verbindung bringen.



Zerfall des Higgs in zwei Photonen



Das sind natürlich derzeit noch kontrovers diskutierte Ideen. Dennoch, Experimente durchzuführen, die mit solch fundamentalen Fragen zu tun haben, finde ich sehr aufregend und spannend. Konkret heißt das, dass mit den neuen Daten das Higgs so genau wie möglich vermessen werden muss – in der Hoffnung, dass es am Ende doch Aufschluss gibt über etwas, was über das Standardmodell hinausgeht, sei es Supersymmetrie oder etwas anderes Fundamentales. Wo sonst kann man am Gedankengebäude der Physik so sehr rütteln?



Lassen sich bei den höheren Energien möglicherweise neue Teilchen jenseits des Standardmodells erzeugen, etwa Dunkle-Materie-Teilchen, supersymmetrische Teilchen oder sogar weitere Higgs-Bosonen?



Vielleicht. Die Supersymmetrie, oder SUSY, ist durch die Entdeckung des Higgs bei 125 Gigaelektronenvolt, was für supersymmetrische Theorien ein relativ hoher Massenwert ist, gehörig unter Druck gekommen. Aber mit höherer Energie könnte es durchaus passieren, dass man neue Hinweise auf SUSY erhält. Die höhere Energie erlaubt, die Sensitivität für SUSY-Teilchen zu höheren Massen zu schieben, allerdings nicht um ein riesiges Maß. Daher sind Hoffnungen für den direkten Nachweis von SUSY-Teilchen zwar da, aber auch die Aussichten auf neue Einsichten durch Abweichungen von der Theorie in noch präziseren Messungen sind vorhanden. Vielleicht ist dieser indirekte Weg sogar der Schlüssel zum Schloss.



Wird sich dann eindeutig zeigen, ob es sich bei dem neuen Teilchen um das Higgs-Boson des Standardmodells handelt?



Zerfall des Higgs in zwei Z-Bosonen



Na ja, was heißt schon eindeutig. Bereits jetzt kann man sagen, es ist ein „Higgs“. Andernfalls hätte wohl auch das Nobelkomitee mit der Vergabe des Preises noch gezögert. Ob es exakt DAS Higgs des Standardmodells ist, nach dem es derzeit ja wirklich aussieht, das wird sich mit den neuen Daten natürlich gegebenenfalls erhärten und wenn – wovon die meisten Teilchenphysiker ausgehen – das Standardmodell nicht der Weisheit letzter Schluss ist, sondern nur eine bei den derzeit erreichbaren Energien gültige „effektive“ Theorie, so wird auch das Higgs in einem größeren Kontext zu sehen sein.



Wird das Standardmodell also bald von einer umfassenderen Theorie abgelöst werden? Gab es auf der ICHEP vielleicht Prognosen – und neue Ideen für eine solche Theorie?



Ideen gibt es immer viele – von SUSY bis zu extra Raumdimensionen und andere. Für Prognosen sind Wissenschaftler eher seltener zu haben. Im Vergleich zur Vor-LHC-Phase, als viele Physiker glaubten, das Standardmodell habe sich demnächst überlebt, sind die Erwartungen in dieser Hinsicht für die nächste Phase eher geringer. Das Standardmodell hat sich bis jetzt ja eher etabliert als überlebt. Ich würde sagen, die neue Messperiode 2015–2018 wird mit Aufregung erwartet. Noch präzisere Messungen und detaillierte Suchen nach Neuem werden in jedem Fall die kommenden Jahre sehr spannend halten – mit dem oder jenseits des Standardmodells.





Die Kollaboration des CMS-Experiments am Large Hadron Collider in Genf veröffentlichte eine neue Obergrenze für die sogenannte Zerfallsbreite des vor knapp zwei Jahren entdeckten Higgs-Teilchens. Demnach ist der neue Wert um mehr als zwei Größenordnungen genauer als bisherige Angaben und bekräftigt die Vermutung, dass es sich bei dem gefundenen Teilchen um das vom Standardmodell der Teilchenphysik vorhergesagte Higgs-Boson handelt.



Die Zerfallsbreite ist ein Maß dafür, mit welcher Genauigkeit die Anregungsenergie eines Teilchens bestimmt werden kann. Zugleich ist sie über die Heisenbergsche Unschärferelation eng mit dessen Lebensdauer verknüpft: Je länger die Lebensdauer des Teilchens, desto schärfer lässt sich seine Energie messen. Das CMS-Experiment zeichnete 2012 die Teilchenspuren nach Proton-Proton-Kollisionen auf. Aus diesem Datensatz haben die Forscher am CERN bisher eine Zerfallsbreite von 3,4 Gigaelektronenvolt für das Higgs-Boson ermittelt. Mit einer neuen Analysemethode konnten Wissenschaftler der CMS-Kollaboration diese Obergrenze nun auf 17,4 Megaelektronenvolt präzisieren – und damit eine zweihundertfach bessere Genauigkeit erreichen.



Für eine Masse des Higgs-Teilchens von 125 Gigaelektronenvolt sagt das Standardmodell der Teilchenphysik eine Zerfallsbreite von etwa vier Megaelektronenvolt voraus. Mit der neuen Auswertung ist man der theoretischen Zerfallsbreite des Higgs-Bosons zwar ein großes Stück näher gekommen, hat sie aber noch längst nicht erreicht: Die bekanntgegebene Obergrenze ist immer noch viermal größer als die Vorhersage für den untersuchten Zerfall. Dennoch bestätigt das Ergebnis die Vermutung, dass es sich bei dem am LHC gefundenen Teilchen tatsächlich um das Higgs-Boson des Standardmodells handelt.



Der Fund eines bisher unbekannten Teilchens im Juli 2012 stellt einen Meilenstein der Physik dar – unabhängig davon, ob es sich dabei tatsächlich um das Higgs-Boson oder ein grundlegend neues Teilchen handelt. Die Entdeckung treibt nicht nur die Suche nach Theorien jenseits des Standardmodells voran, sie wirft auch interessante wissenschaftstheoretische und philosophische Fragestellungen auf.



Das erste große Ziel des Large Hadron Collider (LHC) am Forschungszentrum CERN in Genf ist erreicht: Knapp zwei Jahre nach der ersten Datennahme entdeckten Wissenschaftler dort ein neues Teilchen, bei dem es sich allem Anschein nach um das lange gesuchte Higgs-Teilchen handelt. Möglicherweise ist damit der „letzte Baustein der Materie” gefunden – nach jahrzehntelanger gemeinsamer Forschung und Entwicklung durch Teilchenphysiker.



Theoretische Physiker schlugen das grundlegende Konzept des Higgs-Mechanismus vor und machten präzise Voraussagen seiner Eigenschaften. Experimentalphysiker entwickelten neue Datenanalysen und Technologien für Nachweisgeräte, um einige Hundert Higgs-Ereignisse aus Abermillionen von Untergrund-Ereignissen herauszufiltern. Und nicht zuletzt konstruierten Beschleunigerphysiker und Ingenieure neuartige supraleitende Magneten, mit denen sich am LHC die nötigen, bis dahin unerreichten Strahlenergien und -intensitäten überhaupt erst erzielen ließen.

Der letzte Baustein des Standardmodells



Mit der Entdeckung des Higgs-Teilchens wäre das sogenannte Standardmodell der Teilchenphysik komplett. Letzteres führt die gesamte im Universum sichtbare Materie auf zwölf Materieteilchen zurück, wobei nur drei davon in der stabilen Materie auftreten. Zudem beschreibt das Modell drei der vier fundamentalen Wechselwirkungen – und zwar durch den Austausch von weiteren Teilchen: den Elektromagnetismus durch Photonen, die schwache Wechselwirkung durch W- und Z-Bosonen und die starke Wechselwirkung durch Gluonen.



Die Gravitation als vierte fundamentale Kraft widersetzt sich bislang allen Versuchen, sie im Rahmen der Quantentheorie zu formulieren. Sie lässt sich deshalb bislang auch nicht ins Standardmodell integrieren. Alle Materieteilchen des Standardmodells und alle Wechselwirkungen wurden im Lauf der vergangenen zwanzig bis dreißig Jahre mit höchster Präzision vermessen. Bis vor Kurzem fehlte allerdings der experimentelle Nachweis des mathematischen Mechanismus, mit dem das Standardmodell die Massen der fundamentalen Teilchen beschreibt. Diese Lücke scheinen Physiker mit dem neuen Teilchenfund geschlossen zu haben.

Alles, was wir sehen – Menschen, Tiere, Pflanzen, Erde und Planeten – besteht aus Materieteilchen. Insgesamt gibt es zwölf Materieteilchen, die in sechs Quarks und sechs Leptonen unterteilt werden. Beide Gruppen bestehen aus Teilchen dreier Familien.



Elementarteilchen und Grundkräfte



Das Higgs-Teilchen oder Higgs-Boson postulierte man vor knapp fünfzig Jahren aus rein theoretischen Gründen. Ohne dieses Teilchen führt der Versuch, aus dem Standardmodell präzise theoretische Vorhersagen für Teilchenreaktionen abzuleiten, zu unsinnigen Ergebnissen. So ergeben sich beispielsweise Wahrscheinlichkeiten, die größer sind als hundert Prozent. Mit dem Higgs-Boson wird aus dem Standardmodell eine konsistente mathematische Theorie: Alle Berechnungen lassen sich im Prinzip mit beliebiger Genauigkeit durchführen, ohne dass es zu inneren Widersprüchen kommt. So konnten Physiker beispielsweise aus dem Vergleich von Präzisionsmessungen der LEP-Experimente – dem Vorläuferexperiment des LHC – mit Präzisionsrechnungen die bis dahin unbekannte Masse des Higgs-Teilchens vorhersagen, ohne es direkt beobachtet zu haben. Das neu gefundene Teilchen stimmt voll mit dieser Erwartung überein.



Der Grund für die inneren Widersprüche der Theorie ohne Higgs-Boson sind die Massen der fundamentalen Teilchen – insbesondere von den Austauschteilchen der schwachen Wechselwirkung, den W- und Z-Bosonen, aber auch von Materieteilchen wie Elektronen oder Quarks. Der sogenannte Higgs-Mechanismus ist die bislang einfachste bekannte Möglichkeit, diese Massen mathematisch widerspruchsfrei im Standardmodell zu berücksichtigen. Demnach treten alle massebehafteten Teilchen mit einem Feld in Wechselwirkung, das den gesamten Raum ausfüllt. Diese Annahme führt unweigerlich zur Vorhersage des Higgs-Bosons. Man spricht daher oft davon, dass das Higgs-Boson beziehungsweise der Higgs-Mechanismus die Massen der Teilchen „erzeugt“.

Skepsis der Teilchenphysiker



Tatsächlich ist der Higgs-Mechanismus, wie er im Standardmodell implementiert ist, unter Teilchenphysikern nicht besonders populär. Kurz vor der Entdeckung am LHC waren die Erwartung geteilt: Etwa die Hälfte der Teilnehmer hatte diese Entdeckung erwartet, die andere Hälfte hielt sie für eher unwhrscheinlich. Das geht aus einer Umfrage der Bergischen Universität Wuppertal hervor, an der mehr als tausend Physiker teilnahmen.

Das Schaubild zeigt ein Bündel aus geraden und gekrümmten Linien, die sich vom Kollisionspunkt fortbewegen.



Proton-Proton-Kollision



Für die Skepsis der Teilchenphysiker gegenüber dem Higgs-Mechanismus im Standardmodell gibt es viele Gründe. Einer der wichtigsten betrifft den unüblichen Wert „Null“ für den Eigendrehimpuls oder Spin des Higgs-Teilchens. Denn theoretische Argumente sprechen dafür, dass Elementarteilchen ohne diese quantenmechanische Eigenschaft sehr viel schwerer sein müssten als der jetzt entdeckte Higgs-Kandidat. Zudem setzen sich alle bisher beobachteten Teilchen ohne Spin aus verschiedenen Teilchen mit höherem Spin zusammen, sind also keine Elementarteilchen. Dieser Erfahrungswert lässt Teilchenphysiker am Higgs-Mechanismus zweifeln – trotz der guten Ergebnisse.



Viele alternative Methoden sind ebenfalls in der Lage, den Ursprung der Teilchenmassen zu erklären. Häufig erscheinen sie – von einem philosophischen Standpunkt aus betrachtet – sogar attraktiver als der Higgs-Mechanismus. In ihrer einfachsten und daher ästhetischsten Form sind sie aber in der Regel nicht mit Präzisionsmessungen vereinbar. Die notwendigen Modifikationen, die dafür vorgenommen werden müssen, sind dann wiederum so aufwändig, dass sie das Modell unattraktiv machen.



