Der Börsen-Crash im Jahr 1907
Author D. Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/VfJbEnpLNdc
Das Wirtschaftsleben der Vereinigten Staiaten ist vielfach von
heftigen Erschütterungen betroffen worden, ganz besonders schwer
in den Jahren 1837, 1^57» 1^73 ^^^ ^^93- Auf die Krisis von 1893
folgte eine mehrjährige Depression, und erst nach den reichen Ernten
der Jahre 1896 — 1897 fing das Land an sich wieder zu erholen. Die
Dekade 1897 bis 1907 bildet dann, von kürzeren Abschwächungen
abgesehen, im ^oSenund ganzen eine Periode glänzenden Auf-
schwungs mit steigenden Preisen und wachsender Prosperität. Aber
man eilte zu ung^tüm vorwärts; man unterließ es, mit der Kapital-
bildung einigermaiBen Schritt zu halten, und nahm d^ür in zu reich-
lichem Ma2e Kredit in Anspruch. Hier mußte schließlich ein Rück-
schlag eintreten.
In der Tat erreichten Kapitalknappheit und Kreditanspannung
allmählich einen solchen Grad, daß sie eine lähmende Wirkung auf
die industrielle und kaufmännische Tätigkeit ausübten: mit Beginn
der Sommermonate 1907 trat in den Vereinigten Staaten ein Abflauen
der Konjunktur deutlich in die Erscheinung.
Der Umschwung hätte nun an sich ohne eine eigentliche Krisis
vor sich gehen können, wie es ungefähr um ebendieselbe Zeit in
mehreren anderen Ländern geschah, in denen sich ganz ähnliche
Verhältnisse herausgebildet hatten. In den Vereinigten Staaten aber
brachte, nachdem die rückläufige Bewegung schon einige Monate
im Gange war, das Zusammentreffen einer Reihe von Ereignissen
das Vertrauen des New Yorker Publikums in die dortigen Banken
mit einem Male vollkommen zu Falle. Die Panik gewann sehr schnell
an Ausdehnung. Aller Kredit wurde für den Augenblick erschüttert;
das gewohnte Zahlungsystem versagte seine Dienste, bares Geld
wurde thesauriert, und ein höchst empfindlicher Mangel an Umlaufs-
mitteln griff allenthalben Platz. Durch diesen Zusammenbruch wurden
nun mit einem Schlage die ganzen Begleit- und Folgeerscheinungen
eines Konjunkturumschwungs mit der unerhörtesten Plötzlichkeit und
in einer durch nichts gemilderten Form heraufbeschworen.
Hasenkamp, Die wirtschaftliche Krisis des Jahres 1907 in den Vereinigten Staaten. 1
Daß sich die Krisis so gewaltsam und heftig gestaltete, hat
seinen inneren Grrund darin, daß die lange Zeit des Gedeihens in
den Vereinigten Staaten besonders weitgehende Übertreibungen bei
Unternehmung und Spekulation gezeitigt hatte; was aber den äußern
Anlaß der Krisis angeht, so wurde es verhängnisvoll, das es den
New Yorker Banken nicht gelang, der Panik im ersten Stadium Herr
zu werden. Beide Umstände stehen in engem Zusammenhang mit
den Eigentümlichkeiten des amerikanischen Bank- und Kreditwesens,
und wir müssen daher auf seine Organisation^) einen kurzen Blick
werfen, ehe wir uns der Betrachtung der Ereignisse selbst zuwenden.
Die Vereinigten Staaten besitzen keine Zentralbank. Nur eine
Art von Banken ist für das ganze Bundesgebiet einheitlichen Vor-
schriften unterworfen, die sogenannten Nationalbanken, deren Zahl
sich am 22, August 1907 auf 6544 bezifferte. Die Ausgabe von
Banknoten liegt ausschließlich in den Händen der Nationalbanken;
sie kann nur auf Grund vorheriger Hinterlegung eines entsprechenden
Betrages von Schuldverschreibungen der Vereinigten Staiaten im
Schatzamt erfolgen. Ein Zurückströmen der Noten zu den ausgebenden
Banken ist dxu-ch das System nicht gewährleistet, überhaupt haben
die Banknoten den Charakter als Kreditpapier gänzlich verloren.
Die Notenemission richtet sich in der Hauptsache nur nach dem
Gewinn, welchen das Notengeschäft abwirft; daß sich die ausstehende
Notenmenge für die Zeit eines vermehrten Bedarfs vorübergehend
hebt, nachher wieder automatisch vermindert, ist ausgeschlossen. Hier
stand auch noch eine besondere gesetzUche Schranke im Wege.
Der Gesamtheit der Banken war es nämlich nicht gestattet, im Laufe
eines Monats für mehr als 3 Millionen Dollars Noten zurückzuziehen.
Dxu-ch das Aldrich-Gesetz vom 4. März 1907 ist dieser Betrag dann
auf 9 Millionen erhöht worden.
Die Mängel des Notensystems würden noch drückender emp-
funden werden, wenn nicht ein anderes Element dem Zahlungsverkehr
der Vereinigten Staaten eine gewisse Elastizität verliehe, nämlich
die eigenartige Gestaltung des Depositenwesens. Es ist von großer
Wichtigkeit hierbei festzustellen, daß der Begriff der Depositen in
Amerika ein anderer ist als in Deutschland, was sehr häufig über-
^) Die Veränderungen, welche erst nach der Elrisis eingetreten sind, bleiben hier
unberücksichtigt. Vgl. darüber unten S. 88 ff. Eine Literaturübersicht findet sich bei Adolf
Hasenkamp, Die Geldverfassung und das Notenbankwesen der Vereinigten Staaten
gena 1907), p. 204—213,
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sehen wird. In den Vereinigten Staaten werden unter Depositen
nicht nur solche Verpflichtungen der Bank verstanden, welche durch
tatsächliche Hinterlegung von Geld oder durch Einreichen von
Checks und dergleichen zur Gutschrift für den Berechtigten ent-
standen sind; es fallen darunter vielmehr auch schlechthin Kredite,
welche die Bank einem Kunden — sei es mit oder ohne Deckung
— eingeräumt hat, Kredite, welche ihren buchmäßigen Gegenposten
lediglich in den Ausleihungen der Bank, den sogenannten »loans«
finden, für den Kunden aber die Bedeutung eines Guthabens besitzen,
über das er jederzeit durch Check verfügen kann. Es liegt auf der
Hand, daß dieses Verfahren geeignet ist, nicht nur Zahlungsmittel
zu sparen, sondern zu schaffen, und aus diesem Grunde hat es eine
besondere Berechtigung, wenn der Amerikaner hier von »deposit
currency« spricht
Leider verliert dieses Zahlungsmittel in der Praxis wesentlich
an Bedeutung, sobald eine umfassendere Krediterschütterung eintritt.
Ferner kann es für solche Teile des Landes nicht in Betracht
kommen, in denen der Checkverkehr nicht genügend eingebürgert
ist. Zu diesen Gegenden gehören nun aber in den Vereinigten Staaten
gerade die Ackerbaugebiete im Süden und Westen, deren Bedarf an
Umlaufsmitteln zu den verschiedenen Jahreszeiten besonders stark
zu wechseln pflegt.
Unter diesen Umständen kann also insbesondere die vermehrte
Nachfrage nach Zahlungsmitteln, die alljährlich zur Zeit des erhöhten
Erntebedarfs in den vorwiegend Landwirtschaft treibenden Distrikten
im Westen und Süden hervortritt, der Hauptsache nach nur durch
bares Geld befriedigt werden. Da andererseits die in diesen Teilen
des Landes belegenen Banken während der übrigen Zeit des Jahres
für ihre flüssigen Mittel eine lohnendere Beschäftigung in den Haupt-
städten, besonders im Osten finden, so gehen in den Vereinigten
Staaten Jahr für Jahr mit Regelmäßigkeit große Barversendungen
vor sich.
In den ersten Monaten des Jahres strömen die verfügbaren Mittel
aus den landwirtschaftlichen Gebieten in die Zentren; von September
bis in den Dezember hinein ist dagegen ein starkes Abfließen baren
Geldes in die ackerbautreibenden Teile des Westens und Südens zu
beobachten. Da es sich hier in jedem Herbst um Summen von 150
bis 200 Millionen Dollars handelt^), so ruft der Erntebedarf auf den
*) Vgl. ComptroUer's Report 1907, p. 72; Frank A. Vanderlip, Necessity for
currency reform, Independent vol. 63, p. 1282; The currency problem and the present finan-
1*
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Geldmärkten, zumal in New York, eine manchmal recht empfindliche
Spannung hervor; indessen hat diese Erscheinung infolge ihres regel-
mäßigen Auftretens für die Amerikaner den Charakter des Außer-
gewöhnlichen oder Beunruhigenden im allgemeinen verloren.
Nur aus dem Zusammenhang dieser ganzen Verhältnisse heraus
kann das eigenartige Reservesystem der Nationalbanken verstanden
werden. Es hat im Laufe der Zeit unter dem Einfluß der praktischen
Bedürfnisse zwar einzelne Änderungen erfahren, im ganzen aber
trotz der dezentralisierenden Tendenzen, durch welche sich das National-
bankgesetz sonst auszeichnet, von vornherein auf eine ausgesprochene
Konzentration der Reserven hingewirkt.
Das Gesetz schreibt keine Notenreserve vor, — wenn man davon
absieht, daß die Banken im Schatzamt einen Einlösungsfonds in Höhe
von 5 Prozent ihrer ausstehenden Noten halten müssen, — verlangt
aber für die Verpflichtungen auf Depositenrechnung eine Reserve
in »gesetzmäßigem Gelde«. Im einzelnen werden nun dabei drei
Gruppen von Nationalbanken unterschiedien, und zwar nach der Größe
und Lage der Plätze, an denen sie sich befinden.
Die Banken in den Zentral-Reservestädten — es sind dies New
York, Chicago und St. Louis — müssen eine bare Reserve in Höhe
von 25 Prozent ihrer Depositen in Händen halten. Dieselbe Reserve
ist auch den Banken in etwa 40 größeren Städten vorgeschrieben,
welche als Reservestädte bezeichnet werden: diese Banken dürfen
aber die Hälfte der erforderlichen Reserven bei Nationalbanken in
Zentral-Reservestädten deponieren. Die Banken in allen anderen
Orten, die sogenannten Country Banks, brauchen nur 15 Prozent
Reserve zu halten, dürfen hiervon aber ^j^ in Nationalbanken der
beiden anderen Grruppen hinterlegen. Wer in Ausführung dieser
Bestimmungen Reserven anvertraut erhält, wird als Reserveagent
bezeichnet.
Die Sachlage kann sich nun folgendermaßen gestalten. Betragen
zum Beispiel bei einer Country Bank die Verpflichtungen auf Depo-
sitenrechnung 10 Millionen Dollars, so muß sie hierfür selbst nur
600000 Dollars bar als Reserve halten^); 900000 Dollars dagegen über-
dal Situation, a series of addresses delivered at Columbia University 1907/8 (New York 1908),
p. II. Wenn Hermann Schumacher, Die Ursachen der Geldkrisis (Neue Zeit- und
Streitfragen, her. von der Grehestiftimg zu Dresden, V. Jahrg., 6. und 7. Heft, Dresden 1908),
p. 22 von 600 bis 800 Millionen Dollars spricht, so geschieht das wohl versehentlich an
Stelle von Mark.
^) Der 5prozentige Einlösungsfonds für Noten, der als Bestandteil der gesetzUchen
Reserve für die Depositen gezählt werden darf, bleibt hier unberücksichtigt.
gibt sie dem Reserveagent in einer Reservestadt. Dieser leiht davon
seinerseits 675000 Dollars, aus; von der für ihn selbst vorgeschriebenen
Reserve von 225000 Dollars behält er die Hälfte in seinen eigenen
Gewölben, während er den gleichen Betrag an einen Reserveagent
in der Zentral -Reservestadt übergibt. Dieser letztere leiht davon
wiederum 84375 Dollars aus, während er den Rest von 28125 Dollars
als Reserve behalten muß. Die gesamte bare Reserve für d£is ur-
sprüngliche Depositum beträgt nunmehr 7 40 6 2 5 Dollars, also 7 ,4 Prozent.
Davon hat die Country Bank 6 Prozent in eigenen Händen, der Rest
verteilt sich auf die Reserveagenten. Auf dieselbe Weise mag sich
für die Banken in den Reservestädten die wirklich vorhandene Re-
serve auf nur 15,6 Prozent vermindern, von der die Bank selbst 12,5
Prozent in Händen hält.
Tatsächlich machen nun die Nationalbanken von der Möglichkeit
einer derartigen Ueberweisung von Reserven an die Reserveagenten
den weitgehendsten Gebrauch^). Namentlich ziehen die Nationalbanken
der Stadt New York auf solche Weise sehr erhebliche Summen von
allen Seiten an sich. In New York haben die Banken für der-
artige Beträge, die sie ja jederzeit zur Verfügung ihrer Korrespon-
denten im Innern des Landes halten müssen, eine besonders günstige
Verwendung.
An der Wertpapierbörse in New York besteht nämlich kein
Termingeschäft, vielmehr ist die tägUche Regierung aUer laufenden
Verbindlichkeiten übUch*). Für die Bedürfnisse der Börsenspekulation
ist somit Geld auf tägliche Kündigung unentbehrlich und es wird
infolgedessen an der New York Stock Exchange stets in ganz be-
deutenden Mengen gehandelt. Die Nachfrage kommt dabei, da das
Börsengeschäft nicht wie in Deutschland bei den Banken, sondern
wie in England in den Händen der Broker liegt, hauptsächlich von
deren Seite. Für die Banken ist es wertvoll, in dieser Ausleihung
von »call money« jederzeit eine Gelegenheit zur liquiden Anlage ihrer
verfügbaren Mittel zu besitzen. Andererseits gerät auf diese Weise das
Wertpapiergeschäft in eine sehr starke Abhängigkeit vom Geldmarkt,
ein Übelstand, der besonders zu Zeiten einer Panik in bedenklicher
Weise hervortreten muß.
*) Am 22. August 1907 hatten die Country Banks beispielsweise die Möglichkeit,
von ihren Reserven 236,4 Millionen, die Banken in den Reservestädten 177,9 Millionen
bei anderen Banken zu hinterlegen. Die tatsächlich hinterlegten Beträge kamen diesen
Ziffern sehr nahe; sie beliefen sich auf 226,7 Millionen und 165,7 Millionen. (Comptroller's
Report 1907, p. 2 18 ff.)
^ Vgl. H. C. Emery, Bank- und Börsenwesen in E. v. Halle, Amerika (Ham-
burg 1905), vol. I, p. 346 ff.
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Fällt die Reserve einer Nationalbank unter das gesetzliche
Mindestmaß, so hat sie sich jeder Vermehrung ihrer Verbindlich-
keiten zu enthalten; nur Sichtwechsel darf sie noch diskontieren.
Ob die Aufsichtsbehörde in Fällen dieser Art einschreiten will, ist
ihrem Ermessen überlassen. In normalen Zeiten wirkt der Kontrol-
leur der Umlaufsmittel auf Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften
hin, unter besonders kritischen Umständen dagegen dürfen die Banken
auf Nachsicht rechnen.
Unter denjenigen Bankinstituten, welche im Gegensatz zu den
Nationalbanken der Gesetzgebung und Beaufsichtigung der Einzel-
Staaten unterstehen, nehmen die wichtigste Stelle ein die »State Banks«
und die »Trust Companies«. Die Staatenbanken sind nach den*Vor-
schriften des betreffenden Staates inkorporiert, im übrigen aber regel-
mäßig reine Privatuntemehmen. Im Herbst 1907 gab es in den Ver-
einigten Staaten etwa 10 000 Staatenbanken.
Die Trust Companies^), deren Zahl sich auf etwas über 1400
belief, sind ursprünglich Treuhandgesellschaften, die vorzugsweise
Vermögensverwaltungen für nicht verfügungsfähige Personen oder
während schwebenden Rechtstreits, insbesondere auch Nachlaß Ver-
waltungen zu ihrer Aufgabe machten. Sie haben aber neuerdings,
besonders seit 1897, mehr und mehr auch die regelmäßigen Geschäfte
einer Depositen- und Diskontobank zu betreiben angefangen und
seit dieser Zeit einen ganz ungeheueren Aufschwung genommen,
vor allem in der Stadt New York selbst.
Die Trust Companies waren dort zuerst durch gar keine Reserve-
vorschriften gebunden, doch ist in dieser Beziehung seit längeren
Jahren eine Aenderung angestrebt worden. Hauptsächlich geschah
das von Seiten der »Associated Banks«. Mit diesem Namen werden
die vollberechtigten Mitglieder des Qearinghauses der Stadt New York
bezeichnet, das sich aus Nationalbanken und Staatenbanken zu-
sammensetzt*). Obwohl diese letzteren nach den Gesetzen des
Staiates New York nur verpflichtet wären, 15 Prozent Reserve für
ihre Depositen zu halten, haben sie sich doch als Mitglieder der Ver-
einigung der statutarischen Reserve von 25 Prozent unterworfen.
^) über Trust Companies vgl. A. Stubbe, Oiganisation des amerikanischen Bank-
wesens, Schmoller's Jahrbuch 31. Jahrg., p. 1249 ff; H. C. Emery, a. a. O. p. 334 ff. Die
statistischen Angaben im Comptroller's Report sind nicht vollständig, vgl. aber The United
States Mortgage and Trust Company: Trust Companies of the United States, eine alljährlich
in New York erscheinende private Zusammenstellung.
*) Außerdem ninmit die Hülfstelle des Schatzamts, das Subtreasury in New York,
an der Abrechnung als Mitglied teil.
Das aearinghaus wollte nun im Februar 1903 durch Aufnahme einer
entsprechenden Bestimmung in seine Statuten auch solchen Trust
Companies, die sich durch Vermittelung einer der Associated Banks
indirekt der Vorteile der Abrechnung bedienten, das Halten einer
mäßigen Reserve zur Pflicht machen. Dieser Zweck wurde aber
nicht erreicht, da die Mehrzahl der Trust Companies es vorzog, ihre
Verbindung mit dem Clearinghaus zu lösen. Die Zahl der Trust
Companies, welche mittelbar an der Abrechnung des New Yorker
Clearinghauses teilnahmen, bezifferte sich zu Anfang des Jahres 1903
auf 26, ging aber bis 1905 auf 2 zurück.
Nach vieler Mühe wurde schließlich durch ein Gesetz des
Staates New York, die Wainwright Law*) vom April 1906, eine
Reservepflicht auch für die Trust Companies eingeführt, und zwar
vom I. Januar 1907 ab. Die Reserve wurde für Trust Com-
panies in der Stadt New York auf 15, für andere auf 10 Prozent
bemessen; doch brauchten davon nur 5 oder 3 Prozent bar in Be-
reitschaft gehalten zu werden, der Rest diu^te teilweise in Bonds
einer gewissen Art angelegt, teilweise in anderen Bankinstituten
deponiert werden. Dies Gesetz blieb hinter den Ansprüchen zurück,
welche die Associated Banks mit Rücksicht auf die besondere Ver-
antwortung der New Yorker Bankinstitute stellen zu müssen glaubten,
und hatte daher bedauerlicherweise nicht die Wirkung, die Trust
Companies wieder mit dem Clearinghaus in Verbindung zu bringen.
Das New Yorker Clearinghaus hat dadurch an Bedeutung kaum
eingebüßt. Es nimmt unter den 114 derartigen Instituten des Landes
bei weitem die erste Stelle ein, was ganz begreiflich erscheint, wenn
man bedenkt, daß sich mehr als 10 Prozent des gesamten Geld-
imilaufs der Vereinigten Staaten gewöhnlich in Händen der Asso-
ciated Banks von New York befinden. Demgemäß werden auch die
Ausweise, welche diese Organisation allwöchentlich zu veröffentUchen
pflegt, von jeher mit dem lebhaftesten Interesse verfolgt und als
charakteristisch für die Beschaffenheit der Geldverhältnisse im ganzen
Lande betrachtet. Das gilt vor allem von der sogenannten Surplus
Reserve, dem Überschuß an Barvorräten über die vom Clearinghaus
vorgeschriebene Reserve von 25 Prozent. Schrumpft dieser Über-
schuß zusammen oder macht er gar einem Fehlbetrag Platz*), so
^) Laws of 1906, chapter 357. Vgl. auch Banker's Magazine (New York), vol. 72,
p. 861 ff.
^ Schumacher, a. a. O. p. 26, mißt diesem Ereignis, das während der letzten
Jahre durchaus nicht so selten war, für die Panik im Oktober 1907 eine allzugroße Bedeu-
tung bei. Vgl. die ausgezeichnete Besprechung der Schumacher'schen Schrift von Plenge
in der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 64. Jahigang, Heft 3, p. 562 ff.
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bemächtigt sich des New Yorker Geldmarktes alsbald eine gewisse
Nervosität.
Man hat sich gewöhnt, in solchen Fällen das Schatzamt um
Hülfe anzugehen. Es fehlt ihm zwar durchaus an der geeigneten
Organisation, um die Funktionen einer Zentralbank verrichten zu
können; die Schatzsekretäre haben es aber seit langen Jahren für
ihre Pflicht gehalten, zu Zeiten einer drohenden oder schon vor-
handenen Geldknappheit lindernd einzugreifen, und zwar hauptsächlich
durch vorübergehende Zuweisung von Regierungsgeldem an die
Banken. Hier war ihnen früher insofern eine enge Grenze gesetzt,
als den Banken keine Erträgnisse aus den Einfuhrzöllen überlassen
werden durften; das Aldrich- Gesetz vom 4. März 1907 hat jedoch
diese Vorschrift beseitigt. Eine weitere Beschränkung aber besteht
noch zu Recht, daß nämlich Regierungsgelder ausschließlich National-
banken anvertraut werden dürfen.
I. Vorgeschichte und Verlauf der Krisis.
Vorgeschichte. Das neue Jahrhundert begann für die Vereinigten
Staaten unter ganz vorzüglichen Auspizien. Nach dem Spanischen
Krieg, der auch auf die Weltstellung der Union vorteilhaft einge-
wirkt hatte, lagen die Bedingungen für einen wirtschaftlichen Auf-
schwung äußerst günstig. Das Zeitmaß, in dem er sich zu entwickeln
begonnen, war allerdings zunächst etwas zu lebhaft gewesen, doch
hatte sich das in der Folge durch eine kurze Periode der Ruhe und
Sammlung wieder ausgeglichen. Im März 1900 kam dann die Gold-
bill zu Stande, und mit den letzten Zweifeln an der Währung des
Landes wurde gleichzeitig ein Hindernis hinweggeräumt, das dem
freien Zufluß von ausländischen Geldern im Wege gestanden hatte.
Unter weitgehender Beteiligung europäischen Kapitals nahmen Handel
und Wandel gegen Ende des Jahres 1900, nach stattgehabter Präsi-
dentenwahl, einen kräftigen Aufschwung, der sich zu einem regel-
rechten «boom» gestaltete. Weite Kreise des Publikums wurden
wie von einem Taumel ergriffen, und die Börsenspekulation nahm
eine Ausdehnung an, die alles bisher Dagewesene in Schatten stellte.
Die »Northern Pacific Panic« vom 9. Mai 1901 führte plötzlich
eine Ernüchterung herbei. Die Privatspekulation wurde geringer,
auch zog Europa einen beträchtlichen Teil der dargeliehenen Kapi-
talien zurück. Da die leitenden Finanzmächte zur Durchführung
ihrer weitausschauenden Pläne vielfach nicht nur ihre eigenen Mittel
zu sehr festgelegt, sondern Kredit in erheblichem Maße in Anspruch
genommen hatten, blieb ihr Streben weiterhin hauptsächlich darauf
gerichtet, einen Teil der übernommenen Werte auf das große Publi-
kum abzuladen. Dieser Versuch hatte indessen nicht den gewünschten
Erfolg. Die Hauptbeteilig^en mußten nämlich eine Form finden, die
ihnen den maßgebenden Einfluß bei einem Unternehmen dauernd
sicherte, ohne doch allzuviel Kapital und Risiko zu involvieren. So
ließen sich Umwandlungen und Schiebungen bedenklicher Art nicht
vermeiden. Dadurch wurde eine lebhafte Kütik hervorgerufen; das
Publikum, das stutzig geworden war, hielt sich auch weiterhin zurück.
lO —
Inzwischen machte sich der durch den Transvaalkrieg hervor-
gerufene Kapitalmangel mehr und mehr bemerkbar. Unter diesen
Umständen wurde es für die Emissionsyndikate vollkommen un-
möglich, die in so beispielloser Menge geschaffenen neuen Werte
abzustoßen; sie mußten fortgesetzt in weitgehendem Maße Bank-
kredit in Anspruch nehmen, und der Geldmarkt blieb gespannt.
Schließlich drangen die Banken aber doch nachdrückUch auf eine
Verminderung der Verpflichtungen, und nun vollzog sich während
der Sommermonate des Jahres 1903 die ungeheuere Liqxiidation in
den verschiedensten Werten, der man den Namen «the rieh man's
panic» beigelegt hat. Sie übte einen niederdrückenden Einfluß auf
die Börse aus, ohne zunächst eine Erleichterung der Geldverhält-
nisse zu schaffen. Gegen Ende des Jahres 1903 trat es immer klarer
zu Tage, daß die fortgesetzt ungünstige Lage von Geldmarkt und
Börse ihre Rückwirkung auf den allgemeinen Geschäftsgang im
Lande ausübte. Besonders auf dem Eisenmarkt und in der Baum-
wollindustrie herrschte starke Depression; aber auch sonst machte
sich große Geschäftsunlust bemerkbar, Geld wurde billig, die Preise
fielen.
Diese Verhältnisse dauerten bis zum Herbst 1904; dann aber,
unmittelbar vor der Präsidentenwahl, machte sich eine Besserung
bemerkbar. Allgemein griff wieder eine optimistischere Auffsissung
Platz, die sich alsbald in einer lebhaften Spekulation kund gab: es be-
gann an der Börse die Aufwärtsbewegung, die im großen und ganzen bis
zum Herbst 1906 angehalten hat. Sie erfuhr zwar im Frühjahr 1905
eine Unterbrechung durch den Skandal bei der großen Equitable
Life Insurance Company, aber es traten bald so viele günstige
Momente hervor, daß man sich über den Zwischenfall schnell hin-
wegsetzte. Die Eisenbahnen begannen nun, nachdem ihnen durch
die besseren Geld- und Börsenverhältnisse die Zufuhr neuen Kapitals
erleichtert worden, mit den Verbesserungsarbeiten und Beschaffungen
neuen Materials, die sie so lange hatten hinausschieben müssen.
Einen besonders lebhaften Aufschwung nahm infolgedessen die Eisen-
industrie; aber auch sonst gestaltete sich, unterstützt durch sehr er-
giebige Ernten, die wirtschaftliche Lage glänzend.
Infolge dieser Verhältnisse nahm die Emission neuer Werte im
Jahre 1905 ungeheuer zu. Da sich gleichzeitig auch die Börsen-
spekulation sehr lebhaft betätigte, so machte sich gegen Ende des
Jahres wieder ein empfindlicher Kapitalmangel fühlbar; die Reserven
der New Yorker Clearinghaus-Banken sanken zweimal unter den
vorgeschriebenen Betrag. Trotzdem setzte sich die Aufwärtsbewegung
— II —
an der Börse noch in das Jahr 1906 hinein fort, um dann allerdings
im Februar ein plötzliches Ende zu finden, einmal, weil sich das
außenstehende PublilcQm großenteils ablehnend verhielt, hauptsäch-
lich aber wegen des Kapitalmangels, der immer ausgesprochener
hervortrat. In dieser Beziehung erfuhr die Lage eine neue Kompli-
kation durch die Zerstörung von S. Francisco am 18. April 1906.
Da die Reserven der New Yorker Clearinghaus-Banken kurz vorher
abermals ein Defizit aufgewiesen hatten, andererseits aber fortgesetzt
große Beiträge neuer Emissionen herausgebracht wurden, so mehrten
sich anläßlich der kalifornischen Katastrophe die Stimmen, welche
auf das Gefährliche der ganzen Sachlage aufmerksam machten und
zur Vorsicht mahnten.
Der allgemeine Geschäftsgang war zu dieser Zeit allerdings
noch ausgezeichnet; auch die Emteaussichten waren günstig. Hierauf
fußend, begannen nun zu Anfang August 1906 die der Union Pacific
Railway nahestehenden Finanzkreise eine wohlvorbereitete groß-
zügige Haussebewegung an der Börse in Szene zu setzen.^) Obwohl
man sich hierbei zum nicht geringen Teil europäischer Kredite be-
diente, übte doch diese künstliche Bewegung auch auf die New
Yorker Geldverhältnisse eine schädigende Wirkung aus.
Anfang September fiel die Reserve der New Yorker Banken
wieder unter das Minimimi. Das Schatzamt sah sich infolgedessen
aufs neue veranlaßt — wie zum ersten Male kurz vor der Katastrophe
von S. Francisco geschehen — , vorübergehend bedeutende Zu-
weisungen von Regierungsgeldem an die Banken mit der Auflage
vorzunehmen, daß diese besonderen Mittel ausschließlich zur Einfuhr
europäischen Goldes Verwendung finden sollten. Mit Hülfe dessen
gelang es den amerikanischen Banken, den Hauptmärkten Europas
soviel Gold zu entnehmen, daß die deutsche Reichsbank sowie die
Bank von England im zweiten Drittel des Oktober ihre Rate auf
6^Iq erhöhen mußten. Trotz großer Goldbezüge konnten die New
Yorker Associated Banks es nicht verhindern, daß ihre Reserven
im November und Dezember 1906 noch dreimal ungenügend wurden.
Ein weiteres Wamungszeichen war darin zu erblicken, daß die
deutsche Reichsbank am 18. Dezember 1906 den Diskont auf 7^/0
erhöhte.
Trotz dieser bedenklichen Momente hielt sich die New Yorker
Börse ganz gut. Erst als gegen Ende des Jahres einige große
Eisenbahngesellschaften mit sehr erheblichem Kapitalbedarf hervor-
*) Vgl. Th. W. Mitchell, Growth of the Union Pacific und its finandal Operations,
Quarterly Journal of Economics vol. 21, p. 609 ff.
12
traten, machte sich auf der ganzen Linie ein starker Preisfall be-
merkbar. Nachdem dann zeitweise wieder eine bessere Stimmung
die Oberhand gewonnen, ereignete sich am 13. und 14. März 1907
ein Kurssturz, wie ihn die New Yorker Börse nur selten erlebt hat.
Auch in den nächsten Monaten bröckelten die Kurse weiter ab.
Überhaupt machten sich Anzeichen dafür bemerkbar, daß die
Hochkonjunktur ihrem Ende entgegenging. Schon im März 1907
hatte auf dem internationalen Kupfermarkt ein erheblicher Preis-
rückgang eingesetzt. Die amerikanischen Interessenten, die sich im
Besitz großer Vorräte befanden, hatten zwar zunächst an ihrem hohen
Preise festzuhalten versucht, sahen sich aber im Juli der wesentlich
verringerten Nachfrage gegenüber gezwungen, ihn um 20 ^/^ zu er-
mäßigen. Auch sonst hatten die Preise für Rohstoffe im Juni und
JuU größtenteils ihren Höhepunkt erreicht, um sich von da an nach
unten zu bewegen*), und die Roheisenerzeugung verzeichnete seit
dem I. JuU ebenfalls einen Rückgang.
Der Kapitalmangel trat immer deutlicher zu Tage. Die Städte
Boston und New York fanden es in der ersten Hälfte August 1907
vollkommen unmöglich, eine 4prozentige Anleihe unterzubringen.
Gleichzeitig voUzogen sich an der New Yorker Börse erneut Abwicke-
lungen in größtem Umfange, und die Kurse erreichten einen neuen
Tiefstand. Die Bank von England erhöhte am 15. August 1907 ihre
Rate ziemlich unerwartet von 4 auf 4^/3^/0» und die Londoner Banken
gaben gleichzeitig unverhohlen ihrer Abgeneigtheit Ausdruck, wieder
die Diskontierung amerikanischer Wechsel zu übernehmen®).
Auch aus anderen Anzeichen mußte man schließen, daß in den
Herbstmonaten Schwierigkeiten in der Beschaffung der notwendigen
Kredite für die Vereinigten Staaten entstehen würden. Dem Zu-
sammenbruch der Pope Manufacturing Company in New York wurde
zwar keine Bedeutung beigemessen, da es sich um ein überkapitali-
siertes Unternehmen handelte, das schon allzureichUch Kredit in
Anspruch genommen hatte. Mehr Beachtung fand die Tatsache,
daß am 23. August die Southern Railway ihre Dividende von 5 auf
3 ^Iq herabsetzte, und einige Tage später die Erie-Eisenbahn erklärte,
sie werde die übliche 4prozentige Dividende nicht in bar ausschütten,
vielmehr in Gestalt von Verpflichtungscheinen, die im Jahre 1917
eingelöst und bis dahin mit 4^/0 verzinst werden sollten.
*) Vgl. Department of Commerce and Labor, Bulletin No. 75 (Wholesale Prices),
p. 301 ff.; Biadstreets vol. 35, p. 786; Economist (London), Commerdal History and Review
of 1907, vol. LXVI, No. 3365, p. 31.
•) Vergleiche A. D. Noyes, The fall in the world*s markets, Forum vol. 39, p. 195 ff.
