Der Film Metropolis von Fritz Lang aus dem Jahre 1927
Ein Kommentar von D.Selzer-McKenzie
Video: 3 Teile zusammen 25 Minuten
Video Teil 1:
http://www.youtube.com/watch?v=s0AgWCSfW58
Video Teil 2:
http://www.youtube.com/watch?v=RvTdZHHFo6A
Video Teil 3:
http://www.youtube.com/watch?v=6bZB_9Qz82w
Auf dem Video sehen Sie einen längeren Ausschnitt des Films aus dem Jahre 1927.
Achtzig Jahre lang galt die ursprüngliche Fassung von -Fritz Langs Meiste‘fwerk
„Metropolis" als verschollen. Dann tauchte eine Kopie in Buenos Aires auf. Jetzt ist der Film wieder (fast) komplett.
Im April des Jahres 1927 geht der Schrift- steller H. G. Wells, der Autor des von Spiel-berg verfilmten und von Orson Welles ver
tonten „Kriegs der Welten" und der „Zeitma¬schine", ins Kino, um sich einen deutschen Sci¬ence-Fiction-Film anzuschauen. Seine Eindrü¬cke fasst er in einem Bericht für die „New York Times" zusammen: „Ich habe gerade den allerdümmsten Film gesehen. Ich glaube nicht, dass es möglich wäre, einen noch düm¬meren zu machen. Er heißt Metropolis und kommt von den großen Ufa-Studios in Deutschland, und dem Publikum wird zu ver¬stehen gegeben, dass er mit einem enormen Budget produziert wurde. Originalität gibt es keine darin. Auch keinen eigenständigen Ge¬danken. Keinen einzigen Moment lang glaubt man irgendetwas von dieser blödsinnigen Ge-schichte. Man kann nicht einmal darüber la-chen. Es gibt keine einzige gut aussehende, sympathische oder lustige Figur in der Beset¬zungsliste. Mein Glaube an das deutsche Un¬ternehmertum hat einen Schock erlitten .. Sechs Millionen Mark! Was für eine Ver¬schwendung!"
Knapp dreiundneunzig Jahre später sitzt der Dirigent Frank Strobel in einem Berliner Cafe und freut sich über „Metropolis". Strobel, Mitbegründer und künstlerischer Leiter der Europäischen Filmphilharmonie, hat gerade gemeinsam mit zwei Experten von der Deut¬schen Kinemathek Berlin und der Wiesbade¬ner Murnau Stiftung die bisher längste und vorerst endgültige restaurierte Version des deutschen Stummfilmklassikers erstellt. Am 12. Februar wird er im Berliner Friedrichstadt¬palast die Uraufführung der neuen „Metropo¬lis"-Fassung mit der Originalmusik des Kom¬ponisten Gottfried Huppertz dirigieren. Ein¬einhalb Jahre hat die Arbeit an dem Film ge¬dauert, der jetzt fast zweieinhalb Stunden lang ist, nur wenig kürzer als bei seiner Pre¬miere im Januar 1927. Zwar werde an Feinhei¬ten immer noch gefeilt, sagt Strobel, aber im Großen und Ganzen sei die Restaurierung ab-geschlossen. Ein Glücksgefühl sei es gewesen, als er zum ersten Mal den nahezu vollständi¬gen Film gesehen habe. „Ich arbeite seit sechs¬undzwanzig Jahren mit ,Metropolis`, und jetzt sind endlich die Stellen weg, bei denen ich im¬mer gedacht habe: Das ist doch Murks!"