Die Inkonsistenzen des Standardmodells ohne geeigneten Mechanismus zur Massenerzeugung sind so schwerwiegend und die Vermessung des Standardmodells durch Experimente so präzise, dass der Großteil der Physiker davon überzeugt war, dass „etwas Neues“ im Massenbereich zwischen hundert und zweihundert Gigaelektronenvolt gefunden werden muss. Dass es sich dabei um ein Teilchen handelt, das so gut mit den hypothetischen Eigenschaften des Higgs-Bosons übereinstimmt, ist trotz des Erfolgs der Theorie für viele fast schon wieder enttäuschend.





Symmetrien spielten seit je her eine große Rolle im Streben der Menschheit, die Natur zu verstehen. Auch das Standardmodell fußt auf bestimmten Symmetrien. Ob diese sogenannten Eichsymmetrien wirklich eine Eigenschaft der Natur sind oder sie vielleicht nur in unseren Gleichungen existieren, versuchen Wissenschaftsphilosophen seit einigen Jahren herauszufinden.



Nach heutigem Verständnis lassen sich viele tiefgründige Eigenschaften der physikalischen Gesetze auf zugrundeliegende Symmetrien zurückführen. Naturgesetze beispielsweise gelten heute genauso wie gestern. Aus dieser Zeitverschiebungssymmetrie folgt der Energieerhaltungssatz. Zudem sind diese Gesetze in Wuppertal die selben wie in Hamburg, auf dem Mond oder im Sternsystem Alpha-Centauri, woraus die Erhaltung des Gesamtimpulses folgt. Die Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie erhielt Albert Einstein, indem er noch allgemeinere Symmetrien der Raumzeit forderte.



Mitte des 20. Jahrhunderts stellte sich heraus, dass neben den Raum-Zeit-Symmetrien auch „innere“ Symmetrien eine wichtige Rolle spielen. Ein Beispiel kommt aus der Elektrodynamik, mit der sich das Wechselspiel von elektromagnetischen Feldern und bewegten Ladungen beschreiben lässt – mithilfe der sogenannten Maxwell-Gleichungen, die der schottische Physiker James Clerk Maxwell zwischen 1861 und 1864 entwickelte. Die Lösung der Gleichungen ist allerdings nicht eindeutig: Zu jeder Lösung gibt es unendlich viele andere, die gleiches leisten und sich durch eine sogenannte Eichtransformation aus der ursprünglichen Lösung herleiten lassen. Die jeweils abgeleiteten Messgrößen sind aber immer dieselben. Physiker sprechen in diesem Fall von einer Eichsymmetrie.

Masse passt nicht ins Bild



Maxwell-Gleichungen



Das Konzept der Eichsymmetrie war zu Maxwells Zeiten noch gar nicht bekannt. Erst nachträglich stellte man fest, dass seine Gleichungen diese Eigenschaft besitzen. Das eigentlich besondere daran ist, dass es keine andere Theorie gibt, die diese spezielle Symmetrie besitzt. Die Forderung nach Eichsymmetrie führt unweigerlich zu den Maxwell-Gleichungen und damit zur Theorie der elektromagnetischen Wechselwirkung. 1954 schlugen die beiden Physiker Chen Ning Yang und Robert Mills mathematische Verallgemeinerungen der Maxwellschen Eichsymmetrie vor, und in der Tat stellte sich später heraus, dass die sich daraus ergebenden Theorien ebenfalls in der Natur vorkommende Wechselwirkungen beschreiben: die starke und die schwache Wechselwirkung.



Eichsymmetrien scheinen also in der Natur eine ebenso bedeutende Rolle zu spielen wie die oben genannte Verschiebungssymmetrie im Raum und in der Zeit. Ihre anschauliche Bedeutung verschließt sich uns allerdings bis heute – wir können sie nur auf dem Papier nachvollziehen. Ist die Eichsymmetrie wirklich eine Eigenschaft der Natur oder vielleicht nur eine Eigenschaft unserer Gleichungen? Seit einigen Jahren beschäftigt diese Frage auch die Wissenschaftsphilosophie, deren Anliegen es unter anderem ist, den Realitätsgehalt einer physikalischen Theorie herauszudestillieren.



Besonders interessant wird die Frage durch den Aspekt, dass Elementarteilchen eine Masse besitzen. Letztere passt nämlich nicht ins Bild. Denn die Gleichungen verlieren durch sie ihre Eichsymmetrie; die Symmetrie wird, wie Physiker sagen, explizit gebrochen. Für die Theorie sind die Folgen verheerend: Man erhält gravierende innere Widersprüche, wie etwa Wahrscheinlichkeiten, die größer sind als hundert Prozent. Mit dem sogenannten Higgs-Mechanismus lässt sich dieses Dilemma im Standardmodell jedoch lösen. Denn durch ihn wird die Symmetrie nicht explizit, sondern spontan gebrochen.

Die Konsistenz wahren



Dieser Sachverhalt lässt sich gut mithilfe eines Weinflaschenbodens illustrieren, der sich symmetrisch unter Drehungen um seine Achse verhält. Denn die Bewegung eines Kügelchens, das in die Flasche fällt, hängt offensichtlich nicht davon ab, ob man die Flasche zuvor um ihre Achse gedreht hat. Die Gleichungen, die die Bewegung der Kugel beschreiben, sind also symmetrisch unter Drehungen der Flasche. Für eine Flasche mit ovalem Boden gilt das allerdings nicht: Man nennt die Symmetrie des Systems in diesem Fall „explizit gebrochen“.

Drei Weinflaschen sind einmal von der Seite und einmal von oben zu sehen. Die Grundfläche der ersten ist rund, die der zweiten oval und die der dritten wieder rund, wobei hier eine Kugel am tiefsten Punkt des Bodens liegt.



Formen der Symmetriebrechung



Auch das Gesamtsystem „Flasche mit Kugel“ ist nicht symmetrisch unter Drehungen. Betrachtet man beispielsweise den Fall, in dem die Kugel einfach links in der Rinne des Weinflaschenbodens ruht, dann befördert sie eine Drehung des Systems um 180 Grad auf die rechte Seite. Anfangs sind zwar alle Positionen entlang der Rinne phyikalisch gleichwertig, aber letztlich bleibt die Kugel auf einer bestimmten, aber a priori beliebigen Position liegen. Dadurch wir die Symmetrie „spontan gebrochen“.



Laut Standardmodell befindet sich unsere Welt also in einem Zustand, der die Symmetrie des Standardmodells spontan bricht. Denn nur so können die beobachteten Teilchen eine Masse besitzen, während die innere Konsistenz der Theorie bewahrt wird. Die obige Frage nach dem Realitätsgehalt von Eichsymmetrien, ob diese Eigenschaften der Natur oder nur von Physikern ausgedacht sind, muss man daher auch vor dem Hintergrund der spontanten Symmetriebrechung betrachten. Und diese besitzt sehr wohl eine physikalisch beobachtbare Konsequenz: neben den Teilchenmassen die Existenz eines völlig neuen Teilchens, des Higgs-Bosons! Ob sich die Frage nach dem Realitätsgehalt von Eichtheorien jemals definitiv beantworten lassen wird, ist wie so oft bei philosophischen Fragen völlig offen. Es ist jedoch seit je her ein wichtiger Teil unserer Kultur, solche Fragen zu diskutieren.



Eichtheorien und der Higgs-Mechanismus sind – unter anderem – Thema der Forschungskooperation „Epistemologie des LHC“ aus Philosophen, Physikern und Historikern, die sich vor einigen Jahren in Wuppertal gegründet hat. Das heutige Wissen der Menschheit ist einfach zu umfangreich und zu komplex, als dass es noch als Ganzes von sogenannten Universalgelehrten erfasst werden könnte. Interdisziplinäre Kommunikation wird dadurch immer wichtiger.





Zwei schiefe Ebenen sind übereinander angeordnet. Auf beiden rollt ein Auto hinunter, deren Schatten sich auf dem Boden überlagern.



Ein mechanisches Beispiel für Eichsymmetrien bietet eine gläserne Skischanze, auf der ein Auto herunterrollt. Die Sonne scheine senkrecht von oben auf die Schanze, sodass am Boden der Schatten des Autos sichtbar wird. Für die Bewegung des Schattens spielt die absolute Höhe der Schanze keine Rolle, nur die Neigung ist relevant. Die Tatsache, dass man sie als Ganzes nach oben oder unten verschieben kann, ohne die Bewegung des Schattens zu ändern, entspricht einer globalen Symmetrie (erste Sequenz im Video).



Variiert die Höhe der Schanze aber an verschiedenen Stellen unterschiedlich stark – etwa durch eine Bodenwelle – wird diese globale Symmetrie gebrochen. Die Geschwindigkeit eines Fahrzeugs auf einer solchen deformierten Piste fällt nicht mehr so gleichmäßig aus wie zuvor, wenn weder Motor noch Bremse funktionieren (zweite Sequenz). Ist die Welle zu hoch, bliebe das Auto sogar stehen. Der Schatten am Boden spiegelt dieses Verhalten wider.



Die Forderung nach lokaler Symmetrie bedeutet nun in unserem mechanischen Beispiel, dass man Bodenwellen auf der Piste nicht an der Bewegung des Schattens erkennen darf. Das lässt sich nur erreichen, indem das Auto an den entsprechenden Stellen beschleunigt oder abbremst – der Fahrer muss also den Motor anschalten oder die Bremse betätigen (dritte Sequenz). Die Forderung nach lokaler Symmetrie zwingt uns also dazu, eine Kraft einzuführen.



Elektronen, Quarks und andere fundamentale Teilchen lassen sich mathematisch durch eine Wellenfunktion beschreiben. In der Teilchenphysik entspricht die Höhe der Schanze einer abstrakten Größe, der sogenannten Phase dieser Wellenfunktion. Vernachlässigt man die fundamentalen Kräfte – also Elektromagnetismus, schwache und starke Wechselwirkung – kann man zu dieser Phase eine Konstante hinzuaddieren, ohne dass sich die theoretische Beschreibung des Teilchens ändert. Diese Freiheit bezeichnen Physiker als Eichsymmetrie. Allerdings muss die hinzuaddierte Konstante für alle Zeiten und an jedem Ort dieselbe sein, ebenso wie man die Schanze nur als Ganzes nach oben oder unten verschieben kann, solange das Auto keinen Motor besitzt. Die Gleichungen, denen die Wellenfunktion genügt, besitzen also eine globale Eichsymmetrie.



Berücksichtigt man die fundamentalen Kräfte, kann man zur Phase der Teilchen eine beliebige, an jedem Ort und zu jeder Zeit anders gewählte Konstante hinzuzählen – analog zu einer Bodenwelle auf der Schanze –, wobei sich die theoretische Beschreibung nicht ändert. Die Existenz einer Kraft, wie im mechanischen Beispiel des Motors und der Bremse, führt also dazu, dass die globale zu einer lokalen Eichsymmetrie wird.



Die Tatsache, dass wir die drei fundamentalen Wechselwirkungen beobachten, könnte man also als Konsequenz daraus verstehen, dass die Natur nach den entsprechenden lokalen Eichsymmetrien verlangt. Ob dies eine befriedigende Erklärung für die Existenz der Wechselwirkungen ist, sei dahingestellt. Jedenfalls haben diese lokalen Eichsymmetrien seit fast fünfzig Jahren eine kaum zu überschätzende Rolle als Prinzip bei der Konstruktion von Theorien eingenommen.



In unserem mechanischen Bild der Schanze lässt sich sogar der Higgs-Mechanismus illustrieren: Das Higgs-Feld entspricht einer Schneeschicht auf der Schanze. Je stärker ein Teilchen an das Higgs-Feld „koppelt“, je stärker es also an der Schneeschicht klebt, desto langsamer bewegt es sich bei gegebener Energie. Dieser Effekt ruft die Masse von Teilchen hervor. Leichte Teilchen entsprechen also Skifahrern mit gutem Skiwachs und umgekehrt. Das Higgs-Teilchen wiederum entspricht einer kleinen Schneelawine: Es ist die Quantenanregung des Higgs-Feldes. Wie schnell es die Schanze herunterrutscht, hängt von der Klebrigkeit des Schnees ab – in der Teilchenphysik nennt man dies die „Selbstkoppelung“ des Higgs-Teilchens.



