Namib Desert Wüste Namibia Reise Travel SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie
Die Stille ist überall. Sie legt sich in dieser Vollmondnacht über die unberührte Landschaft. Selbst Vögel und Zikaden haben ihr abendliches Konzert beendet. Ist da draußen wirklich nichts au¬ßer einem selbst und der Weite der Einsamkeit? Nein! Das Einzige, was sich bewegt, ist eine Stern¬schnuppe in der galaktisch funkelnden Diamanten-kollektion am Himmel.
Mit Schlaf in den Augen tastet man sich rechtzeitig vor Sonnenaufgang zum brummenden Gelände¬wagen vor, trotzt eingehüllt in Decken der Kälte des Morgens. Es geht hinauf auf einen Hügel in Erwartung des roten Feuerballs, der das monochro¬me Land in eines der Farben verwandeln wird. Wenn das erste Licht die Gipfel der Berge im Osten er¬klommen hat, sieht man sie: Dünen, so weit das Auge reicht. Rot, orange, gelb — Sandwelle neben Sandwelle, ein wogendes Land. Dieser Tage setzt die Natur hier ein Ausrufezeichen: Meterhoch steht Gras in den Tälern. Wiesen breiten sich aus, wo sonst nur toter Stein lebt. Selbst die Dünen haben grünes Make-Up aufgelegt. Ein Jahrhundertregen hat das Land neu erschaffen. Die Wüste blüht.
Monatelang hat es geregnet — so viel wie nie zuvor in den vergangenen 120 Jahren. Die vier großen Flüsse Kavango, Kunene, Orange und Sambesi tra¬ten über die Ufer. Für kurze Zeit erklärte der Präsident den überfluteten Norden des Landes sogar
zum Katastrophengebiet. Inzwischen sind die schlechten Nachrichten versiegt, die meisten Schäden behoben. Nun vernimmt man die euphori¬schen Stimmen der Botaniker und Ornithologen, der Wildhüter und Nationalparkaufseher.
Ein großer See
„Was wir nach dieser Regenzeit erleben, ist wirklich einzigartig", sagt Manie Le Roux, Chef der Ranger im Namib Naukluft Park. „Eigentlich ist die Namib eine der trockensten und lebensfeindlichsten Wüsten der Welt. Doch zum ersten Mal seit vielen Jahren
floss der Tsauchab River so stark, dass sich bei den Dünen von Sossusvlei ein großer See gebildet hat." In der Sprache der einst hier siedelnden Nama be¬deutet „Sossus" in etwa „Blinder Fluss", weil der Tsauchab seit vielen 1000 Jahren eigentlich im Nichts endet. Heute steigt man als Besucher um sechs Uhr, wenn die Sonne noch nicht zu sehr brennt, Schritt um Schritt auf die Düne am Ende des Tals und blickt hinunter in die Lehmpfanne. Als reale Fata Morgana liegt unten eine Oase, in deren blauem Wasser sich die anderen Sandberge spie¬geln. Wie bestellt kommt eine Oryx-Antilope, den gewölbten Bauch mit Gras gefüllt, zum Trinken.
Die Natur hat ihre Chance erkannt und ist explo-diert. Millionen von Samen, die oft Jahrzehnte im Sand schlummerten, sind gekeimt. Und trafen, weil es weiter regnete, auf optimale Bedingungen. „Das Gras ist doppelt so hoch wie üblich — und unglaub¬lich dicht. Aus dem Flugzeug wirken die Täler zwi¬schen den rostroten Dünen heute so grün, dass man sich vorstellen könnte, hier Milchkühe weiden zu lassen", schmunzelt Manie Le Roux. Zwar werden sich die Gräser in den nächsten Wochen und Monaten gelb und braun verfärben — die unge¬wöhnlichen Ausblicke sind indes bis zum Ende der Trockenzeit im Oktober gesichert, wenn in Namibia der Frühling beginnt (Infos unter www.namibia¬tourism.com).
Das private Naturschutzgebiet Namib Rand Nature Reserve, das im Südosten an den Namib Naukluft Park angrenzt, bekommt auch in normalen Jahren etwas mehr Feuchtigkeit ab als die trockensten Partien der Namib-Wüste. Wer mit Aufseher Mike Scott durch sein Revier fährt, erlebt dieser Tage ei¬nen Wissenschaftler, dem das Staunen ins Gesicht geschrieben ist. „Im Oktober wuchs hier vielleicht jeden Meter ein Halm — jetzt wogt das Gras wie in einem Weizenfeld", erklärt der 62-Jährige.
Ein Meer aus 1000 Gräsern
Als Teppich breitet sich das Grün auch auf Flächen aus, die nomialerweise so trocken sind, dass keiner¬lei Pflanzen überleben. Ob im Tal oder auf den grün betupften Dünen, wo plötzlich sogar Pilze aus dem Sand schießen: Nicht nur Gräser, sondern auch Blumen blühen. Wie Unkraut wuchert der gelbe Morgenstern, ein paar Meter weiter sprießt in dunk¬lem Violett der wilde Sesam. Wüstenbohnen bieten sich summenden Bienen an und bilden erste Sa¬men, Käfer tanzen auf Butterblumen, und mit klei¬nen roten Blüten sorgt wilder Hibiskus für einen weiteren Farbtupfer im Meer der 1000 Gräser.
Auch die Tierwelt hat sich verändert. „Zum ersten Mal sehen wir hier Vögel, die eigentlich die Feuchtigkeit lieben", sagt Mike Scott. Und die Antilopen des Namib Rand Nature Reserve, das mit 170.000 Hektar mehr als doppelt so groß ist wie
Berlin und sich eine 100 Kilometer lange Grenze mit dem Namib Naukluft Park teilt, sind so fett wie nie und produzieren reichlich Nachwuchs. „2006 hat sich unsere Springbock-Population nach der Re¬genzeit von 8000 Tieren auf 16.000 verdoppelt. Die¬ses Jahr gibt es so viel Nahrung, dass es vermutlich noch mehr werden." Gute Nachrichten für die Jäger mit den blitzenden Augen: Leoparden und Geparden werden ihren Nachwuchs gut durchs Jahr bringen. Vielleicht kann man die scheuen Tiere dann als Besucher etwas einfacher als üblich erspähen.
Das geht besonders gut am Rande der Namib im Namib Rand Nature Reserve. Der Namibia-Deutsche Albi Brückner begann in den 80er-Jahren, die Zäune zwischen den Schaffarmen der Region abzubauen und aus den überweideten Flächen ein großes Naturschutzgebiet zu machen. Sein Sohn hat die auf Stelzen gebauten Zelte des Wolwedans Dune Camp konzipiert (www.wolwedans.com) und seine Kollektion inzwischen um vier weitere Unterkünfte erweitert. Das Wasser für die warme Dusche liefern Solarzellen, Stromanschluss gibt es keinen. Wer zu Fuß zur Rezeption geht, braucht Stunden. Doch die Wände aus Segeltuch lassen sich öffnen. So kann man vom Bett aus die Landschaft genießen.
Luxus, das kann eben auch heißen, dass um einen herum nur Natur ist. Luxus kann eben auch bedeu¬ten, die Farben der ältesten Wüste der Welt zu sehen, die vielleicht erst in einem Jahrhundert wieder so blühen wird wie in diesem Jahr.
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