Freitag, 14. März 2014

Pilgerreise Himalaya – Auf Spuren Xuanzang – von Selzer-McKenzie SelMcKenzie

Pilgerreise Himalaya – Auf Spuren Xuanzang – von Selzer-McKenzie SelMcKenzie
Video:http://youtu.be/FCIgt0kaVv4







Pilgerreise Himalaya – Auf Spuren Xuanzang – von Selzer-McKenzie SelMcKenzie
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Der Author hat kürzlich eine Pilgerreise im Himalaya absolviert, ganz auf den Spuren des Pilgers Xuanzang, der vor mehr als 1500 Jahren diese Pilgerreise unternommen hat. Hier der Bericht:
Ein chinesischer Kaiser bezeichnete diesen buddhistischen Mönch, der im siebten Jahrhundert über die Seidenstrasse von China nach Indien zog, als »Juwel des Kaiserreichs«. Xuanzang (Hsüantsang), einer der berühmtesten Reisenden auf der Seidenstrasse, ist in Asien so bekannt wie Marco Polo im Westen. Er wollte nach Indien ins Heilige Land des Buddhismus ziehen, um dort die authentischen Schriften zu sammeln und sich nicht länger auf die damals in China verfügbaren und zuweilen widersprüchlichen Übersetzungen verlassen zu müssen. Er hoffte auch, von berühmten Religionslehrern lernen und die heiligen Stätten Buddhas sehen zu können. Während seiner Reise von 629 bis 645 legte er mehr als 16.000 Kilometer zurück.
Xuanzang war sowohl ein Symbol als auch ein Instrument des Kulturaustauschs zwischen den beiden grossen Zivilisationen Asiens — der indischen und der chinesischen. Er verbreitete den buddhistischen Glauben und die indische Philosophie in China und erschloss den Chinesen neue Horizonte, als sie für Einflüsse von aussen aufgeschlossen waren. Sein Bericht über die Westlichen Gegenden, den er für den TangKaiser niederschrieb, ist für Forscher der verschiedensten Fachrichtungen nützlich; noch heute gelten seine Aufzeichnungen als eine der wichtigsten Quellen über das Asien des siebten Jahrhunderts vor dem Aufkommen des Islam. Immer noch dienen sie als Führer für alle, die mehr über die Kunst und Archäologie Afghanistans, Pakistans, Zentralasiens, Indiens und Chinas erfahren möchten. Wenn zeitgenössische Kunsthistoriker Höhlenmalereien oder Skulpturen interpretieren oder moderne Archäologen mehr in Erfahrung bringen möchten, so schlagen sie bei Xuanzang nach. Er lieferte eine Einführung in die Seidenstrasse und in eine wundervolle mittelalterliche Welt, in der Pilger grosse Abenteurer wie auch Philosophen und Botschafter des guten Willens waren.
Als Abenteurer durchquerte er das grosse Unbekannte, die TaklamakanWüste, auch »Greuel der Trostlosigkeit« genannt.
Er überwand die eisigen Gletscher auf dreien der höchsten Gebirgsketten Asiens. Kreuz und quer zog er über den indischen Subkontinent, ging über schwankende Hängebrücken am Oberlauf des Indus und verteidigte sich gegen Leoparden und Räuber.
Aus dieser Perspektive scheint Xuanzang eher einigen jener irischen Mönche zu gleichen, die sich in ihren winzigen Booten aus Weidengeflecht aufmachten, in Europa das Christentum zu verbreiten. Xuanzang reiste weiter als sie, aber ihre Motivation mag der seinen geähnelt haben. Die irischen Mönche brachten dem Kontinent eine reinere Form des Christentums; der chinesische Pilger trachtete danach, die authentischen Wahrheiten des MahayanaBuddhismus nach China zu holen.
Anders als die irischen Mönche war Xuanzang überdies noch ein Botschafter des guten Willens. Er pflegte Umgang mit den Herrschern in den Oasen entlang der Seidenstrasse, dem Grosskhan der westlichen Turkvölker und dem König von Samarkand in Zentralasien, mit den Königen der kleineren Königreiche des heutigen Afghanistan, Pakistan und Nordindien. Er avancierte zum grossen Liebling von König Harsha, dem Einiger Nordindiens. Später, nach der Rückkehr nach China. bot ihm der TangKaiser zweimal einen Posten als politischer Berater an, und Xuanzang wurde im letzten Lebensjahr des Kaisers dessen geistiger Ratgeber.
Xuanzang war auch Philosoph, Metaphysiker und Übersetzer. In den fünfzehn Jahren vor seinem Reiseantritt studierte er die unterschiedlichen BuddhismusSchulen in China. Er fühlte sich von den ausgefeilten Ideen der Gründer einer idealistischen Schule des Buddhismus angezogen; vierzehn Jahre zog er in Indien umher, wobei er sich mit indischen Philosophen austauschte, in Klöstern Vorträge hielt und vor grossen Menschenansammlungen an öffentlichen Debatten teilnahm. Schliesslich brachte er die beiden letzten Jahrzehnte seines Lebens damit zu, die Texte zu übersetzen, die er nach China mitgebracht hatte.
Welche Belehrung kann man sich davon erhoffen, wenn man diesen so vielseitigen Menschen, diesen Abenteurer, Diplomaten und Philosophen, zu begreifen versucht? Trotz seiner Leidenschaft, die ihn dazu trieb, ein ruhiges Klosterleben aufzugeben, wird Xuanzang von seinem Biographen als jemand geschildert, der sehr leidenschaftslos war und ein seelisches Gleichgewicht besass, das ihn gegen die Schmeicheleien von Königen immun machte, und der über eine ruhige Präsenz verfügte, die selbst die wildesten Piratenräuber besänftigte. »Er war genauso wie die ungestümen Wellen eines Flusses, die das klare Wasser in der Tiefe nicht aufwirbeln.« Darin lag für einen asiatischen Buddhisten das Ideal und vielleicht auch Xuanzangs Ziel, als er sich auf seine lange Reise machte.
Dieselbe aussergewöhnliche Gelassenheit kann man erkennen und, leichter begreifen, wenn man einigen der Buddhas und Bodhisattvas, den Mitleidsvollen, in den berühmten Höhlengrotten Chinas begegnet. In diesen Buddhas liegen die Paradoxien des MahayanaBuddhismus, die überirdische Gelassenheit, Energie und das grosse Mitgefühl. Hat man sich lange genug in die Betrachtung versenkt, so begreift man allmählich die Mission Xuanzangs und die mittelalterliche Welt, in der er lebte.
Xuanzang blickte auf einen frühen Buddhismus, den Hinayana (auch Kleines Fahrzeug oder TheravadaBuddhismus genannt), der sich weitgehend an Mönche wandte. Ihr Ideal war der Arhat oder heilige Mann, der sich nur mit seiner eigenen Erlösung beschäftigt. Xuanzang hing einem späteren Buddhismus an (Mahayana oder Grosses Fahrzeug), der für Laien wie für Mönche ein universelles Heil predigte. Ein Grossteil von dessen Anziehungskraft entstammt der Rolle der Bodhisattvas, den Mitleidsvollen, die allen empfindsamen Wesen zur Erlösung verhelfen. Mit ihren halb geschlossenen Augenlidern und ihrem geheimnisvollen Lächeln stehen sie für Weisheit und Erbarmen. Xuanzang hat während seiner Reise ihre Anleitung gesucht.
Verschiedene Reisen nach Asien regten mein weiteres Interesse für Xuanzang an. Als ich mich Mitte der siebziger Jahre mit Kuratoren des Museums in Kabul über diesen Pilger und seine Reise unterhielt, legten sie mir eine Landkarte vor, auf der sie mir genau zeigen konnten, welchen Weg nach Indien und auch welchen Rückweg durch Afghanistan er genommen hatte. Für mich war es unglaublich, dass man eine solch detaillierte Kenntnis von den Orten haben konnte, die er besucht hatte. Fand diese Pilgerreise nicht hundert Jahre nach König Artus statt, von dem es heisst, er habe im nebelverhüllten Wales oder Nordengland gelebt? Mich beeindruckte noch mehr, dass man mir Xuanzang in derselben Weise beschrieb, in der moderne Detektive von einem »lebendigen Zeugen« reden.
Ich kannte Xuanzang bereits aus dem chinesischen Romanklassiker Monkey oder Journey to the West (dt. Monkeys Pilgerfahrt). Seine Pilgerfahrt hatte für einen Legendenzyklus Pate gestanden, aus dem im sechzehnten Jahrhundert dieser epische Roman entstanden war. Doch erst, nachdem ich mit meinem Mann und Jeannette Mirsky nach Burma gereist war, spielte ich ernsthaft mit dem Gedanken, über die Reise dieses bemerkenswerten Buddhisten ein Buch zu schreiben. Jeannette hatte soeben eine Biographie über den grossen Forscher und Archäologen Aurel Stein fertiggestellt; Xuanzang war sein Schutzheiliger gewesen. Als ich eines Abends mit ihr zusammen sass, wagte ich es, König Artus mit dem chinesischen Pilger zu vergleichen; beide hatten etwa zur selben Zeit gelebt und beider Leben hatte, Jahrhunderte nach ihrem Tod, zahlreichen literarischen Werken als Vorlage gedient. Jeannette entgegnete mir entrüstet: »König Artus ist ein Mythos, und Xuanzang war eine wirkliche Person.« Bedeutsam wies sie darauf hin, dass ich mich immer so erregte, sobald ich den Namen Xuanzang auch nur in den Mund nähme. Da wurde mir klar, dass ich dieses Buch schreiben musste.
Über Xuanzang und seine Reisen steht gutes Quellenmaterial zur Verfügung, denn nach der Rückkehr des Pilgers bat der TangKaiser ihn, einen Bericht über seine Pilgerreise zu verfassen. Diesem Wunsch kam Xuanzang nach, da er sich Notizen über das soziale, wirtschaftliche und politische Leben in den bereisten Ländern gemacht hatte. Diesen fügte er mehrere Kapitel über das Heilige Land der Buddhisten in Indien, dessen heilige Stätten und Monumente, die acht Pilgerorte für jeden Buddhisten und die wichtigsten Wunder des Buddha hinzu.
Mehrere Jahre, nachdem Xuanzang seinen Bericht über die westlichen Gegenden 646 fertiggestellt hatte, verfasste der Schamane Huili (Hwuili) Das Leben des HiuenTsiang. Huili, ein junger Mann und Experte buddhistischer Literatur, half auf Veranlassung des Kaisers Xuanzang bei der Übersetzung der Texte aus dem Sanskrit, die dieser aus Indien mitgebracht hatte. Ich kann mir gut vorstellen, dass die beiden, nachdem sie den ganzen Tag über ihren Übersetzungen gesessen haben, abends gemeinsam Tee trinken und Xuanzang dabei seinem Mönchsbruder von seinen Bewährungsproben und seinen Triumphen auf der Seidenstrasse nach Indien erzählt.
Ihre beiden Bücher ergänzen einander. Huili stellt Xuanzang und dessen persönliche Erlebnisse in den Vordergrund, indem er ihm ehrfurchtsvoll Reverenz erweist. In Xuanzangs eigener Erzählung, die in einer Oase an der nördlichen Seidenstrasse einsetzt, hält der Pilger sich im Hintergrund und verweist nur selten auf sich selbst. Sein Stil ist unsentimental und distanziert, denn schliesslich verfasst er einen Bericht für den TangKaiser. Huilis Biographie und Xuanzangs Aufzeichnungen warten mit handfesten Tatsacheninformationen auf, gewürzt mit erfundenen Elementen. Durch Ausschmückung der Abenteuer, die als heroisch gelten dürfen, verleiht Huili ihnen eine romanhafte Qualität, so dass Xuanzang sich bereits zu einer Legende entwickelt.
Die meisten Asiaten haben zumindest von Xuanzang gehört; sein — wenngleich etwas phantasievolles — Bild ist in der Volkskultur fest verankert. Seine Rolle als volkstümlicher chinesischer religiöser Held ist ein lebendiger Bestandteil seines Vermächtnisses.

Der Xuanzang, den ich in diesem biographischen Bericht vorstelle, ist auch ein Intellektueller, ein Theologe, ein Übersetzer von grosser Genauigkeit, ein Diplomat und ein scharfsichtizer journalistischer Beobachter. Ich habe mich nicht allein darauf beschränkt, seine wesentlichen Leistungen vorzustellen, die übererdauern werden wie seit Jahrhunderten schon. Auch dem religiösen Helden, den Mann, den jeder Chinese kennt und kann man in diesem Buch begegnen.
   
Xuanzang
la habe versucht, die Anziehungskraft Xuanzangs als Volkshelden einzufangen, indem ich eine einfache Sprache verwende, wobei ich das Beste aus zwei Biographien, der von Huili und von Li Yongshi, herausdestilliert habe. Es sind dies dramatische Zwischenfälle, die seine Visionen verdeutlichen, und auch Berichte darüber, wie seine religiöse Hingabe ihn vor dem Tod durch Verhungern, vor Räubern und Piraten bewahrt haben. Manchmal geben diese Geschichten auch Träume und Omen wieder, die sein Schicksal vorhersagen.
Ungewohnte Eigen und Ortsnamen, schwierige buddhistische Begriffe und die geheimnisvolle Sprache in ihren Berichten scheinen mitunter entmutigend. Sein Name wurde in einer verwirrenden Vielzahl von Schreibweisen geschrieben, lange bevor die Volksrepublik China im Jahr 1958 die moderne Lautumschrift (Pinyin) einführte. Im früheren Umschriftsystem von WadeGiles taucht er als Hsüantsang, Hhuen Kwan, Hiouen Tsiang, Hiouen Thsang, Hiuen Tsiang, Hsuan Chwang, Hsuan Tsiang und Hwen Thsang auf. Zusätzliche Schreibweisen sind Yuan Chang, Yuan Chuang, Yuen Chwang und Yuan Chwang. Ortsnamen durchlaufen vielerlei Umbildungen. Die grosse TangHauptstadt ist im WadeGilesSystem als Ch'angan und im PinyinSystem als Chang'an bekannt. Später tauchte sie im WadeGilesSystem als Sian auf; heutzutage schreibt man sie in Pinyin Xi'an. Mit den zahllosen Ortsnamen an der Seidenstrasse verhält es sich noch ärger, denn Kunsthistoriker haben sich für einige dieser Ortsbezeichnungen der Turksprache, des Uigurischen und anderer Sprachen bedient. So werden beispielsweise einige alte Namen an der Seidenstrasse in der Turksprache noch immer verwendet, etwa Bezeklik oder Dandan Oiluq. Da die Leser womöglich zu modernen Landkarten mit PinyinSchreibung oder indischen Bezeichnungen aus dem zwanzigsten Jahrhundert greifen, wenn sie Xuanzangs Reise genauer verfolgen möchten, benutze ich sowohl die moderne als auch die bekannteste frühere Schreibung.
Diese Schwierigkeit mit der Schreibung ist mit nahezu nicht zu entziffernden Titeln buddhistischer Texte in Sanskrit und dunklen buddhistischen Begriffen gewürzt, die buddhistische Autoren verwenden. Stellvertretend für viele erwähne ich hier zur Illustration die folgenden Zeilen von Huili: »In einem Wald mit Mangobäumen östlich von Ghosilarama befinden sich die alten Fundamente eines Hauses, in dem Asanga P'usa das Hsienyangshengchiaolun niederschrieb.« Möglicherweise ist das Zusammentreffen von komplizierter Schreibweise und schwer verständlicher Terminologie einer der Gründe dafür, dass Xuanzang in der westlichen Welt nicht besser bekannt ist.
Rene Groussets Sur les Traces du Bouddha (dt. Die Reise nach Westen) mit seiner Betonung der Kunst als Erklärungsmodell für die Kultur einer glänzenden Periode innerhalb der buddhistischen Geschichte spornte meine Neugier an. Doch die wirkliche Inspiration für mich war Xuanzang selbst, und zwar der Mensch hinter den aussergewöhnlichen Leistungen. Indem ich seinen Spuren nachging, wollte ich Xuanzang als Person mit tiefem religiösen Gefühl wiederentdecken, die über grosse Geisteskräfte verfügte, einen Abenteurer mit einer starken Persönlichkeit und einer Begabung für die Freundschaft.
Die besonderen Qualitäten dieses Menschen scheinen manchmal — bereits zu seinen Lebzeiten — von den Legenden, die sich um ihn rankten, überwuchert zu werden. Dennoch gab es Augenblicke, da er menschliche Eigenschaften zeigte, so etwa, als er, von indischen Mönchen umringt, die China als kulturell minderwertig schmähten, sein Heimatland verteidigte. In seinen Reaktionen auf einige der Exzesse des Hinduismus entpuppte er sich als sehr konfuzianisch, so dass er sich einmal zu folgendem Kommentar gedrängt fühlte: »Der nackte Mann, der seinen Körper mit Asche bedeckt, ist wie eine Katze, die in einer Kaminecke geschlafen hat. « Nach einer fast zwanzig Jahren währenden Wahrheitssuche in der buddhistischen Philosophie bemühte er sich, beim Pandit Jayasena zu lernen und ihn um Erklärungen zu Textpassagen zu bitten, die bei ihm noch Zweifel hervorriefen. Welch ein hartnäckiger Wahrheitssucher! Schliesslich brach sich sein Schmerz in Bodh Gaya Bahn, dort wo Buddha seine Erleuchtung fand. Er fragte sich, in welchem Lebenszyklus er sich zu jener Zeit befunden hatte, als Buddha sich in der Weisheit vervollkommnete; er grübelte über die Tiefe und das Gewicht seiner eigenen Unvollkommenheit nach und weinte. Als sein grosser Lehrer in Nalanda starb, äusserte er: »Ich spüre einen Stich in meinem Herzen und kann nicht glauben, dass ich mich von einer solchen Wunde je erholen werde.«
In den Augenblicken, als er sein Land verteidigte, als er zweifelte, als er in Bodh Gaya weinte, als er den Tod des Vorstehers von Nalanda betrauerte, brach er mit dem Vorbild vom idealen Buddhisten. Nun folgte ich nicht länger seinem Schatten auf dem Pilgerweg.

Reiseweg Xuanzangs auf der chinesischen Seidenstrasse (von Chang'an nach Hami)
Im Jahre 629 verliess ein junger, steckbrieflich gesuchter Mönch namens Xuanzang sein Heimatland; er stahl sich mitten in der Nacht aus China davon. Er gelangte sicher an den fünf Wachtürmen an der Grenze vorbei bis in die Wüste und ans Jadetor, den letzten Vorposten des TangReiches. Der einsame Pilger hatte Angst, denn er hatte sich gegen den Willen des Kaisers Taizong (T'aitsung, 626649) auf den Weg gemacht.
Dieser junge Herrscher der TangDynastie hatte zu jener Zeit wenig für den Buddhismus übrig und erlaubte nicht, dass Xuanzang oder ein anderer seiner Untertanen sich in die gefährlichen Gegenden im Westen begab. Seine Macht war weit davon entfernt, abgesichert zu sein, und er schlug sich noch immer mit der Feindseligkeit und dem Verrat von mehreren Völkern in Zentralasien herum. Ungehorsam dem Kaiser gegenüber konnte einen teuer zu stehen kommen, doch Xuanzang war entschlossen, ins heilige Land der Buddhisten nach Indien zu pilgern.'
Im April 645, nach einer 16.000 Kilometer langen Reise auf der Suche nach der Wahrheit, kehrte der Pilger zurück und näherte sich Chang'an, der Hauptstadt des TangReiches, dem heutigen Xi'an. Die Nachricht von seiner Rückkehr verbreitete sich wie ein Lauffeuer; in den Strassen drängten sich so viele Neugierige, dass Xuanzang sich kaum noch einen Weg durch die Menschenmenge bahnen konnte. Die Menschen hatten von seiner Pilgerfahrt in ferne und seltsame Länder erzählen hören und waren neugierig, wie dieser Mönch wohl aussehen mochte. Er war gezwungen, die Nacht an einem Kanal vor der Hauptstadt zu verbringen. Die Beamten der Stadtverwaltung befürchteten nämlich, dass viele bei einem solchen Menschenauflauf Schaden nehmen konnten, und ordneten an, ein jeder solle ganz still stehen und Weihrauchstäbchen verbrennen. Zu dieser Zeit war der Kaiser nicht anwesend, doch sogleich wurde ein Termin für eine Audienz bestimmt. Eine riesige Prozession aus Mönchen trug die Andenken, Statuen und Bücher, Xuanzang aus Indien mitgebracht hatte. Es wurde die Rückkehr eines Helden gefeiert.
In den sechzehn Jahren zwischen Xuanzangs einsamer Abreise und seiner triumphalen Rückkehr 645 waren sowohl der Pilger als auch der Kaiser in den Augen der Welt erfolgreich gewesen. Aus dem siebenundzwanzigjährigen Flüchtling war Chinas bekanntester Buddhist und einer der bemerkenswertesten Reisenden aller Zeiten geworden.' Der dreissigjährige Kaiser hatte sich zu einem der grössten chinesischen Kaiser entwickelt, der dem expandierenden TangReich vorstand.
Xuanzang vollendete seine religiöse Mission und kehrte mit einer grossen Sammlung buddhistischer Schriften heil in sein Heimatland zurück. Er hatte »bis dahin nicht gesehene Spuren erblickt, nie zuvor vernommene heilige Wörter gehört, geistige Wunderwerke betrachtet, die jene der Natur übertrafen«. Er hatte sich mit den Herrschern der Oasen an der nördlichen wie der südlichen Seidenstrasse beraten, mit dem Grosskhan der westlichen Turkvölker, mit König Harsha, dem Einiger Nordindiens und zahlreichen anderen Machthabern. Sein ganzes Leben lang würde er sich an seine enge Freundschaft mit dem Vorsteher des berühmtesten Klosters in Indien erinnern. Er hatte die gefährlichsten Flüsse und drei der höchsten Gebirgsketten Asiens überquert.

Porträt des Kaisers Taizong, der zuerst dem jungen Mönch Xuanzang verbot, nach Indien zu gehen und ihn nach seiner Rückkehr darum bat, einen Bericht über seine Reise anzufertigen, der diesem Buch als eine der wichtigsten Quellen diente

Relief vom Grab Kaiser Taizongs (regierte von 626 bis 649)