— 13 —
Der September brachte dann erhebliche Produktionseinschrän-
kungen in Kupfer; der Preis des Metalls fiel auf 15 cents gegen
25 Cents im Frühjahr. Auch die Eisenpreise waren zu dieser Zeit
teilweise mehr als 20®/o unter dem höchsten Stand des Jahres an-
gelangt.
Gegen Ende September wurden für die zahlungsunfähigen
Straßenbahnen der Stadt New York behördliche Verwalter ernannt,
und im Verlauf der Untersuchung — in der zweiten Oktoberwoche —
kamen dann die unglaublichen Machenschaften zutage, durch welche
eine Gruppe angesehener Finanziers es verstanden hatte, sich persön-
lich enorm zu bereichem, während das Unternehmen selbst dem voll-
ständigen Ruin anheimgefeillen war.
Diese Enthüllungen erregten das größte Aufsehen; sie bereiteten
die allgemeine Stimmung vor, welche bald darauf zum Ausbruch der
Panik führte. Indessen läßt sich nicht sagen, daß man eben zu
dieser Zeit auf ähnliche Ereignisse gefaßt gewesen wäre, wie sie
dann eintraten. Eine Krisis war seit dem Unglück von S. Francisco
zwar vielfach, mit großer Bestimmtheit besonders im Herbst 1906,
vorausgesagt worden. Nachdem dann aber die Börse im März und
August 1907 einen so gewaltsamen Gesundungsprozeß durchgemacht
hatte, glaubte man gerade in urteilsfähigen Kreisen annehmen zu
dürfen, der nötige Ausgleich sei nun bereits eingetreten. So hatte
man sich wieder beruhigt und wurde schließlich, als der Stium wirk-
lich kam, größtenteils überrascht.
Der Ausbrudi der Panik. Die ersten finanziellen Schwierig-
keiten, welche die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenkten,
standen in Zusammenhang mit der Kupferspekulation. Einer der
Brüder Heinze — ein Name, der durch die jahrelange bittere Fehde
der Heinze'schen Interessen gegen die Amalgamated Copper Com-
pany in Montana bekannt geworden ist ^) — unternahm den Versuch,
die Anteile der United Copper Company, einer Heinze'schen Gründung,
an sich zu bringen, um die Leerverkäufer in die Enge zu treiben.
Nach früherem starkem Preisfall stieg United Copper, übrigens ein
Papier, das nicht an der Börse eingeführt ist, sondern nur am »curb
market« umgesetzt wird, am 14. Oktober von 39 auf 60, und es
schien, als ob der beabsichtigte »corner« gelingen sollte. In den
nächsten zwei Tagen aber trat ein überraschend ausgedehntes An-
gebot von United Copper hervor, wie es heißt von einer Seite, die
') Während der Jahre 1899 — 1906. Vgl. C. S. Connolly, The fight of the copper-
kings, Maclures Magazine vol. 29. p. iff; 2 14 ff.
— 14 —
in Heinzes Pläne eingeweiht^) war, sich aber verräterisch gegen ihn
wandte. Heinze stand dem maissenhaften Angebot machtlos gegen-
über: der Kurs fiel von 60 auf 10. Die Maklerfirma Groß & Klee-
berg, welche für 400 000 Dollars United Copper für Heinze gekauft hatte,
erhielt keine Bezahlung und konnte ihre Verbindlichkeiten daher
nicht erfüllen; am 17. Oktober mußten auch Otto Heinze & Co. die
Zahlungen einstellen.
Diese Vorkommnisse zeitigten allerlei ungünstige Gerüchte über
die Mercantile National Bank in New York, ein bedeutendes und
früher sehr angesehenes Institut, in dessen Leitung dann aber die
Heinze'schen Interessen einzudringen gewußt hatten. Die Bank wurde
mit Mißtrauen behandelt und sah sich, obwohl es nicht zu einem
Run auf ihre Kassen kam, in die Notwendigkeit versetzt, fremde
Hülfe nachzusuchen. Sie wandte sich zu diesem Zweck an den
geschäftführenden Ausschuß der New Yorker Associated Banks,
das sogenannte Clearinghaus -Komitee. Vertrauensmänner dieser
Organisation prüften darauf die Lage der Bank und fanden sie
solvent, wenn auch ihre Mittel allzusehr festgelegt waren. In einer
Zusammenkunft am 18. Oktober beschloß dann das Clearinghaus,
seine Hülfe nur unter der Bedingung zu gewähren, daß der ganze
Verwaltungsrat der Mercantile Nationed Bank alsbald zurückträte.
Diese Maßnahme richtete sich nicht nur gegen die Heinzes,
von denen F. Augustus Heinze bereits am Tage vorher sein Amt
als Präsident der Bank niedergelegt hatte, sondern eine ganze Gruppe
von Finanziers geringerer Klcisse, insbesondere Edward R. Thomas,
O. F. ThomsLS und vor allem Charles W. Morse. Alle diese Männer
hatten in enger Verbindung mit den Heinzes gestanden und wie
diese durch keineswegs einwandfreie Mittel bei mehreren Banken
den maßgebenden Einfluß und die Leitung an sich gerissen. Haupt-
sächlich waren sie so vorgegangen, daß sie einen gprößeren Posten
Aktien einer Bank, genug um ihnen den ausschlaggebenden Einfluß
zu sichern, kauften; darauf nahmen sie bei einer andern Bank unter
Lombardierung dieser Aktien ein Darlehn auf und erwarben mit
dem Gelde Aktien einer dritten Bank, mit denen sie dann dasselbe
Verfahren wiederholten^. Da sie den so gewonnenen Einfluß bei
den verschiedenen Banken dazu benutzten, ihre eigenen Spekulationen
zu fördern, sich insbesondere Effekten der spekulativsten Sorte in
größerem Umfange beleihen zu lassen, so bedeutete diese Art der
Bankführung — die unter dem Namen »chain banking« berüchtigt
*) Evening Post (New York), i8. Oktober 1907.
*) House-Cleaning of the Banks, Nation (New York), vol. 85, p. 3 84 ff.
— 15 —
geworden ist — für die New Yorker Banken im allgemeinen eine
ernste Gefahr, die man denn auch längst als solche erkannt, ohne
daß man aber bisher die Möglichkeit gehabt hätte, ihr entgegen-
wirken zu können.
Durch den Sturz der Gebrüder Heinze gerieten nun aber auch
außer der Mercantile National Bank noch einige ihnen nahestehende
Banken in Schwierigkeiten. Das Clearinghaus in New York, dem
sie angehörten, wurde um Unterstützung gebeten. Hier war endlich
die erwünschte Gelegenheit, und man zögerte nicht sie auszunutzen,
um in den bedenklichen Verhältnissen der mißleiteten Banken nach
Möglichkeit Wandel zu schaffen. Hülfe wurde in Aussicht gestellt,
aber nur unter der Bedingung, daß die genannten Finanzmänner alle
Ämter niederlegten, welche sie bei Banken in New York bekleideten.
Das geschah ohne Verzug.
Wenn dieses Ergebnis auch als eine Gesundung der Lage be-
trachtet werden mußte, so war doch in weiteren Kreisen bekannt
geworden, daß die «Heinzes und ihre Genossen sich von den durch
sie geleiteten Banken erhebliche Darlehn hatten geben lassen. So
hatte man sich darauf gefaßt zu machen, daß bei den Instituten,
die auf solche Weise die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenkten,
größere Abhebungen durch beunruhigte Deponenten stattfinden
könnten. Es wurde daher gelegentlich der Beratungen des Clearing-
hauses am 20. Oktober ein Garantiefonds von 10 Millionen Dollars
für den Fall bereitgestellt, daß das Komitee eine Hülfeleistung für
nötig erachten sollte.^) Obwohl in den Zeitungen einzelne Institute
namhaft gemacht wurden, denen nötigenfalls Unterstützung zuteil
werden sollte, fanden bei keiner dieser Banken — ebensowenig wie
vorher bei der Mercantile National Bank — nennenswerte Abhebungen
statt. Das Publikum beobachtete vielmehr vollkommen seine Ruhe
und Besonnenheit, und äußerlich verlief der 21. Oktober bis zum
Geschäftschluß ohne Störung.
Eine gewedtige Bestürzung aber rief es hervor, als man am
Abend eben dieses Tages von Schwierigkeiten der Knickerbocker
Trust Company hörte, deren Präsident Charles T. Bcimey mit dem
gefallenen Morse in Verbindung stand, auch als Grundstückspekulant
bekannt geworden war. Nach Schluß der Geschäftstunden hatte
die National Bank of Commerce dem Clearinghaus erklärt, sie könne
die Abrechnung für die Knickerbocker Trust Company nicht länger
führen, da es an ausreichender Deckung für den Debetsaldo fehle.
*) Banker's Magazine (New York) vol. 75, p. 739.
— i6 —
der sich auf 7 Millionen Dollars bezifferta Der Verwaltungsrat der
Knickerbocker Trust Company hatte auch seinerseits bereits ihre
Bücher geprüft, auf den sofortigen Rücktritt des Präsidenten Bamey
gedrungen und die Hülfe der Associated Banks angerufen. Das
Qearinghaus ließ noch in den späten Abendstunden des 21. Oktober
eine Prüfung der Bücher vornehmen, fand aber die Lage der Ge-
sellschaft nicht derart, daß es eine Hülfeleistung verantworten zu
können glaubte.
Obwohl dieser Umstand vorerst nicht bekannt wurde, die Zei-
tungen vielmehr berichteten, es seien 15 Millionen Dollars zusammen-
gebracht, um der Knickerbocker »Trust Company über alle entstehenden
Schwierigkeiten hinwegzuhelfen, fand am Morgen des 22. Oktober
ein starker Run auf ihre Kassen statt. Sie mußte nach einigen
Stunden, nachdem sie etwa 8 Millionen Dollars ausbezahlt hatte, ihre
Türen schließen. Dieses Ereignis wurde verhängnisvoll; es wird
mit Recht als der Ausgangspunkt der Krisis betrachtet. Die Knicker-
bocker Trust Company war eins der größten und angesehensten
Unternehmen dieser Art in New York; ihre Depositen beliefen sich
auf fast 50 MiUionen Dollars, und ihre Anteile waren zeitweise mit
iooo®/o bezahlt worden.^) Zwar hieß es, die Zahlungen würden schon
am nächsten Tage wieder aufgenommen werden, aber die Botschaft
von der erfolgten Suspension rief doch allenthalben große Bestürzung
hervor.
An der Börse vollzog sich ein allgemeiner heftiger Kurssturz,
der bei den leitenden Werten bis zu 8 und 10 Punkten betrug.
TägUches Geld stieg bis zu 70^/0 p. a. und schloß zu 50%, obwohl
einzelne Banken 4 Millionen zusammengeschossen und zu billigen
Sätzen ausgeUehen hatten.*) Der Sekretär des Schatzamtes, Cortelyou,
traf noch an demselben Abend aus Washington in New York ein
und stellte die alsbaldige Zuweisung von Regierungsgeldern an die
dortigen Banken in Aussicht. Diese Ankündigung trug zur Be-
ruhigung der Finanzkreise bei. Auf die breiteren Volkschichten
aber übte die Zahlungseinstellung der Knickerbocker Trust Company
eine verhängnisvolle nachhaltige Wirkung aus, und zwar trug hierzu
die unüberlegte Haltung einzelner sensationslüsterner Zeitungen er-
hebUch bei^). Zwar entsprachen die Berichte der Wahrheit, daß einige
Banken der Morse-Gruppe ihren Verpflichtungen beim Clearinghaus
nur mit fremder Hülfe hatten nachkommen können. Um so größeren
^) Comptroller's Report, 1907, p. 70.
*) Evening Post (New York), 22. Oktober 1907.
•) Vgl. Banking Law Journal vol. 24, p. 851, 853.
— 17 —
Eindruck mußte das unwahre Gerücht machen, welches im Zusammen-
hang damit verbreitet wurde, die Trust Company of America, ein
Institut mit über 40 Millionen Dollars täglich fälliger Depositen, sei
ebenfalls in Schwierigkeiten, da sie sowohl an C. W. Morse, als auch
den zurückgetretenen Präsidenten Bamey der Knickerbocker Trust
Company große Darlehn gegeben habe.
Bei der aufgeregten Stimmung konnten sich die leitenden Finanz-
kreise die Gefahr solcher Gerüchte nicht verhehlen. Die Trust Com-
panies der Stadt New York schlössen sich zu gemeinsamem Vor-
gehen zusammen und bildeten einen besonderen Ausschuß, der mit
dem Clearinghaus-Komitee Hand in Hand arbeiten sollte. Noch an
demselben Abend fand eine Konferenz der hervorragendsten Finanz-
männer statt, in der Schutzmaßnahmen beraten und bedeutende Mittel
zusammengeschossen wurden für den Fall, daß die eine oder andere
Bank in Verlegenheit geraten sollte. Dabei dachte man insbesondere
an die Möglichkeit, daß auch die Trust Company of America einem
Run ausgesetzt sein sollte, zumal sich schon am Nachmittage des
22, Oktober auch bei diesem Institut ein Ksissensturm entwickeln zu
wollen schien.
Diese Befürchtung war nur allzu begründet. Alle Versicherungen,
die bedrohte Gesellschaft werde gestützt werden, erwiesen sich als
vergeblich. So hatte es ja auch bei der Knickerbocker Company
geheißen, man wollte sich nicht wieder täuschen lassen. Am Morgen
des 23. Oktober begann, hauptsächlich auf die beängstigenden An-
gaben einer gewissenlosen Zeitung hin, ein lebhafter Run auf die
Trust Company of America. Die Gesellschaft befand sich aber in
gesunder Verfaissung und fand daher bereitwillige Unterstützung.
Wer sich andererseits der Hoffnung hingegeben hatte, die Knicker-
bocker Trust Company werde tatsächlich ihre Geschäfte wieder
aufnehmen, sah sich getäuscht; ihre Türen, vor denen sich erneut
eine große Zahl von Deponenten angesammelt hatte, blieben ge-
schlossen.
Dafür fehlte es nicht an beunruhigenden Nachrichten von anderer
Seite. Für drei Gesellschaften der ausgedehnten elektrischen Werke
von Westinghouse in Pittsburgh waren Zwangsverwalter ernannt,
und die dortige Börse geschlossen worden. Es wurde zwar betont,
daß es sich nur um vorübergehende Schwierigkeiten handle, die in
der Versteifung des Geldmarktes ihren Grund hätten; aber daß hier
die finanziellen Störungen so schnell auf die Industrie übersprangen,
wirkte doch beängstigend und vermehrte die herrschende Unsicher-
heit. Dazu kam, daß im Laufe des Tages noch zwei weitere Bank-
Hasenkamp, Die wirtschaftliche Krisis des Jahres 1907 in den Vereinigten Staaten. 2
— i8 —
Institute in New York, die Lincoln Trust Company und eine kleinere
Sparkasse, von geängsteten Deponenten bestürmt wurden. An der
New Yorker Börse war Geld auf Zeit an diesem Tage überhaupt
nicht, tägliches Geld selbst zu 90 ^/^ p. a. nur in geringen Mengen
zu erhalten, so daß nach Schluß der Börse bis zu 125^/0 dafür
bezahlt wurde. ^)
Noch schlimmer gestaltete sich die Sachlage am 24. Oktober.
Zwar hatte es Befriedigung hervorgerufen, daß der Schatzsekretär der
Presse spät am Vorabend hatte mitteilen können, er habe Anweisung
gegeben, bis zu 25 Millionen Dollars aus den Beständen der Regierung
in New Yorker Banken zu hinterlegen ^ ; auch sah man mit Genug-
tuung, daß die beiden gefährdeten Trust Companies, die unausgesetzt
weiter bestürmt wurden, allen Ansprüchen gewachsen waren.
Aber an der Börse schien es, als ob aller Kreditverkehr voll-
ständig zum Stillstand kommen sollte. Für tägliches Geld wurde bis
zu 100 und 130^/0 p. a. bewilligt, indessen war es kaum möglich,
sich überhaupt Darlehn zu verschaffen. In fremden Wechseln fand
so gut wie kein Geschäft statt; ein Sterlingkurs kam überhaupt nicht
zur Notierung, da für Londoner Sichtwechsel tatsächlich keine Ab-
nehmer zu finden waren. So setzte denn eine umfassende Liquidation
ein. Die Preise der leitenden Papiere gaben um 8 bis 10 Punkte
nach — Union Pacific sank beispielsweise auf pari — , während auch
von den Warenmärkten von einem erheblichen Kurssturz berichtet
wurde. Gegen 2 Uhr erreichte die Geldnot ihren Höhepunkt. In
den Kreisen der Broker, welche um diese Zeit ihre Versorgung mit
call money beendigen mußten, aber tatsächlich keine Geldgeber
fanden, herrschte vollständige Panik; es war Gefahr, daß der Wert-
papiermarkt vollständig der Demoralisation verfiel. Da stellten
J. P. Morgan & Co. im Auftrage einer von ihnen geleiteten Banken-
gruppe dem Markte 25 Millionen Dollars zur Verfügung, die in Posten
von 100 000 Dollars und mehr zu lo^/o ausgeliehen wurden.
Die Wertpapierkurse waren nunmehr soweit gesunken, und auch
die Preise einzelner Stapelartikel derart ermäßigt worden, daß Europa
jetzt in größerem Umfange als Käufer aufzutreten begann. Für die
Börse selbst war damit der schlimmste Augenblick überwunden.
Allerdings war auch am 25. Oktober Geld auf Zeit noch nicht
zu haben; in Ermangelung jeglicher Nachfrage kam noch kein Sterling-
kurs zustande, und tägliches Geld stieg vorübergehend wiederum auf
75®/o P- ^ ^^ dann aber die Morgansche Gruppe wieder 10 Mil-
*) Evening Post (New York), 24. Oktober 1907.
•) 6oth Congress, ist Session, Senate Document No. 208, p. 227.
— 19 —
Konen Dollars zu einem mäßigen Satze hergegeben hatte, gewann
der Markt ein erheblich besseres Aussehen. Von günstigem Einfluß
war es auch, daß die Broker, den Weisungen der leitenden Banken
folgend, auf deren Leihgeld sie ja angewiesen waren, Kaufaufträge
fast ausschließlich gegen volle Barzahlung ausführten, Leerverkäufe
aber nach MögUchkeit zu unterdrücken suchten. So stellte sich an
der New Yorker Börse allmählich wieder Ruhe und Haltung ein.
Schlimmer sah es bei den Banken aus.
Der Ansturm von Deponenten dauerte mit unverminderter Heftig-
keit an, und hatte sich sogar auf weitere Trust Companies, Banken
und Sparkassen ausgedehnt. Am 24. Oktober schlössen 2 Banken,
am Tage darauf 5 Banken und 3 Trust Companies in Groß-New
York ihre Türen ^). Die Sparkassen gaben auf einen gemeinsam ge-
faxten Beschluß hin ihre Absicht kund, von der ihnen gesetzlich
zustehenden Befugnis Gebrauch zu machen, und — von kleinen
Beträgen abgesehen — fortan eine öotägige Kündigungsfrist für
Abhebungen zu verlangen. Man vermutete zwar auch bei den
anderen Instituten, die Suspension werde nur eine vorübergehende
sein; immerhin machte es einen stärkeren Eindruck, daß auch eine
Nationalbank, die dem New Yorker Clearinghaus angehörte — die
First National Bank in Brooklyn — zum Erliegen gekommen war.
In Providence mußte die Union Trust Company, deren Depo-
siten sich auf 25 Millionen Dollars beliefen, die Zahlungen einstellen;
andere Bankinstitute derselben Stadt konnten die gleiche Notwendig-
keit nur dadurch abwenden , daß sie eine längere Kündigungsfrist
für bare Abhebungen in Anspruch nahmen.
Die beiden Trust Companies in New York, auf welche gleich
der erste heftige Ansturm gerichtet worden war, hatten sich in-
dessen behaupten können, obwohl die Trust Company of America am
23. Oktober nicht weniger als 13 Millionen, am 24. Oktober annähernd
9 Millionen Dollars hatte auszahlen müssen. Allerdings war das nur
durch die Unterstützung des Schatzamts ermöglicht worden, das den
Nationalbanken in den kritischen Tagen bis zum 26. Oktober nicht
weniger als 35 Millionen Dollars zuteilte. Hiervon entfiel ein erheb-
licher Teil auf die Nationalbanken der Stadt New York % und ihnen
*) New York State, Superintendent of Banks, Annual Report 1907, p. XXIII ff.
^ Zum Zwecke dieser Auszahlungen mußten die Barbestände des Subtreasury in New
York von Washington aus aufgefüllt werden. Um insbesondere der gewaltigen Nachfrage
nach kleinen Zahlungsmitteln zu entsprechen, sandte das Schatzamt im Verlaufe von drei
Tagen 36 Millionen in kleinen Scheinen nach New York. 60 th Congreß, ist Session,
Senate Document No. 208, p. 8.
2*
OF THE
UNIVERSITY
OF
20
wurde dabei die Erwartung ausgesprochen, daß sie den bedrängten
Trust Companies alle erforderliche Hülfe leisten würden. Das war
denn auch geschehen, aber die Gefahr war keineswegs vorüber. Der
Ansturm setzte sich auch am Morgen des 26. Oktober noch mit Leb-
haftigkeit fort. Ein Ende war vorerst nicht abzusehen; man mußte
vielmehr darauf gefaßt sein, daß sich die beunruhigten Deponenten
auch noch auf andere Institute stürzen und dem Verkehr weitere
Beträge von Bargeld entziehen würden.
Im Innern des Landes hatten inzwischen die Störungen soweit
keinen besonders bedrohlichen Charakter angenommen. Zwar hatte
sich im Staate Nevada der Gouverneur schon am 24. Oktober
veranlaßt gesehen, die beiden folgenden Tage für gesetzliche Feier-
tage zu erklären. Providence und Pittsburgh aber hatten sich schnell
beruhigt, wenn auch die Pittsburgher Börse vorerst noch geschlossen
blieb. In Baltimore und Chicago hatten die Sparkassen sich zwar
gegenüber den stark gesteigerten Abhebungen auf die gesetzliche
Kündigungsfrist berufen, aber es war auch dort ohne nachhaltige
Erregung abgegangen. Überhaupt zeigten gerade die wichtigsten
Städte des Landes eine bemerkenswerte Ruhe, und somit waren
außergewöhnliche Rückwirkungen größeren Maßstabes auf New York
bis dahin im Ganzen ausgeblieben.
Immerhin hatte sich im Laufe der Woche aus dem Innern des
Landes eine ziemlich lebhafte Nachfrage nach Barmitteln geltend
gemacht. Teilweise handelte es sich dabei um den alljährlichen
Bedarf für das Hereinbringen und den Versand der Ernten, teilweise
jedoch auch lun dsis Bestreben mancher Banken, im Hinblick
auf die ungewöhnlichen Vorkommnisse in New York ihren Stand
zu kräftigen. Wenn aber auch wohl ein Teil der Banken im Innern
größere Barbeträge, als es sonst die Regel ist, von den Zentral-
reservestädten angefordert hatte, so ist doch andererseits anzunehmen,
daß diesem Verlangen mit Rücksicht auf die bedenkliche Lage von
vornherein nur beschränkte Folge gegeben wurde. Auf jeden
Fall hatten sich, was die Stadt New York selbst anbetrifft, die tat-
sächlichen Versendungen baren Geldes ins Innere zunächst in ziemlich
engen Grenzen gehalten: New York gab in der ersten Woche der
Panik 1 9,5 Millionen Dollars an das Innere ab, während 4,5 Millionen
von dort nach New York flössen^).
Nichtsdestoweniger mußten die New Yorker Banken sich darauf
gefaßt machen, daß bald ganz erheblich größere Ansprüche aus dem
*) Senate Document No. 208, p. 215.
21
Innern an ihre Bestände gestellt werden würden. Einmal war zu
berücksichtigen, daß ja der Hauptbedarf für die Ernte noch bevor-
stand. Sodann war anzunehmen, die Banken im Süden und Westen
des Landes würden, selbst wenn es vorerst nicht zu weiteren Runs
kommen sollte, doch das Bestreben zeigen, auf alle Möglichkeiten
gerüstet zu sein und tunlichst starke Bcirreserven in ihren eigenen
Händen anzusammeln. Geschah das aber, so wairen die New Yorker
Banken in übler Situation; denn ihre Barvorräte waren gering,
das nächstliegende Mittel aber um sie zu verstärken, nämlich die
Einziehung von call loans, konnten sie nicht in größerem Maßstabe
zur Anwendung bringen, ohne Geldmarkt und Börse aufs neue zu
gefährden.
Die Lage der New Yorker Banken war ferner auch dadurch
für die Folgezeit ungünstiger geworden, daß die Sparkassen die Aus-
zahlungen in der Hauptsache eingestellt hatten. Wenn dadurch auch
etwaige Rückgriffe von Seiten überlaufener Sparkassen in Wegfall
gerieten, so konnte doch ein derartiger Schritt, notwendig wie er sein
mochte, naturgemäß nicht dazu dienen, das erschütterte Vertrauen
gerade der breiteren Volkschichten wieder zu heben. Jedenfalls
wurde so der sich sonst fortlaufend vollziehenden Einzahlung von
Spargeldern zeitweilig ein Ende gesetzt, was insofern sehr unerwünscht
war, als dadurch auch fernerhin Umlaufsmittel dem Verkehr
vorenthalten bleiben mußten. Das w£ir um so mehr zu berück-
sichtigen, als eben diese Manie der Thesaurierung, das sogenannte
hoarding, ohnehin schon in weitgehendem Maße Platz gegriffen und
bereits ganz bedeutende Summen mit Beschlag belegt hatte.
Alle diese Umstände trugen dazu bei, daß sich der Ausblick in
die nächste Zukunft für die New Yorker Banken nichts weniger als
vertrauenerweckend gestaltete. Gleichzeitig aber wurde ihnen auf der
andern Seite recht deutlich zum Bewußtsein gebracht, daß ihre Lage
keineswegs dazu angetan war, außergewöhnlichen Ansprüchen zu
begegnen, nämlich durch den Ausweis vom 26. Oktober.
Danach wiesen die Depositen der Associated Banks einen nur
um 2 Millionen Dollars geringeren Stand auf als eine Woche früher,
die Barvorräte dagegen waren um 12,9 Millionen gefedlen, trotz der
großen Zuweisungen des Schatzamtes, die für die Woche 13,5 Milli-
onen Dollars betragen hatten^), aber eben durch die Unterstützung
der Trust Companies absorbiert worden waren. Während in der Vor-
woche noch ein Überschuß von 11,2 Millionen Dollars über die 25-
*) Eveniog Post (New York), 26. Oktober 1907, p. 7.
22
prozentige Barreserve vorhanden gewesen war, fehlten daran jetzt
1,2 Millionen Dollars.
Wenn dieses Defizit auch unter den gegebenen Umständen
erstaunlich gering erscheinen mußte, so war doch andererseits zu
bedenken, daß man sich in der Kreditgewährung bisher die denkbar
größte Beschränkung auferlegt, nämlich die Ausleihungen während
der ersten Panikwoche nur um 10,9 Millionen hatte anwachsen Icissen.
Man mußte sich aber sagen, daß die bisher verfolgte Politik keinen
Erfolg bedeute und nunmehr einer weitherzigen Kreditgewährung
Platz zu machen habe.
Dazu war eine schnelle Vermehrung der Umlaufsmittel erforder-
lich. Durch Notenemission ließ sich dieses Ziel nicht erreichen. So
waren denn hier Schatzamt wie Banken auf Umwege ange-
wiesen, die in der Eigenart der amerikanischen Geld- und Kredit-
organisation begründet sind und daher ein besonderes Interesse be-
anspruchen dürfen.
Die Ausgabe von Clearinghouse Loan Certificates. Der erste
bedeutungsvolle Schritt in der angedeuteten Richtung, den die New
Yorker Associated Banks unternahmen, bestand in der Ausgabe von
Clearinghouse Loan Certificates.
Dieses Hülfsmittel ist eine Schöpfung der amerikanischen Banken,
das der gesetzHchen Regelung entbehrt.
Im allgemeinen werden die Ausgleichungen bei den ameri-
kanischen Clearinghäusern, da es an einer »Bank der Banken« fehlt,
täglich bar geregelt^). Setzen nun einzelne Mitglieder der Vereinigung,
denen es an genügenden Barmitteln gebricht, einen Beschluß zur
Autorisierung von Loan Certificates durch, so kann jede der Ver-
einigung angehörende Bank Wertpapiere, — und zwar Effekten wie
auch Wechsel — , wrfche von einem besonders bestellten Ausschuß
geprüft und begutachtet werden, zur Hinterlegung bei dem Clearing-
haus oder einer hierzu bestimmten Stelle einreichen; dafür werden
ihr alsdäiin bis zu einem gewissen Prozentsatz des Nennwerts dieser
Sicherheiten Clearinghouse Loan Certificates ausgehändigt.
Die Certificate lauten auf runde Summen und müssen beim
Ausgleich der Abrechnung von edlen Mitgliedern des Clearinghauses
^) Der Bequemlichkeit wegen halten die Banken meist größere Bardepots beim Clearing-
haus, lassen sich von diesem unverzinsliche Depotscheine in größeren runden Summen aus-
stellen und regeln den Saldo in der Hauptsache durch Indossierung solcher sog. Clearing-
house Gold Certificates. Diese stellen eine ständige Einrichtung dar, sind von der Gesetz-
gebung anerkannt und nicht mit den Loan Certificates zu verwechseln. Vgl. Hasenkamp,
a. a. O. p. 73 ff.
— 23 —
in Zahlung genommen werden. Sie sind lediglich für diesen Zweck,
nicht zum Umlauf außerhalb des Abrechnungsverkehrs bestimmt;
ihre Übertragung geschieht durch Indossierung. Um die Ausgabe
dieser Certifikate in möglichst engen Grenzen zu halten, sind sie zu
einem hohen Satze zu verzinsen; die Zinsen werden später auf die
Banken, welche ein Certifikat in Zahlung genommen haben, pro rata
temporis verteilt. Beschließt das Clearinghaus die Einziehung der
Loan Certificates, so müssen sie bar eingelöst werden.
Es war gerade ein halbes Jahrhundert vergangen, seit dieses
Hülfsmittel zum ersten Male — wenn auch nicht ganz in seiner späteren
Form — angewendet worden wcir, um einzelnen Banken über vor-
übergehende Verlegenheiten hinwegzuhelfen*). Im Bürgerkrieg hatte
man sich seiner dann mehrfach bedient, späterhin aber wcir es auf
die Krisenjahre 1873, 1884, 1890 und 1893 beschränkt geblieben.
Dessen eingedenk hatte man sich während der ersten Schwierig-
keiten im Oktober 1907 denn auch nicht verschwiegen, dsiß die Aus-
gabe von Clearinghaus-Certifikaten die Panik alsbald in aller Augen
mit diesen großen wirtschaftlichen Erschütterungen auf eine Stufe
stellen werde. Demgemäß war zunächst der Versuch gemacht worden,
diesen aufsehenerregenden Schritt zu vermeiden. Eine Anzcihl von
Clearinghaus-Banken hatte sich stillschweigend zusammengetan, um
die erforderlichen Barvorschüsse an die bedrängten Mitglieder auf-
zubringen; die Wertpapiere, welche diese als Sicherheit bestellt
hatten, waren für die Gläubiger in die Hände des Clearinghaus-
Komitees gelegt worden*). Der Vorgang selbst kam somit tatsäch-
lich dem bei Gelegenheit der großen Krisen eingeschlagenen Ver-
fahren bedenklich nahe.
Den förmlichen Beschluß, zur Ausgabe von Loan Certificates
zu schreiten, fcißte das New Yorker Clearinghaus, dem Vorschlage
seines Ausschusses Folge gebend, in der Mittagstunde des 26. Oktober.
Der Zinsfuß wurde auf 6 ®/q bemessen, und bestimmt, daß Certifikate
nur bis zu 75^/0 des Nennwertes der Sicherheiten ausgegeben werden
sollten; Beschränkungen über Dauer und Umfang der Ausgabe, wie
sie bei den ersten Emissionen üblich gewesen Wciren, wurden nicht
getroffen. Die Certifikate erhielten einen Nennwert von 5000 Dollars
an aufwärts bis zu 100 000 Dollars. Mit der Ausgabe konnte, da
') Im Jahre 1857 wurde einigen Staatenbanken, die ihre Noten nicht einzulösen
vermochten, gegen Hinterlegung ihrer Banknoten Certifikate ausgestellt, und diese in Zah-
lung genommen.
*) Report of the Loan Committee of the New York Clearing House Association,
New York, 7. April 1908, auch abgedruckt Banking Law Journal vol. 25, p. 342 ff.
— 24 —
man im Clearinghaus für diesen Fall fertige Formulare bereitgehalten
hatte, unverzüglich begonnen werden, und zwar wurde alsbald ein
Betrag von ii, 235000 Dollars an diejenigen Clearinghaus-Banken
gegeben, welche im Verlauf der Woche den bedrängten Mitgliedern
der Vereinigung zu Hilfe gekommen waren.