Natürlich darf man dieses mechanische Bild nicht überstrapazieren, aber an dieser Stelle hilft es hoffentlich ein wenig, den Eichtheorien gedanklich näher zu kommen. Abschließend sei noch bemerkt, dass auch der philosophische Aspekt in dieser Analogie deutlich wird. Die Skischanze ist Teil unserer Realität, denn wir können sie im Prinzip einfach direkt untersuchen, unabhängig vom Schatten auf dem Boden. Bei den Eichsymmetrien ist dies nicht der Fall: Die Phase der Wellenfunktion ist prinzipiell unbestimmbar. Wir können uns deshalb nicht sicher sein, ob die Eichsymmetrien tatsächlich eine Eigenschaft der Natur oder einfach nur ein Artefakt unserer theoretischen Formulierung sind.



Das Standardmodell ist wohl die umfassendste Theorie, die es jemals gab. Dennoch sehen Teilchenphysiker damit das Ende der Physik noch längst nicht erreicht und suchen eifrig nach neuen Theorien. Dabei motivieren sie nicht etwa irgendwelche inneren Widersprüchen des Modells oder experimentelle Zwänge, sondern allein die Ästhetik.



Ein Physikprofessor soll Max Planck am Ende des 19. Jahrhunderts dazu geraten haben, nicht Physik zu studieren. Schließlich sei dort, abgesehen von wenigen Lücken, bereits alles erforscht. Heute hätte wohl kein Hochschullehrer mehr solche Bedenken. Dieses vorherrschende Gefühl lässt sich allerdings nur teilweise fachlich begründen. Es ist vor allem mit Problemen der Wissenschafts- und Erkenntnistheorie verbunden.

Viele Galaxien vor schwarzem Hintergrund. In der Mitte befindet sich ein hantelfömiger, rosa Klumpen, an dessen beiden Seiten ein blauer Klumpen angrenzt.



Indirekter Nachweis von Dunkler Materie



Obwohl das Standardmodell der Teilchenphysik gegenwärtig wohl die umfassendste Theorie darstellt, kann es einige Phänomene vom Prinzip her nicht beschreiben. Allem voran steht hier die Gravitation. Zudem gibt das Standardmodell keine Antwort auf die Frage nach Dunkler Materie oder Dunkler Energie, auf die astrophysikalische und kosmische Beobachtungen hinweisen. Deshalb sehen die meisten Teilchenphysiker das Standardmodell nur als eine Stufe auf dem Weg zu einer noch umfassenderen und in gewissem Sinne „einfacheren“ oder „schöneren“ Theorie – Begriffe und Ziele, die mehr philosophisch motiviert sind, als aus immanenten Problemen der Wissenschaft zu folgen.



Das Standardmodell wird demnach oft nur als sogenannte effektive Theorie verstanden, die im Bereich niedriger Energien als Grenzfall einer weitreichenderen Theorie fungiert. Dieses Verhalten kennt man bereits aus anderen Teilgebieten der Physik, wie beispielsweise der klassischen Mechanik: Alle physikalischen Phänomene bei Geschwindigkeiten und Abständen des Alltagslebens – also deutlich langsamer als Licht und deutlich größer als ein Atom – werden durch diese Theorie völlig adäquat beschrieben. Heute versteht man die klassische Mechanik aber als Grenzfall der Relativitätstheorie beziehungsweise der Quantenmechanik.



Vom Standardmodell wissen wir nur, dass es bei Abständen von mindestens einem Milliardstel des Atomdurchmessers gilt. Genauer können die heutigen Beschleuniger nicht auflösen. Für Elementarteilchen wird die Gravitation aber erst bei Abständen relevant, die noch etwa eine billiardemal kleiner sind. Die Sensitivität von Teilchenbeschleunigern wird wohl nie auch nur in die Nähe dieser sogenannten Plancklänge vordringen. Alerdings legt die Struktur des Standardmodells nahe, dass man bereits bei deutlich größeren Abständen Hinweise auf eine übergeordnete Theorie finden sollte.

Keine einfache Theorie



Zwar beruht das Standardmodell im Wesentlichen auf wenigen Prinzipien – vor allem der Eichsymmetrie –, aber dennoch sind 27 Parameter notwendig, die nicht a priori durch die Theorie festgelegte Werte besitzen und durch Messungen bestimmt werden müssen. Diese Zahl erscheint einerseits zu groß, um von einer „schönen“ und „einfachen“ Theorie zu sprechen. Andererseits zeigen einige der Parameter gewisse Regelmäßigkeiten oder Hierarchien, die alles andere als zufällig wirken, deren Ursachen man aber derzeit nicht kennt.



Ein Beispiel: Es existieren zwölf Materieteilchen, die sich in drei fast identische Familien einordnen lassen. Warum existieren diese Wiederholungen? Hauptsächlich unterscheiden sich die Familien durch die Massen der zugehörigen Teilchen. Das Topquark ist beispielsweise mehr als eine Trillion Mal schwerer als das leichteste Neutrino. Welche Ursache hat dieses gewaltige Massenspektrum? Der Higgs-Mechanismus „erzeugt“ zwar Massen, leistet für diese Strukturen aber keinerlei Erklärungen.

Für jedes Elementarteilchen gibt es ein Schildchen, auf dem dessen Masse sowie Nachweisjahr notiert sind. Angeordnet sind die Schildchen in einem Diagramm, in dem Masse und Nachweisjahr gegeneinander aufgetragen sind.



Massenspektrum der Elementarteilchen



Diese und noch andere Eigenschaften des Standardmodells weisen darauf hin, dass es eine neue, umfassendere Theorie geben sollte. Die Suche nach dieser neuen Theorie beruht weitgehend auf Prinzipien wie Einfachheit, Schönheit oder Natürlichkeit. Einer der wichtigsten Ansatzpunkte ist hier natürlich der Higgs-Mechanismus. Von vielen Physikern wird dieser nur als Hilfskonstruktion gesehen, der unter Umständen auf einen tiefer liegenden Mechanismus hindeutet. Denn auch hier finden sich noch einige Schönheitsfehler.



Laut der Theorie wäre das Higgs-Boson das einzige fundamentale Teilchen ohne Eigendrehimpuls. Was erst einmal wie eine kleine Randnotiz aussieht, erweist sich als gravierendes theoretisches Problem. Aus der Wechselwirkung mit den allgegenwärtigen quantenmechanischen Fluktuationen des Vakuums – hier entstehen und verschwinden laufend kurzlebige Teilchen-Antiteilchen-Paare – erhält jedes Teilchen einen Beitrag zu seiner Masse. Die Differenz zwischen dieser „Strahlungsmasse“ und der im Experiment beobachteten physikalischen Masse des Teilchens ergibt die „nackte Masse“. Letztere beschreibt also die Masse, die das Teilchen hypothetisch hätte, wenn es keine Vakuumfluktuationen gäbe.



Unter bestimmten Annahmen lässt sich die Strahlungsmasse für jedes Teilchen berechnen. Bei Teilchen mit einem Spin größer als Null, wie etwa Elektronen und Quarks, fällt die Strahlungsmasse klein aus. Die nackte Masse entspricht damit ungefähr der physikalischen Masse. Anders beim Higgs-Teilchen: Hier hängt die Strahlungsmasse vom Quadrat der höchsten Energie ab, an der das Standardmodell noch Gültigkeit besitzt. Sollte das Standardmodell tatsächlich bis zu Abständen von der Größenordnung der Plancklänge gelten, wäre die Strahlungsmasse hundert Billionen Mal größer als die physikalische Masse des neu entdeckten Teilchens von etwa 125 Gigaelektronenvolt. Es sieht also so aus, als ob die nackte Masse und die Strahlungsmasse fast exakt entgegengesetzt gleich groß wären und sich über viele Größenordnungen kompensieren.

Von neuen Symmetrien und Unteilchen



Formal stellt dies zwar kein Problem dar, aber eine solche enorme Feinjustierung schreit förmlich nach einer Erklärung. Schließlich handelt es sich bei nackter und Strahlungsmasse um zwei völlig verschiedene Dinge. Warum sollten sie also über dreißig Größenordnungen denselben Zahlenwert aufweisen? Eine Lösung dieses Feinjustierungsproblems könnte sein, dass das Standardmodell bereits bei relativ niedrigen Energien – beziehungsweise großen Abständen – durch eine übergeordnete Theorie ersetzt wird. In den meisten Fällen resultieren solche Theorien in neuen Teilchen, die dann am LHC entdeckt werden könnten.

Abgebildet ist eine alte Waage mit zwei Waagschalen. Die nackte Masse als Kugel auf der einen, die Strahlungsmasse als Tetraeder auf der anderen Seite. Der Zeiger der Waage steht genau auf 125 Gigaelektronenvolt.



Nackte Masse und Strahlungsmasse



Die neuen Theorien sind also weder durch irgendwelche inneren Widersprüche des Standardmodells noch durch experimentelle Zwänge motiviert, sondern allein durch Ästhetik. Das Feinjustierungsproblem war in den vergangenen Jahrzehnten wohl die wichtigste Triebfeder beim sogenannten Model Building – der Suche nach Modellen jenseits des Standardmodells. Oft entstehen dabei geniale, revolutionäre, mitunter vielleicht sogar abstruse Ideen, die neue Symmetrien, zusätzliche Raumdimensionen oder völlig neuartige Objekte wie beispielsweise „Unteilchen“ postulieren, und natürlich alle möglichen Kombinationen davon. Die Entdeckung des neuen Teilchens am LHC und das gleichzeitige Fehlen von Signalen anderer neuer Teilchen bedeutet für viele dieser Ideen allerdings das abrupte und definitive Ende.



Physiker und Philosophen stellen sich gleichermaßen die Frage, ob das schwer quantifizierbare Problem der Feinjustierung (Wie viel Feinjustierung ist erlaubt?) wirklich das Kriterium für neuartige Theorien sein kann, oder ob es sich dabei nur scheinbar um ein Problem handelt. Auch diese Frage verschärft sich vor dem Hintergrund der bisherigen Ergebnisse des LHC.



Bislang gibt es keinen Hinweis darauf, dass eine der vorgeschlagenen neuen Theorien verwirklicht ist. Viele Theorien, die das Feinjustierungsproblem lösen oder umgehen wollen, führen zu Ergebnissen, die im Widerspruch zu Messungen stehen. Dies bewirkt eine hohen Dynamik bei der Entwicklung von Modellen, die oft auf sehr eleganten Ideen beruhen, dann aber sehr unattraktiven Modifikationen unterworfen werden müssen, um im Einklang mit den Messungen zu bleiben. Theorien werden zwar selten verworfen, aber oft irgendwann nur noch von einigen hartgesottenen Anhängern verfolgt.



Sollte das Feinjustierungsproblem allerdings real sein, dürfte es in einem Energiebereich gelöst werden, in den der LHC in den nächsten fünf bis sechs Jahren vordringen soll. Dann lassen sich auch Teilchen aufspüren, die bis zu zehnmal schwerer sind als das im Juni 2012 entdeckte Boson.





iggs-Daten lassen nicht mehr als zwölf Materieteilchen zu



Lisa Leander 14.12.2012



Karlsruhe – Insgesamt zwölf Materieteilchen sind heute bekannt, aus denen alle Materie im Universum zusammengesetzt ist. Aufgrund ihrer Eigenschaften teilt das Standardmodell der Teilchenphysik sie in drei Generationen ein. Bislang hielten Physiker eine weitere, vierte Generation, deren Teilchen noch nicht entdeckt wurden, zumindest für möglich. Statistische Analysen der Daten, die bei der Suche nach dem Higgs-Boson gesammelt wurden, schließen diese Generation nun jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit aus. Ihre Berechnungen dazu präsentieren Forscher in der Zeitschrift „Physical Review Letters“.

Innenansicht des viele Meter hoher Detektors, dessen Innenteil aus einer röhrenförmigen Kammer besteht.



CMS-Detektor am LHC



Obwohl es drei Generationen von Materieteilchen – sogenannte Fermionen – gibt, kommen nur Teilchen der ersten Generation in größerer Menge außerhalb von Teilchenbeschleunigern vor: das Up- und Down-Quark, die Bausteine von Protonen und Neutronen, sowie das Elektron und das Elektron-Neutrino. „Warum leistet sich aber die Natur überhaupt den Luxus einer zweiten und dritten Generation, wenn diese kaum gebraucht wird? Und gibt es vielleicht sogar noch mehr Generationen an Teilchen?“, fragen sich daher Otto Eberhardt vom Institut für Theoretische Teilchenphysik am Karlsruher Institut für Technologie und seine Kollegen.