Kopie eines traditionellen Porträts Xuanzangs mit einer Kiepe voller buddhistischer Schriften, die er aus Indien mitbrachte. Das Porträt stammt von einer Steinabreibung einer Stele an Xuanzangs Beerdigungsstätte im Tempel der Blühenden Lehre ausserhalb von Xi‘an
Der neue TangKaiser hatte nicht nur seine Macht in China gefertigt, sondern zudem noch Zentralasien erobert. Zuerst schlug er 630 die östlichen Turkstämme in der Mongolei. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit den westlichen Turkvölkern zu. Durch einen eigenartigen Zufall des Schicksals fiel der Grosskhan der westlichen Turktataren kurz nach Xuanzangs Besuch in seiner Hauptstadt einem Mordanschlag zum Opfer; ein halbes Jahr darauf brach sein mächtiges Reich zusammen. Da begann der TangKaiser, Protektorate in den Oasen der nördlichen und südlichen Seidenstrasse zu errichten, durch die der Pilger ebenfalls gezogen war. Als Resultat dieser Eroberungen übte China bis hin zum Pamir eine direkte Kontrolle aus. Gelegentlich dehnte der Kaiser seine Macht durch Diplomatie aus, etwa wenn er eine Heiratsallianz mit einer königlichen Familie Tibets einfädelte. Er schickte bereits 645, nach Xuanzangs Besuch, zwei chinesische Emissäre zu König Harsha nach Indien. Religiöse Missionen wie die Xuanzangs erweiterten die Einflusssphäre Chinas noch über den Pamir hinaus.
Welch ein Unterschied in puncto Bildung und Temperament gab es zwischen diesen beiden Männern! Der im Respekt vor konfuzianischen Werten erzogene Xuanzang war ein buchverliebter Knabe, der die konfuzianischen Klassiker las und sich zu einem gelehrten buddhistischen Intellektuellen entwickelte. Doch er blieb nicht in seiner Mönchszelle, sondern entwickelte sich zum Bergsteiger und Überlebenskünstler in der Wüste. Der Kaiser dagegen, zuerst als Reiter und Bogenschütze ausgebildet, war ein rauher Soldat und heroischer Krieger, der durch einen Mord an seinem älteren Bruder auf den Thron gelangt war. Dennoch wurde er in seinen ersten Regierungsjahren als gemässigter, bescheidener und weiser konfuzianischer Herrscher angesehen, der bei seinen Ministern Rat einholte und dem das Wohlergehen seines Volkes am Herzen lag." Es zählt zur Ironie des Lebens, dass es gerade Xuanzangs weltliches, in den Jahren des unentwegten Reisens erworbenes Wissen um die auswärtigen Angelegenheiten war, welches das Interesse des TangHerrschers weckte. Erst später wurde der leidende Kaiser gegen Ende seines Lebens über den Buddhismus anderen Sinnes, suchte bei Xuanzang Tröstungen und akzeptierte :hn vorbehaltlos als geistigen Mentor.' Als der Kaiser und der Pilger im Jahre 645 zum ersten Mal zusammentrafen, befanden sich beide auf dem Gipfel ihrer Laufbahn. Die Erfahrungen des chinesischen Pilgers und das politische Interesse des Kaisers ergänzten sich wunderbar. Mit der Expansion seines neuen Reichs benötigte der Kaiser für Erfolg und Misserfolg seiner kaiserlichen Aussenpolitik Informationen aus erster Hand. Xuanzang war dafür der ideale Informant. Der Kaiser fragte den dreiundvierzigjährigen Mönch über Herrscher, Klima, Waren und Sitten aller Länder aus. Von den Kenntnissen Xuanzangs über fremde Länder beeindruckt, bat Taizong ihn, sein Minister zu werden, um ihn bei den neuen Beziehungen zu den asiatischen Ländern und Problemen seines Reiches zu beraten. Doch Xuanzang lehnte ab. Daraufhin bat der Kaiser ihn, einen ausführlichen Bericht über die westlichen Königreiche zu verfassen, und zwar über jedes Land, durch das er gekommen war. Was Xuanzang am meisten interessierte —Informationen über die Anzahl der Mönche, deren Philosophenschulen und besonders die Denkmäler von und Geschichten über Buddha —, liess seinen Herrn allerdings gleichgültig.
Diesem Ansinnen konnte Xuanzang sich nicht entziehen. Einen Bericht über die Westlichen Gegenden niederzuschreiben, bedeutete eine neue Herausforderung für ihn, der es gewohnt war, dass man ihn in Fragen der Religion oder Philosophie um Rat anging. Als vielseitig interessierter Mensch, Abenteurer, Intellektueller, Theologe, Priester und Botschafter hatte er so manchem politischen Führer und Potentaten in Zentralasien spirituellen Rat und Inspiration gewährt. Als »Fürst unter den Pilgern« bewegte sich dieser buddhistische Mönch sowohl in der religiösen wie in der säkularen Welt mit Geschick und Gewandtheit. Seine starke Persönlichkeit hatte gleichermassen Kaiser Taizong wie den grossen indischen König Harsha beeindruckt. Als Mann von ungewöhnlicher Flexibilität, der allem Neuen und Fremden gegenüber aufgeschlossen war, wo immer er ihm begegnete, war Xuanzang ein idealer Beobachter der fremden Kulturen.
STUDIUM IN DEN KLÖSTERN
Seinem Biographen zufolge wurde Xuanzang vermutlich im Jahr 602 in der Nähe Luoyangs in der Provinz Henan geboren. Er war der jüngste von vier Brüdern und stammte aus einer alten Familie von Literaten und Mandarinen. Einer seiner Vorfahren war in der QiDynastie (479501) Beamter gewesen und hatte den Posten eines bedeutenden nationalen Gelehrten inne gehabt. Sein Vater war im Konfuzianismus gut bewandert und wurde wegen seiner überlegenen Talente und eleganten Manieren ebenfalls ausgezeichnet. Dieser konfuzianische Gelehrte zog es allerdings vor, sich selbst in das Studium gelehrter Schriften zu vertiefen und eine schwache Gesundheit vorzuschützen, um nicht in die Regierungsdienste der SuiDynastie (581618) eintreten zu müssen.
Xuanzang wuchs in einem konfuzianischen Haushalt auf. Im Alter von acht Jahren verblüffte er seinen Vater durch seine Sohnestreue, eine wichtige Tugend im Konfuzianismus. Er begann sogar vorzeitig mit dem Studium der konfuzianischen Klassiker. Doch die intellektuelle Vitalität des Konfuzianismus war im Schwinden begriffen', und einer der älteren Brüder Xuanzangs wurde buddhistischer Mönch. Er kümmerte sich sehr um seinen jüngsten Bruder und sorgte dafür, dass er in noch zartem Alter im Kloster von Luoyang das Studium der buddhistischen Schriften aufnehmen konnte.
Xuanzang gehörte zu jener Sorte von ernsthaften Knaben, die alt sind, noch bevor sie jung waren. Als er gerade elf Jahre alt war, traf eine überraschende Anordnung des Kaisers ein, dass vierzehn Mönche aus dem Kloster seines Bruders in Luoyang, der östlichen Hauptstadt der SuiDynastie, ausgebildet und vom Staat gefördert werden sollten. Mehrere hundert Kandidaten bewarben sich um diese Ordination im Kloster Reines Land. Xuanzang stand unter den Wartenden an der Klosterpforte, als der kaiserliche Emissär, der das Auswahlverfahren beaufsichtigte, auf ihn zukam und ihn fragte: »Wie lautet dein Name? Wie alt bist du?« Und als Xuanzang ihm berichtete, wie sehr er sich wünschte, Mönch zu werden, fragte der Beamte ihn nach dem Grund. »Mein einziger Gedanke bei diesem Schritt«, erwiderte er, »ist es, das Licht der Religion des Tathagata (Buddha) zu verbreiten.«
Wandgemälde aus den Grotten von Dunhuang, China.
Eine solch unerwartete und förmliche Antwort beeindruckte den Beamten, der anhand des Eifers, Vertrauens und der Bescheidenheit des Jungen bald dessen bemerkenswerte Qualitäten erkannte. Der Beamte wählte ihn trotz seiner Jugend als einen der vierzehn Novizen aus, die geweiht werden sollten, denn seinen Beamtenkollegen gegenüber meinte er: »Die Lehren nachzubeten ist leicht, doch wahre Selbstbeherrschung und innere Stärke sind nur selten anzutreffen.«7
In den folgenden fünf Jahren lebte Xuanzang mit seinem Bruder im Kloster Reines Land. Er vertiefte sich ins Studium der buddhistischen Schriften, sowohl in die strenge Lehre des frühen Buddhismus wie auch in die mystische Lehre des Grossen Fahrzeugs (Mahayana). Xuanzang fühlte sich unwiderstehlich vom späteren Buddhismus angezogen, dessen beide Schlüsselbegriffe lauteten: »Leere«, was soviel bedeutet wie Gegenstand der Weisheit, und »Bodhisattva« oder erleuchtete Wesen, die ihre eigene Erlösung zu Gunsten anderer hintanstellen.
Als im Jahr 618 die SuiDynastie zusammenbrach, musste er seine philosophischen Studien abbrechen. Wegen der anarchischen Zustände nach dem Zusammenbruch und des Bürgerkriegs zwischen den Tang und ihren Rivalen versanken weite Landesteile im Chaos.9 Xuanzang floh mit seinem Bruder zuerst in Richtung Nordwesten nach Chang'an, das die Tangherrscher zu ihrer Hauptstadt ausgerufen hatten. Als sie in der Stadt eintrafen, wimmelte es von Soldaten, so dass sich die beiden Brüder in Gesellschaft vieler Mönche, die aus den verschiedensten Teilen des Reiches zusammengekommen waren, nach Chengdu in der Provinz Sichuan aufmachten. Dort studierten Xuanzang und sein Bruder zwei oder drei Jahre lang die unterschiedlichen Schulen des Buddhismus.
Xuanzangs Biograph verglich die beiden jungen Männer: »Sein älterer Bruder... besass elegante Manieren und war genauso stämmig wie sein Vater... Seine Beredsamkeit und sein Begriffsvermögen bei Diskussionen sowie sein Talent, andere Menschen zu erbauen, entsprach der seines jüngsten Bruders.« Er fährt dann fort: »Doch in der Art der Erhabenheit seines Geistes, sich nicht durch weltliche Bindungen beeinflussen zu lassen; im tiefen Suchen nach den metaphysischen Erscheinungen des Kosmos; in seinem Ehrgeiz, das Universum zu erkennen... sowie in seinem Sinn für Selbstachtung selbst in Anwesenheit des Kaisers« übertrifft Xuanzang ihn.'°
622 erhielt Xuanzang im Alter von zwanzig Jahren die Mönchsweihe. Kurz darauf trennte er sich von seinem Bruder in Chengdu und kehrte in die Hauptstadt zurück.
VORBEREITUNGEN IN CHANG'AN
Chang'an hatte Xuanzang viel zu bieten. Es war die grösste Stadt Chinas — wohl der ganzen damaligen mittelalterlichen Welt. Die historischen TangQuellen sind so ausführlich, dass wir beispielsweise wissen, dass sie eine Fläche von mehr als 77 km2 einnahm." Rom in seiner Blütezeit war dagegen nicht grösser als 13 km2. Chang'an, im siebten Jahrhundert eine Stadt mit einer Million Einwohnern, wurde zum Mittelpunkt der grossen Kultur der TangDynastie. 742 war die Bevölkerung auf bereits zwei Millionen angewachsen, davon fünftausend Fremde.'
Mit ihrem reichhaltigen kulturellen Leben, ihrem Wohlstand und den vielen verschiedenartigen Nationalitäten bildete Chang'an ein strahlendes Zentrum asiatischer Zivilisation. Neue Anregungen aus Nordindien und den Königreichen Zentralasiens bereicherten den chinesischen Buddhismus und machten ihn zum lebhaftesten und einflussreichsten Denksystem seiner Zeit. Aus Iran und Zentralasien stammten andere neue Religionen, darunter der Islam, Zoroastrismus, Manichäismus und Nestorianismus. Gleichzeitig mit diesen intellektuellen und geistigen Einflüssen gab es neue Entwicklungen in den verschiedenen Künsten, von der Musik und dem Tanz über die Metallverarbeitung und die erlesene Kochkunst bis hin zu wichtigen technischen und wissenschaftlichen Einflüssen in Mathematik und Linguistik. Eine Dichter und Künstlerschar gehörte ebenfalls zum festen Bestandteil dieser glitzernden Hauptstadt. Die neueste buddhistische Lehre und neueste Bildvorlagen, die neueste Unterhaltung und Mode waren in Chang'an gleichermassen zu Hause.
Eine Zeit der Vorbereitung. Xuanzang setzte seine buddhistischen Studien in Chang'an fort und suchte die Fremden auf, die ihn in den fremden Sprachen von jenseits der chinesischen Grenze unterweisen konnten. Er besuchte wahrscheinlich den Westlichen Markt, den Stadtteil, der mit der Seidenstrasse in Verbindung stand, um etwas Tokhari zu lernen, das an vielen Orten Zentralasiens, etwa in Turfan, gesprochen wurde. Sein Sprachtalent sollte ihm in Zukunft noch von grossem Nutzen sein. 626 begann er auch mit dem Studium des Sanskrit, damit es ihm möglich war, sich mit fremden Mönchen auszutauschen, deren Muttersprache ihm nicht vertraut war. Ähnlich wie Latein in den christlichen Klöstern des europäischen Mittelalters war Sanskrit die vorherrschende Sprache der buddhistischen Schriften und Klöster in ganz Nordasien.
Indische Schriften waren seit den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung ins Chinesische übersetzt worden. Missionare aus Indien und Kaschgar (dem heutigen Xinjiang), Parther aus Iran und Sogder (aus dem Gebiet der zentralasiatischen Republiken in der ehemaligen Sowjetunion) hatten in Luoyang und
Chang'an Klöster gegründet, in denen Mönche einzeln wie auch in Gruppen das umfangreiche buddhistische Schrifttum
übersetzten, das aus Indien gekommen war. Es gab auch viele
chinesische Mönche, die nach Westen gezogen waren. Mindestens vierundfünfzig Geistliche, der erste im Jahr 260, waren
westwärts gereist, auch wenn sie nicht alle das Land ihres Glaubens erreicht haben. Unter denen, die dort angekommen waren, regten vor allem der fromme Faxian (Fahsien) und Zhiyan (Chihyen) Xuanzangs Phantasie an.
Inzwischen hatte Xuanzang bereits fünfzehn Jahre damit verbracht, in Luoyang, Chengdu und Chang'an Sprachen zu lernen und die Lehren der unterschiedlichen Schulen des Buddhismus zu studieren. In dieser Zeit waren seine Zweifel über die Korrektheit der chinesischen Übersetzungen gewachsen. Sie widersprachen einander, waren wirr oder einfach unangemessen. Auch gewann er den Eindruck, dass jeder Abt den Lehren seiner besonderen Schule unkritisch folgte. Wie bei der indischen Fabel über die Blinden, von denen jeder ein anderes Teil des Elefanten berührt, dieses aber jeweils für das Ganze halten, so waren diese Männer ihren seltsamen Misstönen und Widersprüchen gegenüber blind. Einige ihrer Theorien standen vage oder eindeutig im Widerspruch zu den heiligen Schriften. Welche Unterweisungen waren als authentisch zu betrachten? Konnten alle Menschen die Buddhaschaft erreichen oder galt dies nur für einen Teil der Menschheit? Xuanzang war verwirrt und nicht in der Lage zu entscheiden, welche dieser Theorien akzeptiert werden konnte. Daher wuchs sein Entschluss, nach Indien zu ziehen, um dort seine Zweifel zu klären und den vollständigen Text von Asanga in Sanskrit heimzubringen, der unter dem Namen Abhandlung über die Stufen der YogaPraxis bekannt werden sollte.
Xuanzang fühlte sich von den feingeistigen Schriften Asangas und seines Bruders Vasubandhu angezogen, den Begründern der YogacaraSchule des Buddhismus, deren riesiges Kompendium der Philosophie nur teilweise nach China gelangt war.' Diese Denkschule propagierte einen metaphysischen Idealismus, dem zufolge die Aussenwelt nicht existierte, sondern als Projektion des eigenen Bewusstseins galt.
Als Sterne, eine Störung der Sicht, als Lampe, wie ein Täuschungsmanöver, Tautropfen oder eine Blase, einen Traum, einen Blitz oder eine Wolke, so sollte jedermann »die Welt der Geburt und des Todes« oder Samsara betrachten
Diese Verse aus dem DiamantSutra wollen deutlich machen, dass die materielle Welt nur eine Illusion ist. Darin ähneln sie dem Idealismus von Bischof Berkeley, dem zufolge »der ganze Himmelschor und die Einrichtung auf Erden — mit anderen Worten all diese Körper, die den mächtigen Rahmen der Welt auszumachen  ohne einen Geist nicht die geringste Substanz besitzen«.'' Die Yogacarins jedoch gründeten dieses Konzept nicht nur auf eine Anzahl logischer Argumente, die die Unmöglichkeit eines äusseren Gegenstandes beweisen, sondern ebenso auf die lebendige Erfahrung der nach innen gerichteten Meditation.
Mit seinem strengen Wahrheitssinn spürte Xuanzang, dass er die Quellen ergründen musste27 Nachdem sein Entschluss feststand, mit mehreren Mönchen loszuziehen, sandte er eine Petition an Kaiser Taizong mit der Bitte um Erlaubnis, China verlassen zu dürfen. Sie blieb ohne Antwort, dagegen erliess der Kaiser ein Dekret, das es Laien und auch Mönchen — ausgenommen im Fall einer offiziellen Mission — untersagte, das Land zu verlassen. Auf einen solch leidenschaftlichen jungen Mann wie Xuanzang wirkte dies allerdings kaum abschreckend.
Im Jahr 629, der Monat ist nicht bekannt. Gefahren und Schwierigkeiten ohne Zahl liegen vor ihm. Er zieht sich in die Abgeschiedenheit des heiligen Turms in Chang'an zurück, um für einen guten Schutz zu beten. Er hat einen Traum und sieht den Berg Sumeru, einen heiligen Berg aus Gold, Silber, Beryll und Kristall im Mittelpunkt des Universums, von der Grossen See umgeben. Steinerne Lotusblumen tragen ihn, als er über das Wasser wandelt. Doch so glitschig und steil ist der Weg zu diesem asiatischen Olymp, dass er jedes Mal auf dem Weg nach oben an den Flanken bis unten hinunter rutscht. Plötzlich trägt ihn ein mächtiger Wirbelwind bis auf den Gipfel; zu seinen Füssen erstreckt sich die Welt, so weit sein Auge reicht. Der Pilger erblickt einen unendlichen Horizont, ein Symbol für die zahllosen Länder, die er zu besuchen hofft. In einer freudigen Ekstase erwacht er; in der Traumvision ist ihm klar geworden, was er zu tun hat. Nun weiss er, dass es ihm bestimmt ist, auf einer Pilgerreise fortzuziehen. Schwere Prüfungen erwarten ihn, doch er ist zur Abreise bereit."
Die REISE BEGINNT
Xuanzang war siebenundzwanzig Jahre alt. Der knapp 1,80 Meter grosse junge Mann sah ungewöhnlich gut aus, hatte buschige Augenbrauen, helle Augen, einen hellen Teint und eine edle Stirn. Er pflegte seine Vorliebe für weite Kleider und trug einen breiten Gürtel, der ihm das Aussehen eines Gelehrten verlieh. Er drückte sich gewandt aus und hatte eine volle, sonore Stimme. Gewöhnlich bewegte er sich anmutig und blickte immer gerade vor sich, ohne nach links oder rechts zu schauen, wie es die Angewohnheit guter buddhistischer Mönche ist."
Gelegentlich kam es vor, dass wegen eines vorzeitigen Frostes die Ernten beeinträchtigt wurden, und ein Dekret bestimmte, dass sowohl die Mönche wie die Laien sich in andere, minder heimgesuchte Regionen Chinas begeben sollten. Xuanzang nutzte ein solches Dekret und reiste mit mehreren Gefährten von Chang'an in die hoch gelegenen Täler und Schluchten Gansus, eine der westlichsten Provinzen Chinas. Der lange GansuKorridor schneidet quer durch das Grasland und die wilde Hochebene von Qinghai bis hin zum Sand der TaklamakanWüste. Liangzhou (das heutige Wuwei) war die letzte bedeutende Stadt in der Provinz Gansu wie auch der Ausgangspunkt der Karawanenrouten, die durch die Wüste sowohl in die Mongolei als auch in das TarimBecken in der Taklamakan führten.
Der Pilger hielt sich einen Monat in Liangzhou auf, um sich auf seine Reise vorzubereiten. Während dieses Aufenthaltes 'redigte er vor Mönchen wie vor Kaufleuten und Händlern bei zrossen religiösen Versammlungen. Der Gouverneur, dem zu Ohren gekommen war, dass dieser Mönch sich nach Westen gegeben wollte, beorderte ihn zu sich und drängte ihn, den kaiserlichen Erlass zu befolgen und in die TangHauptstadt zurückzukehren.
Seine neuen Freunde hatten sich von ihm verabschiedet, sein Pferd war gestorben, und Spitzel aus Liangzhou hatten den Bezirksgouverneur über sein Vorhaben informiert. Zum Glück war dieser Beamte ein frommer Mann, der den kaiserlichen Erlass vor Xuanzangs Augen zerriss, ihn dafür jedoch hastig zum Aufbruch drängte.
Xuanzang erstand ein neues Pferd. Er betete gerade in einer buddhistischen Tempelhalle, als ein Zentralasiate namens Bandha sich ihm näherte, ihn ansprach und darum bat, er möge ihm die fünf Gelübde abnehmen, damit er ein frommer Laie werde. Xuanzang erzählte ihm, dass er Hilfe brauche, da er nach Westen aufbrechen wolle. Bandha bot ihm an, ihn bis jenseits der Festung Jadetor und der fünf Wachtürme in der Wüste zu begleiten.
Am nächsten Tag wartete und wartete Xuanzang auf seinen Führer. Schliesslich tauchte Bandha in Begleitung eines sehr alten Mannes auf, der auf einem struppigen Klepper sass. Der »Grossvater« wollte offensichtlich Ratschläge für den Umgang mit Dämonen und über die Gefahren einer Wüstendurchquerung geben, denn er behauptete, mehr als dreissig Mal die Wüste durchquert zu haben. Da fiel Xuanzang der Wahrsager ein, der ihm in Chang'an geweissagt hatte: »Ich sehe, wie du auf einem struppigen Klepper China verlässt. Du sitzt auf einem lackierten Sattel mit einem Eisenknauf vorne am Sattelhöcker.0 Da das Pferd des Alten und der Sattel genau der Beschreibung des Wahrsagers entsprachen, schlug Xuanzang dem Alten vor, die Pferde zu tauschen. So machte der Alte unversehens ein gutes Geschäft, und der ehrgeizige Mönch setzte sich in Marsch.
Der Tag ist noch jung, möglicherweise ist die Sonne noch nicht aufgegangen. Der Pilger und sein Führer machen sich auf Pferderücken bis ans Ufer des Hu Lu auf den Weg. Nach ihrer ersten Tagesreise sind die beiden Männer erschöpft und breiten ihre Matten in Sichtweite der Festung Jadetor aus, einem der letzten Aussenposten im Westen des Kaiserreichs. Xuanzangs Körper entspannt sich langsam, und wie alle erschöpften Reisenden fällt er in einen tiefen Schlaf. Doch plötzlich wacht er auf. Er sieht, wie sein frommer Gefährte Bandha sich ihm mit gezücktem Schwert nähert! Als Bandha bis auf drei Meter an ihn herangekommen ist, scheint er zu zögern; dann zieht er sich zurück. Xuanzang beginnt, Schrifttexte und Gebete an den Mitleidsvollen Bodhisattva Guanyin (Kuanyin) zu richten, damit der ihn vor Meuchelmördern schütze. Bandha kehrt an seinen Schlafplatz zurück, und bis zum Morgengrauen schläft der Mönch nur leicht und flach. Nicht lange danach stiehlt sich Bandha davon
VERLOREN IN DER WÜSTE
Nun war Xuanzang auf sich allein gestellt. Mit seinem mitleiderregenden Pferd bewegte er sich auf eine breite Senke aus Sand und Geröll mit vielen steilen und steinigen Rinnen zu, die zu überqueren waren. Häufig stiess er auf die Knochen von Mensch und Tier, die Geschichten von Durst, Erschöpfung und Zusammenbruch erzählten. Die Sonne brannte unbarmherzig. Aufsteigende Hitzewellen wurden vom flimmernden Erdboden zurückgeworfen, als er langsam seines Weges ging. Dann wuchs eine Kette schwarzer Berge vor ihm empor, denn die Wüste kann sich von gelbbraunen und grauen Dünen in kleine Berge verwandeln, die aussehen, als bestünden sie aus schwarzer Steinkohle. In der Nähe eines dieser Berge glaubte er Hunderte bewaffneter Barbaren in Fellkleidung und Pelzen am Horizont zu erkennen. Sein eifriger Biograph beschreibt diese Szene in der Wüste: »Und jetzt traf sein Auge die Erscheinung von Kamelen und Pferden und das Glitzern der Standarten und Lanzen, dann tauchten plötzlich neue Gestalten und Figuren auf, die tausend neue Formen annahmen, und dann lösten sie sich in nichts auf.«
Handelte es sich bei den sich verwandelnden Formen von Männern und Pferden in den flimmernden Hitzeschwaden der Wüste tatsächlich um Räuberbanden? Ebenso gut konnte es sich um die Armee der turkstämmigen Nomaden von jenseits des TianshanGebirges zum nördlichen Turkestan hin handeln. Oder um eine Fata Morgana. Vielleicht waren es ja vielmehr die Gestalten von Dämonen und merkwürdigen Kobolden aus anderen Welten, das Abbild des verruchten Mara, vor dem ihn so viele Reisende gewarnt hatten?
Vor dem Pilger lag der erste der fünf Wachtürme in der Wüste.
Aus Furcht, die Wachposten könnten ihn entdecken, vergrub er sich in eine Sandkuhle bis zur Nacht; als er westlich am Turm vorüberging, sah er Wasser; er ging darauf zu, trank davon und wusch sich die Hände. Als er gerade seinen Wasserbeutel nachfüllte, zischte ein Pfeil an ihm vorbei und schrammte ihn am Knie. Kurz darauf ein zweiter Pfeil. Da er sich entdeckt wusste, schrie er mit lauter Stimme: »Nicht mehr schiessen, ich bin ein Mönch aus der Hauptstadt. «
Man brachte ihn vor den Hauptmann, einen Buddhisten, der ihn bat, nicht die fast vierhundert Kilometer Wüstenstrecke bis zur Oase Hami zurückzulegen, sondern seine Zeit lieber mit den berühmten Lehrern in Dunhuang zu verbringen, dem bekannten buddhistischen Zentrum am Knotenpunkt dessen, was wir heutzutage die nördliche und die südliche Seidenstrasse nennen.
Xuanzang klagte darüber, er sei schockiert, dass der Hauptmann, statt ihn zur Fortsetzung seiner Reise zu ermuntern, ihn bedränge, umzukehren und von ihm erwarte, er solle aufgeben. Die Höhlen in Dunhuang beherbergten zwar eine weiträumige »Kunstgalerie« mit Malereien und Skulpturen sowie eine umfassende Bibliothek mit buddhistischen Schriften und säkulären Texten, aber es war nicht Indien.
Xuanzang passierte die verbleibenden vier Wachtürme in sicherer Entfernung, indem er die übliche Route nach Hami verliess und einer parallel verlaufenden Strecke nach Nordwesten folgte, die ins Herz der Gashun Gobi (Mohoyen) führte, die die Chinesen gern den Sandfluss nennen. Damit bezeichnen sie eine Wüste, die keinen festen Gerölluntergrund hat, sondern aus Wanderdünen besteht und eher den Wellen des Ozeans ähnelt. In der Gashun Gobi gab es keine Vögel, keine Tiere, kein Wasser, keine Weiden. Wenn er den Eindruck gewann, in Gefahr zu geraten, rief er den Namen des Bodhisattva Guanyin mit äusserster Hingabe und rezitierte besondere magische Formeln, die er dem HerzSutra entnahm. Dieses hatte er viele Jahre zuvor von einem kranken Mann gelernt, den er mit ins Kloster genommen und dort mit Nahrung und Kleidung versorgt hatte. Aus lauter Dankbarkeit hatte der ihm dieses Sutra beigebracht (Abb. 1.5).24
Böen mit heissem Wüstensand verwehten seinen Weg, und er musste lange Umwege gehen. Nach einer Weile wusste er, dass er verloren war. Er hätte bei der Wildpferdquelle ankommen müssen und hatte sie verfehlt. Und in diesem Augenblick höchster Panik glitt ihm überflüssigerweise auch noch sein Wassersack zu Boden! Im Nu war sein gesamter Trinkvorrat im Sand versickert. Wegen einer Unachtsamkeit war seine Pilgerreise plötzlich zu Ende.
Die Zeit schien stillzustehen. In äusserster Verzweiflung kehrt er um und macht sich auf den Weg zurück zum vierten Wachturm. Dann erinnert er sich an den eigenen Schwur, er wolle lieber mit dem Antlitz nach Westen sterben als umkehren und im Osten leben. Erneut macht er sich auf den Weg. Vier Tage und fünf Nächte lang kämpft sich der Pilger mit seinem Pferd in Richtung Westen vor. Nirgendwo auch nur ein einziger Tropfen Wasser. Mund, Lippen und Kehle sind von der brennenden Glut ausgedörrt. Am Abend des fünften Tages fallen Ross und Reiter vor Erschöpfung um.
Xuanzang fällt auf den Sand. Er betet zu Guanyin, dem Erbarmungsvollen. Tau fällt auf den Pilger und sein Pferd. Tiefer Schlummer übermannt ihn. Er träumt von einem grossen Geist, der nach ihm ruft. » Warum schläfst du, statt eifrig weiterzugehen?«
Wiederum zieht er mit seiner klapprigen Mähre weiter. Etwa sieben Kilometer hat er zurückgelegt, als das Pferd unversehens in eine andere Richtung marschiert. Er verlässt sich auf den guten Instinkt dieses Geschöpfs. Bald darauf wird Xuanzang einer grünen Oase ans.chtig. Mitten darin glänzt ein grosser Teich, so hell wie ein Spiegel. Der Pilger löscht seinen Durst lang und ausgiebig. Er füllt seinen Wassersack mit diesem Wasser des Lebens. Er gönnt sich und dem Pferd einen Tag Erholung, bevor er weiterzieht. Xuanzang erreicht sein Ziel, die Oase Hami, auf der anderen Seite der TaklamakanWüste.'

Hängerolle mit dem HerzderVollkommenheitderWeisheitSutra in Xuanzangs Übersetzung, in Form eines Stupas kalligraphiert. Aus den DunhuangGrotten, China.
    
Wer weiss, welche Rolle der Klepper dabei gespielt hat? Pferde und Kamele können in der Wüste nicht nur Wasser und Weideflächen aus der Entfernung wittern, sondern sich auch aus früheren Reisen an solche Orte erinnern. Für seinen frommen Biographen Huili war die berühmte Wüstendurchquerung von Anxi nach Hami sicherlich nur als Wunder zu verstehen. Der Pilger war sein Held. Es war das erste von vielen anderen Wundern, die er besonders im ersten Teil seines Buches beschrieben hat. Für einen modernen Forscher und Archäologen wie Aurel Stein war es notwendig, die Route des Pilgers abzugehen, um nachzuprüfen, ob eine solche Wüstendurchquerung im Bereich des Möglichen lag. Schliesslich stellte sich anhand von Xuanzangs topographischen Aufzeichnungen heraus, dass er vollauf über diesen »Kompass des Instinkts« verfügte, den manche Menschen besitzen. Stein fand heraus, dass die Gefahren und die quasi wunderbare Rettung zu Beginn von Xuanzangs Reise weder übertrieben noch erfunden waren."
Sowohl seine denkwürdige Wüstendurchquerung wie auch seine Vision zu Beginn der 16.000 Kilometer langen Reise auf der Suche nach der Wahrheit verkörpern die universellen Elemente des Heldenstrebens.''' Der buddhistische Mönch legte nicht einfach Tausende von Kilometern durch gefährliche Wüsten und über Berge zurück, als wäre er ein chinesischer Marco Polo, sondern er befand sich auf einer Pilgerfahrt der Seele. Es war so sehr eine Reise in die Ferne wie eine nach innen; deshalb lag eine Aura von besonderem Wert über ihr.
Da er ein brillanter Mönch mit kühnen Gelehrteninteressen war, begann er seine Seelenreise aus intellektuellen und theologischen Gründen, um nach der wahrhaftesten aller Lehren zu forschen. Seine Vision vom Berg Sumeru war eine räumliche Vision, ein Ruf aus seinem innersten Wesen, das ihn bei seinen zahlreichen, noch vor ihm liegenden Bewährungsproben unterstützen würde. Als er die Festung Jadetor, den äussersten Vorposten des lingReiches, hinter sich gelassen hatte, gelangte er an einen Punkt, an dem es ihm schwergefallen wäre umzukehren. Durchquerte man ein solches Tor, so war dies gewöhnlich ein entscheidender Schritt, und zwar der zwischen Erkundung und Entschluss. Besonders in den Augen der Chinesen stellte die eine Seite des Jadetors die eigene zivilisierte Welt dar mit allen ihrer Kultur, Tradition und erkennbaren Welt; die jenseitige Welt war ihnen ein Ort der Verwüstung und Verlassenheit, das weite Land des Unbekannten. Nachdem er diese Schwelle übertreten und beinahe sein Leben durch seinen mordlustigen Führer verloren hätte, musste er sich allein bewähren. Er machte einen Bogen um die Wachtürme in der Wüste und überlebte eine Folge von Prüfungen, häufig in einer unwirtlichen Wüstenlandschaft mit Luftspiegelungen und Sandstürmen, und verlor seine Orientierung. Xuanzang durchlebte eine »dunkle Nacht der Seele«, die sich zur Krise steigerte, als er seinen Wasservorrat verlor und in der Wüste zusammenbrach. Sein Führer war einer der Erbarmungsvollen seines buddhistischen Glaubens, der Bodhisattva Guanyin, und mit Hilfe dieses Führers ging er siegreich aus dieser Bewährungsprobe hervor.
Wegen seiner heldenhaften Qualitäten, die im ersten Teil seiner Reise deutlich hervortreten, besitzt Xuanzang die Lebhaftigkeit einer Figur aus einem Epos. »Zu seinen Vorfahren gehören nicht«, wie Arthur Waley formulierte, »die grossen Reisenden, nicht Marco Polo oder Vambery, noch die grossen Theologen wie der Heilige Augustinus oder der Heilige Thomas, sondern vielmehr Äneas, König Artus und Cuchulain. Er ist der Held einer Art spirituellen Epos, so wie die anderen in ihren königlichen Sagas. «28
Seinem Biographen Huili und vermutlich zahlreichen anderen Mönchen ist es zu verdanken, dass Xuanzang in China noch zu Lebzeiten zur Legende wurde. Seine Reise wäre fast zu Ende gewesen, noch bevor er sie angetreten hatte. Jedoch wie so oft in den Legenden oder im wirklichen Leben, wurde der schwierige Beginn von einem Ereignis in den Schatten gestellt, das sein Geschick auf dramatische Weise wendete — seiner Begegnung mit dem König von Turfan.

Reiseweg Xuanzangs auf der nördlichen Seidenstrasse (von Hami nach Samarkand)
Bevor Xuanzang mit dem eigenwilligen König von Turfan zusammentraf, machte er in der Oase Hami halt, der ersten in einer Kette von Oasen zu Füssen des TianshanGebirges. Von den eisbedeckten Höhen dieser Berge strömte klares Gebirgswasser herunter, an Abhängen mit Kiefern vorbei, über die darunter liegenden braunen, öden Täler bis hin zu den Wüstendünen und weiter nach Westen in die TaklamakanWüste, bis es schliesslich im Sand versickerte.'
Schächte haben ihren Ursprung am Fusse der Berge und zapfen deren unterirdisches Wasser an; diese karez genannten Schächte und Kanäle sind zuweilen über 60 Kilometer lang. Sie sind der grossen Hitze und der seltenen Niederschläge wegen von grossem Nutzen. Aus der Vogelperspektive ähneln sie Erdhügeln, da ihre Verwalter ständig die Erde ausgraben und sie zu Haufen aufwerfen, damit das Wasser ungehindert fliessen kann. Sie wurden zuerst in Persien entwickelt und bestanden bereits viele Jahrhunderte lang, als Xuanzang auf seinem Weg nach Indien an ihnen vorüberzog.
Dank dem fruchtbaren Land und dem zunehmend blühenden Handel des Alten China mit dem Westen, und dem des Westens mit China auf der nördlichen Seidenstrasse, blühten diese Oasen mächtig auf. Diese Königreiche besuchte der junge Xuanzang in den Jahren 629630; er vervollständigte dort seine Karawane mit Pferden und Kamelen, besuchte er Könige und predigte den Händlern und Kriegern wie auch den mit ihm nach Indien reisenden Mönchen die buddhistische Lehre. Er wurde der berühmteste Pilger, der je auf dieser Handelsroute gereist ist, eine der längsten und ältesten, die die Menschheit kennt — auf der Seidenstrasse.
IN DER OASE HAMI
Während seines Aufenthalts in Hami fand er Aufnahme in einem Kloster, in dem drei chinesische Mönche lebten, die sich
über die Massen über sein Eintreffen freuten. Der älteste von ihnen umarmte Xuanzang mit Tränen in den Augen und sagte: »Wie hätte ich je hoffen können, einem Mann aus meinem Dorf zu begegnen? « Der Meister des Gesetzes legte eine unübliche Herzlichkeit an den Tag und vergoss Tränen der Sympathie für ihn. Durch Klöster wie dieses wurden die Lehren des Buddhismus aus Indien bis tief nach China hinein verbreitet, das von der neuen Religion ebenso erleuchtet wurde, wie einst die christliche Lehre in den nordeuropäischen Gegenden von den Klöstern Irlands ausgegangen war.
In dem wegen seiner Melonen gerühmten Königtum der Oase Hami hatte sich seit langem eine chinesische Militärkolonie eingerichtet, die die Oberhoheit der Turkvölker während der Wirren der Sui und frühen TangDynastie anerkannt hatte. Einige Monate nach der Durchreise des Mönchs fiel das Königtum Hami jedoch wieder an China zurück. Wie viele andere Oasen auch, war es zwischen den Nomadenhorden aus dem Norden und Westen und der sesshaften Zivilisation Chinas im Süden und Osten eingekeilt.
Der stürmische König von Turfan, der von Xuanzangs Eintreffen gehört hatte, schickte ihm eine Eskorte entgegen. Der König, ein mächtiger Monarch chinesischer Abstammung, hatte dem TangKaiser seltene Geschenke geschickt und sich auch persönlich an den chinesischen Hof begeben. Einige Zeit darauf verbündete er sich mit den Turknomaden und schnitt den Karawanen zwischen China und den westlichen Königreichen den Weg ab. Es heisst, er sei vor Furcht gestorben, als er das Eintreffen der chinesischen Armee erwartete. Im Jahr 640 wurde Turfan von China annektiert.
IM WIDERSPRUCH ZUM KÖNIG VON TURFAN
Da der König auch ein frommer Buddhist war, konnte Xuanzang nur schwer dessen Einladung ausschlagen. Dem Pilger hatte ursprünglich eine andere Route vorgeschwebt, doch er wich davon ab, um einen Abstecher nach Turfan zu machen. Nach einem SechstageMarsch von mehr als 350 Kilometern durch die Wüste erreichte er bei Sonnenuntergang die Grenzen Turfans. Als man den König von Xuanzangs Ankunft unterrichtet hatte, verliess er seinen Palast und zog ihm mit Fackeln entgegen. Als die beiden Männer im eleganten Pavillon des Königs eintrafen, geleitete der König höchstpersönlich den Mönch zu einem Sitzplatz. Die Königin und all ihre Zofen kamen, um ihm ihre Reverenz zu erweisen, und es wurden Speisen aufgetragen. Danach drängte der König ihn, so sagt es Huili, die ganze Nacht hindurch mit ihm zu reden.
630 n. Chr. Die Zeit eilt dahin. Nachdem er sich schon zehn Tage in Turfan aufhält, möchte der Meister aufbrechen und seine Reise fortsetzen. Doch der König bittet ihn zu bleiben.
Xuanzang erwidert ihm: »Ich brauche keine wiederholten Erklärungen, um Eure tief empfundene Freundlichkeit zu begreifen. Doch da ich mich auf dem Weg nach Westen befinde, um das Gesetz des Buddha zu suchen, ist es mir wichtig, dass ich nicht auf halber Strecke einhalte, bevor ich es gefunden habe.«
Doch der König ist hartnäckig.
Xuanzang bleibt bei seiner Meinung.
Der König wird mürrisch und brüllt den Pilger an, indem er die Ärmel seines königlichen Gewands umschlägt. »Ich kann auch anders mit Euch umgehen. « Er droht ihm, ihn gegen seinen Willen festzuhalten oder in sein Land zurückzuschicken.
Es ist Xuanzangs erste direkte Auseinandersetzung mit königlicher Autorität und Macht. Später werden sich die Situationen häufen, bei denen er sich dem Wunsch eines Monarchen, ja sogar dem des Kaisers selbst widersetzen muss. Er bleibt hart. Dennoch mag der König ihn nicht ziehen lassen und überhäuft ihn mit Angeboten. Xuanzang beschliesst, in einen Hungerstreik zu treten. Der König serviert ihm Speis und Trank mit eigener Hand. Drei Tage lang fastet Xuanzang und hofft, dass der König ein Einsehen mit ihm haben wird. Am vierten Tag atmet der Meister nur noch schwach. Der König ist beschämt und gibt nach.'

Schliesslich versprach Xuanzang ihm, einen Monat lang seinen Archäologische Stätten in der Untertanen zu predigen. Weiterhin willigte er ein. Oase Turfan sich bei seiner Rückkehr nach China drei Jahre lang in Turfan aufzuhalten.
Archäologische Stätten in der Oase Turfan
Doch er muss sein Versprechen nicht einlösen, da er sich nach dem Tod des Königs nicht mehr daran gebunden fühlt, und Xuanzang kehrt fünfzehn Jahre später über die südliche Seidenstrasse nach China zurück.
Während seines einmonatigen Aufenthalts in dieser Region besucht Xuanzang die alte Stadt Gaochang, 47 Kilometer südöstlich von Turfan. Diese fast vier Quadratkilometer grosse und beeindruckende Stadt ist mehr oder weniger nach dem Muster der TangHauptstadt Chang'an in drei Teile geteilt: in eine äussere Stadt, eine innere Stadt und den Königspalast. Heutzutage, mehr als tausend Jahre später, stehen noch Teile der alten, mehr als neun Meter hohen Stadtmauer; die Tore. der Stupa, die BuddhaHalle und die Fundamente mehrerer Tempel sind noch zu erkennen. In einem solch aussergewöhnlich trockenen Klima mit einem Niederschlag von höchstens anderthalb Zentimetern pro Jahr sind einige Gebäude zeitlos erhalten geblieben, so dass es einem selbst jetzt nicht schwerfällt, sich das blühende Königreich von damals vorzustellen.
Obwohl der König eigens einen Pavillon für Xuanzang einrichten liess, damit er vor dreihundert Zuhörern sprechen konnte, ist es auch möglich, dass er vor der grossen BuddhaHalle gepredigt hat, einem viereckigen Gebäude aus sonnengetrockneten Lehmziegeln mit etwa einem Meter hohen Nischen in der Aussenwand. Einige dieser Einbuchtungen tragen noch Spuren von aufgemaltem Glorienschein, was daran erinnert, dass BuddhaStatuen oder solche von Erbarmungsvollen darin gestanden haben mochten.
Sehr wahrscheinlich besuchte er ebenfalls Jiaohe, etwa zehn Kilometer westlich Turfans, eine natürliche Feste auf einem steilen, hohen Felsdorn zwischen zwei Flüssen. Ein Spaziergang über eine staubige Ebene führte ihn zu einem ungewöhnlichen Stupa mit einer hohen Rundsäule in der Mitte, der von vier Türmen umgeben ist. Zehn Jahre nach Xuanzangs Besuch der Oase Turfan wurde Jiaohe zum wichtigsten Verwaltungsstandort der westlichen Regionen des chinesischen Reichs.
Wahrscheinlich stieg Xuanzang auch auf die Ausläufer des TianshanGebirges, vorbei an den berühmten, wegen ihrer rötlichen Färbung so genannten Flammenden Bergen. Diese roten Ausläufer des Gebirges, eigentümlich von ausgehöhlten Wasserrinnen durchzogen, dienen als Hintergrund für die Handlung zu einem Kapitel des berühmten Romans aus der MingZeit Die Reise nach Westen, der von der Pilgerreise des Mönchs nach Indien inspiriert ist. Für einen solch kräftigen, jungen Mönch ist dies nur ein kurzer Ausflug zwischen den kahlen, verlassenen Hügeln zu den Mönchszellen in der SangimSchlucht, wo er sich auf dem Weg zu den wahrhaft spektakulären Höhlengrotten von Bezeklik ausgeruht haben wird.
Diese Zellen, die man erst bemerkt, wenn man direkt über ihnen steht, befinden sich in der MurtokSchlucht an einem steilen Abhang aus zusammengedrängtem Felsgestein. Oberhalb der Tempelzellen, teilweise aus den Felswänden herausgeschnitten, ist ebenes Tafelland, als wäre der Fluss, hundert Jahre bevor die Mönche ihr Kloster erbauten, auf einer höheren Ebene geflossen und hätte über die Jahrhunderte hinweg einen Weg in den Berg geschnitten, um eine wilde, enge Schlucht zu bilden. Die Höhlengrotten befinden sich gegenüber von ebenso steilen, gezackten Klippen auf der anderen Seite des mächtig strömenden Flusses. Ebenso wie die Griechen entwickelten die Buddhisten ein besonderes Gespür für Standorte: Ihre Klöster liegen meist in einer spektakulären Umgebung.
Das Geräusch des schnell vorüberfliessenden Flusses muss nachts beruhigend auf die Gemüter gewirkt haben, im Gegensatz zum klagenden Geheul der Wölfe in der Schlucht bei Vollmond. Albert von Le Coq, der deutsche Forscher, hat es zu Beginn des 20. Jahrhunderts in dieser verlassenen Schlucht vernommen, zwölf Jahrhunderte nachdem Xuanzang dort entlanggegangen ist und uns berichtet hat, dass die Wölfe harmlos waren, auch wenn sich ihr Geheul furchterregend anhörte.
Nach Xuanzangs monatelangem Aufenthalt in dieser Oase stattete der König ihn grosszügig für seine weitere Pilgerreise aus.
Er hatte verschiedene Kleidungsstücke, die einem solchen Klima angemessen waren, wie Gesichtsschutz, Handschuhe, Lederstiefel und anderes, mehr. Überdies schenkte er ihm hundert Goldunzen und drei Myriaden Silberstücke, fünfhundert Rollen Atlas und Taftstoffe, genug für den Hin und Rückweg des Meisters während zwanzig Jahren. Er gab ihm auch dreissig Pferde und vierundzwanzig Diener mit auf den Weg.
Das Gold, Silber, der Satin und der Taft waren für die Könige und Khans bestimmt, die er auf seinem Reiseweg antreffen
würde. Noch wichtiger waren die vierundzwanzig Briefe des Königs, die dieser ihm für die vierundzwanzig verschiedenen Königreiche mitgab. Der König von Turfan bat darin die anderen Herrscher, Xuanzang durch ihr Territorium zu führen und ihm Relaispferde zu gewähren. Und schliesslich befahl er einem seiner Offiziere, Xuanzang bis zum Grosskhan der westlichen Turkstämme zu eskortieren.
In seinem Brief an den Grosskhan verlieh der König von Turfan seiner Hoffnung Ausdruck, dass dieser Xuanzang gegenüber »dasselbe Wohlwollen entgegenbringt wie dem Sklaven, der diese ehrerbietigen Zeilen schreibt«.5 Das Verhältnis der beiden Monarchen war eindeutig. Der König von Turfan war ein Vasall des Khans und besass ein Anrecht darauf, für seinen neuen Freund Schutz anzufordern — ein mittelalterlicher Ver haltenskodex, der in Asien ebenso gegolten zu haben scheint wie in Europa.
Xuanzang war von dieser Grossherzigkeit überwältigt.
Angesichts dieser Gunstbeweise fühle ich mich beschämt und weiss nicht, wie ich meine Dankbarkeit ausdrücken soll. Selbst der Überfluss des ChiaoFlusses ist nicht vergleichbar mit Eurer Freundlichkeit, und Eure Gunst ist gewichtiger als die Berge der PamirKette. Jetzt habe ich keine Furcht mehr, die Hängebrücke über den gefährlichen Eisflu ss zu überqueren, und es wird nun Zeit, zum Land der Himmlischen Leiter und des BodhiBaumes aufzubrechen. Wenn ich mein Ziel erreiche, wem verdanke ich dann meine Leistung? Niemand anderem als Eurer königlichen Gunst.
Xuanzang hatte mehr Recht, als er wusste, denn das Reich der westlichen Turkvölker dehnte sich zu dieser Zeit vom AltaiGebirge in der ehemaligen Sowjetunion bis zum heutigen Afghanistan und Pakistan aus.
Dieser Schutz reichte sogar noch weiter, denn der Herrscher, der von Kunduz im heutigen Afghanistan aus regierte, war zugleich Sohn des Khans und Schwiegersohn des Königs von Turfan. Der Mönch, der sich heimlich aus China davongemacht hatte, als ein Haftbefehl auf seine Person ausgestellt war, genoss jetzt ein völlig anderes Ansehen; sämtliche Kleinkönige der Wüstenoasen, sämtliche Herrscher der westlichen Turkvölker standen nun zu seinen Diensten.
Von Turfan aus reisten der Pilger und seine nunmehr grosse Karawane 300 Kilometer in Richtung Südwesten nach Karashahr (Yanqi), wobei er über eine wegen ihrer Silberminen berühmte Bergkette zog. An der anderen Seite der QoltagBerge musste seine Gruppe sich mit Räuberbanden herumschlagen; Xuanzangs Leuten gelang es, die Banditen zu bestechen und zum Rückzug zu bewegen; die Karawane vor ihnen war bis auf den letzten Mann dezimiert worden. Nach diesen Gefahren erreichte Xuanzang das bemerkenswerte, blühende Königreich Karashahr. Zu einer bestimmten Zeit war die Anzahl der Grotten in dieser Gegend, die man in buddhistische Heiligtümer umgewandelt hatte, so gross geworden, dass die Gegend Mingoi »1000 Höhlen« genannt wurde. Laut Xuanzangs Bericht gab es zehn Klöster mit insgesamt annähernd zweitausend Mönchen, die sich zum HinayanaBuddhismus bekannten.
Trotz eines herzlichen Empfangs verbrachte der Pilger nur eine einzige Nacht dort und setzte seine Reise nach Kucha ohne weiteren Verzug fort. Xuanzang beschrieb den König als mutig, dünkelhaft und bar aller praktischen Fertigkeiten. Diese Beschreibung wurde durch die Aktion des Kaisers Taizong im Jahr 643 unterstrichen. Als der König von Karashahr heimlich seine Pflicht und Loyalität China gegenüber aufkündigte, wie es zuvor der König von Turfan gehalten hatte, schickte der Kaiser eine Armee, um das Königreich zu besetzen und den König gefangenzunehmen:
DIE KLÖSTER IN KUCHA (KUQA)
Von Karashahr aus folgte Xuanzang der historischen Route entlang den Ausläufern des TianshanGebirges. Wie zuvor bereits schon der König von Turfan, so zog auch der Monarch aus Kucha in Begleitung seiner höchsten Offiziere und der Mönche des Bezirks dem jungen Pilger entgegen. Der Herrscher von Kucha war ein frommer Buddhist und zu jener Zeit sehr darauf bedacht, die Gunst der Chinesen zu gewinnen, so dass es nur natürlich erschien, dass er Xuanzang einen herzlichen Empfang bereitete.
Im Unterschied zum König von Turfan allerdings stammte der König von Kucha nicht von den Chinesen ab, noch ähnelte er einem Chinesen . Seine Haare waren rot und seine Augen blau. Auch scheint er nicht das feurige Temperament des Königs von Turfan besessen zu haben. Das elegante königliche Paar, das den chinesischen Pilger begrüsste, war der Rasse und dem Erscheinen nach charakteristisch für den indoeuropäischen Menschenschlag. Xuanzang beschrieb den König als einen Mann von schwachem Intellekt, der unter dem Einfluss seiner Minister stand. Kurz nach der Durchreise des Pilgers 630 schickte der König dem TangKaiser einen Tribut an Pferden und erhielt im Austausch dafür eine kaiserliche Urkunde über seine Amtseinsetzung. Später bewies derselbe Monarch seinen Mangel an politischer Weisheit, als er auf die chinesische Oberhoheit zugunsten einer Allianz mit den Turkstämmen verzichtete. 648 marschierten die Chinesen in sein Land ein und nahmen ihn gefangen. Kucha war vielleicht das wichtigste Königreich in Zentralasien. Xuanzang zeigte sich von dessen Wohlstand und dem Glanz seiner Zivilisation wie auch seiner Grösse beeindruckt.

