Sonntag, 7. März 2021

Paititi - die versunkene Hauptstadt der Inka

Paititi - Hauptstadt der Inka Author. Selzer-McKenzie Video: Youtube: http://youtu.be/7EALsBMxZ-o Die Legende sagt, dass die Inka auf ihrer Flucht vor den Spaniern eine neue Hauptstadt gegründet haben sollen, die den Namen Paititi getragen hat. Auch hierher in die neue Hauptstadt sollen die Inka ihr gesamtes noch gerettetes Gold verbracht haben. Diese neue InkaHauptstadt Paititi gilt als versunkene Stadt und ist bisher auch nicht wieder aufgefunden worden. Ich, der Author D.SelzerNcKenzie war mehrfach in Südamerika im Gebiet und habe auch versucht, letztmalig im Jahre 2013, versucht, diese versunkene sagenumwogene Stadt Paititi zu finden, leider ohne Erfolg. Deshalb plane ich in diesem Jahr, also im Jahre 2014, eine Expedition zusammenzustellen mit dem erneuten Versuch, die alte versunkene InkaHauptstadt Paititi samt ihren Goldbeständen (die wir bei erfolgreichem Fund natürlich nicht behalten dürften) zu finden. Bereits im Jahre 1954/1955 hat eine deutsche Expedition versucht, Paititi zu finden, leider ohne Erfolg. Hier der Expeditionsbericht aus dem Jahre 1954/1955: Unsere Welt steckt trotz allen Fortschritts immer noch voller Rätsel. Grosse Fragezeichen auf archäologischem Gebiet liegen über den AndenKulturen Südamerikas, den von Urwäldern verschlungenen Bauten Amazoniens und dem Schicksal der letzten Inkas. Seit den kühnen Eroberungszügen eines Pizarro, den Entdekkungen eines Bingham in Macchupichu, eines Bennett in Tiahuanacu und dem tragischen Schicksal eines H.P.Fawcett sind viele Expeditionen ausgezogen, um die sagenhaften Stätten untergegangener Völker zu suchen und verborgene Schätze zu heben. Ungezählte Menschen -- ernsthafte Forscher und Abenteurer aller Nationen -- liessen dabei ihr Leben. Unsere "AndenAmazonasExpedition 1954/55" hatte PAITITI zum Ziel, die mysteriöse, verschollene Inkastadt -- irgendwo ostwärts der Anden. Wir haben am Fusse des Cerro Paititi im dichtesten Urwald -- Ruinen entdeckt. Sind wir damit einem der grossen Rätsel näher gekommen? Dies Buch und mein Film versuchen eine Antwort zu geben. Der Wächter im Tal von Paititi: Diesen steinernen Götzenkopf, der wahrscheinlich einer der ältesten Kulturperioden Südamerikas angehört, entdeckten wir unter einer Felsgalerie im Talgrund am Südost fluss des Cerro Paititi. Blick vom Lager V in 2450 Meter Höhe auf das Arbeitsgebiet der Expedition. Bezeichnungen: BL = Basislager Incapampa (1350 m), T = Gräberterrassen, L I = Lager I am Chinijo (800 m) mit Seilbrückenübergang, R = Ruinenmauern bei Km 2,3 und 2,5, L II = Lager II (1350 m), L III = Lager III (1320 m) -- im Kreis gut sichtbar der helle Fleck der Zelte, 1 und 2 bei L III = die beiden Hügel im Tal von Paititi, genau nach Sonnenaufgang orientiert. Das Wort "Paititi" bedeutet in der Sprache der Hochlandindianer Boliviens und Perus "ZweiHügel" und ist im übrigen die Bezeichnung für eine seit der Unterwerfung Südamerikas durch die spanischen Conquistadoren lang gesuchte, sagenhafte Inkastadt, irgendwo in den Ostausläufern der AndenBerge gelegen. Nach anderen Versionen wird "Paititi" auch mit "ZweiPumas", "Zwei Metalle", oder gar mit "ZweitesReich" übersetzt, und diese vierte Bezeichnung würde den Vermutungen derjenigen recht geben, die damit den letzten indianischen Aufstand 17801781 unter Tupac Amaru -- einem angeblichen Inkaprinzen -- in Verbindung bringen. Recht interessant sind die Überlieferungen der Hochlandindianer Boliviens, die von den "Musus" berichten (womit in Mittelamerika die Olmeken und ihre typische Tieflandkultur in Verbindung gebracht werden -- im Gegensatz zu den Tolteken als den Vertretern einer ausgesprochenen Hochlandkultur), sowie die Aufzeichnungen von Franziskanermissionaren, die sogar von alljährlichen Pilgerzügen in ein völlig weltabgeschiedenes Gebiet erzählen, um "dem grossen Paititi" -- dem >>Kaiser der Musus" --, ihre Referenz zu erweisen. Diese PaititiPilger brachten von solchen Reisen, wie es in den alten Quellen heisst, oft wundervolle Schmuckgegenstände mit und erregten so die Goldgier der Conquistadoren stets aufs neue. Archäologische Forschungen haben ergeben, dass die Inkas bereits Festungsbauten sowie Städtegründungen früherer Rassen und Völker übernahmen und neben oder auf ihnen -- grösstenteils aus dem vorgefundenen Material -- Tempel und Symbole ihres eigenen Sonnenkultes errichteten. Zweifellos haben weltweite Katastrophen kosmischen Ursprungs auch in Südamerika und vornehmlich im AndenHochland gewaltige Umwälzungen herbeigeführt und uralte Kulturen erschüttert oder ganz ausgelöscht, denn dort wie überall in der Welt klingen immer wieder die alten Sagen und biblischen Geschichten von einer Sintflut auf. Tiahuanacu, das spätere Zentrum des inkaischen Sonnenkults, ist nach Ansicht von Fachleuten ursprünglich eine toltekische Gründung gewesen, die durch eine Erdkatastrophe zerstört wurde. Man schreibt die Erbauung des UrTiahuanacus übergrossen, hell häutigen und bärtigen Männern zu, die lange vor den ersten Inkas gelebt haben sollen, und die uns dort heute noch -- in Stein gehauen -- als Mono lithen begegnen, wobei die Figur des sogenannten KonTiki -- wieder berühmt geworden als Wappensymbol der abenteuerlichen Flossfahrt des norwegischen Forschers Thor Heyerdahl -- besonders bemerkenswert erscheint. Wenn man den alten Indianergeschichten Glauben schenken darf, so war es der Inka Yopanqui, der lange vor Pizarro den ersten Vorstoss nach Paititi unternommen hat, um eine verschollene Stadt zu suchen. Der Leiter dieses expeditionsähnlichen, kriegerischen Feldzuges führte seine Scharen den Rio Madre de Dios entlang, um später -- ohne das Ziel erreicht zu haben, nach empfindlichen Verlusten durch Tropenkrankheiten -- den Rückmarsch über die InkaFestung Samaipata anzutreten, die zwischen den heutigen bolivianischen Städten Santa Cruz und Cochabamba liegt. Es ist weiterhin eine bekannte Tatsache, dass man in fast ganz Südamerika von "El Gran Paititi", dem "grossen Paititi" spricht, das in einem weltabgeschiedenen Tal der Cordillere liegen soll, verborgen unter einem Gespinst von Nebel und Wolkenschleiern, die wie eine Tarnkappe wirken und den Ort der Sehnsüchte aller Abenteurer unsichtbar machen. Wie die verschiedenen Versionen auch lauten mögen -- der Überlieferung nach verbreitet und immer wieder erhärtet durch die Erzählungen der alteingesessenen Indianer an den abendlichen Lagerfeuern -- sollen in Paititi unwahrscheinliche Schätze vor der Habgier der spanischen Eroberer in Sicherheit gebracht worden sein, unauffindbar bis zum heutigen Tag. Fest steht, dass die Inkas, deren Kernreich sich einst über den ganzen Altiplano -- also über weite Teile der heutigen Länder Bolivien und Peru --erstreckte, in die Ostausgangstäler der AndenKette an strategisch wichtigen Punkten Befestigungsanlagen bauten, um ihre hervorragend kultivierten und dicht besiedelten Hochlandgebiete gegen das Vordringen kriegerischer Tieflandvölker aus den Niederungen des AmazonasBeckens zu schützen. Später dienten diese Festungen vielfach als letzte Zufluchtsstätten der InkaAristokratie, bis mit dem Untergang ihres Reiches und mit ihrem Aussterben teils auch diese Anlagen zerfielen und die Urkraft des Dschungels in ewigem Werden und Vergehen endgültig über ihnen zusammenschlug. Nach P. H. Fawcett, dem berühmten englischen Forscher, der vor mehr als 30 Jahren mit seinem Sohn auf der Suche nach einer sagenhaften Ruinenstadt in den Urwäldern Brasiliens zwischen Rio Xingu und Rio Paraguassu verschollen ist, soll es nicht weniger als ein halbes Dutzend solcher Plätze geben, die mit dem Namen PAITITI belegt werden. Dass es sich dabei um eine "InkaStadt" handelt -- ausgerechnet in Brasilien und beinahe in AtlantikNähe --, ist unwahrscheinlich, denn so weit reichte der Arm der letzten InkaHerrscher gar nicht, und es ist vielmehr anzunehmen, dass das PAITITI Fawcetts eine vorinkaische -- vielleicht olmekische -- Gründung war und schon für die alten Inkas sagenhaft. Die Vermutungen Fawcetts und damit seine letzte Expedition basierten hauptsächlich auf einem alten -- in Rio de Janeiro aufbewahrten -- Dokument aus dem Jahre 1743 und auf Erzählungen von Abenteurern. Ob dieser englische Oberst, der für Bolivien und Brasilien sowie für Peru hervorragende Forschungs und Grenzvermessungsaufgaben durchführte, je das Ziel seiner Sehnsucht erreichte? Wir wissen es nicht. Seine letzte Nachricht stammt vom 29. Mai 1925. Der Rest ist Schweigen. Forscherschicksal! Warum Fawcett nicht in den Ostausgangstälern der Cordillere, sondern so weit entfernt in Brasilien sein Dorado vermutete, obwohl er im Verlauf seiner ersten BolivienExpedition im Jahre1906 zwischen Sorata und Mapiri dieselben InkaSteige herunterkam, die ich fast 50 Jahre später mit meiner Expedition passierte, und wieso ihm nicht auffiel, dass ein gern benützter Rastplatz Incapampa hiess und der Berg direkt gegenüber Cerro Paititi, ist nicht zu ergründen. Von den im Verlauf dieses Jahrhunderts aufgefundenen Befestigungsanlagen, die zum Teil bereits präinkaischen Ursprungs sind, kennen wir vor allem Macchupichu im peruanischen UrubambaTal -- auf Grund der Entdeckung durch Hiram Bingham im Jahre 1911 -- und eine weitere in Südperu im Jahre 1954 in der Nähe der NegantoniWasserfälle aufgefundene Ruinenstadt, die ihre Entdecker -- eine englische Expedition unter Leitung von F. Tennant -- allerdings nur unter Vorbehalt mit PAITITI in Verbindung bringen. Auf bolivianischer Seite bestehen an solchen Baulichkeiten Samaipata am Ostausgang der Königscordillere zwischen Cochabamba und Santa Cruz sowie die Festungsreste von Condorhuasi, Incahuasi, Incallacta und Cuticutuni, wenn man von den im Gang befindlichen Ausgrabungen bei Chulumani, die ebenfalls präinkaischen Ursprungs sein sollen, vorläufig noch absieht. Zur Conquistadorenzeit und im Anschluss daran gingen von den beiden Ländern Spanien und Portugal zahllose offizielle und private Expeditionen aus, um dem Geheimnis von Paititi auf die Spur zu kommen, und es ist in dem Zusammenhang vielleicht nicht ganz uninteressant, dass sich die spanische Regierung im Jahre 1679 bereits ganz offen "gegen die Verausgabung von so viel Geld" für ein Ziel wandte, das seit dem Tode Pizarros von nicht weniger als siebzehn Expeditionen vergeblich gesucht wurde. Nach den Aufzeichnungen, die damals in einer in der Staatsbibliothek von La Paz aufbewahrten Chronik gemacht wurden, verdichteten sich zuletzt die Vermutungen, dass diese "verlorene Stadt" an den hügeligen Urwaldgebieten liegen müsse, die gegen den Rio Mapiri hinunterstreichen, und deren höchste Erhebung ein mit 3150 m Höhe vermessener AndenVorberg bis auf den heutigen Tag "CERRO PAITITI" heisst. Auch im Volksmund werden die ganzen grossen, von Urwaldflüssen durchzogenen Talkessel an den Abhängen dieses Gebirgsstockes "LOS VALLES DE PAITITI" -- "die Täler von Paititi" -- genannt. Man muss in diesem Zusammenhang Fawcett recht geben, wenn er sagt: "Mag noch so viel Romantik alle möglichen Sagen ausgeschmückt haben, so bleibt dennoch die Tatsache einer legendären Existenz von einem hoch zivilisierten Restbestand eines antiken Volkes unter den Einheimischen weiter bestehen." Ein Glückssucher namens Berg, der vor 40 Jahren glaubte, das Geheimnis lüften zu können, das über den Tälern des Cerro Paititi lag, soll nach mehreren Explorationen, die er von San Carlos sowohl als auch von Santa Rosa aus in die Täler des Rio Tarrappo und des Rio Bagante unternommen hatte, einige Zeit danach erschossen jenseits der peruanischen Grenze aufgefunden worden sein. Ob Berg den sagenhaften Goldschatz erbeutet -- und verfolgt von anderen Abenteurern über die Grenze flüchten musste, um letzten Endes doch noch ermordet und ausgeraubt zu werden, wer kann das wissen?! Von dem Österreicher Gerstorff, der ebenfalls kurz nach dem ersten Welt krieg einen Versuch unternommen hatte, durch das BaganteTal gegen den Cerro Paititi vorzustossen, hat man ebenfalls nie mehr etwas gehört. Es liegt zweifellos ein tiefes Geheimnis über diesen Bergwäldern und Schluchten, und die Eingeborenen in den weit verstreuten kleinen Siedlungen der fernen Randgebiete sprechen nur mit Scheu und einer gewissen Ehrfurcht von PAITITI. Während des letzten Weltkrieges, als man für ChinaRinde hohe Preise zahlte, haben es einige beherzte Männer gewagt, den Rio Chinijo in der Trockenzeit zu durchschwimmen, um ein Stück gegen den Rio Santa Ana hin in diese unheimlichen Urwälder einzudringen. Wer -- so wie ich -- zu Beginn der Regenzeit von einem der Höhenrücken des alten Saumweges zwischen Pararani und Mapiri dieses Gebiet zum ersten Mal geschaut und den Tanz der Nebel und Regenschleier bewunderte, die geradezu gespenstisch über die dicht bewaldeten Berge hinweg geistern, der kann absolut verstehen, dass die dort in der Nähe wohnenden Menschen ganz im Banne dieser gewaltigen "Paititi"Mystik leben. Als ich im Jahre 1950 als Leiter der Deutschen AndenKundfahrt von Sorata aus am Oberlauf des Rio San Christobal eine Höhle untersuchte, hörte ich zum erstenmal in meinem Leben von Paititi, und zwar auf recht eigenartige Weise. Wir brauchten damals zum weiteren Vordringen in einem Einsturzschacht aus Sicherheitsgründen ein Sauerstoffgerät. Das aber lag in unserem Expeditionsquartier in Sorata und musste in einem Gewaltritt so schnell wie möglich herbeigeschafft werden. Bei meinem Eintreffen in diesem idyllisch am Fuss des Illampu gelegenen Städtchen flüsterte mir unser Gastgeber ganz geheimnisvoll zu, dass gerade heute morgen eine Expedition durchgezogen sei, "die uns in PAITITI zuvorkommen wolle!" Ich nahm diese Nachricht gelassen hin, denn ich wusste, -- ehrlich gesagt -- überhaupt nicht, was ich mit dieser Meldung anfangen sollte. Erst, als mich mein Gegenüber drängte, die Arbeiten in der Höhle von San Pedro aufzugeben, um ebenfalls Paititi anzugehen, musste ich Farbe bekennen und beichten, dass ich von diesem geheimnisvollen Platz soeben zum erstenmal in meinem Leben gehört hätte. Ich weiss heute nicht mehr, schüttelte man über mich den Kopf, weil ich so ungebildet war oder weil man mir nicht glauben wollte? Einige Zeit später kam Manuel Posnansky -- der Leiter dieser Expedition und Sohn des berühmten Archäologen gleichen Namens -- mit seinen Begleitern von diesem Unternehmen zurück. Die Strapazen der vergangenen Wochen schienen noch in ihre Gesichter eingegraben zu sein. Sie erzählten von Feuerameisen und Moskitos, sowie von furchtbaren Gewittern und vor allem von Schlangen, die ihnen das Leben zur Hölle gemacht. Bis auf wenige Kilometer glaubten sie sich durch den Urwald an die Ruinen herangearbeitet zu haben, da erstand ihnen durch einen Gürtel von Palo SantoBäumen ein weiteres unüberwindliches Hindernis. Die Hohlräume dieser ehemals so berüchtigten Folterund Todesbäume der AmazonasIndianer bieten ideale Wohnstätten für Millionen von Feuerameisen, die sich auf jedes lebende Wesen herabregnen lassen. Solchen aussergewöhnlichen Belastungsproben war die Expedition sowohl ausrüstungsmässig als auch seelisch nicht mehr gewachsen. Es hatte beinahe den Anschein, als hätten die letzten Inkas auf den ehemaligen Ackerbauterrassen rund um ihre wenigen Zufluchtsstätten den Palo SantoBaum extra gepflanzt, um mit Hilfe eines MilliardenHeeres von Feuerameisen auch noch nach dem Untergang des inkaischen Imperiums die sorgsam gehüteten Heiligtümer und Schätze vor dem Zugriff Unbefugter zu bewahren. Seit dem Zusammentreffen mit Posnansky hat mich das Zauberwort " P A I TITI" nicht mehr losgelassen -- nicht etwa, weil ich mich -- wie so viele andere -- als Schatzgräber betätigen wollte, das lag mir völlig fern. Was mich reizte, war die Aufgabe als solche, Gefahren und Hindernisse zu überwinden, an denen meine Vorgänger bislang scheiterten -- und ein Ziel zu erreichen, das allen anderen bis jetzt versagt geblieben war. Ich sah mich im Geiste bereits in die tiefen Urwaldschluchten hinabstossen, um den Kampf zu bestehen gegen diese ganze feindlich gesinnte Urwelt. Mit Hilfe von Flammenwerfern und GiftnebelSprühgeräten wollte ich den PaloSantoGürtel durchbrechen. Ameisen und schlangensichere Kleidung, AluminiumSturmleitern, Wurfanker -- von Harpunen geschleudert -- Hängemattenzelte sowie Funksprechgeräte sollten die Ausrüstung ergänzen und mir als Requisiten dienen für filmisch unerhört eindrucksvolle Szenen. Das "forschende Abenteuer" als solches und die kämpferischen und sportlichen Erfordernisse waren es, die mich in erster Linie begeisterten. Der Schatz aber, den ich suchen und mit nach Hause bringen wollte, lag auf einem ganz anderen Gebiet. Die zukünftige Farbfilmausbeute von diesem einmaligen Unternehmen sollte der Reichtum sein, den ich bergen wollte. Auf diese Weise wird auch der breiten Masse der an solchen Expeditionen Interessierten die Möglichkeit gegeben, indirekt daran teilzunehmen, auf dass in ihren grauen Alltag wenigstens ein kleiner Schimmer dieser zauberhaften, fremden Welt des Abenteuers und einer verloren gehenden Romantik gleiten möge. Das Geschehen während eines solchen Unternehmens ist hart, spannend und aufwühlend. Für derartige Themen brauchen Sensationen nicht künstlich am Schreibtisch von konzessionierten Filmdramaturgen konstruiert zu werden -- eine erbarmungslose Natur diktiert das Drehbuch von selbst -- Tag und Nacht. Bis zur Realisierung meiner PaititiIdee als Expedition und als Filmstoff aber war noch ein langer, dornenvoller Pfad zurückzulegen. Mit Ausgang des Jahres 1952 erst ging meine AndenKundfahrt zu Ende, und das Jahr 1953 sah mich bereits wieder als Bergsteiger und Filmmann am Nanga Parbat, beteiligt am Kampf um einen der markantesten AchttausenderRiesen unserer Erde. Betrogen um die Früchte meiner dreijährigen Arbeit in Südamerika und am Nanga Parbat -- ja, darüber hinaus sogar noch mit Verleumdungen besudelt und mit grenzenlosem Undank belohnt, stand ich zu Beginn des Jahres 1954 vor einem Nichts. Ich, der die Jahre zuvor in den Urwäldern des Oriente Boliviano fast spielend alle Schwierigkeiten überwunden und in den Monsunstürmen am Nanga Parbat meinen Mann gestanden, drohte -- nach Deutschland zurückgekehrt -- mit einem Male im Dschungel der Niedertracht zu ersticken. Erst durch die grosszügige Unterstützung namhafter deutscher Ausrüsterfirmen im Verein mit der finanziellen Basis eines FilmVerleihs und nicht zuletzt auf Grund der Hilfe meiner deutschbolivianischen Freunde gelang es mir, in achtmonatiger zäher Arbeit ein neues und diesmal eigenes Expeditionsunternehmen aufzubauen. Auftakt mit Hindernissen Beinahe 4 Tonnen Expeditionsgut, berechnet für eine Teilnehmerzahl von 810 Personen -- darunter Namen von hervorragendem Klang -- verliessen Anfang September des Jahres 1954 Deutschland mit einem Frachter in Richtung Westküste Südamerika, um von dort aus per Bahn in das Hochland Boliviens befördert zu werden. Die Mannschaft selbst sollte drei Wochen später nachfliegen. Wegen plötzlich auftauchender beruflicher Gründe und privater Wünsche meiner Teilnehmer wurde leider nichts aus einer gemeinsamen Abreise -- und so startete ich am 23.September 1954 allein zu meinem TransatlantikFlug von München aus nach Südamerika. In Frankfurt stieg Frau Burgl Moeller zu, welche als Sekretärin das Unternehmen mit aufbauen half, gleichzeitig als Entomologin für den Film vorgesehen war und darüber hinaus als Assistentin unseres Expeditionsarztes tätig sein sollte. Nach einem grossartigen Flug über Länder und Meere hinweg landeten wir am 26. September 1954 in der höchsten Regierungshauptstadt der Welt -- La Paz/Bolivien -- stürmisch begrüsst von meiner Frau und meinen drei Töchtern, die ich vor eineinhalb Jahren dort in der Obhut von guten Freunden zurückgelassen hatte, als ich zum Nanga Parbat flog. Der erste Dämpfer, den ich bald nach der Ankunft erhielt, war die Nachricht, dass meine in der Heimat gebliebenen "Teilnehmer" der bekannten Gründe wegen nun mit einem Male alle erst Anfang des Jahres 1955 nachkommen wollten. Da meine deutschbolivianischen Begleiter in La Paz ihre Mitwirkung aus ähnlichen Motiven ebenfalls "für später" in Aussicht stellten, war ich plötzlich in eine Situation geraten, die ich nach den beispiellosen Schwierigkeiten, wie sie gerade der Aufbau dieser Expedition in Anbetracht der Beschaffung der Ausrüstung und vor allem der Durchführung der Finanzierung mit sich brachte, bestimmt nicht verdient hatte. Nun sass ich vor den Toren meines Traumlandes auf einem Stapel Gepäck, berechnet für ein zweijähriges Unternehmen, das den vielversprechenden Titel "AndenAmazonasExpedition 1954/55" führte, ohne einen einzigen männlichen Begleiter! Dabei war ich verpflichtet, einen grossen, abendfüllenden DokumentarFilm zu drehen, in dem die einzelnen Expeditionsteilnehmer -- ihren Fähigkeiten entsprechend -- mitzuwirken hatten. Zu allem Überfluss warteten auf mich jenseits der Cordillere bereits 20 Macheteros (Männer, die mit dem Buschmesser -- Machete genannt -- einen schmalen Pfad durch den Urwald schlagen) unter Führung ihres Capataz (Obmann), denen ich eine hohe Entschädigung hätte zahlen müssen, wenn ich nicht termingemäss am vereinbarten Platz eingetroffen wäre. Dazu kam, dass die Regenzeit jeden Tag hereinbrechen konnte mit all ihren Gefahren und Hindernissen. Eine Lage also, die bestimmt nicht beneidenswert zu nennen war nach all den Schwierigkeiten, die ich bereits gemeistert. Ich war schon fest entschlossen, auch allein loszuziehen, nur von meinen Eingeborenen begleitet, da stiess in letzter Minute doch noch der junge Deutsche Rudi Braun, ein urwaldgewohnter, tüchtiger Draufgänger, zu mir, den ich bereits anlässlich einer IllimaniBesteigung -- drei Jahre vorher -- als prächtigen und zuverlässigen Kameraden kennengelernt und der ursprünglich schon auf der Teilnehmerliste gestanden hatte. Aber auch diesem Lichtblick folgte ein neuer Schatten! Wenige Monate vor meiner Ankunft in Bolivien war angeblich von einer Transportmaschine aus im Tiefflug festgestellt worden, dass die vermeintlichen Ruinen auf dem Hochplateau der Cerrania von Paititi (das alte Ziel Posnanskys), zu denen ich vordringen wollte, lediglich Felsformationen waren und dass das gesuchte InkaHeiligtum weiterhin irgendwo verborgen in den dichten Urwäldern schlummern musste und weder durch Flugzeuge noch von umliegenden Höhen ausgemacht werden konnte. Man kann sich vorstellen, wie mich diese Hiobsbotschaft zu allem übrigen traf -- und dabei hatte ich mir so schön ausgedacht, dass ich vom Endpunkt der PosnanskyExpedition des Jahres 1950 aus nur noch meinen Flammenwerfer wie einen Schweissbrenner anzusetzen brauchte, um mich durch den Ameisengürtel der Palo SantoBäume bis zu den Pforten der lang gesuchten Ruinenstadt durchzuarbeiten. Wieder stand ich vor einer neuen Hürde, die irgendwie genommen werden musste, wollte ich nicht mein ganzes Vorhaben und damit mich selber aufgeben. Ich besuchte Posnansky, der gerade von einer Expedition aus dem Gebiet der MosetenezIndianer zurückgekommen war, um in La Paz seine Berichte über dieses Unternehmen auszuarbeiten. Leider hielt ihn diese Arbeit für Monate in Boliviens Hauptstadt fest, so dass der bekannte Forscher meiner Einladung zur Teilnahme an einer neuen PaititiExpedition nicht folgen konnte. Er gab mir jedoch viele wertvolle Anregungen, und vor allem schenkte er mir beim Abschied eine von ihm selbst gezeichnete Karte, in der die von seiner Expedition des Jahres 1950 begangenen Routen eingetragen waren. Mit Hilfe dieser Unterlage konnte ich meinen eigenen Plan ergänzen, der bereits die Wege und Urwaldpfade früherer Unternehmungen enthielt, und eine genaue Übersicht über diejenigen Gebiete bekommen, die bis dato noch unberührt waren. Da blieben von den etwa 1500 Quadratkilometern um den Cerro Paititi herum zwischen Rio San Christobal und Rio Chinijo -- einem Gebiet, das etwa dem zu einer Raute verschobenen Rechteck innerhalb der Begrenzungslinien München--Rosenheim--Kufstein--Bad Tölz--München entspricht -- nur noch zwei grosse, weisse Flecken übrig. Einer im Nordwesten am Rio Bagante und ein anderer im Südosten am Rio Chinijo. Ich entschloss mich für den letzteren, weil dort hinunter ein verhältnismässig gut erhaltener, zum Teil noch von den Inkas gebauter Gebirgspfad in Richtung Mapiri führte, der sich allerdings dann in den unermesslichen Urwäldern, die gegen die Cordillere hochziehen, verliert. Der Titicacasee auf fast 4.000 m Höhe Auf einem Umweg von La Paz nach Sorata, dem eigentlichen Ausgangspunkt unserer Expedition, passieren wir mit unserem Volkswagen die berühmte BalcaSchlucht. START IN BOLIVIENS HAUPTSTADT LA PAZ Nach einer Seereise von fast drei Monaten und dem üblichen Hafenaufenthalt in Arica war am 15.November 1954 endlich mein Expeditionsgepäck nach La Paz gekommen. Dieser Zeitverlust aber konnte schnell wieder wettgemacht werden. Durch die grossartige Vorarbeit der Deutschen Botschaft in La Paz -- vor allem in der Person des Kultur und Presseanaches Herrn Nagel -- und dank der Tatsache, dass ich durch meine früheren Unternehmungen bei der bolivianischen Regierung noch in bester Erinnerung stand, befürworteten das bolivianische Aussenministerium und damit alle übrigen massgebenden Regierungsstellen mein Vorhaben in grosszügigster Weise. Am 23. November 1954, zu einem Termin also, an dem die Regenzeit gerade ihre ersten Vorboten über die Königscordillere hinweg und über das bolivianische Hochland schickte, konnte ich endlich starten, begleitet von meinem Kameraden Rudi Braun, Frau Burgl Moeller und meinen beiden 16 und 17jährigen Töchtern Monika und Heidi, die nun -- nach Ausfall der vorgesehenen Kanonen -- die neue Expeditions"Mannschaft" bilden mussten. Meine Frau, Relly, war in La Paz zurückgeblieben, um den Nachschub von Material und die Nachrichtenübermittlung durchzuführen, während Frau Moeller und meine beiden Töchter neben der zoologischen Sammeltätigkeit das Basislager und die Bedienung der Funksprechgeräte übernehmen sollten. Hatte ich mir ein Jahr zuvor noch im Hinblick auf die schlechten Erfahrungen mit "holder Weiblichkeit" im Zusammenhang mit meiner AndenKundfahrt 1950/52 hoch und heilig geschworen, nie mehr eine Frau auf Expedition mitzunehmen, so waren diesmal direkt oder indirekt gleich vier daran beteiligt. Aber nach den letzten unerfreulichen Begebenheiten am Nanga Parbat und hinterher, wo bekanntlich nur Männer mitspielten, wagte ich einen neuen Versuch -- diesmal allerdings in familiärer Zusammensetzung und mit alten Freunden, und ich kann nur sagen, dass ich mit dieser Kombination ausgezeichnet gefahren bin. Auf einem altersschwachen und längst museumsreifen DodgeKleinlastwagen -- Modell 1934 -- reisen rund 1200 Kilo Expeditionsgut auf direktem Weg von La Paz nach Sorata. Schon auf dem ersten Teil der Strecke aus der im Durchschnitt 3600 m hoch gelegenen Stadt hinauf zum über 4000 m hoch gelegenen Altiplano traten die ersten Schwierigkeiten auf. Die schöne Betonstrasse war wegen Ausbesserungsarbeiten gesperrt, und der alte Karawanenund Karrenweg mit seinen Steigungen bis zu 20°/o setzten unserem Lastwagenveteran so zu, dass er manche Stellen rückwärts und mit kochendem Kühler überwinden musste, bis er in fast dreistündiger Arbeit die 6 Kilometer lange Strecke hinauf in die Hochebene geschafft hatte. Dann ging's gewissermassen von selbst dahin -- nur noch mit einer einzigen leichten Gegensteigung -- hinunter ins Tal von Sorata, 2700 m hoch gelegen. Später folgten die "Mann"schaft und das restliche Gepäck mit dem inzwischen eingetroffenen Expeditionsfahrzeug -- einem VWKombi, bei dem die Geschwindigkeit zu Gunsten einer Gebirgsachse und damit einer besseren Steig und Geländegängigkeit reduziert war -- nach. Auf Umwegen reisen wir durch die schönsten Landschaften Boliviens nach Sorata, passieren dabei die berühmte und berüchtigte BalcaSchlucht, fahren durch angeschwollene Flüsse und Mondlandschaften, klettern über Eis und Schnee die grossartig angelegte Strasse zum 5300 m hoch gelegenen Chacaltaja hinauf, um dann wieder hinunter zu rollen über die weiten Hochebenen des südamerikanischen Tibets -- nach Westen zu. Dort liegen -- einstmals von den Wassern des TiticacaSees umspült -- die uralten Tempelruinen von Tiahuanacu, dem Zentrum des inkaischen Sonnenkults. Noch gehen die Ansichten auseinander über Alter und Herkunft mancher riesiger Steinkolosse und Monolithen. Bolivianische Archäologen nehmen an, dass hier die "Wiege der Menschheit" zu suchen sei. Die Ufer des TiticacaSees -- des heiligen Sees der Hochlandindianer --kommen in unser Blickfeld; BalsaFischer kehren zurück auf ihren leichten BinsenBooten -- und aufgeschreckt durch das Aufheulen unseres Motors und den warnenden Ton unserer Hupe löst sich eine rosa Wolke -- Flamingos --von einer seichten Schlammbank. über eine Passhöhe von 4600 m hinweg erreichen wir Sorata. Wir sind alle todmüde von den grossartigen Eindrücken unserer Fahrt und den vorausgegangenen Tagen und Nächten, die ausgefüllt waren mit Pack und Wiegearbeiten. Die MulaLasten dürfen ja für den schweren und gefährlichen Cordillerenübergang keinesfalls das Gewicht von einem Quintal =46 Kilo pro Tier, aufgeteilt in zwei Traglasten zu je 23 Kilo, überschreiten. In der Nähe des Titicacasees auf bolivianischer Seite liegt die berühmte Ruinenstätte von Tiahuanacu mit dem monumentalen Sonnentor des Gottes Viracochu. Auf InkaSteigen über die KönigsCordillere Mit 30 PS waren wir in Sorata angekommen -- mit 25 MulaKräften verlassen wir die kleine Stadt und damit das gastliche Heim, das uns Familie Fernholz in alter, treuer Anhänglichkeit geboten hatte. Unter grössten Schwierigkeiten und bei Schnee und Gewitterstürmen überwanden wir mit unserer kleinen Karawane mehrere Andenpässe zwischen 4000 und 5000 m Höhe, um dann -- Tage später -- hineinzutauchen in die feuchte Schwüle der Regen und Nebelurwälder jenseits der Cordillere. Hatten wir TolaPampa -- einen alten KarawanenBiwakplatz, in 3450 m Höhe über dem Urwaldgürtel gelegen -- eines Abends, noch in HochgebirgsSturmanzügen und mit Fäustlingen bekleidet, von Hagelschauern und Kälte getrieben, erreicht, so verliessen wir ihn am nächsten Morgen in unseren neuen TropenUrwaldOveralls und wanden uns schweisstriefend wenige Stunden später -- die Mulas vorsichtig am Zügel führend -- die schwindelnden Steige der YungasUrwälder gegen Pararani hinunter. Seit im Jahre 1932 mit einem Grönlandunternehmen meine ExpeditionsWanderjahre begannen, ist es für mich etwas so Selbstverständliches geworden, unvorhergesehene Schwierigkeiten zu überwinden, dass ich mich mit einer eigenen Schilderung des Weges über die Königscordillere, der ja lediglich den Zugang zu unserem Operationsgebiet darstellt, nicht lange aufhalten möchte. Man wird mit der Zeit etwas abgestumpft und ist dann nicht mehr so aufnahme und wiedergabefähig wie ein noch ganz junger Mensch, der zum erstenmal eine solche Expedition miterlebt. Vielleicht ist es darum besser, wenn ich die Jugend zu Wort kommen lasse und von Fall zu Fall Tagebuchaufzeichnungen meiner damals gerade 17 Jahre alt gewordenen Tochter Monika mit verwende. 24.11.54 "Im Morgengrauen dieses nebelverhangenen Tages verlassen wir Sorata mit unserer Maultiertropa in Richtung HancoumaCumbre -- einem 5200 m hohen Pass, über den der Steig nach Yani führt. Unterwegs schliessen sich ein paar finster aussehende Kerle an -- mit grossen Packen und Pfannen beladen --die zum Goldwaschen nach Tipuani wollen. Sie machen keinen besonders vertrauenerweckenden Eindruck, und wir passen auf wie die Schiesshunde, dass keines unserer Lastmulas zurückbleibt. Tief unten aus dem Tal, wo ein Autoweg zu einer Mine führt, jault immer wieder ein alter, schwer beladener Ford auf, der wohl schon mit Pizarro herüber gekommen sein mag. Er gehört einem Österreicher, der hier auf einem Zivilisationsvorposten mit seinem AutoVeteranen einige der kleinen Bergwerke, die überall verstreut in der Cordillere liegen, mit Lebensmitteln versorgt und die gewonnenen Erze abtransportiert. Allmählich löst sich der Nebel und gibt den Blick frei auf die Nordausläufer der Königscordillere. Beim Übergang über den ersten, noch untergeordneten Pass fallen uns grosse Steinhaufen auf, zu denen unsere Arrieros (Maultiertreiber) -- Gebete murmelnd -- weitere Steine legen. Beim Vorbeireiten an einer Felswand entdecken wir kleine, etwa 20 cm hohe, sogenannte Seelenhäuschen aus Steinplatten, die die alten Indios zum Dank oder zur Bitte den Berggeistern auf der Cumbre errichten. Herrlich schön ist es hier oben. Grüne Matten, die hinunterführen ins Tal von Hancouma, Schafherden und Lamas sowie halbwilde Bergponys grasen in dem hellen Grün -- hoch oben zieht ein CondorPaar weite Kreise, und tief unten in den Sumpflagunen baden -- wie winzige Perlenketten -- Schneegänse und Enten. Etwas flacher führt der Weg von der HancoumaAbzweigung --die die Eingeborenen ChuchuCumbre (sprich: Tschutschu) nennen -- zu dem höher gelegenen LachisaniPass, der sogenannten Cumbre von Yani. Dort warten auf uns Austauschmulas für den Weiterweg nach San Carlos. Sehr vertrauenerweckend sehen sie nicht gerade aus -- weder die Viecher noch die Leute. Meine Schwester Heidi, Burgl und ichbetrachten mit gelindem Schauer die alten, komisch geformten "Foltersättel" -- wohl noch aus der Conquistadorenzeit. Man sitzt in ihnen mit Vorder und Rückenlehne zwar wie in Abrahams Schoss und kann unmöglich herausfallen, dafür aber beim Bergaufreiten unter tiefhängenden Ästen sich spielend leicht den Brustkorb eindrücken. Hannes -- das ist mein Vater -- und wenn ich ihn ebenso nenne wie meine Expeditionskameraden, so ist das beileibe nicht Respektlosigkeit der Jugend von heute, sondern ich weiss nur zu genau, dass mein "alter Herr" nur ungern durch die Anrede "Vati" daran erinnert werden möchte, dass er die Vierzig überschritten und schon so grosse Töchter hat. Männer sind ja furchtbar eitel, und meinen Papa nehme ich da nicht aus. "Hannes" -- wie ich also meinen Vater und Expeditionsleiter im Rahmen unserer Unternehmung ebenfalls nenne -- ist mit dem Chef der Tropa aus Yani -- Don Julio Sanchez -- nach längerem Feilschen über den Preis der Tour endlich einig geworden. Dafür braucht es aber beinahe unendlich viel Zeit, bis alle Lasten in Ledernetzen auf den Tragtieren verstaut sind und die Treiber unter sich die einzelnen Gepäckstücke ausgerauft haben, denn jeder sucht sich natürlich die leichtesten und handlichsten aus. Hannes ist überall -- teilt Kisten und Säcke ein, denn er muss darauf achten, dass beispielsweise Filmkameras und Material nicht auf ein und dasselbe Maultier kommen, damit im Fall eines Absturzes nie beide Kameras vernichtet sein können; daneben filmt er mit dem dritten Apparat, den er ständig im Rucksack bei sich trägt, Packszenen und interessante Passagen unterwegs, findet dann aber immer noch Zeit, dazwischen hier eine Korrektur anzubringen, dort zu schimpfen -- oder uns von dieser herrlichen Aussichtswarte aus drüben am Illampu (6348 m hoch) die Aufstiegsroute zu erklären, die er zusammen mit seinem Kameraden im Jahre 1951 benützt hat. Er zeigt uns den Eisüberhang, wo sie damals biwakieren mussten, und mich friert beinahe bei seinen Schilderungen. Trotzdem aber bin ich mächtig stolz auf meinen Papa. Die Fleteros drängen zum Aufbruch, weil der Wind Hagelschauer von Osten her über den Felsgrat treibt; aber Hannes bremst -- denn er hätte gar nichts dagegen, ein kleines Schneegestöber zu Beginn unserer Tropenreise in seinen Kasten zu bekommen -- und ist beinahe empört, dass die Maultiertreiber seinen künstlerischen Ideen so wenig Verständnis entgegenbringen. In unseren schönen, blauen SturmÜberanzügen reiten Rudi und ich mit dem ersten Trupp voraus, während die anderen die Nachhut bilden. Aber nur kurz sind die Reiterfreuden, denn bald schon geht es durch ein steiles, enges Tal, und wir müssen unsere Tiere am Zügel führen. Hier auf der Ostseite des HauptCordillerenKammes reicht eine vielfältige Vegetation von Sträuchern und Bäumen bis hoch hinauf, und hier finden wir auch zum erstenmal wilde KnollenBegonien mit grossen, rosaroten Blüten. Am späten Nachmittag passieren wir die neu erschlossene Goldmine eines Deutschen aus La Paz -- aber ausser einigen Arbeitern ist niemand zu sehen --und wir sind froh, jetzt keinen Bekannten zu treffen, da wir vor Einbruch der Dunkelheit noch bis Yani kommen wollen. -- Weiter unten überqueren wir den Fluss, und halsbrecherisch steil führt der Weg einen Hang hinauf. Da oben soll irgendwo Yani liegen, wo unsere Arrieros alle zu Hause sind. Es dämmert bereits -- der Nebel beginnt einzufallen, und es wird ausgesprochen düster und nasskalt. Wir reiten noch einen Grat entlang auf die andere Bergseite, treiben unsere Maultiere über Felsstufen hinauf, bis wir -- um eine Ecke herum -- mit einem Mal am Eingang von einem Dorfe stehen -- und was für einem! -- Yani -- 3500m hoch gelegen -- hält den Vergleich mit einem Räubernest glänzend aus, und wie wir am eigenen Leibe verspüren konnten, lebt es ja auch mehr oder weniger von Spitzbübereien. Burgl vergleicht die Siedlung treffend mit einer Dekoration aus >>Carmen". Düster und winkelig kleben Häuser und Höfe mehr über als nebeneinander. Tropfnasse Grasdächer über grauen Steinquadern, enge Gassen, verräucherte Türen und Fensterlöcher -- teilweise verfallen; ein paar scheue und misstrauische Kindergesichter, umrahmt von dunklen Türhöhlen. Es sieht nicht gerade einladend aus hier in Yani. Aber der alte Julio Sanchez hat uns in seinem Hause eingeladen, und dort soll angeblich bestens für uns gesorgt sein, wie er Hannes beruhigend versichert, der daraufhin seinen Kontrollposten am Dorfeingang aufgibt, wo er ursprünglich die Tropa an sich vorbeidefilieren lassen wollte, um die Lasten zu zählen. Obwohl Vati angeordnet hatte, dass in dem Hof unseres Quartiers auch abgeladen werden sollte, sind drei Arrieros mit über der Hälfte der Tropa bereits in verschiedenen Nebengassen mit unserem Gepäck in ihren eigenen Höfen verschwunden. Hannes tobt, weil Schlafzeug und Verpflegung nun im ganzen Dorf verteilt liegen. Sanchez beteuert immer wieder, dass es "costumbre" -- also ortsüblich sei, dass die einzelnen Arrieros und Maultierbesitzer die Lasten in ihren eigenen Häusern unterbringen, und es kostete einen richtigen Kampf, bis wir unseren ganzen Kram wieder beisammen hatten. Unser Nachtquartier ist eine tolle Bude! Der Boden lehmgestampft, das Dach mit Pajabrava, dem widerstandsfähigen Langgras der Cordillere, bedeckt, und die Wände mit Zeitungen aller Herren Länder tapeziert. Sogar ein Völkischer Beobachter aus dem Jahre 1942 ist darunter -- und in Schlagzeile wird darin auf der ersten Seite vom Fall der Festung Sewastopol berichtet. Bevor wir unser Schlafgepäck hier ausbreiten, bearbeiten wir die ganze Behausung gründlich mit NexaPuder -- und fluchtartig verlässt Heidi mit ihrer Benzinküche den "giftstaubverseuchten" Raum, um draussen im Vorhof unsere Abendsuppe zu richten. Bei der Neugier der Dorfbewohner herrscht ein reger Durchgangsverkehr in unserem Hof, und deshalb beschliesst Hannes, trotzdem das dort gestapelte Gepäck mit einer Plane abgedeckt und verschnürt worden ist, Nachtwachen durchzuführen. Ich melde mich gleich zur ersten -- und während die anderen in ihren molligen Schlafsäcken längst eingeschlummert sind, sitze ich -- mit meiner Gaspistole bewaffnet -- (Hannes traute dem weiblichen Teil der Expedition nur mit solchen Schiesseisen einigermassen genau Zielsicherheit zu) zwei volle Stunden am Eingang zu unserem Schlafgemach -- ein bisserl steif gefroren, aber sonst hellwach -- voller Stolz und im Bewusstsein, eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Ergebnis der Beobachtungen während der ersten Nachtwache meines Lebens: zwei Hunde umrunden den Gepäckstapel, einer hebt das Bein und gibt Visitenkarte ab; ferner eine Sau und vier Passanten mit der Taschenlampe identifiziert und teilweise verscheucht. Der sternenklare Himmel und die Kälte versprechen das beste Wetter für morgen, und Rudi kann schnarchen, so viel er will, ich werde ihn jetzt zur zweiten Wache heraustrommeln. Der Talkessel von Sorata wird von dem 6366 Meter hohen Illampu, dem Nordp feiler der Königskordillere, überragt. 