Finanzbetrüger Siegfried Braun im Interview
Das Interview führte D.Selzer-McKenzie
Author D.Selzer-McKenzie
Siegfried Braun war Telefondrücker. Arglosen Bürgern hat er mit verbotenen Werbeanrufen zweifelhafte Anlagen angedreht. Er schildert die Tricks und gibt Tipps, wie Sie sich schützen können.
Siegfried Braun hat für eine Firma in Frankfurt Bürger ohne deren Einwilligung angerufen und versucht, ihnen Finanzprodukte anzudrehen. Das ist nicht erlaubt. Die Provisionen waren so hoch, dass fraglich ist, ob die Kunden jemals Gewinne machen werden. Die Methoden, die er schildert, sind typisch für Drückerbuden.
Herr Braun, seit dem 4. August ist das Gesetz zur Bekämpfung unerlaubter Telefonanrufe in Kraft. Brechen für Ihre ehemaligen Kollegen jetzt schwere Zeiten an?
Nein. Als ich solche Anrufe gemacht habe, war es auch schon verboten, Bürger ohne Einwilligung anzurufen. Das wussten die meisten Angerufenen nicht. Und wenn doch, dann haben wir einfach aufgelegt.
Jetzt drohen aber Bußgelder.
Das schreckt die Abzocker nicht wirklich ab. Dazu ist das Geschäft viel zu lukrativ.
Wie sind Sie denn Telefondrücker geworden?
Ich suchte einen Job und las eine Stellenanzeige. Die Tätigkeit war nur vage beschrieben, auch die erforderlichen Qualifikationen waren sehr allgemein gehalten. Und es wurden mehrere Tausend Euro Gehalt im Monat geboten.
Wie waren die Startbedingungen?
Ich fing gemeinsam mit einem guten Dutzend Leuten an. Die Büros waren sehr einfach ausgestattet. Die meisten Mitarbeiter hatten nur ein Telefon, einen Stift und Karteikarten vor sich, keine Computer. Da alle fast ständig telefonierten, war der Lärmpegel ziemlich hoch.
Sie sollten ein Geldanlageprodukt verkaufen. Wurden Sie dafür fachlich geschult?
Schulungen gab es regelmäßig. Uns wurde grundsätzlich erklärt, was wir verkaufen sollten. In die Tiefe gingen die Erläuterungen aber nicht. Das Produkt sei ganz toll und biete unheimliche Gewinnchancen, wurde uns eingetrichtert. Als ich einmal kritischer nachfragte, wurde mir schnell klargemacht, dass solche Fragen nicht so erwünscht waren. Dafür wurden wir darin geschult, wie wir uns am Telefon gegenüber den Kunden verhalten sollten. Wir bekamen zum Beispiel ein Blatt mit möglichen Fragen von Kunden und guten Antworten auf ihre Einwände.
Wie wurden Sie an Ihren Job herangeführt?
Wir kamen zuerst in eine Gruppe, die den Erstkontakt zu potenziellen Käufern herstellen sollte. Zum Teil riefen wir Altkunden von einer früheren Firma des Chefs an. Das Geld der Anleger war dort den Bach runtergegangen. Nun erklärten wir, dass diesmal alles anders laufen würde.
War es nicht frech, sich ausgerechnet an Leute zu wenden, die hereingefallen waren?
Einige knallten natürlich wutentbrannt den Hörer auf die Gabel. Aber es gab auch die Leute, die man leicht davon überzeugen konnte, wieder Geld zu investieren. Sie hofften darauf, ihre alten Verluste wettzumachen. Gier fraß da offenbar Hirn.
Wie kamen Sie an völlig neue Kunden?
Durch Kaltakquise: Wir telefonierten einfach das Telefonbuch durch und boten Informationsmaterial an, das den Interessenten aber gar nicht zugeschickt wurde. Es ging nur darum, potenzielle Kunden zu finden und behaupten zu können, die Leute wären mit den Anrufen einverstanden gewesen. Als ich mich dabei bewährt hatte, durfte ich zu den Erstverkäufern. Deren Aufgabe war es, die kontaktierten Leute zu Abschlüssen zu bewegen.