Die Wissenschaftler berechneten die Wahrscheinlichkeit für eine vierte Generation, indem sie Daten verwendeten, mit denen Forscher in den vergangenen Monaten einen möglichen Kandidaten für das Higgs-Boson nachgewiesen hatten. Die Messungen stammten von Experimenten am Teilchenbeschleuniger LHC des Forschungszentrums CERN sowie vom Beschleuniger Tevatron in den USA, der 2011 außer Betrieb ging. Außerdem berücksichtigten die Forscher bekannte Massen anderer Teilchen wie dem Z-Boson und dem Top-Quark. Das Resultat: Mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,99999 Prozent sind die aktuellen Daten nicht mit einer vierten Generation der Materieteilchen vereinbar. Das entspricht einer Signifikanz von 5,3 Sigma und gilt damit als Entdeckung.



Die Existenz des Higgs-Bosons liefert eine Erklärung dafür, warum Elementarteilchen eine Masse besitzen. Laut der damit verbundenen Theorie wechselwirken Teilchen mehr oder weniger stark mit dem sogenannten Higgs-Feld – je stärker die Wechselwirkung, desto größer die Masse. Das Higgs-Boson entsteht, wenn das Feld von schweren, energiereichen Teilchen stark angeregt wird. Da Fermionen einer vierten Generation bisher nicht in Beschleunigern beobachtet wurden, müssten sie schwerer sein als die bekannten Teilchen. Die Forscher um Eberhardt nahmen als untere Grenze 400 Gigaelektronenvolt an. Zum Verglich: Das schwerste Elementarteilchen ist bisher das Top-Quark mit rund 170 Gigaelektronenvolt. Mit einer derart hohen Masse würden die neuen Materieteilchen sehr stark mit dem Higgs-Feld wechselwirken. Dann hätte allerdings auch das Higgs-Boson andere Eigenschaften und es wäre nicht möglich gewesen, das Teilchen mit den heutigen Experimenten nachzuweisen.



Physiker am CERN sammeln derzeit weitere Daten, um zu belegen, dass es sich bei dem neu entdeckten Teilchen tatsächlich um das Higgs-Boson handelt. Die bisherigen Messungen deuten auf ein Higgs-Boson nach Vorhersage des Standardmodells hin.



Vor gut fünfzig Jahren sagten Robert Brout, François Englert und Peter Higgs ein völlig neues Prinzip – den Higgs-Mechanismus – vorher. 2013 gab es dafür den Nobelpreis für Physik. Peter Mättig von der Universität Wuppertal erklärte in unserem Podcast, wie der Higgs-Mechanismus funktioniert, warum das Standardmodell ohne Higgs-Teilchen nicht auskommt und was die Teilchenphysiker nach der erfolgreichen Suche antreibt.



Robert Brout, François Englert und Peter Higgs schlugen bereits 1964 einen Mechanismus vor, der die Masse der Elementarteilchen erklärt. Im Juni 2012 wurde ihre Idee durch den Fund einen neuen Teilchens am LHC untermauert und das Standardmodell der Teilchenphysik vervollständigt. In diesem Modell wird die gesamte im Universum sichtbare Materie auf nur zwölf Elementarteilchen zurückgeführt. Diese bilden die erste Säule des Modells.



Peter Mättig



    Peter Mättig: „Die andere Säule bilden drei Kräfte, nämlich die elektromagnetische Kraft, die starke Kraft und die schwache Kraft. Und diese Kräfte werden in unserem Bild wieder durch Teilchen übertragen. Wir haben also sowohl Teilchen in der Materie als auch Teilchen in den Kräften. Die Unterscheidung davon ist, dass die Materieteilchen einen Eigendrehimpuls von ½ haben, während die Kraftträger einen Eigendrehimpuls von eins aufweisen.“



Im Lauf der vergangenen Jahrzehnte konnten Physiker alle Materieteilchen des Standardmodells sowie ihre Wechselwirkungen in Teilchenbeschleunigern präzise vermessen. Doch ein wichtiger Baustein – oder die dritte Säule des Modells – blieb lange Zeit unentdeckt: Das Higgs-Teilchen. Und damit blieb letztlich auch unklar, wie die Teilchen des Standardmodells eigentlich zu ihrer Masse kommen.



    „Schon Galileo, Newton und Einstein haben sich mit Masse beschäftigt. Und auch in den 1950er-Jahren – als das Standardmodell noch gar nicht wirklich entwickelt wurde – stellte man sich die Frage, warum Protonen und Neutronen eine Masse besitzen und wie diese in die Theorie eingeht. An diesen Punkten haben sehr viele Leute gearbeitet. Dabei kam auch die Überlegung auf, Konzepte, die in der Festkörperphysik – insbesondere in der Supraleitung – verwendet wurden, auf die Teilchenphysik anzuwenden.“



Alles, was wir sehen – Menschen, Tiere, Pflanzen, Erde und Planeten – besteht aus Materieteilchen. Insgesamt gibt es zwölf Materieteilchen, die in sechs Quarks und sechs Leptonen unterteilt werden. Beide Gruppen bestehen aus Teilchen dreier Familien.



Elementarteilchen und Grundkräfte



Die Masse von zusammengesetzten Teilchen, wie Protonen oder Neutronen, konnten Physiker letztlich auf die starke Wechselwirkung zwischen ihren Bausteinen – den Quarks – zurückführen. Durch die dynamischen Prozesse im Inneren wird gemäß Einsteins berühmter Formel Energie in Masse umgewandelt. Wollte man die Masse der fundamentalen Teilchen erklären, schienen die bekannten Mechanismen aber zu versagen.



    „Die Elementarteilchen haben selbst keine innere Struktur. Und das bedeutet, dass auch dieser Mechanismus E = mc2 da nicht funktionieren kann. Denn innerhalb dieser elementaren Teilchen findet keine Wechselwirkung mehr zwischen verschiedenen Partnern statt. Hier muss also ein völlig neues Prinzip entwickelt werden.“



Der rätselhafte Ursprung der Teilchenmassen war allerdings nicht das einzige Problem. Denn versuchte man, die Masse der Elementarteilchen in die ersten beiden Säulen des Standardmodells zu integrieren, kam es zu gravierenden inneren Widersprüchen in der Theorie: Es traten beispielsweise Wahrscheinlichkeiten auf, die über hundert Prozent lagen.



    „Und das ist etwas, was unmöglich ist. Diese Probleme gab es schon öfter und sie wurden immer dadurch gelöst, dass man neue Teilchen einführte. Und in diesem Fall musste man nicht nur ein neues Teilchen einführen, sondern ein neues Prinzip – nämlich das Higgs-Teilchen oder das Higgs-Feld, den Higgs-Mechanismus.“



Unabhängig voneinander entwickelten François Englert und Robert Brout, der inzwischen verstarb, sowie Peter Higgs den Higgs-Mechanismus. 1964 veröffentlichten sie ihre Arbeiten in einem Band der Fachzeitschrift "Physical Review Letters", wobei sie jeweils unterschiedliche Aspekte beleuchteten. Gemein ist ihnen eine bizarre Idee: Elementarteilchen besitzen die Eigenschaft Masse eigentlich gar nicht.

Ein älterer Herr steht vor einer Schultafel voller Formeln.



François Englert



    „Masse hat ja etwas mit Trägheit zu tun: Ein massebehaftetes Teilchen kann zum Beispiel keine Lichtgeschwindigkeit annehmen, sondern sich nur mit verminderter Geschwindigkeit fortbewegen. Wenn man also einen Mechanismus findet, der erzwingt, dass sich ein Teilchen mit kleinerer Geschwindigkeit fortbewegt, dann hat man so etwas wie eine Analogie zu einer massegebenden Situation.“



Higgs und Co definierten die Eigenschaft Masse also einfach um: Dafür postulierten sie ein Feld, das den gesamten Raum ausfüllt. Alle massebehafteten Elementarteilchen treten nun mit diesem Feld in Wechselwirkung und werden dadurch gewissermaßen abgebremst. Je stärker die Kopplung an das Feld, desto größer die scheinbare Masse. Die Berechnungen der Forscher ergaben auch, dass ein solchen Higgs-Feld zwingend mit der Existenz eines neuen Elementarteilchens, nämlich des Higgs-Bosons, verbunden sein muss.



    „Diese Idee stieß nicht gleich auf wahnsinnige Begeisterung. Die Reaktion war vielleicht ein gewisses Interesse. Aber es war nicht so, dass man dachte: Jetzt ist alles gelöst und wir können die Welt total erklären. Ein wichtiger Schritt war der Beweis, dass diese Theorie mit dem Higgs-Teilchen und den anderen Prinzipien des Standardmodells renormierbar ist. Das heißt, dass sie in sich selbst konsistent ist und man diese Theorie letztlich bis zu Energien berechnen kann, die im Unendlichen liegen.“



Dass das Standardmodell mit dem Higgs-Mechanismus zu einer mathematisch konsistenten Theorie wird – sich also alle Berechnungen im Prinzip mit beliebiger Genauigkeit durchführen lassen, ohne dass es zu inneren Widersprüchen kommt – konnte erst Anfang der 1970er-Jahre bewiesen werden. Das gab der Theorie einen gewissen Vertrauensvorschuss. Zudem machte das Standardmodell genaue Vorhersagen über die Eigenschaften des Higgs-Teilchens – abgesehen von seiner Masse.



    „Aber die Tatsache, dass wir wissen, wie es produziert wird und wie es zerfällt, das heißt, welche experimentellen Signaturen wir in einem Detektor erwarten, ermöglicht uns, eine Strategie zu entwickeln, wie sich das Higgs finden lässt. Eine wesentliche Eigenschaft des Higgs ist, dass es selber mit der Masse koppelt: Je schwerer die Teilchen also sind, die wir produzieren, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir ein Higgs-Teilchen produzieren können.“



Älterer Herr mit Stift in der Hand vor einem Legomodell, das auf einem Tisch steht.



Peter Higgs



Erstmals ließen sich die nötigen Energien mit dem LEP-Beschleuniger, dem Vorgänger des LHC, am CERN erreichen, der 1989 in Betrieb ging. Zwar gelang dort kein direkter Nachweis, doch durch den Abgleich der über zehn Jahre laufenden Messungen mit der Theorie konnten Forscher die Masse des Higgs-Teilchens zwischen 114 und 180 Gigaelektronenvolt geteilt durch c2 einschränken. Auch am Teilchenbeschleuniger Tevatron am Fermilab in den USA ließen sich die Grenzen weiter einschränken, doch fündig wurde man auch dort nicht.



    „Lange Zeit war dieser Higgs-Mechanismus der einzige Mechanismus der Massengebung. Und nachdem die ersten experimentellen Suchen nach dem Higgs gescheitert waren, gab es dann – eigentlich erst vor Kurzem, vor fünf, sechs Jahren – viele neue Theorien. Und John Ellis, einer der bekannten Theoretiker, hat das einmal auf den Satz gebracht: ‚Theorists get cold feet‘ mit der Higgs-Hypothese. Also irgendwie schwante den Theoretikern, irgendwie müssen wir uns was anderes überlegen. Und da gab es tatsächlich viele Ansätze, einen alternativen Mechanismus oder einen modifizierten Higgs-Mechanismus zu entwickeln.“



Zweifeln ließ die Wissenschaftler aber nicht nur die bislang erfolglose Suche. Viele verunsicherte der unübliche Wert Null für den Eigendrehimpuls des Higgs-Teilchens. Denn bisher setzen sich alle bekannten Teilchen ohne Eigendrehimpuls aus verschiedenen Teilchen zusammen, sind also keine Elementarteilchen. Zudem löst der Higgs-Mechanismus einzig und allein das Problem mit der Masse – einige sehen ihn daher eher als eine Art Hilfskonstruktion an, um das Standardmodell an dieser Stelle zu reparieren.



    „Ein weiterer Nachteil des Higgs-Mechanismus: Er hat keine vorhersagende Wirkung, das heißt, wir finden mit dem Higgs-Mechanismus eine Art und Weise, wie den Materieteilchen – den Quarks und den Leptonen – Massen gegeben werden kann, aber wir wissen nicht, warum diese Leptonen diese bestimmte Masse besitzen. Und die Massen sind sehr, sehr unterschiedlich – vom Top-Quark, das ungefähr 180-mal so schwer ist wie ein Proton, bis zum Elektron, das ein 2000-stel einer Protonenmasse wiegt, bis hin zu den Neutrinos, die eine noch geringere Masse haben. Nichts davon wird durch den Higgs-Mechanismus erklärt.“



Für jedes Elementarteilchen gibt es ein Schildchen, auf dem dessen Masse sowie Nachweisjahr notiert sind. Angeordnet sind die Schildchen in einem Diagramm, in dem Masse und Nachweisjahr gegeneinander aufgetragen sind.