25. 11. 54 Kaum wagt man um 5 Uhr früh ein Auge aufzumachen, geht der Wirbel schon wieder los. Burgl, Heidi und ich pilgern zu einer kleinen Quelle oberhalb der Kirche, erfrischen uns dort und verarzten unsere Sonnen und Nebelbrände vom Vortag mit Salbe. Hannes und Rudi haben sich inzwischen mit den Kerlen beinahe schon wieder in die Haare gekriegt, wegen höherer Geldforderungen -- und Heidi, deren perfektes Spanisch man neidlos anerkennen muss, dolmetscht tapfer und dezent in ihrer Adjutantenrolle, wenn Vati in der Hitze des Gefechts einen nur schwer verständlichen Cocktail von Spanisch, Italienisch, Französisch, Englisch und Bayrisch mixt. Es wird bei den Arrieros als besonders störend empfunden, dass unser Expeditionsleiter seine 50 Gepäckstücke genau im Kopf hat -- und es daher nicht gelingt, auch nur ein einziges "per Zufall" in Yani zu "vergessen". Die Treiber schachern um den Preis und verfluchen ihre Mulas, die störrisch sind wie die Teufel. Hannes schimpft und schwitzt und -- zahlt. Heidi ist nicht auf den Mund gefallen, als es darum geht, einen Träger, der sich -- trotz guter Bezahlung für eine leichte AkkuLast -- aus purer Bequemlichkeit dagegen wehrt, weiter mitzugehen, herunterzuputzen vor allen andern und so zur Vernunft zu bringen. "Bist du ein altes Weib, dass du Angst hast, mit uns ins Tiefland zu gehen?" --schleudert sie ihm auf Spanisch entgegen. Schallendes Gelächter quittiert diese schlagfertige Äusserung meiner jüngeren Schwester. Verlegen lächelnd und beschämt nimmt der Träger seine leichte Last auf und zieht mit uns. Ich kann wieder mit den ersten gegen 7 Uhr früh losreiten, während "unsere Männer" sich als Nachtreiber betätigen. Die Sonne ist längst aufgegangen, und aus dem goldenen Morgen wird ein heisser Tag werden. In vielen Kehren geht's zum Fluss hinunter und drüben in einem Seitental wieder hinauf. Auf diesem "Weg" darf man sich wirklich keinen falschen Tritt erlauben. Man würde in einem Wasserfall landen, der 100 m tiefer durch einen Canon tobt. An einer seichten Stelle oberhalb der Schlucht durchqueren wir dieses Wildwasser, und drüben beginnt der Anstieg zu einer Cumbre, der im Laufe des Tages noch zwei weitere Pässe folgen. Stunden geht es an steilen Graten entlang, Talwände hinauf und hinunter, an schäumenden Wasserfällen und an kleinen Tümpeln vorbei -- ständig in einer Höhe von etwas über 4000 m. Auf diesem uralten, inkaischen Königssteig transportieren diese widerstandsfähigen Mulas Jahr um Jahr -- über Treppen und Stufen hinweg --wertvolle Lasten hinunter nach San Carlos, Mapiri und wieder zurück. Wie dickbäuchige Omnibusse schnaufen die Tiere daher -- links und rechts mit unseren AluminiumTropenkoffern behangen. Oft hat man das Gefühl, sie müssten zusammenbrechen bei diesem Treppauf und Treppab, aber trotzdem finden sie immer noch genug Zeit, zwischendurch ein Maul voll Paja (Gras) zu rupfen und gelegentlich auch neben dem Weg dahinzustrolchen, was dann lautes Schelten ihrer Treiber auslöst. Der Tornillo (Die Schraube), ein noch gut erhaltener Teil des inkaischen Königsweges, über den die Expedition nach Überwindung von vier Pässen von fast 5000 Meter Höhe in die Tieflandurwälder hinunterzieht. Nachmittags müssen wir den grössten Teil des Weges zu Fuss gehen, vor allem am Tornillo, der berüchtigten Schraube, um die Tiere bei dem steilen Abstieg zu schonen. Als wir abends in TolaPampa unser Nachtlager aufschlagen und zu fünft in unser DreiMannZelt kriechen, wissen wir alle, was wir hinter uns haben. Übrigens wollte sich auch der Laternen und AkkuTräger -- scheinbar angekränkelt von Freiheits und GleichberechtigungsThesen politischer Rattenfänger -- noch zu uns ins Zelt legen. über so viel Frechheit war Hannes einfach sprachlos -- und eine unmissverständliche Handbewegung liess den Aufdringlichen schliesslich doch vorsichtshalber den Rückzug antreten. Wir schliefen -- nach einem Bad in dem naheliegenden, glasklaren Flüsschen -- dicht zusammengedrängt alle mehr oder weniger gut, jedenfalls aber warm. 26. 11. 54 Schon früh um 5 Uhr rumort Hannes draussen vor dem Zelt in der Küchenkiste herum -- und bei dem beruhigenden Summen des PrimusKochers döst man schnell wieder ein. Aber dann kreischt jäh und laut wie eine Säge der Reissverschluss des Zelteingangs, und jeder von uns erhält im Schlafsack sein Frühstück serviert: dampfende Ovomaltine und Büchsenbrot, mit Butter und Honig beschmiert. Dann muss jeder noch, ob er will oder nicht, eine tüchtige Ladung Haferbrei hinunterwürgen. Unser Expeditionsleiter ist in solchen Dingen ein Tyrann -- denn der Weg, der vor uns liegt, ist schwierig, und bis zur nächsten Etappe sind es -- wie er behauptet -- mindestens 810 Stunden. Um 7 Uhr früh -- gerade ist die Sonne hochgestiegen -- setzt sich die Leitmula mit ihrer bimmelnden Glocke am Halse in Bewegung -- und im munteren Trott reihen sich die übrigen Lasttiere in die Tropa ein. Es soll hier eine Menge Bären geben, aber wir hatten nicht das Glück, einen zu sichten und fanden nur Fährten und Losung. Nun weiss ich auch, warum die LakritzenStangen, die wir als Schulkinder in Deutschland so gerne gelutscht haben, "Bärendreck" heissen. Die Ähnlichkeit ist unverkennbar! Unterwegs zeigt sich, dass einzelne Mulas eine erstaunliche Vielfalt der verschiedensten Charaktereigenschaften aufweisen. Ich hatte ausgesprochenes Glück mit meinem Reittier. Es war sanft, trittsicher, aber faul, so dass ich ihm hie und da etwas Ehrgeiz eintreiben musste. Jedenfalls aber hatte es nicht so originelle Ideen wie die Mula von Burgl, die dauernd im Gehen Gras rupfte, war nicht so störrisch wie Heidi's Esel und auch nicht so feurig wie der Rappe von Hannes, mit dem uns Papa auf einem steilen Grat einen mustergültigen Sturzflug mit raffinierter Landetechnik vorexerzierte, als das Biest plötzlich einen Haken schlug und mit den Hinterbeinen auskeilte. Hannes hatte das Tier mit dem Knoten seines langen Zügelendes genau auf die empfindlichste Stelle unter den Schwanz getroffen. Eine peinliche Stelle übrigens auch auf diesem schmalen Weg, denn aus dem Abgrund leuchten die bleichen Gerippe von gestrauchelten Mulas. Schon im Laufe des Vormittags tauchen wir ein in ein Nebelmeer, das um die Flanken dieser CordillerenAusläufer wogt, und das -- wie eine riesige Daunendecke -- bis jetzt die Tieflandurwälder unseren Blicken entzogen hat. Nun geht der berüchtigte Abstieg los -- und wir müssen die Tiere wegen des abschüssigen, glitschigen Weges fast immer führen. Die Inkas sind geniale Strassenbauer gewesen, obwohl sie keine Räder kannten. Der Saumweg, über den wir hinunter in Richtung Mapiri pilgern, ist zum grössten Teil inkaischen Ursprungs. Bedauerlich nur, dass seit dem Zerfall des Reiches der Inka anscheinend an dem alten Königspfad nichts mehr ausgebessert wurde. Seit Mittag bewegen wir uns in der subtropischen Regenwaldzone. Sie begann mit stacheligen Bromeliaceen, dichtem Bambus und Palmfarnen. Später folgten höhere Bäume mit starkem Moosbehang, und ich hatte immer das Gefühl, es müsste mir von oben herab eine Vogelspinne oder eine Baumschlange auf den Hut oder in den Kragen fallen. Aber >>unsere Männer" beruhigten uns, und im übrigen hatten wir ja an diesem Morgen nicht mehr unsere Hochgebirgsanzüge, sondern zum erstenmal die praktischen, gut schliessenden grünen UrwaldOveralls angezogen. Wir sahen aus wie Fallschirmjäger auf dem Kriegspfad, und ich kam mir mächtig wichtig vor. Hannes filmte mehrere Male einige interessante Passagen, bis dann die Lichtverhältnisse immer schlechter wurden. Der Weg ist "muy cerrado" (stark eingeengt) und führt in tief ausgewaschenen Kanälen -- überwuchert von Lianen, Bambusgestrüpp und umgestürzten Bäumen -- teilweise wie durch einen Tunnel. Trotzdem die Arrieros drei oder viermal im Jahr mit ihrer Tropa über dieselbe Strecke kommen, fällt es ihnen nicht im Traume ein, diese für sie so lebenswichtige "Strasse" in Ordnung zu bringen. Irgendwie werden sich die Mulas mit dem Gepäck schon durchs Dickicht zwängen, auch wenn dabei die Kisten der Gringos (weisse Männer) Beulen bekommen und die Packsäcke aufgeschlitzt werden. Die Brüder sind viel zu faul, um mit der Machete den Weg freizumachen und behalten ihre Buschmesser -- des kühnen Aussehens wegen -- lieber im Gürtel. Ab und zu sieht man nun unter der Nebeldecke lange Hügelketten gegen Osten zu verschwinden, steil und mit dichtem Urwald bedeckt, so weit das Auge reicht. Dort unten also soll irgendwo PAITITI liegen, die sagenhafte Inkastadt, die wir "erobern" wollen. Ich bin etwas skeptisch beim Anblick dieser unendlichen Wälder. Aber reiten wir mal nach San Carlos -- vielleicht kann man uns dort etwas mehr sagen, als aus der winzigen Karte hervorgeht, die Hannes von Manuel Posnansky geschenkt bekommen hat. Gegen Abend erreichen wir Pararani mit ein paar freundlich aussehenden Hütten, die ganz aus den Stämmen und Blättern der CussiPalmen gebaut sind. In den Kehren der letzten Steilstufe oberhalb der Siedlung registrierten wir noch zwei aufregende Ereignisse. Meine Schwester Heidi, die plötzlich Anwandlungen bekommen hatte, an der Spitze -- vor Rudi und Hannes -- zu gehen, wäre in einem Engpass um ein Haar in eine Schlange hineingetappt, die mitten im Weg lag. Steinwürfe von Rudi verscheuchten diese ins Dickicht. Sowie der Weg breiter wurde und Hannes und Rudi mit ihren Mulas wieder nach vorne konnten, nahm Heidi gerne wieder ihren dritten Platz innerhalb der Tropa ein. Kaum hat Hannes erneut die Führung übernommen, springt ein schwarzes, pantherähnliches Tier in den Weg, das nach einigen Fluchten schnell seitwärts im Walde verschwindet. Im letzten Dämmern des Tages blasen wir in einer der Hütten, die uns gastfreundliche Bewohner zur Verfügung gestellt haben, unsere Gummimatratzen auf -- und bei dem einsetzenden Regen sind wir froh, unsere schönen, neuen KlepperZelte noch wohl verwahrt in den Packsäcken lassen zu können. Heidi brät auf dem Primus Kartoffelschmarren, und je nach Geschmack gibt's dazu Sauerkraut oder Apfelmus. Mahlzeit -- kann man da nur wünschen, und eine ungestörte Nacht!! 27. 11.54 Zum Abschied -- am Morgen -- schenkten uns unsere Gastgeber einen Strunk Bananen mit etwa 50 Stück, die wir mittags bereits verschlungen hatten. Welch ein Unterschied zwischen den freundlichen Menschen hier, gegenüber den verschlossenen und verschlagenen Gesellen oben in Yani. Allerdings führen die Menschen unten in dem milden Klima ein wesentlich leichteres Leben als die oben im Hochland. Es wächst, wenn einmal richtig gerodet ist, beinahe alles von selbst -- und ungemein schnell. Heute brachten wir die letzte und kürzeste Etappe der Reise hinter uns und erreichten schon um vier Uhr nachmittags unser Ziel." Soweit Monika. BASISLAGER MIT "TELEFONANSCHLUSS" Auf der Estancia San Carlos, einer Teeplantage (übrigens der einzigen grossen Boliviens), die von einem Deutschen verwaltet wird, wurden wir mit echt südamerikanischer Gastlichkeit aufgenommen. Diesen Platz hatte ich als Nachschubbasis für Verpflegung ausersehen, und dort sollten auch in guter Obhut die weiblichen Teilnehmer bleiben. Nach einer kurzen Orientierung aber musste ich einsehen, dass San Carlos für eine Tropensommerfrische zwar herrlich gewesen wäre, sich aber viel zu weit entfernt von meinem eigentlichen Operationsgebiet befand. Sieben Stunden vorher hatten wir einen Platz passiert mit dem vielsagenden Namen IncaPampa. Dieses IncaPampa war nicht nur hervorragend als Basislager geeignet, weil es hoch über den Schluchten des Rio Chinijo, dem Cerro Paititi und einem riesigen Urwaldkessel gegenüber lag, sondern -- weil das Wort allein schon einen gewissen Anhaltspunkt dafür bot, dass dieser Ort inkaischen Ursprungs war. Dabei handelt es sich lediglich um eine Lichtung in dem flachen Sattel eines langezogenen, schmalen, bewaldeten Höhenrückens, den Tropenstürme und Gewitter mit der Zeit von Bäumen freigefegt haben, wobei eine Art Pampa mit einem kleinen Teich entstanden ist. Abgesehen von dem Namen hat der Platz noch eine Besonderheit. Der kleine Teich ist durch einen Damm gestaut, dessen Konstruktion die typische Bauweise zu Inkas Zeiten verrät. So zogen wir denn nach Regelung der Fragen des Verpflegungsnachschubs mit der ganzen Tropa, zu der noch 20 Macheteros kamen, zurück an den Rand der Wildnis, wo die drei Frauen das Basislager und die dort errichtete Funksprechstation übernehmen mussten, während ich mit meinem Begleiter Rudi Braun und den Eingeborenen in die Urwälder an den Ostabhängen des Cerro Paititi eindrang. Während der Errichtung des Basislagers gab es immer wieder genügend Gelegenheit, von diesem idealen Beobachtungspunkt aus die Hänge und Schluchten des Cerro Paititi mit den Ferngläsern nach irgendwelchen Anzeichen alter menschlicher Siedlungen abzutasten. Aber so sehr wir uns auch bemühten, nichts war weiter zu sehen als das monotone Gewoge hoher, dunkler Urwaldbäume. Darüber brandeten Wol ken und Nebelschwaden ohn' Unterlass um diesen "Monte mysterioso". Regenschleier und Gewitter zogen wechselweise über die waldigen Schluchten und uns hinweg, die wichtigen Beobachtungen erschwerend. Nur hin und wieder stahl sich ein Sonnenstrahl durch den Brodem und gab den unheim lichen, finsteren Wäldern wenigstens stellenweise ein freundlicheres Aussehen. An so einem lichten Fleck aber blieb ich auf einmal mit meinem Fern glas hängen. Die Sonnenstrahlen waren weiter gewandert -- der Fleck in mitten des dunklen Grüns aber war hell geblieben, und aus dieser einsamen Insel in dem tiefen Urwaldozean ragten drei mächtige Palmen empor neben einem grossen, braunen Etwas, das ich aus etwa 15 km Entfernung als eine steinerne Säule, einen Monolithen deutete. Ich sah im Geiste bereits Mauern und Ruinen -- von Tacuara (einer sehr schnell wachsenden Bambusart) über wuchert, die sich wellenartig unter diesen drei einsamen Bäumen ausbreitete. Diese Entdeckung warf meinen Plan, als erstes den Cerro Paititi zu besteigen, über den Haufen. Ich stellte zunächst eine saubere Marschskizze zusammen, mit deren Hilfe wir zu dem Monolithen mit den drei Palmen vorstossen wollten. Kompasszahl 305, das war fortan in den nächsten Wochen die Ziffer, nach der wir uns zu richten hatten -- und Kompasszahl 305 war letzten Endes auch die Zahl, die uns ans Ziel brachte, das allerdings nicht bei den Palmen lag, sondern lange vorher schon -- auf dem Weg dorthin -- in einem tiefen, völlig verborgenen Talkessel. MIT BUSCHMESSERN IN DEN DSCHUNGEL In den nächsten Tagen und Wochen kamen unsere Buschmesser und unsere Armmuskeln nicht mehr zum Ausruhen. Meter um Meter hieben wir uns vorwärts, den ganzen langen, beschwerlichen Weg durch finstere Urwaldschluchten und Bambusdickichte -- über hohe Laub und Humusdecken, in die wir immer wieder einbrachen, und durch Wildwasser. Allein um von unserem Basislager IncaPampa aus die 600 m Höhenunterschied durch den dichten Urwaldfilz hinab zum Rio Chinijo zu überwinden und einen brauchbaren Weg zu bahnen, benötigten wir volle drei Tage. Zwei weitere verstrichen, um über den etwa 40 m breiten, sehr reissenden Fluss zu kommen -- und es waren bange Stunden, die viel Schweiss kosteten, bis wir endlich mit Hilfe unseres Wurfankers, der von einer Spezialvorrichtung abgeschossen wurde, ein erstes Doppelseil am anderen Ufer hatten. An dieser "Seilfähre" gesichert, können die ersten Leute und ein Bündel Macheten durch die reissenden Wasser schwimmen, ohne befürchten zu müssen, in den flussabwärts liegenden Stromschnellen für immer zu verschwinden. Aus dem ersten Hilfsseil entsteht dann bald ein primitiver Sessellift, mit dem wir Personal, Apparatur und Expeditionsausrüstung hinüberbefördern. Unten in der Schlucht auf einem Felsvorsprung über den tosenden Wassermassen stand unser Lager I -- und auf dem Weg dorthin hatten wir unsere ersten Begegnungen mit Schlangen und streichholzgrossen Ameisen, Tucangiras genannt, die ganz infernalisch stechen und dabei Gift injizieren. Zweimal im Verlauf der Expedition musste ich damit nähere Bekanntschaft machen, und jedesmal war der Stich mit blutvergiftungsähnlichen Erscheinungen verbunden -- roten Striemen und Anschwellung der Drüsen, wozu dann noch Sehstörungen kamen, als würde man beim Entfernungsmesser einer Fotokamera die Doppellinien eines Gegenstandes zum Zwecke der Scharfeinstellung so lange hin und her schieben, bis sich die Konturen decken. Ob diese Sehstörungen direkt mit dem Stich der Tucangira, oder indirekt -- wie meine Kameraden behaupteten -- mit dem angewandten Gegengift, das heisst mit äusserlichen und inneren Alkoholeinreibungen, zusammenhingen, kann ich heute nicht mehr mit Sicherheit sagen. Unsere Schlangenabenteuer verliefen weitaus glimpflicher, vor allem während der Arbeit am Sendero (Ausdruck für einen mit dem Buschmesser geschlagenen Pfad). Der Lärm der Arbeit, verursacht durch das Schlagen der Macheten, das Krachen von Ästen und Bäumen, sowie das stete Vorwärtsschreiten dieses Rumors in den sonst so stillen Urwäldern treiben die Schlangen und alle übrigen Tiere -- sofern es sich nicht gerade um neugierige Affen handelt -- rechtzeitig in die Flucht. Mein Tagebuch verzeichnet während des ersten Spähtruppunternehmens als Durchschnitt drei Schlangenbegegnungen innerhalb von 24 Stunden. Das ist nicht viel gegenüber den Schlangenabenteuern der PosnanskyExpedition des Jahres 1950, die von dem Ort Gonzata aus -- also von Norden her in das Gebiet eingedrungen war und in den Monaten August/September zur Paarungszeit gleich Dutzende -- und zum Teil zu Knäueln zusammengeballt -- antraf. Bei uns bestand akute Schlangengefahr dann, wenn wir nach Regenfall auf dem bereits gebahnten Pfad zurückgingen und wieder Lasten nach vorne transportierten. Die Feuchtigkeit löscht jedes Geräusch aus. Kein Rascheln des Laubes mehr, kein Knacken irgendeines Astes! Lautlos -- wie auf Gummi -- schleicht man im Sendero dahin, kriecht unter den Torbögen der BambusDickichte durch, um plötzlich in dem Zwielicht von einer Schlange gestellt zu werden, die von oben herunterhängt. Das sind die gefährlichsten Augenblicke, denn Mensch und Tier handeln in solchen Momenten nur noch im Affekt. Beide schlagen zu -- und es kommt nur darauf an, wer schneller ist: Die scharfen Zähne des Reptils, oder die scharf geschliffene Klinge der Machete. Die meisten Schlangen, die unseren Weg kreuzten, befanden sich nicht am Boden, sondern über uns in den Bäumen oder zumindest neben uns in Augenoder Schulterhöhe, und der Gedanke, aus dieser für das Tier so bequemen Angriffsstellung heraus in den Kopf oder in die Halsschlagader gebissen zu werden, wirkt nicht gerade nervenberuhigend. Was nützt schon bei so einem Biss unser polyvalentes SchlangenSerum, oder das einheimische Especifico pessor, das wir neben Caliumpermanganat ständig mit uns führten? Das erstere ist intramuskulär zu verabreichen, das zweite löffelweise einzunehmen mit anschliessender 30stündiger Hungerkur, und das letzte in Kristallform in die Wunde zu pressen, um das Gift zu neutralisieren. Aber auch am Boden heisst es, höllisch aufpassen! Hier liegen Äste, abgeschälte Rinden und Laub, und dazwischen -- in oft unglaublicher Mimikry, kaum sichtbar für den Dahinschreitenden -- eine Yararaca, eine Surucucu oder Buschmeister mit ihren gefährlichen Doppelfangzähnen, oder eine Yoperohohobo. Von letzterer weiss ich ein Lied zu singen, seit mich im Jahre 1951 bei einem Unternehmen an der brasilianischen Grenze eine in die Hand gebissen. Damals wurde ich, da Serum fehlte, nur durch die Kunst meiner eingeborenen Begleiter gerettet, die aus einer bestimmten Wurzelknolle eine Medizin für mich brauten. Der Vorausgehende muss ständig auf der Hut sein und die Augen eigentlich gleichzeitig am Boden, auf beiden Seiten und in der Höhe haben. Dieses lauernde, langsame Vorwärtsschreiten über meterdicke Laub und Humuspolster -- wie auf einer Sprungfedermatratze -- immer wieder durchbrechend und sich dann hochrappelnd -- jeden Augenblick gewärtig, während die Füsse unten zwischen Ästen und Wurzelgeflecht in einem Hohlraum baumeln, der genauso gut ein Schlangennest sein kann, gebissen zu werden, das ist aufregender, aufreibender und kraftraubender als ein Gang selbst in 6000 und 7000 m Höhe durch tiefen Schnee. Nach Tagen mühseligen Vorwärtsschreitens in lähmender Hitze und Feuchtigkeit -- immer der Kompassnadel nach -- ist unser schmaler Urwaldpfad vom Fluss weg am jenseitigen Berghang hinauf und über einen langen Höhenrücken vorgetrieben worden, bis eine mächtige Felswand uns den Weiterweg sperrt. Ein kleiner Sturzbach tost hernieder. Hier schlagen wir Lager II und ziehen die Bilanz der vergangenen Woche: 500 m pro Tag sind wir im Durchschnitt vorangekommen. Zum Zweck der Neuorientierung wird nun mit grossem Vorteil auch hier wiederum unsere mitgeführte Harpune eingesetzt. Bereits während meiner Expedition 1951 im RioVerdeGebiet an der* brasilianischen MatoGrossoGrenze im Rahmen einer bolivianischen Grenzkommission hatte ich mir oft und oft gewünscht, möglichst leicht hohe Urwaldbäume besteigen zu können, um den Weiterweg zu erkunden -- oder Orchideen zu sammeln. Mit zwölfzackigen Steigeisen -- wie sie sonst nur bei Eisklettereien zum Einsatz kommen -- sowie mit Hilfe von Brust und Hüftschlingen bewältigte ich damals unter dem Gaudium vor allem meiner bolivianischen Expeditionsbegleiter in stundenlanger, schweisstreibender Arbeit derlei nicht "tourenberichtsfähige" Urwaldriesen. Diesmal schossen wir einfach einen Stahlpfeil mit leichtem Kunststoffseil über eine Baumkrone hinweg, zogen daran eine Strickleiter mit Aluminium Holmen hoch und konnten von einem solchen Luginsland aus sehen, wie es weiterging. Durch einen Gürtel von CecropiaStämmen muss die Felssperre umgangen werden. Palo SantoBäume schieben sich dazwischen. In ihrem Blütenzauber verraten sie mit nichts, dass ihre Hohlstämme die bevorzugten Wohnungen der Feuerameisen sind; derselben Ameisen, vor denen letzten Endes auch die Expedition 1950 schon kapitulieren musste. Indios behaupten sogar, die Inkas hätten den Palo Santo extra gepflanzt, um die heiligen Stätten vor dem Zugriff Unbefugter zu bewahren. Diese Deutung -- so interessant sie im ersten Augenblick auch erscheinen mag -- ist natürlich völlig abwegig, denn genauso wie bei uns in gemässigten europäischen Zonen bei entsprechenden Bodenverhältnissen und in gewissen Höhenlagen ganz bestimmte Bäume gedeihen, so ist das natürlich auch in subtropischen und tropischen Gegenden der Fall. Cecropia bzw. Palo SantoStämme gelten allerdings auch heute noch als die berüchtigten Folter und Todesbäume der Amazonas--Indianer, denn schon ein Dutzend Feuerameisen auf der Haut können jeden Menschen zur Raserei bringen. Manch einer, der unvorsichtigerweise einen solchen Ameisenwald betrat, weiss ein garstig Lied zu singen von dem feinen "Nieselregen" dieser winzigen Bestien, die sich wie brennende Tropfen auf ihre Opfer herniederrieseln lassen. Nur an zwei Stellen brauchten wir bis jetzt MagnesiumFackeln sowie unser SwingfogNebelsprühgerät als Flammenwerfer anzuwenden, um Feuerameisen, Tucangiras und Wespen in ihren Baumwohnungen auszuräuchern. Die mitgeführten Giftnebellösungen hatten keine Sofortwirkung. Die Tiere wurden durch die Qualmstösse nur noch rabiater. Mit Flammenwerfer und Axt durchbrechen wir das "Ameisenbollwerk" an der schwächsten Stelle. Um knapp ein Dutzend Bäume niederzuringen und eine acht bis zehn Meter breite Gasse für unsere barfuss laufenden Träger als Nachschubweg zu bahnen, brauchen wir fast zwei Tage. Neben Emsen, die sich im Basislager beinahe überfallartig an der Verpflegung gütlich taten, die nicht hermetisch verschlossen wurde, hatten wir vor allem in den Lagern I und II unter der "Saubea" zu leiden, die vieles anfrass, in erster Linie aber verschwitzte Lederriemen von Rucksäcken, Stiefel und Kleidung. Interessant war in diesem Zusammenhang, dass Gegenstände aus dem neuen deutschen Kunststoff "PAN" von diesen Ameisen gemieden wurden. Aus Zeitersparnisgründen befasste ich mich gar nicht lange mit dem Ausbau unseres Lagers II, sondern trieb nach Öffnen der Gasse im CecropiaGürtel mit einigen wenigen Macheteros den Sendero weiter gegen den "DreiPalmenPlatz" und ein geplantes Lager III vor. Rudi hatte inzwischen die Aufgabe übernommen, mit den übrigen Peones die restlichen Lasten vom Lager I nach II zu bringen. An dem Tag höre ich um die Mittagsstunde aus der Ferne drei Schüsse dicht hintereinander -- und etwas später einen vierten Schuss. -- "Aha", denke ich -- und hoffe im stillen auf eine gute Jagdbeute meines Kameraden. Gegen Abend kommt er -- noch ziemlich erregt unter dem Eindruck eines Schlangenabenteuers -- auf meine Funksprechstelle oberhalb Lager II. Er musste -- allein unterwegs -- durch die Krone eines Baumes kriechen, den ein Gewittersturm in der vorhergehenden Nacht in unseren Sendero geworfen hatte. Als der Freund nach Überwindung des Hindernisses -- inmitten von dürren Ästen stehend -- eine kleine Atempause einlegen will, sieht er vor sich zwischen den Knüppeln am Boden ein armdickes Etwas von fast derselben Farbe wie die Umgebung -- nur mit dem Unterschied, dass es glänzende Schuppen hat und sich langsam vorwärts bewegt. Nach der ersten Schrecksekunde will Rudi einen Schritt zurückgehen, aber ein hochstehender Ast in der Kreuzgegend hindert ihn daran -- und das ist sein Glück; denn als er mit der Hand nach dieser Rückensperre angeln will und dabei der Blick zufällig hinter seine Absätze auf den Boden fällt, sieht er auch hier armdick Schuppen glänzen. In jähem Entsetzen reisst mein Kamerad seinen Kolt vom Gürtel und schiesst blindlings dreimal hintereinander auf den dicken Schlangenleib vor sich. Jetzt kommt Leben in das Gewirr von Ästen und Laub um ihn herum -- und eine vielleicht 4 m lange Schlange, in deren Ring er gestanden, wobei der Kopf unsichtbar geblieben, bewegt sich seitwärts in das Dickicht. Ein vierter Schuss kracht hinterher, trifft -- und blitzartig verschwindet dieser unheimliche Wegelagerer im Urwalddunkel. Ob es eine Boa war oder eine Buschmeister -- die gefährlichste Giftschlange dieser Wälder -- das konnte Rudi nicht sagen. Eines aber nahmen wir uns vor, möglichst nicht mehr allein zu gehen und uns im Vorausgehen abzulösen, soweit das nur irgendwie durchführbar war; denn das Schlimmste in diesen Urwäldern sind meines Erachtens weder Schlangen noch Vogelspinnen, sind nicht der Jaguar und die stürzenden Bäume -- eine der grössten Gefahren ist die schleichende Apa thie, jenes Wurschtigkeitsgefühl, das einen befällt durch die Einwirkung der alles lähmenden Hitze, der Feuchtigkeit und Schwüle und letzten Endes durch die Überbeanspruchung der Nerven und der Körperkräfte. EIN ZUFALL FÜHRT ZU DEN ERSTEN RUINEN Auch ich hatte an diesem Tag ein Erlebnis gehabt -- vielleicht das grösste und aufwühlendste meines ganzen bisherigen Expeditionsdaseins. Nicht mit Schlangen, denn an Begegnungen mit ihnen war ich langsam gewöhnt; es war die erste archäologische Entdeckung, die mich so erregte, dass ich die folgenden Tage und Nächte nicht mehr zur Ruhe kam. Zum erstenmal hatte an dem denkwürdigen Morgen die Sonne geschienen, als ich mit Arauko -- unserem Capataz des ersten Vorstosses -- und den fünf besten Macheteros -- an der Spitze Eliseo Durän -- über die feuchten Moos und HumusPolster der Steilwand, die aus der Schlucht des Lagers II gegen Norden führt, hinaufkletterte. Ein BambusDickicht, so verfilzt, wie ich es bisher noch nicht erlebt, überzog den nächsten Höhenrücken, über den wir hinweg mussten. Bis hierher hatten wir uns am Vortag schon durchgeschlagen, so dass wir den Sendero mit einigen MachetenHieben nur noch zu verbessern brauchten. Die wenigen Meter, die der hier etwas niedere Urwald den Blicken freigab, waren ausgefüllt von hellgrünen, üppigen BambusGeflechten, die spinnwebartig bis zu den Baumwipfeln emporkletterten. Hier mochten die grünen Baum und Peitschenschlangen hausen, aber der Lärm unserer Buschmesser hatte sie wohl vertrieben. Beim Durchkriechen stockfinsterer, tunnelartiger Lianengänge und beim plötzlichen Hinaustreten in das grelle Sonnenlicht haben wir keine einzige von ihnen bemerkt, obwohl wir das Gefühl nicht los wurden, dass links und rechts und über uns Gefahr lauerte. Höher wurde nun der Urwald wieder, und die dichten Baumkronen liessen kaum noch Licht durchfluten. Trotz des Sonnentages schlichen wir in gespenstischer Dämmerung dahin, kletterten einen langen Hang hinab bis zu einer Schlucht, durch die kristallklares Wasser sprudelte. Unser Vorwärtskommen war nun etwas einfacher. Das fehlende Licht zwischen den hohen Bäumen liess keinen Unterholzwuchs aufkommen -- und die Macheteros brauchten nur hie und da einzugreifen, um eine Liane zu beseitigen, oder an einem Baum eine Markierung anzubringen. Nach kurzer Rast geht's weiter immer stur nach Kompasszahl 305. Von neuem beginnt das Schlagen der Macheten, das Kriechen unter modernden Bäumen durch und das kraftraubende Klettern über federnde Moos und HumusPolster. Vormittags gegen 11 Uhr mag es wohl gewesen sein, als das Gelände flacher wurde und wir über einen beinahe ebenen Talboden schritten mit wundervollen hohen Bäumen, unter die sich zum erstenmal wieder lange, schlanke Stelzenpalmen mischten. Schiefer in grossen Platten oder in mächtigen Quadern -- von Moos und Baumwurzeln überwuchert -- trat bald da, bald dort zutage, ohne dass uns daran etwas Besonderes aufgefallen wäre. Auf dem leicht gewölbten Geländerücken, der mitten durch das Tal zog und ein kleines Rinnsal von einem Wildbach trennte, der unter einer mächtigen, vielleicht 60 Meter hohen Felswand dahinrauschte, hatte der Sturm einen Baum aus seiner Bodenverankerung losgerissen und umgelegt. Mit den Wurzeln und dem Erdreich, die wie eine Schutzwehr hochgewuchtet wurden, war der Untergrund freigelegt worden. Ein idealer Platz, um ein wenig zurückzubleiben und schnell mal Mammheimlich zu verschwinden. Doch daraus wurde nichts. Freudiges Erschrecken stoppte jäh alle biologischen Notwendigkeiten. Dort, wo der Baum einst gestanden, war eine sauber geschichtete Felsentreppe sichtbar geworden -- eine Entdeckung, bei der ich in helle Aufregung geriet. Dreissig Meter weiter vorne in der Wildwasserschlucht hatten sich meine Leute zur wohlverdienten Rast niedergelassen. Beim Abstieg dorthin tritt die Fortsetzung der Treppe zutage, aber diesmal nicht in Form von aufeinander geschichteten Steinen, sondern die Stufen sind nunmehr tadellos sauber in den Naturfels gehauen und gut erhalten. Am gegenüberliegenden Ufer führt eine weitere in den Stein gemeisselte Stufenreihe nach oben, um sich unter dem Humus eines dicht bewaldeten Steilhanges erneut zu verlieren. Neben und über den Treppen, die hineinführen in die Schlucht und wieder heraus, starren an beiden Ufern überhängende Felsen waagerecht in die Luft wie die Bogenreste einer eingestürzten Brücke. Die Platten aber, die einmal darüber gelegen haben mochten, ragen unten aus Rollkies und Schwemmsand heraus. Ist das Ganze in grauer Vorzeit wirklich einmal eine Brücke gewesen, von Menschenhand gebaut, oder handelt es sich dabei um eine Laune der Natur? Das sind die Fragen, die sich mir mit einem Male aufdrängen. Aber es ist zu offensichtlich! Hier schwang sich einmal von einem Ufer zum anderen eine Brücke -- wie von ZyklopenHänden gebaut -- und als sie eingestürzt war, da hat man daneben als Notübergang bei Niedrigwasser Treppen in den Fels geschlagen. Wie lange mag es her sein, seit hier zum letzten Male Menschen über den Fluss gegangen? -- Das sind die Gedanken, die mich bewegen, während drüben -- einen Seilwurf entfernt -- meine Begleiter in der wärmenden Sonne sitzen und ihre einfache Mahlzeit verzehren, die aus geröstetem YuccaMehl besteht, das -- mit kaltem Wasser und braunem Zucker angerührt -- eine nahrhafte Suppe ergibt. Sie haben noch keine Ahnung von diesen Funden -- und ich sage auch vorerst noch nichts. Weiss ich denn überhaupt, ob diese armen Teufel nicht nur verlockt durch Bezahlung und gute Verpflegung mitgegangen sind? Werden sie das gleiche archäologische Interesse aufbringen, das meine Expeditionskameraden und mich beseelt, oder wird in ihnen nicht vielleicht bei den ersten Entdeckungen schon hemmungslose Gier nach Schatzgräberei wach, wie sie mancher Expedition und manchem Forscher zum Verhängnis wurde? -- Aber noch sitzen sie gemütlich drüben -- lachen und schmatzen und schaben sich die aufdringlichen Schweissbienen einfach mit der Machete vom Oberkörper, während wundervolle tropische Schmetterlinge