Wie gingen Sie dabei vor?
Ich rief die Kunden an, fragte, ob sie das Informationsmaterial erhalten hätten, und pries das Produkt an. Wir erzählten dabei manchmal Sachen, die eher der Fantasie als der Wirklichkeit entsprachen. Ziel war es, zwei Neukunden im Monat zu gewinnen. Im Schnitt schafften wir nicht einmal einen. Das setzte uns auch finanziell zu.
Warum das? Sie haben doch von einem hohen Gehalt erzählt.
Nur am Anfang in einer Art Praktikumsphase gab es das hohe Fixgehalt. Da bekamen wir auch Vorschüsse. Anschließend war das Fixgehalt sehr niedrig. Wir waren daher auf die Provisionen aus den abgeschlossenen Verträgen angewiesen.
Wie hoch waren diese Provisionen?
Etwa ein Fünftel der Summe, die Anleger einzahlten. Es konnte auch mehr werden, zum Beispiel 800 Euro von 3000 Euro. In Monaten mit wenig Umsatz erhielten wir bereits bei 1000 Euro 800 Euro brutto – als Motivationsschub. Im Prospekt für die Kunden waren die Provisionen viel niedriger ausgewiesen. Auch die Teamleiter bekamen etwas ab, sodass die Gesamtprovisionen noch höher gewesen sein müssen. Hatte ich einen wirklich guten Kunden angeschleppt, bekam ich auch etwas von seinen Folgeinvestments ab.
Betreuten Sie die Kunden nicht weiter?
Die Kunden wurden vom „Load“ übernommen, einem Team besonders begabter Verkäufer. Sie arbeiteten mit allen Tricks, um die Leute zu weiteren Investments zu bewegen. Wenn nötig, brüllten sie einen Kunden an.
Und das funktionierte?
Bei manchen Leuten erstaunlicherweise ja. Man musste nur irgendwie die Gier in ihnen wecken.
Wie hielten Sie den Frust aus, wenn Sie wochenlang ohne Erfolg telefonierten?
Das kam auf die Tagesform an. Natürlich ist es nicht schön, wenn mehrere Angerufene hintereinander den Hörer auf die Gabel knallen. Viele Verkäufer hielten auch nicht lange durch. Sie wurden zum Teil wegen Erfolglosigkeit vor die Tür gesetzt. Aber wenn man erst einmal dabei ist, kann man nicht so leicht aufhören. Die Führungskräfte achteten darauf, dass wir gut gekleidet auftraten. Statussymbole waren wichtig. Wir gingen abends oft gemeinsam aus. Man gewöhnt sich schnell an diesen Lebensstil, und dafür braucht man viel Geld. Manche mussten auch Vorschüsse abarbeiten. Wenn die Miete bezahlt werden muss, wischt man Frust schon mal beiseite.
Wie trieben die Führungskräfte ihre Mitarbeiter dabei an?
Es gab Motivationsspielchen. Wer positiv auffiel, bekam ein sehr teures Markenhandy oder einen größeren Geldschein. Wurde über Wochen kein Abschluss gemacht, kam Druck. Ich habe noch nie eine so perfekte Umsetzung des Systems Zuckerbrot und Peitsche erlebt.
Wie ging es Ihnen persönlich dabei?
Man taucht ein in diese Welt. Das ganze Denken dreht sich um den Job. Meine Freundin beschwerte sich, dass ich mich verändert hätte. Wenn ich den Absprung nicht geschafft hätte, wäre meine Partnerschaft wohl zerbrochen.
Spielte die Atmosphäre dabei eine Rolle?
Ja, die vielen telefonierenden Menschen auf engem Raum um einen herum, der Lärmpegel, das putscht einen auf. Das kann man nicht einfach abschalten.
War Ihre Firma ein Sonderfall, oder ging es auch in anderen Läden so zu?
Viele Kollegen hatten schon bei ähnlichen Buden gearbeitet, davon gibt es in Düsseldorf ja genug. Aus ihren Erzählungen weiß ich, dass die Methoden und Strukturen immer ähnlich sind.