Von einer Veröffentlichung der jeweiligen Beträge an Certi-
fikaten, welche die einzelnen Banken sich ausstellen ließen, sowie
auch der Gesamtsumme, die nach und nach in Umlauf kam, wurde
im Gegensatz zu früheren Jahren abgesehen. Auch stellte das
Clearinghaus die Veröffentlichung der wöchentlichen Bankausweise
mit dem 26. Oktober bis auf weiteres ein, insofern die Angaben der
einzelnen Institute in Frage kamen; nur die Gesamtziffern wurden
noch bekannt gegeben.^)
Welche Wirkung die Ausgabe von Loan Certificates ausübt;
ist davon abhängig, in welchem Zeitpunkt, in welcher Art und in
welchem Umfang sie erfolgt. Sie enthält eine Solidaritätserklärung
der Banken, und kann moralisch von sehr günstigem Einfluß
werden, indem sie etwaige Befürchtungen zerstreut und das Gefühl
hervorruft, daß die Banken allen Ansprüchen gerecht zu werden
vermögen. So hat sie 1884 und 1890 hervorragende Dienste ge-
leistet, und bei der sogenannten Venezuela-Panik im Jahre 1895
wurde es schließlich gar nicht nötig, Loan Certificates auszugeben,
so sehr hatte schon die bloße Ankündigung dieses Schrittes das
allgemeine Vertrauen zu befestigen vermocht.
Anders gelegentlich der Krisis des Jahres 1893. Damals traten
nur allzu deutlich die Gefahren zu Tage, welche dem Ausnahmezustand
innewohnen, der durch die Beschränkung der Barzahlungen entsteht.
Es wird nämlich dadurch auch Banken, bei denen es an sich nicht
geboten wäre, ermöglicht, Loan Certificates auszugeben und auf
diese Weise ihre Barvorräte zu schonen; wenn das jedoch geschieht,
so ist es nur ein kleiner Schritt, die teilweise Einstellung der Bar-
zahlungen, nachdem sie einmal zwischen den Mitgliedern des Clearing-
hauses erfolgt ist, auch auf den sonstigen Bankverkehr übergreifen
zu lassen. Wenn es dementsprechend nun damals zu einer allge-
meinen Einschränkung der Barzahlungen, einem unregelmäßige^ und
erschwerten Zahlungsverkehr von Ort zu Ort und schließlich sogar
zu einem Agio auf Bargeld kam, so traten diese unliebsamen Er-
scheinungen doch nicht sofort mit der Ausgabe von Loan Certi-
ficates zu Tage, entwickelten sich vielmehr erst allmählich, haupt-
*) Banker's Magazine (New York), vol. 75, p. 957.
— 25 —
sächlich unter dem fortgesetzten st2U-ken Druck der dringenden
Nachfrage nach Barmitteln aus dem Westen und Süden.
Ganz ähnliche Verhältnisse bildeten sich nun während der
jüngsten Panik im unmittelbaren Anschluß an die Entscheidung des
Clearinghauses, Loan Certificates auszugeben. Die beteiligten Banken
standen wohl zum Teil unter dem Eindruck, daß der richtige Augen-
blick für diese Maßnahme verpaßt worden sei, und sie ihren eigent-
lichen Zweck ohnehin nicht mehr erfüllen könne. Um so näher lag
es, im Hinblick auf die weitgehende Neigung zur Thesaurierung
und den andauernden Ansturm auf die beiden Trust Companies, der
sich in die neue Woche hinein fortsetzte, die Loan Certificates als
ein Mittel zu benutzen, die vorhandenen Bcirvorräte nach Möglichkeit
zu erhalten.
So ging in New York die Gesamtheit der Banken und
Trust Companies gleichzeitig mit der Ausgabe von Loan Certificates
kurzerhand dazu über, die Bsirzahlungen teilweise einzustellen. Checks
wurden nur noch mit dem Aufdruck ausgefertigt »Zahlbar durch das
Clearinghaus«, bare Auszahlungen aber fortan im allgemeinen nur
noch dann vorgenommen, wenn der Empfänger die Bank zu über-
zeugen wußte, daß er besonders dringlichen Bedarf an barem Gelde
habe, und selbst dann nur in gewisser Höhe. Für die Versendung
von Barmitteln ins Innere des Landes hielt man die Beschränkung
aufrecht, der sie vielfach bereits vorher nicht nur in New York,
sondern auch anderen größeren Reservestädten, wie St. Louis und
Kansas City^), tatsächlich unterworfen gewesen W2ir.
So kam es, daß sich die Banken im Innern zum größten Teil
sofort darüber klar waren, daß sie nach dem entscheidenden Schritt
des New Yorker Clearinghauses in der Hauptsache auf sich selbst
angewiesen sein würden. Einzelne Staaten im fernen Westen und
am Stillen Ozean, wie Oklahoma, Oregon, Washington und Cali-
fomien, erklärten eine längere Reihe von Tagen für Feiertage, um
den Banken auf diese Weise Zeit zu geben, sich den veränderten
Verhältnissen anzupassen, übrigens eine Anordnung, deren es teil-
weise gar nicht bedurft hätte ^. Jedenfalls verloren die Banken in
*) Vgl. Evening Post (New York), 28. Oktober 1907.
*) Liefmann (in seiner Besprechung der oben angeführten Schumacher*schen
Schrift, Zeitschrift für Sozialwissenschaft XI. Jahrg., p. 585 ff.) mißt dieser Einrichtung der
»legal holidays« doch wohl einen zu großen Anteil an dem unbefriedigendem Zustande des
Zahlungswesens bei. Vgl. A. L. Mills, The Northwest in the recent financial panic, Annais
of the American Academy vol. 31, p. 413 ff.; Commercial and Financial Chronicle vol. 85,
p. II 18.
— 26 —
dem weitaus größten Teile des Landes keine Zeit, selbst die geeig-
neten Maßnahmen zu ergreifen. Die Sparkassen beriefen sich durch-
weg auf die gesetzliche Kündigungsfrist. Die Clearinghäuser der
größeren Städte aber wandten sich fast ohne Ausnahme*) dem
Hülfsmittel zu, mit dem New York vorangegangen war, der Aus-
gabe von Loan Certificates. Eine Reihe von Städten faßte einen
entsprechenden Beschluß bereits am 26. Oktober, darunter Chicago,
das es bis dahin stets verschmäht hatte Loan Certificates auszu-
geben.^ Milwaukee schloß sich der Nachbcirstadt noch kurz vor
Mittemacht an, die meisten wichtigeren Plätze folgten in den aller-
nächsten Tagen. Vielfach wurde dabei von Banken und Trust
Companies ausdrücklich festgesetzt, dEiß keine Barversendungen nach
anderen Orten vorgenommen, Zahlungen — jedenfalls alle größeren —
ausschließlich durch Check bewerkstelligt, bare Einlösungen von
Checks aber nur in Ausnahmefällen bewilligt werden sollten. Aber
auch wo kein besonderer Beschluß gefaßt war, wurde die gleiche
PoUtik befolgt*), und ehe der Monat zu Ende ging, waren im ganzen
Lande die Barzahlungen größtenteils eingestellt Jede Stadt suchte
in ihren Mauern festzuhalten, was sie an verfügbaren Barmitteln be-
saß; der Zahlungsverkehr von Ort zu Ort, die Einkassierung von
auswärtigen Guthaben stockte bedenklich. Schon am 29. Oktober
ließ sich in Chicago über Auszahlung New York nur mit ^l^^l^
Diskont verfügen,*) und auch im Verkehr zwischen anderen Städten
bildete sich je nach Lage der Sache ein Diskont oder Agio.
Die leitenden Lebens -Versicherungsgesellschaften verlängerten
mit Rücksicht auf die ungewöhnlichen Verhältnisse die Frist für
Prämienzahlungen um 30 Tage. In Duluth mußte der Verkehr an
der Getreidebörse infolge Mangels an Zahlungsmitteln am 28. Oktober
vollkommen eingestellt werden; ähnUch ging es der Baumwollbörse
in New Orleans, und auch die Pittsburgher Börse blieb noch ge-
schlossen. Der »pool« der Geldgeber in New York hatte sich zwar
auflösen zu können geglaubt, aber tägliches Geld stieg doch am
28. Oktober wieder auf 60, am 29. auf 75% p. a. Geld auf Zeit war
nach wie vor nicht zu erhalten, auch in Diskonten kam kein Ge-
*) Von wichtigeren Städten, in denen Loan Certificates nicht zur Ausgabe gelangten,
sind Cindnnati, Providence und Washington zu nennen.
*) 1893 war ihre Ausgabe beschlossen worden, aber tatsächlich unterblieben. Vgl.
E. V. Halle, Die wirtschaftliche Krisis des Jahres 1893 in den Vereinigten Staaten von
Nordamerika, Schmoller's Jahrbuch, 18. Jahrg., p. 1 201 ff.
*) Teilweise ersuchten die Banken ihre Kunden durch Rundschreiben, Checks mit
dem Vermerk auszustellen: »2^ahlbar nur durch das Clearinghaus.«
*) Evening Post (New York), 29. Oktober 1907.
— 27 —
schäft zustande. Dagegen zeigte der Devisenmarkt eine erfreuliche
Veränderung, und damit öffnete sich den New Yorker Banken eine
weitere Möglichkeit, ihre Lage zu verstärken, nämlich durch Gold-
importe.
Die Einfuhr fremden Goldes. In den schlimmsten Tagen der
ersten Aufregung in New York hatte das Geschäft in »Exchange
London« in vollkommenem Stillstand verharrt, da die amerikanischen
Banken augenblicklich in New York bessere Verwendung für ihr
Geld zu haben glaubten als in London. Aber hätten wirklich inter-
nationcile Häuser schon so frühzeitig dciran gedacht, Goldimporte von
London in die Wege zu leiten, so wäre es bei der herrschenden
Verwirrung schwierig gewesen, die erforderlichen Kredite flüssig zu
machen. Dieses Hindernis kam dann in Fortfall, als durch den Be-
schluß des Clearinghauses, Loan Certificates auszugeben, die ärgste
Kreditstockung überwunden wurde. So ist es kein Zufall, daß unge-
fähr gleichzeitig mit dem Bekanntwerden dieses Ereignisses der
Abschluß einer Transaktion durch die National City Bank ange-
kündigt wurde, welche die Einfuhr von 3,5 Millionen Dollars eng-
lischen Goldes nach New York sicherte.
'Bald dsirauf gaben die Erschwerungen, welche sich im Zahlungs-
verkehr mit dem Innern des Landes herausgebildet hatten, den
dortigen Exporteuren berechtigte Veranlassung, für die großen
Verschiffungen von Baumwolle und Getreide, welche Europa
nun zu den gefallenen Preisen abgeschlossen hatte, statt der sonst
gangbciren Begleichung durch Wechsel lieber Goldzahlung auszu-
bedingen. So nahm das Angebot von Sterlingwechseln in New York
nicht sonderlich zu, während auf der anderen Seite lebhafte Nach-
frage danach hervortrat von internationalen Häusern, welche eng-
lisches Gold zu importieren wünschten. Die Bank von England sah
sich denn auch veranlaßt, am 31. Oktober den Diskont von 4^/^ auf
5^/2^/0 heraufzusetzen, nachdem die deutsche Reichsbank am 29.
mit einer Erhöhung von 5^/, auf 6^/3^/0 vorangegangen wcir. In
diesen besonderen Verhältnissen ist die Erklärung dafür zu suchen,
daß der Sterlingkurs in der kiu*zen Zeit vom 26, Oktober bis zum
I, November von 4,80 auf 4,88 stieg, und daß zu einem Satze, der
unter Umständen einen Goldexport mit sich bringt, noch Gold ein-
geführt werden konnte. Bis Ende Oktober war angekündigt, daß
24 Millionen Dollcirs Gold zur Einfuhr aus England gesichert seien,^)
und zwcir kleinere Beträge für Banken in Chicago, Boston, Philadel-
Document 208, p. 13.
— 28 —
phia, Pittsburgh, die selbständige Verhandlungen mit London ge-
führt hatten, bei weitem der größte Teil aber für New Yorker
Rechnung.
Diese Transaktionen fanden denn auch deutlichen Ausdruck in
dem Wochenausweis der New Yorker Associated Banks vom 2. No-
vember, insbesondere in dem Anwachsen der Ausleihungen, da der
Gegenwert für das Metall in London zunächst nur durch Inanspruch-
nahme New Yorker Kredits zu beschaffen war. Die Depositen hatten
nur um 28 Millionen, die Ausleihungen aber um 60 Millionen Dollars
zugenommen, wodurch die Spannung zwischen diesen beiden Posten
auf die noch nie dagewesene Höhe von fast 100 Millionen Dollars
stieg. Die Barbestände hatten sich im Laufe der Woche um 30 Milli-
onen vermindert, so dciß der Fehlbetrag an der 25prozentigen Reserve
sich nunmehr auf 38,8 Millionen Dollcirs bezifferte. Obwohl man sich
Rechenschaft davon gab, daß dieser ungünstige Status als eine not-
wendige Folge der Ausgabe von Loan Certificates und der Beschaffung
ausländischen Goldes hinzunehmen war, übte er einen bedrückenden
Einfluß aus, und zwar umsomehr, als sich an eben diesem Tage ein
anderes recht bedenkliches Symptom — das sogenannte currency
premium — einstellte, ein Agio auf Bargeld.
Im allgemeinen hatten sich zwar die Banken bemüht, ihren
Kunden für Lohnzahlungen und ähnliche dringende Zwecke die er-
forderlichen Bsirbeträge bereitzustellen; aber einzelne Industrielle hatten
doch Schwierigkeiten, ihren notwendigen Bedarf zu beschaffen,
und gleichzeitig traten auch schon Banken im Innern, deren Barmittel
unzureichend Wciren, an internationale Häuser in New York mit dem
Angebot einer besonderen Vergütung auf einzuführendes Gold heran.
So bildete sich zuerst am 2. November ein Agio von 2 bis 3 Prozent,
das dann in wechselnder Höhe bestehen blieb. Es galt nicht etwa
bloß für Gold, sondern alle Arten bcirer Zahlungsmittel. Die Er-
scheinung dürfte überhaupt eigentlich nicht als Aufgeld bezeichnet
werden, und die landläufige Anschauung, daß es sich um den Kauf
von Gold handelt, das mit Checks bezahlt wird, ist irrig. Vielmehr
mußte man sich als Inhaber eines Checks, der eben zu dieser Zeit
ein nicht einlösbares, wenn auch im allgemeinen zum Nennwerte an-
genommenes Zahlungsmittel darstellte, einen Abzug gefallen lassen,
sofern man bares Geld dcifür zu erhalten wünschte. Dieselbe Erfahrung
hatte man während der Krisis von 1893 gemacht, doch hatte sich
dies sogenannte Agio erst Anfang August gebildet, während das
New Yorker Cleairinghaus schon am 21. Juni Loan Certificates aus-
gegeben hatte. 1907 aber hat diese Entwicklung sich innerhalb
— 29 —
einer einzigen Woche vollzogen, und es ist nicht zu verwundem,
daß darüber einige Bestürzung entstand.
Zu gleicher Zeit hatte auch die Lage der beiden bestürmten
Trust Companies aufs neue lebhafte Besorgnisse hervorgerufen. Der
Ansturm der Deponenten hatte sich zwar vermindert, aber doch immer
noch fortgesetzt, und die beiden Gesellschaften hatten zu einer dila-
torischen Politik ihre Zuflucht genommen. Dadurch wurde es auch
für die Banken schwierig, Checks auf diese beiden Trust Companies
für ihre Kunden mit einiger Regelmäßigkeit einzuziehen, und die
Folge war, daß einzelne Banken solche Checks zuerst nur mit Vor-
behalt annahmen, dann aber von vornherein abwiesen oder kurzerhand
mit dem Aufdruck »nicht einziehbar« zurückgehen ließen. Infolge
dieses Verfahrens entstanden natürlich allerlei beunruhigende Gerüchte,
die sich ganz beängstigend gestalteten, als die Verhandlungen, welche
zwischen Banken und Trust Companies im Gange waren und eine
weitere, sehr notwendige Hilfsaktion zu Gunsten der beiden gefährdeten
Institute zum Gegenstande hatten, zu keinem Ergebnis zu führen schienen.
Am 4. November eröffnete die Börse in so schwacher Stimmung,
daß viele Werte einen neuen Tiefstand erreichten, und sich ein kräf-
tiger »pool« bildete, um den Kurssturz nicht allzu heftig werden zu
lassen. Aber im Laufe des Tages kamen dann befriedigende Nach-
richten hinsichtlich der gefährdeten Trust Companies. Es wurde be-
kannt, daß ihnen ein von Pierpont Morgan geführtes Bankkonsortium
zunächst 5 Millionen Dollars zur Verfügung gestellt und weitere Hülfe
unter bestimmten Bedingungen in Aussicht gestellt habe. Nach einiger
Überlegung ließen sich die Trust Companies zu allen Zugeständ-
nissen bereit finden, eine Entschließung, die insofern nicht ganz
unbeeinflußt gewesen sein mag, als der Superintendent der Banken
des Staates New York ihnen zu verstehen gegeben hatte, daß nur
die prompteste Befriedigung der Deponenten ihn davon abhalten
würde, behördlicherseits die Verwaltung zu übernehmen'). Nachdem
ihnen Unterstützung gewährt worden, ließen es sich die beiden Trust
Companies angelegen sein, allen Ansprüchen mit möglichster Schnellig-
keit gerecht zu werden. Diese Politik hatte den gewünschten Erfolg:
der Ansturm hörte endlich auf ^).
Daß durch das tatkräftige Vorgehen der Banken, insonderheit
Pierpont Morgans, neue Schwierigkeiten und Bankbrüche vermieden
*) Evening Post (New York), 6. November 1907; A. D. Noyes, The finandal
panic in the United States, Forum vol. 39, p. 299.
*) Welche Ausdehnimg er gehabt, ergibt sich daraus, daß allein die Trust Company
of America seit dem Beginn des Run nicht weniger als 34 Millionen Dollars ausgezahlt hatte.
— 30 —
worden, wurde allerseits mit großer Befriedigung und Erleichterung
aufgenommen, und das gleichzeitige Eintreffen der ersten Goldsendung
aus England — es war dies am 5. November 1907 — trug ebenfalls
dazu bei, die allgemeine Stimmung freundlicher zu gestalten. Auch
die Börse gewann wieder ein zuversichtlicheres Aussehen; die Kurse
konnten sich befestigen, und das currency premium ging zurück.
Wer allerdings auf sein baldiges Verschwinden gerechnet hatte, sah
sich getäuscht. Immerhin hatte das Agio auch eine gute Seite; es
machte nämlich Goldimporte noch bei einem Sterlingkurse lohnend,
der an sich zu einer Goldausfuhr Veranlassung gegeben haben würde.
Die Banken nutzten diesen Umstand nach Kräften aus, und die Trans-
aktionen, welche die Einfuhr europäischen Goldes zum Zwecke hatten,
nahmen ununterbrochen ihren Fortgang.
Es war natürlich, daß die europäischen Zentralbanken solch
umfangreichen Goldentziehungen nicht gleichgültig zusehen konnten.
Der Londoner Markt war an dem Ausfuhrgeschäft am unmittelbarsten
beteiligt, aber auf Goldzufluß vom Kontinent angewiesen, der seiner-
seits durch dcLS Anziehen der Sterlingkurse in Mitleidenschaft ge-
zogen wurde. Die Bank von Frankreich ließ sich dadurch zu einer
Vereinbcirung mit dem Schwesterinstitut in London bestimmen, wie
sie schon einmal im Jahre 1906 — dem während der Baring-Krisis
stattgehabten Vorgang folgend — getroffen worden war. Paris er-
klärte sich am 4. November bereit, für 3 Millionen Pfund Sterling
englische Wechsel zu übernehmen und dafür der Bank von England
Sovereigns und Eagles zur Verfügung zu stellen. Die Durchführung
des Abkommens wurde alsbald in Angriff genommen und mit
Schnelligkeit beendet.
Hand in Hand mit dieser besonderen Maßnahme gingen weitere
Diskonterhöhungen. Die Bank von England wartete nicht den üblichen
Donnerstag ab, sondern setzte Montag, den 4. November den Dis-
kont von 5^/2 auf 6, am 7. November aber auf 7 Prozent fest, einen
Satz, der seit der Krisis von 1873 nicht mehr dagewesen war. Die
Bank von Frankreich erhöhte ebenfalls am 7. November ihre Rate
von 3^/2 auf 4 Prozent, und die Reichsbank erreichte am 8. November
durch eine Steigerung um ein volles Prozent mit 7^/^ Prozent den
höchsten Satz in ihrer Geschichte.
Trotzdem gelang es den amerikanischen Banken, sich fortgesetzt
neue Goldeinfuhren zu sichern. New York allein hatte bis Mitte
November an Gold aus dem Auslande 30 bis 40 Millionen Dollars
geUefert erhalten^).
^) Evening Post (New York), 14. November 1907.
_ 31 —
Aber es Wcir nicht möglich gewesen, diese Mittel zur Auffüllung
der Reserven zu verwenden. Vielmehr ließ der Ausweis der New
Yorker Clearinghaus-Banken ständig wachsende Fehlbeträge an der
25prozentigen Reserve erkennen. Das Defizit hatte am 2. November
38,8 Millionen Dollcirs betragen, belief sich 8 Tage später aber
auf nicht weniger als 51,9 Millionen, um dann allerdings nur noch
unerheblich zu steigen, so daß es sich am 16. November auf 53,7
Millionen bezifferte. In diesem i4tägigen Zeitraum waren die Aus-
leihungen um über 40 Millionen angewachsen, die baren Bestände
dagegen wiesen nur eine geringe Abnahme auf.
Es war den Associated Banks nicht leicht geworden, sich so
zu behaupten. Einerseits verlangten ihre Korrespondenten im Innern
unter Hinweis auf die Emtebedürfnisse dauernd nach Barmitteln.
Andererseits hatten die europäischen Goldzufuhren in dieser Zeit
beinahe den einzigen Zuwachs zu ihren Reserven ausgemacht Denn
seit sich das Agio auf Bargeld gebildet, hatte die Thesaurierung
allenthalben noch erheblich zugenommen, und von ihren Kunden
erhielten die Banken keine Barmittel. Wollten die New Yorker
Banken also ihre Bestände nicht vermindern, so mußten sie versuchen,
die Versendungen ins Innere etwas mit der eingehenden Zufuhr
europäischen Goldes in Einklang zu bringen, und das wsir in der Tat
ihre Politik gewesen.
Auch die Banken im Innern des Landes hüteten ihre Barvor-
räte im großen und ganzen mit einer gewissen Aengstlichkeit, die
aber nichts Überraschendes hat, wenn man bedenkt, mit welchen
Schwierigkeiten für sie die Auffüllung ihrer Reserven unter den
obwaltenden Verhältnissen verbunden wair. Auch konnten sie, wenn
sie bare Auszahlungen machten, nie wissen, ob das Geld wirklich
dem allgemeinen Verkehr zugute kommen würde. Denn sorglich
hielt die große Mehrzahl alles Bargeld fest, dessen man nur irgend
habhaft werden konnte.
Zur Linderung des Geldmangels griff man an den meisten Orten
wieder zu den Hülfsmitteln, in denen die Amerikaner so erstaunlich
erfinderisch sind, und deren man sich in besonderm Maße auch ge-
legentlich der »currency famine« von 1893 bedient hatte. Daß Clea-
ringhaus-Certificate in den allgemeinen Verkehr gelangten, kam
nur ausnahmsweise, in New York überhaupt nicht vor; dagegen
wirkten die Clearinghäuser vielfach planmäßig darauf hin, für die
Bedürfnisse des allgemeinen Zahlungsverkehrs, insbesondere für Löh-
nungszwecke, Ersatzmittel an Stelle des mangelnden Bargeldes zu
beschaffen. Vorzugsweise geschah das in der Weise, daß sich die
— 32 —
Clearinghäuser Sicherheit^) bestellen ließen und dagegen Zahlungs-
anweisungen auf kleine Beträge, z. B. von i oder 2 DoUcirs, ausgaben.
In manchen Fällen erhielten diese Anweisungen die Form sogenannter
cashier's checks und wurden mit dem Aufdruck »Zahlbar durch das
Clearinghaus« versehen, wie in Pittsburgh und San Francisco; doch
behalf man sich auch noch auf andere, und zwar die verschieden-
artigste Weise. Von den Clectringhouse Loan Certificates unterscheiden
sich alle diese Arten von Notgeld besonders dadurch, daß die Scheine
unverzinslich und von vornherein für den allgemeinen Verkehr be-
stimmt sind, daher auch nicht wie jene des Indossamentes bedürfen.
Ihre Umlaufsfähigkeit beruht darauf, daß sich die Banken bereit er-
klären, diese »emergency currency« in Zahlung zu nehmen.
Im einzelnen halfen die Banken auch dadurch aus, daß sie
einem Kunden gegen einen größeren Check, einer andern Bank
gegen ein Clearinghouse Loan Certificate die gewünschte Anzahl von
certificierten Checks oder Gutscheinen einhändigten, die auf kleine
runde Beträge lauteten und auf den Inhaber gestellt, also überall
bequem verwendbar waren. Einzelne Eisenbahnen und industrielle
Gesellschaften — unter andern auch die Standard Oil Company —
ließen dercirtige Geldzeichen von ihren Kassierern ausstellen und
verwendeten sie zu Lohnzahlungen. Ehe sich diese Hilfsmittel ein-
gebürgert hatten, erlitten viele unerfahrene Arbeiter daran eine Ein-
buße; sie gaben den Anerbietungen von Spekulatoren Gehör und
ließen sich bestimmen, ihre Löhnung in bares Geld einzuwechseln,
wobei ihnen dann natürlich ein wucherischer Diskont abgezogen wurde ^).
Schon nach kurzer Zeit wurden freilich die Geldzeichen überall bereit-
willig angenommen, wie man sich denn im ganzen überhaupt be-
wundernswert gut in die ungewohnte Lage zu schicken wußte. Dcis
verdient um so mehr Anerkennung, als auch insofern noch eine ge-
wisse Unsicherheit herrschte, daß bei strenger Auslegung des Gesetzes
jedenfalls ein großer Teil dieser »emergency currency« zu einer 10-
prozentigen Bundessteuer hätte herangeholt werden müssen. Die
Behörden sahen allerdings davon ab, in dieser Richtung vorzugehen
und fanden damit auch durchweg Beifall.
*) Im Westen, wo die Verpfändung von Waren infolge der zahllosen »Elevators«
und ähnlicher Lagervorrichtungen sehr bequem und verbreitet, auch systematisch durchgebildet
ist, bestand die Sicherheit nicht selten in Waren. Vgl. über das sogenannte »wheat money«
in Portland (Oregon) A. L. Mills, a. a. o. p. 414 ff; über »canned fish currency« den so
betitelten Aufsatz im Outlook, vol. 87, p. 888 ff.
^) Evening Post (New York), 16. November 1907; Yves Guyot, La crise Am6ri-
caine, ses effets et ses causes, Revue internationale du commerce, de Pindustrie et de la
banque, 9. ann6e, p. 774.
— 33 —
Aber trotz aller Notbehelfe blieb ein empfindlicher Mangel an
Umlaufsmitteln zu verspüren. Er gab vielfach zu Arbeiterentlassungen
und Betriebseinschränkungen Veranlassung, und auch sonst konnten
Schwierigkeiten nicht immer vermieden werden. Der Zahlungsverkehr
von Ort zu Ort blieb außerordentlich schleppend, und bei der Ent-
richtung öffentlicher Gefälle gelang es den Abgabepflichtigen manch-
mal kaum, die erforderlichen Barmittel aufzutreiben. In dieser Be-
ziehung war aber auch das Verhalten der Bundesorgane kein besonders
glückliches ^).
Überhaupt konnte es bei den unerfreuUchen Zuständen nicht
ausbleiben, daß die Regierung, insbesondere das Schatzamt, mehr 2ils
zu andern Zeiten kritisiert und angegriffen wurde. Man machte die
Regierung verantwortlich und verlangte Abhülfe.
Nachdem das currency premium in die Erscheinung getreten,
mehrten sich, auch im Auslande, die Stimmen derer, welche ver-
langten, dsiß die Regierung in irgend einer Weise eingreifen solle. Viel-
fach wurde gefordert, daß Roosevelt sofort eine besondere Sitzung des
Kongresses einberufen solle, der allerdings zu Beginn des Dezember
auch ohne dies zusammentreten mußte. Von mancher Seite*) wiwde
die alsbaldige Ausgabe von Papiergeld durch die Bundesregierung
befürwortet. Andere Vorschläge gingen dahin, der Schatzsekretär
solle die gesamten Gelder, welche im Schatzamt ziu* Verfügung der
mit den Auszahlungen der Regierung betrauten Beamten gehalten
wurden, oder aber einen Teil der Fonds für die Einlösung von Green-
backs und Goldcertificates als Depositen des Bundes an die National-
banken verteilen.^
Maßnahmen des Schatzamts zur Vermehrung des Umlaufs. Tat-
sächlich unterließ Schatzsekretär Cortelyou nichts, was ihm seine
ohnehin so beschränkten Machtbefugnisse und die fallenden Einkünfte
des Bundes gestatteten. Allerdings sah er davon ab, unmittelbar in
die internationalen Zahlungsbeziehungen einzugreifen, und knüpfte
daher nirgends die Überweisung von Regierungsgeldern an die Be-
dingung, dsiß sie zur Einfuhr eiu*opäischen Goldes verwendet werden
sollten, wie dies Schatzsekretär Shaw im Jahre 1906 getan hatte*).
Was aber die von Shaw mehrfach angewandte künstliche Stimu-
lierung der Banknotenausgabe betrifft, so folgte Cortelyou durchaus
*) Vgl. Guyot, a. a. O. p. 778; Evening Post (New York), 25. November 1907.
*) Vgl. Economist (London) vol. LXV, p. 1961 ff., 2122; Statist (London) vol. LX,
p. 869 ff.
^ Evening Post (New York), 4. November 1907; Statist (London) vol. IX, p. 930.
*) Document 208, p. 13; Hasenkamp, a. a. O. p. i62ff.
Hasenkamp, Die wirtschaftliche Krisis des Jahres 1907 in den Vereinigten Staaten. B
— 34 —
der Politik seines Vorgängers. Nachdem die Mahnung des Schatz-
amts an die Nationalbanken, den Notenumlauf zu vermehren, eine
nur sehr geringe Wirkung getan — er bezifferte sich für das gesamte
Bundesgebiet am 15. Oktober auf 607, am 31. Oktober auf 610
Millionen — gestattete Cortelyou den Nationalbanken für den Fall,
daß sie Schuldverschreibungen der Vereinigten Staaten als Sicherheit
für die Depositen der Regierung im Schatzamt hinterlegt hatten,
diese Bonds durch gewisse andere Wertpapiere zu ersetzen, die vordem
für diesen Zweck nicht zugelassen wziren, um dadurch die Banken
in die Lage zu setzen, ihre auf solche Weise verfügbar gewordenen
Schuldverschreibungen der Vereinigten Staaten cils Grundlage für
eine erweiterte Banknotenausgabe zu verwenden. In der Tat hob
sich der Notenumlauf infolge dieser Maßnahme bis zum 15. November
auf 631 Millionen DollEirs.^)
Das weitere von Shaw häufig beliebte Mittel, um den Stand
der Nationalbanken zu erleichtem, die Überweisung von Regierungs-
geldern, brachte Cortelyou in noch weitgehenderem Maße zur An-
wendung als sein Amtsvorgänger. Gewöhnlich hatte man den ver-
fügbaren Betriebsfonds im Schatzamt — die sogenannte working
balance — auf einer Höhe von mindestens 50 Millionen Dollcirs zu
halten gesucht; unter Shaw hatten dann 25 Millionen als das äußerste
Minimum gegolten. Cortelyou aber setzte die Überweisung öffent-
licher Depositen so lange fort, daiß der freie Barbestand des Schatz-
amts auf ungefähr 5 Millionen Dollars zusammenschrumpfte®).
Man hatte Hoffnungen auf Verhandlungen gesetzt, durch welche
man die Bank von Frankreich zu bewegen gedachte, auf Grund eines
besonderen Abkommens größere Beträge Gold unter Umgehung der
Bank von England unmittelbar an die Vereinigten Staaten abzugeben.
Die Bank war nicht abgeneigt, glaubte aber auf Grund ihrer Be-
stimmungen für diese besondere Transaktion eine unmittelbare Bürg-
schaft des Schatzamts der Vereinigten Staaten verlangen zu müssen.
Da sich indessen diese Bedingung nicht erfüllen ließ, wurden die
Verhandlungen kurz vor Mitte November abgebrochen*^).
In dieser Verlegenheit mußte sich der Sekretär des Schatzamts
entschließen, einzelnen Hinterlegungstellen in New York ein paar
*) Vgl. ComptroUer's Report 1907, p. 68; Docuinent 208, p. 10.
*) Journal of Political Economy vol. XVI, p. 31 ; Document 208, p. 19. Die National-
banken hatten am 15. Oktober 1907 162,7 Millionen, am 17. November 212,8 Millionen Dollars
an Regienmgsgeldem in Händen; die besonderen Überweismigen hatten also in Monatsfrist
50 Millionen Dollars betragen. Vgl. Treasurer's Report 1907, p. 18 ff; Document 208, p. 230.
») Vgl. Guyot a. a. O. p. 779.
— 35 —
Millionen Dollars abzufordern.^) Dabei machte er die Erfahrung, daß
die Banken nur äußerst ungern selbst geringe Bzirbeträge aufgaben,
und es schien ihm mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung nicht
geraten, diesen Weg weiter zu verfolgen. Andererseits bedurften
die Bestände des Schatzamts sehr notwendig der Auffüllung. Hatte
man doch sogar begonnen, die ständigen Vorräte an Silberdollars
und silberner Scheidemünze nicht unerheblich zu vermindern ^. Dabei
ließen die regelmäßigen Einnahmen einen merklichen Rückgang er-
kennen, insbesondere die bar zu entrichtenden Abgaben.
