Fahrradtour an der Rhone
Author D. Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/7Q-W7VdyzX4
Mit dem Drahtesel durch die Eidgenossenschaft: Von Andermatt
nach Genf führt der
Rhöne-Radweg, der das Prädikat Traumtour verdient. Es geht
durch Wiesen, Wälder, an Seen und Plantagen vorbei, die besonders während der
Erntezeit eine Versuchung sind.
0)- Zugegeben - auch wir haben Obst gemopst. Aber der
Sündenfall war vorprogrammiert: Rot¬golden glänzende Äpfel, saftige Birnen,
Trauben zuckersüß, rot und weiß... wer in der Erntezeit durch den Garten Eden
der Schweiz radelt, der bleibt nicht beim Müsliriegel. Schon alleine deswe¬gen
hat der Rhöne-Radweg, die Route führt von Andermatt nach Genf, das Prädikat
Traumtour verdient. Aber Vorsicht! Vor den süßen Lohn hat der liebe Gott die
Müh gestellt. Und die fordert in Gestalt des Furka-Passes gleich nach dem
Start¬schuss 1.000 Höhenmeter von den Waden.
Wie ein Gemälde mit Tupfen
„Mir ist's unter allen Gegenden, die ich kenne, die liebste
und interessanteste", hat der vielgereiste Goethe schon verkündet. Aus
gutem Grund: Im Westen ragen eisige Gipfelzacken, dominiert vom 3.583 Meter
hohen Galenstock in den Himmel. Darunter leuchten sattgrüne Wiesen im ersten
Morgenlicht. Heustadl wie aus dem Märchenbuch verleihen dem
Gemälde dunkelbraune Tupfen. Dazu rattert der knallrote Glacier Express im
Tal-boden langsam durchs Bild.
Einziger Wermutstropfen: Die Radroute liegt noch im
frostigen Schatten. Helmmütze, Handschuhe und Überhose kommen zu ihrem ersten
und ¬so viel vorweg - auch einzigen Einsatz. Am En¬de des Urserentals bei Realp
klettert die Sonne über den Gotthard-Pass. Im Nu macht sie dem Quecksilber
Beine. Im Thermometer herrscht Springflut, es hüpft von knapp über Null auf
angenehme 25 Grad. Die Rampe hoch zum Fur-ka sorgt für einen weiteren Anstieg
der körpereigenen Betriebstempera¬tur. Zum Glück wurden die weiten Schleifen
hoch zum Pass angelegt, so bleibt noch etwas Luft für das gran¬diose Bergkino
ringsherum. Schon 1865 wurde diese wichtige Handels-
verbindung ausgebaut. Endlich oben auf der Pass-höhe reicht
der Blick weit in die Walliser Alpen hinein. Zusätzlich sorgt ein Blick auf das
Höhen¬profil der Tour für ein breites Grinsen. 23 harte Kilometer liegen hinter
uns. Aber 296 Kilometer liegen vor uns, alle ohne nennenswerte Gegen¬anstiege.
Die nächsten 20 Kilometer werden gar zum Härtetest für die Bremsen. blauen
Eisgrotte ist ein Muss. Gut so, denn unsere Felgen glühen ohnehin. Hier entspringt
sie also, die Rhöne, die Patronin unserer Traumtour. Stürzt über blankpolierten
Granit zu Tal und fließt fort¬an über 812 Kilometer zum Mittelmeer.
An der Kleinen Scheidegg vorbei
Auch für uns geht es weiter nach unten. Auf ge-schotterten
Radwegen begleiten wir im weiten Gomser Tal die Rhöne, die hier im Kanton
Wallis Rotten heißt. In Ernen sind viele Bürgerhäuser mit Wappen und Fresken
verziert. Hier bietet sich eine landschaftlich reizvollere Variante über
Ausser-binn an. Die paar Extrakilometer auf zum tech¬nisch schwierigen Pfad
sind mit einigen steilen Anstiegen garniert, dafür meiden wir aber die stärker
frequentierte Hauptstraße.
Kurz vor Brig bieten sich in Betten und Mörel Gondelfahrten
hoch zum Aletschgletscher an. Der größte Gletscher der Alpen walzt sich vom
Kanton Bern und den Gipfeln von Jungfrau, Mönch und Eiger hinunter ins Wallis.
Der
Dame-de-Val&e und auf dem nochmal 40 Meter höheren Spitz
die Burgruine von Tourbillon, wel¬che die Bischöfe von Sitten einst als letzten
Zu¬fluchtsort erbauen ließen.
In Martigny beschreibt die Rhöne fast einen rech¬ten Winkel.
Der Radweg verläuft weiterhin leicht bergab, auf wechselnden Uferseiten. Aber
bei schö¬nem Wetter bläst gerne mal ein thermischer Ge¬genwind aus dem Tal
herauf. Wir schlagen der Brise ein Schnippchen, pausieren zunächst unter
schattigen Platanen an der Place Centrale. Das südländische Flair verleitet zum
Schlendrian, aber wir haben heute noch einen Termin an der Schwei¬zer Riviera.