Man könnte meinen, der Schriftsteller Wells und der Musiker Strobel sprächen über zwei völlig verschiedene Kinowerke. Und doch reden sie über den gleichen Film. Seine Geschichte, in der die Berliner Aufführung im
Februar — eine zweite „Metropolis"-Gala fin¬det zur gleichen Zeit in der Alten Oper in Frankfurt statt — ein völlig neues Kapitel auf¬schlagen wird, ist ein kinematographisches Drama ganz eigener Art. Es handelt von ei¬nem Regisseur, der den größten Film aller Zei¬ten drehen, von seiner Produktionsgesell¬schaft, die daraus ein marktfähiges Produkt, und von einer Nachwelt, die aus den Bruchstü¬cken eines zerstörten Kunstwerks dessen ur-sprüngliche Gestalt herauslesen will. Es ist eine Geschichte, die viel über die Flüchtigkeit und Verletzlichkeit der Kinobilder verrät — und über den Zufall, der sie mal hierhin, mal dorthin weht und an den überraschendsten Stellen plötzlich wieder auftauchenlässt.
Die Story von „Metropolis" beginnt im Frühjahr 1924. In Deutschland klingen in je¬nen Tagen gerade die Nachwirkungen der In¬flation von 1923 ab, die große Nachkriegskri¬se ist vorbei, die Weimarer Republik holt
ren, andere am Elend eine goldene Nase ver-dient. Die letzten Arbeiteraufstände liegen erst wenige Wochen zurück. Doch die Varie tes, die Tanz"--iind Sh-o-Vv-paläste der Hauptstadt boomen. Von diesem Abgrund zwischen Oben und Unten, Arm und Reich wollen der Regisseur Fritz Lang.und seine Frau, die Dreh¬buchautorin Thea von Harbou, in ihrem neu¬en gemeinsamen Werk erzählen. Der Film soll noch größer werden als die Zweiteiler „Dr. Ma¬buse, der Spieler" und „Die Nibelungen", mit denen Lang in den Krisenjahren Millionen Deutsche ins Kino gelockt hat. „Dr. Mabuse" war ein Schauerbild deutscher Zerrüttung, das Nibelungen-Epos ein Weihespiel germani-schen Heldentums. „Metropolis" soll beides sein.
Im Herbst 1924 reist Lang mit dem Produ¬zenten Erich Pommer in die Vereinigten Staa¬ten. In New York fotografiert er den nächtli¬chen Broadway, und hier findet er auch die Vorbilder für die Hochhausschluchten seines Films. Im folgenden Winter beginnen Langs Bühnenbildner Erich Kettelhut, Otto Hunte und Karl Vollbrecht mit den Vorarbeiten für „Metropolis", von Mai 1925 bis Oktober 1926 wird in Babelsberg und Umgebung gedreht. Es wird die teuerste Ufa-Produktion vor „Münch¬hausen" und der teuerste deutsche Stummfilm überhaupt. Mehr als dreißigtausend Statisten bevölkern den Set, viele Großbauten, für die die Studiohallen der Ufa zu klein sind, werden im Freien errichtet. Für eine Szene, die vom Turmbau zu Babel erzählt, werden allein sechstausend Kahlköpfige gebraucht. Weil nur tausend zu haben sind, lässt Langs Kame¬ramann Günther Rittau dieselbe Kolonne sechsmal von verschiedenen Seiten auf sich zu-marschieren, deckt den Rest des Bildes ab und blendet die so gewonnenen Einstellungen inei¬nander.
Andere Szenen werden mit dem sogenann¬ten Schüfftan-Verfahren gedreht, bei dem ein verkleinertes Modell des Schauplatzes mit Hil¬fe eines gekippten Spiegels vor der Kamera in die realen Aufbauten eingefügt wird. So entste¬hen die Ansichten der beiden gewaltigen Ma-schinenhallen und der unterirdischen Arbei-terstadt. Die Autos, Fußgänger und Bahnen, die sich zwischen den gemalten Wolkenkrat-zern von „Metropolis" bewegen, werden im Stop-Motion-Verfahren Bild für Bild weiterge¬rückt und fotografiert. Eine Liftvorrichtung bewegt die Leuchtringe, welche die Mensch¬werdung des Roboters anzeigen und so lange übereinanderkopiert werden, bis sie sich zu ei¬nem Zauberspiel übereinandergleitender Lichtkränze ergänzen. Einzelne Aufnahmen werden bis zu dreißigmal belichtet, damit die
Illusion elektrischer Blitze und flimm erfreier Überwachungsbildschirme vollkommen ist.