Unter diesen Umständen war es, selbst wenn man garnicht ein-
mal die Möglichkeit solch außergewöhnlicher Ansprüche in Betracht
zieht, wie sie gelegentlich der Krisis von 1893 an das Schatzamt
herangetreten waren, entschieden gewagt, sich in so weitgehendem
Maße von flüssigen Mitteln zu entblößen. Denn was hätte es für
Kritiker der Regierungspolitik Willkommeneres geben können, als
wenn das Schatzamt, bei einem buchmäßigen Verfügungsbestand von
weit über 200 Millionen Dollars*), sich auch nur die geringste Ver-
zögerung in der Erledigung laufender Verbindlichkeiten hätte zu
Schulden kommen lassen. Zweifellos befand sich also dcis Schatzamt
in einer mißUchen Lage, die Überlegung und Geschick erforderte;
schwerUch aber kann behauptet werden, daß es bei den Maßnahmen,
die zu ergreifen man sich nach langem Zögern entschloß, glücklich
beraten gewesen ist.
Die Anleihen der Regierung. Am 18. November 1907 lud das
Schatzcmit in öffentlicher Ankündigung zur allgemeinen Zeichnung
ein auf zwei verschiedene Ausgaben von Schuldverschreibungen des
Bundes, nämlich langfristige zweiprozentige Panamakanal-Bonds bis
zum Höchstbetrage von 50 Millionen, sowie dreiprozentige Schatz-
scheine — certificates of indebtedness — bis zum Höchstbetrage von
100 Millionen Dollars.
Die Panamakanal-Bonds waren durch Gesetz vom 28. Juni 1902
(Sektion 8) in einer Höhe von 130 Millionen autorisiert worden mit
der Maßgabe, daß sie je nach Bedarf für die Baukosten des Panama-
kanals, jedoch nicht unter pari aufgelegt werden sollten. Im Juli 1 906
waren davon 30 Millionen begeben worden, nachdem ein Gesetz vom
31. Dezember 1905 (Sektion i) die Kanalbonds für geeignet erklärt
hatte, den Noten der Nationalbanken zur Unterlage zu dienen. Man
war mancherseits darauf vorbereitet gewesen, daß die Regierung einen
*) Document 208, p. 230.
*) Bankerts Magazine (New York), vol. 75, p. 968.
8) Document 208, p. 230.
- 36 -
weiteren Betrag dieser Bonds begeben würde, um dadurch auf eine
Vermehrung des Banknotenumlaufs hinzuwirken.
Um so überraschender aber kam die Ausgabe der Schatzscheine.
Sie beruhte auf dem Gesetz vom 13. Juni 1898 (Sektion 32), meist
als Spanish War Loan Act bezeichnet, da es, die Beschaffung von
Mitteln für den Krieg mit Spanien regelte. Damals wiu-de der
Sekretär des Schatzamts ermächtigt, Schatzscheine zu einem 3 Prozent
nicht übersteigenden Zinsfuß und mit einer Lauffrist von höchstens
einem Jahr zu begeben, und zwar innerhalb der Höchstgrenze von
100 Millionen Dollars »wie es nach seinem Ermessen notwendig sein
mag, um damit öffentliche Ausgaben bestreiten zu können«^).
Diese Bestimmung hatte man ausdrücklich in Geltung gelassen»
doch war bisher kein Gebrauch davon gemacht worden, insbesondere
nicht während des Krieges. Jetzt wurden dem Publikum zur so-
fortigen Zeichnung 100 Millionen dieser Noten al pari angeboten»
die in Abschnitten zu 50 Dollars begeben und am 20. November 1908
mit den Zinsen zurückbezahlt werden sollten.
Die Ankündigung der Regierung wurde alsbald zum Gegen-
stand einer sehr lebhaften Kritik gemacht, welche sich sowohl gegen
die Zweckdienhchkeit des Planes als auch seine Gesetzmäßigkeit
richtete. In dieser letzteren Beziehung wurde geltend gemacht, daß
die tatsächlich geijiachten ungedeckten Ausgaben für den Kanal
nicht an 50 Millionen heranreichten, eine Vorwegnahme für die Zu-
kunft jedoch nicht statthaft sei; femer aber wurde es 2ils eine Ver-
letzung des Gesetzes bezeichnet, wenn bei einem bedeutenden lieber-
schuß der Bundesfinanzen kurzweg 100 Millionen geborgt wurden,
»um damit öffentliche Ausgaben bestreiten zu können«.
Ob die angekündigten Maßnahmen sich als zweckdienlich er-
weisen würden, wsir zunächst schwer zu beurteilen, da die Aus-
schreibungen des Schatzsekretärs äußerst unbestimmt gehalten waren.
Jedenfalls Wcir beabsichtigt, dem Schatzamt neue Betriebsmittel zu-
zuführen. Andererseits aber ließ man sich auch von dem Bestreben
leiten, den Stand der Banken zu erleichtern und die für den Verkehr
verfügbaren Umlaufsmittel zu vermehren. Es war aus der ersten
amtlichen Ankündigung nicht ohne weiteres ersichtlich, wie man
diesen Zweck zu erreichen gedachte.
*) »The Secretary of the Treasury is authorized to borrow from time to time such
sum or sums as in his judgement may be necessary to meet public expenditures.« Die
Ausschreibungen des Schatzamts mit den Gresetzesauszügen sind abgedruckt Banker's Magazine
New York), vol. 75, p. 884 ff; Document 208, p. 228 ff.
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Die Kanalbonds kamen als dauernde Anlage nur für National-
banken in Frage; mußten diese aber den Kaufpreis für die Bonds
bar entrichten, so verringerte sich ihr Barvorrat um mindestens den-
selben Betrag, um den sie den Notenumlauf erhöhen konnten. Die
Transaktion konnte also für sie erst durch eine Zusage des Inhalts
Interesse gewinnen, daß ihnen der Zeichnungspreis ganz oder doch
zum überwiegenden Teil als Depositum der Regierung überlassen
bleiben solle. Das wurde allerdings vorerst nicht in Aussicht gestellt;
auch hätte es selbst dann für die Mehrzahl der Banken im Westen
und Süden noch Schwierigkeiten gehabt, die geeigneten Bonds für
die Sicherstellung der Depositen zu beschaffen. Im besten Falle
aber mußten Wochen vergehen, bis die Noten in Umlauf gelangen
konnten, da die Zuteilung der Anleihe und die übrigen Formalitäten
erst nach dem Ablauf der Zeichnungsfrist, dem 30. November 1907,
beginnen konnten und notwendig einige Zeit in Anspruch nehmen
mußten. Ferner durften die neuen Banknoten von Seiten der National-
banken nicht zur Reserve gerechnet werden; was aber ihre spätere
Zurückziehung angeht, so war hier die gesetzliche Bestimmung von
Nachteil, daß die Verminderung des gesamten Notenumlaufs aller
Nationalbanken den Betrag von 9 Millionen DoUzirs im Monat nicht
übersteigen darf.
Von den Schatzscheinen hatte sich die Regierung offenbcir ver-
sprochen, daß sie ängstUchen Leuten, die ihr Geld aus der Bank
herausgenommen hatten, und denen vorerst keine Anlage gut genug
erschienen Wcir, als eine unbedingt sichere Kapitalanlage willkommen,
daß sie somit geeignet sein würden, das beiseite gebrachte Geld aus
seinem Versteck in den Verkehr zurückzuführen. Von einer Absicht,
die Certifikate als Unterlage für die Ausgabe von Banknoten ver-
fügbar zu machen, ließ das Schatzamt in seiner ^Ankündigung nichts
verlauten, und es war daher nicht einzusehen, was die National-
banken zur Beteiligung an der Zeichnung dieser Werte veranlassen
sollte. Denn hätte man den Banken auch den ganzen Zeichnungs-
preis in der Form von Regierungsdepositen belassen, so wäre damit
lediglich ein größerer Teil ihres Kapitals festgelegt, ihre Verbind-
lichkeiten erhöht, die Barvorräte aber nicht vermehrt worden.
Allerdings rechnete das Schatzamt ursprünglich damit, daß die
Certifikate unmittelbar als Umlaufsmittel, besonders während der
Erntezeit im Westen und Süden, Verwendung finden könnten, und
offenbar im Hinblick auf diese Möglichkeit Wcir anfangs in Aus-
sicht genommen, diesen Schuldtiteln nicht das Aussehen von Bonds
zu geben, sie vielmehr nach Art und Größe der Banknoten herzu-
- 38 -
stellen.^) Aber die öffentliche Meinung hatte gegen die Ausgabe
von Schatzscheinen dieser Art nachdrücklich Stellung genommen, sie
auf das heftigste verworfen und mit der berüchtigten »Inflation Bill«
und ähnlichen Mißgriffen von Gesetzgebung und Verwaltung auf
eine Stufe gestellt, so daß es zweifelhaft scheinen mußte, ob das
Schatzamt wirklich einen derartigen Schritt unternehmen werde.
Andererseits hatte man in Bankkreisen die Hoffnung geäußert,
der Kontrolleur der Umlaufsmittel werde von seiner diskretionären
Befugnis Gebrauch machen und keine Einwendungen erheben, wenn
eine Nationalbank die neuen Certifikate als Bestandteil ihrer gesetz-
lichen Reserven mitzählen sollte. Ein solches Verfahren wäre eine
offenbare Gesetzesverletzung gewesen, und der Schatzsekretär verlor
denn auch keinen Augenblick, sich mit Entschiedenheit gegen diese
Auffassung zu wenden*).
Inzwischen hatte sich schon gezeigt, daß das Privatpublikum
den Certifikaten praktisch nur wenig Interesse entgegenbrachte. Da-
mit wurde der Erfolg der Anleihe zur Hauptsache von den National-
banken abhängig. Da der Schatzsekretär sich auch wohl sonst der
Richtigkeit der geübten Kritik nicht ganz verschließen konnte,
modifizierte er nunmehr seinen Plan in mehrfacher Hinsicht, ins-
besondere auch um ihn mit den Wünschen der Nationalbanken in
Einklang zu setzen.
Zunächst kündete er an, daß auch die Certifikate als Deckung
für neu auszugebende Banknoten zugelassen seien. Diese Art von
Banknoten konnte schneller zur Ausgabe gebracht werden, da bei
den Schatzscheinen infolge der Begebung al pari weder der Ablauf
der Zeichnungsfrist abgewartet, noch eine Entscheidung über Gebote
verschiedener Höhe getroffen werden mußte. Auch war es ein Vor-
teil, daiß ihre Zurückziehung nach Jahresfrist im ganzen Umfange
geschehen konnte, da die Beschränkung auf 9 Millionen nicht solche
Noten betrifft, die durch Einlösung der unterliegenden Schuldver-
schreibungen zur Erledigung gelangen. Ferner beschloß der Schatz-
sekretär, bei den Certifikaten Zeichnungen von privater Seite über-
haupt nicht zu berücksichtigen, kam auch den Nationalbanken weiter
in einem sehr wichtigen Punkte entgegen. Er sagte nämlich zu, daß
ihnen der größte Teil des Kaufpreises der Schatzscheine als De-
positum der Regierung gegen Hinterlegung der Schuldtitel belassen
*) Vgl. den Brief Cortelyou's an Präsident Roosevelt vom 16. November 1907, Docu-
ment 208, p. 230 ff. Roosevelt erteilte übrigens ausdriicklich seine Zustimmimg zu Cortelyou's
Vorhaben, ib. p. 231 ff. Vgl. auch Journal of Political Economy vol. 16, p. 23.
*) A. D. Noyes, The financial panic in the United States, Forum vol. 39, p. 311 ff.
— 39 —
bleiben, und ihnen dann gestattet sein solle, andere Bonds, z. B. von
Eisenbahngesellschaften, als Sicherheit an Stelle der Certifikate zu
substituieren, damit sie diese selbst als Unterlage für die Ausgabe
neuer Banknoten benutzen könnten^).
Offenbar war es dem Schatzamt zu dieser Zeit im ganzen
wünschenswerter geworden, Panamakanal-Bonds abzusetzen, die man
über kurz oder lang doch hätte ausgeben müssen, statt der so leb-
haft angefeindeten Schatzscheine. So wurden die Zeichner der Bonds
insofern begünstigt, als ihnen qo^/q des Kaufpreises als Depositum
der Regierung in Aussicht gestellt wurde, gegen nur 75^/0 im Fall
der Schatzscheine, wobei natürUch in jedem Falle die übliche Sicher-
stellung zu erfolgen hatte*). Schließlich wurde die Zeichnung auf
die Certifikate einige Tage vor dem ursprünglich angekündigten Zeit-
punkt geschlossen, nachdem etwa 64 Millionen Dollars gezeichnet
waren.
Begeben wurden nur etwas über 15 Millionen Dollars, und zwar
ausschließlich an Nationalbanken, die sich verpflichteten sie zur
Notenausgabe zu verwenden. Dabei sicherte sich das Schatzamt
sogar in einzelnen Fällen durch besondere Abmachung das Recht,
die Certifikate bereits vor Fälligkeit einzulösen, womit die darauf
ruhenden Banknoten dann ja ihre Existenzbedingung verUeren
würden. Femer wurden die Certifikate lediglich in der Form der
Buchschuld ausgegeben, und somit vermieden, daß sie tatsächlich als
Umlaufsmittel Verwendung finden konnten. Was die Kanalbonds
betrifft, so wurden nur etwa 25 Millionen, also die Hälfte des an-
gekündigten Betrages, emittiert, wobei wohl ausschlaggebend war,
daß die fälligen Summnn für bereits ausgeführte Arbeiten diese Höhe
aufzuweisen hatten^. Auch bei der Zuteilung der Bonds Heß man die
Privatangebote fast ganz unberücksichtigt. Der bei weitem größte
Teil entfiel auf Nationalbanken; er wurde in seiner Gesamtheit als
Unterlage für die Notenausgabe verwendet*).
So war also der Versuch aufgegeben, das von Einzelpersonen
thesaurierte Geld wieder für den Umlauf zurückzugewinnen. Der
Erfolg der Bundesanleihen, die so viel Aufsehen erregt hatten, be-
schränkte sich auf eine Vermehrung des Banknotenumlaufs. Diese
*) Docoment 208, p. 21; Evening Post (New York), 23. November 1907.
*) Bekanntmachung des Schatzamts vom 26. November 1907; Dokmnent 208, p. ii*
*) Dokument 208, p. 18
*) An Privatzeichner wurden nur 325660 Dollars begeben; der größte Teil hiervon
gelangte weiterhin auch seinerseits noch an Nationalbanken, so daß er ebenfalls für die Noten-
ausgabe Verwendung fand. Docoment 208, p. 21, p. 11.
— 40 —
aber fand zu einer Zeit statt, wo sie ihren Wert bereits verloren
hatte, ja, im HinbKck auf die Depressionsperiode, die mit Sicherheit
zu erwarten stand, eher unerwünscht erscheinen mußte.
Demgegenüber ist von der Regierung der Standpunkt vertreten
worden, es sei schon dadurch, daß sie die geplanten Maßnahmen
in Aussicht stellte, so vollkommen gelungen, das allgemeine Ver-
trauen wieder zu wecken, daß man auf ihre Ausführung größtenteils
habe verzichten können; vergleichsweise wurde dabei auf die Wir-
kung hingewiesen, welche im Jahre 1866 die bloße Ankündigung
der Suspension der Bankakte in London ausgeübt hat*).
In Fällen dieser Art kommt aber eben alles auf den richtigen
Augenblick an. Wenn die Regierung im Anfangstadium der Panik,
ehe die Beunruhigung und Bestürzung des New Yorker Publikums
auf die Banken übersprang, irgendeine Quelle aufzudecken in der
Lage gewesen wäre, aus welcher die Gemeinde der Banken frische
Umlaufsmittel in größerer Menge hätte schöpfen können, so wäre
das sieher von der heilsamsten Wirkung gewesen. Mitte November
aber, als der Eingriff des Schatzamts erfolgte, hatte die Krisis den
Höhepunkt überschritten, zum mindesten war sie längst aus der
Phase herausgetreten, in der eine solche Ankündigung eine stärkere
Wirkung auszuüben vermocht hätte. Die Panik hatte sich zu der
Zeit bereits erschöpft, und was das Schatzamt als den günstigen
Erfolg seines ungewöhnlichen Schrittes betrachtete, ist in Wirklich-
keit gerade der Beweis, daß es seines Eingreifens nicht mehr be-
durft hätte.
Wenn die Regierung sich noch zu so später Stunde entschloß,
einzuschreiten, so hat sie sich zum großen Teil sicherlich auch von
politischen Erwägungen bestimmen lassen. Das Schatzamt hatte sich
zuerst auf die im Falle einer Geldklemme üblichen Hülfsmittel be-
schränkt. Dann aber gelangten die leitenden Stellen zu der Ein-
sicht, daß eine ganz ungewöhnlich heftige Krisis vorlag, und
daß dieser Umstand späterhin politisch verhängnisvoll für die herr-
schende Partei werden könne. Hatte diese doch selbst sich ständig
darin gefallen, die demokratische Verwaltung für die Krisis von
1893 verantwortlich zu machen; so mußte man darauf vorbereitet
sein, in dem bevorstehenden Wahlkampf um die Präsidentschaft ein
ähnliches Argument gegen die Republikaner ins Feld geführt zu
sehen. Schon aus diesem Grunde empfand die regierende Partei
die Störung, der von gewisser Seite sogleich der Name »Roosevelt
*) Document 208, p. 21; p. 17 ff.; p. 12.
^ OF THE
UNIVERSITY
OF
Panic« beigelegt wurde ^), höchst unliebsam und hatte den dringenden
Wunsch, ihre Folgen nach jeder Richtung hin zu mildem. Die Ver-
legenheit, in welche die Bundeskasse nach und nach geraten war,
dürfte auch von einigem Einfluß gewesen sein. So glaubte sich die
Regierung, als sie immer lebhafter zum Eingreifen gedrängt wurde,
schließlich verpflichtet, irgend etwas zu unternehmen.
In der Wahl der zu Gebote stehenden Mittel war man äußerst
beschränkt, wenn man nicht die Maschine der Gesetzgebung in Be-
wegung setzen wollte, wie es vielfach gefordert worden war. Wäh-
rend der Krisis von 1893 hatte das Kabinett Clevelands beim Kon-
greß eben den Antrag gestellt, die Ausgabe kurzfristiger Schatz-
scheine zu autorisieren^), und es war damals mit Recht sehr bedauert
worden, daß der Kongreß das ablehnte. In der Zwischenzeit hatte
man ja nun die Möglichkeit erhalten, solche Titel auszugeben, und
so war es an sich naheliegend, an dieses Hülfsmittel zu denken.
Ferner ist es sehr wahrscheinlich, daß man die Hoffnung hegte*),
die Bank von Frankreich werde sich bereit finden lassen, auf Grund
der Schatzscheine in ähnlicher Weise Gold herzuleihen wie 1890
während der Bciring-Krisis an England; jedenfalls rechnete man da-
rauf, daß das Ausland sich an der Zeichnung der Certifikate be-
teiligen werde.
Wie dem nun auch sein mag, unter den Umständen, unter
denen sie erfolgte, war die Ankündigung des Schatzamts vom
18. November 1907 ein entschiedener Mißgriff. Aber es muß der
Regierung zur Ehre angerechnet werden, daß sie die Einsicht und
den Mut besessen hat, nachdem sich ihr Eingreifen als verspätet,
ihre Mittel als ungeeignet erwiesen hatten, teilweise von ihrem Vor-
haben Abstand zu nehmen, teilweise es den nunmehr richtiger beur-
teilten Verhältnissen anzupassen.
Die Rückkehr zu normalen Verhältnissen; der Beginn der Stag-
nationsperiode. Die Besserung in den allgemeinen Verhältnissen,
welcher die Regierung bei der Begebung ihrer Schuldverschreibungen
Rechnung getragen hatte, trat immer mehr zu Tage. Allerdings
mehrten sich zu dieser Zeit die Zeichen, an denen der wirtschaftliche
Rückschlag zu erkennen war; aber das verursachte keine Beun-
ruhigung mehr. Auf dem Gebiete des Bank- und Kreditwesens
^) Vgl. die charakteristische kleine Schrift: The Roosevelt Panic of 1907 by Adolph
Edwards, 2^ edition, New York 1907.
?) Finance Report 1893, p. LXXI.
») Vgl. Statist (London) voL LX, p. 979.
— 42 —
bahnte sich die Rückkehr zu geordnetem Geschäftsgang besonders
deutlich an. Wenn sich auch dieser Prozeß naturgemäß nur langsam
vollziehen konnte, so war doch eine Wiederkehr des allgemeinen
Vertrauens unverkennbar. Zwischen dem 20. und 25. November nahmen
drei Banken in Groß -New York, welche in den ersten stürmischen
Tagen ihre Türen hatten schheßen müssen, die Geschäfte wieder auf ^),
und als die Empire City Savings Bank — die unter den ersten ge-
wesen war, eine Kündigungsfrist, übrigens nur von 30 Tagen, geltend
zu machen — ihre Schalter am 23. November wieder öffnete, hatten
sich nur ganz wenige Deponenten eingefunden, um Abhebungen vor-
zunehmen. Auch im Innern des Landes sah man der weiteren Ent-
wicklung der Dinge wieder mit größerem Zutrauen entgegen, was
für die New Yorker Banken die willkommene Wirkung hatte, daß
die Nachfrage nach baren Zahlungsmitteln sich nunmehr weniger
dringend äußerte.
Ermutigend wirkte es ferner auch, daß sich noch immer die
Goldimporte fortsetzten. Das Metall kam jetzt zum Teil aus Frank-
reich. Es war nämlich, alsbald nachdem das Schatzamt die Begebung
der Anleihen angekündigt hatte, von einigen bedeutenden Banken
in New York der Versuch gemacht worden, größere Beträge Goldes
unmittelbar von der Bank von Frankreich gegen Hinterlegung von
Schatzscheinen der neuen Ausgabe zu erhalten. Diese Vorschläge
erschienen der Bank zwar unannehmbar, doch erklärte sie ihre Bereit-
willigkeit, solche Tratten, die auf Grund tatsächUcher Warenverkäufe
von amerikanischer Seite auf europäische Häuser gezogen und mit
der Unterschrift erster französischer Bankfirmen versehen seien, ohne
Vermittlung der Bank von England in Eagles zu diskontieren, die
sie in größerer Menge vorrätig hatte und nun gegen eine mäßige
Prämie unmittelbar für New York frei zu geben sich bereit erklärte.
Die Vorbereitungen ließen sich schnell erledigen, die Verschiffungen
begannen alsbald und es fanden auf diese Weise Eagles im Werte
von mehreren MilUonen Francs den Weg über den Ozean zurück^.
Es bereitete dem Selbstgefühl des Amerikaners nach den vorherigen
erfolglosen Versuchen keine geringe Genugtuung, daß dieses Ab-
kommen zustande gekommen war, um so mehr, als man sich davon
*) Die Twelfth Ward Bank in New York City, die Terminal Bank in Brooklyn und
die U. S. Exchange Bank in New York, vgl. New York State, Superintendent of Banks,
Annual Report 1907, p. XXIV.
*) Vgl. Evening Post (New York), 7. Dezember 1907; A. Raffalovich, Le march6
finander en 1907, Journal des Economistes, 67. ann^e, p. 113; Economist (London) vol. LXV,
p. 2089.
— 43 —
ja nur eine vorteilhafte Rückwirkung auf die Lage in New York
versprechen konnte.
Diese hatte inzwischen ein günstigeres Aussehen gewonnen.
Bei den Associated Banks wies das Defizit im Ausweis vom 23. No-
vember gegen die Vorwoche eine kaum nennenswerte Zunahme auf,
nämlich um weniger als eine halbe Million. Von diesem Zeitpunkt
ab zeigte das Agio auf Bargeld gleichfalls eine erfreuliche Ver-
minderung^). Überhaupt ließen die Verhältnisse am Geldmarkt eine
Besserung erkennen. Wenn auch noch Sätze von 12 bis 15 Prozent
bewilligt werden mußten, so gab es doch wenigstens die Möglichkeit,
Geld auf Zeit zu leihen sowie Wechsel diskontiert zu erhalten^. Diese
günstigen Momente verfehlten nicht, ihre Wirkung auch auf die New
Yorker Börse geltend zu machen, so daiß sich eine Aufwärtsbewegung
entwickeln konnte.
Es v^ar die allgemeine Erwartung, die Banken würden in der
ersten Dezemberwoche die Barzahlungen durchweg wieder in vollem
Umfange aufnehmen; dazu kam es indessen nicht. Vermutlich hielten
die New Yorker Banken sich dafür noch nicht kräftig genug. Der
Ausweis der Clearinghaus - Banken hatte zwar am 30. November
zum ersten Male eine Verminderung des Defizits gezeigt: es war
von der Maximalhöhe, die 54103600 Dollars betragen^, im Laufe
der Woche auf 52989425 Dollars zurückgegangen. Aber das war
doch, selbst wenn man berücksichtigte, daß die Zeichnung auf die
Bundesanleihen vorübergehend einen ungünstigen Einfluß auf den
Stand der Banken ausgeübt hatte, immer noch ein recht erheblicher
Fehlbetrag. Den Associated Banks erschien es wohl vor allen Dingen
wünschenswert, — auch mit Rücksicht auf das Ausland, — erst ein-
mal auf eine wesentliche Verminderung des Defizits hinzuarbeiten;
dazu aber kamen sie weit besser in die Lage, wenn sie abwarteten,
bis ihnen die auf Grund der jüngsten Anleihen auszugebenden Noten
zur Verfügung stehen würden. Es trat hinzu, daß auch die Erntezeit
noch nicht vorüber war; so fürchtete man in New York wohl auch
weitere Ansprüche von Seiten der Banken im Westen und Süden,
denen man zum großen Teil noch verschuldet war.
Tatsächlich hatten die Banken im Innern ihren Stand allerdings
wesentlich gekräftigt. Nur diesem Umstände ist es auch zuzuschreiben,
*) Vgl. die Tabelle bei A. P. Andrew, Hoarding in the panic of 1907, Quarterly
Journal of Economics vol. 22, p. 292.
*) Bankerts Magazine (New York) vol. 75, p. 961 ff.
^) Während der Krisis von 1893 hatte das höchste Defizit nur 16,5 Millionen betragen.
— 44 —
daß nicht andere Institute mitgerissen wurden, als am 5. Dezember
die bedeutendste Bank in Kansas City (Missouri), die National Bank
of Commerce mit 17 Millionen Depositen ihre Zahlungen einstellen
mußte. Die Störung griff nicht weiter um sich, und die allgemeine
Besserung konnte weitere Fortschritte machen. Der Geldstand blieb
im ganzen flüssig, so daß es den New Yorker Nationalbanken keinerlei
Ungelegenheiten bereitete, als ihnen der Schatzsekretär im Laufe der
ersten Dezemberwoche 6 Millionen Dollars Regierungsdepositen ent-
zog, um die Staatskasse aufzufüllen^).
Das Agio auf Bargeld erhielt sich trotz alledessen mit Hart-
näckigkeit, obwohl die Umlaufsmittel ständig in beträchtlicher Ver-
mehrung begriffen waren. Die Goldimporte erreichten ja nicht mehr
ganz den Umfang wie im Vormonat, — sie hatten sich für November
auf 64,5 Millionen Dollars belaufen^), — setzten sich aber doch,
noch immer fort. Femer war der Banknotenumlauf in anhaltender
starker Zunahme begriffen, im Zusammenhang mit der Begebung
der Anleihen, von denen die Kanalbonds am 7. Dezember zur Zu-
teilung gelangt waren. Die ausstehende Notenmenge stieg in der
zweiten Hälfte November von 631 auf 656 MiUionen, vom i. bis
15. Dezember auf 677 Millionen, bis zum Jahresschluß gar auf 690 Mil-
lionen Dollars*). Auch der Rückfluß thesaurierten Geldes in die
Banken half allmählich die verfügbaren Zahlungsmittel vermehren.
Überhaupt kehrte das allgemeine Vertrauen mehr und mehr
zurück. Um die Mitte Dezember traten Reorganisationspläne hervor,
welche die Wiederaufrichtung der Knickerbocker Trust Company
sowie der Westinghouse-Gesellschsiften zum Zweck hatten. Ein Syn-
dikat hielt sogar den Augenblick bereits für gekommen, dem Publi-
kum 15 Millionen öprozentige kurzfristige Schuldverschreibungen der
Stadt New York anzubieten, eine Anleihe, welche die Banken in
den letzten Oktobertagen abgeschlossen hatten, einmal, um die Stadt-
verwaltung vor ernsten Verlegenheiten*) zu bewahren, sodann auch,
um diese Werte an europäische Kapitalisten abzusetzen, was aber
bisher noch nicht recht hatte glücken wollen.
Währenddessen ging das Defizit der Associated Banks mit ver-
mehrter Schnelligkeit zurück, und die Geldverhältnisse wiesen auch
im täglichen Verkehr eine entsprechende Besserung auf. Das Agio
*) Document 208, p. 12.
*) Treasury Department, Circulation Statement für den i. Dezember 1908.
*) Document 208, p. 126.
*) Vgl. darüber Evening Telegram (New York), 24. Oktober 1907.
— 45 —
auf Bargeld überstieg in der zweiten Monatshälfte kaum noch i Pro-
zent und war in den letzten Tagen des Jahres fast gänzlich ver-
schwunden. Als zwischen dem 26. und 28. Dezember die Sperrfrist
bei den Sparkassen ablief, zeigte sich, daß unter den Deponenten
vollkommene Ruhe eingekehrt war; es fanden keine größeren Ent-
nahmen statt.
Auch an der Börse vollzog sich die Geldversorgung über das
Jahresende, die in New York häufig erhebliche Schwierigkeiten ver-
ursacht, ohne Störung; die Sätze waren hoch, erreichten aber doch
nicht annähernd das übertriebene Niveau, auf dem sie sich sonst
gelegentlich bewegt haben ^). Die Goldeinfuhren hatten zu dieser
Zeit ihr Ende erreicht, und die Bank von England setzte am 2. Januar
ihre Rate von 7 auf 6 Prozent herab. Von noch größerer Bedeutung
aber wurde es, daß im neuen Jahre kein Aufgeld auf Barzahlung
mehr zu bemerken war. Der leidige Handel in Bargeld hatte sein
Ende erreicht; er hatte genau 2 Monate gedauert, und es wird an-
genommen, daß im ganzen 25 Millionen Dollars gegen Agio gehandelt
worden sind.
So konnten die New Yorker Banken in der ersten Januarwoche
die Barzahlungen wieder in vollem Umfange aufnehmen. Allerdings
wurden in den allerersten Tagen noch nicht alle Ziehungen aus
dem Innern bar geregelt, aber das verlangten die dortigen Banken
auch nicht mehr ausdrücklich. Im Westen und Süden war nämlich
auch das thesaurierte Geld in letzter Zeit wieder in den Verkehr
gelangt, besonders auch gelegentlich der Ausgaben, welche die
Feiertage mit sich zu bringen pflegen. Überall wurde wieder Geld
bei den Banken deponiert, und so konnte sich die Wiederaufnahme
der unbeschränkten Barzahlungen im Verlaufe weniger Tage auf das
ganze Land erstrecken.
Dieser Fortschritt fiel zeitlich ungefähr mit einem anderen er-
freulichen Ereignis zusammen: am 11. Januar wies der Ausweis der
New Yorker Associated Banks zum ersten Male wieder einen Über-
schuß über die 25prozentige Reserve auf. Das Defizit hatte 10 Wochen
bestanden, also 2 Wochen länger als während der Kxisis von 1893.
Der Stand der Reserven, dem die Ziffern für die Ausleihungen bei-
gefügt sein mögen, hatte sich folgendermaßen gestaltet:
Der größte Teil der call loans wurde zu etwa 14 Prozent abgeschlossen, Zeitdarlehn
für kurze Fristen zu 10 bis 12, für längere Fristen zu 7 bis 8 Prozent; Kaufleute konnten
zu 8 bis 9 Prozent diskontieren. Den höchsten Satz erreichte caU money am 2. Januar mit
30 Prozent. Vgl. Banker's Magazine (New York), vol. 75, p. 115 ff; EveningPost (New York),
4. Januar 1908.
e fortschreitende Besserung im Stande der Banken, die sich
nicht auf New York beschränkte, erlaubte ihnen nun auch, auf die
allmähliche Zurückziehung der Clesiringhaus-Certifikate Bedacht zu
nehmen. Um Mitte Januar war es schon in einer Reihe größerer
Städte, wie Detroit, Omaha, Portland (Oregon) gelungen, die Loan
Certificates ganz auszumerzen; in Chicago verschwanden die letzten
am 17. Januar.
Um eben diese Zeit machte auch in New York das Clearing-
haus, das übrigens erst jetzt Angaben über seine eigenen Certifikate
in die ÖffentUchkeit gelangen ließ, die größten Anstrengungen, auch
seinerseits davon freizukommen. Aber das ging nicht so glatt. Nach-
dem die Certifikate sich schon sehr erheblich vermindert hatten —
am 18. standen noch 35 Millionen, am 20. etwa 20 Millionen am
23. nur noch 11,2 MiUionen aus — , entstand ein Run auf die National
Bank of North America; sie mußte am 27. Januar die Zahlungen
einstellen. Zwei Tage später wurden die New Amsterdam National-
sowie die Mechanics and Traders Bank von dem gleichen Schicksal
ereilt, und am 31. Januar wurde die Oriental Bank behördlicherseits
geschlossen.
