Bisam
Author D.Selzer-McKenzie
Video:
http://www.youtube.com/watch?v=uzFj-5JMRs8
Die Bisamratte (Ondatra zibethicus) oder Bisam ist eine ursprünglich ausschließlich in Nordamerika beheimatete Nagetierart, die sich ausgehend von Böhmen und später Frankreich über fast ganz Europa und Asien ausgebreitet und als neue Art (Neozoon) etabliert hat. Die im deutschen Sprachgebrauch üblicherweise verwendete Bezeichnung Bisamratte ist biologisch irreführend, denn es handelt sich bei der Bisamratte keineswegs um eine Rattenart. Die Bisamratte gehört vielmehr zu den Wühlmäusen (Arvicolinae), deren größter lebender Vertreter sie ist.
Die Bezeichnung Bisam leitet sich vom türkischen besem (deutsch „Geruch“) her. Zudem ist es eine andere Bezeichnung für Moschus, einen vom Moschushirsch (Moschus moschiferus) erzeugten Duftstoff. Die Bisamratte verdankt ihren Namen einem stark nach Moschus duftenden Sekret, das die Geschlechtsanhangdrüsen der Männchen absondern.
In der Pelzbranche wird das Fell der Bisamratte als Bisam bezeichnet.
Zu den volkstümlichen Bezeichnungen der Bisamratte gehören auch die Bezeichnungen Moschusratte, Zwergbiber, Bisambiber, Zibetratte, Sumpfkaninchen, Sumpfhase und Wasserkaninchen. Die Bisamratte wird gelegentlich mit der Biberratte (Nutria) verwechselt.
Die Bisamratte ist mit einer Kopf-Rumpf-Länge von rund 35 cm und einer Schwanzlänge von etwa 22 Zentimeter kleiner als ein Nutria (Myocastor coypus) oder ein Biber (Castor fiber) und größer als eine Wanderratte (Rattus norvegicus). Das Gewicht liegt in der Regel zwischen 0,8 und 1,6 Kilogramm (maximal: 2,3 Kilogramm). Die Bisamratte ist von gedrungener, rattenartiger Gestalt. Der kurze und dicke Kopf geht äußerlich ohne Hals in den Rumpf über. Der Schwanz ist fast nackt und seitlich abgeplattet.
Die Bisamratte ist hervorragend an das Leben im Wasser angepasst. Sie hat wasserdicht verschließbare Ohren, deren Ohrmuscheln tief im Fell versteckt liegen. Obwohl ihre hinteren Pfoten im Gegensatz zu Bibern und Nutrias keine Schwimmhäute aufweisen, ist die Bisamratte ein geschickter Schwimmer und Taucher. Statt der Schwimmhäute besitzen Bisams sogenannte Schwimmborsten: steife Haare, die als Saum an den Rändern der Zehen wachsen und so die Zehen paddelartig vergrößern. Für den Hauptantrieb bei der Fortbewegung im Wasser sorgen die langen kräftigen Beine und die weit gespreizten Hinterfüße. Zur Steuerung und Unterstützung der Schwimmbewegung nutzt die Bisamratte ihren Schwanz, den sie in horizontaler Ebene nach rechts und links bewegt. Ihr Fell ist sehr dicht und wasserabweisend, so dass sie sich häufig für längere Zeit im Wasser aufhalten kann.
Das Fleisch des Bisam ist essbar. Sein Fell ist für die Pelzindustrie sehr wertvoll. Es variiert von schwarz über dunkelbraun bis cremefarben, vereinzelt gibt es auch Albinos, daher gilt er in einigen Ländern wie z. B. den USA als wertvolles Nutz-, Jagd- und Zuchttier. Sein Lebensraum liegt am Wasser.
Bisamratten halten sich überwiegend im Wasser auf. Sie sind ausgezeichnete Schwimmer und können bis zu zehn Minuten tauchen. An Land wirkt die Bisamratte dagegen eher unbeholfen. Das scheue Tier nimmt fast jedes einigermaßen geeignete Fließ- und Stillgewässer als Lebensraum an. Bisamratten sind in der Regel nacht- und dämmerungsaktiv. Wie bei vielen anderen Tierarten wie beispielsweise beim Rotfuchs und beim Wildschwein ist der Tag- und Nachtrhythmus jedoch abhängig von Störungen durch Menschen. In Gebieten, in denen sie relativ ungestört sind, sind sie häufig auch tagsüber zu beobachten.
