Turku Finland Reise Travel SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie
Video:
http://www.youtube.com/watch?v=mZSlSpa8YU0
Ein Wohnsitz am Fluss
Irgendwie herrscht hier architektonisches Chaos. Holzbaracken stehen neben Betonplatten, zwischendrin wieder schönster Jugendstil — ein Spaziergang durch die älteste Stadt Finnlands.
Möwen ziehen ihre Bahn durch den stahlblauen Himmel. Ihr Lachen ist überall und hallt von al¬len Gebäudemauem zurück. In seiner schrillen Art übertönt es das Rauschen der Autos auf der Itäinen¬Rantakatu-Straße. Nun sitze ich in einer Kneipe, die sich an Deck eines der Schiffe eingerichtet hat. Sie liegen am Kai des Flusses Aura. Die Sonne wärmt, aber sie grillt nicht. Der schwedische Name Turkus ist Abo und bedeutet „Wohnsitz am Fluss". Gut fünf Prozent der Einwohner sprechen schwedisch, des¬halb ist Turku offiziell zweisprachig. In Stahlbeton¬platten ruhig gestellt, fließt die Aura ihrem endgül¬tigen Ziel entgegen: der Ostsee. Dieses Schiffsdeck ist ein schöner Platz, um über meine ersten Spazier¬gänge in Turku nachzudenken.
Gehen und sehen
Gestern Abend, nachdem ich meine Koffer im Zimmer abgestellt hatte, bin ich losgezogen. Und da es nicht dunkel wurde, wurde ich auch nicht müde. Weil ich nicht müde wurde, ging ich weiter. Erst um den Block meines Hotels, dann eine neue Runde, in zwei Blöcken Distanz und so weiter. Bis die Aura mich daran hinderte, noch größere Kreise zu zie
hen. Also ging ich den Fluss entlang. Links zur Kathedrale und dann am anderen Kai hinunter bis zur Burg. Wie lange ich unterwegs war, weiß ich nicht. Aber die alte Schule, die nun eine Kneipe ist, hatte noch offen. Genau so wollte ich die Stadt ken-nenlernen. Gehen und sehen.
Und fertig war Turku
Je weiter ich kam, desto größer wurde auch das Chaos. Diese Stadt wirkt zufällig auf mich, als habe jemand eine Menge an Holzklotzhäuschen vieler Epochen genommen, geschüttelt und ausgeschüt¬tet. Dann wurden alle gedreht, die falsch gefallen waren — und fertig war ihrku. Holzbaracken neben Betonplattenbauten und zwischendrin schönster Jugendstil plus Gründerzeit. Die Baukommission war wohl gerade in Urlaub, als das passierte. Ich hatte gelesen, dass Turku die älteste Stadt Finnlands ist. Nun bin ich etwas irritiert. Offenbar verschwim¬men im Norden nicht nur die Übergänge zwischen Tag und Nacht. Im Sommer ist die Nacht für eini¬ge Wochen Tag und im Winter ist der Tag auch Nacht.
kichernd auf ihren High Heels weiter, ohne sich noch einmal umzudrehen — gestützt von ihren Begleiterinnen.
Turku habe ich mir anders vorgestellt. Ich weiß nicht wie, aber: Der Name hat schließlich auch nicht den Klang von Siena oder Avignon. In Turku gibt es viele Friseure, aber keinen Barbier von Sevilla. Turku ist kein Name, der vom Klang her betrunken macht, der Gerüche erzeugt, Geräusche, Identifikationen. Auch wenn diese real nicht immer existieren. Und niemand beneidet einen,
fielen 80 Prozent dieser Idee in vielen Medien unter den Tisch — stattgefunden hat nur Luxemburg. Und was ist 2011 geplant? Die südfinnische Stadt hat „Turku in Flammen" als Motto gewählt, Tallinn will dem Besucher seine „Geschichten am Meer" er¬zählen. Über 150 Veranstaltungen werden allein in Turku organisiert. Künstler wurden aufgefordert, die Sauna neu zu denken. Die ausgewählten Ergebnisse sollen realisiert werden und dann in verschiedenen Stadtteilen der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Kunstvoll schwitzen ist angesagt. Kimmo Pohjonen,
ist Turku Universitätsstadt in Disziplinen, die dabei sind, unser Leben so richtig auf den Kopf zu stellen. Und das wird auch außerhalb des Campus täglich gemacht.