Porträts des Königs und der Königin von Kucha. Das Königspaar, das Xuanzang im Jahr 630 willkommen hiess.
Dieses Land erstreckte sich über1000 li von Ost nach West und über 600 li von Nord nach Süd; der Umfang der Hauptstadt betrug 1718 li... Im Land wuchsen Hirse, Weizen, Reis, Weintrauben, Granatäpfel und reichlich Birnen, Pflaumen, Pfirsiche und Aprikosen. Es förderte auch Gold, Kupfer, Eisen, Blei und Zinn: sein Klima war gemässigt, und die Menschen verhielten sich ehrlich; ihre Schrift hatten sie aus Indien übernommen, aber auch stark abgewandelt; im Umgang mit Blas und Saiteninstrumenten verfügten sie über ein grosses Geschick.
Am chinesischen Kaiserhof beschäftigte man tatsächlich ein Orchester aus Kucha, und während der gesamten TangPeriode spielte es bei kaiserlichen Festen auf. »Selbst die Namen ihrer Lieder sind uns überliefert worden: >Die Begegnung des siebten Abends<, >Die Jadefrau lässt den Becher kreisen<, >Der Blumenwettstreit<, >Das Spiel vom Verstecken der Agraffe< und so weiter.«
Ein herrliches Fresko eines Musikers und einer indischen Göttin in den Höhlen von Kizil verbreitet einen solchen Charme und eine solche Faszination, dass man der Legende glauben möchte, der zufolge die Melodien der Tokharischen Musiker den Klängen eines Wasserfalls entnommen wurden. In Kizil sind noch viele andere Fresken erhalten, in denen fliegende apsaras — ähnlich unseren Engeln — auftauchen, die Musikinstrumente spielen, sowie Götter und Musiker, die Flöten, Oboen und viersaitige Lauten spielen.
Neben seinem kulturellen Reichtum scheint Kucha ein bedeutendes buddhistisches Zentrum an der nördlichen Seidenstrasse gewesen zu sein. Xuanzang verweist darauf, dass zu beiden Seiten des westlichen Stadttors je eine über 27 Meter hohe buddhistische Statue stand. Einen Monat vor und einen Monat nach dem Herbstäquinoktium versammelten sich dort zahlreiche Menschen zu zehn Tage dauernden religiösen Feiern und buddhistischen Predigten. Alle Bergbewohner der Gegend nahmen an einer ausgefeilten »Prozession der Statuen« teil, bei denen reich verzierte BuddhaStatuen auf Flössen befördert wurden, die mit kostbaren Substanzen geschmückt oder mit Seidenstoffen bekleidet waren. Xuanzang besuchte zwölf Klöster in Kucha, und in diesem Königreich, so berichtet er, lebten nicht weniger als fünftausend Mönche.
Unter den besonders berühmten Klöstern erwähnt Xuanzang einige namentlich, so das Kloster Ascharya: »Vierzig /i nördlich der entvölkerten Stadt an den Berghängen und durch einen Fluss getrennt lagen zwei Klöster, die denselben Namen Chaohuli (Zhaohuli) trugen und als östliches und westliches bezeichnet wurden. Die Statuen des Buddha in diesen Klöstern waren fast jenseits aller menschlichen Fertigkeiten schön zu nennen: und die Brüder nahmen es mit der Disziplin peinlich genau und waren aufopferungsvolle Enthusiasten.«")
Zahlreiche Stupas, Bethallen und TausendBuddhaGrotten drängen sich in der Altstadt Subashi, einem Ort von etwa einem Hektar Grösse, der zwanzig Kilometer nördlich von Kucha liegt. Die Altstadt Subashi erstreckt sich am östlichen und westlichen Ufer des KuchaFlusses und ist vermutlich jenes Zhaohuli, das Xuanzang so sehr angeregt hat.
Die grossen Schneemengen auf den hohen Pässen des TianshanGebirges, das sich nördlich der Oase aufbaut, zwangen den Pilger in jenem Jahr, sich zwei Monate länger als vorgesehen in Kucha aufzuhalten. Die Klöster, die in der Nähe wie die Perlen auf einer Schnur aufgereiht sind, hat er wahrscheinlich besucht.
Nach einer Kletterpartie, die steile YanshuiSchlucht hoch und dann weiter in westlicher Richtung, gelangt man nach etwa 60 Kilometern zu den 256 Höhlengrotten von Kizil. Die Leute aus der Gegend nennen das Höhlenensemble die HohenTausendBuddhaHöhlen. In den wilden Schluchten des MuzartFlusses waren die Höhlen durch Gänge im Innern miteinander verbunden, und aus dem weichen Sandstein des Berges hatte man Stufen ausgehöhlt. Ein dramatisches Foto der deutschen Expedition Le Coqs von einer Mönchszelle aus zeigt eine etwa gleiche Landschaft wie jene, die 1300 Jahre zuvor Xuanzang gesehen haben muss.
Auch sonst hat sich wenig verändert. Die Öffnungen zu den alten Beträumen haben Dunkelheit und Licht wie damals: Dunkelheit, da Licht nur durch den Ausseneingang in die Grotten gelangt oder durch Fackeln; und das Licht vereinigt sich wegen des eigenen Glanzes des blauen Lapislazuli, des Kupfergrüns und des Kalkweiss zu hellen und gefälligen Mustern.
Der in Kucha praktizierte Buddhismus zur Zeit von Xuanzangs Besuch war der HinayanaBuddhismus, obwohl Kucha als Geburtsort von Kumarajiva (344415) bekannt war, einem der grössten Übersetzer des 1V"\hayanaBuddhismus. Dieser Gelehrte aus Kucha war so überragend, dass man ihn nach Chang'an berief, wo er zehn Jahre lang mit einer Übersetzergruppe arbeitete und einige der wichtigsten buddhistischen Schriften ins Chinesische übertrug, ganz besonders den Lotus des Wahren Gesetzes.
Zwei Tage, nachdem er Kucha verlassen hatte, entkam Xuanzang nur knapp einer anderen Gefahr, als seine Karawane auf eine Bande mit zweitausend turkstämmigen Banditen stiess. (War dies eine poetische Umschreibung oder tatsächlich ein Kontingent marodierender Stammesangehöriger auf freiem Fuss?) Zum Glück stritten sich die Wegelagerer um die Beutestücke aus einem früheren Raubzug und zeigten sich an Xuanzangs Gruppe weniger interessiert. Endlich erreichte er die Oase Aksu, die in vielerlei Hinsicht Kucha ähnelte.
DAS TIANSHANGEBIRGE
Von Aksu aus machte sich Xuanzangs Gruppe auf den Weg ins TianshanGebirge. Sie stiegen in der Nähe des riesigen, 7200 Meter hohen Gipfels Tengri Khan auf und überquerten die Gebirgskette des Tianshan am BedalPass, dessen Abhänge mit Gletschern bedeckt waren.
 
Diese Berge sind steil und gefährlich und reichen bis an die Wolken heran. Seit den Tagen der Schöpfung hat sich hier der ewige Schnee in Gletschereis verwandelt, das weder im Winter noch im Sommer schmilzt. Die hartgefrorenen und kalten Schichten steigen bis zu den Wolken und vermischen sich mit ihnen; sieht man zu ihnen hinauf, werden die Augen vom grellen Widerschein so stark geblendet, dass man sich abwenden muss. Die Eisbrocken fallen manchmal herunter und liegen quer über dem Weg, manche zuweilen bis zu dreissig Meter hoch."
Die heftigen Schneefälle, die sie zwangen, ihre 60 Kilometer lange Überquerung des Gebirges aufzuschieben und in Kucha abzuwarten, hätten ihnen als Warnung dienen sollen. Die späteren Ereignisse bewiesen, dass sie zu früh losgezogen waren.
Xuanzangs Beschreibung der Eisberge, die in den Himmel aufragten, und der Eisspitzen, die zuweilen herabstürzten, liefern Hinweise dafür. Sie benötigten ganze sieben Tage, um den BedalPass zu überqueren, einen der wichtigsten Pässe, den die westlichen Turkstämme benutzten, um mit ihren Schutzgebieten im TarimBecken Kontakt zu halten. Hier verlor Xuanzang drei oder vier Männer, ein Drittel seiner Leute und eine grössere Zahl Ochsen und Pferde. Weder im HindukuschGebirge in Afghanistan, wo sein ganzer Zug sich verirrte und gerettet wurde, noch im PamirGebirge, wo er einen 4900 Meter hohen Pass überquerte, erlebte er eine grössere Katastrophe.
Auf der nördlichen Seite der Berge ruhte die dezimierte Karawane am IssykkulSee aus, dem sogenannten »warmen See«, der nie zufriert. Der Grosskhan der westlichen Turkvölker hatte diesen Ort zu seinem Winterlager erkoren. Die Sommerresidenz des Khans befand sich in Taschkent (Cheshih), doch er verbrachte viel Zeit im Tal des oberen YulduzFlusses.
Als Xuanzang und sein Zug an der Südseite dieses 180 mal 58 Kilometer grossen Binnensees vorüberzogen, notierte der Pilger:
An allen Seiten ist er von Bergen umgeben, und verschiedene Ströme ergiessen sich in ihn und gehen in ihm auf. Die Farbe des Wassers ist von einem bläulichen Schwarz; es schmeckt herb und salzig. Die Wellen dieses Sees sind wild. Drachen und Fische bewohnen ihn gemeinsam. Bei bestimmten Gelegenheiten steigen Monster an die Oberfläche, bei denen die vorüberziehenden Reisenden ihre Bitten um ein gutes Schicksal gen Himmel schicken.'
Xuanzang als Mann des siebten Jahrhunderts glaubte an Bergzeister, Wüstendämonen und Drachen im See.
BEGEGNUNG MIT DEM GROSSKHAN
n. Chr. begegnet Xuanzang dem Grosskhan der westlichen Turkvölker in Tokmak, dem heutigen Kirgistan, an der nordwestlichen Seite des Sees. Damals stand der Grosskhan mit dem TangKaiser auf einem freundschaftlichem Fuss. Drei Jahre zuvor hatte er dem Hof von Kaiser Taizong einen mit Juwelen verzierten goldenen Gürtel und fünftausend Pferde geschenkt. In den früheren Jahren der Regierungszeit von Kaiser Taizong war es den westlichen Turkvölkern gelungen, weite Gegenden zwischen dem chinesischen Reich und Persien und von Kaschmir im Süden bis zum AltaiGebirge im Norden zu kontrollieren.
Zur Zeit von Xuanzangs Besuch hatte der Grosskhan den Zenit seiner Macht erreicht. Nach seiner Rückkehr von einem Jagdausflug empfing der Khan Xuanzang herzlich. Dieser Nomadenherrscher, der in gewisser Weise an Dschingis Khan erinnerte, trug ein Gewand aus grüner Seide, und sein loses Haar hielt er mit einem gut drei Meter langen Silberband in Zaum, das er um den Kopf gewickelt hielt und den Rücken hinunterfallen liess. Etwa 200 Offiziere umringten ihn, alle mit Brokatkleidern angetan und geflochtenen Haaren. Zur Rechten wie zur Linken war er von unabhängigen Schwadronen flankiert, deren Krieger sämtlich in Pelze gehüllt waren und geflochtene Haare trugen; sie führten Lanzen und Bogen und Standarten mit sich und ritten auf Kamelen und Pferden. Das Auge konnte ihre Zahl nicht schätzen."
Der Pilger übergab den entsprechenden Brief und die Geschenke des Königs von Turfan. Seine Gruppe wurde in die Jurte des Khans zum Feiern eingeladen, ein grosses Zelt, verziert mit Ornamenten aus goldenen Blumen (Ta kwan), die das Auge mit ihrem Glanz blendeten. Die Offiziere hatten sich in zwei Reihen auf langen Matten niedergelassen; sie trugen glänzende Kleider aus bestickter Seide. Die Leibwache des Khans stand hinter ihm. Obwohl er nur über eine umherziehende Horde herrschte, lag angesichts dieser zeremoniellen Umstände eine gewisse würdevolle Anordnung über dieser Umgebung24
Hier äussert sich Xuanzang etwas herablassend, ganz so, als wäre er als zivilisierter Chinese überrascht, dass diese Nomaden sich nicht halb so ungeschlacht benahmen, wie er erwartet hatte."
Vor den Gästen wurden Hammelviertel und gekochtes Kalbfleisch aufgetürmt. Alle ausser Xuanzang sprachen reichlich dem Wein zu, und alle genossen die lauten, klirrenden Akkorde der Musik. Besondere Reiskuchen, Sahne, Stutenmilch, Kristallzucker, Honig und Trauben wurden für den Pilger aufgetragen, dessen religiöse Gelübde ihm den Fleischverzehr verboten. Am Schluss des aufwendigen Banketts bat der Khan ihn, die »Gelegenheit zu verbessern«, indem er die buddhistische Lehre erläutere. In dieser Umgebung und vor einer solchen Gesellschaft eine schwierige Aufgabe! Der Pilger sprach von der Notwendigkeit der Liebe zu allen lebenden Geschöpfen und dem religiösen Leben, das zur endgültigen Erlösung führe. Der Khan war offensichtlich beeindruckt.
Der Buddhismus war für den Khan kein vollkommenes Neuland, denn ein indischer Mönch hatte einige Jahre zuvor versucht, ihn zum Buddhismus zu bekehren." (In AkBeshim, unweit im Südwesten Tokmaks gelegen, haben sowjetische Archäologen zwei Schreine ausgegraben, die dem siebten oder achten Jahrhundert zugeschrieben werden können.17)
Da der Khan Gefallen an Xuanzang gefunden hatte, versuchte er ihn davon abzubringen, nach Indien weiterzuziehen. »Es ist ein solch heisses Land, wo die Menschen wie die Wilden ohne Anstand herumlaufen.« Es gab zwischen beiden einen freundlichen Meinungsaustausch, ohne Androhung von Gewalt wie beim König von Turfan. Xuanzang erwiderte, dass er trotz allem entschlossen sei, weiterzuziehen und der heiligen Spuren ansichtig zu werden und sich ernsthaft auf die Suche nach dem Gesetz, also den Schriften, zu machen. Da suchte der Khan einen chinesischen Soldaten aus, der Xuanzang ein Stück des Weges begleiten sollte. Ebenfalls gab der Khan ihm Empfehlungsschreiben für die Fürsten der Region Gandhara — Teil des heutigen Afghanistan und Pakistan — mit auf den Weg, die seine Vasallen waren. Er schenkte Xuanzang fünfzig Seidenstücke und einige Kleider aus rotem Satin. Wie bereits zuvor die Könige von Turfan und Kucha, so liessen der Khan und seine Offiziere es sich nicht nehmen, ihn mit ausgesuchter asiatischer Höflichkeit einige Meilen auf seiner neuen Etappe zu eskortieren.
Xuanzang überquerte die Ebene nördlich der Alexandrianischen Berge, wo die neun Flüsse, die den Chu alimentieren, und die zehn Flüsse, die dessen Nebenfluss Kuragati versorgen, ihren Ursprung haben. Auch heute noch heisst diese Gegend 130 Kilometer westlich Tokmaks das »Land der tausend Quellen« ( Bingyul) .
Auf all seinen Reisen durch die zentralasiatischen Turkgebiete, besonders durch jene Gebiete, in denen persische und Turkvölker lebten, die sich später zu Zentren der Teppichweberei entwickelten, erwähnte Xuanzang mit keinem Wort etwas von der Herstellung von gewebten oder geknüpften Teppichen. Xuanzangs realistische und ausführliche Beschreibungen des Grosskhans und des nomadischen Lebens in Zentralasien liefern den entscheidenden Beweis dafür, dass die Nomaden damals nur Fellvorleger herstellten.'
Taschkent (Cheshih), die Hauptstadt des heutigen Usbekistan, war der nächste bedeutende Ort, den er besuchte. Vermutlich überquerte er den berühmten Syrdarja (Jaxartes) beim heutigen Dorf Chinaz. Schliesslich musste Xuanzang noch den östlichen Ausläufer der Roten Sandwüste durchqueren, um nach Samarkand zu gelangen. Er empfand sie als sandiges Ödland: »Nordwestlich davon betreten wir eine grosse, sandige Wüstenei, wo weder Wasser noch Gras vorhanden ist. Der Weg verliert sich in der Einöde, die unendlich erscheint, und nur indem wir uns nach irgendeinem grossen Berg richten und an die überall verstreuten Knochenüberreste halten, können wir die Richtung erahnen, die wir einhalten müssen.«" Zweihundertfünfzig Kilometer Einsamkeit... Ziel des Pilgers war die goldene Oase Samarkand, der am weitesten westlich gelegene Ort seiner Reise.
Viele Dichter aus dem Westen, wie Milton, Keats und Edward Fitzgerald, haben sich vom Rhythmus des Wortes Samarkand bezaubern lassen, und im 19. Jahrhundert hat James Flecker es in seinem Buch The Golden Journey to Samarkand romantisiert.
Wir sind die Pilger, Herr; wir werden
Stets etwas weiter gehen; es mag
Jenseits dieses letzten Berges mit dem Schnee sein...
Süss ist es abends, von den Brunnen wegzureiten, Wenn Schatten riesengross über den Sand huschen. Und sanft erklingen in der Stille die Glocken Auf dem goldenen Weg nach Samarkand.
Nicht um des Handels willen allein reisen wir; Heisse Winde fächeln unsere glühenden Herzen. Wir machen die goldene Reise nach Samarkand.'

Reiseweg Xuanzangs in Afghanistan.(von Samarkand nach Jalalabad)


Die Strassen Samarkands,' eine einzige Sinfonie aus Klängen — Pferdegetrappel, Kamelglöckchen und Karren, die sich ächzend auf schlammigen Strassen vorwärts schieben. Der Geruch von Weihrauch, Nelkengewürz, Zimt, CurryGewürzen in runden Säcken, Urin, gekochtem Lammfleisch, das in riesigen Pfannen köchelt, und dazu eine stets sich drängelnde Menschenmenge. Für Xuanzang, der an den Anblick von Männern mit kleinen Nasen, bartlosen Gesichtern und mandelförmigen Augen gewöhnt war, handelte es sich bei den Männern in den Strassen und im Basar zweifelsfrei um ausländische Händler.2 In Chang'an und in den Oasen entlang der Seidenstrasse hatte er bereits einige hakennasige Männer erblickt, hinter deren Bärten die Gesichter nicht mehr zu erkennen waren und deren Augen das Aussehen von blauem, grünem oder grauem Glas besassen.
In Samarkand, so bemerkte Xuanzang, »fand sich Handelsware aus zahlreichen Ländern, und die Kunstfertigkeit der Handwerker scheint jener in anderen Ländern überlegen zu sein«. Karawanen mit Edelsteinen, Gewürzen und Baumwolle aus Nordindien stiessen auf solche mit Seide und Metallwaren aus China, die sich auf dem Weg westwärts nach Persien und sogar bis nach Rom befanden. Bärtige Nomaden aus den Steppen weiter nördlich führten Pelze, Vieh und Felle mit sich, um mit ihnen an diesem bedeutenden Umschlagplatz der Seidenstrasse zu handeln.

DER KÖNIG VON SAMARKAND
Obwohl der König von Samarkand ein Vasall des Grosskhans der westlichen Turkvölker war, stammte die lokale Kultur vom sassanidischen Persien ab (226637 n. Chr.). Die Sprache in Samarkand, das Sogdische, war mit dem Persischen verwandt; die Religion des Königs und der Menschen ähnelte dem Zeroastrismus der Nationalreligion im sassanidischen Persien. Zwei buddhistische Klöster existierten hier, standen jedoch schon lange vor dem Eintreffen Xuanzangs und seiner Karawane leer. Huili berichtet, dass zwei der jüngeren Begleiter Xuanzangs, als sie sich zum Beten dorthin begaben, von den das Feuer verehrenden Zoroastrianern mit brennenden Holzscheiten verfolgt wurden. Als dem König dieser Zwischenfall zu Ohren kam, ordnete er an, dass man den Verfolgern beide Hände abhacke. Xuanzang konnte den Gedanken nicht ertragen, dass diese Männer verstümmelt werden sollten, und verwandte sich für sie, so dass der Urteilsspruch abgemildert wurde und man sie statt dessen auspeitschte und aus Samarkand vertrieb.
Xuanzang beschreibt den König von Samarkand als mutigen Mann mit einem starken Heer, der von seinen Nachbarstaaten geachtet wurde. Das Verhältnis des Königs zu Xuanzang scheint sich im Laufe seines Aufenthaltes verändert zu haben. Zu Beginn zeigte sich der König offen unfreundlich, aber nachdem er am zweiten Tag Xuanzangs Predigt gehört hatte, war der König so beeindruckt, dass er Xuanzang erlaubte, eine Versammlung einzuberufen, bei der er mehrere Mönche weihte. Möglicherweise ist dies ein überzogener Bericht von Xuanzangs Einfluss, oder es mag auf Seiten des Königs den Wunsch verdeutlichen, den Pilger dadurch zu beeindrucken, dass er sein Königreich stärker China zuwenden und mit dem türkischen Protektorat brechen wollte. Tatsächlich schickte der König 631 eine Botschaft an China, in der er darum bat, als Vasallenstaat anerkannt zu werden. Kaiser Taizong lehnte es ab, diesem Ansinnen zu entsprechen; statt dessen nahmen beide Länder diplomatische und Handelsbeziehungen auf.
Der Pilger wandte sich nun nach Süden. Er kam durch Schahrischäbs (Kasch), wo eines Tages der Eroberer Tamerlan einen grossen Palast erbauen sollte. Dann machte er sich erneut in die Berge auf, diesmal in einen Ausläufer des Pamirmassivs. Nach zwei oder dreitägigem Marsch durch zerklüftetes Gelände in Richtung Südwesten begann der Anstieg zum berühmten Pass namens Eisentor, der 15 Kilometer westlich des heutigen Derbent liegt und die Grenze des Reichs der westlichen Turkvölker anzeigt. Dieser wohlbekannte Engpass war zu beiden Seiten von hohen, steil aufragenden Felswänden eingerahmt. »Der Weg ist eng, was zu den Schwierigkeiten und den Gefahren noch hinzukommt. Zu beiden Seiten steigt eine eisenfarbene Felswand hoch. Hier haben sie doppelte Holztore aufgestellt, die mit Eisen verstärkt und mit vielen Glocken behängt sind«, berichtet Xuanzang.3
Dann wandte er sich genau nach Süden wieder dem Fluss Oxus zu, der im PamirGebirge entspringt und sich dann nach mehr als 2250 Kilometern in den Aralsee ergiesst. Er hielt sich am Nordufer des Flusses und legte in Termez eine Pause ein. Dort begegnete er erneut blühendem Buddhismus. Er bemerkte, dass es dort mehr als tausend Mönche gab.4
Xuanzangs Beobachtungen sind in Bezug auf die buddhistischen Gebäude, die sowjetische Archäologen in der Umgebung von Termez oder, umfangreicher, im SurkhandarjaTals entdeckt haben, von besonderem Interesse. Weiter östlich liegt am Adzhinatepe, einem der Nebenflüsse des Oxus in Tadschikistan, das wichtigste buddhistische Kloster, das man bisher in Zentralasien entdeckt hat. Neben einer grossen Sammlung buddhistischer Reliquien gibt es dort einen in der Endstellung des parinirwana liegenden Buddha, was den am weitest entfernt liegenden Punkt markiert, den der Buddhismus auf seinem Weg von Indien nach Westen erreicht hat.

   

VERGIFTUNG IN KUNDUZ
Während seiner langen Reise konnte Xuanzang sich die zahlreichen Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Khans und den Königen entlang der Seidenstrasse zunutze machen. Daher schlug er eigens einen Umweg ein, nachdem er den Oxus überquert hatte, um in Kunduz (im heutigen Afghanistan) einen Halt einzulegen. Er hatte einen Brief für den herrschenden Fürsten Tardu in Kunduz von dessen erstem Herrn, dem König von Turfan, bei sich. Es muss sich um einen warmherzigen Brief gehandelt haben, denn der König von Turfan schrieb an seinen Schwager. Fürst Tardu war zugleich der älteste Sohn des Grosskhans der westlichen Turkvölker, denen der Fürst erst engst in deren Jagdquartier in der Nähe Tokmaks einen Besuch abgestattet hatte.
Doch Xuanzang traf zu einer ungelegenen Zeit ein.
 
Die Gemahlin des Fürsten Tardu war gestorben, und der König war in Trauer. Was folgte, wäre einer griechischen Tragödie würdig gewesen. Fürst Tardu heiratete bald die jüngste Tochter des Königs von Turfan. Diese heimtückische neue Königin fädelte mit einem königlichen Prinzen, einem Sohn aus erster Ehe, eine heimliche Liebesaffäre ein. Während Xuanzangs Aufenthalt vergiftete sie Fürst Tardu und rief ihren Liebhaber zum neuen Herrscher über Kunduz aus. Von diesem Mord anscheinend ungerührt, verweilte Xuanzang noch länger und wohnte dem hinausgezögerten Begräbnis sowie der Heiratszeremonie bei.
Dank dieser Verzögerungen lernte er einen Mönch namens Dharmasimha kennen, der bereits in Indien gewesen war. Xuanzangs Biograph berichtet, sein Held habe sich danach erkundigt, wie viele Schriften und Abhandlungen Dharmasimha bekannt waren. »Ich kann Euch jede, die Ihr wünscht, erklären«, soll der Mönch in Kunduz geantwortet haben. Xuanzang beschränkte sich darauf, sich nach den Abhandlungen zu erkundigen, von denen er annahm, dass der Mönch sie kannte, und musste feststellen, dass es diesem schwerfiel, sie zu erklären. Dharmasimhas Jünger waren über die Befragung bestürzt, doch zu seinem Glück »hielt er darin nicht inne, den Meister zu preisen, indem er wiederholte, dieser sei ihm bei weitem überlegen«.
BESUCH DER STUPAS IN BALKH
Fürst Tardu war ein frommer Mann, und kurz vor seinem Tod hatte er Xuanzang empfohlen, einen Umweg einzuplanen, um Balkh mit seinen zahlreichen religiösen Denkmälern zu besichtigen. In Begleitung einiger Mönche, die aus Balkh gekommen waren, um an den Begräbnisfeierlichkeiten für den Fürsten von Kunduz wie auch zur Amtseinführung des neuen Herrschers teilzunehmen, zogen sie 160 Kilometer westwärts nach Balkh durch Taschkurghan. Sie erkannten, wie gross die gut befestigte Stadt Balkh war — ihr Umfang mass 20 /i.7
   
Xuanzang, dem der unzugängliche Charakter der Stadt und ihrer Umgebung auffiel, notierte dennoch, »in Wahrheit ein ausgezeichnetes Land«. Die Ebenen und Täler waren äusserst fruchtbar. Dort gab es hundert Klöster und dreitausend Mönche, die sich zum Hinayana, dem Kleinen Fahrzeug, bekannten. Überdies waren ausserhalb der Stadt trotz zahlreicher Überfälle von diversen fremden Invasoren zahlreiche Zeugen der Vergangenheit erhalten geblieben.
Balkh war bereits eine Stadt von ehrwürdigem Alter, als Alexander der Grosse sie 329327 v. Chr. zu seinem Hauptquartier erkor. In den frühen Jahrhunderten unserer Zeitrechnung blühte der Buddhismus in dieser Gegend, die dem heutigen Afghanistan entspricht, besonders während des KushanReiches (1. bis 3. Jahrhundert n. Chr.).8 Nach dem Zusammenbruch dieses Reiches entstanden mehrere Teilreiche, und in Zeiten des Wohlstands verschönerten die Könige ihre Residenzstädte mit Tempeln, Klöstern und Stupas. Sowohl die Höhlen in Bamiyan als auch die tausend Stupas in Hadda entstanden zwischen dem dritten und fünften Jahrhundert. Dann fielen die Weissen Hunnen (455470?) in das Land ein und eroberten auf ihrem Weg nach Indien Gandhara (das östliche Afghanistan und Teile Pakistans). Möglicherweise hat Xuanzang das Ausmass ihrer Zerstörungswut übertrieben; als er im siebten Jahrhundert durch die Gegend zog, hatten zuvor Überschwemmungen, ein allgemeiner Niedergang der wirtschaftlichen Blüte und — vielleicht am bedeutsamsten — ein allumfassendes Wiederaufleben des Hinduismus das Land geschwächt.'
Laut Xuanzang brachten zwei reiche Händler namens Trapusa und Bhallika den Buddhismus nach Balkh. Nordwestlich der Stadt lagen zwei buddhistische Heiligtümer oder Stupas, die mit diesen beiden nomadisierenden Händlern in Zusammenhang gebracht wurden. »Zu jener Zeit teilten zwei Hausinhaber, die ihm in seinem majestätischen Ruhm begegneten, mit ihm ihren Reiseproviant, getrocknetes Getreide und Honig. Bhagavat [Buddha] legte ihnen auseinander, was Menschen und Devas [Götter] zum Glück führe, und diese beiden Hausinhaber waren die ersten, die von den Fünf Geboten und den Zehn Tugenden hörten. Nachdem ihnen der religiöse Unterricht zuteil geworden war, erbaten sie von ihm etwas, das sie anbeten konnten.«'° Buddha schenkte ihnen etwas von seinem Haar und seine Nagelspäne. Die beiden Männer, die sich auf dem Rückweg in ihre Heimat befanden, baten inständig um eine Regel und ein Schema für ihre andächtigen Verrichungen. Daraufhin nahm Buddha drei seiner Kleider, faltete sie rveimal nacheinander, legte eins nach dem anderen auf den Boden, das grösste zuunterst und das kleinste obenauf. Alsdann legte er seine Bettelschale umgekehrt auf seinen Kleiderhaufen. Schliesslich legte er noch seinen Bettelstab zuoberst und sagte: »So macht man einen Stupa!«
Diese Legende enthält eine wichtige Botschaft über die Frühzeit des Buddhismus und die besondere Gnade, die den Händlern zuteil geworden ist. Karawanenteilnehmer waren für die Verbreitung des neuen Glaubens wichtig; die beiden Händler aus der Legende hatten weit über 1600 Kilometer von Balkh ins heilige Land nach Indien zurückgelegt. Die Wahrheit aus dieser Erzählung wird durch die Geschichte bekräftigt, denn sowohl Händler aus Kushan als auch sogdische Karawanen aus Buchara und Samarkand verbreiteten die Botschaft des Buddhismus bis in die Wüstenoasen und nach China. Die sogdische Sprache entwickelte sich zur lingua franca des östlichen Endes der Seidenstrasse, und sowohl Sogder wie auch Parther aus Zentralasien gehörten zu den frühesten Übersetzern buddhistischer Texte ins Chinesische."
    