Alle diese Banken, die dem Concern von Charles W. Morse
und Genossen nahestanden und dem New Yorker Clesiringhause an-
gehörten, hatten bereits im Oktober einen bedenklich schwachen
Stand aufgewiesen. Aber teilweise durch die Unterstützung von
Clearinghaus -Banken, teilweise mit Hülfe der Loan Certificates und
stark beschränkter Barzahlungen waren sie über die Krisis hinweg-
— 47 —
gekommen. Nun zeigte es sich, daß diese Banken nicht fähig waren,
ihren Verpflichtungen unter normalen Verhältnissen nachzukommen.
Das Clearinghaus aber hielt es nicht für richtig, diesen Instituten
weitere Hülfe angedeihen zu lassen, obwohl es auch selbst durch
diese Zusammenbrüche, wenngleich nicht sehr empfindlich, berührt
wurde.
Denn erstlich standen noch 5520000 Dollars Loan Certificates
gegen die vier Banken aus. Sodann aber wurden durch diese Zahlungs-
einstellungen einzelne Mitglieder des Clearinghauses in die Not-
wendigkeit versetzt, noch am 30. Januar die Ausfolgung neuer Loan
Certificates zu veranlassen. Dadurch wurde die Rückkehr zu nor-
malen Verhältnissen in New York im Gegensatz zu anderen Städten
wesentlich verzögert^). Aber andererseits war es doch erfreulich zu
beobachten, wie verständnisvoll und gelassen das große Publikum
diese Bankbrüche hinnahm; es schien feist, als hätte die Oktober-
panik ihm in dieser Beziehung eine heilsame Lehre beigebracht.
Allerdings boten die Verhältnisse ein wesentlich anderes Bild
als ein Vierteljahr früher. Die SpanYiung hatte nachgelassen, sowohl
auf den großen europäischen Geldmärkten als auch in den Ver-
einigten Staaten, zumal in New York selbst.
Die Bank von England hatte ihre Rate am 16. Januar 1908
von 6 auf 5, am 23. Januar auf 4V2®/o herabgesetzt; die Reichsbank
war in den entsprechenden Wochen mit einer Ermäßigung ihres
Satzes von 7^/^ auf 6^/3 und dann auf 6®/o gefolgt, und die Bank
von Frankreich ebenfalls in zwei Ermäßigungen auf die gewohnte
niedrige Stufe von 3^/^ zurückgegangen. In New York hatte sich
der Sterlingkurs im letzten Drittel des Januar 1908 vorübergehend
dem Goldpunkt bis auf einen kleinen Bruchteil genähert, so daß man
bereits Goldausfuhren nach Europa erwartete. Dazu hatte ein plötz-
licher Rückgang es dann allerdings nicht kommen lassen; immerhin
ließ der New Yorker Geldmarkt, wie das nach dem Konjunktur-
umschwung nicht anders zu erwarten war, in den nächsten Monaten
mit stets wachsender Deutlichkeit das Gepräge völliger Stagnation
des wirtschaftlichen Lebens erkennen.
Schon Ende Januar war tägliches Geld in New York zu i^/^
bis 2%, Geld auf Zeit zu 3 bis 3^/3^0 erhältlich^). Die Banken hatten
sich von gewagten Verbindlichkeiten nach Möglichkeit zu befreien
getrachtet und ihre Reserven recht erheblich verstärkt. Der Aus-
^) Vgl. Banker's Magazine (New York) vol. 76, p. 277; A. D. Noyes, Recovery
from the recent panic, Forum vol. 39, p. 485.
*) Banker's Magazine (New York), vol. 76, p. 281.
— 48 -
weis der New Yorker Clearinghaus-Banken zeigte für den i. Februar
1908 einen Überschuß von 40 Millionen Dollars über die 25prozentige
Reserve. Das wollte um so mehr besagen, als das Schatzamt die
Regierungsdepositen seit einiger Zeit erheblich zu vermindern be-
gonnen hatte ^).
Überhaupt kehrte äußerlich alles in das altgewohnte Geleise
zurück, und die an der Oberfläche wahrnehmbaren Spuren der Krisis
verschwanden immer mehr. Die Pittsburgher Börse hatte den Ge-
schäftsverkehr am 27. Januar wieder aufgenommen, nachdem die
»emergency currency«, deren dcis Clearinghaus eine große Menge*),
hauptsächlich zu Löhnungszwecken, autorisiert hatte, wieder zurück-
gezogen war. Vielfach öffneten Banken, welche vorübergehend die
Zahlungen eingestellt hatten, ihre Türen wieder, und seit dem 8. Februar
erschien in New York auch wieder der Bankausweis mit den Daten
über die einzelnen Banken*), nachdem sich das Clearinghaus über
3 Monate lang auf summarische Angaben beschränkt hatte.
Allerdings waren die Clearinghouse Loan Certificates noch nicht
überall verschwunden. Immerhin war ihre Zurückziehung bis Ende
Januar in etwa der Hälfte aller Städte, in denen man zu diesem
Mittel gegriffen hatte, bereits völlig durchgeführt*), und überall war
man nach Kräften bemüht, ihren Gebrauch einzuschränken. Das
verursachte im ganzen keine großen Schwierigkeiten, denn in allen
Teilen des Landes floß zu dieser Zeit das Geld in Menge in die
Banken, und ihre Reserven vermehrten sich infolgedessen ständig.
So belief sich bei der Gesamtheit der Nationalbanken die Vermeh-
rung der Reserven in der Zeit vom 3. Dezember 1907 bis zum
14. Februar 1908 auf nicht weniger als 127,6 Millionen Dollars*).
Es herrschte eben gänzlicher Mangel an Unternehmungslust, eine
^) Es wurden im Laufe des Januar und der ersten Februarwoche 24,7 Millionen
Dollars zurückgezogen; Evening Post (New York), 8. Februar 1908.
?) Angeblich annähernd 50 Millionen Dollars; Evening Post (New York), 2 I.Januar 1908.
•) Man benutzte die Gelegenheit, um den Ausweis für die Folgezeit systematisch zu
vervollständigen. Insbesondere ist es durch die Mitwirkung des Superintendent of Banks
des Staates New York m^lich geworden, daß der Ausweis selbständige Angaben über die
Trust Companies der Stadt New York enthält. Vgl. Bankerts Magazine (New York), vol. 76,
p. 43iff. ; p. 434; Commerdal and Financial Chronide, vol. 86, p. 3 16 ff.
*) Vergleiche die Zusammenstellimg von W. J. Gilpin, Clearing House Certificates
issued during panic of 1907, Sonderabdruck des Commerdal and Financial Chronide vom
30. Mai 1908.
*) Abstract of Reports of condition of National Banks, No. 57. In dem Ausweis
für den 3. Dezember 1907 ersdiien unter den Aktiven ein Saldo an Clearinghouse Loan
Certificates in einer Höhe von 64,3 Millionen Dollars, in dem Ausweis für den 14. Februar
1908 dagegen nur noch von 5,5 Millionen Dollars.
— 49 —
beinahe vollständige Stockung der Geschäfte. Die Einkünfte der
Regierung fielen derartig, daß das Schatzamt mehr verausgabte als
einnahm, wodurch die Geldvorräte, die müßig bei den Banken lagen,
noch vermehrt wurden.
Da die Sachlage sich nicht durch eine Kontraktion des Bank-
notenumlaufes ausgleichen konnte, so trat schHeßUch, um die Mitte
April 1908, eine weitere Erscheinung ein, welche für die Stagnations-
periode nach einer Krisis in den Vereinigten Staaten unbedingt
t3^isch genannt werden muß, Goldexporte. Daß es bei der be-
deutenden Verschuldung an Europa dazu nicht schon früher ge-
kommen war, lag besonders daran, daß die Vereinigten Staaten
große Anstrengungen gemacht hatten, die Einfuhr aus Europa zu
beschränken, die Ausfuhr aber zu steigern. In dieser Hinsicht kam
es ihnen wesentUch zustatten, daß Europa, dessen Ernten im Jahre
1907 nicht sehr gut gewesen waren, ein äußerst günstiges Absatz-
gebiet für den reichen Vorrat an Getreide bot, den die Ernte der
Vereinigten Staaten ergeben hatte; daneben wies die Ausfuhr von
Tabak und Kupfer eine besonders starke Zunahme auf. So brachten
die Herbst- und Wintermonate eine überraschende Erhöhung der
Handelsbilanz zugunsten der Vereinigten Staaten. Es betrug:
as sind ganz außergewöhnliche Zahlen, und in diesem Maß-
stabe konnten sich naturgemäß die Ausfuhren nicht steigern, zumal
in Europa die Aufnahmefähigkeit teilweise ebenfalls gelitten hatte.
So kam es denn zu Goldausfuhren, die sich längere Zeit fortsetzten.
Inzwischen waren die Clearinghouse Loan Certificates überall
so gut wie verschwunden; in New York waren die letzten bereits
am 28. März eingelöst worden. Zu Beginn des Mai waren es bloß
^) 60. Congress, ist Session, Senate Document 208, p. 16.
Hasenkamp, Die wirtschaftliche Krisis des Jahres 1907 in den Vereinigten Staaten.
— 50 —
noch ganz vereinzelte Städte, in denen die Zurückziehung noch nicht
vollständig gelungen war; aber es handelte sich nur um recht un-
bedeutende Ausstände.
Auf jeden Fall aber hat, im ganzen betrachtet, die Einrichtung
der Clearinghouse Loan Certificates während der Kxisis von 1907
eine viel ausgedehntere Anwendung gefunden, als im Jahre 1893.
Damals hatte sich die Ausgabe solcher Certifikate auf etwa ein
Dutzend Städte beschränkt, jetzt aber hatten etwa 60, also über die
Hälfte aller Clearinghäuser der Union, zu diesem Mittel gegriffen^).
Dementsprechend war denn auch der Gesamtbetrag der ausgegebenen
Loan Certificates im Jahre 1907/8 beinahe viermal so groß als im
Jahre 1893, nämUch mindestens 255 Millionen^) gegen 65 Millionen
Dollars. In der Stadt New York allein gelangten 60 Millionen mehr
zur Ausgabe als im Jahre 1893, und der Höchstbetrag ausstehender
Certifikate im Jahre 1907 überstieg den von 1893 um volle 50 Mil-
lionen Dollars*). Im Gebrauch waren die Certifikate in New York
im Jahre 1907/8 zwei Wochen länger als 1893, wie auch das Defizit
in der Reserve zwei Wochen länger angedauert hatte. Wichtiger
aber muß es erscheinen, daß das Agio auf Bargeld sich im Jahre
1907 auf zwei volle Monate erstreckte, während es sich 1893 kaum
einen Monat hatte erhalten können.
*) V. Halle, a. a. O. p. 1205; Document 208, p. I09ff.
*) Nach der erwähnten Zusammenstellung von Gilpin.
•) Der Gesamtbetrag der Ausgabe in New York war 10 1060000 Dollars gegen
41 490000 Dollars, das ausstehende Maximum 88 420000 gegen 38 280000 Dollars. Vgl. Report
of the Loan Committee of the New York Clearinghouse Association, New York, 7. April
1908; Comptroller*s Report 1907, p. 65ff.
IL Die inneren Gründe der Krisis und ihr Zusammen-
hang mit dem Bankwesen.
Die amerikanische Krisis von 1907 ist vielfach als Geldkrisis
— monetary crisis — bezeichnet worden. Allerdings äußerte sich
das Ungewöhnliche des Zustandes besonders augenfällig in einer
höchst empfindlichen Geldknappheit, aber es wäre verkehrt, von
einem Mangel an Umlaufsmitteln als Ursache der Krisis zu sprechen.
Die Vereinigten Staaten haben nämlich — auf den Kopf der Be-
völkerung berechnet — von allen Goldländem mit alleiniger Aus-
nahme Frankreichs den größten Geldumlauf, wobei noch ins Ge-
wicht fällt, daß in Frankreich der Check nur wenig gebraucht wird,
in den Vereinigten Staaten dagegen sehr weit verbreitet ist. Jeden-
falls kann für die Zeit vor dem Ausbruch der Panik bei einem Um-
lauf, der doppelt so groß ist wie derjenige Grroßbritanniens, nicht
wohl von einem Mangel an Zahlungsmitteln gesprochen werden^).
Er trat denn auch tatsächlich erst hervor, nachdem der Kredit
im allgemeinen bereits ins Wanken geraten war^. Die Geldnot
wirkte also nicht als Ursache, sondern stellte sich erst als Folge-
erscheinung, als Symptom ein, nachdem die Panik bereits ausge-
brochen war; die Panik beruht ihrerseits aber wieder auf einer \
ganzen Reihe von psychologischen Momenten, unter denen eine
wichtige Rolle die Erkenntnis spielte, daß ein Konjunkturumschlag
nicht länger aufzuhalten sei.
Dieser Umschwung selbst, der bereits vor der Panik eingesetzt
hatte, ist dadurch bedingt worden, daß im letzten Jahrzehnt die
wirtschaftliche Entwicklung der Bildung neuen Kapitals vorausgeeilt
*) In den verschiedenen Staaten betrag die Kopfquote (in Dollars):
4»35 Canada 24,41
Rußland 7,09 Deutschland 25,03
Österreich-Ungarn 10,74 Belgien ' 25,22
Mexiko 10,88 Niederlande 27,91
Italien 11,80 Vereinigte Staaten .... 33,99
Großbritannien 16,33 Frankreich 40,88
(Statistical Abstract 1907/8, p. 742 ff.)
•) Anders Schumacher, a. a. O. p. 3; vgl. dagegen Plenge, a. a, O. p. 564.
4*
1
— 52 —
war. Es ist allzuviel flüssiges Kapital in festes umgewandelt worden,
und zwar hat dabei ein großer Teil eine Anlage gefunden, die vor-
erst auf längere Zeit hinaus keinen Ertrag lieferte. Ferner ist aber
auch eine ganz unverhältnismäßig bedeutende Menge von Kapital
tatsächlich aufgezehrt worden, so daß also das Abwerfen eines Er-
trägnisses insoweit überhaupt nicht mehr in Frage kommen konnte.
Diese Erscheinungen blieben freilich nicht auf ein einzelnes Land
beschränkt. Sie traten aber aus verschiedenen Gründen in den Ver-
einigten Staaten stärker hervor als anderwärts und mußten infolge-
dessen auch gerade dort eine besonders fühlbare Wirkung ausüben.
Die Zeit der Prosperität dauerte ein volles Jahrzehnt an; sie
wurde — wie das bei einem so jugendlichen, von Optimismus und
Tatkraft beseelten Volke natürHch ist — intensiver als irgendwo
ausgenutzt. Dementsprechend war der Aufschwung des Landes wäh-
rend dieser Zeit ein geradezu beispielloser. Der Außenhandel und
die Roheinnahmen der Eisenbahnen haben sich seit 1896 verdoppelt;
die Mineraliengewinnung ist auf mehr als das Dreifache angewachsen.
Die Anlagen der Nationalbanken sind von 1897 bis 1907 von 3,7 auf
8,4 Milliarden Dollars gestiegen, die Umsätze der Clearinghäuser von
54 auf 154 Milliarden Dollars.
Wo die wirtschaftliche Entwicklung mit einer solchen Schnellig-
keit vorwärts eilte, konnten Übertreibungen unmöglich ausbleiben.
Sie sind, wenn wir lediglich die letzte Entwicklungsphase der Auf-
schwungsperiode betrachten, auf dem Gebiet der Börsen- und Grund-
stückspekulation mit großer Schärfe hervorgetreten, auch auf dem
Kupfermarkt durch falsche Ereispolitik verhängnisvoll geworden,
können aber sonst kaum einzelnen besonderen Zweigen der Unter-
nehmung zur Last gelegt werden. Die Produktion zimial hat sich
in den letzten Jahren — abgesehen vielleicht von der Automobil-
industrie — im ganzen Mäßigung auferlegt.
Entschieden übereilt war dagegen die Ausgestaltung des ameri-
kanischen Verkehrswesens. Sie bildet indessen in der Hauptsache
nur einen Teil eben derjenigen Erscheinung, welche der ganzen
wirtschaftlichen Entwicklung der Vereinigten Staaten während der
letzten Dekade überhaupt ihr bestimmendes Gepräge aufdrückt,
nämlich der weitgehenden Konzentration in Industrie und Ver-
kehrswesen. Dieser Vorgang ist es, der durch die Festlegung un-
geheuerer Mittel in allererster Linie zu dem Mangel an verfügbarem
Kapital beigetragen hat; er ist daher für die Beurteilung der jüng-
sten Krisis von der größten Wichtigkeit.
Es handelt sich um eine lange Entwicklung, die besonders
— 53 —
für das Eisenbahnwesen schon in den stillen Jahren nach der Panik
von 1893 bedeutungsvoll wird, äußerlich aber erst gegen Ende 1898
und in der ersten Hälfte 1899 stärker hervortritt. Zunächst und am
auffallendsten geschah dcts in der Industrie.
Man fing damit an, privaten industriellen Unternehmungen in
großer Zahl die Form der Korporation zu geben, und vereinigte
dann mehrere solcher Gesellschaften zu einer größeren Organisation.
Ursprünglich hatte man diesen Weg eingeschlagen, um den Wett-
bewerb auszuschalten oder doch zu vermindern. Wo das mit Ver-
ständnis und Mäßigung geschehen, waren die Erfolge glänzend, und
die Gründer, Banken sowohl wie Werkbesitzer, ernteten reiche Ge-
winne. Das ermunterte zu neuen Kombinationen; gewerbsmäßige
Spekulanten bemächtigten sich dieses aussichtsreichen Gebiets, und
nun ging man immer kühner vor.
Der dem Amerikaner eigene Optimismus hatte von vornherein
dazu geführt, daß im Vertrauen auf dauernde Prosperität die Kapi-
talisierung bei allen Gründungen recht reichlich bemessen wurde.
Im weiteren Verlauf der Entwicklung aber handelte es sich mehr
und mehr darum, selbständige Werkbesitzer auszukaufen, denen es
an sich gar nicht darum zu tun war, ihr Unternehmen zu veräußern,
die sich daher nur zu ungewöhnlich lohnenden Bedingungen über-
haupt dazu verstanden. Die »promoters« schreckten aber selbst vor
Riesenpreisen nicht zurück, und die neue Gesellschaft hatte dann
häufig unter bedeutender Überkapitalisierung zu leiden. Durchweg
wurde der Bemessung des Grundkapitals nicht der wahre Wert der
Anlagen, sondern eine äußerst optimistische Abschätzung ihrer Er-
tragfähigkeit zugrunde gelegt. Dabei wurden die für die Zukunft
erwarteten Vorteile des Zusammenschlusses reichlich diskontiert, be-
sonders aber bestehende Geschäftsverbindungen, Sachkenntnis und
»good will« der Vorbesitzer mit viel zu hohen Summen eingesetzt.
In manchen Fällen ging das so weit, daß die Vorbesitzer den ganzen
wirklichen Wert der eingebrachten Anlagen vorweg in Schuldver-
schreibungen der neuen Gesellschaft ausgezahlt erhielten. Für Be-
triebskapital wurde auf der anderen Seite meist nur unzureichend
gesorgt.
Einen besonders bedenklichen Umfang nahm die Überkapitali-
sierung an, wenn, was durchaus nicht selten vorkam, dieses Ver-
fahren des »stock watering« mehrmals wiederholt wurde, indem erst
kleinere, dann immer umfassendere Organisationen gebildet wurden.
Namentlich die Riesenschöpfungen des Jaihres 1901 stellten aUes
bisher Dagewesene in Schatten. Durch ihre Kühnheit ragt unter
— 54 —
ihnen hervor die International Mercantile Marine Company, gewöhn-
lich »Shipping Trust« genannt, durch ihre Grröße die United States
Steel Corporation, der sogenannte Steel Trust, der mit einem Gesamt-
kapital von nicht weniger als 1400 Millionen Dollars ins Leben ge-
rufen wurde.
Die Überkapitalisierung, deren man sich gerade während dieser
Periode des großen »boom« so häufig schuldig machte, äußerte auf
Jahre hinaus eine sehr ungünstige Wirkung, In zahlreichen Fällen
rächte sich insbesondere der Fehler, daß die flüssigen Mittel viel zu
knapp bemessen waren. Denn aus den laufenden Eingängen konnte
man zunächst keine großen Entnahmen bewerkstelligen, da man für
die vielen neuen Werte erst einen Markt schaffen, also auf hohe
Dividenden hinarbeiten mußte. In der Folgezeit aber wurde schon
ohnehin ein immer größeres Betriebskapital zur Notwendigkeit, je
mehr die Löhne und die Preise für Rohstoffe in die Höhe gingen.
So konnte es nicht ausbleiben, daß häufig schon nach kurzer Zeit
wieder zu einer neuen Kapitalaufnahme geschritten werden mußte.
Der Markt blieb infolgedessen eigentlich dauernd in Anspruch ge-
nommen, und zwar um so stärker, als sich ein ganz analoger Vorgang
auch bei vielen Eisenbahngesellschaften abspielte.
Während sich in der Industrie die Konzentration durchweg in
ein und derselben Form vollzog, machte sie im Eisenbahnwesen
eine bemerkenswerte Wandlung durch. Die Bewegung, die auch
hier ursprünglich von dem Wunsche ausging, den starken Wett-
bewerb weniger fühlbar zu machen, gestaltete sich besonders lebhaft
in den ersten anderthalb Jahren nach der Jahrhundertwende. Die
Eisenbahnmagnaten ließen nichts unversucht, konkurrierende Linien
und anschließende Strecken unter ihre Leitung oder doch Einwir-
kung zu bringen, so daß die Bildung großer Netze erhebliche Fort-
schritte machte. Es war ein Kampf lun Einfluß und Herrschaft.
Dabei mußten immer neue Mittel und Wege ersonnen werden, lun
eine allzu augenfällige Verletzung der Gesetze zu vermeiden. Welche
Form aber auch für die Erweiterung einer Machtsphäre gewählt wurde,
es war fast immer nötig, große Posten von Anteilscheinen in einer
Hand zu vereinigen und festzuhalten. Das führte einerseits zu be-
deutenden Kurssteigerungen und häufig dauernder Überbewertung,
andererseits legten auf diese Weise viele von den leitenden Kapital-
mächten — Privatpersonen, Korporationen und Banken — einen
unverhältnismäßig großen Teil ihrer Mittel auf lange Zeit hinaus fest.
Infolge der allgemeinen Kapitalknappheit, die sich späterhin
mehr und mehr bemerkbar machte, trat auch in der Konzentrations-
— 55 —
bewegung eine Verlangsamung ein. Als sich aber die Geldverhält-
nisse und die wirtschaftliche Lage wieder besserten — etwa seit dem
Spätherbst 1904, — begann auch die Vereinheitlichung auf dem
Gebiet des Eisenbahnwesens erneute Fortschritte zu machen. Sie
vollzog sich jedoch unter der Einwirkung besonderer Umstände
nunmehr in einer veränderten Richtung.
/ Von großer Bedeutung wurde es hier, daß die Bundesregierung
auf dem Prozeßwege gegen die Vereinigung der Northern Pacific
und Great Northern Eisenbahnen — die sogenannte Northern Se-
curities Company — vorging und keinen Zweifel darüber ließ, sie
werde im Falle eines obsiegenden Urteils weitere Schritte gegen
die Interessengemeinschaft auch zwischen anderen Eisenbahngesell-
schaften unternehmen. Im Früjahr 1904 wurde nach langwierigen
Verhandlungen der Rechtstreit gegen die Northern Securities Com-
pany durch den obersten Gerichtshof gegen diese Kombination ent-
schieden. Das Erkenntnis führte aus, es sei eine Verletzung des
Shermanschen Antitrust-Gesetzes vom 2. Juli 1890, wenn eine Eisen-
bahngesellschaft zu einer anderen in derartige Beziehungen gebracht
werde, daß daraus eine Unterdrückung oder Beschränkung des freien
Wettbewerbs resultiere; dieser Tatbestand liege bei der Northern
Securities Company vor, sie müsse sich somit auflösen.
Das Urteil kam nicht überraschend; vielmehr hatten die lei-
tenden Eisenbahnmänner, deren Politik notwendigerweise eine weit-
ausschauende sein muß, sich schon während des Prozesses mit dem
Gedanken eines Sieges der Bundesgewalt vertraut gemacht. Nachdem
es dann gewiß geworden, daß die Regierung den eingeschlagenen
Weg nun auch nachdrücklich weiter verfolgen werde, zogen sie auch
ihrerseits ohne Säumen die vollen Konsequenzen und bereiteten sich
tnit aller Macht auf die Möglichkeit vor, daß früher oder später wieder
der alte Wettbewerb zwischen solchen Linien ausbrechen sollte, bei
denen es für den Augenblick gelungen war ihn auszuschalten.
Es lag auf der Hand, daß in diesem Falle solche Eisenbahn-
gesellschaften überwiegend günstig gestellt sein würden, welche
zwischen besonders wichtigen Verkehrsgebieten einen durchlaufenden
unabhängigen Schienenweg besitzen. So haben die großen Gesell-
schaften neuerdings weniger danach getrachtet, auf Parallelstrecken
Einfluß zu gewinnen, vielmehr haben sie ihr Bestreben hauptsächlich
darauf gerichtet, die eigenen Linien zu einem selbständigen Organismus
auszugestalten.
Zur Durchführung dieses Vorhabens war es notwendig, die
eigenen Strecken an vorzugsweise wichtige Verkehrspunkte heran-
- 56 -
zubringen, ganz besonders ihnen die Ausmündung in einen Seehafen
zu sichern. Das aber ließ sich nur durch die AngUederung anderer
Gesellschaften oder durch den Ausbau neuer Strecken bewerk-
stelligen. Da es sich nun gerade darum handelte, in industriell
hochentwickelten Städten oder Handelsplätzen wie Pittsburgh, New
Orleans, Baltimore, New York, festen Fuß zu fassen, so mußten außer-
ordentlich hohe Preise bewilUgt, riesige Kapitalien bereitgestellt und
zunächst einmal festgelegft werden. Wie weitausschauend diese Pläne
sind und wie wenig man dabei vor den Kosten zurückschreckte,
beweist das bereits in der Ausführung begriffene Vorhaben, eine
neue Hauptlinie vom Ostende Long Island's auf die Strecken der
Pennsylvania-Eisenbahn durchzuleiten, ein Unternehmen, welches die
Untertunnelung sowohl des Long Island Sound als auch des Hudson
River nötig macht, also zunächst für eine ganze Reihe von Jahren gar
keine Erträgnisse abwerfen kann.
Was die Herstellung neuer transkontinentaler Verbindungen
betrifft, wie sie von mehreren Seiten betrieben wird^), so ist der Bau
infolge der ungünstigen Geldverhältnisse langsamer als geplant war
fortgeschritten. Im ganzen betrachtet hat aber das Eisenbahnnetz der
Vereinigten Staaten in den letzten Jahren eine sehr beträchtliche Er-
weiterung erfahren, und das ist zum Teil zweifellos auf das geschilderte
Bestreben der Eisenbahnmagnaten zurückzuführen, sich große diu-ch-
laufende Schienenwege zu verschaffen.
bgesehen von den Neubauten hatten die Eisenbahnen aber
auch noch sehr erhebliches Kapital für die Vermehrung des Betriebs-
materials und andere Verbesserungen aufzuwenden. Der Verkehr war
fortgesetzt gestiegen, die Eisenbahnen hatten aber ihre Leistungs-
fähigkeit lange Zeit nicht entsprechend vermehrt Ein hervorragender
Eisenbahnpräsident hat sich dahin ausgelassen, nach seiner Schätzung
sei in dem Zeitraum von 1895 bis 1905 die Frachtmenge, die zu
befördern war, um 1 10 Prozent, die Ausrüstung der Eisenbahnen aber
nur um 20 Prozent gewachsen^). Erst mit dem Jahre 1905 haben
die Eisenbahngesellschaften angefangen, nachdrücklich auf eine wesent-
liche Erhöhung ihrer Leistungsfähigkeit hinzuarbeiten, um den ge-
steigerten Anforderungen des Verkehrs einigermaßen gerecht werden
zu können.
So drängten sich die großen Ausgaben für die Vermehrung
des rollenden Materials, für die Erweiterung und Anlage von Güter-
und Rangierbahnhöfen, für die Erneuerung von Brücken und sonstige
Verbesserungen, die keinen Aufschub mehr duldeten, hauptsächlich
in die zwei Jahre, welche der Krisis vorhergingen, zusammen^). Mit
welcher Entschlossenheit man dann aber auch zeitweise Abhülfe zu
schaffen sich bestrebte, geht daraus hervor, daß die hauptsächlichsten
Eisenbahngesellschaften, nachdem sie im Herbst 1906 ihr Unvermögen
erkannt hatten, die riesigen Erntetransporte zu bewältigen, innerhalb
von 90 Tagen für über 100 Millionen Dollars Ausrüstungsmaterial
in Bestellung gaben, so daß es binnen kurzem unmöglich war,
einen Auftrag zur Ausführung innerhalb der nächsten 12 Monate
unterzubringen.*) Da kann es nicht verwundem, daß die Gesamtheit
der Eisenbahngesellschaften des Landes ihr werbendes Kapital cdlein
in diesen beiden Jahren um rund zwei Milliarden Dollars vermehrte*).
Zu den beispiellosen Ansprüchen, welche die Entwicklung des
amerikanischen Verkehrswesens an den Kapitalmarkt stellte, trugen
*) 2 ist Annual Report of the Interstate Commerce Commission (Washington 1907), p. 8.
?) Für die Neubestellung an rollendem Material gibt Railway Age die folgenden Ziffern:
uch die elektrischen Baihnen sehr wesentlich bei, die dem Straßen-
oder Vorortverkehr dienen. Die Streckenlänge von Bahnen dieser
Art ist von 1897 bis 1906 von 13765 auf 36212 Meilen angewachsen;^)
"^s sind also in diesem Zeitraum annähernd 36000 Kilometer herge-
stellt worden, das ist mehr als die Gesamtlänge der Preußischen
Eisenbahnen beträgt. Auch auf diesem Gebiet sind in den letzten
Jahren ungewöhnlich kostspielige Bauten in Angriff genommen worden,
namentlich einige neue Linien des New Yorker Untergrundnetzes,
welche ebenfalls mehrfache Tunnelbauten unter dem Long Island
Sound, sowie dem Hudson River in sich begreifen.
Außer den gekennzeichneten, in erster Linie bedeutungsvollen
Erscheinungen, sind nun während der jüngsten Aufschwungsperiode
in den Vereinigten Staaten einige weitere Faktoren hervorgetreten,
die zwar nicht in demselben Maße wie jene, aber gelegentlich doch
auch recht fühlbar auf die Kapital- und Kreditverhältnisse eingewirkt
haben.
I So hat sich Hand in Hand mit der Erschließung neuer Acker-
I baugebiete im Westen einerseits, — die durch fortgesetzte starke Zu-
wanderung und die gelegentliche Aufteilung einer Indianerreservation
gefördert wurde, — mit der Verbesserung der Verkehrsmittel in der
f Nähe der Großstädte andererseits, eine sehr umfangreiche Boden-
* Spekulation entwickelt. Gerade dieser Zweig der spekulativen Be-
tätigung hat in den letzten Jahren vor der Krisis zu längerer Fest-
legung sehr erheblicher Kapitalien geführt. Das gilt in gewissem
Grade sogar von den landwirtschaftlichen Gegenden des Westens,
weil dort bei neuem Land mehr und mehr künstliche Bewässerung
notwendig wird; ganz besonders aber von dem Grundstückhandel
I in der Nähe der großen Städte, wo zahllose Terraingesellschaften
entstanden, und weite Flächen mit beträchtlichen Unkosten für den
Anbau von Wohnhäusern hergerichtet wurden. So nahm die Bau-
tätigkeit allerorten lebhaft zu; gleichzeitig aber erreichten die Preise
für Grund und Boden — zumal in der Stadt New York und ihrer
Umgebung — eine ganz übertriebene Höhe.
I Neben der Grundstückspekulation belegt nun in den Vereinigten
! Staaten auch das spekulative Börsengeschäft ständig ganz bedeu-
tende Kapitalien. Insbesondere betätigt sich an der New Yorker
^) Statistical Abstract 1907/8, p. 233. Allein während des einen Jahres 1906 ver-
mehrten die Straßen- und Hochbahngesellschaften der Vereinigten Staaten ihr Grundkapital
um 195,4, ^^ fundierten Schulden um 201 Millionen Dollars, was einer Vermehnmg der
Gesamtkapitalanlage um 11 Prozent entspricht. Street Railway Journal, New York, vol.
XXX, p. 352 ff.