Was waren Ihre Kollegen für Typen?
Das war ganz unterschiedlich. Manche glaubten alles, was ihnen erzählt wurde. Sie schwärmten sogar in den Pausen von den tollen Gewinnchancen. Andere waren zynisch und betrachteten den Job einfach als ihren Broterwerb. An die Folgen für die Kunden dachten sie nicht. Mehr als drei Viertel waren gescheiterte Existenzen. Keine Banker, nur wenige ausgebildete Kaufleute. Wir waren keine Finanzfachleute. Handwerker waren dabei, einen Theologen habe ich kennengelernt, einen Lehrer, einen Adeligen. Der hatte es besonders leicht, denn sein Name flößte den Leuten Vertrauen ein.
Gab es auch Frauen unter Ihren Kollegen?
Wenige. Sie wurden in der Regel als Opener eingesetzt, die den Erstkontakt herstellten. Nur wenige machten Abschlüsse. Sie hatten es schwerer, Kunden zu überzeugen. Das liegt unter anderem daran, dass die Leute heutzutage einer Frau immer noch weniger Finanzkompetenz zutrauen.
Und wie war das bei den Kunden?
Ebenfalls zu 90 Prozent Männer. Es ist viel schwerer, eine Frau zur Unterschrift zu bewegen. Frauen trauen sich weniger zu und wollen sich mit anderen beraten. Männer dagegen ließen sich oft bei der Ehre packen. Wenn sie Rat bei ihrer Frau oder dem Steuerberater einholen wollen, konterten wir: „Machen Sie eigentlich nichts alleine?“
Wie kamen Sie überhaupt so weit?
Wichtig war es, den Menschen das Gefühl zu geben, dass man nicht nur hinter ihrem Geld her ist. Deshalb riefen wir mehrmals an und plauderten auch mal einfach nur mit ihnen. Jedes Detail, das sie preisgaben, notierten wir auf Karteikarten. Und dann überraschten wir sie mit einem Anruf zum Geburtstag, den sie uns irgendwann verraten hatten.
Warum begannen Sie zu zweifeln?
Ich sah die Sportwagen der Führungskräfte und ihren aufwendigen Lebensstil und überschlug, wie viel von dem Geld der Anleger wohl investiert wird, wenn all die Provisionen und Kosten abgehen, und welche Renditen erzielt werden müssten, damit die Anleger die versprochenen Gewinne erzielten. Da ging mir auf, dass das eigentlich nicht funktionieren kann.
Welche Folgen hatte das?
Ich konnte nicht mehr überzeugend verkaufen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich den Leuten etwas aufschwatzte, was eigentlich nicht funktionieren konnte. Die letzten Wochen, bis ich aufhören konnte, waren schrecklich.
Wissen Sie, was mit dem Geld der Anleger tatsächlich angestellt wurde?
Nein, die Chefs hatten ein verzweigtes Firmengeflecht aufgebaut. Sie wachten sorgsam darüber, dass wir nicht zu viel Einblick bekamen. Wir durften auch keine Unterlagen mit nach Hause nehmen.
Welche Tipps haben Sie für Verbraucher?
Die Leute sollten ihre Telefonnummer nicht freimütig herausgeben, etwa bei der Teilnahme an Gewinnspielen. Wird man angerufen, ruhig, aber bestimmt sagen, dass man kein Interesse hat. Darauf hinweisen, dass solche Anrufe ohne Einwilligung nicht erlaubt sind. Oder mit dem Anwalt drohen, dann ist schnell Ruhe.
Wie schützen Sie sich selbst vor dubiosen Angeboten?
Ich habe mit meiner Frau eine Vereinbarung getroffen, dass keiner von uns jemals eine solche Anlage eingeht, ohne den anderen vorher zu fragen. Ich bin mittlerweile ohnehin sehr misstrauisch
Herr Braun, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Finanzbetrüger Siegfried Braun im Interview – von SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Freitag, 30. Oktober 2009
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