Chimps Schimpansen Mahale Mountains Tanzania SelMcKenzie Selzer-Mckenzie
Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie
Guide Gabriel Mushi hatte bei der Einweisung nicht erwähnt, dass so etwas möglich ist Das war vor drei Stunden, als der Regen noch aufs Strohdach des Chalets prasselte, als stehe eine Sintflut bevor. Von mindestens zehn Metern Abstand hatte Gabriel gesprochen, vom Mundschutz, der zu tragen ist, um keine Krankheiten in den Wald einzuschleppen. Von Blitzgeräten, die nicht erlaubt sind, und dass man in ihrer Gegenwart bitteschön nicht essen, trinken und — ein Blick zu den Männern — auch nicht pinkeln soll. Mucksmäuschenstill wie ein jagender Leopard sind wir also über überschwemmte Wege durch den Wald geschlichen. Oder haben es zumin¬dest versucht: Bei jedem knackenden Ast gab es
vorwurfsvolle Blicke von den Mitstreitern. Scheu werden sie sein und sich im Nebel unsichtbar machen, vermuteten wir. Und wir wollten sie ja schließlich finden und nicht durch trampeltier¬artiges Verhalten vertreiben.
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Quatsch. Schimpansen, und das hat uns Primaten-forscherin Jane Goodall bislang leider verheimlicht, machen sich anscheinend einen Spaß daraus, zu-nächst im Dickicht unsichtbar zu bleiben, um dann im richtigen Moment mit großem Getöse ahnungs-lose Touristen zu erschrecken. So startet Pimu, das Alpha-Männchen, mit lautem Johlen ein sinfoni-sches Konzert voller Kreischen, Quietschen und Klopfen. Und natürlich sitzt er nicht alleine im von Lianen umrankten Brettwurzelbaum direkt über unseren Köpfen: Alofu ist da, die verspielte Nummer
zwei der Sippe, und das ganze Gefolge: ein Dutzend Frauen, Jungtiere und ihre Kinder. Doch sie bleiben nicht dort oben: Einer nach dem anderen hangelt sich nach unten und spaziert vorbei an unseren zit-ternden Knien — so nah, dass man in Pimus nassem Fell die grauen Haare sehen kann. Zehn Meter Abstand? Von dieser Regelung halten die Schim¬pansen nichts. Direkt vor unserer Gruppe setzen sie sich auf die Blätterschicht des Waldbodens und be¬ginnen sich kollektiv zu kraulen.
Tansania, das sind 1200 Kilometer von Nord nach Süd und von West nach Ost. Nicht außergewöhnlich viel für afrikanische Verhältnisse. Doch wer nach den geologischen Extremen des Kontinents sucht, landet trotzdem hier. Bergsteiger, die hoch hinaus wollen, nehmen im Osten den Kilimandscharo ins Visier — 5895 Meter hoch, Afrikas von Gletschereis gekrönte Spitze. Nach unten geht es auch: Bis zu 1400 Meter tief ist der Tanganjikasee im Westen —
mit 700 Metern unter dem Meeresspiegel ist man nirgendwo sonst in Afrika näher am Erdinneren. Rekorde gibt es auch im Tierreich zu vermelden. Sie stammen nicht nur aus der berühmten Serengeti, in der Millionen von Gnus umherziehen. Wo der Tan-ganjikasee ans sandige Ufer schwappt, liegen die unzugänglichen Mahale-Berge. An deren grünen Hängen tummeln sich in einem kaum bekannten Nationalpark etwa 1000 Schimpansen — die größte bekannte Population, weit weg und deswegen kaum bedroht vom Rest der Welt.
Am r Berge
Das Paradies ist per Definition recht schwierig zu er-reichen. So dauert es eine ganze Weile, bis man end-lich bei den nächsten lebenden Verwandten des Menschen ankommt. Über Nacht geht es von Deutschland zum internationalen Kilimandscharo- Flughafen. Der Berg der Berge grüßt zum Auftakt wolkenfrei im warmen Licht der aufgehenden Son-ne. Am Stadtflughafen von Arusha steigt man dann bei Mike Degroot ein, Pilot der Tanganyika Flying Company. Zweimal in der Woche startet er mit seiner einmotorigen Cessna, um das kleine Propeller¬flugzeug in den Westen des Landes zu lenken, in bester Fotografier-Höhe hinweg über sich um dorni¬ge Rinderkrale gruppierende Hütten, einen Flicken¬teppich aus Mais- und Baumwollfeldern und später die Schirmakazien der Savanne. Am Ende ragen dann die zerklüfteten Mahale-Berge auf, ihre Spit¬zen mit flauschigen Wolken verziert und die steilen Hänge dicht bewachsen mit sattem Grün. Zu ihren Füßen, groß wie ein Meer, liegt in tiefem Blau der Tanganj ikasee.