— 59 —
Wertpapierbörse die private Spekulation mit einer Regelmäßigkeit
und in einem Umfange, dem in anderen Ländern nichts an die Seite
gestellt werden kann. Dabei handelt es sich zu einem recht großen
Teil um Kreise, die verfügbares Kapital gar nicht besitzen. Sie ent-
richten lediglich einen gewissen Prozentsatz vom Nennwert der ge-
kauften Papiere in barem Gelde, beschaffen sich aber die übrigen
Mittel leihweise unter Verpfändung der Effekten, die sie später zu
höheren Kursen wieder zu verkaufen hoffen. Diese Spekulation
»on margin«, die schon in den Jahren 190 1/2 ernste Schwierigkeiten
hervorgerufen hat, erreichte nun auch in den letzten Jahren vor der
Krisis wieder einen riesigen Umfang und wirkte dadurch störend,
daß sie große Kapitalmengen festhielt, deren man anderweitig sehr
dringend benötigte. Die Spekulation bevorzugte jüngsthin Berg-
werkspapiere, und dieser »mining boom« konnte sich verhältnismäßig
lange behaupten. Schätzungsweise wurde im Laufe des Jahres 1907
von Bergwerksgesellschaften in den Vereinigten Staaten und Kanada
die Ermächtigung zur Ausgabe neuer Werte im Nennbeträge von
900 MilUonen Dollars erteilt, und am »curb market« in New York,
wo gerade der nicht offizielle Handel in derartigen Papieren lebhaft
blüht, wurden an einem einzigen Tage die Anteilscheine von 18
neuen Bergwerksunternehmungen in den Handel eingeführt.^)
Wenn nun auch die spekulative Betätigung nicht immer gerade
solch bedenkUchen Umfang erreichte, so ist sie doch im Laufe der
Zeit nicht ohne Einfluß auf eine Erscheinung gewesen, die in den
Vereinigten Staaten schon seit langen Jahren zu beobachten war,
aber zu einer Zeit allgemeiner Prosperität naturgemäß mit besonderer
Deutlichkeit hervortreten mußte.
Wo nämlich Vermögen so schnell und mühelos erworben werden,
muß sich die Neigung einstellen, auf großem Fuße zu leben und Geld
mit vollen Händen auszugeben. Das Beispiel wirkt auch auf die
minder begüterten Schichten. Es ist festzustellen, daß die fortgesetzten
erhebUchen Lohnsteigerungen in weiten KJreisen der amerikanischen
Bevölkerung nicht sowohl eine Vermehrung der Ersparnisse, als viel-
mehr den Übergang zu einer kostspieligeren Lebenshaltung zur Folge
gehabt haben. In manchen Fällen mag auch wohl der Wunsch mit-
sprechen, durch Entfaltung eines gewissen Aufwandes die eigene
Kreditwürdigkeit in fremden Augen zu erhöhen. Jedenfalls kann es
keinem Zweifel unterliegen, daß in den letzten Jahren besonders in
den großen Städten des Landes der ohnehin vorhandene Hang zum
*) Wall Street Journal, Dezember 1907; World's Work vol. 13, p. 8383.
— 6o —
Wohlleben und zur Verschwendung merklich zugenommen, und man
sich vielfach hat verführen la.ssen, über seine Verhältnisse zu leben.
j Auf diese Weise sind immer wachsende Summen für Luxusgegen-
( stände, oder aber für Reisen, Vergnügungen und ähnliche nicht
lukrative Zwecke verausgabt worden^).
Femer ist nicht außer Acht zu lassen, daß auch im öffentlichen
Leben, und zwar von Bund, Einzelstaaten und kommunalen Körper-
schaften, teilweise recht verschwenderisch gewirtschaftet worden ist.
Durch alle diese Umstände sind in den Vereinigten Staaten
während der letzten Periode allgemeinen Gedeihens Kapital und
Kredit fortgesetzt in außergewöhnlich starkem, zeitweise bedenklichem
Maße in Anspruch genommen worden. Ob und wie der Markt
diesen Anforderungen gerecht zu werden vermochte, das hing, da
man zum nicht geringen Teil auf die Unterstützung Europas ange-
wiesen war, wesentlich von den dortigen Kapital- und Kjreditverhält-
nissen ab.
Hier haben sich nun beachtenswerte Wandlungen vollzogen.
Als sich der große »boom« in den ersten Jahren des neuen
Jahrhunderts zu entwickeln anfing, kam es den Vereinigten Staaten
* sehr zugute, daß sie im Jahre 1900 größere Posten europäischer
Emissionen übernommen hatten. Diese sandten sie nun nach Be-
lieben zurück und vermehrten dadurch ihre europäischen Guthaben.
Es herrschte ja auch zu dieser Zeit eine tiefe geschäftliche Depression
in Deutschland und England; so konnte es den Vereinigten Staaten
nicht schwer fallen, sich wenigstens einen Teil von dem Kapital zu
sichern, das dort unbeschäftigt war. Zwar verzehrte der Transvsial-
krieg damals gerade ungeheuere Summen, — über 1000 Millionen
Dollars — , aber fürs erste war Paris noch imm^ als Geldgeber im
Markte.
Erst nach Beendigung des Kjrieges machte sich auch in den
Vereinigten Staaten Knappheit an Kapital bemerkbar, besonders
empfindlich im Jahre 1903. Die Eisenbahnen und industriellen Ge-
sellschaften konnten Anleihen nicht zu den gewohnten Bedingungen
unterbringen; sie zogen es daher vor, gegen kurzfristige Noten zu
borgen, um die hohen Zinsen nur so lange bezahlen zu müssen, bis die
Geldverhältnisse wieder günstiger sein würden. Es gelang den Banken
auch ohne Mühe, eine größere Menge dieser Noten in Europa ab-
^) Es wird angenommen, daß in den zwei der Panik vorangehenden Jahren aUein für
Automobile 400 Millionen Dollars verausgabt worden sind; M. E. Inga 11 auf der National
Banker's Convention 1907 (Commerdal and Financial Chronide, Bankerts Section, 5. Oktober
1907, p. 86).
— 6i
zusetzen; aber damit waren die Schwierigkeiten der Darlehnsnehmer
doch nur vorübergehend gehoben, und es sollte sich bald zeigen, wie
bedenklich es war, kurzfristige Verbindlichkeiten in solchem Umfange
einzugehen. Denn die Hoffnung auf billiges Geld verwirklichte sich
auf die Dauer durchaus nicht: hauptsächlich deswegen, weil Anfang
1904 der japanisch-russische Kjrieg ausbrach, der nach und nach über
1^/4 Milliarden Dollars absorbierte. Zunächst freilich zeigte der Geld-
stand noch eine bemerkenswerte Flüssigkeit; bald jedoch machte es
WcLchsende Schwierigkeiten, die Anleihen für die ungeheuren Aus-
gaben dieser beiden Länder endgültig unterzubringen. Insbesondere
mußte Paris noch auf längere Zeit seine verfügbaren Mittel dazu
verwenden, um den russischen Kredit aufrecht zu erhalten, während
andererseits selbst aus Ägypten und Südamerika ungewöhnliche An-
forderungen an den Kapitalmarkt herantraten. Schließlich trug auch
noch der Umstand, daß in weniger als Jahresfrist durch Erdbeben
Eigentum im Werte von 600 bis 700 Millionen Dollars zerstört wurde,
dazu bei, den Mangel an verfügbaren Mitteln besonders fühlbar zu
machen.
In diese Periode gespannter Geld- und KJreditverhältnisse fiel
nun die aufsteigende Konjunktur, welche schon vor der endgültigen
Beendigung des ostasiatischen Kjrieges eingesetzt hatte. Das geschah
in Europa und in den Vereinigten Staaten um dieselbe Zeit, und so
machte die gesteigerte industrielle Tätigkeit in beiden Kontinenten
gleichzeitig ihre erhöhten Ansprüche geltend. Die Emission neuer
Werte wies infolgedessen vom Jahre 1905 an eine ganz bedeutende
Zunahme auf^).
Die Kapitalknappheit mußte in den Vereinigten Staaten be-
sonders empfindlich werden. Denn einmal ist das Land überhaupt
daran gewöhnt, auf europäische Gelder zu rechnen, die nun nicht in
^) Der Moniteur des Int^^ts mat^riels (vgl. 58. ann^e, p. 1025 ff.) stellt die Emissionen
für alle Erdteile alljährlich zusammen. Wenn auch diese Angaben keinen Anspruch auf
unbedingte Richtigkeit erheben können, so zeigen sie doch, wie sich die Anforderungen an
den Kapitalmarkt gesteigert haben, und wie erheblich die Vereinigten Staaten an der Schaffung
neuer Werte beteiligt sind. Der Moniteur gibt ohne Einrechnung von Konvertierungen die
folgenden Zahlen:
m gewohnten Umfange zur Verfügung standen. Zudem aber hatte
man nicht nur den laufenden Bedarf an neuen Mitteln zu decken,
wie ihn ein Konjunkturaufschwung an und für sich zu bringen pflegt,
vielmehr außerdem die erheblichen Beträge kurzfristiger Noten zu
fundieren, mit denen man sich vorübergehend beholfen hatte. Wesent-
lich verschlimmert aber wurde die Sachlage für die Vereinigten
Staaten sodann auch noch durch die Katastrophe von S. Francisco,
am i8. April 1906, und von dieser Zeit an gestaltete sich die Kapital-
beschaffung außerordentlich schwierig.
Insbesondere die Eisenbahnen hatten unter der Geldknappheit
zu leiden.
Sie hatten zum größten Teil kostspielige Materialbeschaffungen
und Verbesserungen der Strecke vorzunehmen, die sich nicht länger
aufschieben ließen. Auch war es von Wichtigkeit, die vielen groß-
zügigen Neuanlagen und Umbauten, mit denen man begonnen hatte,
möglichst bald fertig zu stellen, um ein unnötiges Brachliegen der
großen darin investierten Kapitalien zu vermeiden. Für alle diese
Zwecke bedurften die Bahnen bedeutender Mittel. Dabei war aber
der Anleihemarkt nicht mehr aufnahmefähig. Es hatte sich als
unmöglich erwiesen, langfristige Bonds unterzubringen, und die
Emissionsyndikate waren teilweise auf größeren Beträgen sitzen ge-
blieben^). So ging man denn vielfach aufs neue dazu über, gegen
Ausgabe hochverzinslicher Noten auf kurze Fristen zu borgen. Die
Banken ließen sich durch diese Form des Anlehens, die ihnen be-
sondere Vorteile gewährte, zur Hergabe von Kapitalien bestimmen,
von denen sie sich unter weniger verlockenden Bedingungen nicht
getrennt haben würden und die sie eigentlich nicht entbehren konnten.
So wurde die große Menge schwimmender Werte, die ohnehin schon
einen recht bedenklichen Umfang erreicht hatte, noch weiter ver-
mehrt.
Noch verhängnisvoller aber wurde die Politik derjenigen Eisen-
bahnen, die ihre Dividenden — statt sie zu beschneiden und die
kostbaren Barmittel zu behalten — ohne Rechtfertigung erhöhten.
Teilweise war ihre Absicht, den Markt auf diese Weise für die Auf-
nahme neuer Werte williger zu machen, zum Teil sollte dieses Vor-
gehen auch als Handhabe zu der Aufwärtsbewegung dienen, die im
Spätsommer 1906 gewaltsam in Szene gesetzt wurde.
Zu einer Zeit, wo sich allenthalben der äußerste Mangel an
flüssigem Kapital bemerkbar machte, und der Kredit mehr oder
*) A. D. Noyes, The fall in the world*s markets, Forum vol. 39, p. 194.
- 63 -
weniger überall bis an die Grenze der Sicherheit angespannt war,
hatte diese Manipulation ihre großen Bedenken, und es wurde tat-
sächlich vielfach angenommen, daß sie noch vor Schluß des Jahres
zu einem äußerst heftigen Rückschlag, wenn nicht zu einer Kata-
strophe führen würde. Da aber andererseits die Prosperität des Landes
eine wirklich großartige war, und starke Finanzmächte die Hand im
Spiele hatten, so fanden sich Banken genug, die von der erwarteten
Kurssteigerung Nutzen ziehen wollten und ihre Mittel daher bereit-
willig zur Verfügung stellten. Das letztere war ihnen freilich nur
möglich, indem sie europäischen Kredit in erhebUchem Maße in
Anspruch naihmen, und eben darin lag auch das Bedenkliche.
Es gelang zwar, über das Jahresende glücklich hinwegzukommen,
aber die Schwierigkeiten stellten sich ein, sobald die Verbindlichkeiten
an das Ausland, die man in so großem Umfange und mit verhältnis-
mäßig kurzer Frist eingegangen war, ihre Fälligkeit erreichten.
Man hatte im stillen auf eine Verlängerung der Kredite gerechnet,
aber darauf ließen sich die europäischen Geldgeber nicht ein. Für
einen Teil der Schuld gestaltete sich die Rückzahlung cdlerdings
insofern für die amerikanischen Banken günstig, als die Gläubiger
sich bereit finden ließen, größere Beträge von den hochverzinslichen
Noten zu übernehmen, die noch immer in stattlicher Menge zur Aus-
gabe gelangten^). Trotzdem blieb schließlich den Kapitalmächten,
welche die Aufwärtsbewegung inszeniert hatten, nichts anderes übrig,
als ihre Verpflichtungen durch umfassende Entlastungsverkäufe zu
vermindern. Dadurch wurden die Kurse, namentlich im März, stark
geworfen, und auch sonst die Stimmung des ganzen Wirtschaftswesens
äußerst ungünstig beeinflußt. Eine weitere üble Folge der Verschuldung
an das Ausland war, daß sich Goldexporte nicht vermeiden ließen,
obwohl Europa zu den gesunkenen Kursen amerikanische Werte
aufnahm. Die Ausfuhr nahm im Mai 1907 ihren Anfang und erreichte
eine Höhe von über 30 Millionen Dollars*), eine Summe, welche die
New Yorker Banken, wie sich später zeigen sollte, selbst nötig genug
hätten gebrauchen können.
Wenngleich also die ganze Aufwärtsbewegung im höchsten
Grade unzeitgemäß war, sich auch voraussehen ließ, daß sie bedenk-
liche Folgen nach sich ziehen werde, hielten es die Banken nicht
für ihre Pflicht, ein so gewagtes Begannen zu unterdrücken. Es
zeigte sich hier wieder, daß die New Yorker Banken kein genügend
*) Im ersten Halbjahr 1907 wurden für 290 Millionen Dollars »short term notes«
auf den Markt gebracht; Commerdal and Financial Chronide vol, 86, p. 142 ff.
?) Bradstreets vol. 35, p. 529,
- 64 -
entwickeltes Gefühl der Solidarität und Verantwortlichkeit besitzen,
wie sie es daran schon manchmal und gerade dann haben fehlen
lassen, wenn es gegolten hätte, einer naihenden Gefahr durch Mäßi-
gung und Zurückhaltung zuvorzukommen.
In dieser Hinsicht sind die Vereinigten Staaten durch ihr Bank-
system im Vergleich zu anderen Ländern offenbar im Nachteil.
Wo nämlich eine Zentralnotenbank ihrer Aufgabe entsprechend
darauf hinarbeitet, daß das Kreditgebäude des Landes jederzeit von
einer ausreichenden Goldreserve getragen wird, ruft eine übertriebene
Anspannung des allgemeinen Kredits mit Sicherheit eine Gegen-
wirkung hervor; es wird solange auf Krediteinschränkung gedrungen,
bis sich die Sachlage von selbst wieder ins Gleichgewicht zurückfindet.
Ein solcher Mechanismus ist in den Vereinigten Staaten nicht vor-
handen. Es fehlt eine Zentralinstanz, die für die Erfüllung der ge-
dachten Aufgabe zuständig und demgemäß ausgestattet wäre; es
fehlt ein Banknotenumlauf, der sich den wechselnden Bedürfnissen
des Verkehrs anzupassen vermöchte.
Diese Mängel in der Organisation stehen mit der jüngsten Krisis
in doppelter Weise in ursächlichem Zusammenhang. Einmal hat die
unzureichende Regelung des Bankwesens erst die Möglichkeit zu der
übertriebenen Kreditanspannung gegeben, die außerdem auch noch
durch Eingriffe des Schatzamts unterstützt und gesteigert wurde;
später aber, beim ersten Ausbruch der Panik, fehlte es an einem
schnell dehnbaren Umlaufsmittel, das eine sofortige weitherzige
Krediterweiterung und damit eine Eindämmung der allgemeinen
Beunruhigung ermöglicht hätte.
Vielfach wird das gewaltige Anwachsen des Goldvorrats
unter den inneren Gründen aufgeführt, die für die amerikanische
Krisis verantwortlich gemacht werden. Teilweise macht sich dabei
eine mißverständliche Auffassung geltend. Sicherlich aber ist die
riesige Vermehrung des Goldvorrats der Vereinigten Staaten ^) inso-
fern von unmittelbarem Einfluß auf die Kreditverhältnisse geworden,
als sie für die Banken das Mittel bot, ihre Reserven erheblich zu
verstärken, dementsprechend also insbesondere auch ihre Verpflich-
tungen auf Depositenrechnung um ein Vielfaches dieses baren Zu-
wachses anschwellen zu lassen. Das gilt vorzugsweise von den
Nationalbanken. Denn obwohl Goldreserven für sie nicht vor-
^) Er ist vom i. Juli 1897 bis daMn 1907 von rund 700 Millionen auf 1600 Millionen
Dollars, die Kopfquote in derselben Zeit von 9,55 auf 18,61 gestiegen. Annual Report
of the Director of the Mint for the fiscal year 1906, p. 81; Statistical Abstract 1907/3,
p. 602; MontMy Summary of Commerce and Finance in the United States 1906/7, p. 2700.
- 65 -
geschrieben sind, bestand der Zuwachs, den ihre Barbestände gerade
während der letzten Jahre erfuhren, hauptsächlich aus Gold, und
dies benutzten sie als Grundlage für ihre ständig erweiterte Kredit-
gewährung. Es ist nicht zu verkennen, daß dieser Zustand all-
mählich einen Punkt erreichte, wo er Bedenken einflößen mußte.
Denn einmal sind die gesetzlichen Reserven der Nationalbanken
großenteils fiktiv und auf das unglücklichste untereinander verquickt,
tatsächlich also vielfach unzureichend. Andererseits ruhte das Kjredit-
gebäude zum beträchtlichen Teil auf europäischem Gold, mit dessen
Abfließen gerechnet werden mußte. Führten doch die Vereinigten
Staaten vom i. Juli 1905 bis Ende April 1907 beinahe 150 Millionen
Dollars Gold^) mehr ein als aus; hier mußte früher oder später eine
entgegengesetzte Bewegung eintreten, die unter Umständen recht
unbequem werden konnte^).
Immerhin haben an der Kreditinflation, die sich während der
jüngsten Aufschwungsperiode in den Vereinigten Staaten heraus-
gebildet hat, andere Momente einen ungleich größeren Anteil ge-
habt, und zwar gerade diejenigen Formen des Bankkredits, welche
infolge der eigentümlichen Gesetzgebung gar nicht oder doch nur
mittelbar in Abhängigkeit vom Goldvorrat des Landes stehen.
Von ungünstiger Einwirkung ist zunächst, um bei den National-
banken zu bleiben, die starke Vermehrung der Banknoten ge-
wesen, vor allen Dingen deshalb, weil ihnen im Bank- und Kredit-
system des Landes ganz und gar nicht die richtige Stellung an-
gewiesen ist.
Den Nationalbanken ist zwar nicht erlaubt, Banknoten zu
ihrer gesetzlichen Reserve zu verwenden, — übrigens eine Be-
stimmung, die nicht immer streng beobachtet wird. Dagegen ge-
stattet die einzelstaatliche Gesetzgebung den Staatenbanken und
Trust Companies durchweg ausdrücklich — insbesondere auch im
Staate New York*), — Noten der Nationalbanken als Bestandteil der
baren Reserve zu rechnen, soweit eine solche überhaupt vorge-
*) Vom I. Juli 1905 bis dahin 1906 57,6 Millionen, vom i. Juli 1906 bis zum
30. April 1907 86,6 Millionen, zusammen also 144,2 Millionen Dollars. (Vgl. Monthly
Smnmary of Commerce and Finance in the United States 1906/7, p. 2100).
') Über die Goldausfuhren im Sommer 1907 vgl. oben Seite 63. Beunruhigend
wirkte es, als am 19. Oktober 1907 eine erneute Groldausfuhr begann. Sie ging indessen
über eine einzelne Verschiffung von 1,5 Mühonen Dollars nach Deutschland nicht hinaus;
vgLxDocument 208, p. 13.
*) Auch die neuen Gresetze des Staates New York vom Jahre 1908 über die Reserven
von Trust Companies und Staatenbanken machen hiervon keine Ausnahme. Vgl. Banking
Law Journal vol. 25, p. 337 ff und p. 421 ff.
Hasenkamp, Die wirtschaftliche Ej-isis des Jahres 1907 in den Vereinigten Staaten. 5
— 66 —
schrieben ist/V Meist wird ja ohnehin nur eine geringe Barreserve
verlangt und fast ausnahmslos gestattet, Guthaben bei anderen
Banken bis zu einer gewissen Höhe als Bestandteil der Reserve in
Anrechnung zu bringen. So kann es ohne Verletzung der gesetz-
lichen Vorschriften geschehen, daß eine Banknote als Grundlage für
den 6-, ja lofachen Betrag an Verbindlichkeiten auf Depositenrech-
nung dient, also/ein Kjreditpapier, das in keiner Abhängigkeit vom
Goldvorrat s1:eht, nicht einmal in Gold eingelöst zu werden braucht,
und dessen Vermehrung ebensowenig Grenzen gesteckt sind wie der
Begebung von Schuldtiteln des Bundes, auf denen sie beruht. Hier
ist also in Zeiten lebhaften Unternehmungsgeistes und starker speku-
lativer Betätigung buchstäblich ein Aufeinandertürmen von Kjredit
möglich, für das der so oft gebrauchte Vergleich von einer auf der
Spitze stehenden Pyramide wirklich zutreffend erscheint. Es kommen
hier sehr erhebliche Beträge in Frage. So wurde im Jahre 1907
auf Grund von Erhebungen in den Vereinigten Staaten angenommen,
daß Bankinstitute anderer Art als Nationalbanken mehr als 200 Mil-
lionen Dollars Banknoten in ihren Reserven hielten*).
Die Gefahr, die in derartigen Verhältnissen liegt, ist im letzten
Jahrzehnt dadurch noch vergprößert worden, daß sich die Noten-
ausgabe ganz wesentlich gehoben hat. Namentlich ist das seit dem
Gesetz vom 14. März 1900 der Fall gewesen, das gerade diesen Zweck
im Auge hatte und erreichte, indem es das Emissionsgeschäft lohnender
gestaltete. Ferner aber ist der Schatzsekretär mehrfach im Ver-
waltungswege vorgegahgen, um stimuUerend auf die Ausgabe von
Banknoten einzuwirken^).
ie erwähnten besonderen Maßnahmen des Schatzamtes ge-
hören in die Reihe von Mitteln, welche diese Behörde seit langen
Jahren angewandt hat, um eine Geldklemme zu verhüten oder doch
zu lindem. Während das Schatzamt aber früher mehr das Bestreben
erkennen ließ, nur für den Augenblick gewissermaßen die mangelnde
Elastizität des Notensystems zu ersetzen, haben die Eingriffe seit
1902 eine stetige, dauernde Vermehrung der für den Verkehr ver-
fügbaren Umlaufsmittel herbeigeführt.
Das gilt in besonderem Grade auch für die Überweisung
von Regierungsgeldern an die Nationalbanken. Diese Maß-
nahme ist noch mehr als die Vermehrung der Banknoten dazu an-
getan, eine übertriebene Kreditgewährung seitens der Banken zu
fördern.
Hier erhalten die Reserven ja einen unmittelbaren Zuwachs,
und da für die Regierungsdepositen ^) selbst keine Reserve mehr ver-
langt wird, so kann eine Nationalbank für jeden Dollar, den ihr die
Regierung überläßt, ihre Verbindlichkeiten auf Depositenrechnung
um den Betrag von vier Dollars anwachsen lassen.
Die Sachlage kann aber auch so sein, daß die Reserven zu
der Zeit der Überweisung schon knapp sind, und noch eine weitere
Verminderung sowie ein Steigen der Zinssätze infolge Abflusses von
Barmitteln zu erwarten ist. Dann wird die Bank durch eine solche
Zuweisung der Notwendigkeit überhoben, auf eine Verminderung der
gewährten Kredite Bedacht zu nehmen, wie sie andernfalls hätte
tun müssen, um dem Reserveerfordernis auch weiterhin zu genügen.
Dieser FaU ist nun besonders häufig eingetreten, da das Schatzamt
zu seinem Eingreifen naturgemäß gerade solchen Zeitpunkt wählte
— vorzugsweise im Herbst — , zu dem die Reserven der Banken
ungenügend waren oder zu werden drohten. Die Absicht des
Schatzamtes war hauptsächlich die, einen freieren Zufluß von Bar-
*) Das Schatzamt rechnet die Überweisungen der Regierung seit dem 29. September
1902 nicht mehr zu den reservepflichtigen Depositen; die Clearinghaus -Banken in New
York aber haben es für richtig erachtet, an dem alten Modus festzuhalten. Vgl. Finance
Report 1906, p. 37; Andrew, a. a. O. vol. 21, p. 539.
5*
— 68 —
mittein in die ackerbautreibenden Landesteile herbeizuführen. Da aber
die Geldknappheit stets am ausgesprochensten in New York in die
Erscheinung trat, auch die Geldversorgung großenteils von dort aus
reguliert wird, so wurde die Hülfsaktion der Regierung vorzugs-
weise dorthin gerichtet. Sie hatte denn auch regelmäßig den ge-
wünschten Erfolg, die Zinssätze in New York fielen.
Das war aber keineswegs immer von Vorteil. Sind nämlich
die Bankreserven gering, so wirken die Banken notgedrungen auf
eine Verminderung ihrer Kreditgewährungen hin; auch mag ein hoher
Zinssatz, besonders wenn anzunehmen ist, daß er einige Zeit andauert,
Goldimporte zur Folge haben. So würde der Stand der Banken an
sich eine Kräftigung erfahren haben. Durch das Eingreifen des
Schatzamts wurde aber dieser wohltuende und notwendige Aus-
gleich vielfach außer Wirksamkeit gesetzt, und die Banken konnten
sich somit nur allzuleicht in einer unvorsichtigen Politik bestärkt
fühlen.
Deswegen war es auch ein schwerer Fehler, daß die Hülfe-
leistungen des Schatzamts mit so großer Regelmäßigkeit erfolgten.
Tatsächlich gewöhnten die Banken sich allmählich daran, auf die
Hülfe des Schatzamts von vornherein zu rechnen, ja sie als ihr gutes
Recht in Anspruch zu nehmen, des weiteren auch darauf zu bauen,
man werde ihnen die angeblich nur vorübergehend gewährten Mittel
schließlich doch noch länger belassen. Wenn daher namentlich die
New Yorker Banken die Notwendigkeit einer Einschränkung ihrer
Kredite letzthin nicht mehr so ernst genommen und das Gefühl der
gemeinsamen Verantwortung zimi Teil geradezu eingebüßt haben,
so kann das Schatzamt nicht davon freigesprochen werden, hier
selbst eine ungünstige Einwirkung ausgeübt zu haben.
Die Depositen der Regierung bei den Nationalbanken wurden
von Ende Februar 1906 — sie betrugen damals wenig über 50 Millionen
Dollars — bis Mitte Oktober 1906 um beinahe 100 Millionen ge-
steigert. Davon wurden im September 1906 etwa 30 Millionen unter
der Vereinbarung hingegeben, daß sie vom i. Februar 1907 ab
zurückbezahlt werden sollten. Schatzsekretär Shaw rief sie indessen
nicht ein, und sein Nachfolger erlaubte den Banken Anfang März
sie zu behalten. Zu dieser Zeit wurden die Depositen auch noch
dadurch vermehrt, daß der Schatzsekretär von der Befugnis, welche
ihm die Aldrich Bill vom 4. März 1907 gegeben hatte, alsbald zu
Gunsten der Nationalbanken Gebrauch machte und fortan seine Über-
weisungen auch auf die Eingänge aus den Einfuhrzöllen erstreckte.
Auf diese Weise erreichten die Depositen der Regierung bei National-
- 69 -
banken am 25. Mai 1907 die Summe von 173166316 Dollars; am
15. Oktober 1907 beliefen sie sich auf 162,7 Millionen^).
Während die fehlerhafte G-estaltung und Beeinflussung der
Kreditverhältnisse bei den Nationalbanken den Organen des Bundes
zur Last zu legen ist, fällt die Verantwortung für ein anderes Moment,
das in ebenderselben Richtung eine ungünstige Wirkung ausgeübt
hat, in erster Linie der einzelstaatlichen Gesetzgebung zur Last,
nämlich die Regelung der Trust Companies.
In dieser Beziehung ist der Staat New York besonders lange
rückständig gewesen, und so haben sich gerade bei den Trust
Companies in New York recht unbefriedigende Verhältnisse ent-
wickelt. Vielfach stand die Kapitalisierung nicht mehr im richtigen
Verhältnis zu der Ausdehnung ihrer Verbindlichkeiten, auch nahmen
sie bei der Anlage ihrer Mittel nicht genügend auf rasche Reali-
sierbarkeit Rücksicht. Zum Teil legten sie infolge der Zugehörig-
keit zu Emissionsyndikaten allzu große Beträge in neuen Werten
fest, teilweise beeinträchtigten sie ihre Flüssigkeit in zu weitgehen-
dem Maße durch Beteiligung an anderen Finanzinstituten. In
letzterem Falle mag manchmal der Wunsch mitgesprochen haben,
sich durch solche Beziehungen freiere Hand in der Kreditgewährung
zu verschaffen; jedenfalls ist es nicht selten vorgekommen, daß das
eine der befreundeten Institute dem andern einen bestimmten Betrag
gegen ganz geringe Vergütung mit der Abmachung zuwies, sie
einem Beamten oder Verwaltungsmitglied der ersten Bank als Dar-
lehn zum Zinssatz des Marktes zu überlcissen^.
Aber selbst wenn man offenbaren Mißbräuchen dieser Art keine
große Bedeutung beimessen will, so hatte andererseits das bloße
Vordringen der New Yorker Trust Companies auf das Gebiet des
regelrechten Bankgeschäftes allein deswegen schon seine erheblichen
Bedenken, weil die Reservevorschriften für diesen Fall, den die Ge-
setzgebung anfänglich überhaupt nicht vorgesehen hatte, vollkommen
unzureichend blieben. Auf diese Weise fehlte den Trust Companies
selbst die solide Grundlage, die für alle Eventualitäten so dringend
geboten erscheint. Sodann übte aber auch der Umstand, daß die
Trust Companies hinsichtlich der Reserven so gelinde von der Ge-
setzgebung behandelt wurden, in mehrfacher Hinsicht mittelbar einen
ungünstigen Einfluß auf das gesamte Bankwesen, ganz besonders
auf die Nationalbanken, aus.
*) Finance Report 1906, 116 ff; 1907, p. 56 ff; Treasurer's Report 1907, p. 18 ff.
*) New York State, Annual Report of the Superintendent of Banks 1907/8, p. XLII,
— 70 —
Die Trust Companies nahmen eben im Wettbewerb mit den
reinen Banken von vornherein dadurch eine bevorzugte Stellung ein,
daß sie einen erheblich größeren Teil ihrer Mittel gewinnbringend
anzulegen vermochten^). Sie waren dadurch in der Lage, hinsicht-
Uch der Verzinsung von Depositen besonders anziehende Bedingungen
zu gewähren, und versetzten somit die übrigen Banken grossenteils
in die Notwendigkeit, ihren Kunden in dieser Beziehung ebenfalls
entgegenzukommen — wenn sich auch einzelne alte wohlgegründete
Häuser nicht zu einer Änderung ihrer früheren Grundsätze bestimmen
ließen. Bei den meisten Banken wurde diu^ch die erweiterte Zins-
gewährung, zu der sie sich auf diese Weise gezwungen sahen, das
Erträgnis geschmälert, und sie suchten nun vielfach dadurch einen
Ausgleich zu schaffen, daß sie sich mehr solchen Geschäften zu-
wandten, die einen höheren Gewinn abwerfen, dafür aber auch ein
größeres Risiko mit sich bringen. So hat ohne Zweifel gerade in
der Stadt New York die beispiellose Entwicklung der Trust Companies
— wenn auch nicht allein — darauf hingewirkt, daß die dortigen
Associated Banks einen immer größeren Teil ihrer Mittel gegen
Lombardierung von Wertpapieren ausgeliehen haben.
Übrigens wurden in New York die dafür verfügbaren Summen
auch unmittelbar durch die Trust Companies vermehrt. Diese hatten sich
nämlich durchweg gewöhnt, in ihren eigenen Kassen nur ganz un-
bedeutende Barvorräte zu halten; dcifür besaßen sie aber ständig
ein jederzeit abhebbares größeres bares Depositum in einer der
Clearinghaus-Banken. Diesen war eine solche Vermehrung ihrer
baren Mittel sehr willkommen ; sie vergüteten den Trust Companies auf
ihre Guthaben i^/^ bis 2^/^ Zinsen und nahmen ihrerseits auf Grund
des Zuwachses der Reserven eine Vermehrung ihrer Ausleihungen
»on call« vor.
Hier bildete sich nun zeitweise ein eigensirtiges Verhältnis
heraus. Falls die Reserven der Clesiringhaus-Banken • zusammen-
schrumpfen, und die Sätze für tägliches Geld in die Höhe gehen,
wird es einerseits für die Trust Company lohnender, die flüssigen
Mittel, welche sie im allgemeinen bei der Bank hinterlegt hält, von
dort abzurufen und sie für eigene Rechnung im offenen Markt aus-
zuleihen. Andererseits ist es der Bank erwünscht, sich durch Ein-
^) In der Stadt New York konnten die Trust Companies im Jalire 1907 von ihren Aktiven
92,2% gewinnbringend anlegen, die National- und Staatenbanken nur 70,3 bis 70,9 Prozent.
