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Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie
Am Kap Sardäo hat der Osterhase verschlafen! Die Eier im Nest sind schon längst ausgebrütet. Flaumweiche Küken recken ihre Hälse in die Höhe. Sie stammen aber nicht vom Huhn, sondern von ei¬ner Störchin, die die Kleinen gerade mit frischen Würmern füttert. Vielleicht hat es Meister Lampe einfach nicht gewusst: An der Westküste Portugals legen die Störche ihre Eier schon vor Ostern.
Adebar brütet am Meer
Auf den Klippen hoch über dem Meer haben sie ihre Nester gebaut. Drunter donnert die Gischt des Atlan-tischen Ozeans an die Steilküste und übertönt das Fiepen der Frischgeschlüpften. Das Kap Sardäo, 130 Kilometer südlich von Lissabon, ist weltweit vermut-lich die einzige Stelle, an der Weißstörche direkt am Meer brüten!
Im Landesinnern des Alentejo erstrecken sich auf
sanften Hügeln Olivenbaumhaine und Korkeichen-
Mit Zuckerguss überzogene Mandeln werden in Portugal als Symbol der Fruchtbarkeit verschenkt.
wälder. An diesem Tag hängen die Schäfchenwolken zum Greifen nah. Hin und wieder gleitet ein Storch im Tiefflug über die Landstraße. Die Provinz Alen¬tejo ist nur knapp so groß wie Nordrhein-Westfalen, macht aber ein Drittel des portugiesischen Fest
landes aus. In den kleinen Dörfern scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Katzen streichen über das Kopfsteinpflaster, alte Männer mit Baskenmützen sitzen auf einer schattigen Bank vor der Haustür und halten ein Schwätzchen. Sie führen ein ruhiges, gemächliches Leben, weshalb man den Landstrich auch als Ostfriesland Portugals bezeichnet. Hier stört es niemanden, dass der Leuchtturm falsch he¬rum gebaut wurde. Oder dass abends mal ein Wildschwein vor der Dorfdisko auftaucht — wie in Vila Nova de Milfontes, das ein paar Storchennester nördlich vom Kap Sardäo liegt.
Auch wenn der beliebte Ferienort in Werbe-broschüren gern seine „kosmopolitische Atmo¬sphäre" betont, geht es hier im Vergleich zur Algarve sehr beschaulich zu. Die weiß gekalkten Häuser blit¬zen in der Sonne und strahlen eine gewisse Auf¬geräumtheit aus. Hochhäuser wird es in dem 5000¬Einwohner-Ort nie geben, denn er liegt mitten irr Naturpark „Sudoeste Alentejano e Costa Vicentina`
und die Auflagen sind streng. Im Hafen schaukeln statt großer Yachten kleine Fischerboote. Früher nannte man Vila Nova de Milfontes „Ort der drei B's": für Barco, Burro, Brejo. Jeder Einwohner besaß ein Boot, einen Esel und ein Stück Land. Das gilt heute nicht mehr. Doch die meisten Familien haben noch ein Boot, um auf dem breiten Rio Mira her¬umzuschippern, der vor ihrer Haustür schäumend in den Atlantik fließt. Er zählt zu den saubersten Gewässern Europas. Die Flussmündung hatte strate¬gische und wirtschaftliche Vorteile; deshalb gründe¬te König Joäo II. im Jahre 1486 den Ort Milfontes. Am Ufer thront eine efeubewachsene Festung, die als Schutz gegen die Mauren diente, die damals die Stadt brandschatzten.
Bis heute gibt es wenig Industrie, dafür viel
Landwirtschaft. Auf den Feldern wachsen Möhren,
Dem 70-jährigen Portugiesen gehört das Restaurant Paparoca, nicht weit vom Castell entfernt. Das Gebäude aus dem 17. Jahrhundert war früher ein Gefängnis und später eine Schule. „Hier habe ich gelernt", sagt Senhor Antonio, klopft auf den Holztisch vor sich und lacht, weil er gerade auf sei¬nem früheren Schulplatz sitzt. „Und immer, wenn frisch gefangener Fisch eintraf, wurde die Schul¬glocke geläutet", erinnert sich der aktive Wei߬haarige, der braungebrannt und im Polohemd um Jahre jünger wirkt.
Zur Eröffnung des Restaurants veranstalteten er und seine Frau Idälia ein großes Sardinenfest, das inzwischen zur jährlichen Tradition geworden ist. Im „Casa do Adro", direkt neben der Kirche, beher¬bergt das Ehepaar außerdem Feriengäste und ver¬wöhnt sie morgens mit einem opulenten Frühstück
Fruchtbarkeit darstellen. Überall in Bars und Restaurants liegen sie in geflochtenen Körbchen zum Naschen bereit. Schokoladeneier und Oster¬hasen hat Jana erst entdeckt, nachdem zwei deut¬sche Supermärkte eröffnet haben.