Innerhalb der Art spielen optische und olfaktorische Signale eine Rolle. Das Männchen setzt während der Fortpflanzungszeit Kot an den Reviergrenzen ab. Während dieser Zeit vergrößern sich auch die paarigen Präputialdrüsen stark, in denen das Moschussekret erzeugt wird. Laute äußert die Bisamratte selten. Während der Paarung geben beide Tiere mitunter quäkende Töne von sich und Nestjungen piepsen ähnlich wie Mäuse. Bei Konfrontationen mit Artgenossen oder bei Bedrohung schlagen Bisamratten in rascher Folge die Schneidezähne aufeinander und erzeugen damit ein weit hörbares Geräusch.
Bisamratten errichten zwei unterschiedliche Formen von Bauen. Der Typus ist abhängig vom Lebensraum.
Überall da, wo eine Uferpartie die Möglichkeit bietet, graben Bisamratten als Unterschlupf Erdbaue, deren Eingänge unter Wasser liegen. Bei steigendem oder fallendem Wasserstand wird der Eingang entsprechend höher oder tiefer angelegt. Hierbei unterminieren sie häufig Deiche, Dämme und Befestigungsanlagen, wodurch sie der Wasserwirtschaft große Probleme bereiten können. Zum Graben nutzen sie sowohl die Vorderpfoten als auch die Nagezähne. Vom Eingang zum Bau führt eine Röhre schräg aufwärts und endet in einem Kessel.
Dort wo das Biotop keine Möglichkeit bietet, einen solchen Erdbau zu errichten, bauen Bisamratten 0,5 bis 2 Meter hohe Behausungen aus Röhricht und anderen Wasserpflanzen wie Binsen und Schilf, die sogenannten „Bisamburgen“. Das darin verborgene Nest befindet sich nur knapp über dem Wasserspiegel. Die Form der Burgen ist meist stumpf kegelförmig, die Grundfläche ist kreisförmig bis elliptisch; die Röhre, die zum Kessel führt, liegt wie bei den Erdbauen unter Wasser. Größere Burgen werden gelegentlich über mehrere Jahre bewohnt.
Bisamratten ernähren sich hauptsächlich von Wasser- und Uferpflanzen. Zu den häufig gefressenen Pflanzenarten zählen Schilf, Rohrkolben-, Binsen-, See- und Teichrosenarten sowie Baumrinde, Schachtelhalm- und Laichkrautarten. Sie gehen jedoch auch an Getreide, Gemüse, Obst und Gräser und graben nach den Knollen des Topinamburs. In den vegetationsarmen Monaten ergänzen sie ihre Nahrung durch Muscheln, Larven von Wasserinsekten, Krebse, Wasserschnecken und seltener auch Frösche und Fische. Die bevorzugte Nahrung ist jedoch auch in dieser Zeit pflanzlich. Sie graben in dieser Zeit bevorzugt nach Pflanzenwurzeln.
Die Behauptung, dass Bisamratten auch Vögel oder deren Gelege verzehren, konnte nicht bestätigt werden. Auch der Anteil, den Muscheln und Krebse an ihrer Beute haben, ist umstritten.
In der freien Natur vollenden nur wenige Bisamratten das dritte Lebensjahr. Bei Tieren zwischen 30 bis 36 Monaten sind die Kronen der Molaren (Mahlzähne) in der Regel bis zum Wurzelhals abgekaut, so dass die Tiere aufgrund mangelhafter Ernährung eingehen. 85 Prozent einer Population zu Beginn der Fortpflanzungsperiode bestehen dagegen aus Tieren, die im Vorjahr zur Welt kamen. Der größte Teil der Restpopulation befindet sich im zweiten Lebensjahr. Hohe Verlustraten treten vor allem während der Wanderung der Tiere auf. Sie sind in dieser Zeit einem höheren Feinddruck ausgesetzt als wenn sie sich in einem etablierten Revier aufhalten. Auch während der Zeit der Reviergründung vor einer Fortpflanzungsperiode ist die Sterblichkeit der Tiere sehr hoch.
Fischotter (Lutra lutra), Uhu sowie der Rotfuchs machen Jagd auf den Nager. In Schweden hat man festgestellt, dass in Jahren nach einer Wühlmausgradation auch die Bisamrattenbestände zurückgehen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass nach dem Zusammenbruch einer sehr großen Wühlmauspopulation der Feinddruck auf die Bisamrattenbestände sehr hoch ist.