Stupa, einer der wichtigsten Formen innerhalb der buddhistischen Architektur
Diese neue Religion wurde nicht mehr mit der höchsten Kaste oder wie im Hinduismus mit den Brahmanen identifiziert, sondern sie stand allen offen. Die Händler, die nach Balkh zurückgingen und einen Stupa errichten liessen, sind auch ein Vorbild dafür, dass sie ihren materiellen Wohlstand für buddhistische Kunstwerke ausgaben. Schliesslich liefert diese Erzählung eine schlichte Darstellung vom Bau eines Stupa: Zuerst kommt der viereckige Grund, dann eine runde Kuppel und obenauf ein hoher Mast . Im Lauf der Jahrhunderte wurde die Form des Stupa komplexer: Mehrere Plattformen trugen die Kuppel, die Kuppel veränderte sich, die viereckige Einzäunung an der Spitze wurde immer grösser und kunstvoller ausgeführt, der Schaft wuchs, und die symbolischen Schirme vermehrten sich.
Der indische Herrscher Ashoka (3. Jahrhundert v. Chr.), der dritte Kaiser der MauryaDynastie, soll den StupaKult initiiert haben. Ähnlich der Bekehrung des römischen Kaisers Konstantin zum Christentum sechshundert Janre später, war die Bekehrung Ashokas zum Buddhismus von grosser historischer Bedeutung. Der Legende zufolge wurden acht Stupas benötigt, um die letzten Besitztümer und Hinterlassenschaften Buddhas einzuschliessen, weshalb Ashoka die Reliquien weiter aufteilte und 84.000 Stupas in den grössten Städten seines Herrschaftsbereichs errichten liess. Er glaubte, dass die Knochen des mensch_zhen Körpers aus 84.000 Atomen bestünden, und wünschte, dass jedes Atom von Buddhas Skelett einen Stupa zu errichten.' Es gibt Beweise dafür, dass eine umfangreiche Umverteilung der Deliquien unter Ashokas Oberaufsicht stattfand. Seitdem »bildet ein solches Mal überall in Asien einen fast unentbehrlichen Bestandteil jeder Kloster und Tempelanlage, sei es in der alten Form des indischen Stupa und seiner Varianten oder in der ostasiatischen Form der Pagode«."
Im Innern dieser Stupas, denen Xuanzang auf seiner Reise aller Orten begegnete, wurden die Reliquien Buddhas aufbewahrt. Die chinesischen Pilger bemerkten, dass die wertvollsten Reliquien gewöhnlich in kleinen Behältern aus Kristall oder Gold aufgehoben wurden; diese ihrerseits wurden in Kästen aus Stein oder in Tongefässen eingeschlossen, deren Wert immer geringer wurde.
Im allgemeinen nahm man von einer Reliquie an, sie enthalte einen heiligen Text oder eine kleine Statue, die Buddha darstellte. Stupas wurden auch zum Ruhm von Jüngern oder verehrten heiligen Männern oder zum Gedenken an wichtige Ereignisse im Leben Buddhas oder in seiner Präexistenz errichtet. Zur Andachtsübung an einem Stupa gehörte der alte indische Ritus, den Stupa nur in der Richtung des Sonnenlaufs zu umkreisen.
Ursprünglich waren Stupas Grabhügel oder Grabstätten. Ihre Form und Bedeutung entwickelte sich ständig weitet Die symbolische Darstellung ist unterschiedlich, doch nimmt man allgemein an, es handle sich um ein kosmisches Diagramm, bei dem die Kuppel den Himmel darstellt, die in ihrem Innern den Erdhügel beschirmt. Der hohe Schaft symbolisiert die Weltachse. Der Stupa steht auch für das Nirwana, Endziel und höchste Erfüllung aller Buddhisten.
Das Neue Kloster, in dem Xuanzang sich einen Monat lang aufhielt, war eines der prächtigsten Klöster der buddhistischen Welt.
Dies war das einzige buddhistische Gebäude nördlich des Hindukusch, in dem ein Meister den anderen ablöste, allesamt Kommentatoren des Kanons. Die BuddhaStatue in diesem Kloster war mit ausgesprochen kostbaren Substanzen verziert, und seine Hallen waren mit kostspieligen Raritäten geschmückt, so dass sie von den Oberhäuptern der verschiedenen Staaten aus Habgier geplündert wurden. Im Kloster befand sich eine Statue einer Vaisravana deva [Gottheit], die offenbar Wunder bewirkte und auf geheimnisvolle Weise dieses Gebäude beschützte.'
Dort begegnete er Prajnakara, einem genialen und gebildeten Mann, mit dem er sich vorteilhaft unterhalten und Texte des Hinayana lesen konnte. Zum ersten Mal nach seiner Abreise aus China fand Xuanzang einen buddhistischen Lehrer, den er respektierte, auch wenn der sich als Anhänger des HinayanaBuddhismus entpuppte. Sie fanden so sehr Gefallen aneinander, dass Prajnakara, als die Zeit zur Weiterreise gekommen war, ihn auf dem Weg nach Süden über den Hindukusch bis nach Bamiyan begleitete.
Nicht anders als die Soldaten Alexander des Grossen hatten auch sie mit allerlei Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Schneeverwehungen waren sechs bis neun Meter hoch, die schlimmsten, denen er je begegnet war. Obwohl Xuanzang nicht so viele Männer und Tiere verlor wie seinerzeit beim Überqueren des TianshanGebirges, scheint er doch mit einem nicht endenwollenden Schneesturm gekämpft zu haben: »Diese Berge ragen hoch empor, und die Hohlwege fallen tief ab; auf Berggipfeln und in Abgründen lauert die Gefahr. Wind und Schnee lösen sich unablässig ab, und selbst mittsommers ist es kalt. Der angehäufte Schnee türmt sich in den Tälern, und es ist schwierig, den Bergpfaden zu folgen. Berggötter und schelmische Kobolde schicken in ihrem Zorn riesige Erscheinungen los, und in den Bergen halten sich lauter Räuberbanden auf, die das Morden zu ihrem Geschäft gemacht haben.«
DER BUDDHA IN BAMIYAN
Xuanzangs Karawane behauptete sich gegen Schneestürme, Berggötter und Räuberbanden und erreichte schliesslich Bamiyan, eine Oasenstadt in der Mitte eines langgestreckten Tals, das den Hindukusch vom KohibabaGebirge trennt. Xuanzang beobachtete, dass auf den Feldern Sommerweizen angebaut war und es viele Blumen und Früchte gab. Es gab gutes Weideland für Schafe und Pferde her. Er notierte, dass die Menschen in Bamiyan Fellkleidung und solche aus grober Wolle trugen, die sie vor der Kälte schützten. Auch wenn deren »Manieren grob und unkultiviert waren«, so bewunderte er »ihren einfachen, aufrichtigen religiösen Glauben«.
Als die erschöpften Reisenden zum ersten Mal das Tal des Grossen Buddha vor sich sahen, muss es ihnen den Atem verschlagen haben — riesige Felsen aus sanften Pastellfarben und dahinter indigoblaue, mit Schnee bestäubte Gipfel, die sich bis auf 6000 Meter Höhe hinaufschraubten. Sie sahen die rötlichen Felsen in der schneidenden, glasklaren Luft; als sie näherkamen, konnten sie zwei gigantische BuddhaStatuen ausmachen, die in den aus dem Berg herausgehauenen Nischen standen. Als sie dicht davor standen, erkannten sie, dass die beiden Kolossalfiguren bemalt waren und deren Verzierungen glänzten; die kleinere war blau, die grössere rot bemalt, und ihre Gesichter und Hände waren vergoldet.
Als Xuanzangs Karawane in Bamiyan eintraf, wurde sie vom König begrüsst, der sie zu seinem Palast geleitete. Später führten Mönchskollegen Xuanzang durch ihr Tal. Er berichtet. dass es ein paar Dutzend buddhistische Klöster mit mehreren tausend Mönchen gegeben habe, die sich allesamt zu einer seltenen HinayanaSchule bekannten, deren Hauptdogma besagte, dass die Buddhas über den Gesetzen der Erde standen, eine Vorstellung, die sich vielleicht der Anschauung vom transzendenten Buddha im MahayanaPantheon annähert.
Auf dem steilen Berghang im Nordosten der Hauptstadt stand ein 42 bis 45 Meter hohes BuddhaStandbild aus Stein von glänzend goldener Farbe und strahlend mit Verzierungen aus kostbaren Substanzen. Im Osten lag ein buddhistisches Kloster, das ein früherer König hatte errichten lassen. Östlich davon erhob sich mehr als 30 Meter hoch ein SakyamuniBuddha ganz aus t'ushih [Bronze], dessen einzelne Teile man getrennt gegossen und zu einer Statue zusammengeschweisst hatte.
Diese beiden Buddhas, deren Antlitz nach Süden schaut, was ihnen die volle Sonnenwärme sichert, sind in Wahrheit 53 bzw. 38 Meter hoch. Sie stehen noch immer dort, auch wenn man sie übel zugerichtet hat. Die Quartiere der Mönche liegen zwischen diesen beiden Statuen.
Xuanzang nannte die grössere Statue »BuddhaStandbild« und die kleinere einen »Sakyamuni« oder historischen Buddha. Die Grösse der BuddhaStatuen diente später als Vorbild für andere Kolossalstatuen eines vergöttlichten Buddha in China und in Japan." Xuanzang beschrieb eine merkwürdige Sitte, der er bei dem grossen König Harsha in Indien wieder begegnete. Der König pflegte alle fünf Jahre eine Versammlung einzuberufen, in der er seine sämtlichen Besitztümer verschenkte, einschliesslich seiner Gemahlin, der Königin; danach waren seine Beamten verpflichtet, all seine Besitztümer bei den Mönchen wieder auszulösen. Von Bamiyan aus zog Xuanzang mit seiner Karawane westwärts und erklomm den 2987 Meter hoch gelegenen ShibarPass, über den man ins obere Tal des Flusses Ghorband gelangt. Er wurde von einem Schneesturm in den Schwarzen Bergen (dem heutigen PaghmanGebirge) überrascht und verirrte sich. Zu seinem Glück halfen ihm einige Jäger, dem sich windenden Tal des Ghorband bis zu jenem Punkt zu folgen, an dem dieser Strom mit dem Panjshir zusammentrifft. An dieser Einmündung ziehen sich nämlich die Berge zurück, und es breitet sich die schöne KapisaEbene aus.


Grundriss der Grottenkapellen in Bamiyan, Afghanistan, die um die 53 Meter hohe BuddhaStatue angeordnet sind.
VERBORGENE SCHÄTZE IN KAPISA
Von den mächtigen Gebirgsketten an drei Seiten eingefasst, liegt die KapisaEbene in einem der landschaftlich schönsten und historischsten Täler im heutigen Afghanistan. Ihre Hauptstadt Kapisi ist eine alte Stadt, die auf der archäologischen Stätte des Dorfes Bergram liegt. Obwohl sie sich etwa 65 Kilometer nördlich von Kabul befindet, liegt diese Ebene etwas tiefer. Heute blühen die Weizen, Mais und Sesamfelder in dieser wasserreichen Gegend, dazu Walnuss und Maulbeerbäume." Zu Xuanzangs Zeiten wuchsen dort »Getreide aller Arten und alle Obstbaumarten, Holz und Safran«. Welch bemerkenswerte Kontinuität nach so vielen Jahrhunderten!
Entsprechend der Bedeutung dieses wichtigen politischen, kommerziellen und künstlerischen Zentrums gab es in Kapisa einhundert Klöster mit mehr als sechstausend Mönchen, überwiegend dem Mahanaya zuzurechnen. »Ihre Stupas und sangharamas [Klöster] sind von imponierender Grösse und an erhabenen Orten errichtet, so dass sie von allen Seiten zu sehen sind und in ihrer Erhabenheit glänzen.« Im Königreich gab es ebenfalls zehn HinduTempel.
Der chinesische Pilger beschrieb die Menschen dort als grob und zur Gewalttätigkeit neigend, ähnlich den Bewohnern von Bamiyan. Der König, der dem Pilger ebenfalls entgegenzog, gehörte der Händlerkaste an. Xuanzang beschreibt ihn als einen intelligenten, mutigen Mann und gütigen Herrscher, dessen Macht sich über zehn Nachbarländer erstreckte.
Alexander der Grosse zog im Frühjahr 329 v. Chr. über die KapisaEbene. In Kapisi, der politischen Hauptstadt und dem Handelszentrum des Königreichs Kushan, entdeckten die von Joseph Hackin geleiteten französischen archäologischen Missionen 1939 den herrlichen Schatz von Begram. Die ausgedehnte Natur des Handels von Kushan mit der Aussenwelt hat sich in diesem Schatz niedergeschlagen: exquisit geschnitzte Elfenbeinarbeiten aus Indien, erlesene Lackarbeiten aus dem China der HanDynastie, ein unendlicher Reichtum an römischen Bronzen und — am erstaunlichsten — eine Glasvase mit der Darstellung eines der sieben Weltwunder der antiken Welt — dem berühmten Leuchtturm von Alexandria. Alles ist heutzutage im Museum in Kabul zu bestaunen. Dieser Schatz untetstteicht die Bedeutung Afghanistans als Knoten punkt der Seidenstrasse, denn diese Gegend liegt auf halbem Wege zwischen Rom und Chang'an an der OstWestRoute. Auf der NordSüdAchse müssen sich Karawanen aus Samarkand (aus dem Xuanzang jüngst selbst gekommen war) und aus Indien ebenfalls in diesem berühmten Gebiet begegnet sein.
Obwohl König Kanishka sich als toleranter Förderer der Religion erwies, wurde er auch als einer der grössten Gönner der buddhistischen Kunst vom ersten bis zum dritten Jahrhundert bekannt. Ähnlich den zentralasiatischen Toba der WeiDynastie in China, die die grossen buddhistischen Höhlengrotten in Yungang und Longmen anlegen liessen, waren die Kushan ursprünglich Nomaden aus dem Norden, die keine eigenen künstlerischen Traditionen besassen. Sie importierten kostbare Gegenstände, wie die BegramSchatzstücke, und sie übernahmen die Künste des damaligen Römischen Reichs, die über die Handelsrouten zu ihnen gelangten, und zwar nicht aus Rom selbst, sondern von den östlichen Vorposten des Römischen Reichs. Die Verbindung dieser westlichen Kunst mit der östlichen Religion ist eine der Grundlagen der GandharaKunst und ein Quell der Inspiration für deren einzigartige Formen. Xuanzang hatte ein Beispiel dieser Verbindung in Bamiyan gesehen, wo der dekorative Behang des riesigen Buddha nach dem Vorbild römischer Togen gestaltet und der BuddhaKopf anhand eines klassischen Vorbilds in der Art des Apoll von Belvedere modelliert war."
An einer Bergkette im Osten des Hügels, wo man den BegramSchatz fand, wurde der KohiPahlawan oder Hügel der Helden entdeckt, ein religiöses Zentrum des Buddhismus, das vom dritten Jahrhundert an seine Blüte erlebte. Das Kloster Shotorak wurde eigens erbaut, um einen chinesischen Fürsten unterzubringen, den König Kanishka als Geisel genommen hatte. Xuanzang war seit jener Zeit der erste Besucher Shotoraks!
Xuanzang konnte sich selbst einen Eindruck von den Wandmalereien des chinesischen Fürsten verschaffen. Nachdem dieser Fürst nach Hause zurückgekehrt war, schickte er religiöse Opfergaben an das Kloster der Geiseln. Aus Dankbarkeit hielten die Mönche zu seinen Ehren am Anfang und Ende jeder Regeneinkehrzeit religiöse Dienste ab. Dies wurde viele Generationen lang so gehalten. Die chinesische Geisel erwies sich als so grosszügig und wohlhabend, dass sie zudem einen ver grabenen Schatz hinterliess mit Anweisungen, wie dieser im Augenblick, da das Kloster zusammenzufallen drohe, ausgegraben werden sollte.
Regenzeit im Frühjahr 630 n. Chr. Wer soll den Schatz ausgraben? Warum, Xuanzang selbstverständlich. Die Aussenmauern des Stupa stürzen ein. Der chinesische Mönch trifft gerade zur rechten Zeit ein, ein eindeutiges Zeichen, dass der Augenblick für ein Heben dieses Schatzes günstig ist. Die Mönche erzählen ihm die folgende Geschichte. »Ein böser König, der gierig und grausam war, plante, den Schatz zu rauben. Er befahl seinen Leuten, unter den Füssen der Gottheit [Vaisravana] zu graben, doch die Erde erbebte, und die Statue eines Papageis oben auf der Gottheit schlug mit den Flügeln und begann zu schreien, als er die Männer beim Graben sah. Der König und seine Leute fallen in Ohnmacht und machen sich schliesslich vor lauter Angst auf und davon.« Xuanzang bittet die Schutzgottheit des Klosters um ihren Segen. Xuanzang beaufsichtigt die Arbeitsmannschaft. Die Mönche graben zwei bis drei Meter tief. Zu ihrer grossen Freude stossen sie auf einen grossen Kupferbehälter mit glänzenden Perlen und »mehreren hundert Pfund Gold«.
Während er sich im Kloster der Geiseln aufhielt, hat er sich vermutlich die Zeit genommen, sich eine von mehreren Steinmetzarbeiten des Dipankara Buddha anzusehen. Vielleicht erfuhr er die Geschichte, als er den aus grauem Schiefer gehauenen Buddha, ein bewegendes Porträt seiner religiösen Hingabe, betrachtete. Manche haben berichtet, dass ein junger Mann sich zu Dipankara, dem letzten der Buddhas der Vergangenheit, aufgemacht hat und dass, als er fünf Lotusblumen auf Dipankara werfen wollte, diese auf wunderbare Weise in der Luft hängen blieben. Der junge Mann warf sich zu Boden, breitete ein Hirschfell aus und bot den Füssen des DipankaraBuddha sein langes Haar als Teppich dar. Als er der Majestät dieses Buddhas der Vergangenheit ansichtig wurde, der vor Tausenden von Jahren gelebt hatte, ging ihm auf, dass er nach dem höchsten Wissen von der Wahrheit suchte. Dipankara, der die Innigkeit dieses Wunsches erkannte, prophe erkannte, prophezeite ihm, dass er der historische Buddha Sakyamuni werden würde.
Bald nach der Aushebung des Schatzes bat der König von Kapisa, der auch ein MahayanaBuddhist war, Xuanzang darum, an einer fünftägigen religiösen Versammlung teilzunehmen, bei der Debatten ähnlich den scholastischen Turnieren im europäischen Mittelalter vorgesehen waren. Xuanzang leitete diese Debatte und offenbarte seinem Biographen zufolge, dass er sämtliche Lehren der unterschiedlichen Schulen beherrschte, während seine Widersacher nur die eigenen beherrschten.
Xuanzang traf sich auf diesem Abschnitt seiner Reise zum ersten Mal mit Anhängern des Jainismus und HinduAsketen. Einer war ein Anhänger des Gottes Shiwa, der seinen Körper mit Asche bedeckte und einen Kranz aus Schädeln um den Hals trug. Dies war ein Vorgeschmack dessen, was ihn auf dem indischen Subkontinent im Süden erwarten würde, wo sich der Hinduismus in viertausend Jahren entwickelt hatte. Diese Religion kannte keinen Religionsgründer, sondern setzte sich aus unzähligen Sekten zusammen. Gemeinsam war den Hindus die Anerkennung von Kasten und die Verehrung einer als die Veden24 bekannten alten heiligen Schrift.
Xuanzang beschrieb die Hindus als »der Musik ergeben. Natürlich sind sie unzuverlässig und diebisch; eigen ist ihnen der Hang, einen über den anderen zu stellen, und sie erlauben es keinem, sich über sie selbst zu stellen... sie sind zwar klein von Gestalt, aber sehr rege und ungestüm. Ihre Kleider sind überwiegend aus weissem Leinen gefertigt, und was sie tragen, ist gut zurechtgemacht. «25
In dieser Beschreibung erkennen wir, dass die »rastlosen Hindus« jenen in den Bergen wohnenden Afghanen im Hindukusch mit ihrer harschen, unzivilisierten Art gegenübergestellt werden, die Fellkleider und grobes Wollzeug tragen. In moderner Anschauung beginnt BritischIndien östlich des KhyberPasses, doch Xuanzang war der Ansicht, er sei in Indien angelangt, als er Jalalabad erreicht hatte, seine nächste wichtige Raststelle.
Xuanzang war nun schon seit einem Jahr unterwegs, von September 629 bis zum Frühherbst des Jahres 630 n. Chr. Erstaunlich für einen solchen, erst siebenundzwanzig Jahre alten Mann waren sein Reichtum an Erfahrung und seine organisatorischen wie persönlichen Fähigkeiten. Er war der Gesprächspartner von Königen, deren Kultur sich von seiner eigenen sehr unterschied; er ging mit Packern und Karawanenführern verschiedener Nationalitäten um, die ihm die diversen Könige jeweils zur Verfügung gestellt hatten; er bekam es mit Räubern zu tun; und er berichtete und predigte gleichermassen Mönchen wie Königen. Die geistigen Herausforderungen waren nicht minder schwierig zu meistern: Er betete vor seiner Abreise um Führung, er betete in der Wüste, und er fastete für seinen Glauben. Und nunmehr näherte er sich Indien — dem Land der zahlreichen und tiefgründigen Religionen.
Fragment des DipankaraBuddha, auch als vierundzwanzigster Vorgänger des historischen Buddha Sakyamuni bezeichnet. Aus dem Kloster Shotorak in der Nähe von Kapisa in Afghanistan, wo Xuanzang sich 630 aufhielt. Dabei handelt es sich um das Kloster der Geiseln, das man zum Gedenken an eine von König Kanishka genommene chinesische Geisel errichtete.

Als Xuanzang endlich in der Umgebung Langhams in der Nähe von Jalalabad eintraf, spürte er, ähnlich wie Alexander der Grosse neun Jahrhunderte zuvor, dass er eine neue Welt betreten hatte. Alexander brachte Athene Opfergaben dar, um sein neues Vorhaben unter ihrem Schutz zu stellen, und begann seinen neuen Feldzug nach der Teilung seiner Armee. Ebenfalls an diesem Punkt hielt Xuanzang in der ausführlichen Schilderung seiner Reise inne, um einen Überblick über die indische Zivilisation zu gewinnen. Offensichtlich ist Xuanzang, ähnlich wie Alexander, sich im klaren darüber gewesen, dass er das Tor zu einer Art gelobtem Land erreicht hatte.'
Xuanzang begann damit, das Land Indu zu nennen, ohne allerdings zu erklären, welche Königreiche und Staaten er dazu zählte. Er überschätzte die Grösse des Landes, doch es ist unklar, was genau er unter Indien verstand. Das ganze Territorium besass einen Umfang von mehr als 90.000 /i, mit den Schneebergen (dem Hindukusch) im Norden und an den anderen drei Seiten vom Meer umschlossen. Politisch war es in etwa siebzig Königreiche unterteilt; die Hitze im Sommer war gross und das Land in einem weiten Ausmasse sumpfig. Der Norden war hügelig und von brackiger Erde; im Osten lag eine fruchtbare Ebene; im Süden wucherte eine überbordende Vegetation; und der Boden im Westen war grob und steinig.'
Seine Übersicht war eigentlich in der Form eines ethnographischen Berichts gehalten, denn er notierte darin die Masseinheiten für Zeit und Raum wie auch Kommentare über die allgemeinen Merkmale der Menschen und der geschriebenen wie der gesprochenen Sprache. Die indische vielsilbige Sprache mit ihrer von den chinesischen Ideogrammen so verschiedenen alphabetischen Schrift schien bei ihm Anklang zu finden. Er wartete mit Informationen über die Lage öffentlicher Gebäude, Klöster und privater Häuser in Städten und Dörfern auf. Er bemerkte, dass buddhistische Klöster »eine aussergewöhnliche _Architektur besitzen. Die viereckigen Anlagen sind an den Ecken mit Türmen versehen und besitzen drei hohe Hallen hintereinander. Die Dachsparren und balken sind mit seltsamen Tieren bedeckt, und die Türen, Fenster und Wände sind in den merkwürdigsten Farben bemalt.«s
Grosse Aufmerksamkeit widmete er der Kleidung der verschiedenen Klassen. »Die Hauskleider und jene für draussen sind nicht geschneidert«, heisst es bei ihm, wenn er aus seinem chinesischen Blickwinkel die Saris indischer Frauen und die Dhotis indischer Männer beschreibt. Er weist eigens auf die äusserste Reinlichkeit der Menschen hin, die vielen aufgefallen ist.
Diesen materiellen Details schliesst sich eine Beschreibung der Moral, der Kindererziehung und der Literatur Indiens an. Obwohl er Brahmanen als Häretiker betrachtet, lässt er deren Intelligenz, Wissensbegierde und intellektuellen Arbeiten Gerechtigkeit widerfahren. Weniger rücksichtsvoll geht er in seinen Betrachtungen mit den Buddhisten um, wenn er die achtzehn Sekten, in die sie zerfallen waren, und ihre zuweilen erbitterten Dispute erwähnt. Er wunderte sich sehr darüber, dass bei Menschen mit hohen geistigen Errungenschaften die äusserlichen Unterscheidungen ungewöhnlich waren; buddhistische Vorbilder an Tugend ritten auf reich verzierten Elefanten, ebenso wie er es in Nalanda und später auf König Harshas Elefant machen würde. Schliesslich umriss er die Unterschiede in den grössten, von Generation zu Generation vererbten Kasten — die Brahmanen, die oberste Kaste; die Kschatria oder die Rasse der Könige (und Krieger); die Waischia oder Händlerkaste; und die vierte Kaste der Schudras oder Landarbeiter. Er erwähnt auch die auffällige indische Erscheinung der heiligen Männer oder Wanderer, die sich keinen Deut für die materiellen Dinge des Lebens interessieren.
Als wäre dies nicht genug, schreibt er auch noch über das Gesetzeswesen, die Armee, die Justizverwaltung, über königliche Familien und neun Arten des Grüssens in Indien, die wegen der Kastenunterschiede und Begräbnisrituale von besonderer Bedeutung waren. Die letzten drei Kapitel widmete er allgemeinen, wenn auch etwas unzusammenhängenden Themen, nämlich Betrachtungen zur öffentlichen Verwaltung, der Landwirtschaft und Mineralvorkommen. Es ist in vielerlei Hinsicht eine tour de force. Alles wird aufgeschrieben und gut dargestellt.' Danach fährt er mit seinem Reisebericht fort. Die nächste bedeutende Zwischenstation, an der er sich aufhält, ist Jalalabad, das alte Nagarahara.
GEBETE IN DER SCHATTENHÖHLE IN JALALABAD
Jalalabad war der Schauplatz einer der berühmten Legenden des Buddha Sakyamuni. In einer früheren Existenz war er dem DipankaraBuddha begegnet und hatte sich eine Predigt über seine eigene Buddhaschaft angehört. König Ashoka liess einen 90 Meter hohen Stupa an jener Stelle errichten, an der der kommende Buddha seinem fernen Vorgänger begegnet war. Xuanzang erwies seinen Respekt, indem er diesen riesigen Stupa umkreiste.
Doch das grösste Wunderding war die Höhle, die Buddha selbst besucht haben soll und in der er nach einem Kampf gegen den Drachen Gopala seinen Schatten zurückgelassen hatte. Diese Grotte befand sich nahe des heutigen Dorfes Charar Bagh.s Xuanzang musste sie einfach besichtigen.
630 n. Chr. Wenige Wochen nach dem Aufenthalt in Kapisa nun in der Schattenhöhle. Der Zugang gilt allgemein als gefährlich. Ein alter Mann willigt ein, Xuanzang dorthin zu führen. Kaum nähern sie sich der Höhle, stürzen fünf Räuber mit gezückten Schwertern auf sie los. Der Pilger erklärt ihnen den Zweck seiner Reise. Er sei sich bewusst, antwortet er ihnen auf die Fragen, dass er Räubern begegnen könne. »Da ich auf dem Weg bin, den Schatten des Buddha zu verehren, fürchte ich mich nicht davor, unterwegs wilden Tieren zu begegnen, ganz zu schweigen von Menschen wie euch!« Die Räuber sind von seiner offensichtlichen Furchtlosigkeit so überrascht, dass sie ihre Schwerter wegstecken und fragen, ob sie ihn begleiten dürfen.
Xuanzang betritt allein die düstere, finstere Höhle. Zunächst erkennt er rein gar nichts. Er beklagt seine Unzulänglichkeit und wirft sich einhundert Mal zu Boden; er rezitiert mit Inbrunst und wahrer Selbstlosigkeit Sutras, Texte und Gebete. Zuletzt sieht er auf der Wand einen Lichtschein. Nach weiteren zweihundert Verbeugungen gelobt er, den Ort nicht eher zu verlassen, bis er den Schatten gesehen hat. Schliesslich wird die ganze Höhle von Licht durch flutet, und er sieht Buddhas Schatten in strahlendem Weiss an der Wand. Der Körper Buddhas und sein Gewand sind von einem roten Gelb. Die charak teristischen Merkmale seiner Person sind überwältigend glorreich. Der untere Teil seines Lotusthrons ist in ein Dämmerlicht getaucht.'
Wie konnte Xuanzang sich an das Gesehene erinnern? Er liess sich eine Replik des Buddhas aus der Schattenhöhle anfertigen. Diese Figur aus Sandelholz mass nur knapp 40 cm, so dass sie in seine Satteltasche passte. Vielleicht wollte er diese heilige Statue als tragbare »Ikone« mit sich führen, um sie während seiner langen Reise ins heilige Land verehren zu können. Nachdem er sich diesen Anblick gesichert hatte, brauchte er nicht zu wissen, dass dieser Buddha aus der Schattenhöhle als einzigartige Manifestation der Gestalt Buddhas betrachtet wurde. Eine genaue Treue in der Abbildung besteht »nur bei drei Repliken, die Buddha zu Lebzeiten zugelassen haben soll —die für König Udayana gefertigte Figur aus Sandelholz, das für König Prasenajit gemalte goldene Bildnis und der Schatten«.Dies war die erste von sieben berühmten Abbildern Buddhas in Xuanzangs Sammlung.
Angesichts solch berühmter Pilgerstätten wie dem DipankaraStupa und der Schattenhöhle verwundert es nicht, dass die Epoche von Jalalabad und die des nahen Hadda solch reiche archäologische Schätze nach sich gezogen hat. In den 1840ern entdeckte Charles Masson, ein Pionier der Archäologie Indiens, einen kleinen, runden Behälter aus getriebenem reinem Gold mit Rubineinlagen, der als Behälter für buddhistische Reliquien gedient hatte . Er lag in einer Kiste aus Stein in den Ruinen eines Stupa in Bimaran in der Nähe Jalalabads. Dieser herrliche Reliquienschrein, inzwischen im Britischen Museum ausgestellt, zeigt einen stehenden Buddha mit den beiden Begleitern Brahma und Indra, jenen indischen Göttern, die in den buddhistischen Pantheon aufgenommen wurden. Dabei handelt es sich um eine der frühesten Darstellungen Buddhas.'
Der übliche Handelsgeist war in Jalalabad schon im siebten Jahrhundert lebendig. Xuanzang erwähnte, dass es wenige Priester gab. Er beklagte sich darüber, wieviel es ihn kostete, die zahllosen Reliquien der Gegend zu verehren — fünfzig Goldmünzen, eintausend kleinere Silbermünzen, vier Seidenbanner, zwei Ballen Brokat und zwei Soutanen verlangte man von ihm für die Besichtigung mehrerer heiliger Stätten. Xuanzang be schrieb die Einwohner am Ort als Buddha gegenüber sehr respektvoll. Doch diese an Pilgerstätten reiche Gegend umgab etwas Verwirrendes. »Es gibt viele Sangharamas (Klöster), aber nur wenige Priester; die Stupas sind trostlos und in desolatem Zustand.
   