Meine Tage sind fast zu knapp, um alles zu machen, was ich mir vorgenommen hatte. Aber immerhin: Ich war im Wäinö Aaltonen Museum der Kunst, ha¬be in der Kneipe, die sich in einer öffentlichen Be¬dürfnisanstalt eingerichtet hat, zwei Bier aus einem stilisierten Pisspott getrunken. Ich lag in der Sonne am Burgberg und habe die Kathedrale auf dem klei
Das Kunstmuseum entstand 1904 und wurde 2005 modernisiert. Das Museum Ars Nova ist heute Radelnder Finne vor Kirche: Die Turun tuomiokirkko
Der Originalentwurf stammt von Gustav Nystroem. Heimat zeitgenössischer Kunst. ist die einzige mittelalterliche Kathedrale des Landes.
wenn man zu Hause erzählt: Ich war in Turku. Im kommenden Jahr soll sich das ein wenig ändern. Dann ist Turku Kulturhauptstadt Europas. Zusam¬men mit Estlands Hauptstadt Tallinn hat sie ein Jahr lang Zeit, Aufsehen zu erregen. Seit 1985 vergibt die Kulturkommission der Europäischen Union diesen Titel. Und mit ihm 1,5 Millionen Euro aus der Ge¬meinschaftskasse. Als 2004 viele Länder gleichzeitig in die EU aufgenommen wurden, beschloss man, bis 2019 jedes Jahr zwei Städte zu adeln. Einigen Städten ist es nachhaltig gelungen, sich auf dem internationalen Kulturmarkt zu positionieren. Graz beispielsweise konnte seine kulturelle Infrastruktur durch dieses Programm auf Vordermann bringen. Andere Städte hatten dagegen eher Pech.
Nicht immer profitabel
Ein Blick zurück in das Jahr 2007: Luxemburg wurde von Medien als Kulturhauptstadt vermarktet. Eigentliches Motto der Initiative war „Gemeinsam Grenzen überschreiten". Inoffizieller Untertitel war die Formel fünf mal vier mal drei: Mit der ersten Zahl waren die Regionen Luxemburg, Saarland, Lothringen, das westliche Rheinland-Pfalz und Wallonien gemeint, die in vier Ländern liegen und in denen drei Sprachen gesprochen werden. Leider
ein Virtuose auf dem Akkordeon, stellt sein neues Projekt „Akkordeonwrestling" vor. Und was sich aufs erste schrullig bis bizarr anhört, ist ein Verschmel¬zen zweier Elemente finnischer Kultur, dem belieb¬ten Sport Wrestling und dem Akkordeon, das sowohl aus der Volksmusik als auch aus dem finnischen Tango nicht wegzudenken ist. Ja! Finnischer Tango. Um die Kreativität eines Volkes, das es schafft, eine Weltmeisterschaft im Frauentragen zu organisieren und im Schlammfußball, im Handyweitwurf und im Luftgitarrenspielen, muss man sich keine Sorgen machen. Es erfindet sich schon von alleine neu. Dass man hier mit dem Feuer spielt, ist typisch fin¬nisch. Liest man sich ein wenig durch die Ge¬schichte der Stadt, kommt man um dieses Thema nicht herum — allerdings in seiner zerstörerischen Form. Mehrere Dutzend Mal wurde die Stadt ein Raub der Flammen. Im Jahr 1827 brannten drei Viertel aller Häuser nieder. Ein Heavy Metal Musical mit dem Titel „1827 — Infernal Music" wird die Tragödie neu aufarbeiten. Neue Hauptstadt wurde nach diesem Ereignis Helsinki. Auch weil es strate¬gisch besser lag, die neue Boomtown in der östlichen Ostsee zu beobachten: St. Petersburg. Altrussisch be¬deutet hirku „Marktplatz". Der war die Stadt immer. Man gehörte zwar nicht zur Hanse, war aber ge-schäftlich sehr miteinander verbunden. Und heute
nen Hügel, eingerahmt von beeindruckend alten Bäumen, besichtigt und das Museum für Sibelius, der so viel mit Turku zu tun hat wie ich mit einem Mädchen, das aus einer Kneipe fällt. Die Erdbeeren vom Markt habe ich probiert, die zu den besten ge¬hören, die ich je gegessen habe. Kein Wunder bei 20 Stunden Sonnenschein am Tag.
Labyrinth aus 20.000 Inseln
In Turku ist das älteste Open-Air-Festival Europas, Ruisrock, zu Hause. Und um den hochkarätigen Bands zuzuhören, muss man mit der Fähre auf die Insel Ruissalo hinausfahren. Apropos Insel: An der Küste um Turku liegen die Schären, ein Labyrinth aus 20.000 Inseln. Manche von ihnen sind nur we¬nige Quadratmeter groß. Wer den Film „Zugvögel — einmal nach Inari" kennt, weiß, wovon ich spreche. Joachim Kr61 fährt darin nach Inari in den Norden Finnlands, um am ersten internationalen Wettbe¬werb für Kursbuchspezialisten teilzunehmen. Das sind die Leute, die weltweit schnellere Zugverbin¬dungen wissen als der Computer der Bahn. Die Fähre fährt im kalten Licht der Dämmerung durch runde kahle Steinbrocken, wie von Zyklopenhand verstreut. Das sind sie. Auch wegen dieser Inseln will ich da wieder hin.
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