Als wichtigster Fressfeind der Bisamratte gilt vor allem der ebenfalls aus Nordamerika eingeführte Mink (Neovison vison). Über die komplexe Räuber-Beute-Beziehung zwischen Bisamratte und Mink liegen umfangreiche Untersuchungen durch den Zoologen Paul Errington vor, der sich mehr als 30 Jahre mit der Ökologie der Bisamratte in den Feuchtgebieten Iowas beschäftigte. Minke und Bisamratten ähneln sich in ihrer Körpergröße, haben eine ähnliche semiaquatische Lebensweise und die gleichen Habitatpräferenzen. Minke haben zwar eine etwas größere Körperlänge, dafür sind ausgewachsene Bisamratten etwas massiger gebaut. Minke erbeuten Bisamratten, indem sie sie mit ihren Vorderbeinen packen und sie mehrfach in Kopf und Genick beißen. Obwohl die bevorzugte Nahrung von Minken die Bisamratte ist, konnte Errington nachweisen, dass die Dezimierung durch Minke kein die Bisamrattenpopulationen begrenzender Faktor ist. Der Territorialinstinkt von Bisamratten bestimmt, wie viele Individuen in einem Lebensraum ausreichend Nahrung und genügend Raum zur Anlage von Bauen finden. Sobald der Lebensraum voll ist und eine sehr hohe Populationsdichte erreicht ist, nimmt die Sterblichkeit aller weiteren Bisamratten zu. Die Sterblichkeit ist vor allem unter den Bisamratten hoch, die aus dem Umland einwandern oder durch Krankheiten und Alter geschwächt sind oder als Jungtier ein Territorium erst noch suchen müssen. Dies sind die Tiere, die überwiegend durch Minke erbeutet werden. In dem untersuchten Gebiet in Iowa waren 70 Prozent der von Minken erjagten Bisamratten durch Krankheiten oder extreme Klimabedingungen geschwächt. Ein beträchtlicher Prozentsatz der Beute waren männliche Bisamratten, die im Frühling ihre Baue verließen und in unbekannte Gebiete abwanderten, um neue Territorien für die Fortpflanzungsperiode im Sommer zu suchen. Ebenso häufig fielen Jungtiere den Minken zum Opfer, für die im Lebensraum nicht ausreichend Nahrung vorhanden war. Gesunde, erwachsene Bisamratten, die nahrungsreiche Territorien besetzt halten, fielen dagegen den Minken kaum zum Opfer. Die Populationsdynamik von Bisamratten wird daher als dichteabhängig beschrieben – zwischen der Gesamtzahl der Bisamratten in einem Gebiet und der als potenzielle Beute verfügbaren Individuen besteht für den Mink ein grundlegender Unterschied. In vorteilhaften ökologischen Positionen lebende Bisamratten bleiben weitgehend unbehelligt.
Während der Fortpflanzungszeit besetzen Bisamratten ein Revier, das sie gegenüber ihren Artgenossen auch verteidigen. Die Größe des Reviers ist abhängig von den jeweiligen Nahrungsbedingungen. Durchschnittlich ist ein Revier zwischen 3000 und 5000 Quadratmetern groß.
In klimatisch begünstigten Lebensräumen kann sich die Bisamratte das gesamte Jahr über fortpflanzen. Das lässt sich beispielsweise in den südlichen Regionen der USA beobachten. Fortpflanzungszeit ist in Mitteleuropa in der Regel im Zeitraum von März bis September. Allerdings hat man auch in Mitteleuropa schon während des Winterhalbjahres trächtige Weibchen oder Jungtiere beobachtet. In der Regel kommt es in Mitteleuropa zu zwei Würfen während eines Jahres. Bei sehr guten Umweltbedingungen ist auch ein dritter Wurf möglich. Die Tragezeit beträgt 30 Tage. Würfe bestehen aus vier bis neun Jungen. Der normale Wurf besteht aus fünf bis sechs Jungtieren. Im folgenden Jahr sind die Jungtiere wiederum geschlechtsreif. Ihre – sehr rasche – Ausbreitung erfolgt in Intervallen entlang ihres natürlichen Lebensraums, also stromauf und stromab entlang von Bächen und Flüssen.