Das BimaranReliquiar, ein Werk der GandharaKunst mit westlichen Einflüssen und indischer Ikonographie. Der stehende Buddha ist von Brahma und
Indra umgeben.
VERFOLGUNG VON KÖNIG KANISHKA
Reiner Schiefer und Kalksteinfelsen zu beiden Seiten eines zerklüfteten schmalen Engpasses charakterisieren den KhyberPass, der von Jalalabad nach Peshawar führt. Hervorragendes, graubraun gefärbtes Felsgestein machen ihn zu einem idealen Platz für Räuber, die erschöpften Händlern und Pilgern auflauern wollen. Diesmal allerdings entkamen Xuanzang und seine Mitreisenden ungeschoren in das PeshawarTal (Pakistan). Zum Zeitpunkt von Xuanzangs Eintreffen war Peshawar kein unabhängiger Staat mehr, denn es war von Kapisa annektiert worden. Weder der König noch hohe Beamte des Reichs kamen, um ihn willkommen zu heissen. Einst war das PeshawarTal mit Purushapura (Peshawar), der Haupstadt Gandharas, von grosser Bedeutung gewesen.' Dann kamen die Weissen Hunnen (450470) und zogen eine Spur der Verwüstung und des Plünderns. Der Buddhismus befand sich in einem Prozess des Niedergangs. Der überschwengliche Willkommensgruss des Königs in Kaschmir und der 1000 Mönche mehrere Monate später im Mai 631 musste Xuanzang angesichts seiner Erfahrungen im PeshawarTal um so warmherziger erscheinen.
Nach Xuanzangs Schätzung wohnten nur eintausend Familien in einem Bereich der Altstadt. Auf den Feldern, die von Kanälen mit Bergwasser durchzogen waren, wuchsen nach wie vor reichlich Weizen und Zuckerrohr. Als der Pilger sich umblickte, stiess er auf einen vertrauten Anblick — auf die zerstörten Ansiedlungen der Mönche, wo einst vielleicht tausend Klöster gestanden hatten. Von vielen Stupas waren nur noch Ruinen übriggeblieben. Es gab einhundert HinduTempel, und »die verschiedenen Sekten lebten kunterbunt durcheinander«.
Etwa vom ersten bis fünften Jahrhundert hatte das Prestige des PeshawarTals auf dem Bau von Klöstern und Stupas beruht und auf deren Zusammenhang mit einer Anzahl von Episoden im legendenhaften Leben Buddhas und seiner Präexistenzen. Im ganzen Tal wie auch in Swat in den Bergen vernahm Xuanzang viele Legenden, die Missionare und Mönche erfunden oder aus dem indischen Flachland mitgebracht hatten. Er zeichnete sie alle auf.
Eine dieser Legenden, und zwar die des Königs Kanishka, besteht aus einem Knäuel von Legenden und Tatsachen. Xuanzang schrieb, dass etwa acht oder neun /i im Südwesten der Hauptstadt ein grosser und sehr alter Pipphal (Pippal)Baum von mehr als 30 Meter Höhe stand, dessen Laubwerk an den weitausladenden Ästen einen dichten Schatten spendete. Als Sakya Julai (Buddha) unter diesem Baum sass und sein Antlitz nach Süden wandte, sagte er zu Ananda: »Vierhundert Jahre nach meinem Ableben wird ein Herrscher namens Kanishka regieren, der wenig südlich von hier einen Tope [Stupa] errichtet, in der er viele Reliquien von meinem Fleisch und meinen Knochen sammeln wird.«"
Dies gehörte zur Legende um Kanishka. Xuanzang führte weiter aus, dass, als König Kanishka einst auf die Jagd ging, sich ihm ein weisser Hase genähert habe. Der Hase führte »den heidnischen König« zu einem Hirtenjungen, der gerade dabei war, aus Lehm oder Dung einen Stupa zu formen. Kanishka war von dem kleinen Jungen beeindruckt, der sich anschickte, ihm von der Prophezeiung Buddhas zu berichten. Dies rührte den König so sehr, dass er sich auf der Stelle zum Buddhismus bekehren liess und begann, einen Stupa »an der Stelle des Lehmhügels des Hirtenjungen« errichten zu lassen.
Tatsächlich wurde ein mehrstufiger Stupa gebaut, der lange Zeit als eines der Weltwunder galt. Ein kleines Stuckmodell
aus dem Kloster Jaulian in Taxila dürfte den Bau dieses grossen Schreins mit seinem beeindruckenden Schaft aus Sonnenschirmen widerspiegeln, ein architektonisches Merkmal, das bei der Entwicklung von dem indischen Stupa zum asiatischen Pagodentyp eine wesentliche Rolle gespielt hat.'
Obwohl Xuanzang den KanishkaStupa in Ruinen vorfand. war es ihm möglich, aus vielerlei Quellen Informationen dar
über einzuholen. Er kam zu dem Schluss, dass er 92 Meter hoch
gewesen sein muss und einen gewaltigen Aufbau aus vergoldeten Kupferscheiben sowie einen Grundaufbau aus fünf Stufen
besessen hatte, der allein schon 45 Meter hoch gewesen war."
Xuanzangs Beschreibung spielte eine wesentliche Rolle bei der Ortung des riesigen KanishkaStupa durch D.B. Spooner wie
auch 1908 beim Auffinden des Reliquienschreins des grossen
KushanMonarchen." Auf dem Reliquiar ist ein Porträt dieses indischen Monarchen zu erkennen, ebenso wie
er auf dem als BODDOMünze bekanntgewordenen Geldstück auftaucht, das auf der Rückseite einen der frühen Porträtversuche von Buddha in seiner Menschengestalt zeigt . Die Form dieser Münze bezeugt die enge Verflechtung des Königs Kanishka mit dem Buddhismus.
Nachdem Xuanzang die Ruinen des KanishkaStupa verlassen hatte, besuchte er das alte Haus in der Nähe, in dem
Vasubandhu den Schatz der buddhistischen Philosophie zu
sammengetragen hatte. Obwohl es sich dabei um ein der Realistischen Schule nahestehendes frühes Werk handelte, wurde
Vasubandhu zu einem der Begründer des Idealismus, und Xuan
zang hatte in China bereits viele Jahre damit zugebracht, sein Werk zu studieren. Für Xuanzang hatte sich Vasubandhu als
Inspiration erwiesen, als jemand, der danach trachtete, das zu lösen, »was sich jenseits der Sprache befindet«. Er notierte befriedigt, dass man zum Gedenken an diesen grossen buddhistischen Philosophen in dem alten Haus eine Gedenktafel angebracht hatte.

Goldmünze mit einem stehenden Buddha, durch die Inschrift in altgriechischen Schriftzeichen eindeutig als solcher identifiziert, und König Kanishka auf der Rückseite.

Reliquiar von König Kanishka, einem der grossen Förderer des Buddhismus. Auf dem Deckel eine Darstellung Buddhas, der von Brahma und Indra angebetet wird und auf einem Lotussockel sitzt.
DIE VIER GROSSEN STUPAS —GESCHICHTEN UND LEGENDEN
Im Norden und Osten Peshawars suchte Xuanzang nach den berühmten Stupas, die der JatakaErzählungen über die guten Taten Buddhas in seinen Präexistenzen gedachten. Viele der für den frühen Buddhismus charakteristischen Geschichten stammten aus der Volkskultur und sollten bestimmte moralische Wahrheiten illustrieren. Sie erzählten von unglaublichen Opfern und schilderten häufig das absolute Mitgefühl für alle Geschöpfe. Nahe Charsadda lag der Stupa, der an die Geschichte erinnerte, wie Buddha aus reiner Barmherzigkeit seine Augen verschenkte. In den Hügeln zwischen Peshawar und Buner befand sich ein Stupa, der mit der Geschichte in Zusammenhang steht, als Buddha sein Fleisch dafür hergab, damit eine Taube leben konnte. Aus Manikyala, einem Stupa in Swat, stammte eine andere Legende, die Buddhas enges Verhältnis zu den Tieren widerspiegelt, denn den buddhistischen Vorstellungen von der Wiedergeburt zufolge kann das Leben eine Vielzahl von Formen annehmen. Diesmal opferte Buddha sein Leben, damit eine Tigerin ihre Jungen füttern konnte (Abb. 4.4). Der vierte grosse Stupa, der sich in der näheren Umgebung von Taxila befand, bezieht sich auf das Geschenk von Buddhas Kopf. Obwohl Xuanzang sich glücklich schätzte, diesen Erzählungen von früheren Buddhas zu begegnen und sie mit bestimmten Stätten in Verbindung zu bringen, traf er dieselben Geschichten immer wieder in Stein gemeisselt oder an Klosterwände gemalt an, ob im weiten Indien oder in China in den weit entfernten Höhlen von Dunhuang.
DunhuangGrotten
Xuanzang machte die Stätte der berühmtesten Legende von einem unendlichen Opfer in Shahbaz Garhi ausfindig — die des Prinzen Visvantara Jataka. Es war einst ein grosszügiger Prinz, so erzählt er uns, der einen wunderwirkenden Elefanten besass, der über die magische Kraft verfügte, es regnen zu lassen. Als ein benachbartes Königtum unter einer schrecklichen Dürre zu leiden hatte, verschenkte der Prinz seinen Elefanten. Seine Familie und er wurden daraufhin verbannt.
Etwa 20 li oder mehr nordöstlich der Stadt Polusha gelangen wir zum Berg Dantaloka. Auf seinem Gebirgskamm liegt ein Stupa, den der Raja Ashoka errichtet hatte; hier hatte Prinz Sudana (Visvantara) einsam gelebt. Hier übergab der Prinz seinen Sohn und seine Tochter einem Brahmanen, der sie jedoch so heftig schlug, dass das Blut auf den Boden tropfte. Zur Zeit sind die Sträucher und Bäume allesamt von dunkelroter Farbe. Zwischen den Klüften (des Bergs) befindet sich die steinerne Kammer, in der der Prinz und seine Gemahlin meditierten
Damals überzeugte man den Prinzen davon, sogar seine Frau zu verschenken. Schliesslich wurden die Kinder vom Vater des Prinzen erkannt, der sie zurückkaufte. Diese Geschichte endet glücklich, denn die Götter, die sich schliesslich auch des Prinzen erbarmten, gaben ihm seine Frau zurück.
Jenseits des Tals mit den Ruinen des Stupa finden sich Ashokas Inschriften auf einem grossen Fels, ein greifbarer Beweis für Historiker. Diese Edikte waren auch auf Steinpfeilern eingemeisselt (Säulenedikte), die in den wichtigen Städten aufgestellt wurden. Sie verbreiteten Ashokas Anschauungen von der Natur der Einsichten und den Prinzipien der buddhistischen Religion wie auch deren Anwendung durch den Staat, die Religionsgemeinschaft und das Individuum. Diese AshokaSäulenedikte, die als älteste Aufzeichnungen des Buddhismus gelten, waren an den wichtigsten Wegen in ganz Indien verbreitet. Dieser besondere Ort auf halbem Weg auf der alten Route zwischen Charsadda und Taxila war für ein Säulenedikt fast zwangsläufig, besonders da hier Prinz Visvantara das Wissen von der »vollkommenen Barmherzigkeit« erlangte.'"
Xuanzang erwähnt ebenfalls die Geschichte von dem Mönch mit dem Einzigen Horn. Ein Stupa soll an der Stelle stehen, wo dieser Mönch lebte. Der heilige Mönch wurde von einem Höfling in die Irre geführt, und als Nonne verkleidet ritt er auf dessen Schultern in die Stadt. Diese Geschichte ähnelt den frühen Versionen von Phyllis und Aristoteles.
Wie eng die Kunst in Gandhara und der buddhistische Kult miteinander verbunden waren, wird besonders am wiederaufgebauten SikriStupa aus derselben Epoche deutlich, der sich inzwischen im LahoreMuseum in Pakistan befindet . Die meisten dieser Friese befinden sich in Augenhöhe _ Darstellungen aus Jataka, Wunder und Erzählungen vom Leben Buddhas, wie jene, in der geschildert wird, wie der Mäher dem Buddha noch vor der Erleuchtung seinen Grasschnitt als Sitzunterlage anbietet.
Es scheint nichts auszumachen, dass der historische Buddha nie in Gandhara war. Die Geschichten waren so bekannt, dass viele chinesische Pilger sich damit zufrieden gaben, diese grossen Stupas in diesem zweiten heiligen Land zu besichtigen, ohne sich in das wahre heilige Land Indien begeben zu müssen.

Restaurierter SikriStupa (etwa 5,1 m hoch) mit sechzehn Szenen aus dem Leben Buddhas

SAMMELN HEILENDER SUTRAS UND TREKKING IM SWATTAL
Xuanzang verliess nun den Hauptweg von Peshawar nach Indien und wandte sich erst nord, dann ostwärts nach Udyana im SwatTal, einem schönen Bergland, in dem er auf einen noch grösseren Niedergang als in Gandhara stiess — 1400 Klöster, in denen einst 18.000 Mönche gelebt hatten. Diese Gegend war heruntergekommen, mit nur wenigen Mönchen. Es waren MahayanaBuddhisten, »die sich mit stiller Meditation beschäftigten; sie rezitieren gekonnt ihre Bücher, ohne deren tieferen Sinn zu erfassen; sie lebten strikt nach ihren Regeln und kannten sich besonders mit magischem Exorzismus aus. Von den DevaTempeln gab es mehr als ein Dutzend, und zahlreiche Sektierer lebten kunterbunt durcheinander.«'>
Es sieht nicht so aus, als würde Xuanzang diese Praktiken verdammen, denn er brachte das Sutra des elfgesichtigen Avalokitesvara und weitere Sutras mit heim, die Zaubersprüche zum Beschwören des heiligen Wassers, Weihrauchs, Feuerholzes, der Heilkräuter und weiteres mehr enthielten.' 9 Tatsächlich gehörte Xuanzang zu den ersten, die esoterische Texte nach China einführten. Er scheint gegenüber einer Bandbreite buddhistischen Glaubens und Praxis durchaus offen gewesen zu sein.
Xuanzang marschierte weiter nach Norden und Osten das obere Swat und auch das BunerTal hoch. Alfred Foucher, der seinen Fussspuren in diesen Tälern und Bergen südlich des Oxus über Tausende von Kilometern folgte, gewöhnte sich allmählich an »seine Reisevorlieben und gewohnheiten, seine Sehnsucht nach Erbauung, seine Schwäche für Mönchsgeschichten, seine vollständige Geringschätzung von Ruinen, seine offensichtliche Vorliebe für ausgetretene Pfade und Etappen von vernünftiger Länge«. Dank der »Genauigkeit und Aufrichtigkeit seines Tagebuchs« war es Foucher möglich, seinen Spuren in Gandhara zu folgen und Nutzniesser »der Informationen [zu werden], die er aufgezeichnet, und der Legenden, die er gesammelt hatte, um die wichtigsten Handelsrouten zu bestimmen und die berühmtesten buddhistischen Monumente des Landes zu identifizieren«.20
Aber das obere Swat und das BunerTal waren nur den Diplomaten und Sonderemissären zugänglich; Alfred Foucher erhielt daher keine Zugangserlaubnis, so dass seine Beschreibung gut zu den nächsten Erkundungen des Pilgers passt. Xuanzang stiess bis zur Quelle des Flusses Swat vor, wo der Drache Apalala gelebt haben soll; der Pilger überquerte eine Gebirgskette und folgte dem Flusslauf des mächtigen Indus, wo es keine Wege gab, keine Trampelpfade, sondern nur gefährliche Steige durch dunkle Schluchten. Auf seiner Wanderung überquerte er »Hängebrücken aus Seilen oder aus Eisenketten ... Brücken, die Abgründe überspannten, bei denen die Pflöcke als Stufen dienten«. Moderne Reisende haben ähnliche Kletterpfade beschrieben, die dank des Wurzelwerks am Felsgestein kleben und die mit Hilfe der Stöcke, die man in Felsspalten gezwängt hatte, Halt boten und zuoberst mit Gebüschen und Steinen bedeckt sind: Sie sahen durch den Pfad in die Tiefe hinunter und Hunderte von Metern unter sich einen reissenden Fluss.
Chinesische Reisende — genau wie Xuanzang im siebten und
der fromme alte Faxian zuvor im vierten Jahrhundert — haben sich an den Steilabbrüchen des Indus vorwärtsgewagt, an
Abgründen entlang, bei denen ein einziger Fehltritt den Weg in die Ewigkeit bedeutet hätte, für Xuanzang eine weitere Runde in seinem Daseinszyklus.
Ihr Ziel?22 In den oberen Bereichen des Indus, nordöstlich der Hauptstadt Swat, lag ein »grosses Kloster, an dessen Seite
eine geschnitzte Holzfigur des ... Buddha Maitreya von gold
glänzender Farbe und mit Wunderkräften steht; sie ist mehr als 30 Meter hoch; sie war das Werk des Arhat Madhyantika, der
dank seiner übernatürlichen Kräfte den Künstler dreimal in den TushitaHimmel beförderte, damit er Maitreyas Schönheitsmerkmale studieren konnte; die Verbreitung des Buddhismus nach Osten nimmt mit dem Bestehen dieser Figur ihren Anfang.«23 Dies war die berühmte Statue in Darel, die für die kolossale BuddhaStatue in Yungang im fernen China als Modell gedient haben könnte.'
In Zeiten des Kummers betete Xuanzang oft zu Maitreya, dem Buddha der Zukunft. Er wusste nicht, dass im Land Gandhara wie auch in der Umgebung von Mathura, weiter südlich in Indien, die ersten Bodhisattvas und die ersten menschlichen Darstellungen Buddhas entstanden waren.
An BuddhaDarstellungen aus Sri Lanka, Japan oder Indonesien ist bemerkenswert, dass sie sämtlich diesen ersten Abbildungen entsprungen sind. Vor dem zweiten oder dritten Jahrhundert war Buddha zumeist durch abstrakte Symbole dargestellt worden, wie einen leeren Thron, einen Stupa, einen Baum, der für den Ort stand, an dem er seine Erleuchtung erlebt hatte, oder ein Rad, das Rad des buddhistischen Gesetzes wiedergebend, ähnlich wie im frühen Christentum Christus durch einen Fisch oder ein einfaches Kreuz dargestellt wurde." Interessanterweise wurden die ersten quasihistorischen Berichte über Buddhas Leben zur gleichen Zeit geschrieben, als diese ersten Statuen des Buddha als Mensch entstanden.' Es war, als hätten die Menschen gefragt: »Wer ist dieser Buddha? Was für ein Mensch ist er?«"
In ähnlicher Weise rangen die Christen in den Anfängen des Christentums mit dem Problem der wirklichen Erscheinungsform von Jesus Christus. Eine Reliquie im Petersdom in Rom gilt als der Schleier der Veronika, jener Legende zufolge, wonach eine Frau namens Veronika dem Christus auf seinem Weg nach Golgatha ein Tuch reichte, mit dem er sich über das Antlitz fuhr und den Schweiss abwischte. Der Abdruck des Schweisses, ein echter Abdruck seines Antlitzes, verhalf den Menschen dazu, ihr Bedürfnis zu befriedigen, dem Heiligmässigen ein Gesicht geben zu wollen. Wenn eine Gottheit auf Erden wandelte, so wollten die Menschen erfahren, wie er aussah —die Christen ebenso wie Buddhisten.
Xuanzang lernte viele dieser Abbildungen Buddhas und der Bodhisattvas aus Gandhara kennen, als er Stupas oder Klöster .7,esuchte, bei denen der Typus und die Form dieser Abbildunzen sich bereits durchgesetzt hatten. Hat er nicht bemerkt, dass Buddhas Haar in Wellen gelegt worden war, mit einem Hügel der Weisheit obendrauf? Damit man Buddha besser von anderen heiligen Männern unterscheiden konnte, trägt er sein Haar gewellt, und sein Schädel ist nicht kahl rasiert wie bei den einfachen Mönchen. Die Augen dieser frühen Buddhas sind geöffnet, obwohl einige in einen unendlichen Raum zu schauen scheinen, und zwischen den Brauen befindet sich ein kleiner Kreis oder Schönheitsfleck. Die Ohrläppchen sind verlängert, denn einst war er ein Prinz, der ein schweres Ohrgehänge trug. Zuweilen ist er mit einem Schnurrbart versehen. Ein schweres Mönchsgewand fällt ihm in tiefen Falten bis auf die Füsse, oder — bei untergeschlagenen Beinen — seine Füsse sind vollständig bedeckt. Die Haltung der Hände nimmt die Gesten der Schutzgewährung, Meditation, Predigt oder Berührung des Bodens mit der rechten Hand ein, um die Erde als Zeugin anzurufen. Zweiunddreissig höhere und achtzig geringere übermenschliche Merkmale übernahm man von der altindischen Vorstellung des Weltenkönigs. Es gibt ein ungewöhnlich früh datiertes Beispiel für einen GandharaBuddha in einer belgischen Privatsammlung. Es blieb kommenden Generationen vorbehalten, diese unwiderstehliche Kombination aus innerer Distanz und eingezwängter dynamischer Kraft zu suggerieren, das den GuptaBuddhas ihre tiefe religiöse Qualität verleiht.
MONUMENTE IN TAXILA
Unklar ist, wie lange der Pilger sich in Swat aufhielt. Xuanzang kehrte auf »dieser Route der hängenden Ketten« in die Ebene zurück, und zwar an eine Stelle, an der der Indus fast einen Kilometer breit und die Strömung gross ist. Er benutzte die alte Karawanenroute, um den Fluss bei der Stadt Hund zu überqueren. Dieses Manöver kann gefährlich sein: »Seine Strömung ist äusserst klar und schnell. Giftige Drachen und böse Geister hausen zahlreich in diesem Fluss. Wer diesen Fluss quert mit seltenen Juwelen aus Indien oder festlichen Blumen... oder Sariras [Reliquienknochen des Buddha], kann erleben, dass das Boot plötzlich von den Wellen verschlungen wird. «


Frühe Darstellung Buddhas (datiert auf 182), von einem Bodhisattva und Avalokitesvara umgeben, mit Indra im Hintergrund. Plastiken wie der sitzende Buddha in diesem Relief waren Inspiration für
Statuen überall in Asien.

Ein moderner Bericht beschreibt den Indus in Attock etwa 20 Kilometer südsüdwestlich von Hund: Im Winter gibt der flinke Strom ein rauschendes, zischendes Geräusch von sich wie ein grosser Vogel, der dicht an einem vorüberfliegt, aber im Sommer »öffnen sich die Schleusentore der Gletscher hoch droben in den Bergen, wäscht der Fluss fünfzehn Meter höher die Felsen ab und brüllt er wie ein Pferd beim Galopp«.29
Drachen, grosse Vögel, Pferde beim Galopp? Der Indus schien damals so lebendig gewesen zu sein wie heute. Auf seinem Heimweg nach China kenterte 645 Xuanzangs Boot, in dem sich zahlreiche wertvolle Manuskripte befanden, als plötzlich ein Sturm aufkam. Dabei gingen viele Schriftrollen in den Wellen verloren.
Nach seiner Überquerung des Indus machte der Pilger sich auf nach Taxila, das Alexander der Grosse 325 n. Chr. erobert und mit Ashoka zu einem Zentrum seiner Provinzen im Norden ausgebaut hatte. Das zehn Quadratkilometer grosse Tal ist an drei Seiten von Bergen eingeschlossen. Als Xuanzang in die Stadt unterwegs war, drängten sich in den Strassen wahrscheinlich die Pferdekarren, hier und da ein Kamel und Esel. Vielleicht hielt er am ersten Basar in der Stadt Sirsukh an, um sich mit den Karawanenhändlern über den Preis der Lebensmittel zu unterhalten und sich danach zu erkundigen, von woher die Leute kamen und wohin sie gingen, wer vor Ort regierte und was die regionalen Legenden besagten. Oder er beobachtete einige Mönche dabei, wie sie ruhig über die steinigen Ausläufer der Berge mit ihrer Bettelschale herunterstiegen. Oder er drehte sich zum Kloster Jaulian hin, um dessen goldene Kuppel und Türme zu bewundern. Dies ist das am besten erhaltene Kloster in Taxila, dessen zahlreiche BuddhaStatuen noch erhalten sind und das auch heute einen Besuch lohnt.
Wie hat er erfahren, was er über Taxila wissen musste, damit er das folgende schreiben konnte:
Dieses hat einen Umfang von 2000 li, die Hauptstadt hat einen Umfang von mehr als zehn li. Die Anführer befehdeten einander offen, und die Königsfamilie war ausgerottet worden; das Land war zuvor Kapisa unterworfen, nun aber von Kaschmir abhängig; es hatte fruchtbaren Boden, der reiche Ernte trug, fliessende Ströme und üppige Vegetation; das Klima war ideal; und die Menschen, die mutig waren, bekannten sich zum Buddhismus. Obwohl es zahlreiche Klöster gab, befanden sich viele in einem desolaten Zustand, und die wenigen Mitbrüder waren alle Mahayaner.
Xuanzang hielt sich in Sirsukh auf, in der letzten der alten Städte Taxilas. Dem Baedeker für Südasien zufolge, der für die britische Periode bis 1915 gültig war, konnten Xuanzangs Angaben zu Entfernungen und Richtungen um Sirsukh herum dem modernen Reisenden als Anleitung dienen. In der Geschichtsschreibung gibt es nur wenige Beispiele dafür, dass eine historische Quelle nach 1300 Jahren noch so zuverlässige Auskünfte gibt.
Xuanzang beschrieb mehrere berühmte buddhistische Monumente in der Umgebung der Stadt. Eins davon war das Bekken (künstlicher See) von Elapattra, genannt der Drachenkönig; ein weiteres, jenseits des TaxilaTals, war der Stupa des »Opferhauptes«, den Ashoka errichtet haben soll. Dies ist der heutige BhallarStupa, der wie eine mächtige Trommel hoch auf einem Hügel hockt.
Ein drittes Monument, der KunalaStupa, ist vermutlich auch von Ashoka gebaut worden, um an den Ort zu erinnern, an dem sein Sohn geblendet worden war. Xuanzang hat Kunalas Geschichte erzählt: Kunalas Stiefmutter verliebte sich in ihn, und als er ihren Annäherungsversuchen widerstand, gab sie Ashoka ein, er solle ihn nach Taxila schicken. Die bösartige Frau fälschte einen Brief ihres Mannes und versiegelte ihn mit dessen Zähnen, während er schlief. Der Brief enthielt den Befehl, dass Prinz Kunala geblendet werden sollte. Die Minister des Königs schreckten davor zurück, diesen Befehl auszuführen, hätte nicht der Prinz selbst darauf bestanden, dass sie dem Befehl seines Vaters gehorchten. Nachdem man ihn geblendet hatte, wanderte er mit seiner Frau weiter und bettelte sich bis in die weit entfernte Hauptstadt seines Vaters durch. Als er vor dem Palast seines Vaters sang und die Laute spielte, erkannte der die Stimme seines Sohnes und das Saitenspiel von dessen Laute. Da liess der König die grausame und rachsüchtige Königin töten. Laut einer der zahlreichen Fassungen der Geschichte Kunalas fand er sein Augenlicht in Bodh Gaya mit Hilfe eines buddhistischen heiligen Mannes wieder.
Dieses Drama, das an die griechische Tragödie von Hippolytos und Phaedra erinnert, soll sich auf einem felsigen Vorgebirge oberhalb des südlichen Endes von Sirkap abgespielt haben. Stufen im Fels führen zum rechteckigen Fundament des KunalaStupa aus dem dritten oder vierten Jahrhundert n. Chr. In der Nordwestecke sind die Überreste eines winzigen Stupa aus dem ersten Jahrhundert begraben, der zu Sir John Marshalls Zeit als Direktor des Indian Archaeological Survey (190231) noch etwa drei Meter hoch reichte. Unweit von diesem Ort befinden sich die Überreste des weitläufigen Klosters Gaia. Xuanzang notierte, dass Blinde gewöhnlich zu diesem Stupa pilgern, um für die Wiederherstellung ihres Augenlichts zu beten. Viele Gebete sind erhört worden. Obwohl der KunalaStupa eingestürzt ist, hat diese Tradition überlebt; die beste medizinische Einrichtung für Augenkranke, das Mission Hospital, befindet sich heutzutage in Taxila."
Bevor Xuanzang Kaschmir erreichte, stiess er auf einen weiteren AshokaStupa und mehr als zehn Becken oder künstliche Seen, grosse wie kleine. Er war entzückt über »eine Szene des Sonnenscheins«, wie er es formulierte.
Die Ufer dieser Becken bestanden aus behauenem Stein, der unterschiedliche Formen und seltsame Geschöpfe darstellte. Das wilde Wasser, die Zuflüsse für diese Becken, bildete einen klaren, rauschenden Fluss; Drachen, Fische und andere Wassertiere bewegten sich in den höhlenartigen Tiefen; Lotusblumen in vier Farben schwammen an der Oberfläche der klaren Teiche; Obstbäume aller Arten wuchsen üppig und strahlten prächtig in ihrem Gewand, und die Helligkeit des Holzes vermischte sich mit jener des Wassers. Wahrhaftig, der Ort war eine Vergnügungsstätte.
Studium der Rechte in Cashmere
Vor ihr kag Kaschmir, ungefähr 300 Kilometer nordöstlich in den Bergen. Nachdem er steil abfallende Pässe erklommen und weitere Kettenbrücken überquert hatte, scheint Xuanzang den Weg durch die BarulaSchlucht genommen zu haben, die der JhelumFluss ausgehöhlt hat", »weil er die ruhigen Ebenen Kaschmirs hat verlassen müssen, mit überschäumender Wut, wie die Einheimischen bestätigen«. Xuanzang wurde auf der Innenseite des Passes von einem Onkel des Königs mütterlicherseits erwartet, den man ausgeschickt hatte, den Pilger nach Srinagar zu begleiten. Er übernachtete im Kloster Hushkara, in dem in der Nacht zuvor die Mönche geträumt hatten, dass ein seltsamer Mönch aus China in ihr Land kommen werde, um die heiligen Bücher zu studieren und die heiligen Stätten zu besuchen. Als die Reisegruppe sich der Hauptstadt näherte, stellte der König Xuanzang einen Elefanten zur Verfügung, auf dem er in die Stadt einzog. Der König selbst liess es sich nicht nehmen, ihn mit seinen Ministern und 1000 buddhistischen Mönchen zu empfangen, die bunte Fahnen und Regenschirme trugen. Der schwere Geruch von Weihrauch erfüllte die Luft, und bei seinem Eintreffen waren die Wege mit Blumen bestreut. Der König bot ihm die Gastfreundschaft in seinem Palast an und lud Xuanzang ein, Schriften zu lesen und auszulegen. Zu diesem Zweck stellte er ihm zwanzig Schreiber zum Kopieren der Manuskripte zur Verfügung.
In gewohnter Weise fügte Xuanzang eine allgemeine Beschreibung Kaschmirs ein. Das Land war von hohen, steilen Bergen umgeben, über die schmale und schwer zu überwindende Pässe führten. Im Bezirk wurde eine funktionierende Landwirtschaft betrieben, denn das Land eignete sich zum Anbau von Korn und brachte Blumen und Früchte in Hülle und Fülle hervor; dort waren ebenfalls Ackerbohnen, Safran und Heilkräuter zu finden. Felder aus bläulichvioletten Safranblumen mit roten Staubfäden wachsen auch heute noch in Kaschmir. Die Bewohner waren lebhaft, aber scheu, gut aussehend und durchtrieben. »Da sie von einem Drachen beschützt werden«, fügte der Pilger hinzu, »prahlen sie ihren Nachbarn gegenüber.«"
Seit alters her war Kaschmir für seine Gelehrsamkeit bekannt. Xuanzang erwähnte vier AshokaStupas mit buddhistischen Reliquien, doch scheint er weniger als früher daran interessiert gewesen zu sein, die heiligen Stätten zu besuchen. Vielmehr schlug die intellektuelle Atmosphäre Kaschmirs ihn in ihren Bann. Er berichtete, dass es fünftausend buddhistische Mönche und einhundert Klöster gab. Und vor allem fand er einen ehrwürdigen mahayanischen Weisen nach seinem Geschmack.
Morgens hielt der weise Mann eine Vorlesung über die grosse Abhandlung, den Schatz der buddhistischen Philosophie von Vasubandhu, nachmittags über einen anderen Text, der diese Abhandlung widerlegte. Der Abend war profanen Studien, wie Grammatik und Logik, vorbehalten. Hier fand Xuanzang jene Art der intellektuellen und geistigen Herausforderung, die er gesucht hatte. Der Weise aus Kaschmir sagte über Xuanzang die folgenden Worte, die Xuanzangs Biograph notiert hat:
Dieser Priester aus China besitzt wundervolle (weitläufige und unermessliche) Kräfte der Weisheit. In seiner ganzen Ordensgemeinschaft ist keiner, der ihn überträfe. Gemessen an seiner Weisheit und Tugend ist er befähigt, dem Ruhm seines Mi. Bruders Vasubandhu nachzufolgen. Welch ein Anlass für das Bedauern, tatsächlich!, dass er, da er aus einem fernen Land stammt, nicht sofort teilzunehmen vermag am überlieferten Wohlgeruch der Heiligen und Weisen!"
Xuanzang war gleichermassen von dem alten Weisen begeistert. Dieses Aufeinandertreffen liefert einen Hinweis, weshalb Xuanzang sich zwei Jahre lang in Kaschmir aufhielt — von Mai 631 bis 633 n. Chr. Neben der idealistischen Lehre, der er anhing, gab es in Kaschmir auch eine blühende realistische Schule des Buddhismus. Xuanzang freute sich, dass er die Gelegenheit fand, diese beiden wichtigen und gegensätzlichen Schulen zu studieren und Abhandlungen von beiden zu sammeln.
Unweit des Bezirks Jalanda in Kaschmir soll König Kanishka, dank der Mitwirkung von zwei verehrten Patriarchen, ein Konzil von 500 buddhistischen Gelehrten einberufen haben. Xuanzang setzt uns ins Bild darüber, wie es dazu gekommen sein mag.
In seiner Freizeit studierte er [Kanishka] die buddhistischen Schriften unter Anleitung eines Mönchs, der ihm jeden Tag im Palast Unterweisungen gab. Doch da der Bruder ihn, entsprechend den widerstreitenden Lehrsätzen der Sektierer, verschiedene und einander widersprechende Interpretationen lehrte, geriet der König in einen Zustand hoffnungsloser Ungewissheit. Sodann erklärte der Ehrwürdige Parsva seiner Majestät, dass in der langen Periode, nac:2clem Buddha die Welt verlassen hatte, Jünger mit verschiedenen Theorien aus Schulen und von Meistern hervorgegangen waren, die ihre persönlichen und zueinander im Widerspruch stehenden Ansichten verbreiteten. Als er dies vernahm, war der König sehr gerührt und äusserte Parsva gegenüber seinen Wunsch, dem Buddhismus wieder zu seinem prominenten Rang zu verhelfen und das Tripitaka entsprechend den Lehrsätzen der verschiedenen Schulen erklären zu lassen
Xuanzang konnte sich wegen der eigenen Unsicherheit, wie er die widersprüchlichen Interpretationen der buddhistischen Texte in China zu erläutern habe, gut in die Natur von Kanishkas Wunsch einfühlen.
Er berichtet, dass König Kanishka die fertiggestellten Abhandlungen in Kupferplatten eingravieren, in eine Kassette einschliessen und in einem eigens zu diesem Zweck errichteten Stupa einmauern liess. Diese Texte sind verlorengegangen, und fast alle Informationen zu diesem Vierten Buddhistischen Konzil stammen aus der Feder Xuanzangs.
Der Überlieferung zufolge ist der Kanon der buddhistischen Schriften, die Entsprechung zur christlichen Bibel, unter Kanishkas Schirmherrschaft in Sanskrit geschrieben worden. Buddhisten nennen sie den Dreikorb oder Tripitaka — die Lehrreden des Buddha oder Sutras; die Regeln der Disziplin oder Vinaya und die philosophische Systematisierung oder Abhidharma.
Xuanzang war auch von der indischen Logik fasziniert und studierte systematische Abhandlungen im Zusammenhang mit Logik, die in China so gut wie unbekannt waren. In Indien entstanden zahlreiche logische Systeme und zahlreiche Formen sollogistischen Denkens. Die Alte Logik von Vasubandhu und Asanga legte die ausführlichen Regeln beim Führen einer Debatte fest. Die von Dignaga gegen Ende des fünften Jahrhunderts gegründete Neue Logik vereinfachte die vorgegebenen Formen, in denen ein Argument vorgetragen werden durfte. Auch zählte sie die gültigen und ungültigen Rückschlüsse, teeweise und weiteres auf und definierte diese — die berühmten Dreiunddreissig Trugschlüsse. Nur wenige indische Texte sind .ns Chinesische übersetzt worden, doch die Neue Logik war Nuanzangs besonderes Geschenk an China."
Xuanzang hatte bereits an religiösen Debatten in Anwesen heit des Königs von Kapisa teilgenommen, und dergleichen tat er höchst erfolgreich in Indien vor dem mächtigen König Harsha. Die Regeln der Logik, die allgemeingültigen Gesetze des Denkens, waren für diese grossen scholastischen Turniere zwischen Männern unterschiedlichen Glaubens notwendig — Hindus, Buddhisten und Jains stellten ihren Kasus vor mächtigen Herrschern dar, die als Schirmherren umworben wurden. Diese Vorstellung hängt teilweise damit zusammen, dass jahrhundertelang viele Herrscher Nordindiens aus der Fremde kamen und entscheiden mussten, welche Sekte zu unterstützen für sie politisch opportun war. Viele Biographien grosser hinduistischer und buddhistischer Lehrer erwähnen solche theologischphilosophischen Streitgespräche in Anwesenheit regierender Monarchen.'
Das Tal von Kaschmir mit seinen schneebedeckten Gipfeln und nebelverhangenen Seen war nicht nur eine landschaftlich schöne Gegend für einen Aufenthalt, sondern Xuanzangs beide Studienjahre dort bereiteten ihn auf künftige Studien mit buddhistischen Philosophen und religiöse Debatten vor. Er hatte bereits sein umfassendes intellektuelles Interesse an esoterischen buddhistischen Texten und Praktiken und an der Neuen Logik unter Beweis gestellt. Es war ein Vorgeschmack dessen, was ihn im Indien des siebten Jahrhunderts erwartete: eine zunehmende Verlagerung innerhalb des Buddhismus zum Intellektualismus und zu metaphysischen Erkundungen.