Massenspektrum der Elementarteilchen



Erst am LHC ließ sich der gesamte Massebereich abdecken, in dem man das Higgs-Teilchen noch vermutete: In dem Beschleuniger werden Protonenstrahlen mit bisher unerreichten Energien aufeinandergeschossen. Am Kollisionspunkt stoßen genau genommen die Bestandteile der Protonen – also Up- sowie Down-Quarks und Gluonen, die Kraftteilchen der starken Kraft – zusammen und setzten auf kleinstem Raum ihre Energie frei. Durch die Äquivalenz von Masse und Energie können auf diese Weise auch sehr massereiche Teilchen-Antiteilchenpaare, etwa das Top-Quark und dessen Antiteilchen entstehen, und bei deren gegenseitigen Auslöschung schließlich auch das Higgs-Boson.



    „Wir haben Billionen von Ereignissen am LHC aufgenommen und wir haben vielleicht 200 000 Higgs-Teilchen produziert. Aber diese 200 000 produzierten Teilchen bedeuten noch nicht, dass wir diese 200 000 Teilchen auch wirklich sehen können. Tatsächlich sind diese Higgs-Teilchen verdeckt unter vielen, vielen anderen Prozessen, die fast so aussehen wie das Higgs-Teilchen, aber die sehr viel dominanter erzeugt werden.“



Deshalb konzentrieren sich die Forscher nur auf die klarsten Signaturen, also nur auf bestimmte Zerfallsprodukte des Higgs-Teilchen, denn das Teilchen selbst existiert weniger als eine Trilliardstel Sekunde – viel zu kurz, um das Teilchen direkt im Detektor zu sehen. Am 4. Juli 2012 war es dann so weit: Am LHC verkündete man den Fund eines neuen Teilchens. Und die gemessenen Eigenschaften passen genau ins vorgezeichnete Bild: Produktionsweise, Zerfall, Eigendrehimpuls und sogar die Masse fallen so aus, wie für das Higgs-Teilhen erwartet.



    „All dies muss allerdings mit einer Einschränkung gesagt werden, die eigentlich für alle physikalischen Aussagen gilt: Das gilt natürlich nur innerhalb der Messgenauigkeit. Und diese Messgenauigkeit ist im Augenblick, sagen wir, in der Größenordnung von zehn Prozent. Das heißt, es bleibt noch so etwas wie zehn Prozent übrig, dass dieses Higgs-Teilchen nicht ganz mit dem übereinstimmt, was Herr Higgs vor fünfzig Jahren vorhergesagt hat. Also wir können sagen, dass es zu 90 Prozent übereinstimmt, aber es kann durchaus sein, dass noch etwas anderes dazukommt. Ich glaube, alle akzeptieren mittlerweile, dass dieses Teilchen irgendwie Masse gibt – also dass es ein Higgs-Teilchen ist –, aber ob es das Higgs-Teilchen ist, das ist noch unklar und das muss auch weiter erforscht werden.“



Tunnel des LHC



Tunnel des LHC



Denn laut Theorien jenseits des Standardmodells könnte es nicht nur ein einziges, sondern gleich fünf Higgs-Teilchen geben. Zudem ist bisher unklar, ob derselbe Mechanismus für beide Säulen – also Materieteilchen und Kräfteteilchen – gilt oder ob ein zusätzlicher Mechanismus eingeführt werden muss. Und auch, ob das Higgs-Teilchen – das ja immerhin so massereich wie ein Cäsiumatom ist – an sich selbst koppelt, also sich selbst Masse verleiht, ist noch nicht zweifelsfrei geklärt. Um diese und andere Fragen beantworten zu können, möchte man die Eigenschaften des Higgs-Teilchens viel genauer vermessen. So planen die Forscher am LHC noch einmal ein Vielfaches der bisher gesammelten Daten zu produzieren – und zwar mit verbesserten Detektoren und verfeinerten Analysemethoden. Aber auch über neue Beschleuniger denken Teilchenphysiker bereits nach.



    „Ideal wäre natürlich, einen sehr reinen Prozess zu haben. Und der würde zum Beispiel durch einen International Linear Collider möglich werden, in dem zwei Elektronstrahlen oder ein Elektron- und ein Positronstrahl aufeinandergeschossen werden, die dann keine weiteren Teilchen produzieren außer zum Beispiel dass Z0-Teilchen, was dann an das Higgs-Teilchen koppelt. Und damit hätten wir eine sehr klare Signatur für das Higgs-Teilchen und könnten viele Untersuchungen durchführen und sehr präzise zum Beispiel die Masse vermessen.“



Ein solcher Linearbeschleuniger wird derzeit für Japan geplant. Antworten auf die vielen Fragen rund um das Higgs dürften noch Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte auf sich warten lassen. Genug Zeit, um auch das Standardmodell noch einmal zu überdenken, denn trotz der Erfolge gibt es auch hier noch offene Punkte.



    „Die eine Sache ist, dass das Standardmodell immerhin 27 freie Parameter hat – Parameter, die gemessen werden müssen und hineingesteckt werden müssen in dieses Standardmodell, um dann die Rechnungen durchzuführen, die nicht aus der Theorie selbst folgen. Und es ist nicht nur die Anzahl dieser freien Parameter, die uns stört: Diese Parameter weisen eine offensichtliche Struktur auf und diese Struktur können wir nicht erklären. Also zum Beispiel die Massen oder wir haben auch verschiedene Stärken der Wechselwirkungen. Die Wechselwirkungen beruhen auf den gleichen Prinzipien, aber die Stärken sind abhängig von der Energie und treffen sich irgendwann einmal. Sie werden also gleich stark. Es riecht danach, dass wir eigentlich nur eine Kraft haben, die sich dann aufspaltet in drei Kräfte.“



Viele Galaxien vor schwarzem Hintergrund. In der Mitte befindet sich ein hantelfömiger, rosa Klumpen, an dessen beiden Seiten ein blauer Klumpen angrenzt.



Indirekter Nachweis von Dunkler Materie



Vielleicht gibt es also eine ökonomischere Theorie mit weniger Strukturen und weniger Parametern. Zudem bricht das Standardmodell zusammen, sobald die Gravitation – die nicht Teil des Modells ist – einsetzt. Dadurch müssen interne Korrekturen in der Theorie vorgenommen werden. Das Standardmodell bleibt dadurch zwar konsistent, ist aber weit entfernt von einer einfachen, ästhetischen Theorie.



    „Der andere Punkt ist, dass es auch außerhalb unserer beschleunigerorientierten Physik Hinweise darauf gibt, dass es neue Phänomene gibt – sprich die Dunkle Materie. Es scheint so, dass unser ganzes Universum zum großen Teil aus dunklem Stoff besteht: einerseits aus Dunkler Materie, anderseits aus Dunkler Energie. Und das, worum es im Standardmodell geht, macht eigentlich nur fünf Prozent des gesamten Energiehaushalts des Universums aus. Das ist natürlich auch etwas, was wir nicht haben wollen. Wir suchen also nach einer Erklärung, wie diese hundert Prozent wirklich aussehen und wie sie zusammenhängen, mit dem was wir wissen. Das heißt, wir gehen davon aus, dass das Standardmodell erweitert werden muss und eingebaut werden muss in eine größere Theorie.“



Auch wenn es zweifelsohne noch jede Menge zu tun gibt – die Vorhersage und schließlich der Fund des Higgs-Teilchens stellen einen Meilenstein in der Teilchenphysik dar. So sah es auch das Nobelpreiskomitee, das in seiner Begründung zur Preisvergabe an Higgs und Englert auch ausdrücklich den Einsatz der vielen Tausend Experimentatoren am CERN würdigte.





Nobelpreis für Physik 2013



Lisa Leander/Maike Pollmann 08.10.2013



Der diesjährige Nobelpreis für Physik geht zur Hälfte an François Englert von der Universität Brüssel und zur anderen Hälfte an Peter Higgs von der Universität Edinburgh für die theoretische Entdeckung des Higgs-Mechanismus, der die Masse von Elementarteilchen erklärt und der durch die Untersuchungen mit dem Large Hadron Collider am Forschungszentrum CERN im vergangenen Jahr bestätigt wurde.

Portrait von Francois Englert.



Francois Englert



Der Higgs-Mechanismus wurde in den 1960er-Jahren von mehreren Physikern vorausgesagt. Darunter waren der Brite Peter Higgs, der Belgier François Englert und der Amerikaner Robert Brout. Letzterer verstarb 2011. Der Higgs-Mechanismus korrigiert eine Schwäche im Standardmodell der Teilchenphysik: In der Theorie dürfen einige Teilchen keine Ruhemasse besitzen, in der Realität haben sie jedoch eine. Die Physiker führten daher ein Feld ein, welches das gesamte Universum durchdringt. Erst durch Wechselwirkung mit dem Feld erhalten Teilchen ihre Masse – je größer die Wechselwirkung, desto stärker wird das Teilchen im Feld abgebremst und desto größer ist seine Masse.

Peter Higgs schreibt Formeln auf eine transparente Tafel.



Peter Higgs



1964 leitete Peter Higgs aus dem Modell ab, dass ein weiteres Elementarteilchen existieren muss. „Faszinierend an dieser Vorhersage ist, dass die Preisträger allein aufgrund theoretischer Überlegungen in der Lage waren, nicht nur ein neues Teilchen vorherzusagen, sondern gleichzeitig auch ein neues Prinzip in die Formulierung von Naturgesetzen einzuführen. Die Entdeckung des daraus folgenden Higgs-Teilchens am LHC ist eine Sensation und ein herausragender Triumph für die Preisträger und die theoretische Physik insgesamt“, sagt Peter Schleper, Vorsitzender des Komitees für Elementarteilchenphysik KET, der Vertretung aller deutschen Teilchenphysiker.



In den vergangenen Jahren hatten Forscher am Large Hadron Collider (LHC) des Forschungszentrums CERN in Genf nach dem sogenannten Higgs-Boson gesucht. Dafür ließen sie Protonen bei einer Energie von bis zu sieben Teraelektronenvolt kollidieren. Am 4. Juli 2012 meldeten die Wissenschaftler der Experimente ATLAS und CMS den Nachweis eines Teilchens bei der vorhergesagten Masse. Weitere Analysen der Daten bestärkten ihre Ergebnisse. In Zukunft müssen die Eigenschaften des Teilchen näher untersucht werden, um zu klären, ob es sich tatsächlich um das gesuchte Higgs-Boson handelt und ob andere Theorien, zum Beispiel zur Supersymmetrie, belegt werden können.



Kerstin Tackmann vom Forschungszentrum DESY in Hamburg sucht mit ihren Kollegen im ATLAS-Experiment am LHC nach dem Higgs. Auch ihre Gruppe trug dazu bei, das neu entdeckte Teilchen aufzuspüren.



Dem Standardmodell der Teilchenphysik zufolge verleiht das Higgs-Teilchen allen Elementarteilchen ihre Masse. Die Suche nach diesem Teilchen ist eine der spannendsten Aufgaben, der wir mit dem ATLAS-Experiment am Large Hadron Collider (LHC) nachgehen. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern aus Deutschland und der ganzen Welt fahnden meine Arbeitsgruppe und ich in den ATLAS-Daten nach Hinweisen auf das Higgs-Teilchen – indem wir nach dessen Zerfall in zwei Photonen suchen.

Spuren des neuen Teilchens



Spuren des neuen Teilchens



Mein Team konzentriert sich bislang darauf, die von Photonen im ATLAS-Detektor hervorgerufenen Signale zu rekonstruieren und zu identifizieren. Damit haben wir in diesen Bereichen signifikant zu den neuen Ergebnissen vom ATLAS-Experiment beigetragen. Wir wissen jetzt, dass ein bisher unbeobachtetes Teilchen mit einer Masse von etwa 126,5 GeV/c² existiert. Ob es sich dabei tatsächlich um das Higgs-Teilchen handelt, ist dagegen noch nicht sicher.



Um diese Frage zu klären, wird man die Eigenschaften des neu entdeckten Teilchens nun genauer untersuchen: seine verschiedenen Zerfallskanäle, seine Masse sowie seinen Spin, also seinen intrinsischen Drehimpuls. Mit den bisher aufgenommenen Daten lässt sich die Higgsmasse zwar schon grob abschätzen. Doch mit den Daten, die bis zum Ende dieses Jahres aufgezeichnet werden, möchte man das Ergebnis noch verbessern.