Die bei Geburt etwa zwanzig Gramm schweren Jungen werden blind und nackt geboren. Ihr dichtes und seidiges Nestlingsfell entwickeln die Jungtiere innerhalb der ersten 14 bis 18 Tage; Ihre Augen öffnen sich zwischen dem 10. und 14. Lebenstag. Nach etwa vier Wochen beginnen die Deckhaare zu wachsen; dieser Haarwechsel in das sogenannte Alterskleid ist nach vier Monaten abgeschlossen. Die Tiere haben dann etwa ein Gewicht von 600 Gramm erreicht. Großgezogen werden die Jungtiere in den Wohnburgen.
Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet der Bisamratte sind die Feuchtgebiete Nordamerikas. In den USA bewohnt die Bisamratte sogar die durch die Gezeiten beeinflussten Salzsümpfe an der Atlantikküste. Ideale Lebensbedingungen findet die Bisamratte jedoch an den größeren Teichen oder Seen mit starker Wasserpflanzenproduktion.
Den Rückgang der natürlichen Lebensräume in Nordamerika konnte die Bisamratte dadurch kompensieren, dass sie heute auch entlang künstlich angelegter Kanäle lebt. Von wenigen Gebieten abgesehen, sind sowohl die USA als auch Kanada vollständig von dieser Art besiedelt.
Nach allgemein akzeptierter Meinung ging die Erstbesiedelung Europas und Asiens von Böhmen im heutigen Tschechien aus. Fürst Colloredo-Mansfeld brachte 1905 drei Weibchen und zwei Männchen der Bisamratte von einer Jagdreise nach Alaska mit. Morphologischen Untersuchungen zufolge handelt es sich bei den ausgesetzten Tieren allerdings um die im östlichen Kanada vertretene Nominatform Ondatra zibethicus zibethicus. Die Tiere ließ er im Huťský rybník (deutsch Hüttenteich) beim böhmischen Stará Huť (Hüttendorf) auf seinem Gut Dobříš (Doberschisch), rund 35 Kilometer südwestlich von Prag, aussetzen. Von dort breiteten sie sich mit großer Geschwindigkeit in alle Richtungen aus: 1912 hatten sie fast ganz Böhmen besiedelt, 1915 erschienen die ersten am Regen in Bayern, 1927 haben sie auf breiter Front die Nachbarländer erreicht und sich auf eine Fläche von etwa 200.000 Quadratkilometern ausgebreitet. 1935 sichtet man sie in Stendal, 1936 in Magdeburg. Die Ausbreitung erfolgte entlang von Bächen und Flüssen wie der Elbe und der Weser. Ganz Tschechien, Slowakei, Ungarn, Polen, Rumänien, der nördliche Teil von Jugoslawien und weitere Länder wurden ausgehend von der „Colloredo-Mansfeldschen“ Population infiziert.
Eine zweite, für die Besiedlung des eurasischen Lebensraum wichtige Invasion ging 1930 von einer heruntergekommenen Zuchtanlage im Teichgebiet von Leval bei Belfort in Frankreich aus. Dort entliefen etwa 500 Bisamratten. Diese Gefangenschaftsflüchtlinge besiedelten unter Nutzung des Rhein-Rhône-Kanals und der Ill sehr rasch Nordwestfrankreich und über Pfalz und Baden weite Teile des Westens von Deutschland.
Diese und weitere Auswilderungen in Belgien, Schweden, Finnland, Polen und Russland beschleunigten die Ausbreitung der Bisamratte. Viele der Auswilderungen geschahen bewusst. So wurden in Finnland ab 1919 mehrfach Bisamratten aus Deutschland, der Tschechoslowakei, den USA und Kanada eingeführt und mit behördlicher Genehmigung an etwa 300 verschiedenen Orten ausgesetzt. Von Sibirien aus erreichten sie die Mongolei, die Republik China und die Mandschurei. Nach Japan wurde die Bisamratte 1945 eingeführt. So eroberte diese überaus erfolgreiche Art in wenigen Jahrzehnten weite Teile des eurasischen Kontinents und hat dort heute ein größeres Verbreitungsgebiet als in ihrer angestammten Heimat Nordamerika.
Außer in Eurasien wurden Bisamratten auch in Argentinien und Chile eingeführt und sind dort ebenso heimisch geworden.
Begünstigt wurde der Ausbreitungserfolg der Bisamratte durch die Herkunft aus einem ähnlichen Klimabereich, ihre hohe Fortpflanzungsquote und die ausgeprägte Wanderlust. Im neuen Lebensraum fehlt es außerdem an Fressfeinden, die auf sie spezialisiert sind.