In einer Zeit, die weder Computeranimati¬on noch-digitale Nachbearbeitung kennt, ent¬steht so das makellose Abbild einer Welt, die weder Gegenwart noch Zukunft ist, sondern eine märchenhafte Mischung aus beidem. Auch die Geschichte, die der Film erzählt, blendet wie mit einem Schüfftan-Trick altdeut¬sche Romantik und neudeutsche Kapitalismus-kritik ineinander. Rotwang, ein zwielichtiger Erfinder, hat einen Maschinenmenschen kon¬struiert, durch den er seine verstorbene Ge¬liebte Hel wiederbeleben will. Zugleich ver¬sucht Freder, der Sohn des Herrschers von Me-tropolis, zusammen mit seiner Freundin Ma¬ria das Los der Arbeiter zu erleichtern, die in Katakomben unter der Erde für den Reichtum der Millionenstadt schuften müssen. Als Rot¬wang seinem Roboter das Gesicht Marias gibt und ihn auf die Arbeiter loslässt, gerät die so¬ziale Ordnung außer Kontrolle. Die Maschi¬nen werden gestürmt, Wassermassen überflu¬ten die unterirdische Schlafstadt, droben in den Palästen gehen die Lichter aus. Am Ende kämpft Freder mit Rotwang um das Schicksal der Metropole — auf dem Dach einer gotischen Kathedrale, die wie ein riesiger schwarzer Splitter zwischen den Hochhausfassaden steckt.
Ein Foto vom Set, das in der am Donners¬tag eröffneten Ausstellung „The Complete Me¬tropolis" in der Deutschen Kinemathek Berlin zu sehen ist, zeigt die Schauspielerin Brigitte Helm zusammen mit Fritz Lang und Thea von Harbou. Die drei machen Musik: Helm spielt Saxophon, Harbou Klavier, Lang sitzt am Schlagzeug. Brigitte Helm, die zu Beginn der Dreharbeiten gerade neunzehn Jahre alt war und noch nie vor einer Kamera gestanden hat¬te, trägt die bildliche und symbolische Haupt¬last des Films. Sie ist zugleich die falsche und die echte Maria, die verruchte Maschinenfrau und die blonde Arbeiterheilige. Als geheime Herrscherin der Katakomben verkörpert sie das Gegenprinzip zur oberirdisch waltenden Moderne, als Robotermensch deren dämoni¬sche Erfüllung. Für den jungen Star von „Me¬tropolis" wurden viele Drehtage zur Tortur. In der Szene der großen Überschwemmung musste Brigitte Helm stundenlang im Wasser stehen, als Roboter wurde sie in ein hölzernes Korsett gepresst, und bei der Arbeit an der Ein¬stellung, die den Tod der falschen Maria auf dem Scheiterhaufen zeigt, fing ihr Kostüm Feuer. Dennoch hat sie nie ein böses Wort über Fritz Läng verloren. Noch zehn Jahre lang spielte sie Hauptrollen in Ufa-Produktio¬nen, darunter „Alraune" und „Die Herrin von
Atlantis", aber „Metropolis" blieb der Film ih¬res Lebens. 1935 beendete sie ihre Karriere und heiratete einen Industriellen. Die vollstän¬dige Fassung ihres Debütfitris hat sie nach &r Uraufführung nicht mehr gesehen.