Photonen im ATLAS-Detektor



Photonen im ATLAS-Detektor



Das lässt sich unter anderem über die Photonen bewerkstelligen, die bei Higgs-Zerfällen entstehen. Allerdings müssen wir dafür in der Lage sein, die Photonenergien im ATLAS-Detektor sehr genau zu messen. Aus diesem Grund hilft meine Gruppe dabei, den Detektor mithilfe der darin aufgezeichneten Daten genau zu charakterisieren. Dazu benutzen wir die Wechselwirkung der Photonen mit dem Detektormaterial und beobachten, wie sich ein Teil der Photonen dort in Elektron-Positron-Paare umwandelt. Auf diese Weise konnten wir die für die Energiemessung wichtige Simulation des Detektormaterials seit Beginn der Datennahme im Jahr 2010 verbessern.



In einem Nebenprojekt suchen wir in den ATLAS-Daten auch nach einem Zerfall des Higgs in vier Photonen, den das Standardmodell nicht vorhersagt. Doch in einigen Modellen, die das Standardmodell erweitern, taucht dieser Zerfallskanal auf. Bisher haben wir für diesen exotischen Zerfall aber noch keine Anzeichen gefunden. Sollte man ihn allerdings entdecken, müsste man über entsprechende Erweiterungen des Standardmodells der Teilchenphysik nachdenken.





Deutsche Institute am ATLAS-Experiment



Am ATLAS-Experiment sind neben Forschern aus der gesamten Welt auch rund 400 Wissenschaftler aus deutschen Instituten beteiligt. Die Gruppen von insgesamt 13 Universitäten (HU Berlin, Bonn, Dresden, Dortmund, Freiburg, Gießen, Göttingen, Heidelberg, Mainz, LMU München, Siegen, Würzburg und Wuppertal), vom DESY in Hamburg und Zeuthen sowie vom Max-Planck-Institut für Physik in München waren an der Konzeption, dem Bau und an der Inbetriebnahme des Detektors an vielen Stellen federführend beteiligt.



Viele wichtige Komponenten von ATLAS wurden in Deutschland gebaut und schließlich in Genf in den Gesamtdetektor integriert. Hierzu zählen hochauflösende Siliziumdetektoren, um die Bahnen elektrisch geladener Teilchen zu rekonstruieren, Kalorimeter zur Energiemessung der Teilchen und Detektoren zum Nachweis von Myonen. Darüber hinaus haben die Institute wesentlich zur Entwicklung und zum Bau des Trigger- und Datennahmesystems beigetragen. Alle diese Komponenten waren für die Entdeckung des neuen Teilchens von grundlegender Bedeutung.



Einen großen Beitrag leisteten die Arbeitsgruppen auch bei der Prozessierung und Bereitstellung der enormen Datenmenge, die von ATLAS aufgenommen wurde. Im Rahmen des weltweiten GRID-Computings – bei dem viele einzelne Rechner zu einem leistungsstarken, aber virtuellen Supercomputer verknüpft werden – stellten auch deutsche Institute signifikante Ressourcen bereit.



Seit Beginn der Datennahme am LHC liegt der Schwerpunkt der deutschen Aktivitäten auf der Datenanalyse. So rekonstruieren sie unter anderem die Signale von Elektronen, Myonen, Tau-Leptonen, b-Quarks und Photonen im Detektor, was essentiell für den Nachweis des Higgs-Teilchens ist.





Jeannine Wagner-Kuhr vom Karlruher Institut für Technologie arbeitet am CMS-Experiment am LHC. Gemeinsam mit ihrer Gruppe half sie mit, das neue Teilchen zu entdecken.



Dieser Sommer ist für mich eine besonders aufregende und spannende Zeit. Ich suche am CMS-Experiment nach dem im Standardmodell der Teilchenphysik vorhergesagten Higgs-Teilchen. Im Winter 2011 ließen sich in den Messdaten die ersten Hinweise auf die Existenz dieses Elementarteilchens finden. Mit fast der doppelten Datenmenge sowie verbesserten Analysemethoden haben sich diese Hinweise inzwischen erhärtet. Es ist die erste wirklich ganz große Entdeckung für mich als Wissenschaftlerin, zu der ich selbst beigetragen habe.

Jeannine Wagner-Kuhr und ihre Forschergruppe



Jeannine Wagner-Kuhr und ihre Forschergruppe



Als Leiterin einer Arbeitsgruppe am Karlruher Institut für Technologie suche ich zusammen mit einigen Studenten und jungen Postdocs nach einem bestimmten Zerfall des Higgs-Teilchens – und zwar in zwei Bottom-Quarks. Quarks treten in sechs verschiedenen Sorten auf und bilden als elementare Materiebausteine komplexere Teilchen, wie etwa Protonen und Neutronen. Als man das Top-Quark 1995 am US-Forschungszentrum Fermilab entdeckte, begann ich gerade Physik zu studieren. Damals habe ich das Geschehen nur in der Presse mitverfolgen können. Es war immer mein Traum, an einer ganz großen Entdeckung in der Teilchenphysik beteiligt zu sein.

Spuren des Higgs-Teilchens



Als Postdoc habe ich dann an demselben Experiment am Fermilab nahe Chicago gearbeitet, in dem Wissenschaftler Jahre zuvor das Top-Quark gefunden hatten. Ich suchte bereits damals nach Spuren in den Daten, die auf den Zerfall des Higgs-Teilchens in zwei Bottom-Quarks hindeuten. Allerdings war die Datenmenge am Fermilab zu gering, um das Higgs zu finden. Im CMS-Experiment am Large Hadron Collider (LHC) haben wir nun endlich Evidenz für ein neues Teilchen.



Die jetzigen Resultate sind die Ernte jahrzehntelanger Vorarbeiten: Detektorbau, Aufbau und Inbetriebnahme der nötigen Computing-Struktur sowie Inbetriebnahme und Verständnis des neuen Detektors. Zudem galt es, die bekannten Prozesse bei der bisher unerreicht hohen Energie des LHC aufzuarbeiteten und die Protonenkollisionen sowie die daraus resultierenden Ereignisse – darunter auch die Produktion und der Zerfall des Higgs-Teilchens – in Zusammenarbeit mit Theoretikern detailliert am Computer zu simulieren.



Gemeinsam mit meiner Gruppe habe ich dazu beigetragen, die Spuren des Higgs-Teilchens letztlich im CMS-Detektor aufzuspüren. Ein wesentlicher Schritt dorthin besteht darin, alle anderen Ereignisse im Detektor genau zu charakterisieren, um sie dann aus den Daten herausfiltern zu können. Ein solches Ereignis ist der Zerfall eines anderen schweren Elementarteilchens, des sogenannten Top-Quarks, der deutlich häufiger auftritt als der Zerfall des Higgs-Teilchens. Die dabei entstehenden Zerfallsprodukte weisen eine ähnliche Impuls- und Energieverteilung auf wie die Higgs-Ereignisse. Deshalb haben wir experimentell die Produktion von Top-Quarks bei den hohen Energien im LHC untersucht. Andere Gruppen bei CMS haben sich dagegen um andere Teilchen gekümmert, die ebenfalls zum Untergrund beitragen.



Zudem haben wir Teilchenbündel im Detektor identifiziert, die aus Bottom-Quarks hervorgehen. Diese sogenannten b-Jets enthalten Teilchen, die eine Strecke von etwa einem Milimeter zurücklegen, bevor sie zerfallen. Mit dem Siliziumdetektor lassen sich solche kleinen Strecken auflösen. Die in diesem Teil des CMS-Detektors aufgenommenen Daten werden dann in Computeralgorithmen genutzt, um b-Jets zu identifizieren. Hierzu haben wir beigetragen. Auch die Produktionsrate von Bottom-Quarks konnten wir zusammen mit anderen Kollegen erstmals messen. Da das Higgs-Teilchen vorrangig in Bottom-Quarks zerfällt, ist dieser Wert besonders wichtig für die Suche.

Standardmodell oder neue Physik?

Ereignis im CMS-Detektor



Ereignis im CMS-Detektor



Nach der jahrelangen Vorarbeit konzentrieren wir uns nun – in der heißen Phase – auf die direkte Analyse von Zerfällen des Higgs-Bosons in zwei Bottom-Quarks. Im Gegensatz zu den Zerfallskanälen in zwei Photonen oder zwei Z-Teilchen ist die Sensitivität auf das Higgs-Boson hier zwar noch etwas schlechter, liegt aber dennoch in der gleichen Größenordnung. Bisher haben wir allerdings kein Signal gefunden. Bei dem vom Standardmodell vorhergesagten Zerfall des Higgs in zwei Tau-Leptonen, nach dem bei CMS ebenfalls gesucht wird, sieht man sogar ein Defizit. Lässt sich das mit weiteren Daten bestätigen, wäre dies ein sicheres Indiz dafür, dass wir neue Physik gefunden haben. „Das“ Higgs-Teilchen, wie es das Standardmodell der Teilchenphysik vorhersagt, wäre damit zwar ausgeschieden. Dennoch könnte es sich um „ein“ Higgs-Teilchen handeln, mit etwas anderen Eigenschaften.



In den nächsten Monaten wird sich durch zusätzliche Daten aus dem Teilchenbeschleuniger klären lassen, ob es sich bei dem neuen Teilchen tatsächlich um das lang gesuchte Higgs handelt oder doch um ein higgsartiges oder sogar ein bisher unbekanntes Teilchen. Für mich persönlich wäre ein Abweichen vom Standardmodell noch spannender, denn dann hätten wir einen ganz klaren Beweis für etwas Neues und Unerwartetes gefunden. Und daraus könnten wir vielleicht etwas über die noch offenen Fragen bezüglich der Natur der fundamentalen Teilchen sowie der Entstehung und Entwicklung unseres Universums lernen.

Jeannine Wagner-Kuhr vom Karlruher Institut für Technologie arbeitet am CMS-Experiment am LHC. Gemeinsam mit ihrer Gruppe half sie mit, das neue Teilchen zu entdecken.



Dieser Sommer ist für mich eine besonders aufregende und spannende Zeit. Ich suche am CMS-Experiment nach dem im Standardmodell der Teilchenphysik vorhergesagten Higgs-Teilchen. Im Winter 2011 ließen sich in den Messdaten die ersten Hinweise auf die Existenz dieses Elementarteilchens finden. Mit fast der doppelten Datenmenge sowie verbesserten Analysemethoden haben sich diese Hinweise inzwischen erhärtet. Es ist die erste wirklich ganz große Entdeckung für mich als Wissenschaftlerin, zu der ich selbst beigetragen habe.

Jeannine Wagner-Kuhr und ihre Forschergruppe



Jeannine Wagner-Kuhr und ihre Forschergruppe



Als Leiterin einer Arbeitsgruppe am Karlruher Institut für Technologie suche ich zusammen mit einigen Studenten und jungen Postdocs nach einem bestimmten Zerfall des Higgs-Teilchens – und zwar in zwei Bottom-Quarks. Quarks treten in sechs verschiedenen Sorten auf und bilden als elementare Materiebausteine komplexere Teilchen, wie etwa Protonen und Neutronen. Als man das Top-Quark 1995 am US-Forschungszentrum Fermilab entdeckte, begann ich gerade Physik zu studieren. Damals habe ich das Geschehen nur in der Presse mitverfolgen können. Es war immer mein Traum, an einer ganz großen Entdeckung in der Teilchenphysik beteiligt zu sein.

Spuren des Higgs-Teilchens



Als Postdoc habe ich dann an demselben Experiment am Fermilab nahe Chicago gearbeitet, in dem Wissenschaftler Jahre zuvor das Top-Quark gefunden hatten. Ich suchte bereits damals nach Spuren in den Daten, die auf den Zerfall des Higgs-Teilchens in zwei Bottom-Quarks hindeuten. Allerdings war die Datenmenge am Fermilab zu gering, um das Higgs zu finden. Im CMS-Experiment am Large Hadron Collider (LHC) haben wir nun endlich Evidenz für ein neues Teilchen.



Die jetzigen Resultate sind die Ernte jahrzehntelanger Vorarbeiten: Detektorbau, Aufbau und Inbetriebnahme der nötigen Computing-Struktur sowie Inbetriebnahme und Verständnis des neuen Detektors. Zudem galt es, die bekannten Prozesse bei der bisher unerreicht hohen Energie des LHC aufzuarbeiteten und die Protonenkollisionen sowie die daraus resultierenden Ereignisse – darunter auch die Produktion und der Zerfall des Higgs-Teilchens – in Zusammenarbeit mit Theoretikern detailliert am Computer zu simulieren.