Trotz ihres wirtschaftlich wertvollen Pelzes mit den langen, glänzenden Deckhaaren wird die Bisamratte in Deutschland, im Gegensatz zu manchen anderen Ländern, die sie tolerieren oder sogar schützen, häufig als zu bekämpfender Schädling eingeordnet. Der Invasionsbiologe Ingo Kowarik ist dagegen der Meinung, dass die Bisamratte als Neozoon in stark genutzten Landschaften eine Nische besetzt, und kommt zu einem differenzierteren Bild ihrer Schädlichkeit.
Wirtschaftlich ist die Bisamratte gefürchtet wegen der massiven Schäden, die ihre unterminierende Wühltätigkeit an Ufern, Dämmen und Deichbauten anrichtet. Hierdurch entstehen dem Tief- und Wasserbau hohe zusätzliche Kosten für Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten. Für Niedersachsen werden diese zusätzlichen Kosten pro Jahr auf 1,6 Millionen Euro geschätzt.
Aus ökologischer Sicht gravierender sind die von der Bisamratte verursachten Fraßschäden. Gelegentlich macht sie sich auch über Feld- und Gartenanlagen her oder zerstört Korbweidekulturen. Durch das Abknabbern ganzer Bestände von Röhrichtpflanzen kann der Nager die Struktur eines gesamten Ufer-Ökosystems entscheidend verändern.
Durch die Vernichtung von Röhrichtbeständen durch die Bisamratte wird die Rohrdommel ihres Brutraums beraubt
Insbesondere wenn im Winter das pflanzliche Nahrungsangebot nicht ausreicht, frisst die Bisamratte auch Muscheln und Krebstiere, deren Bestand in Deutschland durch Gewässerverschmutzung und Flussbegradigungen ohnehin schon stark bedroht ist. Sie gilt als der Haupt-Fraßfeind der großen Süßwassermuscheln (Überfamilie Unionacea), zu denen z.B. die mittlerweile sehr seltene Flussperlmuschel (Margaritifera margaritifera) zählt. Der Zusammenbruch von Beständen der Gemeinen Flussmuschel (Unio crassus) in einzelnen Bereichen von Baden-Württemberg wird ebenfalls der Bisamratte zugeschrieben.
Ein weiteres ökologisches Problem ist, dass der Nager ein Zwischenwirt des Fuchsbandwurmes (Echinococcus multilocularis) ist: Wird eine befallene Bisamratte von einem Fuchs erbeutet, dann wird dieser ebenso mit dem Parasiten infiziert.
Insbesondere in Fischzuchtanlagen wird die Bisamratte als Gefahr gesehen. Inwieweit sie als Fressfeind der Zuchtfische anzusehen ist, ist umstritten. Sie kann jedoch als Überträger von Fischkrankheiten zwischen den Fischteichen wirken.
Viele Invasionsbiologen vertreten die Ansicht, dass Ökosysteme hinsichtlich ihrer Artenvielfalt ungesättigt sind. Neophyten und Neozoen können in diesen Ökosystemen Nischen besetzen, die entweder niemals von heimischen Tier- und Pflanzenarten besetzt waren oder von Arten, die durch anthropogene Ursachen mittlerweile zurückgedrängt sind. Der große Ausbreitungserfolg der Bisamratte ist nach Ansicht von Ingo Kowarik (s. Lit.) auf eine solche unbesetzte beziehungsweise nicht mehr besetzte Nische zurückzuführen. Der im Vergleich zur Bisamratte wesentlich größere Biber, der die Wasser- und Ufervegetation als Nahrungsgrundlage nutzt, ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts fast überall verschwunden. Auch der Rothirsch, der früher die Flussauen beweidete, ist in Flussauengebieten meist nicht mehr zu finden. Lediglich die Schermaus, die wesentlich kleiner ist als die Bisamratte, nutzt noch vergleichbare Lebensräume. Ein mittelgroßer, semiaquatischer Pflanzenfresser kommt dagegen nicht, beziehungsweise nicht mehr vor. Vor diesem Hintergrund entsteht ein differenzierteres Bild der Auswirkung der Bisamratte auf die mitteleuropäischen Ökosysteme.
