Donnerstag, 21. Mai 2009

Globalisierung - SelMcKenzie Selzer-McKenzie


Globalisierung Author D.Selzer-McKenzie SEIT NUNMEHR 20 JAHREN bestimmt das Schlagwort Globalisierung die poli­tische und ökonomische Diskussion. Die verschiedenen Positionen reichen von der These einer Globalisierungsfalle bis hin zu der Theorie, dass Globalisierung eine uner­lässliche Voraussetzung für Wachstum und Wohlstand ist. Die Finanz- und Wirtschafts­krise hat zuletzt den Skeptikern Auftrieb gegeben. Es mehren sich die Stimmen, die behaupten, dass der freie Welthandel für die Misere mitverantwortlich sei. Außer‑ dem, so die Kritiker, werde die Welt durch die Globalisierung nicht gerechter. Stattdessen würde die Kluft zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderdriften. DIE THEORIE DER ABKOPPELUNG Während sich ideologisch motivierte Globalisie­rungsgegner durch die Ereignisse bestätigt sehen, macht sich mittlerweile auch bei zahl­reichen Befürwortern Ernüchterung breit. Hatte nicht das mit der Globalisierung verknüpfte Dogma von der Abkoppelung eine blendende Zukunft für die Weltwirtschaft verheißen? Hinter dem Schlagwort steckt die Annahme, dass die Abhängigkeit der Schwellenländer von der Kon­junkturentwicklung in den traditionellen Industrie nationen immer mehr abnimmt. Deshalb, so die Folgerung, könnten sich aufstrebende Nationen wie China, Indien oder Russland bei einer mög­lichen Rezession als Stütze für die Weltwirtschaft erweisen. HAT DIE GLOBALISIERUNG VERSAGT? Von einer stabilen Weltwirtschaft kann aber überhaupt keine Rede sein. So prognostiziert die Organisation für wirtschaftliche Zusammen­arbeit und Entwicklung OECD für 2009 einen Rückgang des globalen Bruttoinlandprodukts um 2,75 Prozent und einen Einbruch des Welthan­delsvolumens um 13 Prozent. Laut dieser OECD- Studie könnte die stärkste Rezession seit mehr als 50 Jahren in zahlreichen Ländern zu zwei- stelligen Arbeitslosenraten führen'. Ähnlich düster sind die Prognosen der Welthandelsorganisation WTO: „Die weltweit gesunkene Nachfrage, die durch den größten Wirtschaftsrückgang der letzten Jahrzehnte hervor­gerufen wurde, wird 2009 zu einer rund 9-prozentigen Schrumpfung des Exports führen", heißt es in einem neueren Berichte. GLOBALE BÖRSENBAISSE Die zunehmende Verflechtung der Volkswirtschaften sorgte dafür, dass die Korrelation zwischen den inter­nationalen Aktienmärkten zunahm. Auch hier scheint die Abkoppelungstheorie versagt zu haben. Es gibt kaum eine Börse, die auf Jahressicht nicht tief unter Wasser stehen würde. So hat der Weltleitindex MSCI World in den vergangenen zwölf Monaten knapp 45 Prozent an Wert eingebüßt. Der MSCI Emerging Market Index, der die Aktienentwicklung in den bedeu­tendsten Entwicklungsländern misst, sackte im glei­chen Zeitraum um rund 47 Prozent ab. Angesichts der miserablen Wirtschafts- und Börsendaten tut sich die Frage auf: Was hat uns die Globalisierung gebracht? Ist sie tatsächlich ein Irrweg, wie die Kritiker behaup­ten? Oder überwiegen die Chancen, die sich aus einem integrierten und liberalisierten Weltmarkt ergeben? Kurzum: Was ist dran am Mythos Globalisierung? AUFBRUCH IN EINE NEUE ÄRA Um diese Fragen zu beantworten, muss man sich im Klaren sein, mit welcher ungeheuren Wucht der Globa­lisierungsprozess die ökonomische Welt in den vergan­gen Jahrzehnten verändert hat. Kaum etwas veran‑ schaulicht das so deutlich wie die steigende Bedeutung des Außenhandels. Von 1950 bis 2008 hat der Waren­export real — also gemessen in konstanten