über der Gruppe von Menschen gaukeln und überall dort naschen, wo etwas Zuckerbrei verschüttet wurde oder Harnflüssigkeit in Moos und Sand versickert ist. Ober den Steilhang, der aus der Schlucht herausführt, und der die einzige Möglichkeit nach oben zu kommen bietet, schlagen wir uns höher. Zur Linken ist die senkrechte Felswand, unter der wir rasteten, zur Rechten eine weitere carionartige Schlucht, in die in freiem Sturz von etwa 30 m ein mächtiger Wasserfall herniederdonnert. An Wurzeln, die über die steilen, bewachsenen Felsen herunterhängen, und an Bäumen hangeln und stemmen wir uns hoch. Wir müssen dabei höllisch aufpassen, möglichst nur dort hinzufassen, wo der Griff und seine nähere Umgebung zu übersehen sind, denn überall kreuzen Tucangiras unsere Passage. Nur sehr langsam gewinnen wir an Höhe. Der Berghang und die Steilabfälle scheinen kein Ende nehmen zu wollen. Nach drei Stunden machen wir in einem flachen Rincon (Rinnsal), in dem sich des feuchten Untergrundes wegen gewaltige Stelzenpalmen zu mächtigen Bäumen entwickelt haben, erneut eine kleine Rast. Kurz zuvor hat mich eine Tucangira in den rechten Handballen gestochen, als ich im Ausrutschen schnell einen Ast ergreifen musste, ohne ihn vorher in Augenschein nehmen zu können. Ich kratze feuchte Erde in mein Taschentuch und mache mir damit einen Notverband. Im übrigen heisst es, die Zähne zusammenbeissen, denn ich will mir vor meinen Begleitern nichts anmerken lassen; aber das fällt mir -- ehrlich gesagt -- unendlich schwer. Ich bin froh, dass die Zeit schon ziemlich vorgerückt ist und ich den Leuten sagen kann, dass wir nun umkehren müssten, wollten wir noch vor Einbruch der Tropennacht unser Lager II erreichen. Hinunter geht's -- denselben Steig, den wir geschlagen. Wieder passieren wir die Stelle am Fluss, an der ich die Treppen entdeckte. Ich lasse die anderen vorausgehen, geniesse mit stiller Freude meine Beobachtungen und kühle im übrigen meinen dick geschwollenen, brennenden Handballen mit frischem Wasser. Geschrei meiner Macheteros treibt mich wieder weiter. Mit dem Ruf "Monos, monos" kommt einer der Leute zu mir zurückgerannt und bittet mich, einige Affen zu schiessen, die oben in den Baumkronen unseren Sendero kreuzen. Da frisches Fleisch und überhaupt jagdbare Tiere in unserem Arbeitsgebiet -- vielleicht wegen der Überzahl an Schlangen -- äusserst rar waren, tat ich ihnen den Gefallen und schoss zwei Silvadores, wie diese Affenart genannt wird. Um die herabgestürzte Beute zu bergen, müssen wir uns etwa 20 m in das Dickicht hineinschlagen. Während meine Leute sich in kannibalischer Lust mit unseren gemordeten "Vorfahren" beschäftigen, bemerke ich wenige Meter neben der Absturzstelle der Tiere völlig vermooste und von Bäumen und Wurzeln umklammerte Grundmauern eines alten Bauwerks. Die Aufregung und Freude ob dieses neuen Fundes war bei mir bestimmt mindestens so gross wie die der Macheteros über den Affenfleischbraten -- und mit einem Male kam mir zum Bewusstsein, dass dieses einsame Tal an den Ostabhängen des Cerro Paititi der Angelpunkt, wenn nicht gar das Zentrum jener sagenhaften Stadt gleichen Namens sein müsste. Nun waren auch meine Begleiter auf die Ruinen aufmerksam geworden und halfen emsig mit, von der Mauer Erdreich und Wurzeln zu entfernen, soweit das mit unseren Instrumenten -- einigen Macheten und meinem alten Eispickel, den ich aus treuer Anhänglichkeit mit in die Urwälder genommen hatte -- möglich war. Der vorgerückten Stunde wegen liess ich die Arbeit für Boden gerammt, meinen Rucksack darangebunden und meinen aufgespannten Regenschirm schützend darübergehängt habe, treten wir im Eiltempo den Rückweg zum Lager II an mit dem Gedanken, am nächsten Tag unverzüglich zurückzukommen, um hier Lager III zu errichten. Leider war an diesem Abend -- eines aufziehenden Gewitters wegen -- keine Funksprechverbindung mit dem Basislager möglich, und so konnte ich mein begreifliches Mitteilungsbedürfnis nur noch dem Freund gegenüber stillen -- bis er mir keine Antwort mehr gab und ich ebenfalls -- todmüde von den langen Wegen und durch einmalige Erlebnisse -- einschlief. Mit Hilfe eines Wurfankers, der von einer Spezialvorrichtung abgeschossen wurde, gelang es in zweitägigem Bemühen, endlich eine Seilbrücke über die Schlucht des Rio Chinijo zu spannen. DIE ERDE BEBT Wir benützten in dieser Nacht zum erstenmal unsere neuen Hängemattenzelte aus leichtem Kunststoff, denn bei den beengten Platzverhältnissen auf der einzigen, wenige Quadratmeter grossen Fläche in der Schlucht mussten in erster Linie unsere Helfer einigermassen bequem im Schutz ihrer dachförmigen Zeltplane untergebracht werden. Die vorerwähnten schaukelnden Behausungen, deren Seitenwände ganz aus Moskitoschleiern bestehen, werden bei ungünstigem Gelände und in tropischen Urwaldgebieten einfach zwischen zwei Bäumen aufgehängt und sind gemäss der hier anzuwendenden Devise "weg vom Boden und damit vom Ungeziefer" geradezu ideal zu nennen. Weniger ideal allerdings war für mich persönlich, dass ich sowohl das überdach als auch den Seitenschutz im Basislager zurückgelassen hatte. Beim ersten nächtlichen Gewitter -- begleitet von sturzbachartigem Regen --trieb mir der Wind das Wasser von rechts her durchs Moskitonetz. Während sich Rudi am nächsten Morgen gut ausgeruht und trocken von seinem Lager erhob -- denn er hatte vorsichtshalber überdach und Seitenwände mitgenommen -- glich mein Nachtasyl mehr einer zwischen Himmel und Erde hängenden Badewanne, in der ich beinahe bis zur Brust im Wasser lag. Da die KlepperWerke für solch aussergewöhnlichen Verwendungszweck natürlich keinen Badewannenstöpsel vorgesehen hatten, verschaffte ich -- durch einen Stich mit meinem Stilett in die tiefste Stelle der Ausbuchtung unter meinem Sitzfleisch -- den Wasserfluten freien Ablauf. Das langanhaltende, laute Plätschern und das schallende Gelächter meiner Macheteros, die etwa 10 Meter rechts von mir hangabwärts in der Talsohle genächtigt hatten, brachten mir zum Bewusstsein, dass man bei mir anscheinend ein Blasenleiden vermutete. Der "Spähtrupp in die Vergangenheit der Inka?' auf dem Vormarsch durch den Urwald mit dem Flammenwerfer als "Geheimwaffe" gegen die Feuerameisen. Die fröhliche Stimmung trotz dieses trüben, regnerischen Morgens wurde jäh zerstört durch aufgeregtes Schreien meiner Leute. "Terremoto!" Terremoto!" -- "Die Erde bebt! Die Erde bebt!" wiederholen sie immer wieder und raffen aufgeregt ihre Habseligkeiten zusammen. Rudi und ich haben in unseren Hängematten durch die dämpfende Wirkung der Seilverspannungen kaum einen Stoss verspürt im Gegensatz zu den Männern unter dem Zeltdach, die direkt auf dem blanken Boden lagen. Trotz aller Überredungskunst gelingt es weder unserem Capataz Arauko noch meinem Freund und mir, unsere Helfer an einer überstürzten Flucht zu hindern. Ohne Gruss und Dank ziehen sie -- wie von einer unheimlichen, dämonischen Macht getrieben -- von dannen. Neben dem Capataz waren wenigstens Durän und der kleine Primitivo geblieben, und so vereinbare ich mit Rudi, dass er mit ihnen die ersten Lasten nach Lager III bringen soll, während ich den Ausreissern nacheile, um sie vielleicht doch noch zurückzuholen, zumindest aber daran zu hindern, bei den Frauen im Basislager, mit denen wir ja keine Funkverbindung mehr hatten, Panikmeldungen zu verbreiten. Aber so sehr ich mich beeile, die Stunde Vorsprung, welche die Brüder haben, ist nicht einzuholen, und beim Flussübergang haben sie dämlicherweise den Sitz unseres Lifts am jenseitigen Ufer festgebunden, so dass ich ihn nicht benützen kann. Ich habe nur die Wahl, entweder durch den reissenden Fluss zu schwimmen, oder -- amTragseil pendelnd -- Hand über Hand 40 Meter hinüberzuhangeln. Ich entscheide mich für letzteres -- lasse aber vorsichtshalber meinen Karabiner mit der Selbstsicherung einschnappen. Wenn man die lange Wegstrecke vom Lager II zurück zum Rio Chinijo -- noch dazu in der Rekordzeit von viereinhalb Stunden -- in den müden Knochen hat, dann fällt einem der Aufstieg mit 600 m Höhenunterschied bis zum Basislager unendlich schwer. Aber nach eineinhalb Stunden liegt auch dieser Steig hinter mir, und ziemlich abgekämpft und hungrig falle ich in Incapampa ein. Man hat dort keine Ahnung von den Vorkommnissen im Lager II, denn die Ausreisser waren unterhalb des Basislagers durchgeschlichen, ohne sich zu melden. Als ich später unsere drei getreuen Helfer fragte, warum sie nicht auch so wie die anderen getürmt seien, und ob sie denn keine Angst hätten, mit uns weiterzuarbeiten, erklärten sie mir, sie seien keine Hochlandindianer, sondern kämen aus dem Tiefland von den Stämmen der Chamas und Sirionos, und für sie seien die InkaGötter nicht zuständig. Diese Worte, die sie so gelassen aussprachen, waren für uns ein Fingerzeig, später nur noch Leute aus den tiefer gelegenen Urwaldregionen zu verpflichten -- Männer also, die nicht so sehr von Aberglauben und Götterrache angekränkelt waren. Auch im Basislager war in den letzten Tagen und vor allem in der vorhergehenden Nacht nicht alles wunschgemäss verlaufen -- und unsere weiblichen Expeditionsmitglieder mussten eine Feuer und Wassertaufe über sich ergehen lassen, wie sie nicht alle Jahre vorkommt. In weiser Voraussicht hatten sie beim Herannahen des Gewittersturms noch rechtzeitig den Antennenmast umgelegt, daher die Unterbrechung der Funksprechverbindung. Keine 50 Meter von den Zelten entfernt hatte der Hurrican zwei riesige Bäume entwurzelt, und zu allem Überfluss hatte auch noch ein Blitz dicht neben dem Lager eingeschlagen und dabei einen AluminiumHäring zum Schmelzen gebracht, der die Verspannung eines kleinen Sonnendaches hielt, unter dem wir vor einigen Tagen noch unseren Betriebsstoff für den Flammenwerfer und die Alkoholrationen für die Macheteros deponiert hatten. Nicht auszudenken, wenn der immerhin beinahe 100 Liter umfassende Spritvorrat explodiert wäre. Auch in Huaricunca -- dem nächsten Dorf auf dem Weg nach Mapiri --hatte der Sturm verheerend gehaust und zwei Hütten zerstört, wie wir aus der Meldung einer Frau erfuhren, die ihren bei der Expedition verpflichteten Mann zurückforderte. Eine Beurlaubung desselben war jedoch nicht mehr nötig, da er zu der Gruppe von Deserteuren gehörte, die am Morgen das Weite gesucht. Hatte er vielleicht eine Vorahnung gehabt von dem Unheil, das seine Heimstätte getroffen -- und waren bei den anderen vielleicht ähn liche Motive die Triebfeder ihres Handelns? Bei unverbildeten Naturmenschen kann man oft die rätselhaftesten Dinge erleben, und telepathisches Sehvermögen ist in dieser Gegend -- ähnlich wie in Tibet -- nicht selten. Hervorragend bewährt haben sich bei diesem Unwetter, von dem wir in der schützenden Schlucht des Lagers II überhaupt nichts merkten, unsere gut verankerten und windschlüpfigen KlepperZelte. Wenn ich jedoch unserer drei weiblichen Expeditonskameraden gedenke, die in ihnen jene Sturmnacht unter Blitz und Donner verbrachten, ohne dabei etwas Besonderes zu finden, so kann ich ihnen meine Anerkennung nicht versagen -- selbst wenn mir meine Tochter Heidi später berichtete, dass sie sich beim ersten Blitz und Donnerschlag einfach den Schlafsack über den Kopf zog, um ihn erst wieder zurückzuschlagen, als das letzte Rollen in der Ferne verklungen war. Sitzt man erst einmal im Basislager als "Hahn im Korbe", betreut und bekocht von drei weiblichen Wesen, so fällt es einem schwer, sich wieder loszureissen und erneut in die Wildnis zu ziehen. Aber drüben in dem grossen Urwaldkessel wartet eine Aufgabe -- und diese lockt, trotz der "Sirenenklänge" hier, mächtiger denn je. HOLZARBEIT TROTZ REGENZEIT Glücklicherweise hatte ich vier Ersatzleute verpflichten können, mit denen ich nach zweitägigem Aufenthalt losziehe. Frau Moeller und meine Tochter Monika geben mir das Geleit bis zum Lager I am Rio Chinijo, denn dort war ja ihr Hauptbetätigungsfeld für die Schmetterlingsjagd; ausserdem waren sie froh, für ein paar Stunden dem Basislager mit seiner MarihuisPlage entfliehen zu können. Diese Marihuis sind winzig kleine Fliegen, die selbst durch die Maschen unserer Gesichtsschleier kriechen und nach dem Stich heftig juckende Wunden mit Blutbläschen hinterlassen, welche leicht zu Eiterungen führen können. In der kühlen Schlucht des Rio Chinijo blieben wir eigenartigerweise -- wenigstens um diese Jahreszeit -- von solchen Stechfliegen verschont. Bei unserem Sessellift angelangt, musste ich alle Überredungskunst aufbieten, weil zwei der neu angeworbenen Träger der Sache nicht recht trauten. Erst als Frau Burgl und meine Tochter Monika zur Aufmunterung in den Seilen ans jenseitige Ufer und wieder zurück fuhren, wollten sich die Männer von unseren behosten Damen nicht beschämen lassen und folgten ihrem Beispiel. Sicherheitshalber aber schnürten wir jeden der beiden Helden für die Fahrt hinüber noch extra in den Sitz. Ein schallender Abschiedsjodler hinunter in die Schlucht, ein freundliches Winken mit den Schmetterlingsnetzen von drüben -- dann bin ich wieder allein für viele Stunden. Meine vier Träger können mit ihren schweren Lasten nur langsam vorwärts kommen, während ich nur mein Gewehr -- und im Rucksack das Allernotwendigste -- mitführe. Am Ende der ersten Spitzkehre oberhalb des Flusses springt aus der Felswand in hohem Bogen ein daumendicker Strahl frischen Wassers. Hier wird die leichte KunststoffFeldflasche gefüllt, denn bis die nächste Quelle erreicht ist, vergehen Stunden. Die vielen Windungen hinauf zum Höhenrücken und aus der Flussschlucht heraus sind schon ein richtiger Trampelpfad geworden -- und ich überlege mir, ob wir nicht eines Tages vielleicht kleine Mulas einsetzen könnten. Voraussetzung dafür wäre allerdings, sie über den Fluss zu bringen -- und dann müssten noch viele Bäume durchschlagen werden, die quer über dem Weg liegen. Wenn die Höhe einmal gewonnen ist, geht es auf dem Rücken fast eben dahin, so dass man eine schnellere Gangart einschalten könnte, wenn man nicht so verdammt aufpassen müsste. Fast mechanisch und im Zeitlupentempo schreite ich vorwärts; der Blick sucht gleichzeitig den Boden, das Buschwerk links und rechts -- und die tiefhängenden Äste und Bambusstauden in der Höhe abzutasten. Bevor ich durch die BambusTunnels schlüpfe oder über Baumstämme klettere, klopfe ich zuerst mit einem Stock die Hindernisse vor mir ab. So ein elastischer, starker Stock ist geradezu unentbehrlich beim Gang durch diese Wälder, und er bildet neben der Machete die beste Waffe gegen Schlangen. Zweimal an diesem Tag bin ich solchen begegnet; es waren eine Yararaca und eine Yoperohobobo, die sich auf Baumtrümmern gesonnt hatten. Bei meinem Näherkommen zogen sie es jedoch vor, ohne Eile zu verschwinden. Nach sechs Stunden erreiche ich Lager II, das heisst den Platz dieses Lagers, denn die Einrichtung desselben ist bereits nach vorne ins Lager III transportiert worden -- und ich sehe zu meiner Freude, dass Rudi in den zwei Tagen meiner Abwesenheit ganze Arbeit geleistet hat. Neben der alten Kochstelle liegt noch etwas trockenes Holz -- und bald kann ich an einem flackernden Feuerchen meine verschwitzten Kleider trocknen. Zu allem Überfluss finde ich auch noch eine dicke YuccaWurzel und zwei grüne Bananen, die -- in der Asche gebraten -- das ausgefallene Mittagessen ersetzen müssen. Obwohl ich über eine Stunde gerastet habe, kommen meine Träger nicht nach. Ich markiere ihnen noch den Weg über den Bach und ziehe dann weiter gegen Lager III, das ich zwei Stunden später erreiche. Der Platz ist kaum mehr wiederzuerkennen, nachdem mein Kamerad mit seinen Leuten eine ganz anständige Lichtung in diese Urwaldmauer geschlagen hat. >>Es war einfach nicht auszuhalten hier vor Hitze und vor Tabanos. Wir mussten etwas Luft hereinlassen auf unseren Lagerplatz", erklärt mir Rudi. Diese Tabanos -- Fliegen von der Grösse und dem Aussehen einer Hummel und mit einem Stechrüssel von über 1 cm -- sahen und spürten wir hier zum erstenmal, und selbst auf meinen früheren Expeditionen im Oriente Boliviano habe ich nur die gewöhnliche Tabano, eine unserer Rinderbremse ähnliche Stechfliege, kennengelernt. Wie Düsenjäger umschwirrten uns Dutzende von diesen Blutsaugern, so dass wir vorzeitig in unseren Hängemattenzelten verschwanden, um Ruhe vor ihnen zu haben. Aber auch hier versuchten sie noch, ihr Opfer zu erreichen, und es war geradezu komisch anzusehen, wenn sie den langen Rüsselstachel durchs Moskitonetz schoben, um nach einer unbedeckten Körperstelle zu angeln. Die beiden Stunden nach Sonnenaufgang und vor Sonnenuntergang hiessen bei uns "die Stunden der Tabanos" --und wer sich's leisten konnte, der blieb um diese Zeit geschützt hinter dem Moskitero und ergötzte sich damit, den blutgierigen Bestien mit den Fingernägeln die Rüsselstachel abzukneifen, die sie durchs Moskitonetz bohrten. Mit Einbruch der Nacht verschwand immer das laute und rohe Brummen der Tabanos -- und nur das feine Summen der Moskitos blieb. Die erste Nacht im Lager III habe ich kaum ein Auge zugetan. Ein Gewitter war losgebrochen; Regenschauer wurden vom Sturm über die Urwälder hinweggepeitscht -- und die Intervalle zwischen grellen Blitzen und nachtschwarzer Finsternis waren beinahe gleich lang. Obwohl sich in dieser Nacht unsere Hängemattenzelte tadellos bewährten, fror ich ganz empfindlich, da ich mich mit meinen durchgeschwitzten Kleidern hatte schlafen legen müssen. Nur drei von meinen vier Trägern hatten am Abend -- kurz vor Beginn des Gewitters -- noch das Lager erreicht, während der vierte, der ausgerechnet meine ReserveWäsche trug, angeblich im Lager II zurückgeblieben war, um dort unter dem kleinen Palmblattdach zu nächtigen, das die alte Feuerstelle vor Regen schützte. Am Morgen jedoch stellte sich heraus, dass er keine 200 m von unserem Lager III entfernt mitten im Urwald unter einer der rindenartigen, langen, zähen Hüllen geschlafen, die bei Sturm von den Blüten und Fruchtständen der Stelzenpalmen herabgerissen werden. Es giesst immer noch -- den ganzen Tag, die darauffolgende Nacht und auch noch den nächsten Tag -- mit nur kurzen Unterbrechungen. Die Regenzeit ist in vollem Gang -- und wir müssen dankbar sein für die kleinsten Aufhellungen und Pausen. Trotzdem geht die Arbeit weiter. Die Lagerschneise wird verlängert und erweitert -- und der ganze Tag ist erfüllt von dem dumpfen Schlag unserer einzigen Axt, dem hellen Klingen der Macheten und dem lauten Krachen stürzender UrwaldGiganten. Die Leute haben eine besondere Technik, um möglichst schnell freie Flächen zu schaffen, und kennen weder Säge noch Keil. Sie schlagen die kleineren Bäume in Fallrichtung eines Urwaldriesen mit den Buschmessern nur an; den Rest besorgt dann der mit der Axt geschlagene, stürzende grosse Bruder. Auf diese Weise machen sie auch ihre Chacos -- wie diese Urwaldlichtungen in ihren Heimatgegenden genannt werden -- auf denen sie dann Bananen, Yucca und Mais pflanzen. Bei aller Bewunderung für die Meisterschaft dieser Leute in ihrem zähen Kampf gegen den Urwald -- mir gab es immer einen Stich, wenn so ein MammutBaum, der jahrzehntelang auf seinem Platz gewachsen, zu Boden musste; wenn die Axt an seinem Sockel immer tiefer eindrang und ein Zittern den Stamm durchlief bis hinauf in die letzten, feinen Blattrispen; wenn er wie ein lebendes Wesen versuchte, sich an kleineren Nachbarbäumen und armdicken LianenVerankerungen festzuklammern, von denen eine nach der anderen nachgab und riss; wenn er anfing, zu wanken und zu schwanken; wenn er sich ächzend zur Seite neigte, bis der Sturz unabänderlich und nicht mehr aufzuhalten war, und er -- ein gefällter Riese -- einem Urwelteinbruch gleich, hineinschlug in die grüne Unendlichkeit. Weitere Entdeckungen In zwei Tagen haben wir trotz Regen auf dem flachen Rücken, der sich wie eine Zunge ins Tal hineinschiebt, auf ungefähr 250 m Länge und 50 m Breite ausgeholzt -- bis auf ein paar schlanke Stelzenpalmen und eine mächtige Würgerfeige, die wir als Schattenspender und des Landschaftsbildes wegen stehen liessen. Dabei wurde die vor Tagen gefundene Grundmauer eines alten Bauwerks ebenfalls freigelegt und -- soweit es möglich war --auch der Boden innerhalb des Gevierts und aussen herum untersucht. Da uns jedoch alle Grabwerkzeuge fehlten, mussten wir uns auf wenige handtiefe Stichproben beschränken, die nur etwas Holzkohle zutage förderten, die ebensogut von Bäumen herrühren konnte, die von einem Blitzstrahl gefällt und verbrannt worden sind. Links und rechts des Lomos -- wie die Eingeborenen diesen Höhenrücken nannten -- entdeckten wir weitere Mauerwerke, die sich wie DammschutzBauten in den Hängen zu beiden Seiten verloren. Tropfnass suchten wir immer wieder unsere ZeltplanenDächer auf, um von Zeit zu Zeit die Kleider am Feuer zu trocknen -- und es wird mir wohl immer ein Rätsel bleiben, wie unsere Macheteros es fertig brachten, aus diesen regentriefenden Wäldern brennbares Feuerholz herbeizuzaubern. Wir hatten schon Schwierigkeiten, bei dieser Luftfeuchtigkeit von 9095°/o unseren EsbitHartspiritus gebrauchsfähig zu erhalten. Langsam kroch die Nässe überall hinein, und wenn wir nicht im Besitz absolut wasserdichter KunststoffBeutel und hermetisch verschliessbarer AluminiumBehälter gewesen wären, so hätten Armeen von Schimmelpilzen in unseren Kleidern, im Proviant und auf unserem empfindlichen FarbfilmMaterial Orgien feiern können. Trotz allem bangte ich um meine wertvollen Streifen, deren Emulsionen bei dieser feuchten Wärme den idealen Nährboden für BakterienKulturen abgaben. Wenn man nicht jeden Abend die exponierten Filme aus Kamera und Kassette nahm, so waren sie bereits am nächsten Morgen verklebt und damit vernichtet. KieselgelSäckchen oder kleine Beutel mit trockenem Reis -- beide haben die Eigenschaft, der mit ihnen zusammengepackten Filmrolle die Feuchtigkeit zu entziehen -- waren die einzige Möglichkeit, meine wertvollen Farbfilmaufnahmen vor dem Verderben zu bewahren. Auch in der dritten Nacht hielt der sintflutartige Regen noch an -- und ich hatte bereits die Hoffnung aufgegeben, von unserem Lager III aus in der alten Marschrichtung zum "DreiPalmenPlatz" vorzustossen. Da lösten sich die Nebel am nächsten Morgen auf -- und prachtvoll, einer Erlösung gleich, stieg die Sonne über dem Tal und der von uns geschlagenen Schneise herauf. Um die durch die Regentage verlorene Zeit einigermassen einzuholen, teile ich meine "Streitmacht" in drei Gruppen ein. Rudi zieht mit Durän und Primitivo los, um den vor Tagen begonnenen Sendero endgültig bis zu den drei Palmen vorzutreiben. Arauko erhält den Auftrag, die Umgebung des Lagers, das heisst den etwa 800 m breiten und 2 Kilometer langen Talkessel, mit einem Netz von MachetenPfaden zu durchziehen, während ich mit den letzten drei Leuten talabwärts pilgere, um einen InkaSteig zu verfolgen, der sich in dieser Richtung verliert. Lager II mit den Hängemattenzelten als Schutz vor Bodenungeziefer Wir passieren -- immer dem Bachbett entlang -- den festungsartigen Hügel inmitten des Tals und stossen nach etwa 300 m auf einen zweiten, etwas kleineren "BurgBerg". In der engen Schlucht an seiner Basis erkennen wir wieder deutlich ausgeprägte Treppen, und dicht daneben finden wir eine Brücke, mit Platten gebaut, von der jedoch ein Teil in den Bach hinabgestürzt ist. Beim Queren unter einer Felswand durch hat einer meiner Macheteros ein kleines Bäumchen gekappt, das die letzte Stütze bildete für einen abgestorbenen, morschen Baum. Krachend schmettert das vermoderte Ungetüm zu Boden, reisst im Stürzen einen Machetero mit -- ein Aufschrei, und Mann und Stamm rollen, sich mehrmals überschlagend, hinunter in die Schlucht. Das Ganze war nur ein Werk von wenigen Sekunden -- und ich habe keine Hoffnung, den Machetero noch lebend vorzufinden. Derjenige, der das Unheil verursacht, ohne die Folgen zu ahnen, rennt -- laut klagend -- hinterher, denn der Verunglückte war sein eigener Vater. Fast drei Wochen schon waren wir in den Wäldern unterwegs gewesen, da stiessen wir im hintersten Winkel des Tales von Paititi auf die ersten Ruinen -- völlig vom Urwald überwuchert, trotzdem tadellos zu erkennen -- Stein auf Stein, einst von Menschenhand erbaut. Die Legende sagt, dass die Inka auf ihrer Flucht vor den Spaniern eine neue Hauptstadt gegründet haben sollen, die den Namen Paititi getragen hat. Auch hierher in die neue Hauptstadt sollen die Inka ihr gesamtes noch gerettetes Gold verbracht haben. Diese neue InkaHauptstadt Paititi gilt als versunkene Stadt und ist bisher auch nicht wieder aufgefunden worden. Ich, der Author D.SelzerNcKenzie war mehrfach in Südamerika im Gebiet und habe auch versucht, letztmalig im Jahre 2013, versucht, diese versunkene sagenumwogene Stadt Paititi zu finden, leider ohne Erfolg. Deshalb plane ich in diesem Jahr, also im Jahre 2014, eine Expedition zusammenzustellen mit dem erneuten Versuch, die alte versunkene InkaHauptstadt Paititi samt ihren Goldbeständen (die wir bei erfolgreichem Fund natürlich nicht behalten dürften) zu finden. Bereits im Jahre 1954/1955 hat eine deutsche Expedition versucht, Paititi zu finden, leider ohne Erfolg. Hier der Expeditionsbericht aus dem Jahre 1954/1955: Unsere Welt steckt trotz allen Fortschritts immer noch voller Rätsel. Grosse Fragezeichen auf archäologischem Gebiet liegen über den AndenKulturen Südamerikas, den von Urwäldern verschlungenen Bauten Amazoniens und dem Schicksal der letzten Inkas. Seit den kühnen Eroberungszügen eines Pizarro, den Entdekkungen eines Bingham in Macchupichu, eines Bennett in Tiahuanacu und dem tragischen Schicksal eines H.P.Fawcett sind viele Expeditionen ausgezogen, um die sagenhaften Stätten untergegangener Völker zu suchen und verborgene Schätze zu heben. Ungezählte Menschen -- ernsthafte Forscher und Abenteurer aller Nationen -- liessen dabei ihr Leben. Unsere "AndenAmazonasExpedition 1954/55" hatte PAITITI zum Ziel, die mysteriöse, verschollene Inkastadt -- irgendwo ostwärts der Anden. Wir haben am Fusse des Cerro Paititi im dichtesten Urwald -- Ruinen entdeckt. Sind wir damit einem der grossen Rätsel näher gekommen? Dies Buch und mein Film versuchen eine Antwort zu geben. Der Wächter im Tal von Paititi: Diesen steinernen Götzenkopf, der wahrscheinlich einer der ältesten Kulturperioden Südamerikas angehört, entdeckten wir unter einer Felsgalerie im Talgrund am Südost fluss des Cerro Paititi. Blick vom Lager V in 2450 Meter Höhe auf das Arbeitsgebiet der Expedition. Bezeichnungen: BL = Basislager Incapampa (1350 m), T = Gräberterrassen, L I = Lager I am Chinijo (800 m) mit Seilbrückenübergang, R = Ruinenmauern bei Km 2,3 und 2,5, L II = Lager II (1350 m), L III = Lager III (1320 m) -- im Kreis gut sichtbar der helle Fleck der Zelte, 1 und 2 bei L III = die beiden Hügel im Tal von Paititi, genau nach Sonnenaufgang orientiert. Das Wort "Paititi" bedeutet in der Sprache der Hochlandindianer Boliviens und Perus "ZweiHügel" und ist im übrigen die Bezeichnung für eine seit der Unterwerfung Südamerikas durch die spanischen Conquistadoren lang gesuchte, sagenhafte Inkastadt, irgendwo in den Ostausläufern der AndenBerge gelegen. Nach anderen Versionen wird "Paititi" auch mit "ZweiPumas", "Zwei Metalle", oder gar mit "ZweitesReich" übersetzt, und diese vierte Bezeichnung würde den Vermutungen derjenigen recht geben, die damit den letzten indianischen Aufstand 17801781 unter Tupac Amaru -- einem angeblichen Inkaprinzen -- in Verbindung bringen. Recht interessant sind die Überlieferungen der Hochlandindianer Boliviens, die von den "Musus" berichten (womit in Mittelamerika die Olmeken und ihre typische Tieflandkultur in Verbindung gebracht werden -- im Gegensatz zu den Tolteken als den Vertretern einer ausgesprochenen Hochlandkultur), sowie die Aufzeichnungen von Franziskanermissionaren, die sogar von alljährlichen Pilgerzügen in ein völlig weltabgeschiedenes Gebiet erzählen, um "dem grossen Paititi" -- dem >>Kaiser der Musus" --, ihre Referenz zu erweisen. Diese PaititiPilger brachten von solchen Reisen, wie es in den alten Quellen heisst, oft wundervolle Schmuckgegenstände mit und erregten so die Goldgier der Conquistadoren stets aufs neue. Archäologische Forschungen haben ergeben, dass die Inkas bereits Festungsbauten sowie Städtegründungen früherer Rassen und Völker übernahmen und neben oder auf ihnen -- grösstenteils aus dem vorgefundenen Material -- Tempel und Symbole ihres eigenen Sonnenkultes errichteten. Zweifellos haben weltweite Katastrophen kosmischen Ursprungs auch in Südamerika und vornehmlich im AndenHochland gewaltige Umwälzungen herbeigeführt und uralte Kulturen erschüttert oder ganz ausgelöscht, denn dort wie überall in der Welt klingen immer wieder die alten Sagen und biblischen Geschichten von einer Sintflut auf. Tiahuanacu, das spätere Zentrum des inkaischen Sonnenkults, ist nach Ansicht von Fachleuten ursprünglich eine toltekische Gründung gewesen, die durch eine Erdkatastrophe zerstört wurde. Man schreibt die Erbauung des UrTiahuanacus übergrossen, hell häutigen und bärtigen Männern zu, die lange vor den ersten Inkas gelebt haben sollen, und die uns dort heute noch -- in Stein gehauen -- als Mono lithen begegnen, wobei die Figur des sogenannten KonTiki -- wieder berühmt geworden als Wappensymbol der abenteuerlichen Flossfahrt des norwegischen Forschers Thor Heyerdahl -- besonders bemerkenswert erscheint. Wenn man den alten Indianergeschichten Glauben schenken darf, so war es der Inka Yopanqui, der lange vor Pizarro den ersten Vorstoss nach Paititi unternommen hat, um eine verschollene Stadt zu suchen. Der Leiter dieses expeditionsähnlichen, kriegerischen Feldzuges führte seine Scharen den Rio Madre de Dios entlang, um später -- ohne das Ziel erreicht zu haben, nach empfindlichen Verlusten durch Tropenkrankheiten -- den Rückmarsch über die InkaFestung Samaipata anzutreten, die zwischen den heutigen bolivianischen Städten Santa Cruz und Cochabamba liegt. Es ist weiterhin eine bekannte Tatsache, dass man in fast ganz Südamerika von "El Gran Paititi", dem "grossen Paititi" spricht, das in einem weltabgeschiedenen Tal der Cordillere liegen soll, verborgen unter einem Gespinst von Nebel und Wolkenschleiern, die wie eine Tarnkappe wirken und den Ort der Sehnsüchte aller Abenteurer unsichtbar machen. Wie die verschiedenen Versionen auch lauten mögen -- der Überlieferung nach verbreitet und immer wieder erhärtet durch die Erzählungen der alteingesessenen Indianer an den abendlichen Lagerfeuern -- sollen in Paititi unwahrscheinliche Schätze vor der Habgier der spanischen Eroberer in Sicherheit gebracht worden sein, unauffindbar bis zum heutigen Tag. Fest steht, dass die Inkas, deren Kernreich sich einst über den ganzen Altiplano -- also über weite Teile der heutigen Länder Bolivien und Peru --erstreckte, in die Ostausgangstäler der AndenKette an strategisch wichtigen Punkten Befestigungsanlagen bauten, um ihre hervorragend kultivierten und dicht besiedelten Hochlandgebiete gegen das Vordringen kriegerischer Tieflandvölker aus den Niederungen des AmazonasBeckens zu schützen. Später dienten diese Festungen vielfach als letzte Zufluchtsstätten der InkaAristokratie, bis mit dem Untergang ihres Reiches und mit ihrem Aussterben teils auch diese Anlagen zerfielen und die Urkraft des Dschungels in ewigem Werden und Vergehen endgültig über ihnen zusammenschlug. Nach P. H. Fawcett, dem berühmten englischen Forscher, der vor mehr als 30 Jahren mit seinem Sohn auf der Suche nach einer sagenhaften Ruinenstadt in den Urwäldern Brasiliens zwischen Rio Xingu und Rio Paraguassu verschollen ist, soll es nicht weniger als ein halbes Dutzend solcher Plätze geben, die mit dem Namen PAITITI belegt werden. Dass es sich dabei um eine "InkaStadt" handelt -- ausgerechnet in Brasilien und beinahe in AtlantikNähe --, ist unwahrscheinlich, denn so weit reichte der Arm der letzten InkaHerrscher gar nicht, und es ist vielmehr anzunehmen, dass das PAITITI Fawcetts eine vorinkaische -- vielleicht olmekische -- Gründung war und schon für die alten Inkas sagenhaft. Die Vermutungen Fawcetts und damit seine letzte Expedition basierten hauptsächlich auf einem alten -- in Rio de Janeiro aufbewahrten -- Dokument aus dem Jahre 1743 und auf Erzählungen von Abenteurern. Ob dieser englische Oberst, der für Bolivien und Brasilien sowie für Peru hervorragende Forschungs und Grenzvermessungsaufgaben durchführte, je das Ziel seiner Sehnsucht erreichte? Wir wissen es nicht. Seine letzte Nachricht stammt vom 29. Mai 1925. Der Rest ist Schweigen. Forscherschicksal! Warum Fawcett nicht in den Ostausgangstälern der Cordillere, sondern so weit entfernt in Brasilien sein Dorado vermutete, obwohl er im Verlauf seiner ersten BolivienExpedition im Jahre1906 zwischen Sorata und Mapiri dieselben InkaSteige herunterkam, die ich fast 50 Jahre später mit meiner Expedition passierte, und wieso ihm nicht auffiel, dass ein gern benützter Rastplatz Incapampa hiess und der Berg direkt gegenüber Cerro Paititi, ist nicht zu ergründen. Von den im Verlauf dieses Jahrhunderts aufgefundenen Befestigungsanlagen, die zum Teil bereits präinkaischen Ursprungs sind, kennen wir vor allem Macchupichu im peruanischen UrubambaTal -- auf Grund der Entdeckung durch Hiram Bingham im Jahre 1911 -- und eine weitere in Südperu im Jahre 1954 in der Nähe der NegantoniWasserfälle aufgefundene Ruinenstadt, die ihre Entdecker -- eine englische Expedition unter Leitung von F. Tennant -- allerdings nur unter Vorbehalt mit PAITITI in Verbindung bringen. Auf bolivianischer Seite bestehen an solchen Baulichkeiten Samaipata am Ostausgang der Königscordillere zwischen Cochabamba und Santa Cruz sowie die Festungsreste von Condorhuasi, Incahuasi, Incallacta und Cuticutuni, wenn man von den im Gang befindlichen Ausgrabungen bei Chulumani, die ebenfalls präinkaischen Ursprungs sein sollen, vorläufig noch absieht. Zur Conquistadorenzeit und im Anschluss daran gingen von den beiden Ländern Spanien und Portugal zahllose offizielle und private Expeditionen aus, um dem Geheimnis von Paititi auf die Spur zu kommen, und es ist in dem Zusammenhang vielleicht nicht ganz uninteressant, dass sich die spanische Regierung im Jahre 1679 bereits ganz offen "gegen die Verausgabung von so viel Geld" für ein Ziel wandte, das seit dem Tode Pizarros von nicht weniger als siebzehn Expeditionen vergeblich gesucht wurde. Nach den Aufzeichnungen, die damals in einer in der Staatsbibliothek von La Paz aufbewahrten Chronik gemacht wurden, verdichteten sich zuletzt die Vermutungen, dass diese "verlorene Stadt" an den hügeligen Urwaldgebieten liegen müsse, die gegen den Rio Mapiri hinunterstreichen, und deren höchste Erhebung ein mit 3150 m Höhe vermessener AndenVorberg bis auf den heutigen Tag "CERRO PAITITI" heisst. Auch im Volksmund werden die ganzen grossen, von Urwaldflüssen durchzogenen Talkessel an den Abhängen dieses Gebirgsstockes "LOS VALLES DE PAITITI" -- "die Täler von Paititi" -- genannt. Man muss in diesem Zusammenhang Fawcett recht geben, wenn er sagt: "Mag noch so viel Romantik alle möglichen Sagen ausgeschmückt haben, so bleibt dennoch die Tatsache einer legendären Existenz von einem hoch zivilisierten Restbestand eines antiken Volkes unter den Einheimischen weiter bestehen." Ein Glückssucher namens Berg, der vor 40 Jahren glaubte, das Geheimnis lüften zu können, das über den Tälern des Cerro Paititi lag, soll nach mehreren Explorationen, die er von San Carlos sowohl als auch von Santa Rosa aus in die Täler des Rio Tarrappo und des Rio Bagante unternommen hatte, einige Zeit danach erschossen jenseits der peruanischen Grenze aufgefunden worden sein. Ob Berg den sagenhaften Goldschatz erbeutet -- und verfolgt von anderen Abenteurern über die Grenze flüchten musste, um letzten Endes doch noch ermordet und ausgeraubt zu werden, wer kann das wissen?! Von dem Österreicher Gerstorff, der ebenfalls kurz nach dem ersten Welt krieg einen Versuch unternommen hatte, durch das BaganteTal gegen den Cerro Paititi vorzustossen, hat man ebenfalls nie mehr etwas gehört. Es liegt zweifellos ein tiefes Geheimnis über diesen Bergwäldern und Schluchten, und die Eingeborenen in den weit verstreuten kleinen Siedlungen der fernen Randgebiete sprechen nur mit Scheu und einer gewissen Ehrfurcht von PAITITI. Während des letzten Weltkrieges, als man für ChinaRinde hohe Preise zahlte, haben es einige beherzte Männer gewagt, den Rio