Report of Spedal Commission on Banks, submitted to Govemor Hughes Deoember 16, 1907
(Albany 1907), p. 42.
— 71 —
schränkung der Kreditgewährung Erleichterung zu verschaffen. Es
liegt also im beiderseitigen Interesse, daß die Trust Company wenigstens
zeitweise an Stelle der Bank in die Rolle der Darlehnsgläubigerin
eintritt. Das läßt sich ohne jede Barzahlung bewerkstelligen, sodaß
also die Barreserve der Bank unverändert bleibt, während sich
sowohl ihre Ausleihungen als auch ihre Verpflichtungen auf Depo-
sitenrechnung um den Betrag vermindern, den die Trust Company
zurückgezogen und nun von sich aus wieder ausgeliehen hat.
Durch diesen Vorgang, das sogenannte »shifting« von Verbindlich-
keiten, wird die Sachlage tatsächlich nicht gesunder. Es hat, im
ganzen betrachtet, keine Verminderung der gewährten Kredite statt-
gefunden; ebensowenig hat die Reservelage eine Verbesserung er-
fahren. Nur der Stand der einzelnen Bank ist günstiger geworden,
freilich auf Kosten der Trust Company, bei der das aber wegen der
weniger strengen Reservevorschriften nicht viel zu sagen hat.
Es wird behauptet, daß die New Yorker Banken nicht selten
dieses Mittel angewandt haben, um mit Rücksicht auf die Ausweise
ihren Status vorübergehend zu verbessern. Wie dem auch sein
mag, es ist natürlich, daß derartige Verschiebungen gerade dann
vorgenommen werden, wenn die Reserven knapp und die Geldsätze
hoch sind, wenn also die Verhältnisse eine Krediteinschränkung er-
heischen würden. TatsächUch haben die Associated Banks von der
Möglichkeit, eine an sich notwendige Kontraktion auf die geschil-
derte Art zu vermeiden, gelegentlich umfangreichen Gebrauch ge-
macht*), und so haben die Trust Companies durch ihre Mitwirkung
auch auf diese Weise zu der allzu straffen Kreditanspannung ihren
Anteil, wenn auch nur mittelbar, beigetragen.
Wenn man alle diese Einflüsse und Veränderungen in Rück-
sicht zieht, denen die Entwicklung der Banken während der letzten
Dekade aufsteigender Konjunktur, höherer Preise und blühender
Spekulation unterworfen gewesen ist, so kann es nicht Wunder
nehmen, daß ihre Widerstandskrcift erheblich nachgelsissen hat. Dets
läßt sich in der Tat auch zahlenmäßig ganz deutlich nachweisen.
Das Verhältnis von Barbestand zu Depositen hat sich im
ganzen bedeutend verschlechtert; es betrug bei den verschiedenen
Bankengruppen der Vereinigten Staaten in Prozenten*):
^) Beispielsweise zu Ende des Jahres 1904; vgl. Forum vol. 36, p. 3 76 ff.
*) In dieser Aufstellung sind die Depositen der Regierung außer Acht gelassen.
Werden die Sparkassen mit berücksichtigt, so ergibt sich verhältnismäßig der gleiche Rück-
gang, nämlich von 12,3 auf 8;$ <*/<>. Comptroller's Report 1907, p. 41 2 ff.
ist also die gleiche Erscheinung zu beobachten, eine stän-
dige Abnahme der Reserven. Daß die Nationalbanken in ihrer Ge-
schäftsgebarung unvorsichtiger geworden sind, zeigt sich auch darin,
daß das Verhältnis zwischen Kapital und Ausleihungen sich wesent-
lich verschlechtert hat; es ist von i 13,25 im Jahre 1897 auf 1:5,15
im Jahre 1906 und weiter auf 1 15,22 im Jahre 1907 gefallen^).
Ähnliche Wahrnehmungen sind zu machen, wenn wir die Banken
in New York betrachten. Ihre Lage ist von besonderer Wichtigkeit,
denn in den Banken dieser Stadt, unter Einschluß von Brooklyn,
ruht etwa ein Drittel der Barvorräte, welche die sämtlichen Banken
der Vereinigten Staaten überhaupt halten^.
*) Comptroller's Report 1907, p. 200; F. S. Mead, Panic and the Banks, Atlantic
MontMy vol. 10 1, p. 274*
*) Comptroller's Report 1907, p. 15. Die Zahlen verstehen sich jedesmal für den
Monat September.
') Comptroller's Report 1907, p. 55.
— 73 —
Im Jahre 1897 waren die Depositen von National-, Staaten-
banken und Trust Companies durch eine Barreserve von 22,8®/^ ge-
sichert, im Jahre 1907 aber nur von 16,6%, was umsomehr zu be-
achten ist, als doch im Staate inzwischen das Gesetz über die
Reserven von Trust Companies in Kraft getreten war^).
Im Einklang damit steht es, daß in der 25prozentigen Reserve
der Associated Banks vom November 1905 bis Dezember 1906 ein-
schließlich nicht weniger als siebenmal ein Defizit zu verzeichnen
war, während seit Überwindung der KJrisis von 1893 bis 1905 nur
zweimal ein Fehlbetrag in die Erscheinung getreten war.
Sind also die Banken, was das Halten barer Reserven angeht,
im Laufe der letzten Jahre im allgemeinen unvorsichtiger geworden,
so wäre es erst recht notwendig für sie gewesen, ihren Stand sonst
recht flüssig zu halten, und zwar ganz besonders für die National-
banken der Stadt New York, denen von so zahlreichen anderen
Bank-Instituten Reservegelder überlassen werden. Ein großer Teil
dieser Mittel wird bekanntlich als tägliches Geld ausgeliehen. Man
ist zwar geneigt anzunehmen, die ausleihende Bank wäre jederzeit
in der Lage, diese Darlehen nach Belieben einzurufen, wenn ihr
das mit Rücksicht auf eine Abnahme ihrer Reserven wünschens-
wert sein sollte. Tatsächlich ist das indessen nicht in größerem
Maße durchführbar. Es kommt noch hinzu, daß die Banken zum
großen Teil durch ihre Abhängigkeit von einzelnen leitenden Finan-
ziers genötigt sind, das jeweilige Interesse zu berücksichtigen, welches
diese am Stande des Marktes haben; auch das mag die Banken
veranlassen, call loans zu erneuem, wenn es durch die Sachlage ge-
boten wäre, mit Entschiedenheit auf eine Kräftigung der Barvor-
räte hinzuwirken.
Es ist daher durchaus nicht unbedenklich, daß unter den Aus-
leihungen der New Yorker Banken die Bevorschussung von Wert-
papieren seit einer Reihe von Jahren einen immer größeren Raum
eingenommen hat. In dieser Hinsicht sprechen die Angaben, welche
für die Nationalbanken der Stadt New York vorliegen, eine deut-
liche Sprache. In dem Jahrzehnt von 1896 bis 1906 erhöhten sie
ihre Ausleihungen auf Zeit gegen kaufmännische Wechsel um 73*^/0»
die Bevorschussung von Effekten aber um 150^/0, soweit sie auf
Zeit, und sogar um 185^/0, soweit sie auf jederzeitige Kündigung
abgeschlossen war^).
*) Report of Special Commission on Banks, p. 36. Im Jalire 1902 war das Ver-
hältnis sogar auf 15,0 Prozent gesunken.
^) ComptroUer's Report 1901, p. 386; 1907, p. 13.
— 74 —
Die Sachlage hat sich für die New Yorker Banken während
der letzten Jahre auch noch insofern verschlechtert, als in neuerer
Zeit die Banken im Innern des Landes mehr und mehr dazu über-
gegangen sind, die Ausleihung von call loans an der New Yorker
Börse in die eigene Hand zu nehmen. Sie geben ihren New Yorker
Korrespondenten Auftrag, bestimmte Summen zu einem gewissen
Satz für sie auszuleihen und für die Hinterlegung der erforderlichen
Sicherheit Sorge zu tragen, behalten sich aber selbst die Verfügung
über die Kapitalien vor. Ziehen nun die »out-of-town banks« zur
Zeit des Erntebedarfs diese Darlehn in größerem Umfange zurück,
so wenden sich die bedrängten Geldnehmer natürlich an die
New Yorker Banken. Diesen können aus der plötzlichen Nach-
frage leicht unliebsame Überraschungen und Schwierigkeiten er-
wachsen, da es sich möglicherweise um den Abruf recht bedeuten-
der Summen handelt. Jedenfalls erreichen die Beträge, welche in
New York von auswärtigen Banken auf die geschilderte Weise als
tägliches Geld untergebracht werden, manchmal eine bedeutende
Höhe: sie beliefen sich nach besonderen Ermittelungen im Sommer
1902 auf 100 Millionen, im Spätjahr 1906 dagegen lautete die
Schätzung auf nicht weniger als 400 Millionen Dollars^).
Im Laufe des folgenden Frühjahres und Sommers trat ja dann
durch sehr umfangreiche Abwicklungen der Spekulation eine wesent-
liche Entlastung für die Gesamtheit der Banken ein, und die Span-
nung hatte sich bis zum Spätsommer 1907 erheblich vermindert.
Immerhin war die Gesamtlage der Banken selbst dann noch eine
bedenkliche, nämlich wegen der allgemeinen Verquickung der
Reserven. Sie war damals allerdings nicht umfangreicher als auch
sonst zu dieser Zeit des Jahres, sie stellt aber eben ständig einen
der schwächsten Punkte des Systems dar. Wenn eine Bank Be-
träge als Reserven gelten lassen darf, die anderwärts als werbende
Mittel angelegt und folglich nicht sofort verfügbar sind, so ent-
steht von ihrer wirklichen Lage ein unzutreffendes Bild. Nach dem
Bericht des Kontrolleurs der Umlaufsmittel über den Stand der
Nationalbanken vom 22, August 1907 verfügten die Country Banks
über eine gesetzliche Reserve in Höhe von 16,9®/^, die Banken der
Reservestädte über eine solche von 25,5^/0- Rechnet man dagegen
bloß diejenigen Beträge, welche die Banken bar in Händen hielten,
so bezifferten sich die Reserven nur auf 7,6^/0 und 13,4^/0*).
*) Th. F. Woodlock, The Stock Exchange and the money market, in The Currency
Problem p. 36 ff.
*) Comptroller*s Report 1907, p. 222.
— 75 —
Gleichzeitig schuldeten die Nationalbanken der Stadt New York
an andere Banken jeder Art nicht weniger als 465 Millionen Dollars,
und von dieser Summe dürfte etwa ein Drittel Reserven anderer
Banken darstellen, die den Reserve Agents in New York übergeben
waren ^). Dem stand ein Barbetrag von 218,8 Millionen, außerdem
täglich fällige Gelder in Höhe von 268,1 Millionen Dollars gegen-
über; von letzteren waren 16,2 Millionen Dollars gegen. Wechsel,
dagegen 251,9 Millionen Dollars gegen Hinterlegung von Wert-
papieren ausgeliehen^).
*) ComptroUer's Report 1907, p. 164; vgl. auch Finance Report 1907, p. 56.
^ ComptroUer's Report 1907, p. 198, 167, 13.
III. Die Entstehung der Panik und das Verhalten
der Banken.
Auf die unbefriedigenden Verhältnisse bei den Banken und im
Kreditwesen, namentlich die bedenkliche Lage der Trust Companies, war
besonders im Herbst 1906 vielfach aufmerksam gemacht und wieder
mit Nachdruck auf die Dringlichkeit einer »currency reform« hin-
gewiesen worden. Aber die psychologischen Momente, aus denen
sich schließlich die Panik entwickelte, liegen keineswegs allein auf
diesem mit Recht so lebhcift kritisierten Gebiete. Hier wurde viel-
mehr von überwiegender Bedeutung das sich mehr und mehr fest-
setzende Gefühl, es müsse der langen Periode des Gedeihens nun
ein Rückschlag von ungewöhnlicher Heftigkeit folgen. Daß solche
Besorgnisse entstanden, war an sich ganz begreiflich; wenn sie aber
derartig verbreitet und übertrieben werden konnten, daß sie sich
tatsächlich zu einem Moment von folgenschwerster Bedeutung aus-
wuchsen, so hat das doch seine besonderen Gründe.
Von großem Einfluß war hier der Kampf der Regierungs-
organe gegen die Ungesetzlichkeiten des großen Unternehmertums.
Die öffentliche Meinung hatte ihn verlangt, seit die Trustgründungen
und Eisenbahnverschmelzungen ungeheuere Macht in wenigen Händen
zu vereinigen angefangen, und dann insbesondere die Enthüllungen
über die Bildung des sogenannten Shipbuilding Trust und die pri-
vaten Veröffentlichungen über die Standard Oil Company gezeigt
hatten, in welcher Weise sie mißbraucht werden konnte.
Während hier das Streben mehr darauf gerichtet war, Beobach-
tung der Gesetze, sowie größere Ehrlichkeit und Anständigkeit im
Geschäftsleben herbeizuführen, brach gleichzeitig auch eine unmittel-
bar kapitalfeindliche Bewegung durch, die den Kampf gegen die
großen »Kombinationen« schlechthin zum Feldgeschrei erhob. Diese
bedenkliche Richtung betätigte sich praktisch in der Gesetzgebung
und Rechtsprechung vieler Einzelstaaten. Wenn auch ihre Versuche,
den Eisenbahnen und Straßenbahnen willkürliche Maximaltarife, den
Gasanstalten beliebige Preise für das Gas vorzuschreiben, schließlich
— 77 —
kaum zu Recht bestehen bleiben dürften, so hatte doch die ganze
Strömung solche Kraft gezeigt, daß es für die Bundeszentralgewalt
zum mindesten ein Gebot der Klugheit war, gegen diejenigen Kapital-
mächte mit Energie einzuschreiten, welche allgemein der Gesetzes-
verletzung bezichtigt wurden.
Nachdem die geeigneten Organe geschaffen und vervollkommnet,
insbesondere ihre Kompetenz erweitert, auch sonst Lücken in der
Gesetzgebung ausgefüllt und die Handhaben zum Eingreifen der
Behörden verbessert worden waren, konnte die Bundesregierung mit
größerem Nachdruck vorgehe. Da auch der Staat New York schon
längere Zeit in eben dieser Richtung wirkte, so folgte nun in diesem
Kampfe im Jahre 1907 geradezu Schlag auf Schlag.
Zunächst war es die Enthüllung der Harriman'schen Machen-
schaften, welche großes Aufsehen erregte. Die ungeheueren Ankäufe
von Wertpapieren, welche Harriman aus Mitteln der von ihm ge-
leiteten Union Pacific Eisenbahn getätigt hatte, riefen die Erinnerung
an den Skandal der Versicherungsgesellschaften lebhaft wach, und
die Vorkommnisse bei der Chicago & Alton Eisenbahn waren in
noch höherem Grade geeignet, Mißtrauen in die ganze Finanz-
verwaltung derartiger Gesellschaften zu erwecken. Es war in den
letzten Jahren nachgerade schon soviel Mißwirtschaft in diesen Kreisen
aufgedeckt worden, daß man nur zu geneigt war anzunehmen, es
könne im Grunde wohl auch um andere Gesellschaften nicht viel
besser bestellt sein.
Handelte es sich hier um Vorfälle, welche das Vertrauen der
Allgemeinheit in die leitenden Kapitalmächte erschütterten, so waren
umgekehrt einzelne Ereignisse der nächsten Zeit dazu angetan, ge-
rade das Kapital selbst mißtrauisch zu machen gegen die Allgemein-
heit, deren Vertreter nicht nur in der Legislatur, sondern auch in
der Handhabung der Gesetze immer mehr eine ausgesprochen
kapitalfeindliche Haltung einzunehmen schienen.
Besondere Bestürzung rief das Einschreiten der Bundesregierung
gegen den Tabaktrust hervor, da sie die Absicht kundgab, die Fort-
führung des als ungesetzlich gekennzeichneten Geschäftsbetriebes zu
verhindern, und sich anschickte, äußerstenfalls seine völlige Auflösung
durch behördliche Verwalter zu erzwingen. Ein eben so tatkräftiges
Vorgehen stand auch gegen einen anderen Trust in Aussicht, der
hauptsächlich rauchloses Pulver herstellt. Jedenfalls zeigte die Re-
gierung, daß es ihr weder an den gesetzlichen Handhaben fehlte
den Kampf aufzunehmen, noch an dem Willen sie ernstlich zu ge-
brauchen.
~ 78 -
Einen noch weitgehenderen Eindruck aber machte die Verur-
teilung der Standard Oil Company zu der Riesenstrafe von 29240000
Dollars. Hier sah man, daß gegebenenfalls auch die Gerichte willens
waren, der allgemeinen Stimmung gegen die großen Kapitalansamm-
lungen Rechnung zu tragen, und das Gesetz gegen sie mit mehr als
gewöhnlicher Strenge zur Anwendung zu bringen. Das Urteil ge-
wann auch dadurch an Bedeutung, daß gegen den Oil Trust gleich-
zeitig noch eine ganze Reihe von Verfahren wegen ähnlicher Ver-
gehen schwebte. Einige davon waren bei eben demselben Gerichts-
hof anhängig, der die Aufsehen erregende Entscheidung gefällt hatte.
Brachte er bei der Aburteilung der weiteren 4400 Einzelfälle, die
noch vorlagen, ähnliche Grundsätze zur Anwendung, so hatte die
Standard Oil Company einer weiteren Geldstrafe von 88 Millionen
Dollars entgegenzusehen. Femer war die Möglichkeit gegeben, daß
auch die Eisenbahngesellschaft, welche Rabatte oder Refaktien ge-
währt hatte, jedesmal zu derselben Strafe verurteilt werden würde
wie der Verfrachter. Bei der weiten Verbreitung dieser Mißbräuche
mußten sich somit die Interessenten von Eisenbahnen und Industrie-
unternehmen gefaßt machen, eines Tages ihre eigene Gesellschaft
von einem ähnlichen Schicksal ereilt zu sehen, wie es jetzt den
mächtigen Oil Trust betroffen.
Es konnte nicht fehlen, daß die ganze Strömung von einer
gewissen Klasse von Zeitschriften und Tagesblättem kräftig aus-
genutzt wurde. Dem niedrigen Geschmack und der Sensationslust
der großen Menge Rechnung tragend, Ueßen sie sich keine Gelegen-
heit entgehen, um gegen die großen Korporationen und Eisenbahnen
zu Felde zu ziehen, und zwar manchmal lediglich auf unverbürgte
Gerüchte und unerwiesene Nachrichten hin.
Was aber die Sachlage weit mehr verschlimmerte, war der
ständige Kursrückgang aller Werte, der allenthalben ein unsicheres
und unbehagliches Gefühl hervorrief. Man konnte ihn nicht in Ein-
klang bringen mit dem anscheinend lebhaften Geschäftsgang und der
allgemeinen Prosperität. Vereinzelt hatte man allerdings bereits im
Sommer 1907 ein Nachlassen der günstigen Konjunktur befürchten
zu müssen geglaubt und allgemeine Umfragen über diesen Punkt
veranstaltet, aber günstige Antworten erhalten^).
So suchte man nach einer anderen Erklärung und glaubte viel-
fach, sie in den politischen Strömungen zu finden, die sich gegen das
Kapital richteten. Schon seit dem Frühjahr wurde ja auch von vielen
*) New York Times, 29. Juli 1907; Del Mar Prosperity and the production of
gold, Engineering Magazine vol. 34, p. 17 ff; Current Litterature vol. 43, p. 358.
— 79 —
Seiten immer wieder, wenn auch nicht stets aus innerer Über-
zeugung, das Vorgehen der Regierung gegen das Unternehmertum für
den fortgesetzten Kursfall verantwortlich gemacht. Diese Politik
müsse das Privatkapital notwendigerweise abschrecken, so hieß es;
sie habe bereits den Markt für Eisenbahnwerte zerstört und sie werde
schließlich überhaupt einen allgemeinen Niedergang herbeiführen.
Auf der andern Seite konnte es auch nicht beruhigend wirken, wenn
die Haltung der Regierung mit der Entgegnung verteidigt wurde,
es herrsche solch weitgehende Mißwirtschaft und Nichtachtung der
Gesetze bei den großen Korporationen, daß es unter allen Um-
ständen geboten sei, den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen.
Mehr und mehr setzte sich die Meinung fest, daß die
Exekutive in ihren Angriffen tatsächlich zu weit gehe. Als nach
der Entscheidung gegen den Oil Trust einige Äußerungen des
obersten Staatsanwaltes des Landes, Bonaparte, in die Öffentlichkeit
gelangten, die nur auf die Absicht rücksichtslosen weiteren Vorgehens
gegen die großen Kapitalvereinigungen gedeutet werden konnten^),
wurde aus Finanzkreisen dem Präsidenten Roosevelt nahegelegt, zu
Gunsten der großen Klasse derer, die als Anteilseigner an Industrie-
und Eisenbahngesellschciften beteiligt sind, ein beruhigendes oder
doch aufklärendes Wort über das weitere Verhalten der Regierung
zu sprechen. Was Roosevelt dann am 20. August in Provincetown
sagte, vermochte aber durchaus keine nachhaltige Beruhigung herbei-
zuführen; im Gegenteil, die Stimmen wurden lauter, Roosevelt unter-
grabe das Gedeihen des Landes.
Dieser Vorwurf geht ohne Zweifel zu weit. Freilich kann es
für den Augenblick auf das Kapital nicht gerade anlockend wirken,
wenn Mißwirtschcift und Ungesetzlichkeit in weiten Kreisen der
Unternehmung aufgedeckt wird. Um so notwendiger ist es aber
dann, daß die Regierung keinen Zweifel darüber läßt, sie werde
solche Übelstände ausrotten und für die Zukunft unmöglich machen.
In dieser Beziehung hat sich Präsident Roosevelt unstreitig ein
Verdienst erworben.
Allerdings ist von ihm selbst wie auch von anderen öffent-
lichen Stellen gelegentUch ein Mißg^ff begangen worden, der zu
einer Zeit der Empfindlichkeit und mangelnden Vertrauens seine Be-
denken hatte. Roosevelt selbst hätte sich sagen müssen, daß seine
Worte von unwissender und kritikloser Seite verallgemeinert und
mißdeutet werden würden; er hätte sich daher weniger in allge-
^) Commercial and Financial Chronide vol. 85, p. 371 ff.
— 8o —
meinen Auslassungen ergehen, im einzelnen mehr unterscheiden,
überhaupt größere Ziulickhaltung beobachten sollen. Geradezu un-
verantwortlich aber handelten diejenigen, welche die Politik des
Präsidenten dadurch in Mißkredit zu bringen suchten, daß sie plan-
mäßig jedes ungünstige Geschehnis auf sein Vorgehen gegen die
großen Finanzmächte zurückführten. Diese Auffassung wurde in
weiten Kreisen geflissentlich verbreitet, und die Folgen der Roose-
veltschen Politik in den schwärzesten Farben dargestellt. Das
konnte auf die Dauer seinen Eindruck unmöglich verfehlen, und so
haben gerade die Tadler des Präsidenten mit dazu beigetragen, daß
sich eine zunehmende Erschütterung des allgemeinen Vertrauens vollzog.
Unter diesen Umständen mußten die Enthüllungen auf frucht-
baren Boden fallen, welche im ersten Drittel des Oktober gelegent-
lich des Konkurses der New Yorker Straßenbahnen zu Tage kamen ;
schienen sie doch aufs neue denjenigen recht zu geben, die behaupteten,
daß in den Kreisen der großen Finanz überall dieselbe Gewissen-
losigkeit und Verderbtheit herrsche. War aber dieser Schluß zu-
treffend, so fühlte man sich auch zu der weiteren Annahme berechtigt,
ein wirtschciftlicher Rückschlag müsse noch bei vielen innerUch nicht
ganz intakt gebliebenen Unternehmungen zur Katastrophe führen
und dadurch im ganzen von der folgenschwersten Wirkung werden.
Alle diese Momente hatten nach und nach einen Zustand ge-
schaffen, in dem es nur eines geringen Anstoßes bedurfte, lun den
völligen Zusammenbruch des allgemeinen Vertrauens herbeizuführen.
Was gelegentlich der gescheiterten Spekulationen eines Heinze
zu Tage kam, war durchaus geeignet diese verhängnisvolle Wir-
kung auszuüben. Es zeigte sich, daß es für eine Gruppe von Speku-
lanten, sofern sie in ihren Mitteln nicht wählerisch sind, ein leichtes
ist, sich die Mittel nicht einer, sondern einer ganzen Reihe von
Banken für ihre privaten Spekulationen dienstbar zu machen. Eine
größere Zahl bis dahin angesehener Bankinstitute hatte derartige
Machenschaften offensichtlich geduldet; nach alle dem, was schon an
Mißwirtschaft und Unregelmäßigkeiten in den verschiedensten Zweigen
des geschäftlichen Lebens ans Licht gezogen worden, war es nicht
zu verwundern, daß das Publikum hier schnell bei der Hand war,
verallgemeinernde Schlüsse zu ziehen. Zum Unglück brachte gleich
der erste Ansturm ein großes und geachtetes Institut zu Falle; das
gab den Ausschlag. Die Erregung wurde von einzelnen Zeitungen
in der unverantwortlichsten Weise gesteigert, und kopfloses Miß-
trauen in alle Banken bemächtigte sich nunmehr des Publikums.
Die Aufgabe, welche während dieser Tage an die New Yorker
— 8i —
Banken herantrat, war keine leichte. In solch kritischen Augen-
blicken zeigt sich der ganze Wert eines Zentralinstituts, das infolge
seiner Stellung und des ihm unbedingt geschenkten allgemeinen
Vertrauens befähigt ist, das Umsichgreifen einer Panik zu verhüten.
Die Organisation, welche unter den obwaltenden Verhältnissen an
erster Stelle zum Einschreiten berufen war, das Clearinghaus, ver-
mochte die fehlende Zentralbank nicht zu ersetzen. Es rächte sich
jetzt schwer, daß die Trust Companies dieser Vereinigung nicht ange-
hörten, daß es überhaupt den Banken so sehr an Solidaritätsgefühl
gebricht. So unterblieb im richtigen Augenblick die einheitliche
gemeinsame Aktion, die in Gestalt sofortiger weitherziger Kredit-
gewährung das einzige Mittel geboten hätte, die Panik im Entstehen
zu ersticken.
Freilich ist es den Banken unter den gegebenen Verhältnissen
außerordentlich schwer gemacht, in dieser Weise vorzugehen, da sie
es nicht in der Hand haben, eine schnelle Vermehrung des Noten-
umlaufs herbeizuführen. So bleibt nur die Möglichkeit, ohne Schonung
die Reserven anzugreifen. Aber auch dieses Mittel kann nur von
Wirksamkeit sein, wenn alle Banken einheitlich und ohne gegen-
seitiges Mißtrauen dieselbe Politik verfolgen. Das ist nach der
Natur der Sache im entscheidenden Augenblick schwer zu erreichen,
es müßte denn sein, daß das Clearinghaus sofort zur Ausgabe von
Loan Certificates überginge; aber das ist doch ein Schritt, zu dem
man sich — schon im Hinblick auf das Ausland — nur im äußersten
Fall entschließt. Ohne Zweifel war auch den Banken selbst die
ganze Unzulänglichkeit des bestehenden Systems schon seit langem
so wohl bekannt geworden, daß das Vertrauen in ihre eigne Kraft
darunter stark gelitten hatte.
Es kamen besondere Umstände hinzu, die bewirkten, daß sie
sich den Schwierigkeiten der Lage von vornherein nicht gewachsen
fühlten. Die Verschuldung an das Innere war sehr erheblich, die
Reserven aber knapp, die Beschaffung flüssiger Mittel schwierig.
Call loans in größerem Maße einzuziehen, verbot sich bei der traurigen
Verfassung der Börse von selbst. London hatte sich nicht gewillt
gezeigt, Finanztrassierungen zu gestatten, ja nicht einmal in der
sonst üblichen Weise die bevorstehenden Verschiffungen von Boden-
produkten zu bevorschussen.^) Auch vom Schatzamt war nicht mehr
viel Unterstützung zu erwarten, da seine Bestände sich durch früh-
zeitige Hülfsmaßnahmen^) schon stark vermindert hatten.
*) A. D. Noyes, The fall in the world's markets, Forum vol. 39, p. 187 ff; p. 195 ff.
^) Document 208, p. 8.
Hasenkamp, Die wirtschaftliche Krisis des Jahres 1 907 in den Vereinigten Staaten. 6
— 82 —
Dieses Gefühl des Unvermögens und der Gebundenheit führte
nun dazu, daß die Panik, welche sich des Publikums bemächtigt
hatte, alsbald auch auf die New Yorker Banken übersprang. Sie
schlössen sich dem Ansturm auf die Trust Companies geradezu an,
indem auch sie ihre Checks zur Auszahlung vorwiesen. Das große
PubUkum konnte sich in seinem Argwohn gegen die Trust Companies
natürlich nur bestärkt fühlen, wenn es sah, wie sich in die Reihen
der ängstlichen Deponenten auch noch die Boten vieler Banken
schoben. Durch dies Verhalten der Banken wurde die Lage von
Anfang an auch noch insofern verschlimmert, als sich die Trust
Companies unter solchen Umständen um so weniger dazu berufen
fühlen konnten, durch eine weitherzige Politik beruhigend zu wirken,
Ein derartiger Versuch wurde im richtigen Augenblick leider
von keiner Seite unternommen; jede Bank war vielmehr mit Ängst-
lichkeit darauf bedacht, ihre eigenen Barbestände zu erhalten. Die
New Yorker Bankinstitute zeigten namentUch auch geringe Bereit-
willigkeit, Barmittel an ihre Korrespondenten im Innern des Landes
abzugeben. Eben hierdurch aber trugen sie hauptsächlich dazu bei,
daß auch diese nun von der Unruhe ergriffen wurden.
Die Banken im Süden und Westen sind in einer besonders ge-
fährdeten Lage. Die baren Reserven, die sie selbst halten, sind voll-
kommen ungenügend. Dagegen kann und muß es unter Umständen
mehrere Tage dauern, bis die Bestände wieder in ihren Besitz ge-
langen, welche sie ihren Reserve Agents überlassen haben, und
ein derartiger Verzug kann im Fall einer Beunruhigung der Depo-
nenten schon ausschlaggebend werden. Aus diesem Grunde ist es
den Country Banks nicht so sehr zu verdenken, wenn sie für alle
Fälle Vorsorgen wollten und sich bemühten, ihre Reserven an sich
zu ziehen.
Daß die Associated Banks in New York im Hinblick auf
diese Anforderungen zur Ausgabe von Loan Certificates übergingen,
ist sehr zu billigen, ja, war das einzige, was sie tun konnten. Ein
Fehler aber war, daß sie zu diesem Mittel nicht schon früher
ihre Zuflucht nahmen, sondern erst viel kostbare Zeit verstreichen
ließen.^) Dadurch konnte die Maßnahme auf die Allgemeinheit nicht
mehr den beruhigenden Einfluß ausüben, den sie beim ersten Aus-
bruch der Panik hätte besitzen müssen. Trotzdem haben die
Clearinghaus-Certifikate wieder gute Dienste getan. Sie schufen die
Möglichkeit, einer Reihe von schwachen Banken über Schwierig-eiten hinwegzuhelfen, die sonst verhängnisvoll hätten werden müssen,
und dienten als Handhabe, um der ersten Kreditstockung Herr zu
werden und Goldeinfuhren zu bewerkstelligen. Im Innern des Landes
aber wurde durch die rasche Ausgabe der Certifikate vermieden,
daß solvente Banken aus Mangel an flüssigen Mitteln suspendieren
mußten, wie es im Jahre 1893 in so erheblichem Maße der Fall ge-
wesen war.
Um so mehr ist zu bedauern, daß man es bei der so weit-
gehenden Verwendung von Loan Certificates nicht verstand, die baren
Reserven nun richtig zu gebrauchen. Es hätte der Zahlungsverkehr
von Ort zu Ort aufrecht erhalten, und vor allen Dingen durch ein
Zusammenwirken aller Faktoren vermieden werden müssen, daß Bar-
geld mit einem Agio gehandelt werden konnte. Denn nachdem es
einmal dahin gekommen war, ließ sich die Aufspeicherung von Bar-
mitteln nicht mehr vermeiden.
Diese Manie des »hoarding« hat sehr bedeutende Ausdehnung
angenommen, die Lage der Banken ganz ungeheuer erschwert und
die Wiederaufnahme der Barzahlungen in vollem Umfange zweifellos
stark verzögert. Genaue Feststellungen über die Thesaurierung sind
nicht zu gewinnen, doch liegen immerhin gewisse Anhaltspunkte vor^).