Am 10. Januar 1927 hat „Metropolis" im Berliner Ufa-Palast am Zoo Premiere. Sie wird zum Triumph. Doch inzwischen steckt die Produktionsfirma nach zwei Verlustjah-ren in akuten Schwierigkeiten. Schon im Vor¬jahr hat die Ufa, um an frisches Geld zu kom¬men, mit den amerikanischen Filmstudios Pa¬ramount und Metro Goldwyn Mayer einen Vertrag gemacht, der sie zwingt, ständig in der Hälfte ihrer Kinos Hollywoodware zu spielen, während die Amerikaner Ufa-Filme nach Gutdünken in den Verleih nehmen dür¬fen. Im Rahmen dieser Vereinbarung geht im Dezember 1926 eine Kopie von „Metropolis" nach Kalifornien. Der Paramount ist der Film mit gut zweieinhalb Stunden Spieldauer zu lang. Sie beauftragt den Bühnenautor Channing Pollock, eine gestraffte Version zu erstellen. Pollock kürzt den Film um ein Vier¬tel, stellt Szenen um, lässt Figuren unter den Tisch fallen und macht aus dem düsteren Ein-zelgänger Rotwang einen Freund und Ange¬stellten des Herren von Metropolis. In dieser Fassung kommt der Film im März in New York und London in die Kinos, und so sieht ihn auch H. G. Wells.
In der Zwischenzeit haben sich auch in Deutschland die Verhältnisse gegen Fritz Lang gekehrt. Ende März 1927 übernimmt der Großindustrielle Alfred Hugenberg die an¬geschlagene Ufa. Von Hugenbergs Rechnungs-prüfern getriezt, suchen die Ufa-Verantwortli¬chen nach einem Sündenbock: Es ist „Metro¬polis". Der Film habe durch seine Gigantoma¬nie die Firma in die roten Zahlen getrieben, heißt es. Vergeblich ringt Lang durch seinen Anwalt um eine Gegendarstellung. Als sich Anfang April abzeichnet, dass der Film, den die Ufa in nur einem einzigen Berliner Kino gestartet hat, kein kommerzieller Erfolg ist, wird „Metropolis" aus dem Verleih genom¬men. Jetzt soll der Film in der amerikanischen Fassung vertrieben werden, aber ohne die „pietistischen Stellen" und die Zwischentitel „mit kommunistischer Tendenz". Als „Metro¬polis", jetzt nur noch knapp zwei Stunden lang, im August landesweit in die Kinos kommt, spaltet sich die Kritik in Anhänger der Premierenfassung, die den ästhetischen Ver¬lust betrauern, und Verächter des Films in je¬der Form. Rudolf Arnheim spielt, wie viele sei¬ner Kollegen, die Autorin von Harbou und ih¬ren Ehemann Lang gegeneinander
aus: Dieser habe „viele schöne Bilder" geschaf¬fen, jene dagegen treibe „mit Entsetzen r Kitsch". Und aus Madrid höhnt Luis Buriuel, „Metropolis" bestehe aus zwei Filmen, die „an der Hüfte zusammengewachsen" seien.
Von da an verliert sich die Spur der Urfas¬sung des Films. Die Ufa, die die herausgeschnit¬tenen Szenen offenbar sofort vernichtet hat, legt 1934 eine abermals gekürzte, nur gut neun¬zigminütige „Metropolis"-Version ins neu ge¬gründete Reichsfilmarchiv. Von ihr zieht Iris Barry, die Kuratorin der Filmbibliothek des New Yorker Museum of Modern Art, drei Jahre später eine Kopie. Eine Kopie dieser Kopie ge-langt 1938 in die British Film Library nach London. Von dort aus reist der Film nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Kinematheken und Filmclubs von Westeuropa. Bergman, Felli¬ni, Bresson, die jungen Wilden der Nouvelle Vague — ganze Generationen von Cinephilen und künftigen Regisseuren haben Langs Film in dieser verstümmelten, teils stummen, teils nachvertonten Fassung kennengelernt.