Chinijo in der Trockenzeit zu durchschwimmen, um ein Stück gegen den Rio Santa Ana hin in diese unheimlichen Urwälder einzudringen. Wer -- so wie ich -- zu Beginn der Regenzeit von einem der Höhenrücken des alten Saumweges zwischen Pararani und Mapiri dieses Gebiet zum ersten Mal geschaut und den Tanz der Nebel und Regenschleier bewunderte, die geradezu gespenstisch über die dicht bewaldeten Berge hinweg geistern, der kann absolut verstehen, dass die dort in der Nähe wohnenden Menschen ganz im Banne dieser gewaltigen "Paititi"Mystik leben. Als ich im Jahre 1950 als Leiter der Deutschen AndenKundfahrt von Sorata aus am Oberlauf des Rio San Christobal eine Höhle untersuchte, hörte ich zum erstenmal in meinem Leben von Paititi, und zwar auf recht eigenartige Weise. Wir brauchten damals zum weiteren Vordringen in einem Einsturzschacht aus Sicherheitsgründen ein Sauerstoffgerät. Das aber lag in unserem Expeditionsquartier in Sorata und musste in einem Gewaltritt so schnell wie möglich herbeigeschafft werden. Bei meinem Eintreffen in diesem idyllisch am Fuss des Illampu gelegenen Städtchen flüsterte mir unser Gastgeber ganz geheimnisvoll zu, dass gerade heute morgen eine Expedition durchgezogen sei, "die uns in PAITITI zuvorkommen wolle!" Ich nahm diese Nachricht gelassen hin, denn ich wusste, -- ehrlich gesagt -- überhaupt nicht, was ich mit dieser Meldung anfangen sollte. Erst, als mich mein Gegenüber drängte, die Arbeiten in der Höhle von San Pedro aufzugeben, um ebenfalls Paititi anzugehen, musste ich Farbe bekennen und beichten, dass ich von diesem geheimnisvollen Platz soeben zum erstenmal in meinem Leben gehört hätte. Ich weiss heute nicht mehr, schüttelte man über mich den Kopf, weil ich so ungebildet war oder weil man mir nicht glauben wollte? Einige Zeit später kam Manuel Posnansky -- der Leiter dieser Expedition und Sohn des berühmten Archäologen gleichen Namens -- mit seinen Begleitern von diesem Unternehmen zurück. Die Strapazen der vergangenen Wochen schienen noch in ihre Gesichter eingegraben zu sein. Sie erzählten von Feuerameisen und Moskitos, sowie von furchtbaren Gewittern und vor allem von Schlangen, die ihnen das Leben zur Hölle gemacht. Bis auf wenige Kilometer glaubten sie sich durch den Urwald an die Ruinen herangearbeitet zu haben, da erstand ihnen durch einen Gürtel von Palo SantoBäumen ein weiteres unüberwindliches Hindernis. Die Hohlräume dieser ehemals so berüchtigten Folterund Todesbäume der AmazonasIndianer bieten ideale Wohnstätten für Millionen von Feuerameisen, die sich auf jedes lebende Wesen herabregnen lassen. Solchen aussergewöhnlichen Belastungsproben war die Expedition sowohl ausrüstungsmässig als auch seelisch nicht mehr gewachsen. Es hatte beinahe den Anschein, als hätten die letzten Inkas auf den ehemaligen Ackerbauterrassen rund um ihre wenigen Zufluchtsstätten den Palo SantoBaum extra gepflanzt, um mit Hilfe eines MilliardenHeeres von Feuerameisen auch noch nach dem Untergang des inkaischen Imperiums die sorgsam gehüteten Heiligtümer und Schätze vor dem Zugriff Unbefugter zu bewahren. Seit dem Zusammentreffen mit Posnansky hat mich das Zauberwort " P A I TITI" nicht mehr losgelassen -- nicht etwa, weil ich mich -- wie so viele andere -- als Schatzgräber betätigen wollte, das lag mir völlig fern. Was mich reizte, war die Aufgabe als solche, Gefahren und Hindernisse zu überwinden, an denen meine Vorgänger bislang scheiterten -- und ein Ziel zu erreichen, das allen anderen bis jetzt versagt geblieben war. Ich sah mich im Geiste bereits in die tiefen Urwaldschluchten hinabstossen, um den Kampf zu bestehen gegen diese ganze feindlich gesinnte Urwelt. Mit Hilfe von Flammenwerfern und GiftnebelSprühgeräten wollte ich den PaloSantoGürtel durchbrechen. Ameisen und schlangensichere Kleidung, AluminiumSturmleitern, Wurfanker -- von Harpunen geschleudert -- Hängemattenzelte sowie Funksprechgeräte sollten die Ausrüstung ergänzen und mir als Requisiten dienen für filmisch unerhört eindrucksvolle Szenen. Das "forschende Abenteuer" als solches und die kämpferischen und sportlichen Erfordernisse waren es, die mich in erster Linie begeisterten. Der Schatz aber, den ich suchen und mit nach Hause bringen wollte, lag auf einem ganz anderen Gebiet. Die zukünftige Farbfilmausbeute von diesem einmaligen Unternehmen sollte der Reichtum sein, den ich bergen wollte. Auf diese Weise wird auch der breiten Masse der an solchen Expeditionen Interessierten die Möglichkeit gegeben, indirekt daran teilzunehmen, auf dass in ihren grauen Alltag wenigstens ein kleiner Schimmer dieser zauberhaften, fremden Welt des Abenteuers und einer verloren gehenden Romantik gleiten möge. Das Geschehen während eines solchen Unternehmens ist hart, spannend und aufwühlend. Für derartige Themen brauchen Sensationen nicht künstlich am Schreibtisch von konzessionierten Filmdramaturgen konstruiert zu werden -- eine erbarmungslose Natur diktiert das Drehbuch von selbst -- Tag und Nacht. Bis zur Realisierung meiner PaititiIdee als Expedition und als Filmstoff aber war noch ein langer, dornenvoller Pfad zurückzulegen. Mit Ausgang des Jahres 1952 erst ging meine AndenKundfahrt zu Ende, und das Jahr 1953 sah mich bereits wieder als Bergsteiger und Filmmann am Nanga Parbat, beteiligt am Kampf um einen der markantesten AchttausenderRiesen unserer Erde. Betrogen um die Früchte meiner dreijährigen Arbeit in Südamerika und am Nanga Parbat -- ja, darüber hinaus sogar noch mit Verleumdungen besudelt und mit grenzenlosem Undank belohnt, stand ich zu Beginn des Jahres 1954 vor einem Nichts. Ich, der die Jahre zuvor in den Urwäldern des Oriente Boliviano fast spielend alle Schwierigkeiten überwunden und in den Monsunstürmen am Nanga Parbat meinen Mann gestanden, drohte -- nach Deutschland zurückgekehrt -- mit einem Male im Dschungel der Niedertracht zu ersticken. Erst durch die grosszügige Unterstützung namhafter deutscher Ausrüsterfirmen im Verein mit der finanziellen Basis eines FilmVerleihs und nicht zuletzt auf Grund der Hilfe meiner deutschbolivianischen Freunde gelang es mir, in achtmonatiger zäher Arbeit ein neues und diesmal eigenes Expeditionsunternehmen aufzubauen. Auftakt mit Hindernissen Beinahe 4 Tonnen Expeditionsgut, berechnet für eine Teilnehmerzahl von 810 Personen -- darunter Namen von hervorragendem Klang -- verliessen Anfang September des Jahres 1954 Deutschland mit einem Frachter in Richtung Westküste Südamerika, um von dort aus per Bahn in das Hochland Boliviens befördert zu werden. Die Mannschaft selbst sollte drei Wochen später nachfliegen. Wegen plötzlich auftauchender beruflicher Gründe und privater Wünsche meiner Teilnehmer wurde leider nichts aus einer gemeinsamen Abreise -- und so startete ich am 23.September 1954 allein zu meinem TransatlantikFlug von München aus nach Südamerika. In Frankfurt stieg Frau Burgl Moeller zu, welche als Sekretärin das Unternehmen mit aufbauen half, gleichzeitig als Entomologin für den Film vorgesehen war und darüber hinaus als Assistentin unseres Expeditionsarztes tätig sein sollte. Nach einem grossartigen Flug über Länder und Meere hinweg landeten wir am 26. September 1954 in der höchsten Regierungshauptstadt der Welt -- La Paz/Bolivien -- stürmisch begrüsst von meiner Frau und meinen drei Töchtern, die ich vor eineinhalb Jahren dort in der Obhut von guten Freunden zurückgelassen hatte, als ich zum Nanga Parbat flog. Der erste Dämpfer, den ich bald nach der Ankunft erhielt, war die Nachricht, dass meine in der Heimat gebliebenen "Teilnehmer" der bekannten Gründe wegen nun mit einem Male alle erst Anfang des Jahres 1955 nachkommen wollten. Da meine deutschbolivianischen Begleiter in La Paz ihre Mitwirkung aus ähnlichen Motiven ebenfalls "für später" in Aussicht stellten, war ich plötzlich in eine Situation geraten, die ich nach den beispiellosen Schwierigkeiten, wie sie gerade der Aufbau dieser Expedition in Anbetracht der Beschaffung der Ausrüstung und vor allem der Durchführung der Finanzierung mit sich brachte, bestimmt nicht verdient hatte. Nun sass ich vor den Toren meines Traumlandes auf einem Stapel Gepäck, berechnet für ein zweijähriges Unternehmen, das den vielversprechenden Titel "AndenAmazonasExpedition 1954/55" führte, ohne einen einzigen männlichen Begleiter! Dabei war ich verpflichtet, einen grossen, abendfüllenden DokumentarFilm zu drehen, in dem die einzelnen Expeditionsteilnehmer -- ihren Fähigkeiten entsprechend -- mitzuwirken hatten. Zu allem Überfluss warteten auf mich jenseits der Cordillere bereits 20 Macheteros (Männer, die mit dem Buschmesser -- Machete genannt -- einen schmalen Pfad durch den Urwald schlagen) unter Führung ihres Capataz (Obmann), denen ich eine hohe Entschädigung hätte zahlen müssen, wenn ich nicht termingemäss am vereinbarten Platz eingetroffen wäre. Dazu kam, dass die Regenzeit jeden Tag hereinbrechen konnte mit all ihren Gefahren und Hindernissen. Eine Lage also, die bestimmt nicht beneidenswert zu nennen war nach all den Schwierigkeiten, die ich bereits gemeistert. Ich war schon fest entschlossen, auch allein loszuziehen, nur von meinen Eingeborenen begleitet, da stiess in letzter Minute doch noch der junge Deutsche Rudi Braun, ein urwaldgewohnter, tüchtiger Draufgänger, zu mir, den ich bereits anlässlich einer IllimaniBesteigung -- drei Jahre vorher -- als prächtigen und zuverlässigen Kameraden kennengelernt und der ursprünglich schon auf der Teilnehmerliste gestanden hatte. Aber auch diesem Lichtblick folgte ein neuer Schatten! Wenige Monate vor meiner Ankunft in Bolivien war angeblich von einer Transportmaschine aus im Tiefflug festgestellt worden, dass die vermeintlichen Ruinen auf dem Hochplateau der Cerrania von Paititi (das alte Ziel Posnanskys), zu denen ich vordringen wollte, lediglich Felsformationen waren und dass das gesuchte InkaHeiligtum weiterhin irgendwo verborgen in den dichten Urwäldern schlummern musste und weder durch Flugzeuge noch von umliegenden Höhen ausgemacht werden konnte. Man kann sich vorstellen, wie mich diese Hiobsbotschaft zu allem übrigen traf -- und dabei hatte ich mir so schön ausgedacht, dass ich vom Endpunkt der PosnanskyExpedition des Jahres 1950 aus nur noch meinen Flammenwerfer wie einen Schweissbrenner anzusetzen brauchte, um mich durch den Ameisengürtel der Palo SantoBäume bis zu den Pforten der lang gesuchten Ruinenstadt durchzuarbeiten. Wieder stand ich vor einer neuen Hürde, die irgendwie genommen werden musste, wollte ich nicht mein ganzes Vorhaben und damit mich selber aufgeben. Ich besuchte Posnansky, der gerade von einer Expedition aus dem Gebiet der MosetenezIndianer zurückgekommen war, um in La Paz seine Berichte über dieses Unternehmen auszuarbeiten. Leider hielt ihn diese Arbeit für Monate in Boliviens Hauptstadt fest, so dass der bekannte Forscher meiner Einladung zur Teilnahme an einer neuen PaititiExpedition nicht folgen konnte. Er gab mir jedoch viele wertvolle Anregungen, und vor allem schenkte er mir beim Abschied eine von ihm selbst gezeichnete Karte, in der die von seiner Expedition des Jahres 1950 begangenen Routen eingetragen waren. Mit Hilfe dieser Unterlage konnte ich meinen eigenen Plan ergänzen, der bereits die Wege und Urwaldpfade früherer Unternehmungen enthielt, und eine genaue Übersicht über diejenigen Gebiete bekommen, die bis dato noch unberührt waren. Da blieben von den etwa 1500 Quadratkilometern um den Cerro Paititi herum zwischen Rio San Christobal und Rio Chinijo -- einem Gebiet, das etwa dem zu einer Raute verschobenen Rechteck innerhalb der Begrenzungslinien München--Rosenheim--Kufstein--Bad Tölz--München entspricht -- nur noch zwei grosse, weisse Flecken übrig. Einer im Nordwesten am Rio Bagante und ein anderer im Südosten am Rio Chinijo. Ich entschloss mich für den letzteren, weil dort hinunter ein verhältnismässig gut erhaltener, zum Teil noch von den Inkas gebauter Gebirgspfad in Richtung Mapiri führte, der sich allerdings dann in den unermesslichen Urwäldern, die gegen die Cordillere hochziehen, verliert. Der Titicacasee auf fast 4.000 m Höhe Auf einem Umweg von La Paz nach Sorata, dem eigentlichen Ausgangspunkt unserer Expedition, passieren wir mit unserem Volkswagen die berühmte BalcaSchlucht. START IN BOLIVIENS HAUPTSTADT LA PAZ Nach einer Seereise von fast drei Monaten und dem üblichen Hafenaufenthalt in Arica war am 15.November 1954 endlich mein Expeditionsgepäck nach La Paz gekommen. Dieser Zeitverlust aber konnte schnell wieder wettgemacht werden. Durch die grossartige Vorarbeit der Deutschen Botschaft in La Paz -- vor allem in der Person des Kultur und Presseanaches Herrn Nagel -- und dank der Tatsache, dass ich durch meine früheren Unternehmungen bei der bolivianischen Regierung noch in bester Erinnerung stand, befürworteten das bolivianische Aussenministerium und damit alle übrigen massgebenden Regierungsstellen mein Vorhaben in grosszügigster Weise. Am 23. November 1954, zu einem Termin also, an dem die Regenzeit gerade ihre ersten Vorboten über die Königscordillere hinweg und über das bolivianische Hochland schickte, konnte ich endlich starten, begleitet von meinem Kameraden Rudi Braun, Frau Burgl Moeller und meinen beiden 16 und 17jährigen Töchtern Monika und Heidi, die nun -- nach Ausfall der vorgesehenen Kanonen -- die neue Expeditions"Mannschaft" bilden mussten. Meine Frau, Relly, war in La Paz zurückgeblieben, um den Nachschub von Material und die Nachrichtenübermittlung durchzuführen, während Frau Moeller und meine beiden Töchter neben der zoologischen Sammeltätigkeit das Basislager und die Bedienung der Funksprechgeräte übernehmen sollten. Hatte ich mir ein Jahr zuvor noch im Hinblick auf die schlechten Erfahrungen mit "holder Weiblichkeit" im Zusammenhang mit meiner AndenKundfahrt 1950/52 hoch und heilig geschworen, nie mehr eine Frau auf Expedition mitzunehmen, so waren diesmal direkt oder indirekt gleich vier daran beteiligt. Aber nach den letzten unerfreulichen Begebenheiten am Nanga Parbat und hinterher, wo bekanntlich nur Männer mitspielten, wagte ich einen neuen Versuch -- diesmal allerdings in familiärer Zusammensetzung und mit alten Freunden, und ich kann nur sagen, dass ich mit dieser Kombination ausgezeichnet gefahren bin. Auf einem altersschwachen und längst museumsreifen DodgeKleinlastwagen -- Modell 1934 -- reisen rund 1200 Kilo Expeditionsgut auf direktem Weg von La Paz nach Sorata. Schon auf dem ersten Teil der Strecke aus der im Durchschnitt 3600 m hoch gelegenen Stadt hinauf zum über 4000 m hoch gelegenen Altiplano traten die ersten Schwierigkeiten auf. Die schöne Betonstrasse war wegen Ausbesserungsarbeiten gesperrt, und der alte Karawanenund Karrenweg mit seinen Steigungen bis zu 20°/o setzten unserem Lastwagenveteran so zu, dass er manche Stellen rückwärts und mit kochendem Kühler überwinden musste, bis er in fast dreistündiger Arbeit die 6 Kilometer lange Strecke hinauf in die Hochebene geschafft hatte. Dann ging's gewissermassen von selbst dahin -- nur noch mit einer einzigen leichten Gegensteigung -- hinunter ins Tal von Sorata, 2700 m hoch gelegen. Später folgten die "Mann"schaft und das restliche Gepäck mit dem inzwischen eingetroffenen Expeditionsfahrzeug -- einem VWKombi, bei dem die Geschwindigkeit zu Gunsten einer Gebirgsachse und damit einer besseren Steig und Geländegängigkeit reduziert war -- nach. Auf Umwegen reisen wir durch die schönsten Landschaften Boliviens nach Sorata, passieren dabei die berühmte und berüchtigte BalcaSchlucht, fahren durch angeschwollene Flüsse und Mondlandschaften, klettern über Eis und Schnee die grossartig angelegte Strasse zum 5300 m hoch gelegenen Chacaltaja hinauf, um dann wieder hinunter zu rollen über die weiten Hochebenen des südamerikanischen Tibets -- nach Westen zu. Dort liegen -- einstmals von den Wassern des TiticacaSees umspült -- die uralten Tempelruinen von Tiahuanacu, dem Zentrum des inkaischen Sonnenkults. Noch gehen die Ansichten auseinander über Alter und Herkunft mancher riesiger Steinkolosse und Monolithen. Bolivianische Archäologen nehmen an, dass hier die "Wiege der Menschheit" zu suchen sei. Die Ufer des TiticacaSees -- des heiligen Sees der Hochlandindianer --kommen in unser Blickfeld; BalsaFischer kehren zurück auf ihren leichten BinsenBooten -- und aufgeschreckt durch das Aufheulen unseres Motors und den warnenden Ton unserer Hupe löst sich eine rosa Wolke -- Flamingos --von einer seichten Schlammbank. über eine Passhöhe von 4600 m hinweg erreichen wir Sorata. Wir sind alle todmüde von den grossartigen Eindrücken unserer Fahrt und den vorausgegangenen Tagen und Nächten, die ausgefüllt waren mit Pack und Wiegearbeiten. Die MulaLasten dürfen ja für den schweren und gefährlichen Cordillerenübergang keinesfalls das Gewicht von einem Quintal =46 Kilo pro Tier, aufgeteilt in zwei Traglasten zu je 23 Kilo, überschreiten. In der Nähe des Titicacasees auf bolivianischer Seite liegt die berühmte Ruinenstätte von Tiahuanacu mit dem monumentalen Sonnentor des Gottes Viracochu. Auf InkaSteigen über die KönigsCordillere Mit 30 PS waren wir in Sorata angekommen -- mit 25 MulaKräften verlassen wir die kleine Stadt und damit das gastliche Heim, das uns Familie Fernholz in alter, treuer Anhänglichkeit geboten hatte. Unter grössten Schwierigkeiten und bei Schnee und Gewitterstürmen überwanden wir mit unserer kleinen Karawane mehrere Andenpässe zwischen 4000 und 5000 m Höhe, um dann -- Tage später -- hineinzutauchen in die feuchte Schwüle der Regen und Nebelurwälder jenseits der Cordillere. Hatten wir TolaPampa -- einen alten KarawanenBiwakplatz, in 3450 m Höhe über dem Urwaldgürtel gelegen -- eines Abends, noch in HochgebirgsSturmanzügen und mit Fäustlingen bekleidet, von Hagelschauern und Kälte getrieben, erreicht, so verliessen wir ihn am nächsten Morgen in unseren neuen TropenUrwaldOveralls und wanden uns schweisstriefend wenige Stunden später -- die Mulas vorsichtig am Zügel führend -- die schwindelnden Steige der YungasUrwälder gegen Pararani hinunter. Seit im Jahre 1932 mit einem Grönlandunternehmen meine ExpeditionsWanderjahre begannen, ist es für mich etwas so Selbstverständliches geworden, unvorhergesehene Schwierigkeiten zu überwinden, dass ich mich mit einer eigenen Schilderung des Weges über die Königscordillere, der ja lediglich den Zugang zu unserem Operationsgebiet darstellt, nicht lange aufhalten möchte. Man wird mit der Zeit etwas abgestumpft und ist dann nicht mehr so aufnahme und wiedergabefähig wie ein noch ganz junger Mensch, der zum erstenmal eine solche Expedition miterlebt. Vielleicht ist es darum besser, wenn ich die Jugend zu Wort kommen lasse und von Fall zu Fall Tagebuchaufzeichnungen meiner damals gerade 17 Jahre alt gewordenen Tochter Monika mit verwende. 24.11.54 "Im Morgengrauen dieses nebelverhangenen Tages verlassen wir Sorata mit unserer Maultiertropa in Richtung HancoumaCumbre -- einem 5200 m hohen Pass, über den der Steig nach Yani führt. Unterwegs schliessen sich ein paar finster aussehende Kerle an -- mit grossen Packen und Pfannen beladen --die zum Goldwaschen nach Tipuani wollen. Sie machen keinen besonders vertrauenerweckenden Eindruck, und wir passen auf wie die Schiesshunde, dass keines unserer Lastmulas zurückbleibt. Tief unten aus dem Tal, wo ein Autoweg zu einer Mine führt, jault immer wieder ein alter, schwer beladener Ford auf, der wohl schon mit Pizarro herüber gekommen sein mag. Er gehört einem Österreicher, der hier auf einem Zivilisationsvorposten mit seinem AutoVeteranen einige der kleinen Bergwerke, die überall verstreut in der Cordillere liegen, mit Lebensmitteln versorgt und die gewonnenen Erze abtransportiert. Allmählich löst sich der Nebel und gibt den Blick frei auf die Nordausläufer der Königscordillere. Beim Übergang über den ersten, noch untergeordneten Pass fallen uns grosse Steinhaufen auf, zu denen unsere Arrieros (Maultiertreiber) -- Gebete murmelnd -- weitere Steine legen. Beim Vorbeireiten an einer Felswand entdecken wir kleine, etwa 20 cm hohe, sogenannte Seelenhäuschen aus Steinplatten, die die alten Indios zum Dank oder zur Bitte den Berggeistern auf der Cumbre errichten. Herrlich schön ist es hier oben. Grüne Matten, die hinunterführen ins Tal von Hancouma, Schafherden und Lamas sowie halbwilde Bergponys grasen in dem hellen Grün -- hoch oben zieht ein CondorPaar weite Kreise, und tief unten in den Sumpflagunen baden -- wie winzige Perlenketten -- Schneegänse und Enten. Etwas flacher führt der Weg von der HancoumaAbzweigung --die die Eingeborenen ChuchuCumbre (sprich: Tschutschu) nennen -- zu dem höher gelegenen LachisaniPass, der sogenannten Cumbre von Yani. Dort warten auf uns Austauschmulas für den Weiterweg nach San Carlos. Sehr vertrauenerweckend sehen sie nicht gerade aus -- weder die Viecher noch die Leute. Meine Schwester Heidi, Burgl und ichbetrachten mit gelindem Schauer die alten, komisch geformten "Foltersättel" -- wohl noch aus der Conquistadorenzeit. Man sitzt in ihnen mit Vorder und Rückenlehne zwar wie in Abrahams Schoss und kann unmöglich herausfallen, dafür aber beim Bergaufreiten unter tiefhängenden Ästen sich spielend leicht den Brustkorb eindrücken. Hannes -- das ist mein Vater -- und wenn ich ihn ebenso nenne wie meine Expeditionskameraden, so ist das beileibe nicht Respektlosigkeit der Jugend von heute, sondern ich weiss nur zu genau, dass mein "alter Herr" nur ungern durch die Anrede "Vati" daran erinnert werden möchte, dass er die Vierzig überschritten und schon so grosse Töchter hat. Männer sind ja furchtbar eitel, und meinen Papa nehme ich da nicht aus. "Hannes" -- wie ich also meinen Vater und Expeditionsleiter im Rahmen unserer Unternehmung ebenfalls nenne -- ist mit dem Chef der Tropa aus Yani -- Don Julio Sanchez -- nach längerem Feilschen über den Preis der Tour endlich einig geworden. Dafür braucht es aber beinahe unendlich viel Zeit, bis alle Lasten in Ledernetzen auf den Tragtieren verstaut sind und die Treiber unter sich die einzelnen Gepäckstücke ausgerauft haben, denn jeder sucht sich natürlich die leichtesten und handlichsten aus. Hannes ist überall -- teilt Kisten und Säcke ein, denn er muss darauf achten, dass beispielsweise Filmkameras und Material nicht auf ein und dasselbe Maultier kommen, damit im Fall eines Absturzes nie beide Kameras vernichtet sein können; daneben filmt er mit dem dritten Apparat, den er ständig im Rucksack bei sich trägt, Packszenen und interessante Passagen unterwegs, findet dann aber immer noch Zeit, dazwischen hier eine Korrektur anzubringen, dort zu schimpfen -- oder uns von dieser herrlichen Aussichtswarte aus drüben am Illampu (6348 m hoch) die Aufstiegsroute zu erklären, die er zusammen mit seinem Kameraden im Jahre 1951 benützt hat. Er zeigt uns den Eisüberhang, wo sie damals biwakieren mussten, und mich friert beinahe bei seinen Schilderungen. Trotzdem aber bin ich mächtig stolz auf meinen Papa. Die Fleteros drängen zum Aufbruch, weil der Wind Hagelschauer von Osten her über den Felsgrat treibt; aber Hannes bremst -- denn er hätte gar nichts dagegen, ein kleines Schneegestöber zu Beginn unserer Tropenreise in seinen Kasten zu bekommen -- und ist beinahe empört, dass die Maultiertreiber seinen künstlerischen Ideen so wenig Verständnis entgegenbringen. In unseren schönen, blauen SturmÜberanzügen reiten Rudi und ich mit dem ersten Trupp voraus, während die anderen die Nachhut bilden. Aber nur kurz sind die Reiterfreuden, denn bald schon geht es durch ein steiles, enges Tal, und wir müssen unsere Tiere am Zügel führen. Hier auf der Ostseite des HauptCordillerenKammes reicht eine vielfältige Vegetation von Sträuchern und Bäumen bis hoch hinauf, und hier finden wir auch zum erstenmal wilde KnollenBegonien mit grossen, rosaroten Blüten. Am späten Nachmittag passieren wir die neu erschlossene Goldmine eines Deutschen aus La Paz -- aber ausser einigen Arbeitern ist niemand zu sehen --und wir sind froh, jetzt keinen Bekannten zu treffen, da wir vor Einbruch der Dunkelheit noch bis Yani kommen wollen. -- Weiter unten überqueren wir den Fluss, und halsbrecherisch steil führt der Weg einen Hang hinauf. Da oben soll irgendwo Yani liegen, wo unsere Arrieros alle zu Hause sind. Es dämmert bereits -- der Nebel beginnt einzufallen, und es wird ausgesprochen düster und nasskalt. Wir reiten noch einen Grat entlang auf die andere Bergseite, treiben unsere Maultiere über Felsstufen hinauf, bis wir -- um eine Ecke herum -- mit einem Mal am Eingang von einem Dorfe stehen -- und was für einem! -- Yani -- 3500m hoch gelegen -- hält den Vergleich mit einem Räubernest glänzend aus, und wie wir am eigenen Leibe verspüren konnten, lebt es ja auch mehr oder weniger von Spitzbübereien. Burgl vergleicht die Siedlung treffend mit einer Dekoration aus >>Carmen". Düster und winkelig kleben Häuser und Höfe mehr über als nebeneinander. Tropfnasse Grasdächer über grauen Steinquadern, enge Gassen, verräucherte Türen und Fensterlöcher -- teilweise verfallen; ein paar scheue und misstrauische Kindergesichter, umrahmt von dunklen Türhöhlen. Es sieht nicht gerade einladend aus hier in Yani. Aber der alte Julio Sanchez hat uns in seinem Hause eingeladen, und dort soll angeblich bestens für uns gesorgt sein, wie er Hannes beruhigend versichert, der daraufhin seinen Kontrollposten am Dorfeingang aufgibt, wo er ursprünglich die Tropa an sich vorbeidefilieren lassen wollte, um die Lasten zu zählen. Obwohl Vati angeordnet hatte, dass in dem Hof unseres Quartiers auch abgeladen werden sollte, sind drei Arrieros mit über der Hälfte der Tropa bereits in verschiedenen Nebengassen mit unserem Gepäck in ihren eigenen Höfen verschwunden. Hannes tobt, weil Schlafzeug und Verpflegung nun im ganzen Dorf verteilt liegen. Sanchez beteuert immer wieder, dass es "costumbre" -- also ortsüblich sei, dass die einzelnen Arrieros und Maultierbesitzer die Lasten in ihren eigenen Häusern unterbringen, und es kostete einen richtigen Kampf, bis wir unseren ganzen Kram wieder beisammen hatten. Unser Nachtquartier ist eine tolle Bude! Der Boden lehmgestampft, das Dach mit Pajabrava, dem widerstandsfähigen Langgras der Cordillere, bedeckt, und die Wände mit Zeitungen aller Herren Länder tapeziert. Sogar ein Völkischer Beobachter aus dem Jahre 1942 ist darunter -- und in Schlagzeile wird darin auf der ersten Seite vom Fall der Festung Sewastopol berichtet. Bevor wir unser Schlafgepäck hier ausbreiten, bearbeiten wir die ganze Behausung gründlich mit NexaPuder -- und fluchtartig verlässt Heidi mit ihrer Benzinküche den "giftstaubverseuchten" Raum, um draussen im Vorhof unsere Abendsuppe zu richten. Bei der Neugier der Dorfbewohner herrscht ein reger Durchgangsverkehr in unserem Hof, und deshalb beschliesst Hannes, trotzdem das dort gestapelte Gepäck mit einer Plane abgedeckt und verschnürt worden ist, Nachtwachen durchzuführen. Ich melde mich gleich zur ersten -- und während die anderen in ihren molligen Schlafsäcken längst eingeschlummert sind, sitze ich -- mit meiner Gaspistole bewaffnet -- (Hannes traute dem weiblichen Teil der Expedition nur mit solchen Schiesseisen einigermassen genau Zielsicherheit zu) zwei volle Stunden am Eingang zu unserem Schlafgemach -- ein bisserl steif gefroren, aber sonst hellwach -- voller Stolz und im Bewusstsein, eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Ergebnis der Beobachtungen während der ersten Nachtwache meines Lebens: zwei Hunde umrunden den Gepäckstapel, einer hebt das Bein und gibt Visitenkarte ab; ferner eine Sau und vier Passanten mit der Taschenlampe identifiziert und teilweise verscheucht. Der sternenklare Himmel und die Kälte versprechen das beste Wetter für morgen, und Rudi kann schnarchen, so viel er will, ich werde ihn jetzt zur zweiten Wache heraustrommeln. Der Talkessel von Sorata wird von dem 6366 Meter hohen Illampu, dem Nordp feiler der Königskordillere, überragt. 25. 11. 54 Kaum wagt man um 5 Uhr früh ein Auge aufzumachen, geht der Wirbel schon wieder los. Burgl, Heidi und ich pilgern zu einer kleinen Quelle oberhalb der Kirche, erfrischen uns dort und verarzten unsere Sonnen und Nebelbrände vom Vortag mit Salbe. Hannes und Rudi haben sich inzwischen mit den Kerlen beinahe schon wieder in die Haare gekriegt, wegen höherer Geldforderungen -- und Heidi, deren perfektes Spanisch man neidlos anerkennen muss, dolmetscht tapfer und dezent in ihrer Adjutantenrolle, wenn Vati in der Hitze des Gefechts einen nur schwer verständlichen Cocktail von Spanisch, Italienisch, Französisch, Englisch und Bayrisch mixt. Es wird bei den Arrieros als besonders störend empfunden, dass unser Expeditionsleiter seine 50 Gepäckstücke genau im Kopf hat -- und es daher nicht gelingt, auch nur ein einziges "per Zufall" in Yani zu "vergessen". Die Treiber schachern um den Preis und verfluchen ihre Mulas, die störrisch sind wie die Teufel. Hannes schimpft und schwitzt und -- zahlt. Heidi ist nicht auf den Mund gefallen, als es darum geht, einen Träger, der sich -- trotz guter Bezahlung für eine leichte AkkuLast -- aus purer Bequemlichkeit dagegen wehrt, weiter mitzugehen, herunterzuputzen vor allen andern und so zur Vernunft zu bringen. "Bist du ein altes Weib, dass du Angst hast, mit uns ins Tiefland zu gehen?" --schleudert sie ihm auf Spanisch entgegen. Schallendes Gelächter quittiert diese schlagfertige Äusserung meiner jüngeren Schwester. Verlegen lächelnd und beschämt nimmt der Träger seine leichte Last auf und zieht mit uns. Ich kann wieder mit den ersten gegen 7 Uhr früh losreiten, während "unsere Männer" sich als Nachtreiber betätigen. Die Sonne ist längst aufgegangen, und aus dem goldenen Morgen wird ein heisser Tag werden. In vielen Kehren geht's zum Fluss hinunter und drüben in einem Seitental wieder hinauf. Auf diesem "Weg" darf man sich wirklich keinen falschen Tritt erlauben. Man würde in einem Wasserfall landen, der 100 m tiefer durch einen Canon tobt. An einer seichten Stelle oberhalb der Schlucht durchqueren wir dieses Wildwasser, und drüben beginnt der Anstieg zu einer Cumbre, der im Laufe des Tages noch zwei weitere Pässe folgen. Stunden geht es an steilen Graten entlang, Talwände hinauf und hinunter, an schäumenden Wasserfällen und an kleinen Tümpeln vorbei -- ständig in einer Höhe von etwas über 4000 m. Auf diesem uralten, inkaischen Königssteig transportieren diese widerstandsfähigen Mulas Jahr um Jahr -- über Treppen und Stufen hinweg --wertvolle Lasten hinunter nach San Carlos, Mapiri und wieder zurück. Wie dickbäuchige Omnibusse schnaufen die Tiere daher -- links und rechts mit unseren AluminiumTropenkoffern behangen. Oft hat man das Gefühl, sie müssten zusammenbrechen bei diesem Treppauf und Treppab, aber trotzdem finden sie immer noch genug Zeit, zwischendurch ein Maul voll Paja (Gras) zu rupfen und gelegentlich auch neben dem Weg dahinzustrolchen, was dann lautes Schelten ihrer Treiber auslöst. Der Tornillo (Die Schraube), ein noch gut erhaltener Teil des inkaischen Königsweges, über den die Expedition nach Überwindung von vier Pässen von fast 5000 Meter Höhe in die Tieflandurwälder hinunterzieht. Nachmittags müssen wir den grössten Teil des Weges zu Fuss gehen, vor allem am Tornillo, der berüchtigten Schraube, um die Tiere bei dem steilen Abstieg zu schonen. Als wir abends in TolaPampa unser Nachtlager aufschlagen und zu fünft in unser DreiMannZelt kriechen, wissen wir alle, was wir hinter uns haben. Übrigens wollte sich auch der Laternen und AkkuTräger -- scheinbar angekränkelt von Freiheits und GleichberechtigungsThesen politischer Rattenfänger -- noch zu uns ins Zelt legen. über so viel Frechheit war Hannes einfach sprachlos -- und eine unmissverständliche Handbewegung liess den Aufdringlichen schliesslich doch vorsichtshalber den Rückzug antreten. Wir schliefen -- nach einem Bad in dem naheliegenden, glasklaren Flüsschen -- dicht zusammengedrängt alle mehr oder weniger gut, jedenfalls aber warm. 26. 11. 54 Schon früh um 5 Uhr rumort Hannes draussen vor dem Zelt in der Küchenkiste herum -- und bei dem beruhigenden Summen des PrimusKochers döst man schnell wieder ein. Aber dann kreischt jäh und laut wie eine Säge der Reissverschluss des Zelteingangs, und jeder von uns erhält im Schlafsack sein Frühstück serviert: dampfende Ovomaltine und Büchsenbrot, mit Butter und Honig beschmiert. Dann muss jeder noch, ob er will oder nicht, eine tüchtige Ladung Haferbrei hinunterwürgen. Unser Expeditionsleiter ist in solchen Dingen ein Tyrann -- denn der Weg, der vor uns liegt, ist schwierig, und bis zur nächsten Etappe sind es -- wie er behauptet -- mindestens 810 Stunden. Um 7 Uhr früh -- gerade ist die Sonne hochgestiegen -- setzt sich die Leitmula mit ihrer bimmelnden Glocke am Halse in Bewegung -- und im munteren Trott reihen sich die übrigen Lasttiere in die Tropa ein. Es soll hier eine Menge Bären geben, aber wir hatten nicht das Glück, einen zu sichten und fanden nur Fährten und Losung. Nun weiss ich auch, warum die LakritzenStangen, die wir als Schulkinder in Deutschland so gerne gelutscht haben, "Bärendreck" heissen. Die Ähnlichkeit ist unverkennbar! Unterwegs zeigt sich, dass einzelne Mulas eine erstaunliche Vielfalt der verschiedensten Charaktereigenschaften aufweisen. Ich hatte ausgesprochenes Glück mit meinem Reittier. Es war sanft, trittsicher, aber faul, so dass ich ihm hie und da etwas Ehrgeiz eintreiben musste. Jedenfalls aber hatte es nicht so originelle Ideen wie die Mula von Burgl, die dauernd im Gehen Gras rupfte, war nicht so störrisch wie Heidi's Esel und auch nicht so feurig wie der Rappe von Hannes, mit dem uns Papa auf einem steilen Grat einen mustergültigen Sturzflug mit raffinierter Landetechnik vorexerzierte, als das Biest plötzlich einen Haken schlug und mit den Hinterbeinen auskeilte. Hannes hatte das Tier mit dem Knoten seines langen Zügelendes genau auf die empfindlichste Stelle unter den Schwanz getroffen. Eine peinliche Stelle übrigens auch auf diesem schmalen Weg, denn aus dem Abgrund leuchten die bleichen Gerippe von gestrauchelten Mulas. Schon im Laufe des Vormittags tauchen wir ein in ein Nebelmeer, das um die Flanken dieser CordillerenAusläufer wogt, und das -- wie eine riesige Daunendecke -- bis jetzt die Tieflandurwälder unseren Blicken entzogen hat. Nun geht der berüchtigte Abstieg los -- und wir müssen die Tiere wegen des abschüssigen, glitschigen Weges fast immer führen. Die Inkas sind geniale Strassenbauer gewesen, obwohl sie keine Räder kannten. Der Saumweg, über den wir hinunter in Richtung Mapiri pilgern, ist zum grössten Teil inkaischen Ursprungs. Bedauerlich nur, dass seit dem Zerfall des Reiches der Inka anscheinend an dem alten Königspfad nichts mehr ausgebessert wurde. Seit Mittag bewegen wir uns in der subtropischen Regenwaldzone. Sie begann mit stacheligen Bromeliaceen, dichtem Bambus und Palmfarnen. Später folgten höhere Bäume mit starkem Moosbehang, und ich hatte immer das Gefühl, es müsste mir von oben herab eine Vogelspinne oder eine Baumschlange auf den Hut oder in den Kragen fallen. Aber >>unsere Männer" beruhigten uns, und im übrigen hatten wir ja an diesem Morgen nicht mehr unsere Hochgebirgsanzüge, sondern zum erstenmal die praktischen, gut schliessenden grünen UrwaldOveralls angezogen. Wir sahen aus wie Fallschirmjäger auf dem Kriegspfad, und ich kam mir mächtig wichtig vor. Hannes filmte mehrere Male einige interessante Passagen, bis dann die Lichtverhältnisse immer schlechter wurden. Der Weg ist "muy cerrado" (stark eingeengt) und führt in tief ausgewaschenen Kanälen -- überwuchert von Lianen, Bambusgestrüpp und umgestürzten Bäumen -- teilweise wie durch einen Tunnel. Trotzdem die Arrieros drei oder viermal im Jahr mit ihrer Tropa über dieselbe Strecke kommen, fällt es ihnen nicht im Traume ein, diese für sie so lebenswichtige "Strasse" in Ordnung zu bringen. Irgendwie werden sich die Mulas mit dem Gepäck schon durchs Dickicht zwängen, auch wenn dabei die Kisten der Gringos (weisse Männer) Beulen bekommen und die Packsäcke aufgeschlitzt werden. Die Brüder sind viel zu faul, um mit der Machete den Weg freizumachen und behalten ihre Buschmesser -- des kühnen Aussehens wegen -- lieber im Gürtel. Ab und zu sieht man nun unter der Nebeldecke lange Hügelketten gegen Osten zu verschwinden, steil und mit dichtem Urwald bedeckt, so weit das Auge reicht. Dort unten also soll irgendwo PAITITI liegen, die sagenhafte Inkastadt, die wir "erobern" wollen. Ich bin etwas skeptisch beim Anblick dieser unendlichen Wälder. Aber reiten wir mal nach San Carlos -- vielleicht kann man uns dort etwas mehr sagen, als aus der winzigen Karte hervorgeht, die Hannes von Manuel Posnansky geschenkt bekommen hat. Gegen Abend erreichen wir Pararani mit ein paar freundlich aussehenden Hütten, die ganz aus den Stämmen und Blättern der CussiPalmen gebaut sind. In den Kehren der letzten Steilstufe oberhalb der Siedlung registrierten wir noch zwei aufregende Ereignisse. Meine Schwester Heidi, die plötzlich Anwandlungen bekommen hatte, an der Spitze -- vor Rudi und Hannes -- zu gehen, wäre in einem Engpass um ein Haar in eine Schlange hineingetappt, die mitten im Weg lag. Steinwürfe von Rudi verscheuchten diese ins Dickicht. Sowie der Weg breiter wurde und Hannes und Rudi mit ihren Mulas wieder nach vorne konnten, nahm Heidi gerne wieder ihren dritten Platz innerhalb der Tropa ein. Kaum hat Hannes erneut die Führung übernommen, springt ein schwarzes, pantherähnliches Tier in den Weg, das nach einigen Fluchten schnell seitwärts im Walde verschwindet. Im letzten Dämmern des Tages blasen wir in einer der Hütten, die uns gastfreundliche Bewohner zur Verfügung gestellt haben, unsere Gummimatratzen auf -- und bei dem einsetzenden Regen sind wir froh, unsere schönen, neuen KlepperZelte noch wohl verwahrt in den Packsäcken lassen zu können. Heidi brät auf dem Primus Kartoffelschmarren, und je nach Geschmack gibt's dazu Sauerkraut oder Apfelmus. Mahlzeit -- kann man da nur wünschen, und eine ungestörte Nacht!! 