In Nordindien sollte Xuanzang in unerwartete Gefahren geraten — und zwar auf riskanten Wegen über Berghänge, um das KuluTal zu erreichen, und in den Wäldern auf seinem Weg nach Kausambi, in denen es von Elefanten und wilden Tieren nur so wimmelte. Einmal musste der Pilger seine gesamte Energie aufbieten, um einer Räuberbande zu entkommen, und ein andermal lebte er bei einer Gruppe von Mönchen, mit denen er über die Auswirkungen der buddhistischen Lehre auf das NichtSelbst diskutierte. Was hatte die Wiedergeburt zu bedeuten, wenn die Existenz eines Selbst oder der Seele negiert wurde?
FLUCHT VOR DEN RÄUBERN IN DEN PUNDSCHAB
633 n. Chr. Keinerlei Vorwarnung. Ein Frühlingstag wie jeder andere. Xuanzang und seine Begleiter steigen das KaschmirTal hinab und bewegen sich auf die grosse GangesEbene in Nordindien zu. Fünfzig Räuber liegen in einem Wald in der Nähe Sakalas (dem heutigen Sialkot) auf der Lauer und halten Ausschau nach genauso einer Karawane wie der von Xuanzang. Sie überfallen die Gruppe, berauben sie ihrer Kleider und ihrer Güter und treiben sie dann auf ein trockenes Sumpfgelände hinaus. Der frühere See, von einer Mauer aus ineinander verwobenen Rebengewächsen und Dornensträuchern umrandet, gibt ein ideales Gelände für eine Schlächterei ab. Die Räuber haben schon damit begonnen, einige aus der Karawane zu fesseln, als ein junger Mönch Xuanzang zur Flucht verhilft. Die beiden flüchten gemeinsam und suchen Hilfe in einem ein Kilometer weit entfernten Dorf. Die Retter aus dem Dorf befreien alle, die gefesselt worden waren. Jedermann ist vom Verlust seines Besitzes und vom knappen Entrinnen aus den Fängen des Todes er schüttert. Nur Xuanzang scheint das Geschehene unberührt gelassen zu haben. »Das Leben ist das kostbarste Gut der menschlichen Existenz«, erklärt er.
Ein solcher Grad an innerer Distanz erscheint den modernen Menschen unerreichbar oder fremd. Selbst als Xuanzang in die Hände der Piraten fiel, die ihn ihrem Gott Durga als Opfer darbringen wollten, schien er über allem Geschehen zu stehen. Huili merkte treffend an: »Er war so wie das wirbelnde Wasser eines Flusses, das das klare Wasser darunter nicht trübt. «'
In Chinabhukti, das dem heutigen Firozpur entsprechen soll, genau südlich des SutlejFlusses, freute Xuanzang sich, mehr als ein Jahr lang (633634) mit Vitaprabha, einem nordindischen Prinzen, studieren zu dürfen. Xuanzang konnte seine Studien der Logik fortsetzen, denn der Prinz, der ebenfalls Mönch war, galt als Autorität auf dem Gebiet eines der beiden überlebenden Texte der Neuen Logik.' Auch hatte er Kommentare zum YogacaraBuddhismus, einschliesslich den Dreissig Versen, verfasst. Diese Abhandlung stammte von Vasubandhu, dessen Haus Xuanzang in Gandhara besucht hatte und der mit Asanga einer der Begründer der Schule des YogacaraIdealismus war. Eine sehr umfangreiche Literatur ist zu diesen Dreissig Versen verfasst worden, die die Lehre der Idealisten zusammenfassten, jener Philosophie, die Xuanzangs persönlichen Vorlieben am meisten entgegenkam.
Ein Teil des Hintergrunds dieser schwer fassbaren Philosophie, die für den Buddhismus im allgemeinen gilt, behandelt die Lehre des NichtSelbst. In den Milindapanha (Fragen des Königs Milinda) bittet ein weiser Mönch einen griechischen Baktrier (dessen Ansichten materialistischer und wörtlicher waren), ihm zu erklären, was ein Karren sei.
»Ist die Deichsel ein Karren?«
»Nein, ehrwürdiger Herr!«
»Ist denn die Achse ein Wagen?«
»Nein, ehrwürdiger Herr!«
»Sind es dann die Räder oder das Fahrgestell oder der
Flaggenmast oder das Joch oder die Zügel oder der Sta
chelstock?«
»Nein, ehrwürdiger Herr!«
»Ist es dann das Zusammenspiel aus Deichsel, Achse,
Rädern, Fahrgestell, Flaggenmast, Zügel und Stock, das einen >Karren< ausmacht?«
»Nein, ehrwürdiger Herr! «
Aus diesem Grund ist »Karren« ein Begriff oder nur ein Name, der keine endgültige Wirklichkeit besitzt. Die menschliche Persönlichkeit ist nicht nur weniger solide als einst gedacht; sie mag tatsächlich der einfache Strom von Erscheinungen sein. Ein anderes buddhistisches Bild ist jenes der Kerzenflamme. Ist die Kerzenflamme zu Beginn der Nacht dieselbe wie die in der Mitte der Nacht oder jene am Morgen?'
634 verbrachte Xuanzang seine Exerzitien zur Regenzeit in Jalandhara (Jullundur), der grössten Stadt im östlichen Pundschab. Danach verliess er die heissen Ebenen Nordindiens, überquerte Berge und Schluchten über gewagte Wege und stieg das herrliche, tannenbewachsene KuluTal hinauf. Dort stiess er auf zwei buddhistische Klöster und mehr als tausend Mönche, zumeist Anhänger des Hinayana. Ihm fiel auf, dass dort wertvolle Heilwurzeln wuchsen, dass Gold, Silber und Kupfer zu finden waren und die Menschen unter Kröpfen und Tumoren zu leiden hatten, was auch heutzutage noch für Kulu gilt und vielleicht sogar in einem noch weiteren Umfang für die Nachbartäler. Im Norden Kulus lag der 4270 Meter hohe RothundPass und dahinter exotische Landschaften wie Lahul und Leh in Ladakh. Doch das heilige Land Indiens zog ihn unwiderstehlich an. Wieder änderte er seine Richtung, um sich in die sengenden Ebenen des Pundschabs und das eigentliche Kernland Indiens zu begeben, nämlich in die Täler des Yamuna (Jumna) und des Ganges. Diese Täler, die an Mesopotamien und die fruchtbaren Länder zwischen Euphrat und Tigris erinnerten, waren sehr ertragreich. Er reiste 2000 /i genau nach Süden und dann östlich nach Mathura am Ufer des Yamuna.
IM KERNLAND INDIENS
Mathura war ein lebendiges Kulturzentrum und einst die südliche Hauptstadt von König Kanishka gewesen. In Mathura merkte Xuanzang an: »Der Boden ist sehr fruchtbar und die Landwirtschaft die hauptsächliche Beschäftigung.« Dort lernte er zwei Mangoarten kennen. »Im Land werden auch feine Tuche aus gestreifter Baumwolle und Gold hergestellt; sein Klima ist heiss; das Verhalten und die Sitten der Menschen waren gut; die Menschen glaubten an das Wirken des Karma und zollten der moralischen und intellektuellen Würde grossen Respekt.«' Kulturell betrachtet war Mathura ein HinduZentrum, auch wenn Xuanzang angibt, dass es dort neben den Hindus zweitausend Mönche der beiden buddhistischen Richtungen gab.
Die Landschaft war sehr flach. Buddhistische Klöster konnten dort nicht wie üblich auf einem Felsen, Kamm oder Hügel in der Nähe eines Flusses mit Blick auf die Stadt errichtet werden. Die meisten scheint es in einem grossen Halbkreis am Westufer des YamunaFlusses gegeben zu haben. Nach diesen Angaben lag die alte Stadt vermutlich 16 Kilometer von der heutigen Stadt entfernt. Unter den Fundsachen im MathuraMuseum sind riesige symbolische Bettelschalen zu sehen, die vor diesen Klöstern gestanden haben könnten, Behälter, die die individuellen Bettelschalen der Mönche ersetzten und nicht so sehr dem Einsammeln von Speisen als vielmehr dem von Almosen für die Mönche gedient haben.
Xuanzang war der Karriere von König Kanishka in dem Landstrich gefolgt, der heute aus Afghanistan und Pakistan gebildet wird. Als der Pilger sich im Kloster der Geiseln aufhielt, erfuhr er von der Freundlichkeit des Königs beim Umgang mit seinen chinesischen Vorgängern. In dem Landesteil, der heutzutage Pakistan entspricht, hörte er zum ersten Mal die Geschichte von der Bekehrung König Kanishkas zum Buddhismus und sah die Ruinen des Stupa, den der König hatte errichten lassen. Eine beeindruckende Statue von König Kanishka selbst — mit einer im Mantel des Königs eingemeisselten Inschrift, die ihn als »Den grossen König, König der Könige. Seine Majestät Kanishka« bezeichnet — befindet sich im MathuraMuseum.
Diese überlebensgrosse Statue ist ohne Kopf, die mächtigen Hände des Königs ruhen auf seinem Schwert und seiner Keule. Betrachtet man Münzen mit Darstellungen Kanishkas, so gleichen sie seiner Statue, und man kann sich einen wuchtigen. bärtigen Kopf mit einer grossen Kappe hinzudenken. Der König mit seinem langen Mantel und den schweren, wattierten Stiefeln mit Sporen wird sich in der schwülen Hitze Mathuras als unwohl gefühlt haben. Seine Zeremonialkleidung wurde aus der Steppe importiert, der ursprünglichen Heimat seiner nomadischen KushanaDynastie. Eine sitzende Statue vom Vater des Königs lässt dieselbe Autorität und ursprüngliche Kraft erkennen.
Die Bildhauer aus Mathura schufen auch die erste vollständige indische Darstellung des Buddha . Über die Frage, ob dieses Abbild früher als die Figur aus Gandhara oder zur gleichen Zeit entstanden ist, streiten die Kunsthistoriker. In den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung wurden diese frühen Buddhas in der Art archetypischer indischer Weisen mit untergeschlagenen Beinen in der YogaMeditation dargestellt. Xuanzang hat sie wohl in den zwanzig buddhistischen Klöstern gesehen, die er für Mathura angibt.
Trotz der fremden Invasoren — Griechen, Skythen, Parther und Kushana — entstand in Mathura die klassische indische Kunst, die Kunst der Guptas (etwa 320 bis 480). Frühe Kushana Buddhas blicken mit weit geöffneten Augen gerade in die Welt hinaus, während der GuptaJahre jedoch beginnen die BuddhaFiguren mit halb geschlossenen Lidern, eine nach innen gekehrte Sichtweise und Abgeklärtheit anzunehmen. Die im vierten und fünften Jahrhundert in Mathura gemeisselten BuddhaStatuen drückten als erste eine höhere transzendentale Weisheit und Mitgefühl aus, die in Sarnath ihren Höhepunkt erreichen sollten.
Mathura ist für Hindus und Jains wie auch für Buddhisten ein Ort der geheiligten Erinnerung. Hindus betrachten ihn als das Vaterland ihres Gottes Krishna, dessen Kult zur Zeit von Xuanzangs Reisen den des Buddhismus allmählich verdrängte. Der frühe chinesische Pilger Faxian besuchte Mathura während der Herrschaft von Chandragupta II (375 bis 413), als sowohl der Brahmanismus als auch der Buddhismus vom Hof der Gupta grosszügig gefördert wurde. In diesem goldenen Zeitalter der indischen Kultur standen Kunst, Literatur, Wissenschaft und Religion in hoher Blüte. Von nur wenigen buddhistischen Monumenten blieben bis heute auch nur die Fundamente erhalten, so radikal haben islamische Invasoren sie zerstört. Archäologen haben noch 1976 grosse BuddhaStatuen aus Hügeln in dieser Region ausgegraben.
 
Kopflose Statue von König Kanishka in Zeremonialkleidung mit Inschrift auf dem langen Gewand. Sitzender Buddha aus dem KatraTumulus, Mathura (zweites Jahrhundert). Dieser Prototyp — eine Figur mit untergeschlagenen Beinen in YogaMeditationshaltung — ist ein ausgezeichnetes Beispiel für eine vollständig indische Darstellung Buddhas.
Als Xuanzang sich der Wiege des Buddhismus in der Umgebung von Varanasi näherte, machte er den Winter über und im ersten Teil des folgenden Frühlings (634 bis 635) in Srughna am Oberlauf des Yamuna Station, um sich mit dem Denken einer weiteren buddhistischen HinayanaSekte vertraut zu machen.
Die RegenEinkehrzeit fällt von Land zu Land unterschiedlich aus; in Indien wird sie gewöhnlich um Mitte Juni eingehalten, auch wenn das Land erst einen Monat später von Regengüssen überschwemmt wird. Nach wie vor befolgen die Mönche die alte Praxis in sämtlichen asiatischen Ländern, indem sie zu dieser Zeit sesshaft werden. Ursprünglich waren sie Wandermönche, die nur während der drei Monate der RegenEinkehr am Gemeinschaftsleben teilnahmen, wenn das Herumwandern ihnen schwerfiel. Allmählich entstanden auf dem Land Klöster für die ganzjährige Benutzung, die von frommen Laien oder frommen Buddhisten zur Verfügung gestellt wurden.
AM HEILIGEN FLUSS
Eine Reise südwestlich des Flusses Yamuna führte Xuanzang nach Matipura, wo er die zweite Hälfte des Frühlings und den Sommer 635 n. Chr. am Ganges verbrachte. Der heiligste Fluss Indiens entspringt an den Ausläufern der Südkette des Himalaja, fliesst 2400 Kilometer weit nach Osten und ergiesst sich schliesslich in den Golf von Bengalen. Xuanzang beobachtete, dass der Strom an seinem Oberlauf drei bis vier /i breit war, wogegen er etwa 10 /i breit ist, wenn er sich dem Meer nähert. Die »Wasser des Flusses wechseln die Farbe, und grosse Wellen steigen in ihnen auf; viele herrliche Geschöpfe tummeln sich in ihnen, aber keines tut dem anderen etwas zuleide; diese Wasser besitzen einen süssen Geschmack, und die Strömung befördert feinen Sand mit sich.«'"
Xuanzang weiss zu berichten, dass man es »Wasser der Glückseligkeit« nannte, doch ins Reich des Aberglaubens verwies er die Überzeugung all jener, die sich mit einem Bad in diesem Wasser von Sünden reinzuwaschen glaubten oder hofften, später im Himmel als Glückliche wiedergeboren zu werden.m
Nachdem er erfahren hatte, dass der Ganges die Wiege der indischen Zivilisation war, wird er sich an den Gelben Fluss in seiner Heimat erinnert haben, der häufig als Schoss der chinesischen Zivilisation bezeichnet wird. Und wenn er an sein Heimatland dachte, so »berührte sein Herz zehntausend Dinge«, wie ein chinesisches Sprichwort sagt.
Dreizehn Jahrhunderte später wünschte Jawaharlal Nehru, der erste Premierminister des unabhängigen Indien, dass man nach seinem Tod eine Handvoll seiner Asche über dem Fluss am heiligen Zusammenfluss des Yamuna und des Ganges in Allahabad ausstreue, damit sie in den grossen Ozean getragen werde, der Indiens Küste umspült. In seinem letzten Willen mit Datum vom 21. Juni 1954 schrieb Nehru, insbesondere der Ganges sei »der von den Menschen geliebte Fluss Indiens, mit dem die Erinnerung an ihre Herkunft, ihre Hoffnungen und Ängste, ihre Triumphgesänge, Siege und Niederlagen aufs engste verwoben sind«.'
In Nehrus Augen veränderte sich der ewig strömende Fluss und blieb dennoch derselbe. Er erinnerte ihn an den Himalaja, an die Gipfel im ewigen Schnee und die tiefen Täler und grünen Ebenen darunter, wo er gelebt und gearbeitet hatte. Er sah den Fluss tanzend und lächelnd im Morgenlicht und dunkel und »voller Geheimnisse, wenn die Abendschatten fallen«. Und er verglich den Ganges zur Winterzeit mit dem Ganges, der während des Monsuns Hochwasser führte: »breitbrüstig, fast mit der zerstörerischen Gewalt des Meeres«. Nach Nehrus Meinung bildete der Ganges »das Symbol und das Gedächtnis von Indiens Vergangenheit, die in der Gegenwart strömt und weiter in die Zukunft fliesst«."
HULDIGUNG AN DER HIMMELSLEITER
Als Xuanzang 629 bis 630 dem König von Turfan in einem freundlichen Brief für seine zahlreichen Geschenke dankte, schrieb er, für ihn sei die Zeit gekommen, ins »Land der Himmelsleiter und des Bodhibaums zu gehen«, wo Buddha die Erleuchtung gefunden habe. Als der Pilger immer in südöstlicher Richtung den Ganges entlang reiste, verspürte er ein starkes Verlangen, Sankasya (Kapitha) zu besuchen, das auch heutzutage noch für jeden Buddhisten zu einer der acht traditionellen Pilgerstätten gehört. Vier grosse Pilgerstätten wurden proklamiert: Lumbini (Buddhas Geburtsort), Bodh Gaya (der OIrt seiner Erleuchtung), Sarnath (der Ort seiner ersten Predigt) und Kusinagra (der Ort seines Todes).' Im Lauf der Zeit gewannen vier weitere Orte an Bedeutung: Savrasti (wo Buddha das Grosse Wunder wirkte), Rajagriha (wo Buddha den wilden Elefanten zähmte), Vaisali (wo der Affe Buddha Honig zum Geschenk gab) und Sankasya, das Land der Himmelsleiter (wo Buddha vom Himmel herabstieg).
»Die Orte der acht grossen Ereignisse zu besuchen, heisst auf direktem Wege das Leben Buddhas als Demonstration seiner Vollkommenheit und die Vollkommenheit aller Buddhas zu erfahren.« Dies behauptet die Glaubenslehre des Mahayana. Xuanzang glaubte an diese Wunder; es gab keinen Grund, weshalb das Spirituelle in der materiellen Welt machtlos sein sollte.
In Sankasya, so die von Xuanzang wiederholte Legende, stieg Buddha vom Himmel herab, nachdem er dort für seine Mutter gepredigt hatte. »Dann stellte Indra dank seiner göttlichen Macht die dreifache Leiter aus kostbaren Substanzen auf, die mittlere aus Gold, die linke aus Kristall und die rechte aus Silber gefertigt. Buddha stieg auf der mittleren Leiter hinab; Brahma, einen weissen Wedel haltend, ging mit ihm die rechte Leiter hinunter, und Indra, mit einem juwelenbesetzten Sonnenschirm, benutzte die rechte Leiter, während Devas in der Luft Blumen streuten und Buddha priesen.«
Die Legende kann so interpretiert werden, dass Buddha den HinduGöttern überlegen ist, da Indra und Brahma als seine Begleiter auftreten. Sie spricht auch das Bedürfnis an, das sich im Christentum in dem Kirchenlied »Komm zu uns hernieder, wir bitten dich« ausdrückt. Vielleicht ist sie auch ein Gegenstück zu Christi Himmelfahrt.
Xuanzang suchte nach einem Modell für Buddha, der vom Himmel zum Tempel in Sankasya hinabsteigt. Er fand eine grosse Statue aus Silber, die gut 1,20 Meter hoch war. Dies war die zweite in seiner Sammlung der sieben berühmten BuddhaDarstellungen.
Zur Zeit Xuanzangs hatten spätere Könige die kostbare Leiter in Stein und Ziegel mit Verzierungen aus verschiedenen Edelsteinen bis zu einer Höhe von 21 Meter wieder aufgebaut. Über der Leiter war ein Tempel errichtet worden; darin befanden sich eine Statue des Buddha aus Stein sowie Statuen von Brahma und Indra. Ausser den Ruinen des Stupa mit der dreifachen Leiter und einer beeindruckenden Säule mit einem kauernden Elefanten obendrauf ist heute nur wenig erhalten geblieben.r
VISITE IN HARSHAS REICH
Xuanzang wandte sich nach Süden zur Gegend Kanyakubja (Kanauj), in der König Harshas Hauptstadt an den Ufern des Ganges — etwa 80 Kilometer südlich des heutigen Cawnpore —lag. Der grosse König Harsha, der von 606 bis 647 regierte und die Reiche Nordindiens vereinigt hatte, war beim Eintreffen Xuanzangs nicht anwesend. Seine Hauptstadt hatte hohe Mauern, gut ausgehobene Gräben und mächtige Verteidigungsvorrichtungen. Überall gab es attraktive Parkanlagen, künstliche Seen mit klarem Wasser ebenso wie beeindruckende Türme und Pavillons. Die Menschen lebten überwiegend vom Handel. Die seltensten Waren aus anderen Ländern gab es in Kanyakubja, und hier lebten Familien mit grossem Wohlstand. Nur Chang'an oder Luoyang in China konnten mit dieser Stadt gleichziehen.
Xuanzang traf auf hundert buddhistische Klöster der beiden buddhistischen Sekten, in denen zehntausend Mönche lebten, wie auch auf zweihundert DevaTempel. Alles, was er sah und vernahm, wies darauf hin, dass König Harsha seine schützende Hand über den Buddhismus hielt; er konnte sich inzwischen für grosse religiöse Prozessionen und Debatten über die Religion begeistern wie früher über eine Schlachtordnung und einen militärischen Sieg."
Xuanzang erfuhr, wie man den Bruder des Königs ermordet hatte und der König an die Macht gelangt war.
Da das Volk seinen Herrscher verloren hatte, geriet das Land in einen desolaten Zustand. Dann sagte der grosse Minister Poni (Bhandi), dessen Macht gross und dessen Ruf Gewicht besass, vor den versammelten Ministern: »Das Schicksal der Nation muss heute besiegelt werden. Der Sohn des alten Königs ist tot; der Bruder des Prinzen jedoch ist menschlich und gütig, und seine vom Himmel verliehene Veranlagung besteht aus Pflichterfüllung und Gehorsam. Weil er sich seiner Familie gegenüber anhänglich zeigt, vertrauen die Menschen ihm.
Trotz der öffentlichen Unterstützung sträubte Harsha sich dagegen, König zu werden, und fastete und betete zu einer BodhisattvaStatue am Ufer des Ganges, bevor er die Königswürde annahm.
      
Sowie Siladitya (Harsha] zum Herrscher ernannt worden war, versammelte er eine grosse Armee und machte sich auf, seinen ermordeten Bruder zu rächen und die Nachbarländer zu unterwerfen. Auf seinen Feldzügen nach Osten fiel er in die Staaten ein, die ihm die Untertanentreue verweigerten, und führte ständig Krieg, bis er innerhalb von fünf Jahren die Fünf Indien niedergerungen hatte... Er vergrösserte sein Heer, vergrösserte das Elefantenkorps auf 60.000 und die Kavallerie auf 100.000 Mann. Danach regierte er dreissig Jahre lang in Frieden, ohne je wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen.'
Xuanzang schildert auch, dass es zur Regel gehörte, die Elefanten betrunken zu machen, bevor man sie in die Schlacht schickte.
König Harsha, ein Herrscher in einem kleinen Staat im oberen GangesTal, hatte 612 ein Reich zusammengeschweisst und wurde als »Herr von ganz Nordindien« respektiert. Die Könige von Assam und Gujarat erkannten ebenfalls seine Herrschaft an, und sein Heer wagte sich bis zu den schneebedeckten Bergen Tokharistans vor, dem heutigen Afghanistan.
Xuanzang berichtet, dass der König in den Jahren des Friedens ein Drittel seiner Zeit den Staatsangelegenheiten und zwei Drittel religiösen Verrichtungen widmete, wozu etwa die tägliche Versorgung von fünfhundert Brahmanen und tausend buddhistischen Mönchen sowie die Einrichtung von Herbergen für Reisende in seinem Herrschaftsbereich gehörte. Er galt als einer der grössten Wohltäter des Klosters Nalanda. Wie Ashoka und Kanishka vor ihm, nahm er aktiv am Leben in den buddhistischen Einrichtungen teil. Er rief die Mönche aus ganz Indien zusammen, diskutierte über bestimmte Fragen des Glaubens mit ihnen und stärkte auch ihren Glauben. Wie Ashoka liess er Tausende von Stupas und Klöster errichten und bemühte sich, das Schlachten von Tieren zu verbieten. Alle fünf Jahre veranstaltete er eine grosse Almosenvergabe, zu der er alle Armen gleich welchen Glaubens und die Priesterschaft aller Religionen einlud.
Die Mönche waren von diesem grosszügigen Wohltäter begeistert. Vermutlich galt ein Gleiches für die Literaten, die er ebenfalls ermutigte und belohnte. Alle Hinweise deuten auf einen gütigen, intellektuell neugierigen Mann mit vielerlei Interessen hin, den Xuanzang als Sonne der Tugend bezeichnete.'
Während seines dreimonatigen Aufenthaltes in Kanyakubya im Jahr 636 war Xuanzang in der Lage, sich nach und nach ein Bild von seinem Schirmherrn und grossen König zu machen, dem er erst später begegnete, nachdem er Indien dreizehn Jahre lang kreuz und quer bereist hatte. Offenbar hat König Harsha 641 einen Gesandten nach China delegiert: »Politische und Gründe des Prestiges... wie auch intellektuelle Neugier mögen Harsha dazu geführt haben, mit China diplomatische Beziehungen anzuknüpfen.«" Als der König und der Pilger sich schliesslich 642 begegneten, zeigte der König sich von Xuanzang beeindruckt und veranstaltete zu Ehren des Pilgers eine grosse Debatte, die sich als einer der grössten Triumphe seiner Reise erweisen sollte.
Xuanzang verbrachte die Zeit seines ersten Aufenthaltes mit der Lektüre der Kommentare zu den Standardwerken der Realistischen HinayanaSchule. Es scheint merkwürdig, dass Xuanzang, der den HinayanaBuddhismus als unvollständig und rudimentär betrachtete, so viel Zeit mit dem Studium der entsprechenden Texte verbrachte. Vielleicht war ihm bewusst, dass er seinen Widersachern mit Geschick gegenübertreten musste, wenn er sich in Indien einen Namen machen wollte. »Vollständiges Verständnis der Argumente eines Widersachers war einer der siebenundzwanzig >Punkte<, anhand dessen ein Vortrag bewertet wurde. «
PHILOSOPHIE UND PIRATEN
Xuanzang wollte Ayodhya, das antike Saketa, besuchen, denn es war die Heimstatt des MahayanaIdealismus, der Urquell des YogacaraBuddhismus. Südlich der Hauptstadt fand er das alte Kloster in einem Mangowäldchen, wo die Brüder Asanga und Vasubandhu ihre Sutras geschrieben und im fünften Jahrhundert den YogacaraIdealismus ausgelegt hatten. Nach der Übersiedlung der beiden Brüder aus dem Land Gandhara nach Ayodhya hing Vasubandhu immer noch vielen Ideen des Hinayana an. Seine Bekehrung zum reinen Idealismus des Mahayana vollzog sich im Kloster mit den Mangobäumen am Fluss, »wo der Ganges« — mit Nehrus Worten — »voller Geheimnisse steckt, wenn die Abendschatten fallen«.
Asanga verabredete sich mit seinem Bruder am Kloster mit dem Wald aus Mangobäumen:
     
Als die Nacht hereinbrach, führte er ihn auf eine Terrasse, von der aus man den Fluss Gogra überblicken konnte, und zog sich zurück. In dieser klaren Herbstnacht schien der Mond auf das Wasser. Eine Stimme erhob sich, eine unbekannte Stimme, die eine mahayanische Abhandlung las. Zweifellos sprach sie von der Befreiung des Geistes, seinem Ausflug auf den Schwingen des Idealismus. Nach dieser Theorie vorn Flie ssgn und vom Licht musste sich die Welt der Formen verflüchtigen, so wie zu jener Stunde der Schein von Erde und Wasser in den Monddünsten des Gogra [Ganges] schwebte. Das Wesen des Konkreten erfüllte den Traum in der indischen Nacht: Alle Dinge waren nur noch der Traum eines Traumes. Die Idealität des Universums trat an die Stelle des materiellen Kosmos, und unter diesem neuen Aspekt wurde alles begreifbar, zugänglich und möglich.
           
Vasubandhu begriff zumindest die Schönheit der idealistischen Philosophie seines Bruders Asanga. Dieser Philosophie zufolge findet der ideale Zustand des Universums in der materiellen Welt statt. Zum Beispiel: »In einem nach den Regeln gemalten Bild gibt es weder einen hohlen noch einen erhabenen Teil, und dennoch sieht man es; daher existiert in unserer Vorstellung nie eine Dualität, und dennoch sehen wir sie.«'
In dieser Philosophie, die nur den Geist gelten lässt, wird die äussere Wirklichkeit zu einem Traum, einer Luftspiegelung, einer Wolke. Vasubandhu hat gesagt: »Zweifelsohne sind die Dinge unwirklich (nirathanas) — im Verhältnis zu der Wirklichkeit (atman), die eigentlich in der Natur existiert—, aber sie sind nicht ohne Existenz in der unbeschreiblichen Art des Seins, das in den Bereich der Buddhas fällt.«26 Das Wort yogacara bedeutet eigentlich »Yogapraxis«. Und so bewegen wir uns von der idealistischen Philosophie in die Welt des Mystizismus.
Vielleicht haben deshalb der Bodhisattva Maitreya oder Buddha der Zukunft und die YogacaraIdealisten eine besondere Affinität zueinander. Anhänger des Kultes von Maitreya wie Xuanzang glaubten, dass die verdienstvolle Welt in den TushitaHimmel ging, um auf die Wiedergeburt in einem freudvollen neuen Zeitalter zu warten. Xuanzang selbst berichtete die Legende, in der Asanga abends in den TushitaHimmel kommt, wo der Maitreya ihm den Sanskrittext diktierte, der jetzt als Abhandlung über die Stufen der Yogapraxis bekannt ist. Forscher nehmen an, dass Asanga diese Worte in Wirklichkeit von einer historischen Person, vermutlich seinem Lehrer, erhalten hat, der zufälligerweise den Namen Maitreya trug!' Xuanzangs eigene Übersetzung der Abhandlung entstand etwa um 647.
Ein dramatischer Zwischenfall hätte seine Reise beinahe beendet.
636, in irgendeiner Woche. Für unseren ahnungslosen Pilger spielt Zeit keine Rolle. An den Ufern des Ganges. Der Pilger fährt mit achtzig Leuten in einem Boot den Fluss hinunter. Zehn Boote mit Piraten greifen sie an und drängen sie ans Ufer ab. Dann bemerken sie, wie gut Xuanzang aussieht, und beschliessen, er sei genau der richtige Mann für ihr alljährliches Menschen und Blutopfer an ihren Gott Durga. Aber Xuanzang wendet sich direkt an ihren Anführer: »Wenn dieser arme und besudelte Körper für ein Opfer ausreicht, dann wage ich nicht, euch dieses Opfer zu missgönnen. Da ich auf meiner Reise eine solch grosse Entfernung überwunden habe, weil ich dem Bild des Buddha Reverenz erweisen und mich über den Charakter der Heiligen Bücher und buddhistischen Lehre kundig machen wollte, fürchte ich sehr, dass euch nur Unglück bevorsteht, wenn ihr meinen Körper tötet. «
Der Anführer der Piraten schenkt seinen Worten keinerlei Beachtung und befiehlt seinen Leuten, den Pilger zu fesseln. Xuanzang bittet um eine letzte Gunst, denn er möchte Zeit finden, um sich innerlich zu sammeln. Dann denkt der Pilger mit ungetrübter Konzentration an den Bodhisattva Maitreya und bittet ihn inständig, er möge im TushitaHimmel wiedergeboren werden, die heiligsten Worte des Buddhismus vernehmen und das vollkommene Verstehen erreichen. Angesichts seiner freudigen Erwartung hat er längst den Altar vergessen, auf den man ihn zu opfern beabsichtigt.
Jählings kommt ein schwarzer Taifun auf. Die Piraten geraten über dieses Wunder in Schrecken. »Wer ist dieser Mann?« fragen sie.
Als man ihnen erklärt, Xuanzang sei ein berühmter Mönch aus China, bitten die Piraten ihn um Vergebung. Xuanzang verzeiht ihnen und fordert sie auf, ihr Leben zu ändern. Da geloben die Piraten noch am selben Ort, sich in der buddhistischen Gemeinschaft als Laienbrüder zu verpflichten.
Der Pilger und seine Begleiter — die Piraten gaben ihnen das Boot zurück — setzten ihre Fahrt zum Ort der Einmündung des heiligen Yamuna in den heiligen Ganges im heutigen Allahabad (Prayaga) fort.
     
DIE SANDELHOLZSTATUE IN KAUSAMBI
Kausambi war die wichtigste Station Xuanzangs, bevor er das heilige Land des Buddhismus erreichte. Er musste Wälder voller wilder Elefanten durchqueren, um in die alte GuptaHauptstadt zu gelangen. Dort beim Yamuna zeigte man ihm den mehr als 18 Meter hohen buddhistischen Tempel, in dem es eine Statue des Buddha aus Sandelholz mit einem Baldachin aus Stein gab.
     
»Diese Statue verhielt sich wundertätig, und keine Macht konnte sie von ihrem Platz bewegen; daher fertigte man Abbildungen an, die angebetet wurden, und alle wirkliche Ähnlichkeit des Buddha wurde von diesem Abbild übernommen«, bemerkte Xuanzang." Es heisst, diese Statue sei für König Udayana während der dreimonatigen Periode angefertigt worden, in der Buddha sich im Himmel aufhielt, um für seine Mutter zu predigen. Der Überlieferung zufolge forderte der König, der mit Zuneigung an Buddha dachte, einen von dessen Jüngern auf, mit Hilfe seiner geistigen Kräfte einen Künstler in den Himmel zu befördern, um die besonderen Körpermerkmale des Buddha zu erforschen und danach eine Figur aus Sandelholz zu schnitzen.

König Udayana überreicht Buddha die UdayanaStatue aus Sandelholz, die ein Künstler während des Aufenthalts Buddhas im Himmel geschnitzt haben soll.