Schließlich machte sich Anfang der siebzi¬ger Jahre, noch zu Lebzeiten Fritz Langs, der Filmhistoriker Enno Patalas auf den Weg, die verlorenen Szenen von „Metropolis" wiederzu¬finden. Patalas, seit 1974 Leiter des Münchner Filmmuseums, stöberte in Filmarchiven auf der ganzen Welt — und wurde fündig. In Ostber¬lin, Moskau, New York, sogar in Melbourne entdeckte er mehr oder minder vollständige, zum Teil sogar viragierte — monochrom einge¬färbte — Kopien des Films. Allerdings fußten sie allesamt auf der Verleihfassung der Para-mount vom März 1927. Auf der Basis dieses Materials veröffentlichten Patalas und sein Kol¬lege Martin Koerber im Jahr 2001 eine restau¬rierte „Metropolis"-Version auf DVD. Vier Jah¬re später folgte eine Studienfassung, unterlegt mit dem vollständigen Klavierauszug der Origi-nalmusik von Gottfried Huppertz, in der die fehlenden Szenen durch Setfotos, beschreiben¬de Titel und Schwarzfilm markiert waren. Mit einer Wiederentdeckung der Premierenfas¬sung rechnete, acht Jahrzehnte nach ihrer Zer¬störung, niemand mehr. Bis vor zwei Jahren ein Anruf aus Buenos Aires kam.
Dort hatte der Filmkritiker und Festivalchef Fernando Peria schon vor längerer Zeit von ei¬ner „Metropolis"-Kopie gehört, die angeblich über zwei Stunden lang war. Die Filmrollen la¬gen im Archiv des städtischen Filmmuseums • Anfang 2008 wurde Peilas Exfrau Paula F6lix¬Didier zur Museumsleiterin ernannt. Sie lud Peria zu einem Archivbesuch ein. Die beiden fanden zwei Filmrollen im 16-Millimeter-For¬mat, die in den siebziger Jahren als Negativ von einer 35-Millimeter-Nitrofilmkopie gezo
gen worden waren. Die Rollen enthielten die verkratzte, verschlierte, durch hundertfachen Gebrauch zerschlissene und vergilbte Original¬fassung von „Metropolis".
Wie war Fritz Langs Opus magnum nach Buenos Aires gelangt? Dazu muss man ins Jahr 1927 zurückgehen. Damals nahm der ar¬gentinische Filmverleiher Adolfo Z. Wilson — sein Name prangt im Abspann der wiederent¬deckten Version — eine Kopie von „Metropolis" in seine Heimat mit. Nach dem Kinoeinsatz wurden Filmkopien gewöhnlich vernichtet; neunzig Prozent aller Stummfilme sind auf die¬se Weise für immer verlorengegangen. Wilson aber schenkte seine „Metropolis"-Rollen ei¬nem Freund und Filmkritiker, der sie in seine Privatsammlung aufnahm und bis in die sechzi¬ger Jahre im kleinen Kreis vorführte. Danach ging die Sammlung an den Nationalen Kunst¬fonds, der die alten, leicht entflammbaren Ni¬trofilme aus Feuerschutzgründen umkopierte und anschließend vernichtete.
Die deutschen „Metropolis"-Experten woll¬ten die Nachricht von der Wiederentdeckung der originalen Schnittfassung zunächst nicht glauben. Zu viel cinephiles Seemannsgarn, zu viele Falschmeldungen und Spekulationen wa¬ren in den vergangenen Jahrzehnten um den le-gendären Fall gesponnen worden. Erst eine Sichtung im Juni 2008 in Berlin überzeugte sie von der Authentizität des Fundes. Martin Koer¬ber, der Restaurierungsleiter der Deutschen Ki¬nemathek, erinnert sich an den Augenblick, als er die erste verloren geglaubte Filmszene wiedersah. Der Film, so Koerber, war plötzlich „ein bisschen weniger zerstört" als zuvor. So¬gar sehr viel weniger zerstört, wie sich zeigte. Denn die Kopie aus Argentinien enthält eben nicht nur die meisten bisher noch fehlenden Szenen aus „Metropolis", sondern auch die Schnittfolge, in der Fritz Lang sie ursprünglich arrangiert hat. Sie ist, neudeutsch gesagt, der Director's Cut eines Jahrhundertfilms.