27. 11.54 Zum Abschied -- am Morgen -- schenkten uns unsere Gastgeber einen Strunk Bananen mit etwa 50 Stück, die wir mittags bereits verschlungen hatten. Welch ein Unterschied zwischen den freundlichen Menschen hier, gegenüber den verschlossenen und verschlagenen Gesellen oben in Yani. Allerdings führen die Menschen unten in dem milden Klima ein wesentlich leichteres Leben als die oben im Hochland. Es wächst, wenn einmal richtig gerodet ist, beinahe alles von selbst -- und ungemein schnell. Heute brachten wir die letzte und kürzeste Etappe der Reise hinter uns und erreichten schon um vier Uhr nachmittags unser Ziel." Soweit Monika. BASISLAGER MIT "TELEFONANSCHLUSS" Auf der Estancia San Carlos, einer Teeplantage (übrigens der einzigen grossen Boliviens), die von einem Deutschen verwaltet wird, wurden wir mit echt südamerikanischer Gastlichkeit aufgenommen. Diesen Platz hatte ich als Nachschubbasis für Verpflegung ausersehen, und dort sollten auch in guter Obhut die weiblichen Teilnehmer bleiben. Nach einer kurzen Orientierung aber musste ich einsehen, dass San Carlos für eine Tropensommerfrische zwar herrlich gewesen wäre, sich aber viel zu weit entfernt von meinem eigentlichen Operationsgebiet befand. Sieben Stunden vorher hatten wir einen Platz passiert mit dem vielsagenden Namen IncaPampa. Dieses IncaPampa war nicht nur hervorragend als Basislager geeignet, weil es hoch über den Schluchten des Rio Chinijo, dem Cerro Paititi und einem riesigen Urwaldkessel gegenüber lag, sondern -- weil das Wort allein schon einen gewissen Anhaltspunkt dafür bot, dass dieser Ort inkaischen Ursprungs war. Dabei handelt es sich lediglich um eine Lichtung in dem flachen Sattel eines langezogenen, schmalen, bewaldeten Höhenrückens, den Tropenstürme und Gewitter mit der Zeit von Bäumen freigefegt haben, wobei eine Art Pampa mit einem kleinen Teich entstanden ist. Abgesehen von dem Namen hat der Platz noch eine Besonderheit. Der kleine Teich ist durch einen Damm gestaut, dessen Konstruktion die typische Bauweise zu Inkas Zeiten verrät. So zogen wir denn nach Regelung der Fragen des Verpflegungsnachschubs mit der ganzen Tropa, zu der noch 20 Macheteros kamen, zurück an den Rand der Wildnis, wo die drei Frauen das Basislager und die dort errichtete Funksprechstation übernehmen mussten, während ich mit meinem Begleiter Rudi Braun und den Eingeborenen in die Urwälder an den Ostabhängen des Cerro Paititi eindrang. Während der Errichtung des Basislagers gab es immer wieder genügend Gelegenheit, von diesem idealen Beobachtungspunkt aus die Hänge und Schluchten des Cerro Paititi mit den Ferngläsern nach irgendwelchen Anzeichen alter menschlicher Siedlungen abzutasten. Aber so sehr wir uns auch bemühten, nichts war weiter zu sehen als das monotone Gewoge hoher, dunkler Urwaldbäume. Darüber brandeten Wol ken und Nebelschwaden ohn' Unterlass um diesen "Monte mysterioso". Regenschleier und Gewitter zogen wechselweise über die waldigen Schluchten und uns hinweg, die wichtigen Beobachtungen erschwerend. Nur hin und wieder stahl sich ein Sonnenstrahl durch den Brodem und gab den unheim lichen, finsteren Wäldern wenigstens stellenweise ein freundlicheres Aussehen. An so einem lichten Fleck aber blieb ich auf einmal mit meinem Fern glas hängen. Die Sonnenstrahlen waren weiter gewandert -- der Fleck in mitten des dunklen Grüns aber war hell geblieben, und aus dieser einsamen Insel in dem tiefen Urwaldozean ragten drei mächtige Palmen empor neben einem grossen, braunen Etwas, das ich aus etwa 15 km Entfernung als eine steinerne Säule, einen Monolithen deutete. Ich sah im Geiste bereits Mauern und Ruinen -- von Tacuara (einer sehr schnell wachsenden Bambusart) über wuchert, die sich wellenartig unter diesen drei einsamen Bäumen ausbreitete. Diese Entdeckung warf meinen Plan, als erstes den Cerro Paititi zu besteigen, über den Haufen. Ich stellte zunächst eine saubere Marschskizze zusammen, mit deren Hilfe wir zu dem Monolithen mit den drei Palmen vorstossen wollten. Kompasszahl 305, das war fortan in den nächsten Wochen die Ziffer, nach der wir uns zu richten hatten -- und Kompasszahl 305 war letzten Endes auch die Zahl, die uns ans Ziel brachte, das allerdings nicht bei den Palmen lag, sondern lange vorher schon -- auf dem Weg dorthin -- in einem tiefen, völlig verborgenen Talkessel. MIT BUSCHMESSERN IN DEN DSCHUNGEL In den nächsten Tagen und Wochen kamen unsere Buschmesser und unsere Armmuskeln nicht mehr zum Ausruhen. Meter um Meter hieben wir uns vorwärts, den ganzen langen, beschwerlichen Weg durch finstere Urwaldschluchten und Bambusdickichte -- über hohe Laub und Humusdecken, in die wir immer wieder einbrachen, und durch Wildwasser. Allein um von unserem Basislager IncaPampa aus die 600 m Höhenunterschied durch den dichten Urwaldfilz hinab zum Rio Chinijo zu überwinden und einen brauchbaren Weg zu bahnen, benötigten wir volle drei Tage. Zwei weitere verstrichen, um über den etwa 40 m breiten, sehr reissenden Fluss zu kommen -- und es waren bange Stunden, die viel Schweiss kosteten, bis wir endlich mit Hilfe unseres Wurfankers, der von einer Spezialvorrichtung abgeschossen wurde, ein erstes Doppelseil am anderen Ufer hatten. An dieser "Seilfähre" gesichert, können die ersten Leute und ein Bündel Macheten durch die reissenden Wasser schwimmen, ohne befürchten zu müssen, in den flussabwärts liegenden Stromschnellen für immer zu verschwinden. Aus dem ersten Hilfsseil entsteht dann bald ein primitiver Sessellift, mit dem wir Personal, Apparatur und Expeditionsausrüstung hinüberbefördern. Unten in der Schlucht auf einem Felsvorsprung über den tosenden Wassermassen stand unser Lager I -- und auf dem Weg dorthin hatten wir unsere ersten Begegnungen mit Schlangen und streichholzgrossen Ameisen, Tucangiras genannt, die ganz infernalisch stechen und dabei Gift injizieren. Zweimal im Verlauf der Expedition musste ich damit nähere Bekanntschaft machen, und jedesmal war der Stich mit blutvergiftungsähnlichen Erscheinungen verbunden -- roten Striemen und Anschwellung der Drüsen, wozu dann noch Sehstörungen kamen, als würde man beim Entfernungsmesser einer Fotokamera die Doppellinien eines Gegenstandes zum Zwecke der Scharfeinstellung so lange hin und her schieben, bis sich die Konturen decken. Ob diese Sehstörungen direkt mit dem Stich der Tucangira, oder indirekt -- wie meine Kameraden behaupteten -- mit dem angewandten Gegengift, das heisst mit äusserlichen und inneren Alkoholeinreibungen, zusammenhingen, kann ich heute nicht mehr mit Sicherheit sagen. Unsere Schlangenabenteuer verliefen weitaus glimpflicher, vor allem während der Arbeit am Sendero (Ausdruck für einen mit dem Buschmesser geschlagenen Pfad). Der Lärm der Arbeit, verursacht durch das Schlagen der Macheten, das Krachen von Ästen und Bäumen, sowie das stete Vorwärtsschreiten dieses Rumors in den sonst so stillen Urwäldern treiben die Schlangen und alle übrigen Tiere -- sofern es sich nicht gerade um neugierige Affen handelt -- rechtzeitig in die Flucht. Mein Tagebuch verzeichnet während des ersten Spähtruppunternehmens als Durchschnitt drei Schlangenbegegnungen innerhalb von 24 Stunden. Das ist nicht viel gegenüber den Schlangenabenteuern der PosnanskyExpedition des Jahres 1950, die von dem Ort Gonzata aus -- also von Norden her in das Gebiet eingedrungen war und in den Monaten August/September zur Paarungszeit gleich Dutzende -- und zum Teil zu Knäueln zusammengeballt -- antraf. Bei uns bestand akute Schlangengefahr dann, wenn wir nach Regenfall auf dem bereits gebahnten Pfad zurückgingen und wieder Lasten nach vorne transportierten. Die Feuchtigkeit löscht jedes Geräusch aus. Kein Rascheln des Laubes mehr, kein Knacken irgendeines Astes! Lautlos -- wie auf Gummi -- schleicht man im Sendero dahin, kriecht unter den Torbögen der BambusDickichte durch, um plötzlich in dem Zwielicht von einer Schlange gestellt zu werden, die von oben herunterhängt. Das sind die gefährlichsten Augenblicke, denn Mensch und Tier handeln in solchen Momenten nur noch im Affekt. Beide schlagen zu -- und es kommt nur darauf an, wer schneller ist: Die scharfen Zähne des Reptils, oder die scharf geschliffene Klinge der Machete. Die meisten Schlangen, die unseren Weg kreuzten, befanden sich nicht am Boden, sondern über uns in den Bäumen oder zumindest neben uns in Augenoder Schulterhöhe, und der Gedanke, aus dieser für das Tier so bequemen Angriffsstellung heraus in den Kopf oder in die Halsschlagader gebissen zu werden, wirkt nicht gerade nervenberuhigend. Was nützt schon bei so einem Biss unser polyvalentes SchlangenSerum, oder das einheimische Especifico pessor, das wir neben Caliumpermanganat ständig mit uns führten? Das erstere ist intramuskulär zu verabreichen, das zweite löffelweise einzunehmen mit anschliessender 30stündiger Hungerkur, und das letzte in Kristallform in die Wunde zu pressen, um das Gift zu neutralisieren. Aber auch am Boden heisst es, höllisch aufpassen! Hier liegen Äste, abgeschälte Rinden und Laub, und dazwischen -- in oft unglaublicher Mimikry, kaum sichtbar für den Dahinschreitenden -- eine Yararaca, eine Surucucu oder Buschmeister mit ihren gefährlichen Doppelfangzähnen, oder eine Yoperohohobo. Von letzterer weiss ich ein Lied zu singen, seit mich im Jahre 1951 bei einem Unternehmen an der brasilianischen Grenze eine in die Hand gebissen. Damals wurde ich, da Serum fehlte, nur durch die Kunst meiner eingeborenen Begleiter gerettet, die aus einer bestimmten Wurzelknolle eine Medizin für mich brauten. Der Vorausgehende muss ständig auf der Hut sein und die Augen eigentlich gleichzeitig am Boden, auf beiden Seiten und in der Höhe haben. Dieses lauernde, langsame Vorwärtsschreiten über meterdicke Laub und Humuspolster -- wie auf einer Sprungfedermatratze -- immer wieder durchbrechend und sich dann hochrappelnd -- jeden Augenblick gewärtig, während die Füsse unten zwischen Ästen und Wurzelgeflecht in einem Hohlraum baumeln, der genauso gut ein Schlangennest sein kann, gebissen zu werden, das ist aufregender, aufreibender und kraftraubender als ein Gang selbst in 6000 und 7000 m Höhe durch tiefen Schnee. Nach Tagen mühseligen Vorwärtsschreitens in lähmender Hitze und Feuchtigkeit -- immer der Kompassnadel nach -- ist unser schmaler Urwaldpfad vom Fluss weg am jenseitigen Berghang hinauf und über einen langen Höhenrücken vorgetrieben worden, bis eine mächtige Felswand uns den Weiterweg sperrt. Ein kleiner Sturzbach tost hernieder. Hier schlagen wir Lager II und ziehen die Bilanz der vergangenen Woche: 500 m pro Tag sind wir im Durchschnitt vorangekommen. Zum Zweck der Neuorientierung wird nun mit grossem Vorteil auch hier wiederum unsere mitgeführte Harpune eingesetzt. Bereits während meiner Expedition 1951 im RioVerdeGebiet an der* brasilianischen MatoGrossoGrenze im Rahmen einer bolivianischen Grenzkommission hatte ich mir oft und oft gewünscht, möglichst leicht hohe Urwaldbäume besteigen zu können, um den Weiterweg zu erkunden -- oder Orchideen zu sammeln. Mit zwölfzackigen Steigeisen -- wie sie sonst nur bei Eisklettereien zum Einsatz kommen -- sowie mit Hilfe von Brust und Hüftschlingen bewältigte ich damals unter dem Gaudium vor allem meiner bolivianischen Expeditionsbegleiter in stundenlanger, schweisstreibender Arbeit derlei nicht "tourenberichtsfähige" Urwaldriesen. Diesmal schossen wir einfach einen Stahlpfeil mit leichtem Kunststoffseil über eine Baumkrone hinweg, zogen daran eine Strickleiter mit Aluminium Holmen hoch und konnten von einem solchen Luginsland aus sehen, wie es weiterging. Durch einen Gürtel von CecropiaStämmen muss die Felssperre umgangen werden. Palo SantoBäume schieben sich dazwischen. In ihrem Blütenzauber verraten sie mit nichts, dass ihre Hohlstämme die bevorzugten Wohnungen der Feuerameisen sind; derselben Ameisen, vor denen letzten Endes auch die Expedition 1950 schon kapitulieren musste. Indios behaupten sogar, die Inkas hätten den Palo Santo extra gepflanzt, um die heiligen Stätten vor dem Zugriff Unbefugter zu bewahren. Diese Deutung -- so interessant sie im ersten Augenblick auch erscheinen mag -- ist natürlich völlig abwegig, denn genauso wie bei uns in gemässigten europäischen Zonen bei entsprechenden Bodenverhältnissen und in gewissen Höhenlagen ganz bestimmte Bäume gedeihen, so ist das natürlich auch in subtropischen und tropischen Gegenden der Fall. Cecropia bzw. Palo SantoStämme gelten allerdings auch heute noch als die berüchtigten Folter und Todesbäume der Amazonas--Indianer, denn schon ein Dutzend Feuerameisen auf der Haut können jeden Menschen zur Raserei bringen. Manch einer, der unvorsichtigerweise einen solchen Ameisenwald betrat, weiss ein garstig Lied zu singen von dem feinen "Nieselregen" dieser winzigen Bestien, die sich wie brennende Tropfen auf ihre Opfer herniederrieseln lassen. Nur an zwei Stellen brauchten wir bis jetzt MagnesiumFackeln sowie unser SwingfogNebelsprühgerät als Flammenwerfer anzuwenden, um Feuerameisen, Tucangiras und Wespen in ihren Baumwohnungen auszuräuchern. Die mitgeführten Giftnebellösungen hatten keine Sofortwirkung. Die Tiere wurden durch die Qualmstösse nur noch rabiater. Mit Flammenwerfer und Axt durchbrechen wir das "Ameisenbollwerk" an der schwächsten Stelle. Um knapp ein Dutzend Bäume niederzuringen und eine acht bis zehn Meter breite Gasse für unsere barfuss laufenden Träger als Nachschubweg zu bahnen, brauchen wir fast zwei Tage. Neben Emsen, die sich im Basislager beinahe überfallartig an der Verpflegung gütlich taten, die nicht hermetisch verschlossen wurde, hatten wir vor allem in den Lagern I und II unter der "Saubea" zu leiden, die vieles anfrass, in erster Linie aber verschwitzte Lederriemen von Rucksäcken, Stiefel und Kleidung. Interessant war in diesem Zusammenhang, dass Gegenstände aus dem neuen deutschen Kunststoff "PAN" von diesen Ameisen gemieden wurden. Aus Zeitersparnisgründen befasste ich mich gar nicht lange mit dem Ausbau unseres Lagers II, sondern trieb nach Öffnen der Gasse im CecropiaGürtel mit einigen wenigen Macheteros den Sendero weiter gegen den "DreiPalmenPlatz" und ein geplantes Lager III vor. Rudi hatte inzwischen die Aufgabe übernommen, mit den übrigen Peones die restlichen Lasten vom Lager I nach II zu bringen. An dem Tag höre ich um die Mittagsstunde aus der Ferne drei Schüsse dicht hintereinander -- und etwas später einen vierten Schuss. -- "Aha", denke ich -- und hoffe im stillen auf eine gute Jagdbeute meines Kameraden. Gegen Abend kommt er -- noch ziemlich erregt unter dem Eindruck eines Schlangenabenteuers -- auf meine Funksprechstelle oberhalb Lager II. Er musste -- allein unterwegs -- durch die Krone eines Baumes kriechen, den ein Gewittersturm in der vorhergehenden Nacht in unseren Sendero geworfen hatte. Als der Freund nach Überwindung des Hindernisses -- inmitten von dürren Ästen stehend -- eine kleine Atempause einlegen will, sieht er vor sich zwischen den Knüppeln am Boden ein armdickes Etwas von fast derselben Farbe wie die Umgebung -- nur mit dem Unterschied, dass es glänzende Schuppen hat und sich langsam vorwärts bewegt. Nach der ersten Schrecksekunde will Rudi einen Schritt zurückgehen, aber ein hochstehender Ast in der Kreuzgegend hindert ihn daran -- und das ist sein Glück; denn als er mit der Hand nach dieser Rückensperre angeln will und dabei der Blick zufällig hinter seine Absätze auf den Boden fällt, sieht er auch hier armdick Schuppen glänzen. In jähem Entsetzen reisst mein Kamerad seinen Kolt vom Gürtel und schiesst blindlings dreimal hintereinander auf den dicken Schlangenleib vor sich. Jetzt kommt Leben in das Gewirr von Ästen und Laub um ihn herum -- und eine vielleicht 4 m lange Schlange, in deren Ring er gestanden, wobei der Kopf unsichtbar geblieben, bewegt sich seitwärts in das Dickicht. Ein vierter Schuss kracht hinterher, trifft -- und blitzartig verschwindet dieser unheimliche Wegelagerer im Urwalddunkel. Ob es eine Boa war oder eine Buschmeister -- die gefährlichste Giftschlange dieser Wälder -- das konnte Rudi nicht sagen. Eines aber nahmen wir uns vor, möglichst nicht mehr allein zu gehen und uns im Vorausgehen abzulösen, soweit das nur irgendwie durchführbar war; denn das Schlimmste in diesen Urwäldern sind meines Erachtens weder Schlangen noch Vogelspinnen, sind nicht der Jaguar und die stürzenden Bäume -- eine der grössten Gefahren ist die schleichende Apa thie, jenes Wurschtigkeitsgefühl, das einen befällt durch die Einwirkung der alles lähmenden Hitze, der Feuchtigkeit und Schwüle und letzten Endes durch die Überbeanspruchung der Nerven und der Körperkräfte. EIN ZUFALL FÜHRT ZU DEN ERSTEN RUINEN Auch ich hatte an diesem Tag ein Erlebnis gehabt -- vielleicht das grösste und aufwühlendste meines ganzen bisherigen Expeditionsdaseins. Nicht mit Schlangen, denn an Begegnungen mit ihnen war ich langsam gewöhnt; es war die erste archäologische Entdeckung, die mich so erregte, dass ich die folgenden Tage und Nächte nicht mehr zur Ruhe kam. Zum erstenmal hatte an dem denkwürdigen Morgen die Sonne geschienen, als ich mit Arauko -- unserem Capataz des ersten Vorstosses -- und den fünf besten Macheteros -- an der Spitze Eliseo Durän -- über die feuchten Moos und HumusPolster der Steilwand, die aus der Schlucht des Lagers II gegen Norden führt, hinaufkletterte. Ein BambusDickicht, so verfilzt, wie ich es bisher noch nicht erlebt, überzog den nächsten Höhenrücken, über den wir hinweg mussten. Bis hierher hatten wir uns am Vortag schon durchgeschlagen, so dass wir den Sendero mit einigen MachetenHieben nur noch zu verbessern brauchten. Die wenigen Meter, die der hier etwas niedere Urwald den Blicken freigab, waren ausgefüllt von hellgrünen, üppigen BambusGeflechten, die spinnwebartig bis zu den Baumwipfeln emporkletterten. Hier mochten die grünen Baum und Peitschenschlangen hausen, aber der Lärm unserer Buschmesser hatte sie wohl vertrieben. Beim Durchkriechen stockfinsterer, tunnelartiger Lianengänge und beim plötzlichen Hinaustreten in das grelle Sonnenlicht haben wir keine einzige von ihnen bemerkt, obwohl wir das Gefühl nicht los wurden, dass links und rechts und über uns Gefahr lauerte. Höher wurde nun der Urwald wieder, und die dichten Baumkronen liessen kaum noch Licht durchfluten. Trotz des Sonnentages schlichen wir in gespenstischer Dämmerung dahin, kletterten einen langen Hang hinab bis zu einer Schlucht, durch die kristallklares Wasser sprudelte. Unser Vorwärtskommen war nun etwas einfacher. Das fehlende Licht zwischen den hohen Bäumen liess keinen Unterholzwuchs aufkommen -- und die Macheteros brauchten nur hie und da einzugreifen, um eine Liane zu beseitigen, oder an einem Baum eine Markierung anzubringen. Nach kurzer Rast geht's weiter immer stur nach Kompasszahl 305. Von neuem beginnt das Schlagen der Macheten, das Kriechen unter modernden Bäumen durch und das kraftraubende Klettern über federnde Moos und HumusPolster. Vormittags gegen 11 Uhr mag es wohl gewesen sein, als das Gelände flacher wurde und wir über einen beinahe ebenen Talboden schritten mit wundervollen hohen Bäumen, unter die sich zum erstenmal wieder lange, schlanke Stelzenpalmen mischten. Schiefer in grossen Platten oder in mächtigen Quadern -- von Moos und Baumwurzeln überwuchert -- trat bald da, bald dort zutage, ohne dass uns daran etwas Besonderes aufgefallen wäre. Auf dem leicht gewölbten Geländerücken, der mitten durch das Tal zog und ein kleines Rinnsal von einem Wildbach trennte, der unter einer mächtigen, vielleicht 60 Meter hohen Felswand dahinrauschte, hatte der Sturm einen Baum aus seiner Bodenverankerung losgerissen und umgelegt. Mit den Wurzeln und dem Erdreich, die wie eine Schutzwehr hochgewuchtet wurden, war der Untergrund freigelegt worden. Ein idealer Platz, um ein wenig zurückzubleiben und schnell mal Mammheimlich zu verschwinden. Doch daraus wurde nichts. Freudiges Erschrecken stoppte jäh alle biologischen Notwendigkeiten. Dort, wo der Baum einst gestanden, war eine sauber geschichtete Felsentreppe sichtbar geworden -- eine Entdeckung, bei der ich in helle Aufregung geriet. Dreissig Meter weiter vorne in der Wildwasserschlucht hatten sich meine Leute zur wohlverdienten Rast niedergelassen. Beim Abstieg dorthin tritt die Fortsetzung der Treppe zutage, aber diesmal nicht in Form von aufeinander geschichteten Steinen, sondern die Stufen sind nunmehr tadellos sauber in den Naturfels gehauen und gut erhalten. Am gegenüberliegenden Ufer führt eine weitere in den Stein gemeisselte Stufenreihe nach oben, um sich unter dem Humus eines dicht bewaldeten Steilhanges erneut zu verlieren. Neben und über den Treppen, die hineinführen in die Schlucht und wieder heraus, starren an beiden Ufern überhängende Felsen waagerecht in die Luft wie die Bogenreste einer eingestürzten Brücke. Die Platten aber, die einmal darüber gelegen haben mochten, ragen unten aus Rollkies und Schwemmsand heraus. Ist das Ganze in grauer Vorzeit wirklich einmal eine Brücke gewesen, von Menschenhand gebaut, oder handelt es sich dabei um eine Laune der Natur? Das sind die Fragen, die sich mir mit einem Male aufdrängen. Aber es ist zu offensichtlich! Hier schwang sich einmal von einem Ufer zum anderen eine Brücke -- wie von ZyklopenHänden gebaut -- und als sie eingestürzt war, da hat man daneben als Notübergang bei Niedrigwasser Treppen in den Fels geschlagen. Wie lange mag es her sein, seit hier zum letzten Male Menschen über den Fluss gegangen? -- Das sind die Gedanken, die mich bewegen, während drüben -- einen Seilwurf entfernt -- meine Begleiter in der wärmenden Sonne sitzen und ihre einfache Mahlzeit verzehren, die aus geröstetem YuccaMehl besteht, das -- mit kaltem Wasser und braunem Zucker angerührt -- eine nahrhafte Suppe ergibt. Sie haben noch keine Ahnung von diesen Funden -- und ich sage auch vorerst noch nichts. Weiss ich denn überhaupt, ob diese armen Teufel nicht nur verlockt durch Bezahlung und gute Verpflegung mitgegangen sind? Werden sie das gleiche archäologische Interesse aufbringen, das meine Expeditionskameraden und mich beseelt, oder wird in ihnen nicht vielleicht bei den ersten Entdeckungen schon hemmungslose Gier nach Schatzgräberei wach, wie sie mancher Expedition und manchem Forscher zum Verhängnis wurde? -- Aber noch sitzen sie gemütlich drüben -- lachen und schmatzen und schaben sich die aufdringlichen Schweissbienen einfach mit der Machete vom Oberkörper, während wundervolle tropische Schmetterlinge über der Gruppe von Menschen gaukeln und überall dort naschen, wo etwas Zuckerbrei verschüttet wurde oder Harnflüssigkeit in Moos und Sand versickert ist. Ober den Steilhang, der aus der Schlucht herausführt, und der die einzige Möglichkeit nach oben zu kommen bietet, schlagen wir uns höher. Zur Linken ist die senkrechte Felswand, unter der wir rasteten, zur Rechten eine weitere carionartige Schlucht, in die in freiem Sturz von etwa 30 m ein mächtiger Wasserfall herniederdonnert. An Wurzeln, die über die steilen, bewachsenen Felsen herunterhängen, und an Bäumen hangeln und stemmen wir uns hoch. Wir müssen dabei höllisch aufpassen, möglichst nur dort hinzufassen, wo der Griff und seine nähere Umgebung zu übersehen sind, denn überall kreuzen Tucangiras unsere Passage. Nur sehr langsam gewinnen wir an Höhe. Der Berghang und die Steilabfälle scheinen kein Ende nehmen zu wollen. Nach drei Stunden machen wir in einem flachen Rincon (Rinnsal), in dem sich des feuchten Untergrundes wegen gewaltige Stelzenpalmen zu mächtigen Bäumen entwickelt haben, erneut eine kleine Rast. Kurz zuvor hat mich eine Tucangira in den rechten Handballen gestochen, als ich im Ausrutschen schnell einen Ast ergreifen musste, ohne ihn vorher in Augenschein nehmen zu können. Ich kratze feuchte Erde in mein Taschentuch und mache mir damit einen Notverband. Im übrigen heisst es, die Zähne zusammenbeissen, denn ich will mir vor meinen Begleitern nichts anmerken lassen; aber das fällt mir -- ehrlich gesagt -- unendlich schwer. Ich bin froh, dass die Zeit schon ziemlich vorgerückt ist und ich den Leuten sagen kann, dass wir nun umkehren müssten, wollten wir noch vor Einbruch der Tropennacht unser Lager II erreichen. Hinunter geht's -- denselben Steig, den wir geschlagen. Wieder passieren wir die Stelle am Fluss, an der ich die Treppen entdeckte. Ich lasse die anderen vorausgehen, geniesse mit stiller Freude meine Beobachtungen und kühle im übrigen meinen dick geschwollenen, brennenden Handballen mit frischem Wasser. Geschrei meiner Macheteros treibt mich wieder weiter. Mit dem Ruf "Monos, monos" kommt einer der Leute zu mir zurückgerannt und bittet mich, einige Affen zu schiessen, die oben in den Baumkronen unseren Sendero kreuzen. Da frisches Fleisch und überhaupt jagdbare Tiere in unserem Arbeitsgebiet -- vielleicht wegen der Überzahl an Schlangen -- äusserst rar waren, tat ich ihnen den Gefallen und schoss zwei Silvadores, wie diese Affenart genannt wird. Um die herabgestürzte Beute zu bergen, müssen wir uns etwa 20 m in das Dickicht hineinschlagen. Während meine Leute sich in kannibalischer Lust mit unseren gemordeten "Vorfahren" beschäftigen, bemerke ich wenige Meter neben der Absturzstelle der Tiere völlig vermooste und von Bäumen und Wurzeln umklammerte Grundmauern eines alten Bauwerks. Die Aufregung und Freude ob dieses neuen Fundes war bei mir bestimmt mindestens so gross wie die der Macheteros über den Affenfleischbraten -- und mit einem Male kam mir zum Bewusstsein, dass dieses einsame Tal an den Ostabhängen des Cerro Paititi der Angelpunkt, wenn nicht gar das Zentrum jener sagenhaften Stadt gleichen Namens sein müsste. Nun waren auch meine Begleiter auf die Ruinen aufmerksam geworden und halfen emsig mit, von der Mauer Erdreich und Wurzeln zu entfernen, soweit das mit unseren Instrumenten -- einigen Macheten und meinem alten Eispickel, den ich aus treuer Anhänglichkeit mit in die Urwälder genommen hatte -- möglich war. Der vorgerückten Stunde wegen liess ich die Arbeit für Boden gerammt, meinen Rucksack darangebunden und meinen aufgespannten Regenschirm schützend darübergehängt habe, treten wir im Eiltempo den Rückweg zum Lager II an mit dem Gedanken, am nächsten Tag unverzüglich zurückzukommen, um hier Lager III zu errichten. Leider war an diesem Abend -- eines aufziehenden Gewitters wegen -- keine Funksprechverbindung mit dem Basislager möglich, und so konnte ich mein begreifliches Mitteilungsbedürfnis nur noch dem Freund gegenüber stillen -- bis er mir keine Antwort mehr gab und ich ebenfalls -- todmüde von den langen Wegen und durch einmalige Erlebnisse -- einschlief. Mit Hilfe eines Wurfankers, der von einer Spezialvorrichtung abgeschossen wurde, gelang es in zweitägigem Bemühen, endlich eine Seilbrücke über die Schlucht des Rio Chinijo zu spannen. DIE ERDE BEBT Wir benützten in dieser Nacht zum erstenmal unsere neuen Hängemattenzelte aus leichtem Kunststoff, denn bei den beengten Platzverhältnissen auf der einzigen, wenige Quadratmeter grossen Fläche in der Schlucht mussten in erster Linie unsere Helfer einigermassen bequem im Schutz ihrer dachförmigen Zeltplane untergebracht werden. Die vorerwähnten schaukelnden Behausungen, deren Seitenwände ganz aus Moskitoschleiern bestehen, werden bei ungünstigem Gelände und in tropischen Urwaldgebieten einfach zwischen zwei Bäumen aufgehängt und sind gemäss der hier anzuwendenden Devise "weg vom Boden und damit vom Ungeziefer" geradezu ideal zu nennen. Weniger ideal allerdings war für mich persönlich, dass ich sowohl das überdach als auch den Seitenschutz im Basislager zurückgelassen hatte. Beim ersten nächtlichen Gewitter -- begleitet von sturzbachartigem Regen --trieb mir der Wind das Wasser von rechts her durchs Moskitonetz. Während sich Rudi am nächsten Morgen gut ausgeruht und trocken von seinem Lager erhob -- denn er hatte vorsichtshalber überdach und Seitenwände mitgenommen -- glich mein Nachtasyl mehr einer zwischen Himmel und Erde hängenden Badewanne, in der ich beinahe bis zur Brust im Wasser lag. Da die KlepperWerke für solch aussergewöhnlichen Verwendungszweck natürlich keinen Badewannenstöpsel vorgesehen hatten, verschaffte ich -- durch einen Stich mit meinem Stilett in die tiefste Stelle der Ausbuchtung unter meinem Sitzfleisch -- den Wasserfluten freien Ablauf. Das langanhaltende, laute Plätschern und das schallende Gelächter meiner Macheteros, die etwa 10 Meter rechts von mir hangabwärts in der Talsohle genächtigt hatten, brachten mir zum Bewusstsein, dass man bei mir anscheinend ein Blasenleiden vermutete. Der "Spähtrupp in die Vergangenheit der Inka?' auf dem Vormarsch durch den Urwald mit dem Flammenwerfer als "Geheimwaffe" gegen die Feuerameisen. Die fröhliche Stimmung trotz dieses trüben, regnerischen Morgens wurde jäh zerstört durch aufgeregtes Schreien meiner Leute. "Terremoto!" Terremoto!" -- "Die Erde bebt! Die Erde bebt!" wiederholen sie immer wieder und raffen aufgeregt ihre Habseligkeiten zusammen. Rudi und ich haben in unseren Hängematten durch die dämpfende Wirkung der Seilverspannungen kaum einen Stoss verspürt im Gegensatz zu den Männern unter dem Zeltdach, die direkt auf dem blanken Boden lagen. Trotz aller Überredungskunst gelingt es weder unserem Capataz Arauko noch meinem Freund und mir, unsere Helfer an einer überstürzten Flucht zu hindern. Ohne Gruss und Dank ziehen sie -- wie von einer unheimlichen, dämonischen Macht getrieben -- von dannen. Neben dem Capataz waren wenigstens Durän und der kleine Primitivo geblieben, und so vereinbare ich mit Rudi, dass er mit ihnen die ersten Lasten nach Lager III bringen soll, während ich den Ausreissern nacheile, um sie vielleicht doch noch zurückzuholen, zumindest aber daran zu hindern, bei den Frauen im Basislager, mit denen wir ja keine Funkverbindung mehr hatten, Panikmeldungen zu verbreiten. Aber so sehr ich mich beeile, die Stunde Vorsprung, welche die Brüder haben, ist nicht einzuholen, und beim Flussübergang haben sie dämlicherweise den Sitz unseres Lifts am jenseitigen Ufer festgebunden, so dass ich ihn nicht benützen kann. Ich habe nur die Wahl, entweder durch den reissenden Fluss zu schwimmen, oder -- amTragseil pendelnd -- Hand über Hand 40 Meter hinüberzuhangeln. Ich entscheide mich für letzteres -- lasse aber vorsichtshalber meinen Karabiner mit der Selbstsicherung einschnappen. Wenn man die lange Wegstrecke vom Lager II zurück zum Rio Chinijo -- noch dazu in der Rekordzeit von viereinhalb Stunden -- in den müden Knochen hat, dann fällt einem der Aufstieg mit 600 m Höhenunterschied bis zum Basislager unendlich schwer. Aber nach eineinhalb Stunden liegt auch dieser Steig hinter mir, und ziemlich abgekämpft und hungrig falle ich in Incapampa ein. Man hat dort keine Ahnung von den Vorkommnissen im Lager II, denn die Ausreisser waren unterhalb des Basislagers durchgeschlichen, ohne sich zu melden. Als ich später unsere drei getreuen Helfer fragte, warum sie nicht auch so wie die anderen getürmt seien, und ob sie denn keine Angst hätten, mit uns weiterzuarbeiten, erklärten sie mir, sie seien keine Hochlandindianer, sondern kämen aus dem Tiefland von den Stämmen der Chamas und Sirionos, und für sie seien die InkaGötter nicht zuständig. Diese Worte, die sie so gelassen aussprachen, waren für uns ein Fingerzeig, später nur noch Leute aus den tiefer gelegenen Urwaldregionen zu verpflichten -- Männer also, die nicht so sehr von Aberglauben und Götterrache angekränkelt waren. Auch im Basislager war in den letzten Tagen und vor allem in der vorhergehenden Nacht nicht alles wunschgemäss verlaufen -- und unsere weiblichen Expeditionsmitglieder mussten eine Feuer und Wassertaufe über sich ergehen lassen, wie sie nicht alle Jahre vorkommt. In weiser Voraussicht hatten sie beim Herannahen des Gewittersturms noch rechtzeitig den Antennenmast umgelegt, daher die Unterbrechung der Funksprechverbindung. Keine 50 Meter von den Zelten entfernt hatte der Hurrican zwei riesige Bäume entwurzelt, und zu allem Überfluss hatte auch noch ein Blitz dicht neben dem Lager eingeschlagen und dabei einen AluminiumHäring zum Schmelzen gebracht, der die Verspannung eines kleinen Sonnendaches hielt, unter dem wir vor einigen Tagen noch unseren Betriebsstoff für den Flammenwerfer und die Alkoholrationen für die Macheteros deponiert hatten. Nicht auszudenken, wenn der immerhin beinahe 100 Liter umfassende Spritvorrat explodiert wäre. Auch in Huaricunca -- dem nächsten Dorf auf dem Weg nach Mapiri --hatte der Sturm verheerend gehaust und zwei Hütten zerstört, wie wir aus der Meldung einer Frau erfuhren, die ihren bei der Expedition verpflichteten Mann zurückforderte. Eine Beurlaubung desselben war jedoch nicht mehr nötig, da er zu der Gruppe von Deserteuren gehörte, die am Morgen das Weite gesucht. Hatte er vielleicht eine Vorahnung gehabt von dem Unheil, das seine Heimstätte getroffen -- und waren bei den anderen vielleicht ähn liche Motive die Triebfeder ihres Handelns? Bei unverbildeten Naturmenschen kann man oft die rätselhaftesten Dinge erleben, und telepathisches Sehvermögen ist in dieser Gegend -- ähnlich wie in Tibet -- nicht selten. Hervorragend bewährt haben sich bei diesem Unwetter, von dem wir in der schützenden Schlucht des Lagers II überhaupt nichts merkten, unsere gut verankerten und windschlüpfigen KlepperZelte. Wenn ich jedoch unserer drei weiblichen Expeditonskameraden gedenke, die in ihnen jene Sturmnacht unter Blitz und Donner verbrachten, ohne dabei etwas Besonderes zu finden, so kann ich ihnen meine Anerkennung nicht versagen -- selbst wenn mir meine Tochter Heidi später berichtete, dass sie sich beim ersten Blitz und Donnerschlag einfach den Schlafsack über den Kopf zog, um ihn erst wieder zurückzuschlagen, als das letzte Rollen in der Ferne verklungen war. Sitzt man erst einmal im Basislager als "Hahn im Korbe", betreut und bekocht von drei weiblichen Wesen, so fällt es einem schwer, sich wieder loszureissen und erneut in die Wildnis zu ziehen. Aber drüben in dem grossen Urwaldkessel wartet eine Aufgabe -- und diese lockt, trotz der "Sirenenklänge" hier, mächtiger denn je. HOLZARBEIT TROTZ REGENZEIT Glücklicherweise hatte ich vier Ersatzleute verpflichten können, mit denen ich nach zweitägigem Aufenthalt losziehe. Frau Moeller und meine Tochter Monika geben mir das Geleit bis zum Lager I am Rio Chinijo, denn dort war ja ihr Hauptbetätigungsfeld für die Schmetterlingsjagd; ausserdem waren sie froh, für ein paar Stunden dem Basislager mit seiner MarihuisPlage entfliehen zu können. Diese Marihuis sind winzig kleine Fliegen, die selbst durch die Maschen unserer Gesichtsschleier kriechen und nach dem Stich heftig juckende Wunden mit Blutbläschen hinterlassen, welche leicht zu Eiterungen führen können. In der kühlen Schlucht des Rio Chinijo blieben wir eigenartigerweise -- wenigstens um diese Jahreszeit -- von solchen Stechfliegen