Author Selzer-McKenzie
Donnerstag, 24. Oktober 1929: „Die Börse eröffnete normal und für kurze Zeit blieben die Preise fest. Doch der Angebotsdruck wuchs sich zur Lawine aus, um 11.30 Uhr war der Markt von blinder, hoffnungsloser Angst erfüllt. Die Panik war da." So beschreibt der renommierte Wirtschaftswissenschaftler John Kenneth Galbraith den Kurssturz an der Wall Street im Herbst des Jahres 1929, der gemeinhin als Beginn der Weltwirtschaftskrise gilt. In der historischen Rückschau aber zeigt sich, dass der Kurseinbruch zwar Auslöser der Krise war - die Ursachen aber tiefer lagen.
Nur wenige ahnten damals, dass der 24. Oktober 1929 das Ende der Goldenen Zwanziger Jahre markierte. Der erste Weltkrieg war 1918 endlich vorbei, Deutschland hatte den Krieg verloren. Schnell zeigte sich jedoch, dass auch die Siegermächte England und Frankreich wirtschaftlich zu den Verlierern des ersten Weltkriegs zählten. Die USA, die beiden europäischen Verbündeten mit Krediten unter die Arme gegriffen hatten, stiegen als Gläubigernation zur wirtschaftlichen Weltmacht auf Die Waalstreet in New York drängte die
Londoner City in den Hintergrund und dominierte nun das internationale Kredit-und Anleihegeschäft.
Während sich in Europa der Unternehmenssektor mit der Umstellung von Kriegs- auf Friedensproduktion schwer tat, produzierten die Unternehmen in den USA auf Hochtouren. Fabriken wurden erneuert und rationalisiert. Autos wurden per Fließband gebaut, elektrische Geräte wie Radios, Telefon und Staubsauger wurden entwickelt und auf den Markt gebracht. Das alte Europa konnte hier nicht mithalten, erhielt aber von den USA die notwendigen Kredite, um auch am Wohlstand teilzuhaben. Auf Cocktailpartys wurden neue Tanze wie der Charleston vorgeführt. Der Optimismus kannte kaum noch Grenzen.
Höhenflug mit Schönheitsfehler. Von einem solchen Umfeld profitiert natürlich auch die Börse. Immer mehr private Anleger entdeckten den Spaß an Börsengeschäften. Schließlich warfen diese in der Regel auch hohe Gewinne ab. Und selbst mit Hebelkraft wurde spekuliert. Die Makler räumten den Anlegern dafür hohe Kredite ein. Die Wallstreet wurde zu einer Quelle der Prosperität für die Mittelschicht. Auch die Politik begann auf der Welle des Optimismus mitzuschwimmen. Herbert Hoover zog 1928 mit dem Slogan in die Präsidentenwahl: „Wir in Amerika sind dem endgültigen Triumph über die Armut näher als je zuvor ein Land in der Geschichte." Er gewann und verkündete weiter, dass Gott den USA die Chance gegeben habe, die Armut aus der Nation zu verbannen.
Er übersah dabei, dass der erreichte Wohlstand auf Kredit gebaut war-und das nicht nur in den USA selbst, sondern in einem noch erheblicheren Maße zwischen den USA und dem Ausland. Die Vereinigten Staaten verzichteten zwar auf Reparationen aus Deutschland, bestanden aber auf der Rückzahlung ihrer Kredite an die Verbündeten. England und Frankreich versuchten, diese Gelder in Deutschland als Reparationen einzutreiben. Um diese Zahlungen zu leisten, musste das Deutsche Reich sich wiederum in den USA verschulden.
Schon kurz nach dem Krieg sah der Ökonom John Maynard Keynes voraus, dass das Schuldengeflecht - bestehend aus alten Kriegskrediten und Reparationen - den Wieder- aufbau des alten Kontinents stark hemmen würde. Er nahm damals als Vertreter des britischen Schatzamts an den Ver-sailler Friedensverhandlungen teil. Seine Forderung, alle Kreditverpflichtungen zu annullieren und damit den wirtschaftlichen Aufbau Europas zu erleichtern, wurde überhört.
Im Herbst 1927 heizte die amerikanische Zentralbank den Kreditboom noch mal richtig an. Um den Zufluss von Kapital aus Europa nach Amerika zu bremsen, senkte sie den Diskontsatz von vier auf 3,5 Prozent. Zusätzlich begann die Fede-ral Reserve Bank noch mit dem Aufkauf von Staatsanleihen in großem Stil. Weiterer Treibstoff für die Spekulations- und Kreditblase war damit vorhanden. Und auch für Phantasie war dank technologischer Durchbrüche wie dem Telefon, dem Radio, der Massenherstellung im Automobilsektor und dem Flugzeug gesorgt.