Nach der Landung auf der Buschpiste muss man in ein sanft schaukelndes Schiff mit blubberndem Mo¬tor umsteigen und eineinhalb Stunden gen Süden fahren. Einem Flusspferd ist sein Versteck im Schilf nicht gut genug: Prustend nimmt es Reißaus, wirft sich ins Wasser, schwimmt aber nicht, sondern rennt erstaunlich schnell auf dem Seegrund davon und
beschwert sich erst danach mit lautem Grunzen über die Störung. Einen Augenblick später sagt der Kapitän lächelnd: „Dort, hinter der nächsten Ecke!" Und man ist endlich, endlich da in „Greystoke Mahale". Und kann es kaum glauben.
Mitten in Afrika steht die perfekte Südsee-Kulisse: Wie in einer Lagune leuchtet das Wasser in der Bucht grünblau und ist derart klar, dass man zehn Meter unter sich die Buntbarsche flitzen sieht. An Land schmeichelt feiner goldener Sand die Füße, ein paar Meter höher verstecken sich sechs „Bandas" am Waldrand. So nennen sie hier die aus dem Holz alter Dhaus gefertigten Chalets. Rustikal auch das offene Haupthaus, durch das immer eine kühlende Brise weht und das sein Dach aus getrock-neten Palmenzweigen gen Boden fallen lässt wie Rapunzel im Märchen. Dahinter beginnt der Dschungel. Und nur, wer hier wohnt — maximal zwölf Gäste pro Tag — kann die im Regenwald le¬benden Schimpansen besuchen. Die meisten leben so versteckt, dass sie nie eine Menschenseele zu Ge¬sicht bekommen. Ein kleiner Familienverband von 60 Tieren hat sich allerdings durch die jahrelange Präsenz von Wissenschaftlern so an Menschen ge¬wöhnt, dass man sie im Wald beobachten kann. Wenn man sie denn findet.
„Es gibt keine Erfolgsgarantie — die Tiere sind wild und verziehen sich manchmal in derart unzugäng-liche Ecken des Parks, dass auch die Fährtensucher sie nicht mehr aufspüren. Doch wir hatten noch nie einen Gast, der zurückkam, ohne die Affen gesehen zu haben", sagt die Münchner Afrika-Reise-Spe-zialistin Margot Deh (Infos: www.artoftravel.de). So machen auch wir uns am nächsten Morgen auf, gu¬ten Mutes und geführt von einem Guide, der dank seines Mundschutzes aussieht wie ein Chirurg. Wir sind, um in diesem Bild zu bleiben, seine Assis-tenten. „Schimpansen sind uns Menschen so ähn-lich, dass wir die Tiere anstecken könnten — mit Grippeviren oder einem simplen Schnupfen, der für die Menschenaffen aber tödlich enden könnte-, er klärt Gabriel Mushi.
Sechs Touristen pro Gruppe, die nur eine Stunde b( den Schimpansen bleiben, wenn man sie denn mit gefunden hat: Nachdem die Regeln klar sind, lx ginnt Gabriel zu erzählen. Für den jungen Guid sind die Tiere wie Familienmitglieder: „Man mus sie nur genau ansehen. Sie haben unterschiedlich Gesichter, und jeder Schimpanse hat auch seinen e: genen Charakter " Da gibt es den rauflustigen Firm Bonobo mit dem weißen Bart und die kinderlos Mkombo, die sich gerne um den Nachwuchs ihn Freundin Totsy kümmert, der vor erst fünf Woche auf die Welt gekommen ist. Gabriels Lieblings schimpanse ist Cadmus: „Er ist ziemlich neugieri und wollte den anderen einmal beweisen, wie muti er ist. Und so ist er einmal direkt auf mich zugegar gen und hat mich am Arm berührt."
Besuch für
Während Gabriel im Flüsterton referiert, bricht übe unseren Köpfen plötzlich das Geheule los. Alle, d€ ren Namen gerade fielen, sind da, die ganze Sippe - und erstaunlicherweise stört es die Affen über
haupt nicht, dass ein paar Menschen zu Besuch gekommen sind. So lassen sie sich in aller Ruhe auf dem Waldboden nieder, kraulen sich gegenseitig das Fell, suchen
mit kleinen Stöcken nach Ameisen, die sie aufspießen und genüsslich verspeisen
Am Ende, die erlaubte Stunde Besuch ist
vorüber, trotten sie sich dann in aller
Ruhe den Hang hinauf.
War ein Besuch bei Verwandter-4, jemals so spannend? Morgen, so viel ist sicher, kommen wir wieder.
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