verschont. Bei unserem Sessellift angelangt, musste ich alle Überredungskunst aufbieten, weil zwei der neu angeworbenen Träger der Sache nicht recht trauten. Erst als Frau Burgl und meine Tochter Monika zur Aufmunterung in den Seilen ans jenseitige Ufer und wieder zurück fuhren, wollten sich die Männer von unseren behosten Damen nicht beschämen lassen und folgten ihrem Beispiel. Sicherheitshalber aber schnürten wir jeden der beiden Helden für die Fahrt hinüber noch extra in den Sitz. Ein schallender Abschiedsjodler hinunter in die Schlucht, ein freundliches Winken mit den Schmetterlingsnetzen von drüben -- dann bin ich wieder allein für viele Stunden. Meine vier Träger können mit ihren schweren Lasten nur langsam vorwärts kommen, während ich nur mein Gewehr -- und im Rucksack das Allernotwendigste -- mitführe. Am Ende der ersten Spitzkehre oberhalb des Flusses springt aus der Felswand in hohem Bogen ein daumendicker Strahl frischen Wassers. Hier wird die leichte KunststoffFeldflasche gefüllt, denn bis die nächste Quelle erreicht ist, vergehen Stunden. Die vielen Windungen hinauf zum Höhenrücken und aus der Flussschlucht heraus sind schon ein richtiger Trampelpfad geworden -- und ich überlege mir, ob wir nicht eines Tages vielleicht kleine Mulas einsetzen könnten. Voraussetzung dafür wäre allerdings, sie über den Fluss zu bringen -- und dann müssten noch viele Bäume durchschlagen werden, die quer über dem Weg liegen. Wenn die Höhe einmal gewonnen ist, geht es auf dem Rücken fast eben dahin, so dass man eine schnellere Gangart einschalten könnte, wenn man nicht so verdammt aufpassen müsste. Fast mechanisch und im Zeitlupentempo schreite ich vorwärts; der Blick sucht gleichzeitig den Boden, das Buschwerk links und rechts -- und die tiefhängenden Äste und Bambusstauden in der Höhe abzutasten. Bevor ich durch die BambusTunnels schlüpfe oder über Baumstämme klettere, klopfe ich zuerst mit einem Stock die Hindernisse vor mir ab. So ein elastischer, starker Stock ist geradezu unentbehrlich beim Gang durch diese Wälder, und er bildet neben der Machete die beste Waffe gegen Schlangen. Zweimal an diesem Tag bin ich solchen begegnet; es waren eine Yararaca und eine Yoperohobobo, die sich auf Baumtrümmern gesonnt hatten. Bei meinem Näherkommen zogen sie es jedoch vor, ohne Eile zu verschwinden. Nach sechs Stunden erreiche ich Lager II, das heisst den Platz dieses Lagers, denn die Einrichtung desselben ist bereits nach vorne ins Lager III transportiert worden -- und ich sehe zu meiner Freude, dass Rudi in den zwei Tagen meiner Abwesenheit ganze Arbeit geleistet hat. Neben der alten Kochstelle liegt noch etwas trockenes Holz -- und bald kann ich an einem flackernden Feuerchen meine verschwitzten Kleider trocknen. Zu allem Überfluss finde ich auch noch eine dicke YuccaWurzel und zwei grüne Bananen, die -- in der Asche gebraten -- das ausgefallene Mittagessen ersetzen müssen. Obwohl ich über eine Stunde gerastet habe, kommen meine Träger nicht nach. Ich markiere ihnen noch den Weg über den Bach und ziehe dann weiter gegen Lager III, das ich zwei Stunden später erreiche. Der Platz ist kaum mehr wiederzuerkennen, nachdem mein Kamerad mit seinen Leuten eine ganz anständige Lichtung in diese Urwaldmauer geschlagen hat. >>Es war einfach nicht auszuhalten hier vor Hitze und vor Tabanos. Wir mussten etwas Luft hereinlassen auf unseren Lagerplatz", erklärt mir Rudi. Diese Tabanos -- Fliegen von der Grösse und dem Aussehen einer Hummel und mit einem Stechrüssel von über 1 cm -- sahen und spürten wir hier zum erstenmal, und selbst auf meinen früheren Expeditionen im Oriente Boliviano habe ich nur die gewöhnliche Tabano, eine unserer Rinderbremse ähnliche Stechfliege, kennengelernt. Wie Düsenjäger umschwirrten uns Dutzende von diesen Blutsaugern, so dass wir vorzeitig in unseren Hängemattenzelten verschwanden, um Ruhe vor ihnen zu haben. Aber auch hier versuchten sie noch, ihr Opfer zu erreichen, und es war geradezu komisch anzusehen, wenn sie den langen Rüsselstachel durchs Moskitonetz schoben, um nach einer unbedeckten Körperstelle zu angeln. Die beiden Stunden nach Sonnenaufgang und vor Sonnenuntergang hiessen bei uns "die Stunden der Tabanos" --und wer sich's leisten konnte, der blieb um diese Zeit geschützt hinter dem Moskitero und ergötzte sich damit, den blutgierigen Bestien mit den Fingernägeln die Rüsselstachel abzukneifen, die sie durchs Moskitonetz bohrten. Mit Einbruch der Nacht verschwand immer das laute und rohe Brummen der Tabanos -- und nur das feine Summen der Moskitos blieb. Die erste Nacht im Lager III habe ich kaum ein Auge zugetan. Ein Gewitter war losgebrochen; Regenschauer wurden vom Sturm über die Urwälder hinweggepeitscht -- und die Intervalle zwischen grellen Blitzen und nachtschwarzer Finsternis waren beinahe gleich lang. Obwohl sich in dieser Nacht unsere Hängemattenzelte tadellos bewährten, fror ich ganz empfindlich, da ich mich mit meinen durchgeschwitzten Kleidern hatte schlafen legen müssen. Nur drei von meinen vier Trägern hatten am Abend -- kurz vor Beginn des Gewitters -- noch das Lager erreicht, während der vierte, der ausgerechnet meine ReserveWäsche trug, angeblich im Lager II zurückgeblieben war, um dort unter dem kleinen Palmblattdach zu nächtigen, das die alte Feuerstelle vor Regen schützte. Am Morgen jedoch stellte sich heraus, dass er keine 200 m von unserem Lager III entfernt mitten im Urwald unter einer der rindenartigen, langen, zähen Hüllen geschlafen, die bei Sturm von den Blüten und Fruchtständen der Stelzenpalmen herabgerissen werden. Es giesst immer noch -- den ganzen Tag, die darauffolgende Nacht und auch noch den nächsten Tag -- mit nur kurzen Unterbrechungen. Die Regenzeit ist in vollem Gang -- und wir müssen dankbar sein für die kleinsten Aufhellungen und Pausen. Trotzdem geht die Arbeit weiter. Die Lagerschneise wird verlängert und erweitert -- und der ganze Tag ist erfüllt von dem dumpfen Schlag unserer einzigen Axt, dem hellen Klingen der Macheten und dem lauten Krachen stürzender UrwaldGiganten. Die Leute haben eine besondere Technik, um möglichst schnell freie Flächen zu schaffen, und kennen weder Säge noch Keil. Sie schlagen die kleineren Bäume in Fallrichtung eines Urwaldriesen mit den Buschmessern nur an; den Rest besorgt dann der mit der Axt geschlagene, stürzende grosse Bruder. Auf diese Weise machen sie auch ihre Chacos -- wie diese Urwaldlichtungen in ihren Heimatgegenden genannt werden -- auf denen sie dann Bananen, Yucca und Mais pflanzen. Bei aller Bewunderung für die Meisterschaft dieser Leute in ihrem zähen Kampf gegen den Urwald -- mir gab es immer einen Stich, wenn so ein MammutBaum, der jahrzehntelang auf seinem Platz gewachsen, zu Boden musste; wenn die Axt an seinem Sockel immer tiefer eindrang und ein Zittern den Stamm durchlief bis hinauf in die letzten, feinen Blattrispen; wenn er wie ein lebendes Wesen versuchte, sich an kleineren Nachbarbäumen und armdicken LianenVerankerungen festzuklammern, von denen eine nach der anderen nachgab und riss; wenn er anfing, zu wanken und zu schwanken; wenn er sich ächzend zur Seite neigte, bis der Sturz unabänderlich und nicht mehr aufzuhalten war, und er -- ein gefällter Riese -- einem Urwelteinbruch gleich, hineinschlug in die grüne Unendlichkeit. Weitere Entdeckungen In zwei Tagen haben wir trotz Regen auf dem flachen Rücken, der sich wie eine Zunge ins Tal hineinschiebt, auf ungefähr 250 m Länge und 50 m Breite ausgeholzt -- bis auf ein paar schlanke Stelzenpalmen und eine mächtige Würgerfeige, die wir als Schattenspender und des Landschaftsbildes wegen stehen liessen. Dabei wurde die vor Tagen gefundene Grundmauer eines alten Bauwerks ebenfalls freigelegt und -- soweit es möglich war --auch der Boden innerhalb des Gevierts und aussen herum untersucht. Da uns jedoch alle Grabwerkzeuge fehlten, mussten wir uns auf wenige handtiefe Stichproben beschränken, die nur etwas Holzkohle zutage förderten, die ebensogut von Bäumen herrühren konnte, die von einem Blitzstrahl gefällt und verbrannt worden sind. Links und rechts des Lomos -- wie die Eingeborenen diesen Höhenrücken nannten -- entdeckten wir weitere Mauerwerke, die sich wie DammschutzBauten in den Hängen zu beiden Seiten verloren. Tropfnass suchten wir immer wieder unsere ZeltplanenDächer auf, um von Zeit zu Zeit die Kleider am Feuer zu trocknen -- und es wird mir wohl immer ein Rätsel bleiben, wie unsere Macheteros es fertig brachten, aus diesen regentriefenden Wäldern brennbares Feuerholz herbeizuzaubern. Wir hatten schon Schwierigkeiten, bei dieser Luftfeuchtigkeit von 9095°/o unseren EsbitHartspiritus gebrauchsfähig zu erhalten. Langsam kroch die Nässe überall hinein, und wenn wir nicht im Besitz absolut wasserdichter KunststoffBeutel und hermetisch verschliessbarer AluminiumBehälter gewesen wären, so hätten Armeen von Schimmelpilzen in unseren Kleidern, im Proviant und auf unserem empfindlichen FarbfilmMaterial Orgien feiern können. Trotz allem bangte ich um meine wertvollen Streifen, deren Emulsionen bei dieser feuchten Wärme den idealen Nährboden für BakterienKulturen abgaben. Wenn man nicht jeden Abend die exponierten Filme aus Kamera und Kassette nahm, so waren sie bereits am nächsten Morgen verklebt und damit vernichtet. KieselgelSäckchen oder kleine Beutel mit trockenem Reis -- beide haben die Eigenschaft, der mit ihnen zusammengepackten Filmrolle die Feuchtigkeit zu entziehen -- waren die einzige Möglichkeit, meine wertvollen Farbfilmaufnahmen vor dem Verderben zu bewahren. Auch in der dritten Nacht hielt der sintflutartige Regen noch an -- und ich hatte bereits die Hoffnung aufgegeben, von unserem Lager III aus in der alten Marschrichtung zum "DreiPalmenPlatz" vorzustossen. Da lösten sich die Nebel am nächsten Morgen auf -- und prachtvoll, einer Erlösung gleich, stieg die Sonne über dem Tal und der von uns geschlagenen Schneise herauf. Um die durch die Regentage verlorene Zeit einigermassen einzuholen, teile ich meine "Streitmacht" in drei Gruppen ein. Rudi zieht mit Durän und Primitivo los, um den vor Tagen begonnenen Sendero endgültig bis zu den drei Palmen vorzutreiben. Arauko erhält den Auftrag, die Umgebung des Lagers, das heisst den etwa 800 m breiten und 2 Kilometer langen Talkessel, mit einem Netz von MachetenPfaden zu durchziehen, während ich mit den letzten drei Leuten talabwärts pilgere, um einen InkaSteig zu verfolgen, der sich in dieser Richtung verliert. Lager II mit den Hängemattenzelten als Schutz vor Bodenungeziefer Wir passieren -- immer dem Bachbett entlang -- den festungsartigen Hügel inmitten des Tals und stossen nach etwa 300 m auf einen zweiten, etwas kleineren "BurgBerg". In der engen Schlucht an seiner Basis erkennen wir wieder deutlich ausgeprägte Treppen, und dicht daneben finden wir eine Brücke, mit Platten gebaut, von der jedoch ein Teil in den Bach hinabgestürzt ist. Beim Queren unter einer Felswand durch hat einer meiner Macheteros ein kleines Bäumchen gekappt, das die letzte Stütze bildete für einen abgestorbenen, morschen Baum. Krachend schmettert das vermoderte Ungetüm zu Boden, reisst im Stürzen einen Machetero mit -- ein Aufschrei, und Mann und Stamm rollen, sich mehrmals überschlagend, hinunter in die Schlucht. Das Ganze war nur ein Werk von wenigen Sekunden -- und ich habe keine Hoffnung, den Machetero noch lebend vorzufinden. Derjenige, der das Unheil verursacht, ohne die Folgen zu ahnen, rennt -- laut klagend -- hinterher, denn der Verunglückte war sein eigener Vater. Fast drei Wochen schon waren wir in den Wäldern unterwegs gewesen, da stiessen wir im hintersten Winkel des Tales von Paititi auf die ersten Ruinen -- völlig vom Urwald überwuchert, trotzdem tadellos zu erkennen -- Stein auf Stein, einst von Menschenhand erbaut. Paititi Hauptstadt der Inka von Selzer-McKenzie SelMcKenzie Video: http://youtu.be/7EALsBMxZ-o Die Legende sagt, dass die Inka auf ihrer Flucht vor den Spaniern eine neue Hauptstadt gegründet haben sollen, die den Namen Paititi getragen hat. Auch hierher in die neue Hauptstadt sollen die Inka ihr gesamtes noch gerettetes Gold verbracht haben. Diese neue InkaHauptstadt Paititi gilt als versunkene Stadt und ist bisher auch nicht wieder aufgefunden worden. Ich, der Author D.SelzerNcKenzie war mehrfach in Südamerika im Gebiet und habe auch versucht, letztmalig im Jahre 2013, versucht, diese versunkene sagenumwogene Stadt Paititi zu finden, leider ohne Erfolg. Deshalb plane ich in diesem Jahr, also im Jahre 2014, eine Expedition zusammenzustellen mit dem erneuten Versuch, die alte versunkene InkaHauptstadt Paititi samt ihren Goldbeständen (die wir bei erfolgreichem Fund natürlich nicht behalten dürften) zu finden. Bereits im Jahre 1954/1955 hat eine deutsche Expedition versucht, Paititi zu finden, leider ohne Erfolg. Hier der Expeditionsbericht aus dem Jahre 1954/1955: Unsere Welt steckt trotz allen Fortschritts immer noch voller Rätsel. Grosse Fragezeichen auf archäologischem Gebiet liegen über den AndenKulturen Südamerikas, den von Urwäldern verschlungenen Bauten Amazoniens und dem Schicksal der letzten Inkas. Seit den kühnen Eroberungszügen eines Pizarro, den Entdekkungen eines Bingham in Macchupichu, eines Bennett in Tiahuanacu und dem tragischen Schicksal eines H.P.Fawcett sind viele Expeditionen ausgezogen, um die sagenhaften Stätten untergegangener Völker zu suchen und verborgene Schätze zu heben. Ungezählte Menschen -- ernsthafte Forscher und Abenteurer aller Nationen -- liessen dabei ihr Leben. Unsere "AndenAmazonasExpedition 1954/55" hatte PAITITI zum Ziel, die mysteriöse, verschollene Inkastadt -- irgendwo ostwärts der Anden. Wir haben am Fusse des Cerro Paititi im dichtesten Urwald -- Ruinen entdeckt. Sind wir damit einem der grossen Rätsel näher gekommen? Dies Buch und mein Film versuchen eine Antwort zu geben. Der Wächter im Tal von Paititi: Diesen steinernen Götzenkopf, der wahrscheinlich einer der ältesten Kulturperioden Südamerikas angehört, entdeckten wir unter einer Felsgalerie im Talgrund am Südost fluss des Cerro Paititi. Blick vom Lager V in 2450 Meter Höhe auf das Arbeitsgebiet der Expedition. Bezeichnungen: BL = Basislager Incapampa (1350 m), T = Gräberterrassen, L I = Lager I am Chinijo (800 m) mit Seilbrückenübergang, R = Ruinenmauern bei Km 2,3 und 2,5, L II = Lager II (1350 m), L III = Lager III (1320 m) -- im Kreis gut sichtbar der helle Fleck der Zelte, 1 und 2 bei L III = die beiden Hügel im Tal von Paititi, genau nach Sonnenaufgang orientiert. Blick vom MapiriWeg gegenCerroPaititi und dasOperationsgebiet der Expedition. Bezeichnungen: BL = Basislager, TT = Gräberterrassen, SB = Seilbrücke über den Rio Chinijo, L 1 = Lager I, R 1 und R 2 = Ruinenmauern bei Km 2,3 und 2,5, L 2 = Lager 2, L 3 = Lager 3 (Hauptlager Tulan), L 4 = Lager 4, dazwischen die Abzweigung zu P 305 -- dem angepeilten Ort, an dem zuerst Ruinen vermutet wurden, L 5 = Lager 5, + = Gipfel des Cerro Paititi (3150 m). Das Wort "Paititi" bedeutet in der Sprache der Hochlandindianer Boliviens und Perus "ZweiHügel" und ist im übrigen die Bezeichnung für eine seit der Unterwerfung Südamerikas durch die spanischen Conquistadoren lang gesuchte, sagenhafte Inkastadt, irgendwo in den Ostausläufern der AndenBerge gelegen. Nach anderen Versionen wird "Paititi" auch mit "ZweiPumas", "Zwei Metalle", oder gar mit "ZweitesReich" übersetzt, und diese vierte Bezeichnung würde den Vermutungen derjenigen recht geben, die damit den letzten indianischen Aufstand 17801781 unter Tupac Amaru -- einem angeblichen Inkaprinzen -- in Verbindung bringen. Recht interessant sind die Überlieferungen der Hochlandindianer Boliviens, die von den "Musus" berichten (womit in Mittelamerika die Olmeken und ihre typische Tieflandkultur in Verbindung gebracht werden -- im Gegensatz zu den Tolteken als den Vertretern einer ausgesprochenen Hochlandkultur), sowie die Aufzeichnungen von Franziskanermissionaren, die sogar von alljährlichen Pilgerzügen in ein völlig weltabgeschiedenes Gebiet erzählen, um "dem grossen Paititi" -- dem >>Kaiser der Musus" --, ihre Referenz zu erweisen. Diese PaititiPilger brachten von solchen Reisen, wie es in den alten Quellen heisst, oft wundervolle Schmuckgegenstände mit und erregten so die Goldgier der Conquistadoren stets aufs neue. Archäologische Forschungen haben ergeben, dass die Inkas bereits Festungsbauten sowie Städtegründungen früherer Rassen und Völker übernahmen und neben oder auf ihnen -- grösstenteils aus dem vorgefundenen Material -- Tempel und Symbole ihres eigenen Sonnenkultes errichteten. Zweifellos haben weltweite Katastrophen kosmischen Ursprungs auch in Südamerika und vornehmlich im AndenHochland gewaltige Umwälzungen herbeigeführt und uralte Kulturen erschüttert oder ganz ausgelöscht, denn dort wie überall in der Welt klingen immer wieder die alten Sagen und biblischen Geschichten von einer Sintflut auf. Tiahuanacu, das spätere Zentrum des inkaischen Sonnenkults, ist nach Ansicht von Fachleuten ursprünglich eine toltekische Gründung gewesen, die durch eine Erdkatastrophe zerstört wurde. Man schreibt die Erbauung des UrTiahuanacus übergrossen, hell häutigen und bärtigen Männern zu, die lange vor den ersten Inkas gelebt haben sollen, und die uns dort heute noch -- in Stein gehauen -- als Mono lithen begegnen, wobei die Figur des sogenannten KonTiki -- wieder berühmt geworden als Wappensymbol der abenteuerlichen Flossfahrt des norwegischen Forschers Thor Heyerdahl -- besonders bemerkenswert erscheint. Wenn man den alten Indianergeschichten Glauben schenken darf, so war es der Inka Yopanqui, der lange vor Pizarro den ersten Vorstoss nach Paititi unternommen hat, um eine verschollene Stadt zu suchen. Der Leiter dieses expeditionsähnlichen, kriegerischen Feldzuges führte seine Scharen den Rio Madre de Dios entlang, um später -- ohne das Ziel erreicht zu haben, nach empfindlichen Verlusten durch Tropenkrankheiten -- den Rückmarsch über die InkaFestung Samaipata anzutreten, die zwischen den heutigen bolivianischen Städten Santa Cruz und Cochabamba liegt. Es ist weiterhin eine bekannte Tatsache, dass man in fast ganz Südamerika von "El Gran Paititi", dem "grossen Paititi" spricht, das in einem weltabgeschiedenen Tal der Cordillere liegen soll, verborgen unter einem Gespinst von Nebel und Wolkenschleiern, die wie eine Tarnkappe wirken und den Ort der Sehnsüchte aller Abenteurer unsichtbar machen. Wie die verschiedenen Versionen auch lauten mögen -- der Überlieferung nach verbreitet und immer wieder erhärtet durch die Erzählungen der alteingesessenen Indianer an den abendlichen Lagerfeuern -- sollen in Paititi unwahrscheinliche Schätze vor der Habgier der spanischen Eroberer in Sicherheit gebracht worden sein, unauffindbar bis zum heutigen Tag. Fest steht, dass die Inkas, deren Kernreich sich einst über den ganzen Altiplano -- also über weite Teile der heutigen Länder Bolivien und Peru --erstreckte, in die Ostausgangstäler der AndenKette an strategisch wichtigen Punkten Befestigungsanlagen bauten, um ihre hervorragend kultivierten und dicht besiedelten Hochlandgebiete gegen das Vordringen kriegerischer Tieflandvölker aus den Niederungen des AmazonasBeckens zu schützen. Später dienten diese Festungen vielfach als letzte Zufluchtsstätten der InkaAristokratie, bis mit dem Untergang ihres Reiches und mit ihrem Aussterben teils auch diese Anlagen zerfielen und die Urkraft des Dschungels in ewigem Werden und Vergehen endgültig über ihnen zusammenschlug. Nach P. H. Fawcett, dem berühmten englischen Forscher, der vor mehr als 30 Jahren mit seinem Sohn auf der Suche nach einer sagenhaften Ruinenstadt in den Urwäldern Brasiliens zwischen Rio Xingu und Rio Paraguassu verschollen ist, soll es nicht weniger als ein halbes Dutzend solcher Plätze geben, die mit dem Namen PAITITI belegt werden. Dass es sich dabei um eine "InkaStadt" handelt -- ausgerechnet in Brasilien und beinahe in AtlantikNähe --, ist unwahrscheinlich, denn so weit reichte der Arm der letzten InkaHerrscher gar nicht, und es ist vielmehr anzunehmen, dass das PAITITI Fawcetts eine vorinkaische -- vielleicht olmekische -- Gründung war und schon für die alten Inkas sagenhaft. Die Vermutungen Fawcetts und damit seine letzte Expedition basierten hauptsächlich auf einem alten -- in Rio de Janeiro aufbewahrten -- Dokument aus dem Jahre 1743 und auf Erzählungen von Abenteurern. Ob dieser englische Oberst, der für Bolivien und Brasilien sowie für Peru hervorragende Forschungs und Grenzvermessungsaufgaben durchführte, je das Ziel seiner Sehnsucht erreichte? Wir wissen es nicht. Seine letzte Nachricht stammt vom 29. Mai 1925. Der Rest ist Schweigen. Forscherschicksal! Warum Fawcett nicht in den Ostausgangstälern der Cordillere, sondern so weit entfernt in Brasilien sein Dorado vermutete, obwohl er im Verlauf seiner ersten BolivienExpedition im Jahre1906 zwischen Sorata und Mapiri dieselben InkaSteige herunterkam, die ich fast 50 Jahre später mit meiner Expedition passierte, und wieso ihm nicht auffiel, dass ein gern benützter Rastplatz Incapampa hiess und der Berg direkt gegenüber Cerro Paititi, ist nicht zu ergründen. Von den im Verlauf dieses Jahrhunderts aufgefundenen Befestigungsanlagen, die zum Teil bereits präinkaischen Ursprungs sind, kennen wir vor allem Macchupichu im peruanischen UrubambaTal -- auf Grund der Entdeckung durch Hiram Bingham im Jahre 1911 -- und eine weitere in Südperu im Jahre 1954 in der Nähe der NegantoniWasserfälle aufgefundene Ruinenstadt, die ihre Entdecker -- eine englische Expedition unter Leitung von F. Tennant -- allerdings nur unter Vorbehalt mit PAITITI in Verbindung bringen. Auf bolivianischer Seite bestehen an solchen Baulichkeiten Samaipata am Ostausgang der Königscordillere zwischen Cochabamba und Santa Cruz sowie die Festungsreste von Condorhuasi, Incahuasi, Incallacta und Cuticutuni, wenn man von den im Gang befindlichen Ausgrabungen bei Chulumani, die ebenfalls präinkaischen Ursprungs sein sollen, vorläufig noch absieht. Zur Conquistadorenzeit und im Anschluss daran gingen von den beiden Ländern Spanien und Portugal zahllose offizielle und private Expeditionen aus, um dem Geheimnis von Paititi auf die Spur zu kommen, und es ist in dem Zusammenhang vielleicht nicht ganz uninteressant, dass sich die spanische Regierung im Jahre 1679 bereits ganz offen "gegen die Verausgabung von so viel Geld" für ein Ziel wandte, das seit dem Tode Pizarros von nicht weniger als siebzehn Expeditionen vergeblich gesucht wurde. Nach den Aufzeichnungen, die damals in einer in der Staatsbibliothek von La Paz aufbewahrten Chronik gemacht wurden, verdichteten sich zuletzt die Vermutungen, dass diese "verlorene Stadt" an den hügeligen Urwaldgebieten liegen müsse, die gegen den Rio Mapiri hinunterstreichen, und deren höchste Erhebung ein mit 3150 m Höhe vermessener AndenVorberg bis auf den heutigen Tag "CERRO PAITITI" heisst. Auch im Volksmund werden die ganzen grossen, von Urwaldflüssen durchzogenen Talkessel an den Abhängen dieses Gebirgsstockes "LOS VALLES DE PAITITI" -- "die Täler von Paititi" -- genannt. Man muss in diesem Zusammenhang Fawcett recht geben, wenn er sagt: "Mag noch so viel Romantik alle möglichen Sagen ausgeschmückt haben, so bleibt dennoch die Tatsache einer legendären Existenz von einem hoch zivilisierten Restbestand eines antiken Volkes unter den Einheimischen weiter bestehen." Ein Glückssucher namens Berg, der vor 40 Jahren glaubte, das Geheimnis lüften zu können, das über den Tälern des Cerro Paititi lag, soll nach mehreren Explorationen, die er von San Carlos sowohl als auch von Santa Rosa aus in die Täler des Rio Tarrappo und des Rio Bagante unternommen hatte, einige Zeit danach erschossen jenseits der peruanischen Grenze aufgefunden worden sein. Ob Berg den sagenhaften Goldschatz erbeutet -- und verfolgt von anderen Abenteurern über die Grenze flüchten musste, um letzten Endes doch noch ermordet und ausgeraubt zu werden, wer kann das wissen?! Von dem Österreicher Gerstorff, der ebenfalls kurz nach dem ersten Welt krieg einen Versuch unternommen hatte, durch das BaganteTal gegen den Cerro Paititi vorzustossen, hat man ebenfalls nie mehr etwas gehört. Es liegt zweifellos ein tiefes Geheimnis über diesen Bergwäldern und Schluchten, und die Eingeborenen in den weit verstreuten kleinen Siedlungen der fernen Randgebiete sprechen nur mit Scheu und einer gewissen Ehrfurcht von PAITITI. Während des letzten Weltkrieges, als man für ChinaRinde hohe Preise zahlte, haben es einige beherzte Männer gewagt, den Rio Chinijo in der Trockenzeit zu durchschwimmen, um ein Stück gegen den Rio Santa Ana hin in diese unheimlichen Urwälder einzudringen. Wer -- so wie ich -- zu Beginn der Regenzeit von einem der Höhenrücken des alten Saumweges zwischen Pararani und Mapiri dieses Gebiet zum ersten Mal geschaut und den Tanz der Nebel und Regenschleier bewunderte, die geradezu gespenstisch über die dicht bewaldeten Berge hinweg geistern, der kann absolut verstehen, dass die dort in der Nähe wohnenden Menschen ganz im Banne dieser gewaltigen "Paititi"Mystik leben. Als ich im Jahre 1950 als Leiter der Deutschen AndenKundfahrt von Sorata aus am Oberlauf des Rio San Christobal eine Höhle untersuchte, hörte ich zum erstenmal in meinem Leben von Paititi, und zwar auf recht eigenartige Weise. Wir brauchten damals zum weiteren Vordringen in einem Einsturzschacht aus Sicherheitsgründen ein Sauerstoffgerät. Das aber lag in unserem Expeditionsquartier in Sorata und musste in einem Gewaltritt so schnell wie möglich herbeigeschafft werden. Bei meinem Eintreffen in diesem idyllisch am Fuss des Illampu gelegenen Städtchen flüsterte mir unser Gastgeber ganz geheimnisvoll zu, dass gerade heute morgen eine Expedition durchgezogen sei, "die uns in PAITITI zuvorkommen wolle!" Ich nahm diese Nachricht gelassen hin, denn ich wusste, -- ehrlich gesagt -- überhaupt nicht, was ich mit dieser Meldung anfangen sollte. Erst, als mich mein Gegenüber drängte, die Arbeiten in der Höhle von San Pedro aufzugeben, um ebenfalls Paititi anzugehen, musste ich Farbe bekennen und beichten, dass ich von diesem geheimnisvollen Platz soeben zum erstenmal in meinem Leben gehört hätte. Ich weiss heute nicht mehr, schüttelte man über mich den Kopf, weil ich so ungebildet war oder weil man mir nicht glauben wollte? Einige Zeit später kam Manuel Posnansky -- der Leiter dieser Expedition und Sohn des berühmten Archäologen gleichen Namens -- mit seinen Begleitern von diesem Unternehmen zurück. Die Strapazen der vergangenen Wochen schienen noch in ihre Gesichter eingegraben zu sein. Sie erzählten von Feuerameisen und Moskitos, sowie von furchtbaren Gewittern und vor allem von Schlangen, die ihnen das Leben zur Hölle gemacht. Bis auf wenige Kilometer glaubten sie sich durch den Urwald an die Ruinen herangearbeitet zu haben, da erstand ihnen durch einen Gürtel von Palo SantoBäumen ein weiteres unüberwindliches Hindernis. Die Hohlräume dieser ehemals so berüchtigten Folterund Todesbäume der AmazonasIndianer bieten ideale Wohnstätten für Millionen von Feuerameisen, die sich auf jedes lebende Wesen herabregnen lassen. Solchen aussergewöhnlichen Belastungsproben war die Expedition sowohl ausrüstungsmässig als auch seelisch nicht mehr gewachsen. Es hatte beinahe den Anschein, als hätten die letzten Inkas auf den ehemaligen Ackerbauterrassen rund um ihre wenigen Zufluchtsstätten den Palo SantoBaum extra gepflanzt, um mit Hilfe eines MilliardenHeeres von Feuerameisen auch noch nach dem Untergang des inkaischen Imperiums die sorgsam gehüteten Heiligtümer und Schätze vor dem Zugriff Unbefugter zu bewahren. Seit dem Zusammentreffen mit Posnansky hat mich das Zauberwort " P A I TITI" nicht mehr losgelassen -- nicht etwa, weil ich mich -- wie so viele andere -- als Schatzgräber betätigen wollte, das lag mir völlig fern. Was mich reizte, war die Aufgabe als solche, Gefahren und Hindernisse zu überwinden, an denen meine Vorgänger bislang scheiterten -- und ein Ziel zu erreichen, das allen anderen bis jetzt versagt geblieben war. Ich sah mich im Geiste bereits in die tiefen Urwaldschluchten hinabstossen, um den Kampf zu bestehen gegen diese ganze feindlich gesinnte Urwelt. Mit Hilfe von Flammenwerfern und GiftnebelSprühgeräten wollte ich den PaloSantoGürtel durchbrechen. Ameisen und schlangensichere Kleidung, AluminiumSturmleitern, Wurfanker -- von Harpunen geschleudert -- Hängemattenzelte sowie Funksprechgeräte sollten die Ausrüstung ergänzen und mir als Requisiten dienen für filmisch unerhört eindrucksvolle Szenen. Das "forschende Abenteuer" als solches und die kämpferischen und sportlichen Erfordernisse waren es, die mich in erster Linie begeisterten. Der Schatz aber, den ich suchen und mit nach Hause bringen wollte, lag auf einem ganz anderen Gebiet. Die zukünftige Farbfilmausbeute von diesem einmaligen Unternehmen sollte der Reichtum sein, den ich bergen wollte. Auf diese Weise wird auch der breiten Masse der an solchen Expeditionen Interessierten die Möglichkeit gegeben, indirekt daran teilzunehmen, auf dass in ihren grauen Alltag wenigstens ein kleiner Schimmer dieser zauberhaften, fremden Welt des Abenteuers und einer verloren gehenden Romantik gleiten möge. Das Geschehen während eines solchen Unternehmens ist hart, spannend und aufwühlend. Für derartige Themen brauchen Sensationen nicht künstlich am Schreibtisch von konzessionierten Filmdramaturgen konstruiert zu werden -- eine erbarmungslose Natur diktiert das Drehbuch von selbst -- Tag und Nacht. Bis zur Realisierung meiner PaititiIdee als Expedition und als Filmstoff aber war noch ein langer, dornenvoller Pfad zurückzulegen. Mit Ausgang des Jahres 1952 erst ging meine AndenKundfahrt zu Ende, und das Jahr 1953 sah mich bereits wieder als Bergsteiger und Filmmann am Nanga Parbat, beteiligt am Kampf um einen der markantesten AchttausenderRiesen unserer Erde. Betrogen um die Früchte meiner dreijährigen Arbeit in Südamerika und am Nanga Parbat -- ja, darüber hinaus sogar noch mit Verleumdungen besudelt und mit grenzenlosem Undank belohnt, stand ich zu Beginn des Jahres 1954 vor einem Nichts. Ich, der die Jahre zuvor in den Urwäldern des Oriente Boliviano fast spielend alle Schwierigkeiten überwunden und in den Monsunstürmen am Nanga Parbat meinen Mann gestanden, drohte -- nach Deutschland zurückgekehrt -- mit einem Male im Dschungel der Niedertracht zu ersticken. Erst durch die grosszügige Unterstützung namhafter deutscher Ausrüsterfirmen im Verein mit der finanziellen Basis eines FilmVerleihs und nicht zuletzt auf Grund der Hilfe meiner deutschbolivianischen Freunde gelang es mir, in achtmonatiger zäher Arbeit ein neues und diesmal eigenes Expeditionsunternehmen aufzubauen. Auftakt mit Hindernissen Beinahe 4 Tonnen Expeditionsgut, berechnet für eine Teilnehmerzahl von 810 Personen -- darunter Namen von hervorragendem Klang -- verliessen Anfang September des Jahres 1954 Deutschland mit einem Frachter in Richtung Westküste Südamerika, um von dort aus per Bahn in das Hochland Boliviens befördert zu werden. Die Mannschaft selbst sollte drei Wochen später nachfliegen. Wegen plötzlich auftauchender beruflicher Gründe und privater Wünsche meiner Teilnehmer wurde leider nichts aus einer gemeinsamen Abreise -- und so startete ich am 23.September 1954 allein zu meinem TransatlantikFlug von München aus nach Südamerika. In Frankfurt stieg Frau Burgl Moeller zu, welche als Sekretärin das Unternehmen mit aufbauen half, gleichzeitig als Entomologin für den Film vorgesehen war und darüber hinaus als Assistentin unseres Expeditionsarztes tätig sein sollte. Nach einem grossartigen Flug über Länder und Meere hinweg landeten wir am 26. September 1954 in der höchsten Regierungshauptstadt der Welt -- La Paz/Bolivien -- stürmisch begrüsst von meiner Frau und meinen drei Töchtern, die ich vor eineinhalb Jahren dort in der Obhut von guten Freunden zurückgelassen hatte, als ich zum Nanga Parbat flog. Der erste Dämpfer, den ich bald nach der Ankunft erhielt, war die Nachricht, dass meine in der Heimat gebliebenen "Teilnehmer" der bekannten Gründe wegen nun mit einem Male alle erst Anfang des Jahres 1955 nachkommen wollten. Da meine deutschbolivianischen Begleiter in La Paz ihre Mitwirkung aus ähnlichen Motiven ebenfalls "für später" in Aussicht stellten, war ich plötzlich in eine Situation geraten, die ich nach den beispiellosen Schwierigkeiten, wie sie gerade der Aufbau dieser Expedition in Anbetracht der Beschaffung der Ausrüstung und vor allem der Durchführung der Finanzierung mit sich brachte, bestimmt nicht verdient hatte. Nun sass ich vor den Toren meines Traumlandes auf einem Stapel Gepäck, berechnet für ein zweijähriges Unternehmen, das den vielversprechenden Titel "AndenAmazonasExpedition 1954/55" führte, ohne einen einzigen männlichen Begleiter! Dabei war ich verpflichtet, einen grossen, abendfüllenden DokumentarFilm zu drehen, in dem die einzelnen Expeditionsteilnehmer -- ihren Fähigkeiten entsprechend -- mitzuwirken hatten. Zu allem Überfluss warteten auf mich jenseits der Cordillere bereits 20 Macheteros (Männer, die mit dem Buschmesser -- Machete genannt -- einen schmalen Pfad durch den Urwald schlagen) unter Führung ihres Capataz (Obmann), denen ich eine hohe Entschädigung hätte zahlen müssen, wenn ich nicht termingemäss am vereinbarten Platz eingetroffen wäre. Dazu kam, dass die Regenzeit jeden Tag hereinbrechen konnte mit all ihren Gefahren und Hindernissen. Eine Lage also, die bestimmt nicht beneidenswert zu nennen war nach all den Schwierigkeiten, die ich bereits gemeistert. Ich war schon fest entschlossen, auch allein loszuziehen, nur von meinen Eingeborenen begleitet, da stiess in letzter Minute doch noch der junge Deutsche Rudi Braun, ein urwaldgewohnter, tüchtiger Draufgänger, zu mir, den ich bereits anlässlich einer IllimaniBesteigung -- drei Jahre vorher -- als prächtigen und zuverlässigen Kameraden kennengelernt und der ursprünglich schon auf der Teilnehmerliste gestanden hatte. Aber auch diesem Lichtblick folgte ein neuer Schatten! Wenige Monate vor meiner Ankunft in Bolivien war angeblich von einer Transportmaschine aus im Tiefflug festgestellt worden, dass die vermeintlichen Ruinen auf dem Hochplateau der Cerrania von Paititi (das alte Ziel Posnanskys), zu denen ich vordringen wollte, lediglich Felsformationen waren und dass das gesuchte InkaHeiligtum weiterhin irgendwo verborgen in den dichten Urwäldern schlummern musste und weder durch Flugzeuge noch von umliegenden Höhen ausgemacht werden konnte. Man kann sich vorstellen, wie mich diese Hiobsbotschaft zu allem übrigen traf -- und dabei hatte ich mir so schön ausgedacht, dass ich vom Endpunkt der PosnanskyExpedition des Jahres 1950 aus nur noch meinen Flammenwerfer wie einen Schweissbrenner anzusetzen brauchte, um mich durch den Ameisengürtel der Palo SantoBäume bis zu den Pforten der lang gesuchten Ruinenstadt durchzuarbeiten. Wieder stand ich vor einer neuen Hürde, die irgendwie genommen werden musste, wollte ich nicht mein ganzes Vorhaben und damit mich selber aufgeben. Ich besuchte Posnansky, der gerade von einer Expedition aus dem Gebiet der MosetenezIndianer zurückgekommen war, um in La Paz seine Berichte über dieses Unternehmen auszuarbeiten. Leider hielt ihn diese Arbeit für Monate in Boliviens Hauptstadt fest, so dass der bekannte Forscher meiner Einladung zur Teilnahme an einer neuen PaititiExpedition nicht folgen konnte. Er gab mir jedoch viele wertvolle Anregungen, und vor allem schenkte er mir beim Abschied eine von ihm selbst gezeichnete Karte, in der die von seiner Expedition des Jahres 1950 begangenen Routen eingetragen waren. Mit Hilfe dieser Unterlage konnte ich meinen eigenen Plan ergänzen, der bereits die Wege und Urwaldpfade früherer Unternehmungen enthielt, und eine genaue Übersicht über diejenigen Gebiete bekommen, die bis dato noch unberührt waren. Da blieben von den etwa 1500 Quadratkilometern um den Cerro Paititi herum zwischen Rio San Christobal und Rio Chinijo -- einem Gebiet, das etwa dem zu einer Raute verschobenen Rechteck innerhalb der Begrenzungslinien München--Rosenheim--Kufstein--Bad Tölz--München entspricht -- nur noch zwei grosse, weisse Flecken übrig. Einer im Nordwesten am Rio Bagante und ein anderer im Südosten am Rio Chinijo. Ich entschloss mich für den letzteren, weil dort hinunter ein verhältnismässig gut erhaltener, zum