Was sieht man nun in diesen Bildern? All das, was H. G. Wells, Bufluel und mit ihnen sämtliche „Metropolis"-Zuschauer der vergan¬genen achtzig Jahre nicht mehr gesehen ha¬ben. Zunächst und vor allem begreift man nun, worum es dem verrückten Rotwang und sei¬nem Widersacher Fredersen, dem Herrscher der Metropolis, eigentlich geht: um eine Frau. Beide haben Hel geliebt, aber Fredersen hat sie bekommen. Deshalb will Rotwang ihn, sei¬ne Stadt und seinen Sohn, bei dessen Geburt die Vergötterte starb, durch seinen Roboter ver¬nichten. Und ebenso, wie Rotwang und Freder¬sen zwei faustische Grundtypen der Moderne verkörpern, bilden auch zwei Nebenfiguren in Langs Film ein Gegensatzpaar. Der eine, der
nur „der Schmale" genannt wird, soll Freder im Auftrag seines Vaters überwachen und ihn daran hindern, sich mit den Arbeitern gemein zu machen; der andere, Josaphat, war Freder¬sens Angestellter und ist nun eine Art Berater seines Sohnes. Beide gewinnen durch das wie¬dergefundene Material zum ersten Mal Kon¬tur. Aber auch Schlüsselszenen wie die Flucht der Arbeiterkinder aus der überfluteten Unter¬stadt oder Freders Traum von der Fleischwer¬dung der Sieben Tcidsünden in der Maschinen¬frau werden auf ganz neue Weise verständlich. Es ist, als wären die erzählerischen Gewichte des Films endlich wieder ins Gleichgewicht ge¬bracht, die schattenhaften Gestalten wiederbe¬lebt, die Perspektiven geradegerückt.
Die Musik von Gottfried Huppertz hat, wie Frank Strobel berichtet, bei der Restaurierung eine entscheidende Rolle gespielt. Huppertz nämlich hatte im Manuskript seiner Kompositi¬on zu „Metropolis" mehr als tausend sogenann¬te „Synchronpunkte" notiert — knappe Hinwei¬se auf Bildinhalte, zu denen die Musik die ent¬sprechende Untermalung liefert. Auf diese Weise ließ sich nicht nur die Länge der Szenen, sondern auch ihre innere Struktur genau be¬stimmen. Immer dann, wenp sich die Restaura- ' toren über die Abfolge einzelner Einstellungen uneins waren, konsultierten sie die von Strobel vervollständigte Orchesterpartitur. Und fast immer bestätigte die Musik die Varianten der argentinischen Fassung. So ist es nicht nur ein ergänzter, sondern ein buchstäblich wiederge¬borener Film, der am 12. Februar aufgeführt und im Laufe dieses Jahres auf DVD veröffent¬licht werden wird.
„Metropolis" bleibt auch nach dem Sensati¬onsfund von Buenos Aires ein Kunstwerk mit Lücken und Schrammen. Noch immer sind etwa zehn Minuten der Premierenfassung ver¬schollen, und die Verschleißspuren der Kopie aus Argentinien werden auch nach eineinhalb-jähriger digitaler Auffrischung in den Bildern zu sehen sein. Aber ab jetzt ist Fritz Langs grö߬ter Film kein Torso mehr. Jene Bruchstücke, die ihm noch fehlen, werden an seiner Gestalt nichts mehr grundsätzlich ändern. Mit der Res¬laurierung von „Metropolis" geht eine Ge¬schichte zu Ende, die zu den tragischsten und gleichzeitig glücklichsten in der Geschichte des Kinos gehört. Die fünf Millionen Mark — sie waren doch nicht verschwendet. Denn der Film, in den sie flossen, ist wieder da.
The Film Metropolis by Fritz Lang 1927 comment SelMcKenzie Selzer-McKenzie
The Film Metropolis Part 1/3 by Fritz Lang 1927 comment SelMcKenzie Selzer-McKenzie
The Film Metropolis Part 2/3 by Fritz Lang 1927 comment SelMcKenzie Selzer-McKenzie
The Film Metropolis Part 3/3 by Fritz Lang 1927 comment SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Samstag, 23. Januar 2010
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