Preisen — um den Faktor 260 und die Weltwarenproduktion um den Faktor 96 zugenommen. Als Folge hat sich der Anteil der exportierten Waren und Dienstleistungen am Welt-Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwischen 1950 und 2008 von 8 auf 32 Prozent erhöht. Der nominale Wert der exportierten Waren lag 2008 bei rund 16.127 Mrd. US-Dollar3. Das entspricht mehr als dem Vierfachen des Bruttoinlandsprodukts der Bundes­republik Deutschland. NUR AFRIKA KONNTE NICHT PROFITIEREN Infolge des florierenden Außenhandels blickt die Welt­wirtschaft auf eine bemerkenswerte Phase des wirt­schaftlichen Aufschwungs zurück. So hat sich das globale Bruttoinlandsprodukt seit 1989 von 20.600 auf rund 62.010 Mrd. US-Dollar verdreifacht4. In nahezu allen Regionen der Welt ging es kräftig aufwärts, ins­besondere aber in Wachstumsländern wie den BRIC­Staaten Brasilien, Russland, Indien und China. Belief sich der Anteil des Bruttoinlandsprodukts des BRIC­Quartetts am Weltvolumen im Jahr 1989 lediglich auf 6,9 Prozent, liegt er heute schon bei 14,4 Prozent4. Eine traurige Ausnahme stellt Afrika dar. Der schwarze Kontinent konnte infolge von zahlreichen Bürgerkrie­gen, politischer Unstabilitäten und sozialer Unruhen seine wirtschaftliche Situation in den vergangenen zwei Jahrzehnten kaum verbessern. Laut Statistik des Internationalen Währungsfonds (IWF) beträgt der Anteil aller afrikanischen Staaten am globalen BIP gerade einmal 2,2 Prozent, obwohl dort mit fast einer Milliarde Menschen rund 15 Prozent der Weltbevölke­rung leben4. EIN KLASSIKER HAT ES ERKANNT Obwohl Afrika aus der Globalisierung (bisher) kaum Nutzen ziehen konnte, bestätigt das Gesamtbild die Theorie der komparativen Kostenvorteile des briti­schen Klassikers David Ricardo. Sie besagt, dass der Warenaustausch zwischen zwei Ländern auch dann von Vorteil ist, wenn bei beiden Handelspartnern unterschiedliche Produktionskostenstrukturen existie­ren (siehe First Lexikon auf Seite 10). Dies impliziert eine Forderung nach einem weltweit freien Handel zum Nutzen aller. Schlussfolgert man weiter, ist die Offenheit der Weltmärkte eine wichtige Voraussetzung für Wachstum. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Studie der Weltbank. Darin wird festgestellt, dass in den Ländern, die aktiv an der Globalisierung teilneh­men, das Wachstum deutlich zugenommen hat. In den abgeschotteten Ländern ist es hingegen gesunken. Das gilt sowohl für Industrie- als auch für Entwick­lungsländer3. WELTWEIT MEHR LEBENSQUALITÄT Das aus der Globalisierung resultierende Wachstum erhöht Wohlstand und Lebensqualität. Das behaup­ten zumindest deren Verfechter. Bemerkenswerte Belege hierfür finden sich im World Health Report 2008 der Weltgesundheitsorganisation WHO. Aus dem Bericht geht hervor, dass die Kindersterblichkeit in nahezu allen Ländern der Welt in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesunken ist5. In Thailand zum Beispiel starben vor 30 Jahren von 1.000 Kindern 72, bevor sie das fünfte Lebensjahr erreicht hatten. Seit­her hat sich diese traurige Rate immerhin gedrittelt. Auch die durchschnittliche Lebenserwartung nahm in fast allen Regionen der Erde in den drei vergan­genen Jahrzehnten kontinuierlich zu. Der WHO-Report kommt dabei eindeutig zu dem Schluss, dass ein star­ker Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum, Gesundheitsausgaben und Lebenserwartung besteht (siehe Grafik unten). DAS GERECHTIGKEITSPROBLEM Zu den zwischen Globalisierungsgegnern und -befür­wortern