Teil noch von den Inkas gebauter Gebirgspfad in Richtung Mapiri führte, der sich allerdings dann in den unermesslichen Urwäldern, die gegen die Cordillere hochziehen, verliert. Der Titicacasee auf fast 4.000 m Höhe Auf einem Umweg von La Paz nach Sorata, dem eigentlichen Ausgangspunkt unserer Expedition, passieren wir mit unserem Volkswagen die berühmte BalcaSchlucht. START IN BOLIVIENS HAUPTSTADT LA PAZ Nach einer Seereise von fast drei Monaten und dem üblichen Hafenaufenthalt in Arica war am 15.November 1954 endlich mein Expeditionsgepäck nach La Paz gekommen. Dieser Zeitverlust aber konnte schnell wieder wettgemacht werden. Durch die grossartige Vorarbeit der Deutschen Botschaft in La Paz -- vor allem in der Person des Kultur und Presseanaches Herrn Nagel -- und dank der Tatsache, dass ich durch meine früheren Unternehmungen bei der bolivianischen Regierung noch in bester Erinnerung stand, befürworteten das bolivianische Aussenministerium und damit alle übrigen massgebenden Regierungsstellen mein Vorhaben in grosszügigster Weise. Am 23. November 1954, zu einem Termin also, an dem die Regenzeit gerade ihre ersten Vorboten über die Königscordillere hinweg und über das bolivianische Hochland schickte, konnte ich endlich starten, begleitet von meinem Kameraden Rudi Braun, Frau Burgl Moeller und meinen beiden 16 und 17jährigen Töchtern Monika und Heidi, die nun -- nach Ausfall der vorgesehenen Kanonen -- die neue Expeditions"Mannschaft" bilden mussten. Meine Frau, Relly, war in La Paz zurückgeblieben, um den Nachschub von Material und die Nachrichtenübermittlung durchzuführen, während Frau Moeller und meine beiden Töchter neben der zoologischen Sammeltätigkeit das Basislager und die Bedienung der Funksprechgeräte übernehmen sollten. Hatte ich mir ein Jahr zuvor noch im Hinblick auf die schlechten Erfahrungen mit "holder Weiblichkeit" im Zusammenhang mit meiner AndenKundfahrt 1950/52 hoch und heilig geschworen, nie mehr eine Frau auf Expedition mitzunehmen, so waren diesmal direkt oder indirekt gleich vier daran beteiligt. Aber nach den letzten unerfreulichen Begebenheiten am Nanga Parbat und hinterher, wo bekanntlich nur Männer mitspielten, wagte ich einen neuen Versuch -- diesmal allerdings in familiärer Zusammensetzung und mit alten Freunden, und ich kann nur sagen, dass ich mit dieser Kombination ausgezeichnet gefahren bin. Auf einem altersschwachen und längst museumsreifen DodgeKleinlastwagen -- Modell 1934 -- reisen rund 1200 Kilo Expeditionsgut auf direktem Weg von La Paz nach Sorata. Schon auf dem ersten Teil der Strecke aus der im Durchschnitt 3600 m hoch gelegenen Stadt hinauf zum über 4000 m hoch gelegenen Altiplano traten die ersten Schwierigkeiten auf. Die schöne Betonstrasse war wegen Ausbesserungsarbeiten gesperrt, und der alte Karawanenund Karrenweg mit seinen Steigungen bis zu 20°/o setzten unserem Lastwagenveteran so zu, dass er manche Stellen rückwärts und mit kochendem Kühler überwinden musste, bis er in fast dreistündiger Arbeit die 6 Kilometer lange Strecke hinauf in die Hochebene geschafft hatte. Dann ging's gewissermassen von selbst dahin -- nur noch mit einer einzigen leichten Gegensteigung -- hinunter ins Tal von Sorata, 2700 m hoch gelegen. Später folgten die "Mann"schaft und das restliche Gepäck mit dem inzwischen eingetroffenen Expeditionsfahrzeug -- einem VWKombi, bei dem die Geschwindigkeit zu Gunsten einer Gebirgsachse und damit einer besseren Steig und Geländegängigkeit reduziert war -- nach. Auf Umwegen reisen wir durch die schönsten Landschaften Boliviens nach Sorata, passieren dabei die berühmte und berüchtigte BalcaSchlucht, fahren durch angeschwollene Flüsse und Mondlandschaften, klettern über Eis und Schnee die grossartig angelegte Strasse zum 5300 m hoch gelegenen Chacaltaja hinauf, um dann wieder hinunter zu rollen über die weiten Hochebenen des südamerikanischen Tibets -- nach Westen zu. Dort liegen -- einstmals von den Wassern des TiticacaSees umspült -- die uralten Tempelruinen von Tiahuanacu, dem Zentrum des inkaischen Sonnenkults. Noch gehen die Ansichten auseinander über Alter und Herkunft mancher riesiger Steinkolosse und Monolithen. Bolivianische Archäologen nehmen an, dass hier die "Wiege der Menschheit" zu suchen sei. Die Ufer des TiticacaSees -- des heiligen Sees der Hochlandindianer --kommen in unser Blickfeld; BalsaFischer kehren zurück auf ihren leichten BinsenBooten -- und aufgeschreckt durch das Aufheulen unseres Motors und den warnenden Ton unserer Hupe löst sich eine rosa Wolke -- Flamingos --von einer seichten Schlammbank. über eine Passhöhe von 4600 m hinweg erreichen wir Sorata. Wir sind alle todmüde von den grossartigen Eindrücken unserer Fahrt und den vorausgegangenen Tagen und Nächten, die ausgefüllt waren mit Pack und Wiegearbeiten. Die MulaLasten dürfen ja für den schweren und gefährlichen Cordillerenübergang keinesfalls das Gewicht von einem Quintal =46 Kilo pro Tier, aufgeteilt in zwei Traglasten zu je 23 Kilo, überschreiten. In der Nähe des Titicacasees auf bolivianischer Seite liegt die berühmte Ruinenstätte von Tiahuanacu mit dem monumentalen Sonnentor des Gottes Viracochu. Auf InkaSteigen über die KönigsCordillere Mit 30 PS waren wir in Sorata angekommen -- mit 25 MulaKräften verlassen wir die kleine Stadt und damit das gastliche Heim, das uns Familie Fernholz in alter, treuer Anhänglichkeit geboten hatte. Unter grössten Schwierigkeiten und bei Schnee und Gewitterstürmen überwanden wir mit unserer kleinen Karawane mehrere Andenpässe zwischen 4000 und 5000 m Höhe, um dann -- Tage später -- hineinzutauchen in die feuchte Schwüle der Regen und Nebelurwälder jenseits der Cordillere. Hatten wir TolaPampa -- einen alten KarawanenBiwakplatz, in 3450 m Höhe über dem Urwaldgürtel gelegen -- eines Abends, noch in HochgebirgsSturmanzügen und mit Fäustlingen bekleidet, von Hagelschauern und Kälte getrieben, erreicht, so verliessen wir ihn am nächsten Morgen in unseren neuen TropenUrwaldOveralls und wanden uns schweisstriefend wenige Stunden später -- die Mulas vorsichtig am Zügel führend -- die schwindelnden Steige der YungasUrwälder gegen Pararani hinunter. Seit im Jahre 1932 mit einem Grönlandunternehmen meine ExpeditionsWanderjahre begannen, ist es für mich etwas so Selbstverständliches geworden, unvorhergesehene Schwierigkeiten zu überwinden, dass ich mich mit einer eigenen Schilderung des Weges über die Königscordillere, der ja lediglich den Zugang zu unserem Operationsgebiet darstellt, nicht lange aufhalten möchte. Man wird mit der Zeit etwas abgestumpft und ist dann nicht mehr so aufnahme und wiedergabefähig wie ein noch ganz junger Mensch, der zum erstenmal eine solche Expedition miterlebt. Vielleicht ist es darum besser, wenn ich die Jugend zu Wort kommen lasse und von Fall zu Fall Tagebuchaufzeichnungen meiner damals gerade 17 Jahre alt gewordenen Tochter Monika mit verwende. 24.11.54 "Im Morgengrauen dieses nebelverhangenen Tages verlassen wir Sorata mit unserer Maultiertropa in Richtung HancoumaCumbre -- einem 5200 m hohen Pass, über den der Steig nach Yani führt. Unterwegs schliessen sich ein paar finster aussehende Kerle an -- mit grossen Packen und Pfannen beladen --die zum Goldwaschen nach Tipuani wollen. Sie machen keinen besonders vertrauenerweckenden Eindruck, und wir passen auf wie die Schiesshunde, dass keines unserer Lastmulas zurückbleibt. Tief unten aus dem Tal, wo ein Autoweg zu einer Mine führt, jault immer wieder ein alter, schwer beladener Ford auf, der wohl schon mit Pizarro herüber gekommen sein mag. Er gehört einem Österreicher, der hier auf einem Zivilisationsvorposten mit seinem AutoVeteranen einige der kleinen Bergwerke, die überall verstreut in der Cordillere liegen, mit Lebensmitteln versorgt und die gewonnenen Erze abtransportiert. Allmählich löst sich der Nebel und gibt den Blick frei auf die Nordausläufer der Königscordillere. Beim Übergang über den ersten, noch untergeordneten Pass fallen uns grosse Steinhaufen auf, zu denen unsere Arrieros (Maultiertreiber) -- Gebete murmelnd -- weitere Steine legen. Beim Vorbeireiten an einer Felswand entdecken wir kleine, etwa 20 cm hohe, sogenannte Seelenhäuschen aus Steinplatten, die die alten Indios zum Dank oder zur Bitte den Berggeistern auf der Cumbre errichten. Herrlich schön ist es hier oben. Grüne Matten, die hinunterführen ins Tal von Hancouma, Schafherden und Lamas sowie halbwilde Bergponys grasen in dem hellen Grün -- hoch oben zieht ein CondorPaar weite Kreise, und tief unten in den Sumpflagunen baden -- wie winzige Perlenketten -- Schneegänse und Enten. Etwas flacher führt der Weg von der HancoumaAbzweigung --die die Eingeborenen ChuchuCumbre (sprich: Tschutschu) nennen -- zu dem höher gelegenen LachisaniPass, der sogenannten Cumbre von Yani. Dort warten auf uns Austauschmulas für den Weiterweg nach San Carlos. Sehr vertrauenerweckend sehen sie nicht gerade aus -- weder die Viecher noch die Leute. Meine Schwester Heidi, Burgl und ichbetrachten mit gelindem Schauer die alten, komisch geformten "Foltersättel" -- wohl noch aus der Conquistadorenzeit. Man sitzt in ihnen mit Vorder und Rückenlehne zwar wie in Abrahams Schoss und kann unmöglich herausfallen, dafür aber beim Bergaufreiten unter tiefhängenden Ästen sich spielend leicht den Brustkorb eindrücken. Hannes -- das ist mein Vater -- und wenn ich ihn ebenso nenne wie meine Expeditionskameraden, so ist das beileibe nicht Respektlosigkeit der Jugend von heute, sondern ich weiss nur zu genau, dass mein "alter Herr" nur ungern durch die Anrede "Vati" daran erinnert werden möchte, dass er die Vierzig überschritten und schon so grosse Töchter hat. Männer sind ja furchtbar eitel, und meinen Papa nehme ich da nicht aus. "Hannes" -- wie ich also meinen Vater und Expeditionsleiter im Rahmen unserer Unternehmung ebenfalls nenne -- ist mit dem Chef der Tropa aus Yani -- Don Julio Sanchez -- nach längerem Feilschen über den Preis der Tour endlich einig geworden. Dafür braucht es aber beinahe unendlich viel Zeit, bis alle Lasten in Ledernetzen auf den Tragtieren verstaut sind und die Treiber unter sich die einzelnen Gepäckstücke ausgerauft haben, denn jeder sucht sich natürlich die leichtesten und handlichsten aus. Hannes ist überall -- teilt Kisten und Säcke ein, denn er muss darauf achten, dass beispielsweise Filmkameras und Material nicht auf ein und dasselbe Maultier kommen, damit im Fall eines Absturzes nie beide Kameras vernichtet sein können; daneben filmt er mit dem dritten Apparat, den er ständig im Rucksack bei sich trägt, Packszenen und interessante Passagen unterwegs, findet dann aber immer noch Zeit, dazwischen hier eine Korrektur anzubringen, dort zu schimpfen -- oder uns von dieser herrlichen Aussichtswarte aus drüben am Illampu (6348 m hoch) die Aufstiegsroute zu erklären, die er zusammen mit seinem Kameraden im Jahre 1951 benützt hat. Er zeigt uns den Eisüberhang, wo sie damals biwakieren mussten, und mich friert beinahe bei seinen Schilderungen. Trotzdem aber bin ich mächtig stolz auf meinen Papa. Die Fleteros drängen zum Aufbruch, weil der Wind Hagelschauer von Osten her über den Felsgrat treibt; aber Hannes bremst -- denn er hätte gar nichts dagegen, ein kleines Schneegestöber zu Beginn unserer Tropenreise in seinen Kasten zu bekommen -- und ist beinahe empört, dass die Maultiertreiber seinen künstlerischen Ideen so wenig Verständnis entgegenbringen. In unseren schönen, blauen SturmÜberanzügen reiten Rudi und ich mit dem ersten Trupp voraus, während die anderen die Nachhut bilden. Aber nur kurz sind die Reiterfreuden, denn bald schon geht es durch ein steiles, enges Tal, und wir müssen unsere Tiere am Zügel führen. Hier auf der Ostseite des HauptCordillerenKammes reicht eine vielfältige Vegetation von Sträuchern und Bäumen bis hoch hinauf, und hier finden wir auch zum erstenmal wilde KnollenBegonien mit grossen, rosaroten Blüten. Am späten Nachmittag passieren wir die neu erschlossene Goldmine eines Deutschen aus La Paz -- aber ausser einigen Arbeitern ist niemand zu sehen --und wir sind froh, jetzt keinen Bekannten zu treffen, da wir vor Einbruch der Dunkelheit noch bis Yani kommen wollen. -- Weiter unten überqueren wir den Fluss, und halsbrecherisch steil führt der Weg einen Hang hinauf. Da oben soll irgendwo Yani liegen, wo unsere Arrieros alle zu Hause sind. Es dämmert bereits -- der Nebel beginnt einzufallen, und es wird ausgesprochen düster und nasskalt. Wir reiten noch einen Grat entlang auf die andere Bergseite, treiben unsere Maultiere über Felsstufen hinauf, bis wir -- um eine Ecke herum -- mit einem Mal am Eingang von einem Dorfe stehen -- und was für einem! -- Yani -- 3500m hoch gelegen -- hält den Vergleich mit einem Räubernest glänzend aus, und wie wir am eigenen Leibe verspüren konnten, lebt es ja auch mehr oder weniger von Spitzbübereien. Burgl vergleicht die Siedlung treffend mit einer Dekoration aus >>Carmen". Düster und winkelig kleben Häuser und Höfe mehr über als nebeneinander. Tropfnasse Grasdächer über grauen Steinquadern, enge Gassen, verräucherte Türen und Fensterlöcher -- teilweise verfallen; ein paar scheue und misstrauische Kindergesichter, umrahmt von dunklen Türhöhlen. Es sieht nicht gerade einladend aus hier in Yani. Aber der alte Julio Sanchez hat uns in seinem Hause eingeladen, und dort soll angeblich bestens für uns gesorgt sein, wie er Hannes beruhigend versichert, der daraufhin seinen Kontrollposten am Dorfeingang aufgibt, wo er ursprünglich die Tropa an sich vorbeidefilieren lassen wollte, um die Lasten zu zählen. Obwohl Vati angeordnet hatte, dass in dem Hof unseres Quartiers auch abgeladen werden sollte, sind drei Arrieros mit über der Hälfte der Tropa bereits in verschiedenen Nebengassen mit unserem Gepäck in ihren eigenen Höfen verschwunden. Hannes tobt, weil Schlafzeug und Verpflegung nun im ganzen Dorf verteilt liegen. Sanchez beteuert immer wieder, dass es "costumbre" -- also ortsüblich sei, dass die einzelnen Arrieros und Maultierbesitzer die Lasten in ihren eigenen Häusern unterbringen, und es kostete einen richtigen Kampf, bis wir unseren ganzen Kram wieder beisammen hatten. Unser Nachtquartier ist eine tolle Bude! Der Boden lehmgestampft, das Dach mit Pajabrava, dem widerstandsfähigen Langgras der Cordillere, bedeckt, und die Wände mit Zeitungen aller Herren Länder tapeziert. Sogar ein Völkischer Beobachter aus dem Jahre 1942 ist darunter -- und in Schlagzeile wird darin auf der ersten Seite vom Fall der Festung Sewastopol berichtet. Bevor wir unser Schlafgepäck hier ausbreiten, bearbeiten wir die ganze Behausung gründlich mit NexaPuder -- und fluchtartig verlässt Heidi mit ihrer Benzinküche den "giftstaubverseuchten" Raum, um draussen im Vorhof unsere Abendsuppe zu richten. Bei der Neugier der Dorfbewohner herrscht ein reger Durchgangsverkehr in unserem Hof, und deshalb beschliesst Hannes, trotzdem das dort gestapelte Gepäck mit einer Plane abgedeckt und verschnürt worden ist, Nachtwachen durchzuführen. Ich melde mich gleich zur ersten -- und während die anderen in ihren molligen Schlafsäcken längst eingeschlummert sind, sitze ich -- mit meiner Gaspistole bewaffnet -- (Hannes traute dem weiblichen Teil der Expedition nur mit solchen Schiesseisen einigermassen genau Zielsicherheit zu) zwei volle Stunden am Eingang zu unserem Schlafgemach -- ein bisserl steif gefroren, aber sonst hellwach -- voller Stolz und im Bewusstsein, eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Ergebnis der Beobachtungen während der ersten Nachtwache meines Lebens: zwei Hunde umrunden den Gepäckstapel, einer hebt das Bein und gibt Visitenkarte ab; ferner eine Sau und vier Passanten mit der Taschenlampe identifiziert und teilweise verscheucht. Der sternenklare Himmel und die Kälte versprechen das beste Wetter für morgen, und Rudi kann schnarchen, so viel er will, ich werde ihn jetzt zur zweiten Wache heraustrommeln. Der Talkessel von Sorata wird von dem 6366 Meter hohen Illampu, dem Nordp feiler der Königskordillere, überragt. 25. 11. 54 Kaum wagt man um 5 Uhr früh ein Auge aufzumachen, geht der Wirbel schon wieder los. Burgl, Heidi und ich pilgern zu einer kleinen Quelle oberhalb der Kirche, erfrischen uns dort und verarzten unsere Sonnen und Nebelbrände vom Vortag mit Salbe. Hannes und Rudi haben sich inzwischen mit den Kerlen beinahe schon wieder in die Haare gekriegt, wegen höherer Geldforderungen -- und Heidi, deren perfektes Spanisch man neidlos anerkennen muss, dolmetscht tapfer und dezent in ihrer Adjutantenrolle, wenn Vati in der Hitze des Gefechts einen nur schwer verständlichen Cocktail von Spanisch, Italienisch, Französisch, Englisch und Bayrisch mixt. Es wird bei den Arrieros als besonders störend empfunden, dass unser Expeditionsleiter seine 50 Gepäckstücke genau im Kopf hat -- und es daher nicht gelingt, auch nur ein einziges "per Zufall" in Yani zu "vergessen". Die Treiber schachern um den Preis und verfluchen ihre Mulas, die störrisch sind wie die Teufel. Hannes schimpft und schwitzt und -- zahlt. Heidi ist nicht auf den Mund gefallen, als es darum geht, einen Träger, der sich -- trotz guter Bezahlung für eine leichte AkkuLast -- aus purer Bequemlichkeit dagegen wehrt, weiter mitzugehen, herunterzuputzen vor allen andern und so zur Vernunft zu bringen. "Bist du ein altes Weib, dass du Angst hast, mit uns ins Tiefland zu gehen?" --schleudert sie ihm auf Spanisch entgegen. Schallendes Gelächter quittiert diese schlagfertige Äusserung meiner jüngeren Schwester. Verlegen lächelnd und beschämt nimmt der Träger seine leichte Last auf und zieht mit uns. Ich kann wieder mit den ersten gegen 7 Uhr früh losreiten, während "unsere Männer" sich als Nachtreiber betätigen. Die Sonne ist längst aufgegangen, und aus dem goldenen Morgen wird ein heisser Tag werden. In vielen Kehren geht's zum Fluss hinunter und drüben in einem Seitental wieder hinauf. Auf diesem "Weg" darf man sich wirklich keinen falschen Tritt erlauben. Man würde in einem Wasserfall landen, der 100 m tiefer durch einen Canon tobt. An einer seichten Stelle oberhalb der Schlucht durchqueren wir dieses Wildwasser, und drüben beginnt der Anstieg zu einer Cumbre, der im Laufe des Tages noch zwei weitere Pässe folgen. Stunden geht es an steilen Graten entlang, Talwände hinauf und hinunter, an schäumenden Wasserfällen und an kleinen Tümpeln vorbei -- ständig in einer Höhe von etwas über 4000 m. Auf diesem uralten, inkaischen Königssteig transportieren diese widerstandsfähigen Mulas Jahr um Jahr -- über Treppen und Stufen hinweg --wertvolle Lasten hinunter nach San Carlos, Mapiri und wieder zurück. Wie dickbäuchige Omnibusse schnaufen die Tiere daher -- links und rechts mit unseren AluminiumTropenkoffern behangen. Oft hat man das Gefühl, sie müssten zusammenbrechen bei diesem Treppauf und Treppab, aber trotzdem finden sie immer noch genug Zeit, zwischendurch ein Maul voll Paja (Gras) zu rupfen und gelegentlich auch neben dem Weg dahinzustrolchen, was dann lautes Schelten ihrer Treiber auslöst. Der Tornillo (Die Schraube), ein noch gut erhaltener Teil des inkaischen Königsweges, über den die Expedition nach Überwindung von vier Pässen von fast 5000 Meter Höhe in die Tieflandurwälder hinunterzieht. Nachmittags müssen wir den grössten Teil des Weges zu Fuss gehen, vor allem am Tornillo, der berüchtigten Schraube, um die Tiere bei dem steilen Abstieg zu schonen. Als wir abends in TolaPampa unser Nachtlager aufschlagen und zu fünft in unser DreiMannZelt kriechen, wissen wir alle, was wir hinter uns haben. Übrigens wollte sich auch der Laternen und AkkuTräger -- scheinbar angekränkelt von Freiheits und GleichberechtigungsThesen politischer Rattenfänger -- noch zu uns ins Zelt legen. über so viel Frechheit war Hannes einfach sprachlos -- und eine unmissverständliche Handbewegung liess den Aufdringlichen schliesslich doch vorsichtshalber den Rückzug antreten. Wir schliefen -- nach einem Bad in dem naheliegenden, glasklaren Flüsschen -- dicht zusammengedrängt alle mehr oder weniger gut, jedenfalls aber warm. 26. 11. 54 Schon früh um 5 Uhr rumort Hannes draussen vor dem Zelt in der Küchenkiste herum -- und bei dem beruhigenden Summen des PrimusKochers döst man schnell wieder ein. Aber dann kreischt jäh und laut wie eine Säge der Reissverschluss des Zelteingangs, und jeder von uns erhält im Schlafsack sein Frühstück serviert: dampfende Ovomaltine und Büchsenbrot, mit Butter und Honig beschmiert. Dann muss jeder noch, ob er will oder nicht, eine tüchtige Ladung Haferbrei hinunterwürgen. Unser Expeditionsleiter ist in solchen Dingen ein Tyrann -- denn der Weg, der vor uns liegt, ist schwierig, und bis zur nächsten Etappe sind es -- wie er behauptet -- mindestens 810 Stunden. Um 7 Uhr früh -- gerade ist die Sonne hochgestiegen -- setzt sich die Leitmula mit ihrer bimmelnden Glocke am Halse in Bewegung -- und im munteren Trott reihen sich die übrigen Lasttiere in die Tropa ein. Es soll hier eine Menge Bären geben, aber wir hatten nicht das Glück, einen zu sichten und fanden nur Fährten und Losung. Nun weiss ich auch, warum die LakritzenStangen, die wir als Schulkinder in Deutschland so gerne gelutscht haben, "Bärendreck" heissen. Die Ähnlichkeit ist unverkennbar! Unterwegs zeigt sich, dass einzelne Mulas eine erstaunliche Vielfalt der verschiedensten Charaktereigenschaften aufweisen. Ich hatte ausgesprochenes Glück mit meinem Reittier. Es war sanft, trittsicher, aber faul, so dass ich ihm hie und da etwas Ehrgeiz eintreiben musste. Jedenfalls aber hatte es nicht so originelle Ideen wie die Mula von Burgl, die dauernd im Gehen Gras rupfte, war nicht so störrisch wie Heidi's Esel und auch nicht so feurig wie der Rappe von Hannes, mit dem uns Papa auf einem steilen Grat einen mustergültigen Sturzflug mit raffinierter Landetechnik vorexerzierte, als das Biest plötzlich einen Haken schlug und mit den Hinterbeinen auskeilte. Hannes hatte das Tier mit dem Knoten seines langen Zügelendes genau auf die empfindlichste Stelle unter den Schwanz getroffen. Eine peinliche Stelle übrigens auch auf diesem schmalen Weg, denn aus dem Abgrund leuchten die bleichen Gerippe von gestrauchelten Mulas. Schon im Laufe des Vormittags tauchen wir ein in ein Nebelmeer, das um die Flanken dieser CordillerenAusläufer wogt, und das -- wie eine riesige Daunendecke -- bis jetzt die Tieflandurwälder unseren Blicken entzogen hat. Nun geht der berüchtigte Abstieg los -- und wir müssen die Tiere wegen des abschüssigen, glitschigen Weges fast immer führen. Die Inkas sind geniale Strassenbauer gewesen, obwohl sie keine Räder kannten. Der Saumweg, über den wir hinunter in Richtung Mapiri pilgern, ist zum grössten Teil inkaischen Ursprungs. Bedauerlich nur, dass seit dem Zerfall des Reiches der Inka anscheinend an dem alten Königspfad nichts mehr ausgebessert wurde. Seit Mittag bewegen wir uns in der subtropischen Regenwaldzone. Sie begann mit stacheligen Bromeliaceen, dichtem Bambus und Palmfarnen. Später folgten höhere Bäume mit starkem Moosbehang, und ich hatte immer das Gefühl, es müsste mir von oben herab eine Vogelspinne oder eine Baumschlange auf den Hut oder in den Kragen fallen. Aber >>unsere Männer" beruhigten uns, und im übrigen hatten wir ja an diesem Morgen nicht mehr unsere Hochgebirgsanzüge, sondern zum erstenmal die praktischen, gut schliessenden grünen UrwaldOveralls angezogen. Wir sahen aus wie Fallschirmjäger auf dem Kriegspfad, und ich kam mir mächtig wichtig vor. Hannes filmte mehrere Male einige interessante Passagen, bis dann die Lichtverhältnisse immer schlechter wurden. Der Weg ist "muy cerrado" (stark eingeengt) und führt in tief ausgewaschenen Kanälen -- überwuchert von Lianen, Bambusgestrüpp und umgestürzten Bäumen -- teilweise wie durch einen Tunnel. Trotzdem die Arrieros drei oder viermal im Jahr mit ihrer Tropa über dieselbe Strecke kommen, fällt es ihnen nicht im Traume ein, diese für sie so lebenswichtige "Strasse" in Ordnung zu bringen. Irgendwie werden sich die Mulas mit dem Gepäck schon durchs Dickicht zwängen, auch wenn dabei die Kisten der Gringos (weisse Männer) Beulen bekommen und die Packsäcke aufgeschlitzt werden. Die Brüder sind viel zu faul, um mit der Machete den Weg freizumachen und behalten ihre Buschmesser -- des kühnen Aussehens wegen -- lieber im Gürtel. Ab und zu sieht man nun unter der Nebeldecke lange Hügelketten gegen Osten zu verschwinden, steil und mit dichtem Urwald bedeckt, so weit das Auge reicht. Dort unten also soll irgendwo PAITITI liegen, die sagenhafte Inkastadt, die wir "erobern" wollen. Ich bin etwas skeptisch beim Anblick dieser unendlichen Wälder. Aber reiten wir mal nach San Carlos -- vielleicht kann man uns dort etwas mehr sagen, als aus der winzigen Karte hervorgeht, die Hannes von Manuel Posnansky geschenkt bekommen hat. Gegen Abend erreichen wir Pararani mit ein paar freundlich aussehenden Hütten, die ganz aus den Stämmen und Blättern der CussiPalmen gebaut sind. In den Kehren der letzten Steilstufe oberhalb der Siedlung registrierten wir noch zwei aufregende Ereignisse. Meine Schwester Heidi, die plötzlich Anwandlungen bekommen hatte, an der Spitze -- vor Rudi und Hannes -- zu gehen, wäre in einem Engpass um ein Haar in eine Schlange hineingetappt, die mitten im Weg lag. Steinwürfe von Rudi verscheuchten diese ins Dickicht. Sowie der Weg breiter wurde und Hannes und Rudi mit ihren Mulas wieder nach vorne konnten, nahm Heidi gerne wieder ihren dritten Platz innerhalb der Tropa ein. Kaum hat Hannes erneut die Führung übernommen, springt ein schwarzes, pantherähnliches Tier in den Weg, das nach einigen Fluchten schnell seitwärts im Walde verschwindet. Im letzten Dämmern des Tages blasen wir in einer der Hütten, die uns gastfreundliche Bewohner zur Verfügung gestellt haben, unsere Gummimatratzen auf -- und bei dem einsetzenden Regen sind wir froh, unsere schönen, neuen KlepperZelte noch wohl verwahrt in den Packsäcken lassen zu können. Heidi brät auf dem Primus Kartoffelschmarren, und je nach Geschmack gibt's dazu Sauerkraut oder Apfelmus. Mahlzeit -- kann man da nur wünschen, und eine ungestörte Nacht!! 27. 11.54 Zum Abschied -- am Morgen -- schenkten uns unsere Gastgeber einen Strunk Bananen mit etwa 50 Stück, die wir mittags bereits verschlungen hatten. Welch ein Unterschied zwischen den freundlichen Menschen hier, gegenüber den verschlossenen und verschlagenen Gesellen oben in Yani. Allerdings führen die Menschen unten in dem milden Klima ein wesentlich leichteres Leben als die oben im Hochland. Es wächst, wenn einmal richtig gerodet ist, beinahe alles von selbst -- und ungemein schnell. Heute brachten wir die letzte und kürzeste Etappe der Reise hinter uns und erreichten schon um vier Uhr nachmittags unser Ziel." Soweit Monika. BASISLAGER MIT "TELEFONANSCHLUSS" Auf der Estancia San Carlos, einer Teeplantage (übrigens der einzigen grossen Boliviens), die von einem Deutschen verwaltet wird, wurden wir mit echt südamerikanischer Gastlichkeit aufgenommen. Diesen Platz hatte ich als Nachschubbasis für Verpflegung ausersehen, und dort sollten auch in guter Obhut die weiblichen Teilnehmer bleiben. Nach einer kurzen Orientierung aber musste ich einsehen, dass San Carlos für eine Tropensommerfrische zwar herrlich gewesen wäre, sich aber viel zu weit entfernt von meinem eigentlichen Operationsgebiet befand. Sieben Stunden vorher hatten wir einen Platz passiert mit dem vielsagenden Namen IncaPampa. Dieses IncaPampa war nicht nur hervorragend als Basislager geeignet, weil es hoch über den Schluchten des Rio Chinijo, dem Cerro Paititi und einem riesigen Urwaldkessel gegenüber lag, sondern -- weil das Wort allein schon einen gewissen Anhaltspunkt dafür bot, dass dieser Ort inkaischen Ursprungs war. Dabei handelt es sich lediglich um eine Lichtung in dem flachen Sattel eines langezogenen, schmalen, bewaldeten Höhenrückens, den Tropenstürme und Gewitter mit der Zeit von Bäumen freigefegt haben, wobei eine Art Pampa mit einem kleinen Teich entstanden ist. Abgesehen von dem Namen hat der Platz noch eine Besonderheit. Der kleine Teich ist durch einen Damm gestaut, dessen Konstruktion die typische Bauweise zu Inkas Zeiten verrät. So zogen wir denn nach Regelung der Fragen des Verpflegungsnachschubs mit der ganzen Tropa, zu der noch 20 Macheteros kamen, zurück an den Rand der Wildnis, wo die drei Frauen das Basislager und die dort errichtete Funksprechstation übernehmen mussten, während ich mit meinem Begleiter Rudi Braun und den Eingeborenen in die Urwälder an den Ostabhängen des Cerro Paititi eindrang. Während der Errichtung des Basislagers gab es immer wieder genügend Gelegenheit, von diesem idealen Beobachtungspunkt aus die Hänge und Schluchten des Cerro Paititi mit den Ferngläsern nach irgendwelchen Anzeichen alter menschlicher Siedlungen abzutasten. Aber so sehr wir uns auch bemühten, nichts war weiter zu sehen als das monotone Gewoge hoher, dunkler Urwaldbäume. Darüber brandeten Wol ken und Nebelschwaden ohn' Unterlass um diesen "Monte mysterioso". Regenschleier und Gewitter zogen wechselweise über die waldigen Schluchten und uns hinweg, die wichtigen Beobachtungen erschwerend. Nur hin und wieder stahl sich ein Sonnenstrahl durch den Brodem und gab den unheim lichen, finsteren Wäldern wenigstens stellenweise ein freundlicheres Aussehen. An so einem lichten Fleck aber blieb ich auf einmal mit meinem Fern glas hängen. Die Sonnenstrahlen waren weiter gewandert -- der Fleck in mitten des dunklen Grüns aber war hell geblieben, und aus dieser einsamen Insel in dem tiefen Urwaldozean ragten drei mächtige Palmen empor neben einem grossen, braunen Etwas, das ich aus etwa 15 km Entfernung als eine steinerne Säule, einen Monolithen deutete. Ich sah im Geiste bereits Mauern und Ruinen -- von Tacuara (einer sehr schnell wachsenden Bambusart) über wuchert, die sich wellenartig unter diesen drei einsamen Bäumen ausbreitete. Diese Entdeckung warf meinen Plan, als erstes den Cerro Paititi zu besteigen, über den Haufen. Ich stellte zunächst eine saubere Marschskizze zusammen, mit deren Hilfe wir zu dem Monolithen mit den drei Palmen vorstossen wollten. Kompasszahl 305, das war fortan in den nächsten Wochen die Ziffer, nach der wir uns zu richten hatten -- und Kompasszahl 305 war letzten Endes auch die Zahl, die uns ans Ziel brachte, das allerdings nicht bei den Palmen lag, sondern lange vorher schon -- auf dem Weg dorthin -- in einem tiefen, völlig verborgenen Talkessel. MIT BUSCHMESSERN IN DEN DSCHUNGEL In den nächsten Tagen und Wochen kamen unsere Buschmesser und unsere Armmuskeln nicht mehr zum Ausruhen. Meter um Meter hieben wir uns vorwärts, den ganzen langen, beschwerlichen Weg durch finstere Urwaldschluchten und Bambusdickichte -- über hohe Laub und Humusdecken, in die wir immer wieder einbrachen, und durch Wildwasser. Allein um von unserem Basislager IncaPampa aus die 600 m Höhenunterschied durch den dichten Urwaldfilz hinab zum Rio Chinijo zu überwinden und einen brauchbaren Weg zu bahnen, benötigten wir volle drei Tage. Zwei weitere verstrichen, um über den etwa 40 m breiten, sehr reissenden Fluss zu kommen -- und es waren bange Stunden, die viel Schweiss kosteten, bis wir endlich mit Hilfe unseres Wurfankers, der von einer Spezialvorrichtung abgeschossen wurde, ein erstes Doppelseil am anderen Ufer hatten. An dieser "Seilfähre" gesichert, können die ersten Leute und ein Bündel Macheten durch die reissenden Wasser schwimmen, ohne befürchten zu müssen, in den flussabwärts liegenden Stromschnellen für immer zu verschwinden. Aus dem ersten Hilfsseil entsteht dann bald ein primitiver Sessellift, mit dem wir Personal, Apparatur und Expeditionsausrüstung hinüberbefördern. Unten in der Schlucht auf einem Felsvorsprung über den tosenden Wassermassen stand unser Lager I -- und auf dem Weg dorthin hatten wir unsere ersten Begegnungen mit Schlangen und streichholzgrossen Ameisen, Tucangiras genannt, die ganz infernalisch stechen und dabei Gift injizieren. Zweimal im Verlauf der Expedition musste ich damit nähere Bekanntschaft machen, und jedesmal war der Stich mit blutvergiftungsähnlichen Erscheinungen verbunden -- roten Striemen und Anschwellung der Drüsen, wozu dann noch Sehstörungen kamen, als würde man beim Entfernungsmesser einer Fotokamera die Doppellinien eines Gegenstandes zum Zwecke der Scharfeinstellung so lange hin und her schieben, bis sich die Konturen decken. Ob diese Sehstörungen direkt mit dem Stich der Tucangira, oder indirekt -- wie meine Kameraden behaupteten -- mit dem angewandten Gegengift, das heisst mit äusserlichen und inneren Alkoholeinreibungen, zusammenhingen, kann ich heute nicht mehr mit Sicherheit sagen. Unsere Schlangenabenteuer verliefen weitaus glimpflicher, vor allem während der Arbeit am Sendero (Ausdruck für einen mit dem Buschmesser geschlagenen Pfad). Der Lärm der Arbeit, verursacht durch das Schlagen der Macheten, das Krachen von Ästen und Bäumen, sowie das stete Vorwärtsschreiten dieses Rumors in den sonst so stillen Urwäldern treiben die Schlangen und alle übrigen Tiere -- sofern es sich nicht gerade um neugierige Affen handelt -- rechtzeitig in die Flucht. Mein Tagebuch verzeichnet während des ersten Spähtruppunternehmens als Durchschnitt drei Schlangenbegegnungen innerhalb von 24 Stunden. Das ist nicht viel gegenüber den Schlangenabenteuern der PosnanskyExpedition des Jahres 1950, die von dem Ort Gonzata aus -- also von Norden her in das Gebiet eingedrungen war und in den Monaten August/September zur Paarungszeit gleich Dutzende -- und zum Teil zu Knäueln zusammengeballt -- antraf. Bei uns bestand akute Schlangengefahr dann, wenn wir nach Regenfall auf dem bereits gebahnten Pfad zurückgingen und wieder Lasten nach vorne transportierten. Die Feuchtigkeit löscht jedes Geräusch aus. Kein Rascheln des Laubes mehr, kein Knacken irgendeines Astes! Lautlos -- wie auf Gummi -- schleicht man im Sendero dahin, kriecht unter den Torbögen der BambusDickichte durch, um plötzlich in dem Zwielicht von einer Schlange gestellt zu werden, die von oben herunterhängt. Das sind die gefährlichsten Augenblicke, denn Mensch und Tier handeln in solchen Momenten nur noch im Affekt. Beide schlagen zu -- und es kommt nur darauf an, wer schneller ist: Die scharfen Zähne des Reptils, oder die scharf geschliffene Klinge der Machete. Die meisten Schlangen, die unseren Weg kreuzten, befanden sich nicht am Boden, sondern über uns in den Bäumen oder zumindest neben uns in Augenoder Schulterhöhe, und der Gedanke, aus dieser für das Tier so bequemen Angriffsstellung heraus in den Kopf oder in die Halsschlagader gebissen zu werden, wirkt nicht gerade nervenberuhigend. Was nützt schon bei so einem Biss unser polyvalentes SchlangenSerum, oder das einheimische Especifico pessor, das wir neben Caliumpermanganat ständig mit uns führten? Das erstere ist intramuskulär zu verabreichen, das zweite löffelweise einzunehmen mit anschliessender 30stündiger Hungerkur, und das letzte in Kristallform in die Wunde zu pressen, um das Gift zu neutralisieren. Aber auch am Boden heisst es, höllisch aufpassen! Hier liegen Äste, abgeschälte Rinden und Laub, und dazwischen -- in oft unglaublicher Mimikry, kaum sichtbar für den Dahinschreitenden -- eine Yararaca, eine Surucucu oder Buschmeister mit ihren gefährlichen Doppelfangzähnen, oder eine Yoperohohobo. Von letzterer weiss ich ein Lied zu singen, seit mich im Jahre 1951 bei einem Unternehmen an der brasilianischen Grenze eine in die Hand gebissen. Damals wurde ich, da Serum fehlte, nur durch die Kunst meiner eingeborenen Begleiter gerettet, die aus einer bestimmten Wurzelknolle eine Medizin für mich brauten. Der Vorausgehende muss ständig auf der Hut sein und die Augen eigentlich gleichzeitig am Boden, auf beiden Seiten und in der Höhe haben. Dieses lauernde, langsame Vorwärtsschreiten über meterdicke Laub und Humuspolster -- wie auf einer Sprungfedermatratze -- immer wieder durchbrechend und sich dann hochrappelnd -- jeden Augenblick gewärtig, während die Füsse unten zwischen Ästen und Wurzelgeflecht in einem Hohlraum baumeln, der genauso gut ein Schlangennest sein kann, gebissen zu werden, das ist aufregender, aufreibender und kraftraubender als ein Gang selbst in 6000 und 7000 m Höhe durch tiefen Schnee. Nach Tagen mühseligen Vorwärtsschreitens in lähmender Hitze und Feuchtigkeit -- immer der Kompassnadel nach -- ist unser schmaler Urwaldpfad