Sandelholz, das gelbliche Kernholz eines indomalayischen Baums (Santalum album), wird gern für asiatische Holzschnitzarbeiten verwendet und duftet mit einer für asiatische Gewürze eigentümlichen Note. Dies war die dritte Figur in seiner Sammlung.
Nun besass er die berühmteste aller Figuren, die UdayanaStatue, deren ikonographischen Typus es nach wie vor in Japan gibt. Nach seiner Rückkehr nach China liess er zweihundert Statuen in trockener Lacktechnik ausführen. Viele Jahre später, als er wusste, dass er sterben würde, und seine Jünger ihn baten, einen weiteren buddhistischen Text zu übersetzen, lehnte er dies ab. »Lasst uns statt dessen zum Orchideen und Pilztal gehen, damit ich meinen Buddhas Lebewohl sagen kann.«

Als junger Mann war Xuanzang einst von der Lektüre des Sutra vom Ruhmvollen Ableben dermassen gefangengenommen, dass er das Schlafen vergass. »Es gibt vier Orte«, soll der Buddha in diesem Sutra gesagt haben, »die der gläubige Mensch mit einem Gefühl der Verehrung und Ehrfurcht aufsuchen sollte« — den Geburtsort des Buddha, die Stätte seiner Erleuchtung, den Ort seiner ersten Predigt und seinen Sterbeort.'
Die mit den Hauptereignissen im Leben Buddhas in Beziehung stehenden Orte — Lumbini als Geburtsort, Bodh Gaya als Stätte der Erleuchtung, Sarnath als Ort der ersten Predigt und Kusinagara als Sterbeort — haben sich allmählich zu Pilgerorten entwickelt.' Xuanzang hatte mit Sankasya, dem Ort des Abstiegs vom Himmel, eine der geringeren Pilgerstätten besucht. Nun wollte er sich zu den vier heiligsten wie auch zu den drei geringeren Stätten aufmachen, an denen Buddha Wunder gewirkt hatte.
Als Xuanzang das GangesYamunaTal, in dem Buddha lange gelebt hatte, weiter hinunter wanderte, war er fast acht Jahre auf Wanderschaft; nun endlich näherte er sich dem wahren heiligen Land der Buddhisten.'
Dort zu wandern, wo Buddha gewandelt war und seine zahlreichen Wunder gewirkt hatte; die Stätten aufzusuchen, wo er geboren wurde, gelebt hatte und gestorben war, und das grösste Heiligtum von allen in Bodh Gaya, wo er unter dem BodhiBaum die Erleuchtung erlebt hatte: diese geheiligten Stätten waren sein eigentliches Ziel gewesen. Er verfolgte eine andere Art des Begreifens, von jener Art, die mit Gottes Worten an Moses beginnt: »Zieh deine Schuhe aus von deinen Füssen; denn der Ort, darauf du stehst, ist ein heilig Land!«
Wie üblich beginnen seine Berichte mit Angaben zur Geographie des Königreichs, in dem er sich aufhielt, zur Anzahl der Gläubigen und zu ihrer Sektenzugehörigkeit. Doch so die Angelegenheiten verblassten angesichts des grossen mysti,:hen Dramas im Leben Buddhas. Spirituelle Wirklichkeiten,
ie so häufig in Indien, drohten die Eigentümlichkeiten der historischen Details zu überlagern. Die BuddhaLegende ist wunderbar ersonnen, gleich, ob wir sie — wie Xuanzang —wortwörtlich als Wahrheit anerkennen oder als Mythos oder symbolische Wahrheit verstehen.
DAS GROSSE WUNDER IN SRAVASTI
Nachdem Xuanzang Kausambi hinter sich gelassen hatte, wandte er sich nach Norden, um in Lumbini den Geburtsort Buddhas zu besichtigen. Unterwegs machte er zuerst in Sravasti im heutigen Bezirk Sahet Mahet Station. Zur Zeit Buddhas war dies die Hauptstadt von König Prasenajit. Xuanzang sah sich die Ruinen des Königspalasts und die Fundamente der Predigthalle an, die der König zu Ehren Buddhas hatte errichten lassen. Von den vielen Klöstern in Ruinen erwähnte Xuanzang namentlich nur das Kloster Jetavana, wo es einen aus Ziegeln gemauerten Schrein mit einer BuddhaStatue gab, die König Prasenajit in Auftrag gegeben hatte. Es handelte sich um eine 1,50 Meter hohe Kopie der Statue, die für König Udayana von Kausambi angefertigt worden war.
Im Kloster Jetavana hatte Buddha eine Gemeinschaft von Mönchen eingerichtet und auch zugestimmt, dass Frauen eine eigenständige Gemeinschaft aus Nonnen gründeten. Xuanzang berichtet, dass ein wohlhabender Laie namens Sudatta in einem schönen Hain unweit Savrastis ein Grundstück für die neue buddhistische Gemeinschaft erwarb. Das einzige Stück Land, das zur Verfügung stand, gehörte dem Fürsten Jetavana.
Als der Älteste [Sudatta] den Fürsten bat, ihm seinen Hain zu verkaufen, sagte dieser zum Spass: »Ja, für so viele Goldstücke, wie man braucht, um ihn zu bedecken.« Diese Antwort erfreute Sudatta, und er begann sofort damit, den Boden mit Goldstücken aus seinem Schatz zu bedecken. Als der ganze Erdboden bis auf eine kleine Ecke mit Goldstücken übersät war, bat der Fürst Sudatta, davon abzulassen, indem er sagte: »Der Buddha ist wahrhaft ein ausgezeichnetes Feld; es schickt sich, dass ich guten Samen sähe. « So kam es, dass auf dem freien Stück Land ein Tempel errichtet wurde.
Xuanzang berichtete, dass König Prasenajit in der Nähe des Parks von Jetavana einen magischen Wettstreit zwischen Buddha und sechs Führern unterschiedlicher Sekten austragen liess. Buddha überwältigte sie alle. Dies bleibt seine einzige Anspielung auf das berühmte Wunder von Savrasti, das sich so häufig in der buddhistischen Kunst niedergeschlagen hat. Eins dieser Porträts zeigt Buddha mit Flammen, die aus seiner Schulter schlagen, und Wasserströmen, die aus den Füssen spriessen, was seinen Sieg über Feuer und Wasser symbolisieren soll. Noch beliebter ist das Wunder, bei dem Buddha sich selbst tausende Male vervielfältigte.' Es ist dem von Buddhas Herabstieg vom Himmel in Sankasya vergleichbar. Beiden ist die psychologische oder innere Wahrheit gemeinsam: das Wissen, dass die Gottheit unendlich und überall zugleich ist.
Xuanzang erkundete auf den Spuren des historischen Buddha die Orte, an denen viele seiner Lehren verkündet worden waren. Er suchte den AngulimalaStupa auf, der nach dem verruchten Mann benannt ist, der wahllos Menschen tötete und von jedem seiner Opfer einen Finger abschnitt, um sich »ein Halsband aus FingerGirlanden« anzufertigen. Als er die eigene Mutter zu ermorden drohte, nahm Buddha deren Stelle ein und überredete nicht nur den Mörder zur Reue, sondern ver3.71afs'te ihn darüber hinaus, ein frommer Mönch zu werden. In
Nähe der Fundamente des Klosters Jetavana sah Xuanzang
den Stupa, wo Buddha einen kranken Mönch geheilt und
Verbrechern das Augenlicht zurückgeschenkt hatte, die Konig Prasenajit hatte verhaften und denen er zur Strafe die Augen hatte ausreissen lassen.
Obwohl Xuanzang wie auch sein Vorgänger Faxian ent..._hlossen waren, die buddhistische Philosophie und Klostertzeln zu erlernen, beachteten sie die Geschichten und Lehren Buddhas Überlieferung. Beide beschrieben ausführlich, wo 5,:ddha seine Feinde besiegt und den unergründlichen Tiefen :Je: Hölle ausgeliefert hatte. Zum Beispiel jene Frau, die ver,..Ä:nt hatte, Buddha zu verleumden, indem sie behauptete, er der Vater ihres Kindes, und sein Vetter Devadatta, der as Ischariot des Buddhismus, der Respekt zu bezeugen vor42'.7 und währenddessen Gift unter die Fingernägel Buddhas um ihn zu töten.
llddha war fünfundzwanzig Jahre während der RegenEinin Sravasti. Ausser einigen niedrigen Mauern, Stupas und Erdhügeln ist nur wenig erhalten geblieben. Die Ruinen sind nur teilweise ausgegraben worden, obwohl Buddha dort viele seiner Lehren zum ersten Mal vorgetragen hat.'
SPUREN IN KAPILAVASTU UND LUMBINI
Um nach Kapilavastu zu gelangen, musste Xuanzang nordöstlich eines halbtropischen Gebietes in Südnepal in den Ausläufern des Himalajas reisen, das unter dem Namen Terai bekannt ist. Er fand eine fruchtbare Landschaft und die Klöster verlassen vor.
Innerhalb der Mauern von Kapilavastu, dem Königreich, in dem Buddha geboren worden und aufgewachsen war, machte Xuanzang eine Anzahl geweihter Stätten aus', darunter die Ruinen des Palastes von Buddhas Vater, König Suddhodana, und ein verfallenes Fundament, das der Schlafplatz seiner Mutter, Königin Maya, gewesen sein soll.
Im Schrein sah er eine Darstellung des weissen Elefanten, der vom Himmel herabsteigt. Buddhas Empfängnis wird ebenso wunderbar wie die von Jesus Christus geschildert. Während einer Vollmondnacht träumte Königin Maya, ein kleiner weisser Elefant gehe in ihre rechte Seite hinein. Als sie ihrem Gemahl von dem Traum berichtete, wussten er und seine Minister, dass diese Frau einem aussergewöhnlichen menschlichen Wesen das Leben schenken werde, denn ein weisser Elefant war Teil des Erbes eines universellen Königs .
Im Nordosten des Palastes der »spirituellen Empfängnis« stiess Xuanzang auf den Stupa, der den Ort kennzeichnet, an dem der Astrologe Asiti ein Horoskop für den königlichen Prinzen erstellte. Am Tag von Buddhas Geburt lud König Suddhodana all seine Wahrsager zu sich, denn er wollte die glücklichen von den unglücklichen Vorzeichen trennen. Er erhielt zur Antwort, dass sein Sohn ein universeller König werden würde, wenn er im diesseitigen Leben verbleibe, und ein Buddha, wenn er sein Heim verlasse.
Xuanzang hielt auf dem geweihten Grund des Stupa, der auf die Erleuchtung des Buddhas der Zukunft vorausdeutete, von dem in vielen buddhistischen Büchern berichtet wird.
Der junge Prinz und spätere Buddha sollte, wie der junge Jesus Tempel, ein Leben führen, das sich von dem anderer Män grundlegend unterschied.
Am Südosttor in Kapilavastu fand Xuanzang einen Schrein, ihn ganz besonders beeindruckt haben muss. Hier erblickte junge Prinz, nachdem er dem Luxusleben im Königspalast Rücken gekehrt hatte, zum ersten Mal einen Greis, einen
Kranken, einen Leichenzug und einen Bettelmönch.
Der Traum der Maya. Buddhas Empfängnis vollzog sich, als seine Mutter Maya im Traum einen Elefanten sah, der in ihre rechte Seite eintrat.
Diese schicksalhafte Begegnung hat in gerader Linie zu dem geführt, was als der Grosse Abschied von seines Vaters Königreich bekannt geworden ist.
Lumbini, die heiligste Stätte der Umgebung, lag etwa 15 Kilometer östlich von Kapilavastu.> Xuanzang sah das schöne Tauchbecken und vierundzwanzig Schritt davon entfernt den alten AshokaBaum, unter dem Buddha geboren wurde. In der Umgebung war eine geborstene Säule, und aus der Nähe sah er sich die Pferdestatue darauf an. König Ashoka hatte diese Säule errichten lassen, und eine Inschrift besagte, dass er im einundzwanzigsten Jahr seiner Regierung an genau diesem Platz gebetet hatte, an dem Buddha geboren wurde. Die Säule blieb vollständig vom Dschungel überwuchert, bis der Archäologe A. Fuhrer sie 1895 entdeckte und die genaue Lage des LumbiniParks herausfand.
Der Überlieferung zufolge begab sich Königin Maya 563 v. Chr. in diese Parkanlage. Sie gebar stehend — eine Haltung, die durch die Skulpturen verbreitet wurde — unter einem AshokaBaum und hielt dabei einen Zweig in ihrer rechten Hand. Der Säugling entsprang ihrer rechten Seite, und das Neugeborene wurde sogleich von den Göttern betreut, die sich zu diesem Ereignis versammelt hatten. Und die Götter sagten: »Die Königin mag frohlocken, dass sie einem solch glücklichen Kind das Leben geschenkt hat.« Und die Himmelskönige erklärten: »Wenn die Götter über dieses Ereignis frohlocken, um wieviel mehr müssen dies die Menschen tun!«
Xuanzang fährt fort:
Als Bodhisattva geboren wurde, wandelte er ohne Hilfe in Richtung der vier Unterkünfte, sieben Schritt in jede Richtung, und sagte: »Ich bin der einzige Herr im Himmel und auf Erden; von dieser Zeit an haben meine Geburten ein Ende.« Dort, wo seine Füsse den Boden berührt hatten, schossen grosse Lotusblumen empor. Zudem sprangen zwei Drachen hervor, die, in der Luft schwebend, der eine einen kalten und der andere einen warmen Wasserstrahl aus dem Maul spritzend, den Prinzen wuschen.
Xuanzang erwähnte, dass in der Nähe der AshokaSäule ein kleiner Fluss nach Südosten strömte, den die Menschen den Oilfluss nannten. Ursprünglich habe es sich dabei, so erklärt er, um ein Vorratsbecken mit reinem Öl gehandelt, das die Götter zum Gebrauch von Buddhas Mutter nach der Geburt ihres Sohnes geschaffen hatten, und er fügt hinzu, dass man das Becken in einen Wasserstrom zurückverwandelte, der seinen öligen Charakter beibehalten habe."
AM STERBEORT BUDDHAS
Nach Lumbini führte die Pilgerroute Xuanzang zu Beginn des Jahres 637 an den Sterbeort Buddhas, Kusinagara. Kusinagara ist als das heutige Kasia am linken Ufer des Flusses Gandak identifiziert worden. Xuanzang musste einen grossen Wald durchqueren, der voller wilder Ochsen, Elefanten und räuberischer Banditen war. Als er schliesslich sicher und heil ankam, fand er mehrere verlassene Städte und Dörfer und eine Stadtmauer in Ruinen vor. Ananda, einer von Buddhas Lieblingsschülern, wunderte sich darüber, dass Buddha in »dieser verflochtenen und besudelten Stadt, einer Stadt inmitten des Dschungels, einem Zweig von Stadt« sterben musste."
Xuanzang beschrieb die Szene des »Grossen Ablebens« oder Parinirvana in einem SalWäldchen. Der Sal(auch Saul)baum ähnelt dem HoBaum. Mit seiner grünlichweissen Borke und seinen stark glänzenden Blättern ähnelt er einer chinesischen Eiche«. Dies ist einer der seltenen Fälle, bei denen Xuanzang eine Beziehung zwischen dem herstellt, was er in Indien sah, und dem, was er aus China kannte. Es war eine Gruppe aus vier aussergewöhnlich hohen Bäumen, und zu Füssen dieser Baumgruppe starb Buddha.'
Der Überlieferung zufolge, so berichtet Xuanzang, erreichte Buddha im Alter von achtzig Jahren das Nirvana. Kurz vor seinem Tod 483 v. Chr. bekehrte er noch einen Brahmanen namens Subhadra. Als er sich von seinen Mönchen verabschiedete, gab er ihnen mit auf den Weg, dass die Gesetze, die er sie zelehrt, und die Disziplin, der er aufgestellt hatte, ihnen als Lebensmaxime dienen sollten. Seine letzten Worte sollen gelauret haben: »Alles Bestehende ist vergänglich. Arbeitet emsig für eure Erlösung.«
In der Nähe stand ein grosser Tempel aus Lehmziegeln mit einer Statue von Buddhas Nirwana im Innern, deren Kopf sich nach Norden wendet. Seine Erscheinung war, so notierte Xuanzang, als »schliefe er«. Neben dem Tempel stand ein von Ashoka errichteter, 60 Meter hoher Stupa, der die Umstände des Nirwanas vermeldet, »allerdings ohne die Angabe eines Jahres oder Monats«.14
Und über einen einfachen Brunnen, an dem Buddha Wasser zum Trinken geschöpft hatte, schrieb er: »Ein geheimnisvolles Gefühl von Ehrfurcht umgibt diese Stätte; auch wurden viele Wunder gewirkt. Manchmal ist eine himmlische Musik zu hören, ein andermal sind göttliche Düfte wahrzunehmen.«"
Er erwies dem Ort Reverenz, an dem der Körper Buddhas, umgeben von Blumen und in Weihrauchwolken eingehüllt, in ein Totenkleid gewickelt wurde, bevor man ihn in einen Sarg legte. Er hielt auch inne an jedem der drei Türme, die der drei Erscheinungen Buddhas aus seinem Sarg gedachten; zum ersten Mal, als er seinen Arm ausstreckte und Ananda fragte, ob er den Weg bereitet habe; zum zweiten Mal, als er sich aufrichtete und seiner Mutter zuliebe das Gesetz predigte; und zum dritten Mal, als er dem grossen Kasyapa, einem seiner Lieblingsschüler, seine Füsse zeigte.
Die Legende besagt, dass nach sieben Tagen die Sterblichen wie die Unsterblichen seine Bahre ans Ufer trugen. Sie füllten sie mit parfümierten Ölen und schichteten Holz um sie herum auf, das aber erst nach Kasyapas Eintreffen richtig brennen wollte. Nachdem Kasyapa seine Andacht verrichtet hatte, brannte das Holz lichterloh. Und nach der Einäscherung kamen schliesslich acht Könige mit ihren Heeren und erbaten ihren Anteil an den Reliquien. Als Höhepunkt wiederholte Xuanzang die vertraute Legende: »Dann forderte Indra den Anteil für die Götter ein, und die Drachenkönige verlangten ebenfalls ihren Anteil. Daher teilte der Brahmane die Reliquien in drei Gruppen auf, eine für die Götter, eine für die Drachenkönige, und die dritte wurde weiter in acht Anteile für die Könige aufgesplittert. Die Götter, Drachen und Könige waren alle sehr gerührt.
Die Götter, Drachen und Könige waren alle sehr gerührt.

Lageplan von Sarnath: Grabungsplan mit Angabe des DhamekhStupa, dem Hauptbauwerk, der AshokaSäule, dem DharmarajikaStupa und den Klöstern.
IM GAZELLENHAIN IN SARNATH
Xuanzang zog durch dicht bewaldetes Gebiet nach Südwesten zur heiligen Stadt Varanasi am GangesUfer. Diese Stadt des Lichts verkörperte das Wesen des Hinduismus in all seiner üppigen Mannigfaltigkeit. Der Pilger beschrieb die Stadt als fünf mal zwei Kilometer gross: »Die Stadtbezirke waren dicht zusammengedrängt, und die Einwohner waren sehr zahlreich, und mehr als 10.000 bekannten sich als Anhänger der Sekten, die Mehrheit davon hing Shiva an.«" Obwohl er frommer Buddhist war, bewunderte er• die 30 Meter hohe Statue Shivas und notierte, sie strahle eine ehrfurchtgebietende Majestät aus.
   
Xuanzang porträtiert auch die radikalen Asketen, die nackt herumliefen oder ihre Körper mit Asche bedeckten. Bei einem Spaziergang in Varanasi und um die Stadt herum begegnet man auch heutzutage einem Menschenstrom aus wirräugigen Asketen, Bettlern, Händlern, nackten Kindern, Ziegen, heiligen Kühen und Rikschas wie auch Tausenden von Pilgern, die ihre Toten zu den Verbrennungsstellen am Ufer des heiligen Ganges begleiten.
Sein nächstes Ziel war der Gazellenhain in Sarnath, acht Kilometer nordöstlich von Varanasi. Von der quirligen, aufgeregten, lärmigen Pilgerstadt Varanasi, den Tieren und Asketen kam der Pilger in die Stille eines friedlichen grünen Hains mit buddhistischen Klöstern und der erhabenen Einfachheit der Stupas, in den Gazellenhain, in dem Buddha seine erste Lehrrede hielt.
Im GazellenhainKloster lebten 1500 Mönche. Xuanzangs Biograph vermerkt in der Beschreibung des Klosters, es sei an den vier Ecken durch lange Galerien mit hoch aufragenden Türmchen verbunden gewesen, bei denen, wie später in Nalanda, »die oberen Räume über den Wolken liegen«.
Im heute so genannten Hauptschrein war eine grosse metallene Statue von Buddha bei seiner ersten Predigt, die die Buddhisten als Drehen am Rad des Gesetzes bezeichnen. Wir wissen, dass der Hauptschrein als »Ursprüngliche Halle des Duftes« bezeichnet wurde. Auch wenn er grösstenteils in Ruinen liegt, so besitzt er die für die antike Architektur massiven Mauern. Einige Historiker glauben, dass es sich beim Hauptschrein um den von Xuanzang beschriebenen Pyramidentempel handelte, der sei »etwa 60 Meter hoch und mit einer arnra, oder Mangofrucht, obendrauf«.'<
Genau westlich des Hauptschreins kam eine AshokaSäule »aus dem Erdboden hervor«. Sie erschien ihm »so glänzend wie Jade. Sie glitzert und funkelt wie das Licht.« Das Löwenkapitell im Museum von Sarnath glänzt nach wie vor alterslos; es wird so sehr geschätzt, dass das Rad des Lebens nicht nur als Emblem die indische Flagge seit 1947 ziert, sondern ebenso die indischen Münzen. Der Schaft der Säule befindet sich noch an seinem ursprünglichen Standort in der Erde.
Xuanzang erwähnte, dass der vom Unglück verfolgte und von König Ashoka gebaute DharMarajikaStupa etwa 30 Meter hoch war. Dessen Ruinen erheben sich jetzt kaum über den Erdboden. Diese weltberühmte Statue des Buddha in der predigenden Haltung wurde 1904 in der Nähe der Ruinen des Stupa entdeckt. Xuanzang sah sie in ihrer natürlichen Umgebung; heute ist sie im Museum in Sarnath." In ihrer Strenge, Schönheit und Kraft gehört die Statue des Buddha bei seiner ersten Predigt  zu den Meisterwerken der Bildhauer.anst der ganzen Welt. Buddha sitzt in YogaHaltung, und eine Hände »drehen das Rad des Gesetzes«.

       
   
Löwenkapitell der von König Ashoka, dem ersten grossen Förderer des Buddhismus, in Sarnath ca. im dritten Jahrhundert v. Chr. errichteten Säule. Das Kapitell befindet sich im Sarnath Museum. Der Schaft ist im Boden verblieben. Diese BuddhaStatue, bekannt unter der Bezeichnung Buddha des Drehens am Rad des Gesetzes oder Die erste Predigt haltend, gilt als schönste aller BuddhaStatuen.

Er hält die Augen niedergeschlagen, sein Blick ist nach innen gerichtet. Auf dem breiten Nimbus hinter ihm, einer Art Heiligenschein oder Gloriole, sind zwei Himmelswesen zu erkennen, die ihn anbeten. Die Proportionen sind in vollkommenem Gleichgewicht; der aufrechte Kopf bildet mit den waagerechten Schenkeln ein gleichseitiges Dreieck, was der ganzen Komposition vollkommene spirituelle Balance und Ausgewogenheit verleiht; der Gesichtsausdruck und die Form tragen zum Eindruck spiritueller Ruhe und ausserordentlicher Energie bei.2°_Xuanzang liess sich eine Replik aus Sandelholz anfertigen, um sie mit nach China zu nehmen — die vierte der sieben berühmten Statuen, die bei seiner Rückkehr in einer grossen Prozession in die Hauptstadt Einzug hielten.
Der Legende zufolge redete Buddha zu den fünf Asketen, mit denen er selbst sechs Jahre lang auf seinen Wanderungen durch die Wälder Enthaltsamkeit geübt hatte, nachdem er aus dem Palast in die Welt hinaus gezogen war. Sie waren entschlossen, ihn zu verhöhnen, doch statt dessen fanden sie sich auf den Knien vor ihm wieder. Sein persönliches Erscheinungsbild überwältigte sie. »Seine ganze Person verströmte Gelassenheit und strahlte einen göttlichen Glanz aus. Sein Körper war wie aus dünnem Gold«, schrieb Xuanzang.
Buddha hatte gepredigt: »Es gibt zwei Gegensätze, o Mönche, die der vermeiden muss, der nach Erleuchtung strebt. Welche beiden? Ein Leben, das vom Vergnügen abhängt und banal und wertlos ist, und ein Leben, das einer Selbstkasteiung gewidmet ist, die voller Schmerzen und daher gleichermassen nutzlos ist.« Er, dem das Wissen um den Mittleren Weg zugewachsen war, fand den Pfad, der zum Frieden, zum Wissen, zur Erleuchtung und zum Nirvana führte.'
Buddha sprach dann vom Heiligen Achtfachen Pfad, von (1) der rechten Erkenntnis, (2) der rechte'n Gesinnung, (3) der rechten Rede, (4) der rechten Tat, (5) dem rechten Lebenserwerb und den Wegen der Tugend, die er beschrieb als (6) rechte Anstrengung, (7) rechte Achtsamkeit und schliesslich (8) die rechte Sammlung, die zur Weisheit führt.
Die Vier Edlen Wahrheiten, sagte er, sind die vom Leiden, vom Grund des Leidens, von der Aufhebung des Leidens und vom Weg zur Aufhebung des Leidens. Indem er bei seiner eigenen Erfahrung ansetzte, als er zum ersten Mal eines Greises, eines Kranken, eines Leichenzuges und eines Bettelmönchs ansichtig geworden war, definierte er Leiden als Alter, Krankheit und Tod; Trennung von den Gegenständen der Begierde und Einsicht in das, was man nicht begehrt; und selbst die Geburt an sich bedeutet Leiden. Als Quell des Leidens erkannte Buddha die Begierde; der Weg zu deren Vernichtung war der Achtfache Pfad des Mittleren Wegs.
Die Lehrreden des Buddha sollen meist in der dritten Wache der Nacht stattgefunden haben — also zwischen 2 und 6 Uhr in der Frühe — und von vielerlei Wunderzeichen sowie der Erscheinung Indras und Brahmas, der vier grossen Himmelskönige 'und vieler anderer Wesen begleitet gewesen sein. In den buddhistischen Texten wird dieses Ereignis als Drehen am Rad des Gesetzes bezeichnet.
DIE HEILIGEN STÄTTEN IN VAISALI
Xuanzang reiste weiter ins Land Magadha im südlichen Bihar, in dem es mehr heilige Stätten des Buddhismus gibt als in jeder anderen Gegend Indiens.
Er war zum Stupa des Geschenks der Affen in Vaisali unterwegs, eine der vier geringeren Pilgerstätten. Dort hatten Affen Buddha seine Bettelschale entrissen, waren auf einen Baum geklettert und hatten etwas Honig für ihn gesammelt. Nahe eines AshokaStupas und einer Säule war ein Becken oder See, von dem Xuanzang behauptet, dort habe sich eine Statue eines Affen befunden.23
In Vaisali hatte auch der Laie Vimalakirti, ein Anhänger Buddhas, gelebt. Vimalakirti war zum Symbol des Laienhaushaltsvorstands geworden und dennoch in der Lage gewesen, in der Debatte Manjusri, den Bodhisattva der Weisheit, zu besiegen. Die VimalakirtiLegende inspirierte viele Malereien und Skulpturen in den Höhlen von Longmen, Yungang und Dunhuang, und in der TangDynastie war sie Thema vieler volkstümlicher Geschichten und Balladen. Xuanzang selbst übersetzte das VimalakirtiSutra, das in China wohlbekannt war.
Xuanzang, der Metaphysiker und Theologe, beschreibt auch den Stupa, an dem siebenhundert Weise ihre zweite Kompilation des Dharma, das Gesetz, und des Vinaya, die Regeln für die Disziplin der Mönche, zusammengetragen hatten. Das Zweite Buddhistische Konzil von Vaisali (367 oder 383 v. Chr.) versammelte Vertreter aus verschiedenen Bezirken und buddhistischen Zentren Indiens zu einer neuen Kodifizierung der Regeln. In seiner Beschreibung dieses Konzils vermerkt Xuanzang:
Dann bittet Sambhonga, der seine rechte Schulter entblösst hat und vor der grossen Kongregation kniet, während er sich an seine Mitbrüder richtet, diese ordentlich, gelassen und aufmerksam zu sein. Er fährt fort: »Obwohl Jahre vergangen sind, seitdem unser geistiger Herrscher in seiner weisen Diskretion von uns geschieden ist, haben seine mündlichen Anweisungen dennoch überlebt. Unbotmässige Bhikkus [Priester] in der Stadt Vesali sind in zehn Bereichen der Vinaya [Regeln] vom rechten Weg abgekommen und haben gegen die Lehre Buddhas verstossen. Verehrte Mitbrüder, ihr wisst,was mit seiner Lehre übereinstimmt und was dagegen verstösst. Zeigt Dankbarkeit für die Güte Buddha, wie euch Bhadanta Ajanta gelehrt hat, und schreitet zu einer zweiten Verkündigung seiner Verfügungen. «
Auf diesem Konzil kam es zur Spaltung des HinayanaBuddhismus in mehrere Sekten; es war auch der Beginn der \tahayanaSchule. Vaisali war unter allen Buddhisten berühmt als der Ort, an dem Buddha sein künftiges Nirvana angekündigt hatte.
In Vaisali liess Xuanzang eine Statue aus Sandelholz nach einer Vorlage schnitzen, die Buddha darstellt, als er seinem Bekehrungswerk in Vaisali und um Vaisali herum nachging. Dies war die fünfte seiner sieben Statuen.
Unterwegs nach Bodh Gaya machte Xuanzang in dem etwa SO Kilometer entfernten Pataliputra Halt, das Sitz von König Ashokas Reich und auch Tagungsort des sogenannten Dritten Buddhistischen Konzils war."
Wenig war von der Heirlichkeit erhalten geblieben, die axian noch im vierten Jahrhundert geschildert hatte; als Faxiin dort war, konnte er nicht glauben, dass dieser Ort von Men‹henhand gebaut worden war.
AM BODHIBAUM IN BODH GAYA
Der BodhiBaum war die Stätte von Buddhas höchstem Triumph. Xuanzang beschrieb die geheiligte Anlage mit der üblichen Genauigkeit (Abb. 6.5). Seine Beschreibung gilt weitestgehend auch noch für die heutigen Überreste:
Eine Reise von 1415 li in südwestlicher Richtung führt einen vom PragbodhiBerg an den BodhiBaum. Die Umfassungsmauer... ist aus hohen und festen Lehmziegeln gebaut; diese Einfriedung erstreckt sich breit von Ost nach West und eng von Nord nach Süd, und sie misst etwa 500 Schritt an Umfang... Die Hauptpforte geht nach Osten auf den NairanjanaFluss, die Südpforte ist mit einem grossen Blumenbecken verbunden, nach Westen bildet sich eine natürliche Grenze, und die Nordpforte ist mit den Fundamenten innerhalb der Mauern eines grossen Klosters verbunden.'
Welch ein Gefühl der Ehrfurcht muss Xuanzang verspürt haben, als er mit seinen Pilgergefährten den Garten mit dem BodhiBaum betrat, die Stelle, an der Buddha die Erleuchtung erfahren hatte.
Xuanzang schlenderte mit seinen Gefährten in Bodh Gaya von einer heiligen Stätte zur nächsten, wobei jeder Schrein den Weg in Erinnerung rief, auf dem Buddha gewandelt war, um unter dem BodhiBaum zu meditieren. Vielleicht machte er zuerst am Stupa der fünf Asketen halt, die geglaubt hatten, dass der Weg zur Wahrheit über die Askese des Körpers führe. Oder er verweilte im Tempel mit der BuddhaStatue im ausgezehrten Zustand, ein bei den Künstlern von Gandhara beliebtes Thema. Sechs Jahre lang war Buddha dieien Weg gegangen und hatte am Ende festgestellt, dass dieser ihn letzten Endes nicht weitergebracht hatte. Dies war das eine Extrem. Das andere Extrem war das Leben im Luxus, mit dem er aus seiner Zeit im Palast wohl vertraut war. Er hatte den mittleren Weg gesucht.
Xuanzang kam auch an den Ort, an dem Buddha, nachdem er sich einen alten Stock besorgt hatte, hielt, um seine Kleider zu waschen. Der Gott Indra hatte eigens ein Becken mit einem grossen Stein für ihn geschaffen, den »Schlag mit der HandTeich«.