am stärksten umkämpften Thesen gehört der Aspekt der Gerechtigkeit bei der Einkommensvertei­lung. Tatsächlich beziehen die ärmsten 40 Prozent der Weltbevölkerung nur 5 Prozent des weltweiten Ein­kommens, bei den ärmsten 20 Prozent schrumpft der Anteil auf weniger als 1,5 Prozent. Die reichsten 10 beziehungsweise 20 Prozent verfügen hingegen über 54 beziehungsweise 74 Prozent des weltweiten Ein­kommens6. Der globalen Armut steht also ein globaler Reichtum gegenüber: Laut dem Wirtschaftsmagazin Forbes hat sich die Zahl der Personen, die über ein Vermögen von über 1 Mrd. US-Dollar verfügen, inner­halb der letzten 23 Jahre von 140 auf 793 erhöht. Deren Nettovermögen belief sich trotz der vehemen­ten Vermögensverluste durch die Finanzkrise auf 2.600 Mrd. US-Dollar'. DIE ARMUT HAT ABGENOMMEN Auf der anderen Seite gab es laut Statistik der Welt­bank im Jahr 2005 rund 1,4 Milliarden Menschen, die weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag verdienten8. Der Anteil der „extrem Armen" an der Weltbevölkerung, wie die Weltbank diesen Personenkreis bezeichnet, lag damit bei knapp 26 Prozent. Fakt ist aber auch, dass im Jahr 1981, also vor dem Globalisierungsboom, 1,9 Mil­liarden Menschen unter diese Kategorie fielen, was damals einem erschreckend hohen Anteil von 52 Pro­zent entsprach. Die Quote hat sich also halbiert. Der Skeptiker mag einwenden, dass die Zahl der Armen auch heute noch immer unerträglich hoch ist. Der Pragmatiker wird erwidern, dass die Globalisierung Millionen von Menschen aus der Knechtschaft der Armut befreit hat. EINE ALTERNATIVE GIBT ES NICHT Natürlich birgt die Globalisierung auch Risiken. So geraten die Nationalstaaten durch die expandierende Weltwirtschaft verstärkt in wirtschaftliche Konkurrenz zueinander, was den Standortwettbewerb verschärft. Außerdem führt eine Steigerung der globalen Produk­tion zu einer erhöhten Umweltbelastung sowie zu einer Verknappung der Rohstoffressourcen. Gleichwohl sollte die Globalisierung an der Alternative gemessen werden. Denn diese heißt im Extremfall Protektionis­mus. Was das bedeutet, hat die Vergangenheit auf erschreckende Weise gezeigt: wirtschaftliche Stagna­tion, abnehmende Produktqualität, sinkende Warenauswahl, gedrosselter Fortschritt, steigender Nationa­lismus sowie latente Kriegsgefahr. Auch für Anleger wäre eine nicht globalisierte Welt eine völlig andere. In einer solchen würde sich die Diversifikation des Port­folios vermutlich auf die Anlagearten Sparbuch, Fest­geld und vielleicht noch Staatsanleihen beschränken. NEUE SPIELREGELN ERFORDERLICH Die Globalisierung hat sicherlich Schwächen, aber die Vorteile überwiegen. Der britische Staatsmann Wins­ton Churchill hat einmal gesagt: „Die Demokratie ist keine gute Staatsform, aber sie ist die beste, die wir haben." Vermutlich verhält es sich mit der Globalisie­rung ganz ähnlich. Sie bietet die große Chance zu mehr Frieden, mehr Freiheit und mehr Wohlstand für die Menschen. Damit sich diese positiven Kräfte jedoch für alle Menschen entfalten können, bedarf es gewisser Spielregeln, die ein Gleichgewicht der Kräfte schaffen: im Welthandel, im Ressourcenver­brauch, in der Bildung und bei den Staats‑ finanzen. Kurzum: Die Weltwirtschaft braucht einen fairen Ordnungsrahmen. Protektionismus dagegen ist keine Option. Denn wie wusste schon Benjamin Franklin, einer der amerikanischen Gründungsväter: „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides ver­lieren

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