Teufelskreis der Krise. Eine Hausse endet, wenn Geld knapp wird. In der Euphorie wurden die Warnzeichen dafür übersehen. Im Jahr 1929 schwappte eine Welle von Zinserhöhun 9en über die Industriestaa- Europa hinweg. Die Notenbanken wollten damit verhindern, dass das spekulative Geld an die Wall Street in New York floss. Diese Geldpolitik führte zu einer Verknappung der Liquidität. Zusätzlich sorgten erste Unternehmenspleiten für Unsicherheit. Am 24. Oktober 1929 war es dann soweit - die Aktienkurse kamen in den USA ins Rutschen Ende Oktober 1929 war jedem Investor klar, dass der Bullenmarkt vorbei war. Der Dow Jones notierte rund 40 Prozent unter seinem Hoch vom September. Viele Investoren, die Aktien auf Kredit gekauft hatten, waren ruiniert und die Stimmung in der Wirtschaft sank. Der Traum von der Überwindung der Armut war ausgeträumt. Konsumenten, die auf Kredit ihr Auto finanziert hatten, machten sich plötzlich Sorgen. Und auch die Banken schränkten ihre Kreditvergabe ein.
In der historischen Rückschau müssen vor allem die Ratschläge der damals führenden Ökonomen als verheerend bezeichnet werden. Der damaligen ökonomischen Lehrmeinung zufolge hatten eine Ausweitung der Geldmenge oder Steuererleichterungen keine stimulierende Wirkung auf die Güterproduktion, sondern führten nur zu höheren Preisen. Die Sorge um den Ausgleich des Staatshaushalts stand im Mittelpunkt der wirtschaftspolitischen Bemühungen.
Bei sinkenden Staatseinnahmen mussten folglich auch die Ausgaben zurückgehen, wodurch faktisch eine prozyklische Wirtschaftspolitik betrieben wurde und sich die wirtschaftliche Talfahrt nur noch beschleunigte. Der Volkswirtschaftslehre der Zeit entsprechend sollten Angebot und Nachfrage nach einer gesamtwirtschaftlichen Störung dank flexibler Preise und Löhne von selbst wieder ins Gleichgewicht zurückfinden und zur Vollbeschäftigung führen.
Zu den Politikern, die der Gleichgewichtshypothese der damaligen Volkswirtschaftslehre anhingen, gehörten der US-Präsident Hoover und der Deutsche Reichskanzler Heinrich Brüning. Gestützt auf das Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten und ohne Zustimmung des Parlaments erhöhte Brüning in der Depression die direkten und indirekten Steuern, außerdem wurden die Sozialausgaben sowie die Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst massiv gesenkt. Im Herbst 1931 verschärfte die Regierung durch staatlich festgelegte Lohn-, Preis- und Mietsenkungen noch einmal bewusst ihren Anti-Inflationskurs - mit
ehe Nachfrage noch weiter sank und sich die Deflation verstärkte.
Unternehmen gingen pleite und Banken brachen zusammen. Die Sparer begannen ihr Geld im Sparstrumpf zu horten. Deutschland, das nach dem verlorenen Krieg auf ausländische
durch die große Inflation von 1923 verarmte Mittelstand verlor nun seine Arbeit und sein Einkommen. Dass in einer Deflation die Preise fallen, hilft wenig, wenn es keine Arbeit und damit keinen Lohn gibt.
Eine Revolution in der Volkswirtschaftslehre. Zwar warb noch 1932 Hoover in seinem Wahlkampf mit dem Slogan „Prosperity is just around the cor-ner". Aber er verlor gegen Franklin Delano Roosevelt und seinen „New Deal". Dieser Begriff stand für staatliche Ausgabenprogramme und den Aufbau von Sozialversicherungen, die tatsächlich der Wirtschaft Auftrieb gaben. Die orthodoxen Lehren der Ökonomie hatten in der Krise
an Glaubwürdigkeit eingebüßt. In dieser Situation formulierte der britische Ökonom John Maynard Keynes ausgehend von den Erfahrungen eines relativ starren Lohn-Preis-Gefüges die These, dass eine Volkswirtschaft sehr wohl in einem Zustand verharren kann, in
beitslosigkeit herrscht. In einer solchen Situation vermag der Staat laut Keynes durch eine aktive Geld- und Fiskalpolitik gesamtwirtschaftliche Nachfragelücken zu schließen.
Dem Ökonomen zufolge konnte die Politik also mehr tun, als die Hände in den Schoß zu legen und darauf zu vertrauen, dass die „unsichtbare Hand des Marktes" wieder zur Vollbeschäftigung führen würde. Im Verlauf der Krise führten daher immer mehr Länder wohlfahrtsstaatliche Systeme ein. Keynes hatte mit seinen Argumenten eine Revolution in der Volkswirtschaftslehre herbeigeführt und der Keynesianismus wurde nach dem Zweiten Weltkrieg eine Zeit lang zur dominierenden volkswirtschaftlichen Schule.
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