Gemeinsam mit meiner Gruppe habe ich dazu beigetragen, die Spuren des Higgs-Teilchens letztlich im CMS-Detektor aufzuspüren. Ein wesentlicher Schritt dorthin besteht darin, alle anderen Ereignisse im Detektor genau zu charakterisieren, um sie dann aus den Daten herausfiltern zu können. Ein solches Ereignis ist der Zerfall eines anderen schweren Elementarteilchens, des sogenannten Top-Quarks, der deutlich häufiger auftritt als der Zerfall des Higgs-Teilchens. Die dabei entstehenden Zerfallsprodukte weisen eine ähnliche Impuls- und Energieverteilung auf wie die Higgs-Ereignisse. Deshalb haben wir experimentell die Produktion von Top-Quarks bei den hohen Energien im LHC untersucht. Andere Gruppen bei CMS haben sich dagegen um andere Teilchen gekümmert, die ebenfalls zum Untergrund beitragen.



Zudem haben wir Teilchenbündel im Detektor identifiziert, die aus Bottom-Quarks hervorgehen. Diese sogenannten b-Jets enthalten Teilchen, die eine Strecke von etwa einem Milimeter zurücklegen, bevor sie zerfallen. Mit dem Siliziumdetektor lassen sich solche kleinen Strecken auflösen. Die in diesem Teil des CMS-Detektors aufgenommenen Daten werden dann in Computeralgorithmen genutzt, um b-Jets zu identifizieren. Hierzu haben wir beigetragen. Auch die Produktionsrate von Bottom-Quarks konnten wir zusammen mit anderen Kollegen erstmals messen. Da das Higgs-Teilchen vorrangig in Bottom-Quarks zerfällt, ist dieser Wert besonders wichtig für die Suche.

Standardmodell oder neue Physik?

Ereignis im CMS-Detektor



Ereignis im CMS-Detektor



Nach der jahrelangen Vorarbeit konzentrieren wir uns nun – in der heißen Phase – auf die direkte Analyse von Zerfällen des Higgs-Bosons in zwei Bottom-Quarks. Im Gegensatz zu den Zerfallskanälen in zwei Photonen oder zwei Z-Teilchen ist die Sensitivität auf das Higgs-Boson hier zwar noch etwas schlechter, liegt aber dennoch in der gleichen Größenordnung. Bisher haben wir allerdings kein Signal gefunden. Bei dem vom Standardmodell vorhergesagten Zerfall des Higgs in zwei Tau-Leptonen, nach dem bei CMS ebenfalls gesucht wird, sieht man sogar ein Defizit. Lässt sich das mit weiteren Daten bestätigen, wäre dies ein sicheres Indiz dafür, dass wir neue Physik gefunden haben. „Das“ Higgs-Teilchen, wie es das Standardmodell der Teilchenphysik vorhersagt, wäre damit zwar ausgeschieden. Dennoch könnte es sich um „ein“ Higgs-Teilchen handeln, mit etwas anderen Eigenschaften.



In den nächsten Monaten wird sich durch zusätzliche Daten aus dem Teilchenbeschleuniger klären lassen, ob es sich bei dem neuen Teilchen tatsächlich um das lang gesuchte Higgs handelt oder doch um ein higgsartiges oder sogar ein bisher unbekanntes Teilchen. Für mich persönlich wäre ein Abweichen vom Standardmodell noch spannender, denn dann hätten wir einen ganz klaren Beweis für etwas Neues und Unerwartetes gefunden. Und daraus könnten wir vielleicht etwas über die noch offenen Fragen bezüglich der Natur der fundamentalen Teilchen sowie der Entstehung und Entwicklung unseres Universums lernen.

Das Standardmodell der Teilchenphysik beschreibt die bekannten Elementarteilchen und deren Wechselwirkungen zwar sehr erfolgreich. Einer Antwort darauf, woher die Teilchen ihre Masse beziehen, bleibt es aber schuldig. 1964 schlugen Wissenschaftler einen Mechanismus vor, nach dem ein bislang hypothetisches Elementarteilchen diese Aufgabe erfüllt. Wird diese fast fünfzig Jahre alte Idee bald Realität?



Das gesamte Universum ist mit einem Gelee gefüllt, in das die Elementarteilchen eingebettet sind und so ihre Masse erhalten. Dies ist die Essenz des Higgs-Mechanismus. Nach dem Higgs-Teilchen, dem sichtbaren Ausdruck dieser rund fünfzig Jahre alten Idee, wird intensiv gesucht. Denn während alle anderen Bausteine des Standardmodells, dem theoretischen Unterbau der Teilchenphysik, bereits gefunden und genau untersucht sind, bleibt das Higgs-Teilchen bisher verborgen.



Seit Jahrzehnten werden neue Teilchenbeschleuniger gebaut, auf deren Agenda auch die Suche nach dem Higgs steht. Der leistungsstärkste unter ihnen ist der Large Hadron Collider (LHC) am Europäischen Zentrum für Teilchenphysik CERN in Genf, der vor etwa zwei Jahren seinen Betrieb aufnahm. Die nun bekannt gewordenen Daten nähren die Hoffnung, dass das Higgs-Teilchen bei einer Masse von ungefähr 125 GeV/c² entdeckt ist – das Teilchen wäre damit so schwer wie ein Cäsiumatom.

Das Rauschen des LHC



Die Suche nach dem Higgs-Teilchen ähnelt der Suche nach einem Sender im Autoradio. Wenn man es einschaltet, hört man zunächst nur Rauschen. Erst mit dem Durchfahren der Frequenzen ergibt sich allmählich ein Ton, der umso klarer klingt, je genauer eine ausgestrahlte Frequenz eingestellt wird. Hier – wie auch bei der Suche nach dem Higgs-Teilchen – gibt es stärkere und schwächere Signale.

Tunnel des LHC



Tunnel des LHC



So fällt das Radiosignal beispielsweise schwächer aus, wenn man sich weit entfernt von einem Sendemast aufhält. Natürlich hängt der Empfang eines Senders auch davon ab, in welchem Frequenzband die Radiostation sendet. Strahlt der Deutschlandfunk zum Beispiel nur auf UKW aus, nützt ein Langwellenradio nichts. Bildlich gesprochen haben die bisherigen Beschleuniger einfach noch nicht die Frequenzen erreicht, in denen der „Radiosender Higgs“ sendet. Erst der LHC kann das gesamte verbleibende Frequenzband abdecken.



Was für den Radioempfang die Frequenz, ist für Teilchenphysiker die Masse: Bei einer bestimmten Masse sollten mehr Ereignisse zu sehen sein, als vom Rauschen allein erwartet. Bei der Suche nach dem Higgs-Teilchen ist das Rauschen allerdings um Größenordnungen stärker als im Radio. Denn im LHC finden pro Sekunde vierzig Millionen Kollisionen statt, bei denen jeweils zwei Protonensalven aufeinanderprallen. Insgesamt haben die großen LHC-Experimente ATLAS und CMS bisher Daten in einem Zeitraum von etwa zehn Millionen Sekunden aufgenommen. Aus dieser riesigen Datenmenge extrahierten die Wissenschaftler jeweils etwa 4,5 Billionen interessante Kollisionen. Diese Billionen Ereignisse stellen das Rauschen dar, aus dem das erwartete Signal von nur 200.000 Higgs-Teilchen herausgefiltert werden muss. Eine Nadel im Heuhaufen!



Immerhin erleichtern theoretische Vorhersagen die Suche nach dem Higgs-Teilchen: Abgesehen von der Masse, sind seine Eigenschaften ganz genau bekannt. Tatsächlich ist das Higgs nicht stabil, sondern zerfällt innerhalb eines winzigen Sekundenbruchteils. Was gemessen werden kann, sind die Überbleibsel, also seine Zerfallsprodukte. So wie sich ein Fluss, bevor er ins Meer mündet, in verschiedene Läufe aufspaltet, die unterschiedliche Mengen an Wasser führen, zerfällt das Higgs in unterschiedlichem Maße in verschiedene andere Teilchen. Das Standardmodell legt für das Higgs-Teilchen sowohl Zerfallswege als auch deren Stärken genau fest.

Wie sieht ein Higgs-Teilchen im Experiment aus?



Higgs-Teilchen zerfallen in die grundlegenden Materiebausteine, wie beispielsweise in Quarks oder die massereichen Träger der schwachen Wechselwirkung, die sogenannten W- und Z-Bosonen. Wöge das Higgs beispielsweise 125 GeV/c², so würden in 50 Prozent der Zerfälle zwei schwere Bottom-Quarks erzeugt, in 25 Prozent ein Paar W-Bosonen und in drei Prozent ein Paar Z-Bosonen. Diese Elementarteilchen zerfallen dann innerhalb kürzester Zeit in stabile Teilchen wie Elektronen, Myonen, Neutrinos oder Hadronen. Neben diesen Prozessen gibt es auch den Zerfall in zwei stabile Photonen, in die aber nur 0,2 Prozent aller Higgs-Teilchen zerfallen. Dies sind die wichtigsten Zerfälle, nach denen am LHC momentan gesucht wird.



Das Vorgehen der Physiker lässt sich wieder mit der Sendersuche im Autoradio vergleichen: Je genauer die Frequenz des Empfängers mit der des Radiosenders übereinstimmt, desto besser ist dieser zu empfangen. Entsprechend gilt: Je genauer die Masse des Higgs gemessen wird, desto deutlicher der Kontrast gegenüber dem Rauschen. Dies erfordert eine genaue Vermessung der Zerfallsprodukte. 

Proton-Proton-Kollision im CMS-Detektor



Proton-Proton-Kollision im CMS-Detektor



Im Gegensatz zu einem Autoradio ist ein Digitalradio fast rauschfrei. Hierin wird das Rauschen mit speziellen Verfahren weitgehend unterdrückt. Auch bei der Suche nach dem Higgs setzen die Wissenschaftler verschiedene Verfahren zur Rauschunterdrückung ein und erzielen für die gesuchten Zerfallskanäle recht unterschiedliche Erfolge.



Auch wenn das Higgs-Teilchen vorrangig in Bottom-Quarks zerfällt, ist dies ein schwieriger Kanal. Denn am LHC werden riesige Mengen an Bottom-Quarks produziert – das Rauschen ist also gewaltig. Hinzu kommt, dass die Masse dieser Elementarteilchen nicht präzise bestimmt werden kann, und der „Higgs-Sender“ sich deswegen nicht stark aus dem Rauschen hervorhebt.



Ganz anders der „goldene“ Zerfall, in dem das Higgs in zwei Z-Teilchen zerfällt, die wiederum in jeweils zwei Elektronen oder deren schwere Pendants, die Myonen, zerfallen. Diese Teilchen treten in den „normalen“ LHC-Kollisionen vergleichsweise selten auf, weshalb sich die Masse des Higgs über diesen Zerfall präzise bestimmen lässt. Der Preis des sehr klaren Signals ist allerdings, dass von den ursprünglich 200.000 gerade einmal 20 Higgs-Teilchen übrig bleiben.



Um beispielsweise den Zerfall des Higgs über zwei Z-Teilchen in vier Elektronen nachzuweisen, suchen die Physiker am CERN in ihren Detektoren nach den charakteristischen Spuren der beteiligten Elektronen. Auch wenn Elektronen diejenigen Teilchen sind, die sich am LHC fast am leichtesten identifizieren lassen, ist ein erheblicher Aufwand nötig: Sie müssen aus rund tausend anderen Teilchen herausgefiltert werden, die bei jeder Kollision der Protonenbündel produziert werden. Die Wissenschaftler verwenden deshalb hoch präzise Nachweisgeräte sowie ausgefeilte Algorithmen, die die Informationen aller Detektorteile kombinieren. Darüber hinaus überprüfen sie kontinuierlich die Güte der aufgenommenen Daten. 

Experimente am LHC



Wie eine Zwiebel bestehen die Experimente am LHC aus Schalen verschiedener Detektoren. Jede dieser Zwiebelschalen ist jeweils für den Nachweis einer bestimmten Teilchenart optimiert. Die wesentlichen Hinweise für die Suche nach den charakteristischen Elektronen kommen vom Spurdetektor – dem innersten Teil des Experiments – sowie vom Kalorimeter, das sich weiter außen befindet. Beide Detektoren bestimmen die Energie der betreffenden Teilchen nicht nur sehr genau, sondern liefern auch zusätzliche, sich ergänzende Informationen.