Kowarik weist beispielsweise daraufhin, dass Schäden an den Uferbefestigungen vor allem an ausgebauten und begradigten Fließgewässern entstehen. Die Wühltätigkeit der Bisamratten dagegen stellt die ursprüngliche Vielfalt und Dynamik der Ufer wieder her. An naturbelassenen Ufern sind Schäden durch Bisams dagegen unbedeutend.
Bisamratten können in kleinen Biotopen erhebliche Veränderungen verursachen, naturschutzrelevante Veränderungen durch Bisamratten konnten nach Kowariks Untersuchungen bis jetzt nicht festgestellt werden. Auch die Reduzierung von Röhrichtbeständen, zu denen es häufig kommt, wenn Bisamratten einen Lebensraum besetzen, führen nach seiner Ansicht eher zu einer Erhöhung der Biodiversität. Die Reduzierung der Röhrichtbestände hat zwar zur Folge, dass schilfbrütende Vogelarten wie beispielsweise Teichrohrsänger und Rohrdommel ihres Brutraumes beraubt werden und abwandern. Die entstehenden offenen Wasserflächen werden jedoch rasch durch Schwimmblattpflanzen und andere Wasservogelarten besiedelt. Die Auswirkungen der Bisamratten als Prädator von Großmuschelarten ist aus Sicht von Kowarik noch nicht ausreichend untersucht. Für ein objektives Urteil fehlen hier Vergleiche zwischen ungestörten Muschelpopulationen und von Bisamratten genutzten Beständen. Auch hier gilt, dass der Fischotter, der früher diese Arten als Nahrungsgrundlage nutzte, heute weitgehend verdrängt ist und die Bisamratte diese Nische neu besetzt hat.
Schon wenige Jahre nach der Aussetzung der Bisamratten in Böhmen wurde dieses Tier als Schädling eingeordnet. Das Land Bayern leitete unmittelbar nach der ersten Sichtung von Bisamratten Bekämpfungsmaßnahmen ein und schuf 1917 eine gesetzliche Grundlage, die von vielen anderen deutschen Ländern übernommen wurde. Erfolgreich waren diese Bekämpfungsmaßnahmen allerdings nicht. 1935 wurde ein „Reichsbeauftragter für die Bisamrattenbekämpfung“ ernannt, der gemeinsam mit 36 Mitarbeitern allerdings ähnlich erfolglos blieb.
Bisher ist nur in Großbritannien aufgrund der abgegrenzten Insellage die vollständige Ausrottung der eingewanderten Bisampopulation gelungen. Dort wurden 1927 Bisamratten zur Pelzzucht eingeführt und noch im selben Jahr konnten einige Bisamratten aus Farmen entweichen. Bereits 1932 wurden weitreichende Bekämpfungsmaßnahmen eingeleitet, zu denen auch ein vollständiges Importverbot sowie eine Untersagung der Haltung gehörte. Nach rund sechs Jahren war diese intensive Bekämpfung erfolgreich. 1939 gab es in Großbritannien keine Bisamratten mehr.
Trotz massiver Bekämpfungsmaßnamen widersteht die Bisamratte sowohl auf dem europäischen Kontinent als auch im asiatischen Verbreitungsgebiet fast überall ihrer Ausrottung. Sowohl die Bejagung als auch der Einsatz von bakteriellen Krankheitserregern konnten die Bisamratte bislang nicht durchschlagend dezimieren. Aufgrund der enormen ökonomischen und zum Teil auch ökologischen Schäden, die die Bisamratte in manchen Ländern verursacht, wurde eigens die „Organisation Européenne pour la Lutte contre le Rat Musqué“ mit Sitz in Paris ins Leben gerufen. Bekämpft wird die Bisamratte hauptsächlich in den Benelux-Ländern, Frankreich und Großbritannien. Allein in Holland wurden 2003 fast 400.000 Tiere gefangen. In Deutschland begrenzen sich Bekämpfungsmaßnahmen überwiegend auf Hochwasserschutzanlagen, die vor der Wühltätigkeit der Bisamratten geschützt werden müssen. Da bisher weitreichende Schäden ausgeblieben sind, wirft dies die Frage auf, inwieweit dies auch ohne die Bejagung des Bisams der Fall wäre. Zum Fang – der überwiegend in unversehrt lebendfangenden Fallen geschieht – der Tiere werden überwiegend Fallen eingesetzt, in denen auch andere dem Jagdrecht unterliegende Tierarten erbeutet werden können, wenn sie richtig platziert sind.
Bisam Tiere Animals Natur SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Donnerstag, 22. Oktober 2009
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