vom Fluss weg am jenseitigen Berghang hinauf und über einen langen Höhenrücken vorgetrieben worden, bis eine mächtige Felswand uns den Weiterweg sperrt. Ein kleiner Sturzbach tost hernieder. Hier schlagen wir Lager II und ziehen die Bilanz der vergangenen Woche: 500 m pro Tag sind wir im Durchschnitt vorangekommen. Zum Zweck der Neuorientierung wird nun mit grossem Vorteil auch hier wiederum unsere mitgeführte Harpune eingesetzt. Bereits während meiner Expedition 1951 im RioVerdeGebiet an der* brasilianischen MatoGrossoGrenze im Rahmen einer bolivianischen Grenzkommission hatte ich mir oft und oft gewünscht, möglichst leicht hohe Urwaldbäume besteigen zu können, um den Weiterweg zu erkunden -- oder Orchideen zu sammeln. Mit zwölfzackigen Steigeisen -- wie sie sonst nur bei Eisklettereien zum Einsatz kommen -- sowie mit Hilfe von Brust und Hüftschlingen bewältigte ich damals unter dem Gaudium vor allem meiner bolivianischen Expeditionsbegleiter in stundenlanger, schweisstreibender Arbeit derlei nicht "tourenberichtsfähige" Urwaldriesen. Diesmal schossen wir einfach einen Stahlpfeil mit leichtem Kunststoffseil über eine Baumkrone hinweg, zogen daran eine Strickleiter mit Aluminium Holmen hoch und konnten von einem solchen Luginsland aus sehen, wie es weiterging. Durch einen Gürtel von CecropiaStämmen muss die Felssperre umgangen werden. Palo SantoBäume schieben sich dazwischen. In ihrem Blütenzauber verraten sie mit nichts, dass ihre Hohlstämme die bevorzugten Wohnungen der Feuerameisen sind; derselben Ameisen, vor denen letzten Endes auch die Expedition 1950 schon kapitulieren musste. Indios behaupten sogar, die Inkas hätten den Palo Santo extra gepflanzt, um die heiligen Stätten vor dem Zugriff Unbefugter zu bewahren. Diese Deutung -- so interessant sie im ersten Augenblick auch erscheinen mag -- ist natürlich völlig abwegig, denn genauso wie bei uns in gemässigten europäischen Zonen bei entsprechenden Bodenverhältnissen und in gewissen Höhenlagen ganz bestimmte Bäume gedeihen, so ist das natürlich auch in subtropischen und tropischen Gegenden der Fall. Cecropia bzw. Palo SantoStämme gelten allerdings auch heute noch als die berüchtigten Folter und Todesbäume der Amazonas--Indianer, denn schon ein Dutzend Feuerameisen auf der Haut können jeden Menschen zur Raserei bringen. Manch einer, der unvorsichtigerweise einen solchen Ameisenwald betrat, weiss ein garstig Lied zu singen von dem feinen "Nieselregen" dieser winzigen Bestien, die sich wie brennende Tropfen auf ihre Opfer herniederrieseln lassen. Nur an zwei Stellen brauchten wir bis jetzt MagnesiumFackeln sowie unser SwingfogNebelsprühgerät als Flammenwerfer anzuwenden, um Feuerameisen, Tucangiras und Wespen in ihren Baumwohnungen auszuräuchern. Die mitgeführten Giftnebellösungen hatten keine Sofortwirkung. Die Tiere wurden durch die Qualmstösse nur noch rabiater. Mit Flammenwerfer und Axt durchbrechen wir das "Ameisenbollwerk" an der schwächsten Stelle. Um knapp ein Dutzend Bäume niederzuringen und eine acht bis zehn Meter breite Gasse für unsere barfuss laufenden Träger als Nachschubweg zu bahnen, brauchen wir fast zwei Tage. Neben Emsen, die sich im Basislager beinahe überfallartig an der Verpflegung gütlich taten, die nicht hermetisch verschlossen wurde, hatten wir vor allem in den Lagern I und II unter der "Saubea" zu leiden, die vieles anfrass, in erster Linie aber verschwitzte Lederriemen von Rucksäcken, Stiefel und Kleidung. Interessant war in diesem Zusammenhang, dass Gegenstände aus dem neuen deutschen Kunststoff "PAN" von diesen Ameisen gemieden wurden. Aus Zeitersparnisgründen befasste ich mich gar nicht lange mit dem Ausbau unseres Lagers II, sondern trieb nach Öffnen der Gasse im CecropiaGürtel mit einigen wenigen Macheteros den Sendero weiter gegen den "DreiPalmenPlatz" und ein geplantes Lager III vor. Rudi hatte inzwischen die Aufgabe übernommen, mit den übrigen Peones die restlichen Lasten vom Lager I nach II zu bringen. An dem Tag höre ich um die Mittagsstunde aus der Ferne drei Schüsse dicht hintereinander -- und etwas später einen vierten Schuss. -- "Aha", denke ich -- und hoffe im stillen auf eine gute Jagdbeute meines Kameraden. Gegen Abend kommt er -- noch ziemlich erregt unter dem Eindruck eines Schlangenabenteuers -- auf meine Funksprechstelle oberhalb Lager II. Er musste -- allein unterwegs -- durch die Krone eines Baumes kriechen, den ein Gewittersturm in der vorhergehenden Nacht in unseren Sendero geworfen hatte. Als der Freund nach Überwindung des Hindernisses -- inmitten von dürren Ästen stehend -- eine kleine Atempause einlegen will, sieht er vor sich zwischen den Knüppeln am Boden ein armdickes Etwas von fast derselben Farbe wie die Umgebung -- nur mit dem Unterschied, dass es glänzende Schuppen hat und sich langsam vorwärts bewegt. Nach der ersten Schrecksekunde will Rudi einen Schritt zurückgehen, aber ein hochstehender Ast in der Kreuzgegend hindert ihn daran -- und das ist sein Glück; denn als er mit der Hand nach dieser Rückensperre angeln will und dabei der Blick zufällig hinter seine Absätze auf den Boden fällt, sieht er auch hier armdick Schuppen glänzen. In jähem Entsetzen reisst mein Kamerad seinen Kolt vom Gürtel und schiesst blindlings dreimal hintereinander auf den dicken Schlangenleib vor sich. Jetzt kommt Leben in das Gewirr von Ästen und Laub um ihn herum -- und eine vielleicht 4 m lange Schlange, in deren Ring er gestanden, wobei der Kopf unsichtbar geblieben, bewegt sich seitwärts in das Dickicht. Ein vierter Schuss kracht hinterher, trifft -- und blitzartig verschwindet dieser unheimliche Wegelagerer im Urwalddunkel. Ob es eine Boa war oder eine Buschmeister -- die gefährlichste Giftschlange dieser Wälder -- das konnte Rudi nicht sagen. Eines aber nahmen wir uns vor, möglichst nicht mehr allein zu gehen und uns im Vorausgehen abzulösen, soweit das nur irgendwie durchführbar war; denn das Schlimmste in diesen Urwäldern sind meines Erachtens weder Schlangen noch Vogelspinnen, sind nicht der Jaguar und die stürzenden Bäume -- eine der grössten Gefahren ist die schleichende Apa thie, jenes Wurschtigkeitsgefühl, das einen befällt durch die Einwirkung der alles lähmenden Hitze, der Feuchtigkeit und Schwüle und letzten Endes durch die Überbeanspruchung der Nerven und der Körperkräfte. EIN ZUFALL FÜHRT ZU DEN ERSTEN RUINEN Auch ich hatte an diesem Tag ein Erlebnis gehabt -- vielleicht das grösste und aufwühlendste meines ganzen bisherigen Expeditionsdaseins. Nicht mit Schlangen, denn an Begegnungen mit ihnen war ich langsam gewöhnt; es war die erste archäologische Entdeckung, die mich so erregte, dass ich die folgenden Tage und Nächte nicht mehr zur Ruhe kam. Zum erstenmal hatte an dem denkwürdigen Morgen die Sonne geschienen, als ich mit Arauko -- unserem Capataz des ersten Vorstosses -- und den fünf besten Macheteros -- an der Spitze Eliseo Durän -- über die feuchten Moos und HumusPolster der Steilwand, die aus der Schlucht des Lagers II gegen Norden führt, hinaufkletterte. Ein BambusDickicht, so verfilzt, wie ich es bisher noch nicht erlebt, überzog den nächsten Höhenrücken, über den wir hinweg mussten. Bis hierher hatten wir uns am Vortag schon durchgeschlagen, so dass wir den Sendero mit einigen MachetenHieben nur noch zu verbessern brauchten. Die wenigen Meter, die der hier etwas niedere Urwald den Blicken freigab, waren ausgefüllt von hellgrünen, üppigen BambusGeflechten, die spinnwebartig bis zu den Baumwipfeln emporkletterten. Hier mochten die grünen Baum und Peitschenschlangen hausen, aber der Lärm unserer Buschmesser hatte sie wohl vertrieben. Beim Durchkriechen stockfinsterer, tunnelartiger Lianengänge und beim plötzlichen Hinaustreten in das grelle Sonnenlicht haben wir keine einzige von ihnen bemerkt, obwohl wir das Gefühl nicht los wurden, dass links und rechts und über uns Gefahr lauerte. Höher wurde nun der Urwald wieder, und die dichten Baumkronen liessen kaum noch Licht durchfluten. Trotz des Sonnentages schlichen wir in gespenstischer Dämmerung dahin, kletterten einen langen Hang hinab bis zu einer Schlucht, durch die kristallklares Wasser sprudelte. Unser Vorwärtskommen war nun etwas einfacher. Das fehlende Licht zwischen den hohen Bäumen liess keinen Unterholzwuchs aufkommen -- und die Macheteros brauchten nur hie und da einzugreifen, um eine Liane zu beseitigen, oder an einem Baum eine Markierung anzubringen. Nach kurzer Rast geht's weiter immer stur nach Kompasszahl 305. Von neuem beginnt das Schlagen der Macheten, das Kriechen unter modernden Bäumen durch und das kraftraubende Klettern über federnde Moos und HumusPolster. Vormittags gegen 11 Uhr mag es wohl gewesen sein, als das Gelände flacher wurde und wir über einen beinahe ebenen Talboden schritten mit wundervollen hohen Bäumen, unter die sich zum erstenmal wieder lange, schlanke Stelzenpalmen mischten. Schiefer in grossen Platten oder in mächtigen Quadern -- von Moos und Baumwurzeln überwuchert -- trat bald da, bald dort zutage, ohne dass uns daran etwas Besonderes aufgefallen wäre. Auf dem leicht gewölbten Geländerücken, der mitten durch das Tal zog und ein kleines Rinnsal von einem Wildbach trennte, der unter einer mächtigen, vielleicht 60 Meter hohen Felswand dahinrauschte, hatte der Sturm einen Baum aus seiner Bodenverankerung losgerissen und umgelegt. Mit den Wurzeln und dem Erdreich, die wie eine Schutzwehr hochgewuchtet wurden, war der Untergrund freigelegt worden. Ein idealer Platz, um ein wenig zurückzubleiben und schnell mal Mammheimlich zu verschwinden. Doch daraus wurde nichts. Freudiges Erschrecken stoppte jäh alle biologischen Notwendigkeiten. Dort, wo der Baum einst gestanden, war eine sauber geschichtete Felsentreppe sichtbar geworden -- eine Entdeckung, bei der ich in helle Aufregung geriet. Dreissig Meter weiter vorne in der Wildwasserschlucht hatten sich meine Leute zur wohlverdienten Rast niedergelassen. Beim Abstieg dorthin tritt die Fortsetzung der Treppe zutage, aber diesmal nicht in Form von aufeinander geschichteten Steinen, sondern die Stufen sind nunmehr tadellos sauber in den Naturfels gehauen und gut erhalten. Am gegenüberliegenden Ufer führt eine weitere in den Stein gemeisselte Stufenreihe nach oben, um sich unter dem Humus eines dicht bewaldeten Steilhanges erneut zu verlieren. Neben und über den Treppen, die hineinführen in die Schlucht und wieder heraus, starren an beiden Ufern überhängende Felsen waagerecht in die Luft wie die Bogenreste einer eingestürzten Brücke. Die Platten aber, die einmal darüber gelegen haben mochten, ragen unten aus Rollkies und Schwemmsand heraus. Ist das Ganze in grauer Vorzeit wirklich einmal eine Brücke gewesen, von Menschenhand gebaut, oder handelt es sich dabei um eine Laune der Natur? Das sind die Fragen, die sich mir mit einem Male aufdrängen. Aber es ist zu offensichtlich! Hier schwang sich einmal von einem Ufer zum anderen eine Brücke -- wie von ZyklopenHänden gebaut -- und als sie eingestürzt war, da hat man daneben als Notübergang bei Niedrigwasser Treppen in den Fels geschlagen. Wie lange mag es her sein, seit hier zum letzten Male Menschen über den Fluss gegangen? -- Das sind die Gedanken, die mich bewegen, während drüben -- einen Seilwurf entfernt -- meine Begleiter in der wärmenden Sonne sitzen und ihre einfache Mahlzeit verzehren, die aus geröstetem YuccaMehl besteht, das -- mit kaltem Wasser und braunem Zucker angerührt -- eine nahrhafte Suppe ergibt. Sie haben noch keine Ahnung von diesen Funden -- und ich sage auch vorerst noch nichts. Weiss ich denn überhaupt, ob diese armen Teufel nicht nur verlockt durch Bezahlung und gute Verpflegung mitgegangen sind? Werden sie das gleiche archäologische Interesse aufbringen, das meine Expeditionskameraden und mich beseelt, oder wird in ihnen nicht vielleicht bei den ersten Entdeckungen schon hemmungslose Gier nach Schatzgräberei wach, wie sie mancher Expedition und manchem Forscher zum Verhängnis wurde? -- Aber noch sitzen sie gemütlich drüben -- lachen und schmatzen und schaben sich die aufdringlichen Schweissbienen einfach mit der Machete vom Oberkörper, während wundervolle tropische Schmetterlinge über der Gruppe von Menschen gaukeln und überall dort naschen, wo etwas Zuckerbrei verschüttet wurde oder Harnflüssigkeit in Moos und Sand versickert ist. Ober den Steilhang, der aus der Schlucht herausführt, und der die einzige Möglichkeit nach oben zu kommen bietet, schlagen wir uns höher. Zur Linken ist die senkrechte Felswand, unter der wir rasteten, zur Rechten eine weitere carionartige Schlucht, in die in freiem Sturz von etwa 30 m ein mächtiger Wasserfall herniederdonnert. An Wurzeln, die über die steilen, bewachsenen Felsen herunterhängen, und an Bäumen hangeln und stemmen wir uns hoch. Wir müssen dabei höllisch aufpassen, möglichst nur dort hinzufassen, wo der Griff und seine nähere Umgebung zu übersehen sind, denn überall kreuzen Tucangiras unsere Passage. Nur sehr langsam gewinnen wir an Höhe. Der Berghang und die Steilabfälle scheinen kein Ende nehmen zu wollen. Nach drei Stunden machen wir in einem flachen Rincon (Rinnsal), in dem sich des feuchten Untergrundes wegen gewaltige Stelzenpalmen zu mächtigen Bäumen entwickelt haben, erneut eine kleine Rast. Kurz zuvor hat mich eine Tucangira in den rechten Handballen gestochen, als ich im Ausrutschen schnell einen Ast ergreifen musste, ohne ihn vorher in Augenschein nehmen zu können. Ich kratze feuchte Erde in mein Taschentuch und mache mir damit einen Notverband. Im übrigen heisst es, die Zähne zusammenbeissen, denn ich will mir vor meinen Begleitern nichts anmerken lassen; aber das fällt mir -- ehrlich gesagt -- unendlich schwer. Ich bin froh, dass die Zeit schon ziemlich vorgerückt ist und ich den Leuten sagen kann, dass wir nun umkehren müssten, wollten wir noch vor Einbruch der Tropennacht unser Lager II erreichen. Hinunter geht's -- denselben Steig, den wir geschlagen. Wieder passieren wir die Stelle am Fluss, an der ich die Treppen entdeckte. Ich lasse die anderen vorausgehen, geniesse mit stiller Freude meine Beobachtungen und kühle im übrigen meinen dick geschwollenen, brennenden Handballen mit frischem Wasser. Geschrei meiner Macheteros treibt mich wieder weiter. Mit dem Ruf "Monos, monos" kommt einer der Leute zu mir zurückgerannt und bittet mich, einige Affen zu schiessen, die oben in den Baumkronen unseren Sendero kreuzen. Da frisches Fleisch und überhaupt jagdbare Tiere in unserem Arbeitsgebiet -- vielleicht wegen der Überzahl an Schlangen -- äusserst rar waren, tat ich ihnen den Gefallen und schoss zwei Silvadores, wie diese Affenart genannt wird. Um die herabgestürzte Beute zu bergen, müssen wir uns etwa 20 m in das Dickicht hineinschlagen. Während meine Leute sich in kannibalischer Lust mit unseren gemordeten "Vorfahren" beschäftigen, bemerke ich wenige Meter neben der Absturzstelle der Tiere völlig vermooste und von Bäumen und Wurzeln umklammerte Grundmauern eines alten Bauwerks. Die Aufregung und Freude ob dieses neuen Fundes war bei mir bestimmt mindestens so gross wie die der Macheteros über den Affenfleischbraten -- und mit einem Male kam mir zum Bewusstsein, dass dieses einsame Tal an den Ostabhängen des Cerro Paititi der Angelpunkt, wenn nicht gar das Zentrum jener sagenhaften Stadt gleichen Namens sein müsste. Nun waren auch meine Begleiter auf die Ruinen aufmerksam geworden und halfen emsig mit, von der Mauer Erdreich und Wurzeln zu entfernen, soweit das mit unseren Instrumenten -- einigen Macheten und meinem alten Eispickel, den ich aus treuer Anhänglichkeit mit in die Urwälder genommen hatte -- möglich war. Der vorgerückten Stunde wegen liess ich die Arbeit für Boden gerammt, meinen Rucksack darangebunden und meinen aufgespannten Regenschirm schützend darübergehängt habe, treten wir im Eiltempo den Rückweg zum Lager II an mit dem Gedanken, am nächsten Tag unverzüglich zurückzukommen, um hier Lager III zu errichten. Leider war an diesem Abend -- eines aufziehenden Gewitters wegen -- keine Funksprechverbindung mit dem Basislager möglich, und so konnte ich mein begreifliches Mitteilungsbedürfnis nur noch dem Freund gegenüber stillen -- bis er mir keine Antwort mehr gab und ich ebenfalls -- todmüde von den langen Wegen und durch einmalige Erlebnisse -- einschlief. Mit Hilfe eines Wurfankers, der von einer Spezialvorrichtung abgeschossen wurde, gelang es in zweitägigem Bemühen, endlich eine Seilbrücke über die Schlucht des Rio Chinijo zu spannen. DIE ERDE BEBT Wir benützten in dieser Nacht zum erstenmal unsere neuen Hängemattenzelte aus leichtem Kunststoff, denn bei den beengten Platzverhältnissen auf der einzigen, wenige Quadratmeter grossen Fläche in der Schlucht mussten in erster Linie unsere Helfer einigermassen bequem im Schutz ihrer dachförmigen Zeltplane untergebracht werden. Die vorerwähnten schaukelnden Behausungen, deren Seitenwände ganz aus Moskitoschleiern bestehen, werden bei ungünstigem Gelände und in tropischen Urwaldgebieten einfach zwischen zwei Bäumen aufgehängt und sind gemäss der hier anzuwendenden Devise "weg vom Boden und damit vom Ungeziefer" geradezu ideal zu nennen. Weniger ideal allerdings war für mich persönlich, dass ich sowohl das überdach als auch den Seitenschutz im Basislager zurückgelassen hatte. Beim ersten nächtlichen Gewitter -- begleitet von sturzbachartigem Regen --trieb mir der Wind das Wasser von rechts her durchs Moskitonetz. Während sich Rudi am nächsten Morgen gut ausgeruht und trocken von seinem Lager erhob -- denn er hatte vorsichtshalber überdach und Seitenwände mitgenommen -- glich mein Nachtasyl mehr einer zwischen Himmel und Erde hängenden Badewanne, in der ich beinahe bis zur Brust im Wasser lag. Da die KlepperWerke für solch aussergewöhnlichen Verwendungszweck natürlich keinen Badewannenstöpsel vorgesehen hatten, verschaffte ich -- durch einen Stich mit meinem Stilett in die tiefste Stelle der Ausbuchtung unter meinem Sitzfleisch -- den Wasserfluten freien Ablauf. Das langanhaltende, laute Plätschern und das schallende Gelächter meiner Macheteros, die etwa 10 Meter rechts von mir hangabwärts in der Talsohle genächtigt hatten, brachten mir zum Bewusstsein, dass man bei mir anscheinend ein Blasenleiden vermutete. Der "Spähtrupp in die Vergangenheit der Inka?' auf dem Vormarsch durch den Urwald mit dem Flammenwerfer als "Geheimwaffe" gegen die Feuerameisen. Die fröhliche Stimmung trotz dieses trüben, regnerischen Morgens wurde jäh zerstört durch aufgeregtes Schreien meiner Leute. "Terremoto!" Terremoto!" -- "Die Erde bebt! Die Erde bebt!" wiederholen sie immer wieder und raffen aufgeregt ihre Habseligkeiten zusammen. Rudi und ich haben in unseren Hängematten durch die dämpfende Wirkung der Seilverspannungen kaum einen Stoss verspürt im Gegensatz zu den Männern unter dem Zeltdach, die direkt auf dem blanken Boden lagen. Trotz aller Überredungskunst gelingt es weder unserem Capataz Arauko noch meinem Freund und mir, unsere Helfer an einer überstürzten Flucht zu hindern. Ohne Gruss und Dank ziehen sie -- wie von einer unheimlichen, dämonischen Macht getrieben -- von dannen. Neben dem Capataz waren wenigstens Durän und der kleine Primitivo geblieben, und so vereinbare ich mit Rudi, dass er mit ihnen die ersten Lasten nach Lager III bringen soll, während ich den Ausreissern nacheile, um sie vielleicht doch noch zurückzuholen, zumindest aber daran zu hindern, bei den Frauen im Basislager, mit denen wir ja keine Funkverbindung mehr hatten, Panikmeldungen zu verbreiten. Aber so sehr ich mich beeile, die Stunde Vorsprung, welche die Brüder haben, ist nicht einzuholen, und beim Flussübergang haben sie dämlicherweise den Sitz unseres Lifts am jenseitigen Ufer festgebunden, so dass ich ihn nicht benützen kann. Ich habe nur die Wahl, entweder durch den reissenden Fluss zu schwimmen, oder -- amTragseil pendelnd -- Hand über Hand 40 Meter hinüberzuhangeln. Ich entscheide mich für letzteres -- lasse aber vorsichtshalber meinen Karabiner mit der Selbstsicherung einschnappen. Wenn man die lange Wegstrecke vom Lager II zurück zum Rio Chinijo -- noch dazu in der Rekordzeit von viereinhalb Stunden -- in den müden Knochen hat, dann fällt einem der Aufstieg mit 600 m Höhenunterschied bis zum Basislager unendlich schwer. Aber nach eineinhalb Stunden liegt auch dieser Steig hinter mir, und ziemlich abgekämpft und hungrig falle ich in Incapampa ein. Man hat dort keine Ahnung von den Vorkommnissen im Lager II, denn die Ausreisser waren unterhalb des Basislagers durchgeschlichen, ohne sich zu melden. Als ich später unsere drei getreuen Helfer fragte, warum sie nicht auch so wie die anderen getürmt seien, und ob sie denn keine Angst hätten, mit uns weiterzuarbeiten, erklärten sie mir, sie seien keine Hochlandindianer, sondern kämen aus dem Tiefland von den Stämmen der Chamas und Sirionos, und für sie seien die InkaGötter nicht zuständig. Diese Worte, die sie so gelassen aussprachen, waren für uns ein Fingerzeig, später nur noch Leute aus den tiefer gelegenen Urwaldregionen zu verpflichten -- Männer also, die nicht so sehr von Aberglauben und Götterrache angekränkelt waren. Auch im Basislager war in den letzten Tagen und vor allem in der vorhergehenden Nacht nicht alles wunschgemäss verlaufen -- und unsere weiblichen Expeditionsmitglieder mussten eine Feuer und Wassertaufe über sich ergehen lassen, wie sie nicht alle Jahre vorkommt. In weiser Voraussicht hatten sie beim Herannahen des Gewittersturms noch rechtzeitig den Antennenmast umgelegt, daher die Unterbrechung der Funksprechverbindung. Keine 50 Meter von den Zelten entfernt hatte der Hurrican zwei riesige Bäume entwurzelt, und zu allem Überfluss hatte auch noch ein Blitz dicht neben dem Lager eingeschlagen und dabei einen AluminiumHäring zum Schmelzen gebracht, der die Verspannung eines kleinen Sonnendaches hielt, unter dem wir vor einigen Tagen noch unseren Betriebsstoff für den Flammenwerfer und die Alkoholrationen für die Macheteros deponiert hatten. Nicht auszudenken, wenn der immerhin beinahe 100 Liter umfassende Spritvorrat explodiert wäre. Auch in Huaricunca -- dem nächsten Dorf auf dem Weg nach Mapiri --hatte der Sturm verheerend gehaust und zwei Hütten zerstört, wie wir aus der Meldung einer Frau erfuhren, die ihren bei der Expedition verpflichteten Mann zurückforderte. Eine Beurlaubung desselben war jedoch nicht mehr nötig, da er zu der Gruppe von Deserteuren gehörte, die am Morgen das Weite gesucht. Hatte er vielleicht eine Vorahnung gehabt von dem Unheil, das seine Heimstätte getroffen -- und waren bei den anderen vielleicht ähn liche Motive die Triebfeder ihres Handelns? Bei unverbildeten Naturmenschen kann man oft die rätselhaftesten Dinge erleben, und telepathisches Sehvermögen ist in dieser Gegend -- ähnlich wie in Tibet -- nicht selten. Hervorragend bewährt haben sich bei diesem Unwetter, von dem wir in der schützenden Schlucht des Lagers II überhaupt nichts merkten, unsere gut verankerten und windschlüpfigen KlepperZelte. Wenn ich jedoch unserer drei weiblichen Expeditonskameraden gedenke, die in ihnen jene Sturmnacht unter Blitz und Donner verbrachten, ohne dabei etwas Besonderes zu finden, so kann ich ihnen meine Anerkennung nicht versagen -- selbst wenn mir meine Tochter Heidi später berichtete, dass sie sich beim ersten Blitz und Donnerschlag einfach den Schlafsack über den Kopf zog, um ihn erst wieder zurückzuschlagen, als das letzte Rollen in der Ferne verklungen war. Sitzt man erst einmal im Basislager als "Hahn im Korbe", betreut und bekocht von drei weiblichen Wesen, so fällt es einem schwer, sich wieder loszureissen und erneut in die Wildnis zu ziehen. Aber drüben in dem grossen Urwaldkessel wartet eine Aufgabe -- und diese lockt, trotz der "Sirenenklänge" hier, mächtiger denn je. HOLZARBEIT TROTZ REGENZEIT Glücklicherweise hatte ich vier Ersatzleute verpflichten können, mit denen ich nach zweitägigem Aufenthalt losziehe. Frau Moeller und meine Tochter Monika geben mir das Geleit bis zum Lager I am Rio Chinijo, denn dort war ja ihr Hauptbetätigungsfeld für die Schmetterlingsjagd; ausserdem waren sie froh, für ein paar Stunden dem Basislager mit seiner MarihuisPlage entfliehen zu können. Diese Marihuis sind winzig kleine Fliegen, die selbst durch die Maschen unserer Gesichtsschleier kriechen und nach dem Stich heftig juckende Wunden mit Blutbläschen hinterlassen, welche leicht zu Eiterungen führen können. In der kühlen Schlucht des Rio Chinijo blieben wir eigenartigerweise -- wenigstens um diese Jahreszeit -- von solchen Stechfliegen verschont. Bei unserem Sessellift angelangt, musste ich alle Überredungskunst aufbieten, weil zwei der neu angeworbenen Träger der Sache nicht recht trauten. Erst als Frau Burgl und meine Tochter Monika zur Aufmunterung in den Seilen ans jenseitige Ufer und wieder zurück fuhren, wollten sich die Männer von unseren behosten Damen nicht beschämen lassen und folgten ihrem Beispiel. Sicherheitshalber aber schnürten wir jeden der beiden Helden für die Fahrt hinüber noch extra in den Sitz. Ein schallender Abschiedsjodler hinunter in die Schlucht, ein freundliches Winken mit den Schmetterlingsnetzen von drüben -- dann bin ich wieder allein für viele Stunden. Meine vier Träger können mit ihren schweren Lasten nur langsam vorwärts kommen, während ich nur mein Gewehr -- und im Rucksack das Allernotwendigste -- mitführe. Am Ende der ersten Spitzkehre oberhalb des Flusses springt aus der Felswand in hohem Bogen ein daumendicker Strahl frischen Wassers. Hier wird die leichte KunststoffFeldflasche gefüllt, denn bis die nächste Quelle erreicht ist, vergehen Stunden. Die vielen Windungen hinauf zum Höhenrücken und aus der Flussschlucht heraus sind schon ein richtiger Trampelpfad geworden -- und ich überlege mir, ob wir nicht eines Tages vielleicht kleine Mulas einsetzen könnten. Voraussetzung dafür wäre allerdings, sie über den Fluss zu bringen -- und dann müssten noch viele Bäume durchschlagen werden, die quer über dem Weg liegen. Wenn die Höhe einmal gewonnen ist, geht es auf dem Rücken fast eben dahin, so dass man eine schnellere Gangart einschalten könnte, wenn man nicht so verdammt aufpassen müsste. Fast mechanisch und im Zeitlupentempo schreite ich vorwärts; der Blick sucht gleichzeitig den Boden, das Buschwerk links und rechts -- und die tiefhängenden Äste und Bambusstauden in der Höhe abzutasten. Bevor ich durch die BambusTunnels schlüpfe oder über Baumstämme klettere, klopfe ich zuerst mit einem Stock die Hindernisse vor mir ab. So ein elastischer, starker Stock ist geradezu unentbehrlich beim Gang durch diese Wälder, und er bildet neben der Machete die beste Waffe gegen Schlangen. Zweimal an diesem Tag bin ich solchen begegnet; es waren eine Yararaca und eine Yoperohobobo, die sich auf Baumtrümmern gesonnt hatten. Bei meinem Näherkommen zogen sie es jedoch vor, ohne Eile zu verschwinden. Nach sechs Stunden erreiche ich Lager II, das heisst den Platz dieses Lagers, denn die Einrichtung desselben ist bereits nach vorne ins Lager III transportiert worden -- und ich sehe zu meiner Freude, dass Rudi in den zwei Tagen meiner Abwesenheit ganze Arbeit geleistet hat. Neben der alten Kochstelle liegt noch etwas trockenes Holz -- und bald kann ich an einem flackernden Feuerchen meine verschwitzten Kleider trocknen. Zu allem Überfluss finde ich auch noch eine dicke YuccaWurzel und zwei grüne Bananen, die -- in der Asche gebraten -- das ausgefallene Mittagessen ersetzen müssen. Obwohl ich über eine Stunde gerastet habe, kommen meine Träger nicht nach. Ich markiere ihnen noch den Weg über den Bach und ziehe dann weiter gegen Lager III, das ich zwei Stunden später erreiche. Der Platz ist kaum mehr wiederzuerkennen, nachdem mein Kamerad mit seinen Leuten eine ganz anständige Lichtung in diese Urwaldmauer geschlagen hat. >>Es war einfach nicht auszuhalten hier vor Hitze und vor Tabanos. Wir mussten etwas Luft hereinlassen auf unseren Lagerplatz", erklärt mir Rudi. Diese Tabanos -- Fliegen von der Grösse und dem Aussehen einer Hummel und mit einem Stechrüssel von über 1 cm -- sahen und spürten wir hier zum erstenmal, und selbst auf meinen früheren Expeditionen im Oriente Boliviano habe ich nur die gewöhnliche Tabano, eine unserer Rinderbremse ähnliche Stechfliege, kennengelernt. Wie Düsenjäger umschwirrten uns Dutzende von diesen Blutsaugern, so dass wir vorzeitig in unseren Hängemattenzelten verschwanden, um Ruhe vor ihnen zu haben. Aber auch hier versuchten sie noch, ihr Opfer zu erreichen, und es war geradezu komisch anzusehen, wenn sie den langen Rüsselstachel durchs Moskitonetz schoben, um nach einer unbedeckten Körperstelle zu angeln. Die beiden Stunden nach Sonnenaufgang und vor Sonnenuntergang hiessen bei uns "die Stunden der Tabanos" --und wer sich's leisten konnte, der blieb um diese Zeit geschützt hinter dem Moskitero und ergötzte sich damit, den blutgierigen Bestien mit den Fingernägeln die Rüsselstachel abzukneifen, die sie durchs Moskitonetz bohrten. Mit Einbruch der Nacht verschwand immer das laute und rohe Brummen der Tabanos -- und nur das feine Summen der Moskitos blieb. Die erste Nacht im Lager III habe ich kaum ein Auge zugetan. Ein Gewitter war losgebrochen; Regenschauer wurden vom Sturm über die Urwälder hinweggepeitscht -- und die Intervalle zwischen grellen Blitzen und nachtschwarzer Finsternis waren beinahe gleich lang. Obwohl sich in dieser Nacht unsere Hängemattenzelte tadellos bewährten, fror ich ganz empfindlich, da ich mich mit meinen durchgeschwitzten Kleidern hatte schlafen legen müssen. Nur drei von meinen vier Trägern hatten am Abend -- kurz vor Beginn des Gewitters -- noch das Lager erreicht, während der vierte, der ausgerechnet meine ReserveWäsche trug, angeblich im Lager II zurückgeblieben war, um dort unter dem kleinen Palmblattdach zu nächtigen, das die alte Feuerstelle vor Regen schützte. Am Morgen jedoch stellte sich heraus, dass er keine 200 m von unserem Lager III entfernt mitten im Urwald unter einer der rindenartigen, langen, zähen Hüllen geschlafen, die bei Sturm von den Blüten und Fruchtständen der Stelzenpalmen herabgerissen werden. Es giesst immer noch -- den ganzen Tag, die darauffolgende Nacht und auch noch den nächsten Tag -- mit nur kurzen Unterbrechungen. Die Regenzeit ist in vollem Gang -- und wir müssen dankbar sein für die kleinsten Aufhellungen und Pausen. Trotzdem geht die Arbeit weiter. Die Lagerschneise wird verlängert und erweitert -- und der ganze Tag ist erfüllt von dem dumpfen Schlag unserer einzigen Axt, dem hellen Klingen der Macheten und dem lauten Krachen stürzender UrwaldGiganten. Die Leute haben eine besondere Technik, um möglichst schnell freie Flächen zu schaffen, und kennen weder Säge noch Keil. Sie schlagen die kleineren Bäume in Fallrichtung eines Urwaldriesen mit den Buschmessern nur an; den Rest besorgt dann der mit der Axt geschlagene, stürzende grosse Bruder. Auf diese Weise machen sie auch ihre Chacos -- wie diese Urwaldlichtungen in ihren Heimatgegenden genannt werden -- auf denen sie dann Bananen, Yucca und Mais pflanzen. Bei aller Bewunderung für die Meisterschaft dieser Leute in ihrem zähen Kampf gegen den Urwald -- mir gab es immer einen Stich, wenn so ein MammutBaum, der jahrzehntelang auf seinem Platz gewachsen, zu Boden musste; wenn die Axt an seinem Sockel immer tiefer eindrang und ein Zittern den Stamm durchlief bis hinauf in die letzten, feinen Blattrispen; wenn er wie ein lebendes Wesen versuchte, sich an kleineren Nachbarbäumen und armdicken LianenVerankerungen festzuklammern, von denen eine nach der anderen nachgab und riss; wenn er anfing, zu wanken und zu schwanken; wenn er sich ächzend zur Seite neigte, bis der Sturz unabänderlich und nicht mehr aufzuhalten war, und er -- ein gefällter Riese -- einem Urwelteinbruch gleich, hineinschlug in die grüne Unendlichkeit. Weitere Entdeckungen In zwei Tagen haben wir trotz Regen auf dem flachen Rücken, der sich wie eine Zunge ins Tal hineinschiebt, auf ungefähr 250 m Länge und 50 m Breite ausgeholzt -- bis auf ein paar schlanke Stelzenpalmen und eine mächtige Würgerfeige, die wir als Schattenspender und des Landschaftsbildes wegen stehen liessen. Dabei wurde die vor Tagen gefundene Grundmauer eines alten Bauwerks ebenfalls freigelegt und -- soweit es möglich war --auch der Boden innerhalb des Gevierts und aussen herum untersucht. Da uns jedoch alle Grabwerkzeuge fehlten, mussten wir uns auf wenige handtiefe Stichproben beschränken, die nur etwas Holzkohle zutage förderten, die ebensogut von Bäumen herrühren konnte, die von einem Blitzstrahl gefällt und verbrannt worden sind. Links und rechts des Lomos -- wie die Eingeborenen diesen Höhenrücken nannten -- entdeckten wir weitere Mauerwerke, die sich wie DammschutzBauten in den Hängen zu beiden Seiten verloren. Tropfnass suchten wir immer wieder unsere ZeltplanenDächer auf, um von Zeit zu Zeit die Kleider am Feuer zu trocknen -- und es wird mir wohl immer ein Rätsel bleiben, wie unsere Macheteros es fertig brachten, aus diesen regentriefenden Wäldern brennbares Feuerholz herbeizuzaubern. Wir hatten schon Schwierigkeiten, bei dieser Luftfeuchtigkeit von 9095°/o unseren EsbitHartspiritus gebrauchsfähig zu erhalten. Langsam kroch die Nässe überall hinein, und wenn wir nicht im Besitz absolut wasserdichter KunststoffBeutel und hermetisch verschliessbarer AluminiumBehälter gewesen wären, so hätten Armeen von Schimmelpilzen in unseren Kleidern, im Proviant und auf unserem empfindlichen FarbfilmMaterial Orgien feiern können. Trotz allem bangte ich um meine wertvollen Streifen, deren Emulsionen bei dieser feuchten Wärme den idealen Nährboden für BakterienKulturen abgaben. Wenn man nicht jeden Abend die exponierten Filme aus Kamera und Kassette nahm, so waren sie bereits am nächsten Morgen verklebt und damit vernichtet. KieselgelSäckchen oder kleine Beutel mit trockenem Reis -- beide haben die Eigenschaft, der mit ihnen zusammengepackten Filmrolle die Feuchtigkeit zu entziehen -- waren die einzige Möglichkeit, meine wertvollen Farbfilmaufnahmen vor dem Verderben zu bewahren. Auch in der dritten Nacht hielt der sintflutartige Regen noch an -- und ich hatte bereits die Hoffnung aufgegeben, von unserem Lager III aus in der alten Marschrichtung zum "DreiPalmenPlatz" vorzustossen. Da lösten sich die Nebel am nächsten Morgen auf -- und prachtvoll, einer Erlösung gleich, stieg die Sonne über dem Tal und der von uns geschlagenen Schneise herauf. Um die durch die Regentage verlorene Zeit einigermassen einzuholen, teile ich meine "Streitmacht" in drei Gruppen ein. Rudi zieht mit Durän und Primitivo los, um den vor Tagen begonnenen Sendero endgültig bis zu den drei Palmen vorzutreiben. Arauko erhält den Auftrag, die Umgebung des Lagers, das heisst den etwa 800 m breiten und 2 Kilometer langen Talkessel, mit einem Netz von MachetenPfaden zu durchziehen, während ich mit den letzten drei Leuten talabwärts pilgere, um einen InkaSteig zu verfolgen, der sich in dieser Richtung verliert. Lager II mit den Hängemattenzelten als Schutz vor Bodenungeziefer Wir passieren -- immer dem Bachbett entlang -- den festungsartigen Hügel inmitten des Tals und stossen nach etwa 300 m auf einen zweiten, etwas kleineren "BurgBerg". In der engen Schlucht an seiner Basis erkennen wir wieder deutlich ausgeprägte Treppen, und dicht daneben finden wir eine Brücke, mit Platten gebaut, von der jedoch ein Teil in den Bach hinabgestürzt ist. Beim Queren unter einer Felswand durch hat einer meiner Macheteros ein kleines Bäumchen gekappt, das die letzte Stütze bildete für einen abgestorbenen, morschen Baum. Krachend schmettert das vermoderte Ungetüm zu Boden, reisst im Stürzen einen Machetero mit -- ein Aufschrei, und Mann und Stamm rollen, sich mehrmals überschlagend, hinunter in die Schlucht. Das Ganze war nur ein Werk von wenigen Sekunden -- und ich habe keine Hoffnung, den Machetero noch lebend vorzufinden. Derjenige, der das Unheil verursacht, ohne die Folgen zu ahnen, rennt -- laut klagend -- hinterher, denn der Verunglückte war sein eigener Vater. Fast drei Wochen schon waren wir in den Wäldern unterwegs gewesen, da stiessen wir im hintersten Winkel des Tales von Paititi auf die ersten Ruinen -- völlig vom Urwald überwuchert, trotzdem tadellos zu erkennen -- Stein auf Stein, einst von Menschenhand erbaut.

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