Danach hat der Verkehr in den Vereinigten Staaten während
der Krisis 296 Millionen Dollars mehr Umlaufsmittel festgehalten als
in gewöhnlichen Zeiten. Die Stadt New York hat zur Befriedigung
dieses erböten Bedarfs 218 Millionen beigesteuert, doch ist dieser
Betrag nicht etwa ganz in New York selbst verblieben. Vielmehr
haben die dortigen Clearinghaus-Banken allein vom 19. Oktober bis
zum 7. Dezember 107 Millionen Dollars mehr nach dem Innern ab-
gegeben als sie von dort erhielten, und auch außerdem dürften noch
einige Versendungen stattgefunden haben. Mithin dürfte der Betrag,
^) Sie sind vom Schatzsekretär zusammengestellt in seinem Bericht an den Senat,
Document 208, p. 14 ff. Sie beruhen für die Nationalbanken auf dem Ausweis vom
3. Dezember, für die Staatenbanken imd Trust Companies, die nur für den Staat New York
berücksichtigt sind, auf dem Ausweis vom 19. Dezember 1907. Den Maßstab für die
Thesaurierung bietet die Höhe der dem freien Verkehr zugeführten Umlaufsmittel. Sie
setzen sich wie folgt zusammen:
ie Stadt New York festhielt, auf etwa loo Millionen Dollars zu
veranschlagen sein; der Betrag, der im ganzen Lande aus dem Umlauf
verschwand, auf 200 Millionen Dollars. Jedenfalls ist alles in allem
reichlich der zehnte Teil der gesamten Geldmittel, die dem Lande
überhaupt zur Verfügung stehen^), dem Verkehr entzogen worden.
Für die ausgedehnte Thesaurierung hat die New Yorker Finanz-
welt zum Teil die Banken im Innern verantwortlich gemacht und
ihnen damit die Schuld daran zugeschoben, daß der unerfreuliche
Zustand der »restriction« von so langer Dauer gewesen sei. Dabei
wurde unter Angabe von Zahlen darauf hingewiesen, daß die National-
banken in einzelnen Städten übertriebene Reserven angesammelt
hätten«).
Vergleicht man den Reservestand bei den einzelnen Grruppen
von Nationalbanken vor der Krisis und nachher, so zeigt sich fol-
gende Veränderung:
Zentral-Reservestädte — 59,5 Millionen Dollars
Andere Reservestädte — 27,7 „ „
Außerhalb von Reservestädten + 46,4 „ „
Danach scheint allerdings der Vorwurf der Thesaurierung wenigstens
für diese letzte Klasse der Country Banks zuzutreffen. Immerhin ist
zu bedenken, daß diese Banken eben im Falle eines Run zum
größten Teil auf sich selbst angewiesen sind.
Zu dem zeitweiligen Verschwinden von Umlaufsmitteln trug auch
der Umstand bei, daß alsbald nach der Panik fremde Arbeiter in
sehr großer Zahl nach Europa zurückzukehren begannen**) und ihre
Ersparnisse in barem Gelde mit sich nahmen. Eine erheblich härtere
Verurteilung verdient es aber, daß auch von vermögenden Privat-
personen in ganz erheblichem Umfange thesauriert worden ist. Diese
Unsitte scheint mit amerikanischen Eigentümlichkeiten im Zusammen-
hang zu stehen; nämlich einerseits mit der Gepflogenheit wohlhabender
Kreise, große Geldbeträge in der Bank zur jederzeitigen Verfügung
bereit zu halten, zum Teil auch mit der weiten Verbreitung der
^) Sie beliefen sich, unter Hinzurechnung von Banknoten sowie von Barren im Schatz-
amt, am I. Oktober 1907 auf 2806 Millionen Dollars.
*) Beispielsweise Galveston in Texas 48, 87 Prozent. Vgl. A. D. Noyes, The reco-
very from the recent panic, Forum, vol. 39, p. 481 ff; A. P. Andrew, a. a. O. vol. 22,
p. 296 ff. Derartige Zahlen sind irreführend, weil sie die ganzen Gruthaben bei Reserve-
Agents mit umfassen. Der Barbestand in den Banken selbst betrug z. B. in Galveston
nur 25,3 Prozent; Document 208, p. 121.
') Es ist anzunehmen, daß von Beginn der Krisis bis zum Ende des Jahres mindestens
200000 Personen zurückwanderten. Vgl. G. N. Tricoche im Journal des Economistes, 67.
ann^e, p. 242; Commerdal and Financial Chronide vol. 86, p. 192.
- 85 -
Sicherheitsgefache, die so billig, bequem und zuverlässig sind, daß
sie das Wegschließen größerer Barbeträge zu einem äußerst einfachen
Vorgang machen. Den größten Anteil an der Neigung zur Thesau-
rierung dürften im Grunde aber die Unvollkommenheiten des Bank-
notensystems haben, insofern, als eben jedermann weiß, daß es den
Banken nicht die Möglichkeit gibt, einer zeitweise vermehrten Nach-
frage nach Umlaufsmitteln unverzüglich zu entsprechen.
IV. Lehren und Ergebnisse der Krisis, insbesondere
die Vreeland-Aldrich Currency Bill.
Es konnte nicht ausbleiben, daß nach den ungewöhnlichen Er-
eignissen, welche das ganze Land so hart betroffen hatten, zahlreiche
Anregungen und Entwürfe auftauchten, die eine Wiederkehr der-
artiger Zustände unmöglich machen wollten. Sie hatten in der Haupt-
sache eine Beschränkung der Spekulation und eine Reformation des
Bankwesens im Auge, wollten aber vielfach allzu drastische Mittel
angewandt wissen, wie beispielsweise die Übernahme einer Garantie
aller Bankdepositen durch den Staat ^). Wären die in der ersten
Erregung gemachten Vorschläge durchgedrungen, so würden sie zu
einer bedenklichen Einschnürung des Effektengeschäftes und zur voll-
ständigen Unterdrückung des Terminhandels in Produkten geführt
haben. Es ist ein Glück für die Vereinigten Staaten, daß sie von
dieser Art der Panik-Gesetzgebung verschont geblieben sind.
Andererseits ist bisher leider auch wenig Positives auf dem Ge-
biete rationeller Reform geschehen.
Der Abschnitt in der wirtschaftlichen Entwicklung der Ver-
einigten Staaten, welcher mit der Krisis von 1907 zum Abschluß
gelangte, hat die Notwendigkeit von zwei neuen Bundesgesetzen
ergeben, von denen eines die inkorporierten Handelsgesellschaften,
eines das Bankwesen reformieren sollte.
Eine einheitliche Regelung des Gesellschaftswesens für das
ganze Bundesgebiet muß dringend befürwortet werden^). Denn nur
ein solches Gesetz ist imstande, Vertrauen in die großen Unter-
nehmungen zu begründen, und das ist für die Zukunft des Landes
*) Als Anhänger dieser Idee, die bekanntlich in dem jüngsten Staate der Union,
Oklahoma, praktisch durchgeführt worden ist, hat sich auch William J. Bryan bekannt.
Vgl. Our Currency System, Journal of Accountancy (New York) vol. V, p. 366 ff.
*) Zutreffend ist auch heute noch, was der Commissioner of Corporations in seinem
ersten Bericht an den Kongreß sagte: »The present Situation of Corporation law may be
summed up roughly by saying that its diversity is such that in Operation it amoimts to
anarchy. Vgl. 58th Congress, 3rd Session, House Documents vol. 51, No. 165, p. 39.
- 87 -
von außerordentlicher Wichtigkeit. Es muß für größere Öffentlich-
keit und strenge Aufsicht gesorgt werden, sowohl was die Gründung
angeht, damit Verschleierungen und Überkapitalisierungen erschwert
werden, als auch mit Bezug auf die Verwaltung, namentlich die
Dividendenpolitik und Transaktionen, welche Veränderungen im
Grundkapital und den fundierten Schulden einer Gesellschaft herbei-
führen.
Es wird vielfach anerkannt, daß ein solches Gesetz, das gewisse
Garantien für die Zuverlässigkeit der ihm unterstehenden Körper-
schaften bieten würde, eben dadurch für die Gesellschaften selbst von
den günstigsten Folgen sein würde. Allerdings bestehen verfassungs-
rechtliche Schwierigkeiten, die aber wohl zu umgehen sein würden.
Präsident Roosevelt ist in seiner Botschaft an den Kongreß vom
27. April 1908 selbst dafür eingetreten, die Gesellschaften einer Be-
aufsichtigung durch die Bundesorgane zu unterwerfen, ein Vorschlag,
der indessen nicht die Beachtung gefunden hat, welche er ohne
Zweifel verdient.
Dagegen sind schon vorher ähnliche Grundsätze, wie sie der
Präsident verfolgt, auf einem beschränkten, aber sehr wichtigen
Gebiete in der Gesetzgebung des Staates New York praktisch zur
Anwendung gelangt, nämlich in der sogenannten Public Utilities Bill.
Dieses Gesetz, ein Werk des Gouverneurs Hughes, unterstellt alle
Eisenbahnen und sonst dem öffentlichen Verkehr dienenden Unter-
nehmen — von Telephon- und Telegraphengesellschaften abgesehen,
— ferner alle Gasanstalten, Elektrizitätswerke und ähnliche Anlagen
einer besonderen Behörde, der Public Service Commission, die seit
dem I. Juli 1907 ihres Amtes waltet. Diese Behörde hat ein weit-
gehendes Aufsichts- und Einspruchsrecht, gerade auch mit Bezug
auf die ursprüngliche Kapitalisierung und spätere Kapitalaufnahmen
der ihr unterstehenden Gesellschaften. Die Erfahrungen, welche
man hier zu machen Gelegenheit hat, können zweifellos von großem
Wert sein, falls man an ein ähnliches Gesetz für den ganzen Bund
herantritt. Wann das geschehen wird, läßt sich freilich noch nicht
sagen.
Schneller hat man mit den gesetzgeberischen Reformen auf
dem Gebiet des Bankwesens begonnen. Eine gründliche Umge-
staltung getraute man sich freilich noch nicht zu unternehmen. Nur
eine solche aber hätte die Übelstände des Systems beseitigen können,
die wieder mit Schärfe hervorgetreten waren : die Mängel des Noten-
umlaufs, dem einerseits jede Kontraktion, andererseits die Möglich-
keit plötzlicher Ausdehnung fehlt; die Verquickung der Reserven,
— 88 —
die grossenteils nur fiktiv sind; die fehlende Einheitlichkeit in der
Organisation der Banken und Trust Companies.
Daneben hatte die Krisis aber auch einzelne neue Mißstände
zu Tage gebracht, und zwar vorzugsweise bei Instituten, die der
Gesetzgebung des Staates New York unterstehen. Da die Verhält-
nisse in New York ganz besonders ungünstig hervorgetreten und
von allen Seiten lebhaft kritisiert worden waren, setzte hier die
Reform zuerst ein. Der Gouverneur des Staates ernannte eine Kom-
mission aus praktischen Sachverständigen, die mit dem Haupt des
»Banking Department« in Verbindung traten und sehr schnell ihre
Vorschläge machten. So kamen im Frühjahr 1908 mehrere Gesetze
des Staates New York zustande, welche gegen offensichtlich
hervorgetretene Mißstände gerichtet sind: gegen die Gepflogenheit,
daß eine Bank oder Trust Company sich durch Erwerb von Anteil-
scheinen Einfluß in anderen Geldinstituten verschafft, sowie gegen
die Unsitte, daß eine Bank einer anderen ein Darlehn gibt mit
der Abmachung, es einem Mitglied des Verwaltungsrats oder einem
Angestellten der ersten Bank zur Verfügung zu stellen. Femer
wird für den Fall der Gründung von Filialen die Aufbringung eines
angemessenen Zusatzkapitals vorgeschrieben, und durch eine Reihe
von Bestimmungen auf eine wirksame und tatkräftige Beaufsichtigung
von Seiten des Verwaltungsrats hingestrebt.
Sodann sind die Reservevorschriften für Staatenbanken und
Trust Companies im Staate New York verschärft worden. Die vor-
geschriebene Reserve der Staatenbanken ist von 10 und 15 auf 15
und 25 ®/o erhöht worden, doch dürfen zwei bis drei Fünftel davon
bei einer anderen Bank gehalten werden. Nur bei den Trust Com-
panies, deren Reserve auf 10 und 15 ®/o bemessen bUeb, hat man
wenigstens insoweit, als die Stadt New York selbst in Frage kommt,
den Schritt getan zu verlangen, daß die isprozentige Reserve tat-
sächlich bar in der Trust Company selbst vorhanden sein muß^).
Dies letztere Gesetz ist besonders auch dadurch von Bedeutung,
daß es einem Wiedereintritt der Trust Companies in das Clearinghaus
die Wege ebnet.
Durch die Ereignisse im Oktober war die Frage wieder recht
brennend geworden, ob und wie die Trust Companies in New York
aufs neue mit dem Clearinghaus in nähere Verbindung gebracht
werden könnten. Daß dies im allgemeinen Interesse dringend zu
wünschen sei, darüber war man sich allerseits einig, und schon am
*) Die Reservevorschriften sind abgedruckt im Banking Law Journal vol. 25, p. 421 ff
(State Banks) und 337 ff (Trust Companies).
- 89 -
26. Oktober fanden Besprechungen über diese Angelegenheit im
Kreise der Associated Banks statt ^). Es dauerte aber noch geraume
Zeit, bis ein entscheidender Schritt geschah; erst am 13. Januar 1908
faßten sie ihren Beschluß*). Danach soll eine Trust Company,
sofern sie in eigenen Händen eine Bsirreserve von 15 ®/o hält, als
MitgUed zum Clearinghaus zugelassen werden, wenn auch nicht mit
vollem Stimmrecht; sofern sie 25 ®/o Barreserve hält, als vollberech-
tigtes Mitglied. Nachdem somit eine annehmbare Bedingung für die
Trust Companies geschaffen, ist zu hoffen, daß sie sich nunmehr
dem Clearinghaus anschließen werden, was eine Hebung und Be-
festigung der ganzen Organisation bedeuten würde.
Weniger befriedigend hat sich die gesetzgeberische Tätig-
keit des Bundes auf dem Gebiet der Bankreform gestaltet.
Roosevelt hatte sich Mitte November zuversichtUch dahin aus-
gesprochen*), der Kongreß werde sich alsbald nach seinem Zu-
sammentritt mit einer Abänderung des bestehenden Gesetzeszustandes
befassen. Er hatte dann in seiner Jahresbotschaft an den Kongreß
die Schaffung einer jederzeit verfügbaren »emergency currency« als
besonders dringUch bezeichnet. Allgemein war nun ein baldiger
dementsprechender Schritt der Gesetzgebung erwartet worden. Aber
diese Hoffnung erwies sich als zu optimistisch. Vor Weihnachten
wurde der Angelegenheit wenig Aufmerksamkeit geschenkt, dann
aber begann ein hartnäckiger und langwieriger Kampf der sich
entgegenstehenden Meinungen.
Ungefähr gleichzeitig wurde im Senate die Aldrich Bill, im
Haus die Fowler Bill eingebracht*). Die Aldrich Bill wollte den
Notenimilauf durch Verbreiterung seiner Basis ausdehnen, näniUch
auch Bonds von Einzelstaaten, Kommunalverbänden und Eisenbahnen
als Unterlage zulassen, so fundierte Noten allerdings mit 6®/o besteuern.
Die Fowler Bill sah eine umfassende Reform vor, in der sogar die
Frage der Zurückziehung der Greenbacks gelöst war. Ihr Haupt-
gedanke war, die gegenwärtigen Noten allmählich zu ersetzen durch
»National Bank guaranteed credit notes«, Noten ohne Bondsunter-
lage, zu deren Sicherung und jederzeitiger Einlösung ein umständ-
liches Verfahren vorgesehen war.
1) New York Times, 27. Oktober 1907.
*) Der Beschluß ist abgedruckt im Banking Law Journal vol. 25, p. 26.
*) In seinem Brief an den Schatzsekretär vom 17. November 1907; vgl. Document
208, p. 231.
*) Am 7. Januar die erstere als Senate Bill 3023, am 8. Januar die andere als House
R. Bill 1267.
— 90 —
Die Aldrich Bill wurde schließlich nach mannigfachen Ände-
rungen — insbesondere waren die Eisenbahnbonds gestrichen —
am 27. März 1908 vom Senat angenommen und kam nun an das
Repräsentantenhaus, wo sie der zuständigen Kommission zugewiesen
wurde. Während diese eine Enquete veranstaltete, begann das
Land lebhaft gegen die Aldrich Bill Stellung zu nehmen. Die
Handelskammer in New York, das Clearinghaus in Philadelphia, die
Currency Commission of the American Banker's Association erklärten
sich lebhaft dagegen^). Trotzdem zeigte sich der Senat beharrlich,
und man kam im Repräsentantenhause zu der Erkenntnis, daß nur
im Wege des Kompromisses etwas zu erreichen sei.
Die Republikaner hatten den Wunsch, unter allen Umständen
ein Gesetz zu schaffen, um sich in dem bevorstehenden Wahl-
kampf um die Präsidentschaft bei ihren Wählern darauf berufen zu
können. So nahmen die führenden Politiker die Angelegenheit
selbständig in die Hand, und es wurde im Haus ein neuer Entwurf,
die sogenannte Vreeland Bill, eingebracht. Sie hatte zunächst viel
Ähnlichkeit mit der Aldrich Bill, wollte aber unter besonderen Vor-
aussetzungen die Ausgabe von Noten ohne Bondsunterlage gestatten,
sofern die Bank einen gewissen Betrag von kaufmännischen
Wechseln in ihrem Portefeuille hätte ^).
Nachdem der Entwurf nach gründlichen Änderungen das Haus
passiert hatte, verweigerte der Senat seine Annahme; Kompromiß-
verhandlungen wollten zu keinem Ziele führen. Im Haus wurde
vielfach die Ansicht vertreten, man solle von einer überstürzten
Gesetzgebung absehen und lieber einer Kommission gesetzlich den
Auftrag erteilen, die Materie gründlich zu studieren und einen Ent-
wurf auszuarbeiten.*) Einzelne Politiker aber wollten unter edlen
Umständen wenigstens sofort eine emergency currency gesetzlich
festgelegt wissen, auf die man den Wählern gegenüber als ein Ab-
wehrmittel jeder späteren Krisis hinzuweisen gedachte. Nach wieder-
holten Kommissionsberatungen und mit Hilfe besonderer parla-
mentarischer Kunstgriffe gelang es schließlich, ganz am Ende der
Session, ein Gesetz zustande zu bringen, mit dem eigentlich niemand
*) Vgl. Banking Law Journal vol. 25 p. 334 ff» 274 ff. Übrigens hatte die letztgenannte
Kommission einen eigenen Entwurf als House R. Bill 15262 eingebracht, der auf einer
Zusammenkunft in Chicago am 18. Januar 1908 gutgeheißen worden war.
*) House R. Bill 14 14; vgl. Journal of Political Economy, vol. 16, p. 3 74 ff.
*) Die s wa r vorgeschlagen in der Lovering Bill und der späteren Fowler Bill vom
16. April 1908, abgedruckt Bankerts Magazine (New York), vol. 76 p. 731.
— 91 —
recht zufrieden war, Vreeland-Aldrich Currency Bill oder Cur-
rency Association Law genannt, vom 30. Mai 1908^).
Das Gesetz trägt einen provisorischen Charakter, indem es am
30. Juni 19 14 durch Zeitablauf außer Wirksamkeit tritt (Section 20).
Bis dahin hofft man nämlich die umfassende Reform des Bank-
wesens endgültig zustande gebracht zu haben. Zu deren Vorbereitung
wird hier gleichzeitig der erste Schritt unternommen: das Gesetz ruft
nämlich zu diesem Zwecke eine Kommission ins Leben, die National
Monetary Commission. Diesem Organ, das sich aus 18 Kongreß-
mitgliedern, zur Hälfte dem Senate, zur Hälfte dem Haus ange-
hörend, zusammensetzt, wird die Aufgabe zugewiesen, das Geld- und
Notenbankwesen des Landes zu prüfen, nach freiem Ermessen Er-
hebungen zu veranstalten und Gutachter zu hören, dann aber sobald
als tunlich dem Kongreß Vorschläge über Abänderung der bestehen-
den Gesetze zu unterbreiten.
Im übrigen besteht der wesentliche Inhalt des Gesetzes in der
Schaffung von Notgeld. Entsprechend seiner Kompromißnatur gibt
das Gesetz den Banken — und zwar kommen nur Nationalbanken
in Frage — hierfür zwei verschiedene Wege.
Der eine ist der Vreeland Bill entnommen und läßt sich dahin
kennzeichnen, daß gewissermaßen die Ausgabe von Clearinghouse
Loan Certificates autorisiert, erweitert und geregelt wird. Das Ge-
setz erkennt nun aber nicht die bestehenden Clearinghäuser als zu-
ständig an, sondern sieht die Bildung von freiwilligen Organi-
sationen eigens zu dem Zwecke der Ausgabe dieser besonderen Art
von Umlaufsmitteln vor. Diese Verbände, die sogenannten National
Currency Associations, werden dadurch gebildet, deiß mindestens zehn
Nationalbanken, deren gemeinsames Grundkapital unter Zurechnung
der Rückstellungen nicht weniger als 5 Millionen Dollars beträgt,
sich zusammentun und dem Schatzsekretär ihre Absicht kundgeben,
eine solche Association zu bilden, die dann — sofern gewisse For-
malitäten erfüllt sind — Korporationsrechte erhält. Die Vereinigung
muß, je nach der Lage der Nationalbanken, für einen abgerundeten
geographischen Bezirk erfolgen. Dann aber kann jede in diesem Be-
zirk gelegene Nationalbank, sofern sie nur gewisse Vorbedingungen
erfüllt, Aufnahme beanspruchen. In jedem Bezirk kann nur eine
National Currency Association bestehen, auch kann eine NationaJ-
bank nur einer einzigen solchen Association angehören (Sektion i,
Absatz i).
*) Abgedruckt Bankerts Magazine (New York) vol. 76, p. 900 — 904.
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Eine National Currency Association kann nun für jedes ihrer
Mitglieder beim Kontrolleur der Umlaufsmittel die Ermächtigung
nachsuchen, Banknoten ausgeben zu dürfen auf Grund von Wert-
papieren, welche zu diesem Zwecke bei der Vereinigung zu hinter-
legen und von dieser gutzuheißen sind. Der Kontrolleur der Um-
laufsmittel gibt das Gesuch mit einer Meinungsäußerung an den
Schatzsekretär weiter, der die Ermächtigung erteilt, sofern er die
Ausgabe dieser besonderen Noten in dem Bezirk für erwünscht hält,
und vorausgesetzt, daß das Schatzamt an dem Charakter der hinter-
legten Sicherheiten nichts auszusetzen hat.
Als Sicherheit können Effekten jeder Art, sowie Wechsel an-
genommen werden, doch darf eine Bank auf Grund von Handels-
papier nur so viel Noten ausgeben, daß deren Nennwert nicht
über 30 ^/o von Grundkapital und Rücklagen der Bank beträgt. Als
Handelspapier — commercial paper — sollen nur mindestens mit
zwei Unterschriften versehene Wechsel^) zugelassen werden, welche
den Gegenwert eines tatsächHchen Warenverkaufs darstellen und
nicht über 4 Monate Laufzeit haben. Auf Grund der erfolgten
Hinterlegung der geeigneten Sicherheiten dürfen Noten ausgegeben
werden, im allgemeinen bis zur Höhe von 75% des Barwertes der
Unterlagen, bei bestimmten Bonds von Einzelstaaten und kommu-
nalen Körperschaften aber bis zu 90^/0 des Marktwertes.*)
Eine Nationalbank, welche Bonds dieser letzten Kategorie be-
sitzt, kann sich nun aber, wenn sie den Wunsch hat daraufhin
Noten auszugeben, auch der anderen Möglichkeit bedienen, welche
das Gesetz vorsieht, und welche dem Aldrich'schen Entwurf ent-
stammt. Sie kann sich, auch ohne daß sie einer National Currency
Association angehört, dieserhalb unmittelbar an den Kontrolleur der
Umlaufsmittel wenden. In diesem Falle hat ebenfalls der Schatz-
sekretär darüber zu befinden, ob die Ausgabe weiterer Noten in
dem betreffenden Bezirke angebracht ist. Ist er dieser Meinung, so
setzt er Zeit und Betrag der neuen Notenausgabe fest. Nachdem
die Hinterlegung der Bonds bei den zuständigen Beamten des
^) Gezogene Wechsel sind im innem Handelsverkehr der Vereinigten Staaten nicht
gebräuchlich, wohl aber eigene oder Sola- Wechsel, sogenannte promissory notes. Ihre Discon-
tierung ist nach Umfang mid Bedeutung fär das amerikanische Bankgeschäft erheblich wichtiger,
als es nach Schumacher' s Darstellung den Anschein hat (a. a. O. p. I2ff). Vgl. unten
S. 95, femer die statistischen Angaben im Comptroller's Report 1907, p. 13.
*) Sektion i, Abs. 3. Die Bedingungen, welche diese Bonds erfüllen müssen, sind
in Sektion 3 des Gesetzes enthalten. Bonds dieser Klasse müssen vom Schatzamt gut-
geheissen werden.
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Schatzamts erfolgt und von ihnen genehmigt ist, ordnet der Kon-
trolleur der Umlaufsmittel an, daß der berechtigten Bank Noten
im Nennwert von 90% des Marktwertes der hinterlegten Bonds
behändig^ werden; doch darf hierbei über den Nennwert der Bonds
nicht hinausgegangen werden.^)
Jede dieser beiden Arten von Notstands-Noten darf nur von
einer solchen Nationalbank ausgegeben werden, welche Rücklagen
in Höhe von 20®/o des Kapitals besitzt und von regelmäßigen, durch
Schuldverschreibungen der Vereinigten Staaten gesicherten Noten
bereits einen Betrag ausstehen hat, welcher mindestens 40^/0 ihres
Grundkapitals beträgt.*) Keine Bank darf insgesamt einen Noten-
umlauf — sei die Deckung, welche sie wolle, — besitzen, welcher
den Betrag von Grundkapital und Rücklagen übersteigt. Der
Gesamtbetrag aller Noten, welche nicht durch Hinterlegung von
Schuldverschreibungen der Vereinigten Staaten gesichert sind, darf
zu keiner Zeit 500 Millionen Dollars übersteigen (Sektion 5). Der
Schatzsekretär soll darauf sehen, daß von den besonderen Noten nur
soviele in jedem einzelnen Staate ausgegeben werden, als dem Grund-
kapital seiner Nationalbanken im Verhältnis zum Gesamtkapital aller
Nationalbanken entspricht; dabei ist jedoch gegebenenfalls ein Aus-
gleich zwischen Staaten statthaft, welche demselben Teil des Landes
angehören (Sektion 7).
Im allgemeinen stehen sich die beiden Arten von Notgeld
untereinander und auch mit den durch Schuldverschreibungen der
Vereinigten Staaten gesicherten Noten gleich. Namentlich besteht
die gleiche Garantie der Regierung, insofern als dem Schatzamt
eine EinlösungspfUcht auch für die neuen Noten auferlegt ist*).
Einzelne Besonderheiten ergeben sich für die neuen Noten aus
ihrem besonderen Charakter als außergewöhnliches Hülfsmittel.
Um ihre Ausgabe auf wirkliche Fälle der Not zu beschränken
und ihre möglichst schnelle Zurückziehung zu sichern, unterwirft das
Gesetz die beiden Arten von Notstands -Noten einer progressiven
Steuer, die für den ersten Monat 5 Prozent, für jeden weiteren Monat
je ein Prozent mehr bis zum Höchstbetrage von 10 Prozent beträgt
^) Sektion 3 und 4.
*) Sektion i und 3.
•) Sektion 5. Dementsprechend haben die Banken zwar auch den 5prozentigen
Einlösungsfonds im Schatzamt, sonst aber keine Notenreserven zu halten. Für die Ein-
lösimg der Noten eines Mitgliedes einer National Currency Association haften der Regie-
rung alle Mitglieder solidarisch und mit ihrem gesamten Vermögen. Vgl. Sektion 6, 2 und i,
Abs. 4.
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(Sektion 9). Die Steuer berechnet sich nach der durchschnittlichen
Höhe der ausstehenden Noten und fließt in die Abteilung des
Schatzamts, die mit der Einlösung der papierenen Zahlungsmittel
betraut ist. Dort wird vermutlich im Verwaltungswege ein besonderer
Sicherheitsfonds daraus gebildet werden^).
Um eintretenden Falles eine schnelle Ausgabe von Notgeld zu
gewährleisten, gleichzeitig auch ein einheitliches Aussehen für alle
Banknoten zu schaffen, verordnet das Gesetz, daß neue Noten herge-
stellt, und größere Beträge davon im Schatzamt und seinen Hülf sstellen
vorrätig gehalten werden sollen *). Was die Zurückziehung der neuen
Noten angeht, so sind sie nicht der Bestimmung unterworfen, daß
die gesamte Zurückziehung von Noten den Betrag von 9 MiUionen
Dollars im Monat nicht übersteigen darf.
Im Ganzen betrachtet, stellt die Vreeland-Aldrich Bill eine
Niederlage der Reformbestrebungen dar. Hätte man von der Schaffung
von Notgeld abgesehen, so wäre ein gewisser Antrieb vorhanden
gewesen, die als unabweislich erkannten Gesetzesveränderungen vor-
zunehmen. Jetzt aber kann unter Hinweis darauf, daß für den
FcJl der Not ja ein Sicherheitsapparat bestehe, die Dringlichkeit einer
Reform bestritten, jedenfalls ihre Ausführung hinausgeschoben werden,
zumal die Kommission nicht — wie erst vorgeschlagen war — bis
Ende 1908 zu berichten, sondern in dieser Beziehung gänzlich freie
Hand hat.
Daß es demnächst schon zu einer wirklich gründlichen Neu-
gestaltung des ganzen Bankwesens kommen wird, muß auch nach
der Zusammensetzung der Kommission zweifelhaft erscheinen. Man
hat nicht, wie es von den Vertretungen des Handelstandes und vom
Repräsentantenhaus vorgeschlagen war, außenstehende Sachverständige
zugezogen; die Kommission besteht vielmehr ganz aus Parlamentariern,
deren Sachkenntnis und Unabhängigkeit zum Teil nicht über jeden
Zweifel erhaben ist. Es scheint bei ihrer Zusammensetzung das Be-
streben obgewaltet zu haben, dem Element, das der Banknote den
Charakter als Kreditpapier zu geben bemüht ist, keinen allzu großen
Einfluß zu gönnen^.
*) Vgl. Sektion 13; Frank A. Vanderlip, A Banker's view of elastic currency, The
Outlook vol. 89, p. 330.
*) Sektion 11. Die neuen Noten tragen statt des Aufdruckes »National Currency
secured by United States bonds« die Worte »secured by United States bonds or other
securities«. Der Einheitlichkeit wegen werden schon jetzt alle Banknoten mit diesem Auf-
druck hergestellt. Vgl. New York Times, ii.Jidi 1908.
^) Über die Zusammensetzung vgl. Independent, vol. 64, p. 12 18. Bezeichnend ist.
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Wirklich grundlegende Änderungen wird man also fürs erste
kaum erwarten dürfen. Jedenfalls aber ist ein positiver Schritt ge-
schehen, der für eine spätere umfassende Reform seine Wichtigkeit
hat: es ist gesetzlich anerkannt worden, daß unter gewissen Be-
dingungen kaufmännische Wechsel eine sichere Grundlage für die
Ausgabe von Banknoten bieten können. Freilich hätte man den
Beweis für diese Tatsache, sofern man ihn noch für nötig hielt, schon
in den befriedigenden Erfahrungen erblicken können, welche das
New Yorker Clearinghaus mit dieser Art von Sicherheit gemacht hat.
Von den Loan Certificates, die während der letzten Krisis in New
York ausgegeben wurden, beruhten 72,92 Prozent auf Handelspapier;
der Nennwert der beim Clearinghaus als Sicherheit hinterlegten kauf-
männischen Wechsel betrug nicht weniger als 330 Millionen Dollars,
und doch ist keiner der Wechselverpflichteten zahlungsunfähig ge-
worden*). Immerhin wird es erzieherisch von größerem Wert sein
und mehr Eindruck hervorrufen, wenn einmal praktisch der Beweis
erbracht werden kann, daß auch für den allgemeinen Verkehr ein
Umlaufsmittel, das auf Handelspapier gegründet ist, ganz ausreichende
Sicherheit bietet.
Ob sich nun tatsächlich Gelegenheit finden wird, das neue System
unter wirklich schwierigen Verhältnissen arbeiten zu sehen, ist bei der
kurzen Lebensdauer des Gesetzes fraglich. Die Banken sind aller-
dings — und das ist nur zu billigen — ohne Zögern zur Bildung von
National Currency Associations geschritten. Es ist aber nicht zu er-
warten, daß eine Ausgabe von Notstands -Noten zu Zeiten der im
Herbste regelmäßig wiederkehrenden Geldknappheit in nennenswertem
Maße erfolgen wird, denn dazu ist sie nicht lohnend genug. Sie
werden vielmehr, genau wie die Clearinghouse Loan Certificates, nur
ausnahmsweise, in wirklicher Notlage in die Erscheinung treten.
Dann aber würde allerdings eine wesentliche Verbesserung
gegenüber den Zuständen vorliegen, wie sie während der letzten Panik
hervorgetreten sind. Die Banken würden nicht erst kostbare Zeit
verstreichen lassen, sondern ohne Zögern zu dem neuen Mittel greifen.
Insbesondere würden auch die Institute im Innern gar nicht erst ver-
suchen, ihre anderwärts hinterlegten Reserven flüssig zu machen.
Da die neuen Noten sofort verfügbar sind und für den allgemeinen
das man z. B. den Repräsentanten Fowler, obwohl er Vorsitzender der ständigen Kommission
des Repräsentantenhauses für Bank- und Währungsangel^enheiten ist, nicht in die National
Monetary Commission genommen hat.
^) Report of the Loan Committee; Independent vol. 64, p. iioi
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Mittwoch, 20. April 2016
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