Teilchenspuren im ATLAS-Detektor



Teilchenspuren im ATLAS-Detektor



Der Spurdetektor misst nur Teilchen, die eine elektrische Ladung tragen. Allerdings sieht ein Elektron dabei (fast) so aus wie jedes andere geladene Teilchen. Im Gegensatz dazu unterscheidet das Kalorimeter nicht zwischen geladenen und ungeladenen Teilchen. So gleicht darin ein neutrales Photon nahezu einem Elektron. Beide Teilchen hinterlassen Signale, deren Ort die Forscher auf wenige Millimeter genau bestimmen können. Glücklicherweise unterscheiden sich fast alle anderen Teilchen im Kalorimeter deutlich davon. Erst durch das Zusammenspiel der Informationen aus dem Spurdetektor und dem Kalorimeter lassen sich die Elektronen schließlich aus der Datenflut herausfiltern.



Absolut essentiell dabei ist die Präzision. So messen die Wissenschaftler die Bahn eines Elektrons in den Spurkammern an typischerweise 15 Punkten mit einer Genauigkeit von rund 0,01 Millimetern – was einem Zehntel des Haardurchmessers entspricht. Aus diesen Punkten schließen sie auf seine Energie und Richtung und vergleichen die Ergebnisse dann mit dem Kalorimetersignal.



 Später werten komplexe Algorithmen die Flugbahnen der Teilchen sowie ihr Verhalten im Kalorimeter – also beispielsweise in welchem Bereich sie dort wie viel Energie abgegeben haben – aus. Auf diese Weise lassen sich verbleibende Fehlinterpretationen unterdrücken. Allerdings variieren die beobachteten Muster etwas mit der Zeit und den Bedingungen der Datennahme. Zudem sehen sie in verschiedenen Bereichen des Detektors anders aus. Während der Datennahme muss deswegen unter anderem genauestens untersucht werden, ob einzelne Teile des Detektors ausgefallen sind, die elektronischen Signale sich verändert haben oder die Position der einzelnen Detektoren sich verschoben hat. Typischerweise vergehen mehrere Wochen zwischen Datennahme und endgültiger Kalibrierung der Detektoren.

Ist das beobachtete Teilchen das Higgs?



Die Physiker am CERN haben sehr starke Hinweise auf die Existenz eines neuen Teilchens in verschiedenen Zerfallskanälen gefunden. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich dabei nur um zufällige Ausschläge des Rauschens handelt, ist verschwindend gering. Ist die Existenz des Higgs-Teilchens also bewiesen?

Daten des ATLAS-Experiments



Daten des ATLAS-Experiments



Es gibt einige Punkte, die dies nahe legen. Erst einmal stimmt die Masse mit der erwarteten überein. Enorm präzise Messungen und theoretische Rechnungen in der Vergangenheit lassen nur eine Higgs-Masse zwischen 114 und 185 GeV/c² zu. Das jetzt gemessene Signal von 125 GeV/c² passt dazu sehr gut. Auch dass dieses Teilchen bei den Zerfällen in zwei Z-Bosonen und in zwei Photonen auftritt, entspricht den Erwartungen für ein Higgs-Teilchen – ja, legt einige der Eigenschaften des gesehenen neuen Teilchens sogar fest.



Und dennoch bedarf es weiterer genauer Untersuchungen, um sicher zu sein, dass es ein Higgs-Teilchen ist. Wie besprochen ist das Higgs eingeführt worden, um elementaren Teilchen Masse zu geben. Der nächste Schritt ist jetzt, zu überprüfen, ob die Eigenschaften dieses Teilchens mit diesen Vorhersagen übereinstimmen. Dafür müssen alle wichtigen Zerfälle des Teilchens mit möglichst hoher Genauigkeit gemessen werden. Unter anderem muss untersucht werden, wie häufig es in die verschiedenen Kanäle zerfällt. Theoretisch ist dies genau festgelegt.



Besonders interessant wäre es, zu messen, wie häufig das neue Teilchen in Quarks oder in Tau-Leptonen zerfällt. Es wird erwartet, dass die Wahrscheinlichkeit proportional dem Quadrat der Masse dieser Teilchen ist. Erst ein solch umfassendes experimentelles Programm kann Antworten auf die Frage geben, ob das Higgs-Teilchen gefunden wurde. Abweichungen von diesen Erwartungen deuten möglicherweise darauf hin, dass es sich bei dem gefundenen Teilchen um etwas ganz anderes als das Higgs handelt, oder aber dass dieses eine Teilchen durch weitere ähnliche Signale ergänzt werden muss.

Daten des CMS-Experiments



Daten des CMS-Experiments



Wenn sich in weiteren Untersuchungen wirklich erweist, dass das Higgs-Teilchen gefunden ist, schließt dies eine fünfzigjährige Erfolgsgeschichte der Teilchenphysik ab. Zugleich wirft die Existenz eines solchen Teilchens aber neue Probleme auf. Um das Standardmodell berechenbar zu machen, müssen technische Tricks angewendet werden. Theoretiker haben sich daran gewöhnt, durch kleine, per Hand eingeführte Korrekturen – sogenannte Renormierungen – ihre Rechnungen konsistent zu machen.



Bisher lagen diese Korrekturen bei wenigen Prozent. Die Existenz des Higgs-Teilchens hingegen erfordert Korrekturen von gigantischem Ausmaß. Auch wenn dies technisch zu rechtfertigen ist, gelten solche Nachbesserungen als „unnatürlich“. Vermieden werden könnten sie durch neue Teilchen, Kräfte oder räumlichen Dimensionen. Solche neuen Elemente führen eventuell zu einem noch umfassenderen Verständnis der Struktur der kleinsten Materieteilchen. Mit dem LHC steht ein hervorragendes Instrument zur Verfügung, um möglicherweise auch hier die Richtung zu weisen.



Kompakt und massiv: Das Experiment CMS am LHC sucht nach neuer Physik und stellt unser Verständnis der Welt des Allerkleinsten auf die Probe.



Den Grundplänen unseres Universums nachzugehen, haben wir uns mit dem CMS-Experiment zum Ziel gesetzt. Dabei werden wir die Zusammenstöße von Protonen untersuchen, die zuvor im LHC-Beschleuniger auf bisher unerreichte Energien gebracht wurden. Auf diese Weise hoffen wir, die Mechanismen besser zu verstehen, die unsere Welt regieren.

ie beiden Hälften des CMS-Detektors, die einige Meter auseinander geschoben sind. Es sind Stahl, Elektronik und metallische Komponenten zu erkennen.



Der CMS-Detektor



Das Vorhaben ist gewaltig: Unser Detektor ist 21 Meter lang, hat einen Durchmesser von 16 Metern, besteht aus rund 100 Millionen Einzelteilen und kostet 350 Millionen Euro. Rund 2600 Personen aus 180 Instituten in 38 Ländern nehmen an dem Projekt teil.



In der Nähe des französischen Dorfes Cessy, rund 15 Kilometer vom Genfer Flughafen entfernt, befindet sich der CMS-Detektor – hundert Meter tief unter der Erde. Seine Bestandteile sind schalenförmig um eine der Stellen angeordnet, an denen sich die Bahnen der Protonen im LHC kreuzen. Der 12.500 Tonnen schwere Koloss dient dabei dem Nachweis der Teilchen, die bei den Zusammenstößen entstanden – darunter solche, die schon aus anderen Experimenten bekannt sind, aber vielleicht auch neue, schwere Teilchen, die an bisherigen Beschleunigern nicht erzeugt werden konnten, weil die Energien dazu nicht ausreichten.



Zwei Gruppen von Teilchen sind dabei von besonderem Interesse: Zum einen wird nach den Higgs-Teilchen gesucht. Diese Teilchen stehen mit einer Idee im Zusammenhang, die der britische Physiker Peter Higgs vorschlug, um zu erklären, warum Teilchen eine Masse haben. Danach wechselwirken alle Teilchen mit dem so genannten Higgs-Feld, dessen Existenz sich über den Nachweis von entsprechenden Higgs-Teilchen nachweisen ließe.

Computergrafik: Im Querschnitt des CMS-Detektors sind deutlich vier rote Spuren zu erkennen.



Simulation: Higgs-Zerfall am CMS



Bis heute konnten diese fundamentalen Bausteine im Verständnis des Mikrokosmos jedoch experimentell noch nicht aufgespürt werden. Das CMS-Experiment am LHC ist optimal aufgestellt, um diese Teilchen zu finden, wenn es sie gibt.



Zum anderen wollen wir überprüfen, ob supersymmetrische Teilchen existieren. Der Idee der Supersymmetrie zufolge gibt es zu allen bisher bekannten Teilchen Partnerteilchen. Diese noch nicht entdeckten supersymmetrischen Teilchen sind nicht zuletzt deshalb heiß begehrt, weil möglicherweise die dunkle Materie im Universum, für die die Astrophysiker bisher keine Erklärung gefunden haben, aus solchen Teilchen besteht. Mit Hilfe der Supersymmetrie ließen sich aber auch zahlreiche andere offene theoretische Fragen beantworten.



Zudem dringt der LHC in Energiebereiche vor, in denen sich Zusammensetzungen aus schweren Quarks untersuchen lassen. Das Augenmerk ist dabei besonders auf Verbindungen aus Top-Quarks gerichtet – Elementarteilchen, die so viel wiegen wie Goldatome. Diese Teilchen genauer als bisher möglich vermessen zu können, wird uns ermöglichen, die gegenwärtigen Theorien gründlich zu überprüfen und auch Prognosen für noch höhere Energiebereiche zu erstellen.

Der Name



CMS steht für „Compact Muon Solenoid“. „Compact“, weil CMS zwar fast so viel wiegt wie der Eiffelturm, er aber im Vergleich zu anderen Detektoren dieser Art geringe Ausmaße hat. „Muon“, weil beim Design des Detektors besonders viel Augenmerk auf den Nachweis von Myonen, schweren Varianten der Elektronen, gelegt wurde. Und „Solenoid“, weil dies der Typ der Magnetspule in seinem Inneren ist; es handelt sich hier um den weltweit größten supraleitenden Magneten dieser Art.

Der CMS-Detektor wurde zunächst von 2000 bis 2004 an der Oberfläche zusammengebaut und getestet und dann in Einzelteilen wieder in die unterirdische Halle herabgelassen. Dies hatte den Vorteil, dass man mit dem Zusammenbau schon beginnen konnte, als der LHC-Vorgänger LEP noch in Betrieb war.

Deutsche Beteiligung

Der Schriftzug CMS vor schalenförmig angeordneten Ringsegmenten, durch die vier rote Teilchenspuren verlaufen.



CMS-Logo



Das CMS-Projekt ist international aufgestellt: Forscher aus 174 Instituten aus 38 Ländern nehmen daran teil. Aus Deutschland sind dabei Wissenschaftler der RWTH Aachen, der Universitäten Hamburg und Karlsruhe sowie vom Forschungszentrum DESY vertreten.



Die deutschen CMS-Forschergruppen haben wesentliche Beiträge zu Entwicklung und Konstruktion der Spurdetektoren (Silizium-Streifendetektoren und gasgefüllte Driftkammern für die Myonen) geleistet. Der Silizium-Streifendektor (siehe Foto) ist mit einer aktiven Fläche von 210 Quadratmetern der mit Abstand größte Detektor seiner Art. Er besteht aus feinen, im Abstand von typisch 0,05 Millimetern angeordneten Siliziumstreifen. Er kann die Bahn durchfliegender Teilchen mit einer absoluten Genauigkeit von 0,02 Millimetern rekonstruieren – das ist weniger als die Dicke eines Haares. Deutschland steuert ein Viertel zu dieser Detektorkomponente bei. Ferner haben deutsche Physiker und Ingenieure 70 von den 250 Myonkammern gebaut, in denen die Myonen durch Ionisation eines Gases eine messbare Spur hinterlassen. Die Myondetekoren in CMS decken insgesamt eine Fläche von mehr als zwei Fußballfeldern ab.



Die CMS-Physiker der beteiligten deutschen Institute arbeiten auch intensiv an der Vorbereitung der Datenanalyse. Die jetzigen Arbeiten umfassen sowohl den Aufbau einer adäquaten Computing-Infrastruktur als auch detaillierte Simulations-Studien, zum Beispiel zur Identifizierung und Vermessung von supersymmetrischen Teilchen.

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