Hier ist jede Menge los
Den April mag die junge Frau besonders. „Es ist schon strandwarm, und dabei sind gerade so viele Urlauber da, dass es richtig Spaß macht", meint sie. Ostersonntag läuft sie mit ihren Kindern hinunter an die Strandpromenade, wo jede Menge los ist. An Zeltständen werden Stockfischpasteten und Folar verkauft und regionale Gerichte wie Fischragout und 4ordas — eine Suppe mit Ei und Koriander. Auf einer Bühne führt eine Theatergruppe ihr bestes
Leckere Früchte: Doiia Idälia serviert das beste Frühstück weit und breit.
Zwiebeln, Süßkartoffeln und Erdnüsse. Die Erdbeer¬und Himbeerplantagen gehören zu den größten in Europa. Daneben existieren alte kunsthandwerkli¬che Berufe wie Korbflechter, Töpfer und Teppich¬knüpfer. Selbst die „Viola campaniQa" — eine kurz¬halsige, zehnsaitige Gitarre, die sich ein bisschen nach Mandoline anhört — wird noch auf traditio¬nelle Weise hergestellt.
Milfontes gilt im Frühjahr als Geheimtipp. Überall blühen pinkfarbene Mittagsblumen und die Aus¬wahl an Traumstränden ist groß. Manche erreicht man nur vom Meer aus oder auf einem schmalen Pfad entlang der Klippen. Die Strandflächen ver¬schwinden, wenn die Flut kommt und kehren zu¬rück, sobald die Ebbe sie freigibt. Mitten auf dem Fluss entstehen dann kleine Sandinseln, auf denen hunderte Vögel nach Essbarem picken. Im Fluss kann man wunderbar angeln, im Hinterland wan-dern, reiten oder mountainbiken.
„Der Name Milfontes stammt von Mel e fontes —
Honig und Quellen", vermutet Senhor Antonio.
Das Meer hat der Küste ihr Gesicht gegeben: die Klippen bei Vila Nova de Milfontes.
und nachmittags mit selbst gebackenem Kuchen. Zu Ostern backt Doria Idälia den traditionellen Osterkuchen „Folar". Dafür knetet sie einen Hefe¬teig, würzt ihn mit Anis, steckt ein rohes Ei mit Schale hinein und backt ihn im Ofen. Später wird er in Scheiben geschnitten. Der Kuchen schmeckt nur leicht süß. Die Eierschale pult man während des Essens heraus.
Zuckermandeln statt Eier
An diesem Tag ist Jana Winkel zu Besuch im Casa do Adro. Die hübsche Dunkelhaarige kommt aus Thüringen und lebt seit 13 Jahren in Milfontes. Schließlich rückt sie mit der Wahrheit raus: Der Osterhase hat nicht verschlafen — man kennt ihn hier gar nicht! „Meine Nachbarn lachen immer, wenn meine Kinder zu Ostern im Garten ihre Über¬raschungen suchen", sagt sie. Statt Eier zu verste¬cken, schenkt man sich bunte, mit Zuckerguss über¬zogene Mandeln, die ebenfalls ein Symbol der
Die Kirche des kleinen Fischerorts Vila Nova de Milfontes lädt zu einem Besuch ein.
Stück auf und der Chor singt alte Volksweisen. Statt Fado ist der traditionelle „Gante" verbreitet, der frü¬her nur von Männern gesungen wurde. Beim Wett¬bewerb „0 Pair Ensopado" balancieren die Teil¬nehmer auf einem eingefetteten Baumstamm über den Fluss. Wer die Fahne am Ende des Stammes ein¬holt, hat gewonnen. Für viele endet der Versuch aber mit einem erfrischenden Bad im kühlen Wasser. Abends gehen Lichter und Laternen an. Am Strand lodern die Flammen eines Lagerfeuers und Musik¬bands rocken die Nacht herbei. Drei Tage lang dau-ert die Veranstaltung — von den Einheimischen „Fest des Tourismus" genannt. Dass die meisten Urlauber erst im Juli und August kommen, spielt da¬bei keine Rolle. Im Sommer gibt es wieder andere Gründe zum Feiern — das religiöse Fest der Nossa Senhora da Grna beispielsweise. Dabei schippern die Boote in einer Prozession auf dem Rio Mira. Nur die jungen Störche wird man im Hochsommer nicht mehr sehen. Denn die haben ihre Nester dann schon längst verlassen
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