Saint Maurice, Aigle, schon überragen die ersten Segel der
Jachten die Schilflandschaft der Rhöne-mündung. Kompliment - selbst im
Sumpflaby¬rinth von Les Grangettes stimmt die Beschilde¬rung auf das
i-Tüpfelchen. Die Schweizer machen keine halben Sachen. Wander-, Rad-,
Mountain¬bike-, Kanu- und selbst Skaterwege sind ausgear¬beitet und
signalisiert. Überhaupt, die gesamte Rhöne-Route wird durchgehend von Schienen
be-
tern zu jeder Zeit die Möglichkeit, eine Runde zu schwimmen.
Baden und Biken, endlich! In Mon-treux hüpfen wir im Abendlicht noch in die
Flu¬ten. Das wuchtige Chateau Chillon, das moderne Spielcasino, die prunkvollen
Nobelhotels - die Ufermeile Montreuxs ist eine Augenweide. Am längsten bleiben
wir allerdings bei der Bronzesta¬tue von Freddie Mercury, die schon gleich nach
ihrer Enthüllung 1996 zur Pilgerstätte seiner Fans wurde. Der Frontmann der
Rockgruppe Queen wohnte und arbeitete hier in seinem Tonstudio. Absolut
einzigartig ist auch die Uferbepflanzung: Zypressen, Eukalyptusbäume, Sequoias
aus Ka¬lifornien mit einem Stammumfang von sechs Metern - der Radweg führt
direkt durch diesen global-genial botanischen Garten.
Auch Vevey setzt voll auf die Kunst: Hier wird die Radroute
zum Lehrstück über moderne Kunst. Eine Charly-Chaplin-Statue - auch er ge¬noss
bis zu seinem Tode 1977 das milde Klima und das Panorama des Genfer Sees bis
hin zum Mont Blanc von seinem Anwesen über den Hü¬geln der Stadt. Für ein
echtes Wow-Erlebnis sorgt
Äpfel, Trauben, Birnen - während der Erntezeit ist die
Schweiz wie der Garten Eden.
Stockalper-Palast in Brig mit seinen blattvergol¬deten
Türmen, die eigenwillige Burgkirche Sankt Romanus oberhalb von Raron bei Visp,
der Walliser Holzstadl, deren riesige Granit¬scheiben an den Stelzenbeinen die
Mäuse vom stiebitzen des Korns abhalten sollen... die Rhö-ne-Route ist in
diesem Abschnitt ein einziger Reigen sakraler und profaner Baukunst.
Ab Sierre beginnt das Unterwallis und plötzlich sprechen
alle Französisch. Voilä, der Radweg führt in die milde und sonnige Rhöne-Ebene,
in den größten Obstgarten der Schweiz. Weit und enorm steil klettern die
Rebstöcke die Bergflanken hoch. Doch die Strecke bleibt in der Ebene und
schlängelt sich durch den verführerischen Garten Eden, wo einem die Früchte
schier in den Mund wachsen. Sion wird von zwei markanten Felszacken inmit¬ten
der Ebene angekündigt. Darauf thront zum einen die bald 1.000-jährige
Kirchenburg Notre-
„We are the champions”: nach der langen Fahrt zu Freddies
Füßen am Genfer See entspannen.
gleitet. Die Dichte der Bahnhöfe ist groß. Selbst in kleinen
Dörfern ließe sich der Zug per Knopfdruck stoppen und das Rad darin verstauen.
Spielt das Wetter mal verrückt oder geht die Puste aus, gibt es jederzeit einen
unkomplizierten Plan B. Das Konzept wird durch die Servicegesellschaft
Swiss-trails erweitert: Sie organisiert Hotels nach Wunsch und erledigt den
Gepäcktransport. Nur mit dem Tagesgepäck erhöhen sich Aktionsradius und
Fahrspaß enorm. Zudem stellt sich bei Be-sichtigungen nicht die Frage, wer auf
das Gepäck aufpasst.
Das Ziel naht: der Genfer See
Ab sofort geht es zwar nicht mehr ständig bergab, sondern
abgesehen von kleinen Wellen fast immer eben am Ufer des gigantischen Genfer
Sees ent¬lang. Dafür haben wir auf den letzten 100 Kilome-
Fast zehn Meter hoch und aus Aluminium: Die Gabel von
Jean-Pierre Zaugg ist außergewöhnlich.
„La Fourchette" von Jean-Pierre Zaugg. Die fast zehn
Meter hohe Alugabel steckt seit 1995 ein¬fach so mitten im See.
Schattige Alleen, kurze Anstiege in die omniprä¬senten
Weinberge, Burgen und Schlösser en masse - die Route ist ein Gedicht. In
Lausanne führt sie direkt am Olympischen Museum mit seinen ausgedehnten Gärten
vorbei. In Genf en-det unser Rausch durch die Reben. Der radfahre-rische
Brückenschlag von einsamen, hochalpi¬nen Gefilden zur mediterranen,
kosmopoli¬tischen Weltstadt. Genf ist der Stammsitz der UNO und hier tagt das
Rote Kreuz. Genf lebt multikulti und bietet eine enorme Lebensquali¬tät. Nur
eines konnten wir in Genf nicht ganz so gut: Äpfel klauen
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