Lageplan des MahabodhiTempels in Bodh Gaya, wo Buddha zur Erleuchtung fand: (1) Tempel, (2) BodhiBaum,
(3) Diamantthron, (4) der Ungerührte Schrein, (5) Juwelenbesetzter Gang, (6) Regenbogenschrein, (7) Baum des Ziegenhirten, (8) MuchalindaTeich, (9) AshokaSäule,
(10) RajataBaum.
Während der sieben Tage an den Reliquienstätten bemerkte Xuanzang überall seltsame Pflanzen und Blumen. Er ging an NairanjanaFluss hinunter, in dem Buddha gebadet hatte,um sich von seiner Unreinheit zu reinigen. Er machte halt an Schrein, der an das Heim der beiden Kuhhirtinnen erindie Buddha vor seiner Erleuchtung fette, gekochte Milch angeboten hatten.' In der Nähe stand ein Stupa, der an den Ort erinnern soll, an dem Buddha vier Schalen von den Göttern empfangen hatte. Um Eifersucht unter den Göttern zu vermeiden, hatte er alle angenommen, sie zusammengestellt und sie zu einer verdichtet. Deshalb besitzt Buddhas Schale einen vierfachen Rand.
Xuanzang mag noch zu einem weiteren Schrein gegangen sein, der den ersten Jüngern Buddhas gewidmet war, zwei Nomadenhändlern aus Balkh, die Buddha nach seiner ErleuChtung gespeist hatten. Die Legende besagt, dass die Götter am Ort den durchreisenden Händlern erzählt hätten, dass Buddhas Geist neunundvierzig Tage auf die Kontemplation fixiert gewesen sei und dass sie, indem sie ihm anboten, was sie vorrätig hatten, sich grosse und ausgezeichnete Verdienste erwerben würden. Folglich überliessen sie ihm etwas von dem gerösteten Mehl und Honig aus ihrem Reiseproviant. Jahre zuvor hatte Xuanzang den BalkhStupa nördlich des HindukuschGebirges aufgesucht, der diesen beiden unerschrockenen Reisenden gewidmet war.
Jedesmal, wenn er sich dem BodhiBaum näherte, traf er auf Menschen, die im MahabodhiTempel meditierten, kleine Öllampen entzündeten oder Weihrauch und Blumen opferten. Viele waren, wie er selbst, aus fernen Ländern gekommen. Unweit des BodhiBaums mit seinem flirrenden, immergrünen Laub hielt Xuanzang bei einem 30 Meter hohen AshokaStupa, wo Buddha, als er sich auf dem Weg zum heiligen Baum befand, von dem als Schnitter verkleideten Indra Grasschnitt für ein Sitzkissen erhalten hatte.
Xuanzang beschrieb den berühmten BodhGayaTempel wie folgt:
Im Osten des BodhiBaums steht ein zwischen 18 und 50 Meter hoher vihara [Tempel] mit einem Fundament von etwa 15 Metern. Mehrere Nischen sind ausgespart, in der je eine vergoldete BuddhaStatue steht. Die Wände sind an allen Seiten mit herrlichen Skulpturen, Perlengehängen und Heiligenstatuen bedeckt. Obenauf befindet sich eine amalakaFrucht aus reinem Gold. Die Tragbalken und Säulen, die Türen und Fenster sind sämtlich mit Gold und Silber eingefasst und mit Perlen und Edelsteinen verziert. Rechts und links der Aussentür befinden sich zwei Nischen mit Statuen des Avalokiteshvara und des Buddha Maitreyas. Beide Statuen sind aus reinem Silber und etwa drei Meter hoch
Fast drei Jahrhunderte lang nach Xuanzangs Besuch scheinen an dem Tempel weder Reparaturen noch Verbesserungen ausgeführt worden zu sein. Zu grösseren Veränderungen kam es nach dem elften Jahrhundert, doch das Gebäude heute ist weitgehend dasselbe, das er beschrieben hat .
Xuanzang bemerkte, dass die heiligen Geschichten der BuddhaLegende so zahlreich waren, dass er sie nicht alle wiedergeben konnte. Drei der bekannteren liess er nicht aus — die der Versuchung durch den verruchten Mara. Wie Jesus, den der Teufel dreimal versuchte, so wurde auch Buddha von Mara versucht, der die Kräfte des Bösen vertritt. Xuanzang beschrieb, wie Mara all seine Kräfte in einer Schlachtordnung mit Speeren, Bogen und Pfeilen zusammenfasste, um Buddha einzuschüchtern. Er erzeugte Donner und Blitz und erfüllte die Lüfte mit Sand und Steinen und Dunkelheit. Da begann Buddha mit der samadi (Meditation) des grossen Mitgefühls. Sämtliche kriegerischen Waffen wurden in Lotusblumen verwandelt, und Maras Heer suchte panisch das Weite.
Ein zweiter Stupa, der an eine weitere MaraGeschichte erinnerte, bezieht sich auf die Zeit, in der Mara die Autorität Buddhas herausforderte, woraufhin Buddha die Erde als Zeuge anruft und seine rechte Hand zum Boden ausstreckt. Sofort tauchten die Erdgötter auf, um die Vielzahl von Buddhas Inkarnationen in vollzogener Erfüllung zu bezeugen. Xuanzang beschrieb auch die dritte Versuchung. Mara versuchte Buddha durch die Magie seiner Töchter, aber Buddha verwandelte deren faszinierende Körper so, dass »sie müde fortgingen und schlaff einander in die Arme fielen«.
Der chinesische Mönch umrundete mit einer Gruppe ande7er Pilger in buddhistischem Ritus den MahabodhiTempel und gen BodhiBaum. Vielleicht waren auch Tibeter mit ihren weinfarbenen Gewändern dabei, die sich vor dem wundertä::zen Diamantenthron auf den Boden warfen. Xuanzang berichtet, dass »der Thron von der Oberfläche der Erde bis an zas Goldene Rad reichte«, das Zentrum der buddhistischen Welt: »Es war der Sitz, auf dem die tausend Buddhas von die
kalpa die Erleuchtung fanden.« Es blieb »unberührt von kosmetischer Konvulsionen und ist der geheiligte Punkt, von dem alles im buddhistischen Glauben ausgeht«.'
Im Norden des BodhiBaums, fährt Xuanzang fort, lag der Platz, an dem Buddha selbst in ekstatischer Kontemplation hin und her ging. Nachdem Buddha sich sieben Tage lang unter dem Baum nicht gerührt hatte, spazierte er sieben Tage lang auf und ab, nach Osten und Westen. Buddhas berühmter Spaziergang heisst nun der Juwelenspaziergang. Sein Biograph schreibt:

Das war der Augenblick, auf den er gewartet hatte. Schliesslich fiel Xuanzang vor dem geheiligten Baum auf die Knie. Er dachte an die Zeit, da Buddha die vollkommene Weisheit erlangte. Vielleicht erinnerte er sich sogar daran, wie Buddha in der ersten Nachtwache über alle Wörter meditierte, den Aufstieg und den Fall der Dinge, den aufsteigenden und den fallenden Rhythmus der Existenz; wie Buddha in der zweiten Wache von 22 bis 2 Uhr sein eigenes Leben Revue passieren lässt und in der dritten Wache von 2 bis 6 Uhr über das menschliche Leid meditiert und zu den Vier Edlen Wahrheiten und dem Heiligen Achtfachen Pfad gelangt. Welch eine Erleuchtung! »Sein Geist war befreit, das Unwissen schwand, das Wissen war erworben, die Dunkelheit löste sich auf, und das Licht kam hervor.«
Mit all seiner aufrichtigen Verehrung warf Xuanzang sich mit dem Gesicht auf den Erdboden. Von Trauer ergriffen seufzte und sagte er: »Zu der Zeit, da Buddha sich in der Weisheit vervollkommnete, weiss ich nicht, in welchem Zustand in dem unruhigen Wirbel von Geburt und Tod ich mich befand.« Für ihn steht unausweichlich fest, dass seine bösen Taten dazu führen, dass er in diesen weniger bedeutenden Zeiten zu leben habe, da der Buddhismus im Niedergang begriffen ist, und nicht im goldenen Zeitalter von Buddhas Leben auf Erden. Seine Augen standen voller Tränen."
       
MahabodhiTempel in Bodh Gaya, der heiligsten Stätte für buddhistische Pilger mit dem BodhiBaum, unter dem Buddha zur Erleuchtung fand.

Übersichtsplan der Überreste in Nalanda mit Klöstern und Tempeln. Die Klöster sind wie die Institute einer Universität auf einem Campus nebeneinander aufgereiht.

Vier Mönche holten Xuanzang aus dem 100 Kilometer von Bodh Gaya entfernten Nalanda ab, um ihn zu ihrem Kloster zu begleiten . Mönche aus Korea, Tokhara, China, der Mongolei und Tibet suchten dieses Kloster auf, um dort zu studieren  Was die Klöster Cluny und Clairvaux für das mittelalterliche Europa waren, bedeutete Nalanda für das mittelalterliche Asien — ein Kloster für buddhistische Mönche aus aller Welt. Zudem war es die herausragendste aller Klostereinrichtungen und Universitäten in Indien.'
TREFFEN MIT DEM EHRWÜRDIGEN
637 n. Chr. Nach einer Nacht mit flimmernden Sternen. Die Mönche waren gekommen, um Xuanzang abzuholen und in ihr Kloster zu begleiten. Ihnen angeschlossen hatten sich hundert weitere Mönche und tausend Laien, die ihn umringten und rühmten. Mit Fahnen, Schirmen, Blumen und Weihrauch ziehen alle in Nalanda ein, wo die gesamte Gemeinschaft von zehntausend Menschen Xuanzang erwartet. Vom Mönchsvorsteher, der den grossen Gong schlagen lässt, wird er willkommen geheissen. Dieser erklärt: »Während der Anwesenheit des Meisters des Gesetzes steht alles zu seiner Verfügung.« Zwanzig ältere Mönche des Klosters klären ihn darüber auf, wie man sich am besten dem Abt nähert, der so verehrungswürdig und heiligmässig ist, dass niemand sich traut, ihn anders als mit »Schatz des rechtschaffenen Gesetzes« anzureden. Sein Name ist Silabhadra. Xuanzang erweist ihm seine Reverenz in einer Form, die an eine Szene beim chinesischen Kaiserhof erinnert. Er kriecht auf allen vieren, süsst die Füsse Silabhadras und berührt mit der Stirn den Boden. Der Ehrwürdige Silabhadra bittet darum, man möge Sitzgelegenheiten für Xuanzang und die anderen Mönche herbeiholen. Nachdem sich alle hingesetzt haben, wendet er sich an Xuanzang und fragt diesen: »Woher kommst du?« Xuanzang erklärt ihm, dass er aus dem Land China gekommen sei, um von ihm die Prinzipien der Abhandlung von den Stufen der YogaPraxis zu erlernen.

Fragment einer Hand, die ein Blatt aus einem Buch aus Palmblättern hält. Fundort Kloster Nalanda, in dem Xuanzang wenigstens zwei Jahre wohnte und lebte
Der Ehrwürdige Silabhadra bittet darum, man möge Sitzgelegenheiten für Xuanzang und die anderen Mönche herbeiholen. Nachdem sich alle hingesetzt haben, wendet er sich an Xuanzang und fragt diesen: »Woher kommst du?« Xuanzang erklärt ihm, dass er aus dem Land China gekommen sei, um von ihm die Prinzipien der Abhandlung von den Stufen der YogaPraxis zu erlernen.
Xuanzang hört dem Neffen zu, der ihm alles erklärt. Eines Nachts hatte der Ehrwürdige Silabhadra einen Traum, in dem ihn drei Bodhisattvas aufsuchten, die ihm erzählen, dass die Lehre verbiete, den eigenen Körper aufzugeben. Weiter sagen sie ihm, in einer seiner früheren Existenzen sei er ein König gewesen, der seinem Volk viel Leid zugefügt habe, und dass er jetzt seine Strafe verbüsse. Er solle nicht daran denken, sich zu Tode zu hungern, sondern statt dessen das Rechte Gesetz verbreiten und die Abhandlung von den Stufen der YogaPraxis und andere Bücher den Menschen predigen, die diese nicht gelesen haben. Falls er dies tue, so sagten sie, werde er wieder gesunden. Schliesslich teilten sie ihm mit, dass ein chinesischer Mönch, der das grosse Gesetz erlernen wolle, auf dein Weg sei, um bei ihm zu studieren. »Ihr könnt auf ihn warten, um ihn zu lehren«, sagten sie.
Seine Jünger schliessen, indem sie sagen, dass er sich nunmehr von seiner schmerzvollen Krankheit erholt habe und inzwischen diese Schrift unterrichte.
Der Ehrwürdige fragt: »Wie viele Jahre warst du unteru.egs?«
Xuanzang vermag das Gefühl der Freude kaum mehr zu erbergen. Die Tatsache, dass die Botschaft der Bodhisatt: .2s im Traum des Ehrwürdigen lautete, dieser solle die Lehre unterrichten, deretwegen er nach Indien gekommen war, ist einfach überwältigend; die Aufgabe im Leben des Meisters ist es zu unterrichten, und die seine ist es zu lernen, und zwar jeweils dieselbe Schrift. In der Ehrfurcht und der Erregung dieses ergreifenden Augenblicks vergisst Xuanzang alles übrige und antwortet: »Drei Jahre.« Beide Männer sind entzückt, dass die Prophezeiung sich erfüllt zu haben scheint.'
Während er in der Umgebung von Magadha gereist ist, berichtet Xuanzang davon, dass er an einem SilabhadraStupa vorbei: gekommen ist. Im Verlauf seiner Schilderung der Hintergründe zu diesem Bauwerk notierte er:
Silabhadra war ein Spross einer königlichen BrahmanenFamilie aus Samatata [in Ostindien]; als junger Mann liebte er das Studium und die exemplarischen Prinzipien. Er bereiste ganz Indien auf der Suche nach dem Weisen, und in Nalanda begegnete er Dharmapala P'usa, der ihn unterrichtete und ihn zu gegebener Zeit zum bhikshu weihte. Daraufhin wurde Silabhadra herausragend wegen seines tiefen Verständnisses der Prinzipien und Feinheiten des Buddhismus, und sein Ruhm verbreitete sich auch in fremden Ländern.'
Xuanzang weist nicht darauf hin, dass er sich an den SilabhadraStupa erinnerte, und vielleicht ist dies unwichtig, denn schliesslich hatte er den grossen Meister gefunden, den unvergleichlichen Metaphysiker, der ihm zu neuen Einsichten in die mystische Philosophie des Yogacara verhelfen würde.
Nach seiner ersten Begegnung mit Silabhadra zeigte man Xuanzang sein Quartier in Nalanda. Sieben Tage' lang war er Gast des Neffen des Ehrwürdigen im vierten Stock eines Klosters, das König Magadha hatte errichten lassen. Später zog er in ein anderes Quartier um, von dem aus er die weitläufige Anlage in ihrer ganzen Schönheit überblicken konnte.
Die ganze Anlage ist von einer Ziegelmauer umgeben, die das ganze Kloster nach aussen abschottet. Ein Tor öffnet sich zu einem grossen Kolleg, von dem getrennt acht weitere Hallen in der Mitte (der Sangharama) [Klöster] stehen. Die reich verzierten Türme und die märchenhaften Türmchen scharen sich wie spitze Berggipfel eng aneinander. Die Beobachtungsposten scheinen sich in den Schwaden des Morgens aufzulösen, und die oberen Räume liegen über den Wolken.
Von den Fenstern aus sieht man, wie die Winde und Wolken neue Formen erzeugen, und über den geschwungenen Dachgesimsen können die Sonnen und die Mondpositionen beobachtet werden.
Und dann können wir hinzufügen, dass die tiefen, durchsichtigen Teiche an der Oberfläche die Lotusblumen tragen, vermischt mit den Kieni(Kanaka)Blumen von dunkelroter Farbe, und hin und wieder breiten die AmraWäldchen über allem ihren Schatten aus.
Alle Aussenhöfe, an denen sich die Zellen der Priester befinden, sind vierstufig. Diese Stufen besitzen Drachenvorsprünge und farbige Gesimse, wobei die perlroten Säulen geschnitzt und verziert sind; die üppig verzierten Balustraden und die Dächer mit ihren Pfannen spiegeln das Licht in tausend Schattierungen wieder und vergrössern noch die Schönheit der Umgebung.
Der Sangharamas in Indien gibt es unzählige, doch dies ist das bemerkenswerteste an Grossartigkeit und Höhe.
Zu seinen Füssen eilten Mönche in ihren orangefarbenen Gewändern zwischen den acht Vorlesungshallen hin und her, lagen zahllose Stupas, fünf Tempel und viele Klosterbauten für Studierende und Priester, geräumige Bibliotheken, .das Observatorium, zehn Teiche und das Gartengelände auf dem Campus. Vielleicht konnte er sogar das Gebäude des neuen Messingtempels betrachten, das König Ashoka in Auftrag gegeben hatte, an dem während seines Aufenthalts noch gebaut wurde.'
Der grosse Tempel beherrschte Nalanda damals genauso wie heute. Das inzwischen Stupa 3 genannte Bauwerk wurde im siebten Jahrhundert vergrössert und prächtig verschönert; die Fundamente des ursprünglichen Baus müssen zwei Jahrhunderte zuvor gelegt worden sein. Xuanzang erwähnte einen 90 Meter hohen, grossen Tempel, der an die Form des MahabodhiTempels in Bodh Gaya erinnerte.

Stupa 3, Überreste des grossen Stupas
im Kloster Nalanda, der dem Tempel in Bodh Gaya ähnelt
Als Xuanzang Nalanda besuchte, bestand das Kloster ver7:ludich schon seit sieben Jahrhunderten. Nacheinander hatten indische Könige zu seinem Wohlstand beigetragen. Es erhielt reiche Zuwendungen unter anderen von König Magadha, der bestimmte, dass die Einkünfte von einhundert Dörfern für die Instandhaltung von Nalanda herzugeben seien. Tag für Tag trugen zweihundert Haushalte mehrere hundert Pfund Reis, Butter und Milch zum Unterhalt bei. Kleidung, Lebensmittel, Betten und Arzneimittel wurden ebenfalls abgeliefert.
Jeden Tag erhielt Xuanzang ein Deputat von 120 Blättern des Betelpfeffers zum Kauen, von 20 Betelnüssen, dieselbe Anzahl an Kardamomkapseln, eine Unze Kampfer und etwa anderthalb Pfund MahasaliReis. Er erinnerte sich daran, dass die Körner dieser nur in Magadha angebauten Reissorte so gross wie schwarze Bohnen wurden, herrlich dufteten und einen erlesenen Geschmack und eine glänzende Farbe hatten. Zu seiner Tagesration gehörten auch ghee (geklärte Butter) zum Kochen sowie andere Erzeugnisse.
Zur Zeitmessung dienten Wasseruhren. Zeiten des Studiums und der Anbetung lösten den ganzen Tag einander ab. Jeden Morgen erinnerte ein Gongschlag die Priester an die Badezeit. »Manchmal verliessen hundert, manchmal mehrere tausend« Priester zugleich ihre Zellen und machten sich auf den Weg, um in den zehn Teichen von Nalanda zu baden. Nach dem Bad folgten die Gebetsverrichtungen vor den heiligen Statuen des Buddha, der Bodhisattvas, Tara, Hariti und Muttergottheit, entweder in den einzelnen Mönchszellen oder in den grossen Innenhöfen. Mönche opferten Weihrauch und Blumen und zündeten zum Zeichen der Anbetung Lampen an oder, wie im Fall von Hariti, opferten auch Lebensmittel. Weder Xuanzang noch Yijing, der von 675 bis 695 in Nalanda lebte, erwähnten irgendeine tantrische Statue, aber vielleicht entstanden diese erst später.
Nach den öffentlichen Vorlesungen gab es eine grössere Mahlzeit, die wohl direkt in den Mönchszellen serviert wurde, denn eine Gemeinschaftsküche oder einen gemeinsamen Speisesaal scheint es nicht gegeben zu haben. Vier Trommelschläge, das Ertönen des Muschelhorns und zwei weitere Trommelschläge kündigten die Mittagsstunde an.'
Studium und Diskussionen scheinen bis zur Abenddämmerung gedauert zu haben, nach der eine Abendandacht abgehalten wurde. Statt dass alle Mönche dreimal einen zentralen Stupa umkreisten, um ihre Gebete zu verrichten, wurde wegen der Grösse des Klosters in Nalanda ein Kantor ausgeschickt, der sozusagen stellvertretend singend und Hymnen rezitierend um die dreihundert Mönchszellen herumging. Vor ihm her ginzen Laiendiener und Kinder mit Weihrauch, Laternen und Blumen. »Bei jeder Halle sang er mit lauter Stimme jedesmal drei ms fünf slokas [Strophen], so dass sein Gesang überall zu vermitteln war. Es scheint noch eine Abendandacht gegeben zu
bei der ein Vorleser Gesänge mit ausgewählten Texten zustimmte. Die Nacht war ebenfalls in Wachen eingeteilt; die erste und dritte waren der Meditation und Gesängen yorbehalten In den Stunden dazwischen durften die Mönche ruhen."
Wenn in Nalanda auch nur ein Drittel von jenen zehntau
nd Mönchen gelebt haben, wie Huili angab, so muss der Gesang aus tausenden Mönchskehlen im Schein eines Vollmondes in der indischen Nacht einen überwältigenden Eindruck rlr:erlassen haben; vielleicht haben sie ähnlich wie beim Gregoranischen Gesang geklungen." Die letzten Verse des volkstümlichen HerzderWeisheitSutras lauten: »Vergangen, vergangen, längst vergangen, alles längst vergangen. 0, welch ein Erwachen! Alles Heil!« Xuanzang hatte in der Wüste dasselbe Sutra für sich selbst gesungen. Immer wiederholten ihre tiefen Stimmen dieses Sutra. Schliesslich erklang der lange, dumpfe Ton des Muschelhorns. Stille. Und die Mönche kehrten leise in ihre Zellen zurück, um zu meditieren oder sich schlafen zu legen.
RITT NACH RAJAGRIHA (RAJGIR)
Den meisten Mönchen waren zwei Laiendiener zu Diensten. Als besonderer Gast, der von so weit her gekommen war, erhielt Xuanzang ebenfalls zwei Diener sowie eine Sänfte oder einen Elefanten für seine Ausflüge ausserhalb der Universität. Von den abertausenden Gästen und Gastmönchen erhielten nur zehn derartige Privilegien. Das Reiten von Elefanten gehörte normalerweise nicht zu den Vorrechten gewöhnlicher Bürger, sondern war religiösen Prozessionen und dem König vorbehalten. Xuanzang ritt in einer prunkvollen religiösen Prozession zu König Harshas grosser Debatte erneut auf einem Elefanten. Überdies schenkte König Harsha in einer ungewöhnlichen Geste dem Pilger seinen besten Reitelefanten für die Heimreise nach China.
Xuanzang besuchte die heiligen Stätten von Rajagriha (heute Rajgir), an denen Buddha mehrere Zeitspannen seines Lebens verbracht hatte, in einem Howdah, dem überdachten Sitz auf dem Rücken eines Elefanten. Es war der Mittelpunkt des Königreichs Magadha, den König Bimbisara (etwa 544493 v. Chr.) zur Zeit Buddhas zur Hauptstadt erkoren hatte. Xuanzang beschreibt sie: »Hohe Berge, als wären sie die Aussenmauern, umgaben sie an allen Seiten. Im Westen gelangt man durch einen engen Pass zu ihr, im Norden führt der Zugang über die Berge. Die Stadt breitet sich von Ost nach West aus und ist schmal von Nord nach Süd.«
Man kann sich Xuanzang vorstellen, wie er hoch oben auf dem Elefantenrücken flüchtige Notizen über diese natürliche
Festung hinkritzelt. Er wiederholt eine farbenfrohe Legende zu Rajagriha, die gut in diese dramatische Landschaft passt. Es ist die Geschichte, wie Buddha den wilden Elefanten Nalagiri das letzte seiner acht Wunder und der letzte Ort der traditionellen Pilgerstätten.
Lageplan des alten und neuen Rajagriha. Xuanzang legte die Strecke zwischen Nalanda und der alten Stadt auf seinem Elefanten zurück.
Es geschah, als Buddha mit seinen Jüngern in der Stadt herumging, um Lebensmittel zusammenzutragen. Ein troller Elefant wurde durch Anstiftung des verruchten Devadatta von  den Palastwächtern betäubt. Dieser Verräter hatte
Schon mehrmals vergebens versucht, Buddha umzubringen, doch diesmal rechnete er sich gute Chancen aus. Der wildgewordene Elefant galoppierte durch die Strassen der Stadt und verursachte überall Panik, wo er auftauchte; gerade hatte er, als er den Glanz des Meisters wahrnahm, seinen Elefantenführer zu Boden geschleudert, dass der Mann sogleich tot war. Da bat der Elefant um Vergebung und kniete vor Buddha nieder.
AUFSTIEG ZUM GEIERGIPFEL
Xuanzang war sehr darauf erpicht, zum Geiergipfel hinaufzusteigen, auf dem Buddha einige seiner berühmtesten Predigten gehalten haben soll, darunter die des LotusSutra, das in China sehr beliebt war. Im Nordosten Rajagrihas liegt auf einem schmalen Ausläufer des heutigen Chhatha Hill der malerischste der fünf Berge, die die Stadt umgeben. Xuanzang notierte, dass es auf dem Bergabhang klare Quellen, Bäume mit dichtem Laubwerk und aussergewöhnliche Gesteinsbildungen gab. Dies trifft auch heute noch zu. Gestrüpp und Buschwerk, weniger Bäume vielleicht, dafür aber pünktelt orangeschwarz gestreiftes Felsgestein die Vorhügel, und grauer Fels mit weissen Streifen, in eigentümlichen, fast angsteinflössenden Formen, befindet sich am Gipfel. Manche wollen darin Geier erkennen, andere wiederum beschreiben den Gipfel als einen Rastplatz für Geier.
Zu Füssen der Berge liegt der Beginn von König Bimbisaras Strasse. »Bimbisara raja [König] wollte sich das Gesetz anhören und berief mehrere Männer zu sich, die ihn vom Fuss des Berges bis zum Gipfel begleiten sollten. Sie stiegen die Täler hoch und überbrückten die Abgründe, und aus den Steinen bauten sie einen zehn Schritt breiten und 5 oder 6 /i langen Treppenaufgang. «
In der Mitte der Strasse, so bemerkte Xuanzang, standen zwei kleine Stupas, die eine hiess »Absteigen vom Karren«, weil der König von dort aus zu Fuss weiterging. Die andere hiess »Die Menge zurückschicken«, weil der König, der sich abseits des gemeinen Volkes hielt, diesem nicht erlaubte, mit ihm weiterzuziehen. Wenn man diese BimbisaraStrasse aus grobem Steinbelag hinaufgeht und die Berghöhlen am Weg erkundet, erreicht man einen flachen Vorsprung auf dem Geiergipfel. Ein Gefühl der Zeitlosigkeit liegt in der Luft. Xuanzang hat auf dem Gipfel gewiss seine Gebete gesprochen, Blumen und Weihrauch geopfert und sich daran erinnert, dass der fromme Faxian dies ebenso gehalten und zwei Jahrhunderte zuvor die Nacht auf demselben Gipfel meditierend verbracht hatte. Als Zeichen der Erinnerung bekam er ein goldenes Modell des Buddha, der am Geiergipfel das LotusSutra predigt. Dies war die sechste der berühmten Statuen, die er mit nach China nahm. Die siebte und letzte Statue bestand auch aus Gold; sie stammte aus der Drachengrotte unweit von Bodh Gaya.
 
Zähmung des wildgewordenen Elefanten Nalagiri in Rajagriha, eins von acht berühmten Wundern Buddhas. Die BuddhaGestalt wird viel grösser als der Elefant dargestellt.
Als er auf dem Elefantenrücken den Berg hinabstieg, entschied Xuanzang sich vermutlich für das Nordtor der alten Stadt, um die berühmten Heisswasserquellen besuchen zu können, wo Buddhas Jünger Ananda gebadet hatte. In der Nähe war die Venuvana, oder das Bambuswäldchen von Kalanda, angeblich das erste Grundstück, das man den Buddhisten der ersten Stunde überliess. Später wurde dieser Park, den König Bimbisara ihnen überlassen hatte, zu einem der Lieblingsorte, an denen Buddha sich nach seiner Erleuchtung aufhielt.
Etwa 6 /i südwestlich des Bambuswäldchens besuchte Xuanzang einen weiteren Bambuswald und eine grosse Höhle. Einige Monate nach Buddhas Eintritt ins Nirvana hatte an diesem Ort Kasyapa, ein älterer Mönch, einer Versammlung vorgestanden, in der man sich auf den Tripitaka oder Dreikorb genannten buddhistischen Kanon geeinigt hatte. Der Kanon war durch Kasyapas Befragung von fünfhundert Mönchen darüber, was Buddha gesagt hatte, zustandegekommen. Xuanzang schrieb, dass Kasyapa Ananda berichtet habe, dass »Tathagata [Buddha] ihn unter den jungen Mönchen gelobt habe, indem er sagte, dass er der gebildetste Jünger sei und alle Dharmas verstehen könne. Nun könne er den Vorsitz übernehmen, um die Sutrapitaka, d.h. alle Schriften, vor der Versammlung zu rezitieren.«"
Nachdem Kasyapa dies gesagt hatte, stand Ananda auf, verneigte sich zu dem entfernten Ort hin, an dem Buddha ins Nirvana eingegangen war, übernahm den Vorsitz und rezitierte die Schriften. Die Mönche hörten ihm aufmerksam zu und korrigierten mündlich, was er sagte. Wenn daher jedes Sutra mit den Worten »Daher sage ich« beginnt, so spricht dabei Ananda. Deshalb ist die erste Sammlung von Buddhas Predigten zwar mündlich zusammengetragen, jedoch nicht niedergeschrieben worden.
Bei demselben ersten buddhistischen Konzil legte Upali die Vinaya, die Regeln der Disziplin, aus. Der dritte Korb oder Abhidharma, bestehend aus der scholastischen Erarbeitung der Lehre, wurde von Kasyapa selbst zusammengestellt. Xuanzangs Biographen zufolge wurde eine zweite Versammlung einberufen, an der auch Laien und Arhats teilnahmen.
BESUCH DER VORLESUNGEN IN NALANDA
Nachdem er die heiligen Stätten in der näheren Umgebung besucht hatte, kehrte Xuanzang nach Nalanda zurück und war endlich in der Lage, die Vorlesungen seines Meisters, des Ehrwürdigen Silabhadra, über die grundlegenden Schriften des Yogacara zu hören, von denen bis dahin nur ein Teil nach China gelangt war. Letztendlich hatte Xuanzang doch noch einen unvergleichlichen Lehrer in der eigentlichen Schule des Buddhismus gefunden, die ihn vor allem dazu bewogen hatte, China zu verlassen. Von ihm konnte Xuanzang die reine Überlieferung erlernen, so wie sie vom Meister an den Schüler weitergegeben wurde, angefangen bei Asanga (viertes Jahrhundert) und Vasubandhu (viertes bis fünftes Jahrhundert), die beide nach Nalanda gekommen waren, der eine aus Peshawar und derandere aus Ayodhaya. Als nächster in der Nachfolge dieser beiden Leuchten der YogacaraSchule kam Dignaga (spätes fünftes bis sechstes Jahrhundert), der Begründer der Neuen Logik, dem Dharmapala (sechstes bis siebtes Jahrhundert) folgte, der Abt des Klosters Nalanda in der Periode vor Xuanzangs Eintreffen. Schliesslich war dort der Ehrwürdige Silabhadra, ein Schüler und Nachfolger Dharmapalas, der Xuanzang mit solcher Freude begrüsst und ihn als seinen Schüler akzeptiert hatte.
Innerhalb eines Zeitraums von fünfzehn Monaten legte der Ehrwürdige — dessen Alter mit 104 Jahren angegeben wurde —die Abhandlung über die Stufen der YogaPraxis nicht weniger als dreimal aus. Xuanzang verfolgte jede seiner Auslegungen mit grosser Aufmerksamkeit. Er pries seinen Lehrer für die Verdeutlichung auch der abstrusesten Stellen. In einem berühmten Brief schreibt Xuanzang über den Ehrwürdigen:
Er war durch und durch vertraut mit den Lehren aller Sekten... gleich ob sie unzulänglich oder vollkommen waren; und sogar mit den Schriften der Andersgläubigen... Sie durchdrangen nicht nur seinen Geist, sondern verflüssigten auch sein Herz. Sein Schreibstil war weitschweifig, während er seine Ideen gründlich zum Ausdruck brachte. Seine Überlegungen steckten voller Anspielungen, wobei sie eindeutig seine Botschaft wiederzaben. All dies führte ihm eine Menschenmenge zu, die seinem Unterricht folgte, und die Laien preisen ihn als geistigen Führer Indiens.'
Xuanzang besuchte ebenfalls Kurse in Grammatik, Logik und Sanskrit. Sein Biograph unterbricht seine Beschreibung von Xuanzangs Leben, um eine dreiseitige Zusammenfassung der Grammatik des Sanskrit einzuschieben.' 9 Huili scheint von Xuanzangs linguistischen Fähigkeiten beeindruckt gewesen zu sein und stellte Xuanzangs Fachkönnen auf diesem Gebiet unter Beweis, indem er für die chinesischen Leser die Komplexität der Grammatik des Sanskrit darstellte." Xuanzang selbst wollte zeigen, dass das Sanskrit völlig anders aufgebaut war als das Chinesische.' Er bemerkte: »Einer, der mit seiner Sprache umzugehen weiss, kann seine Darstellungen ohne jede Zweideutigkeit formulieren und sich selbst auf die eleganteste Weise ausdrücken.«22
Je länger er blieb, um so mehr zeigte er sich von der gesamten Atmosphäre in Nalanda beeindruckt.
Die Priester, mehrere Tausend an der Zahl, sind Männer von höchster Eignung und Begabung. Ihr Rang ist derzeit sehr hoch, und es gibt ihrer mehrere Hundert, deren Ruhm sich schnell in fremden Gegenden verbreitet hat. Ihr Verhalten ist einwandfrei und tadellos... Die Regeln dieses Klosters sind streng, und alle Priester sind gehalten, sie zu befolgen.
Der Tag reicht nicht aus, um tiefschürfende Fragen zu stellen und sie zu beantworten. Von morgens bis spätabends sind sie in Diskussionen vertieft; Alt und Jung hilft sich gegenseitig. Wer keine Fragen aus dem Tripitaka behandeln kann, gilt wenig und muss sich aus Scham verstecken. In dieser Hinsicht kommen gelehrte Männer, die sich flink einen Namen bei Diskussionen machen möchten, aus fernen Städten in Scharen her, um ihre Zweifel zu klären, und dann verbreiten sich die Ströme ihrer Weisheit weit und breit.''
Mehrere Tausend Mönche lebten auf dem Campus in der Klosteruniversität, und offenbar haben weltliche Gelehrte und nichtbuddhistische Forscher hier ihre Studien fortgesetzt. Einhundert Katheder waren im Einsatz und wurden täglich für die Vorlesungen benötigt, denen die Studenten ohne Versäumnis folgten. Die Mönche studierten den MahayanaBuddhismus und die achtzehn Schulen des HinayanaBuddhismus, indische Themen wie die Veden, Logik, Grammatik, Philosophie, Medizin, Mathematik, Sanskrit, Astronomie wie auch Literatur und die Werke der Magie. Ein solch umfassender Lehrplan beruhte auf der Auffassung, dass man Logik, Grammatik und Literatur studieren sollte, um seine Widersacher bei Diskussionen zu übertrumpfen; die Wissenschaft von der Medizin, um anderen die Gesundheit zu bringen, und die der Metyphysik, um Wissen über sich selbst zu erwerben.'
Xuanzang wurde selbstverständlich der höchsten Studienstufe zugeteilt, die jenen vorbehalten war, die fünfzig Bücher beherrschten; dies war bei Xuanzangs Eintreffen eine auserlesene Schar von nur neun Mönchen. Der Ehrwürdige Silabhadra hatte sämtliche Sutras und Sastras ohne Ausnahme gelesen und ergründet, und den hohen Rang, den er einnahm, verdankte er seiner herausragenden Tugend, seinen Studien und seinem Alter.
VORLESUNGEN UND SCHREIBEN IN NALANDA
Nach einer ausgedehnten Rundreise über mehrere Jahre durch den ganzen indischen Kontinent kehrte Xuanzang gegen Ende 642 zu einer weiteren Studienzeit nach Nalanda zurück. Der Ehrwürdige bat ihn, er selbst solle einige Vorlesungen über ideai:stische Texte halten. Xuanzang folgte diesem Ruf und schrieb daneben ein Werk mit dreitausend Strophen, das er Abhandlung über die Harmonie des Unterrichtens nannte. Der Ehrwürdige Silabhadra schätzte diese vielgelesene Schrift sehr.
Als der Ehrwürdige Xuanzangs Fähigkeiten erkannte, bemmte er ihn als einen von vier Mönchen, die mit den Anhängern des Hinayana in Orissa debattieren sollten. Die anderen waren sich ihres Erfolges ganz und gar nicht Aber Xuanzang sagte ihnen: »Ich habe das ganze Tripi_ika der unterschiedlichen Sekten des HinayanaBuddhismus dien, als ich noch in meinem eigenen Land weilte und auch ich mich in Kasmira aufhielt, und daher verstehe ich ihre Lehren  durch und durch.« In einem Ton der SelbstMissbilligung die jedem Chinesen gut angestanden hätte, fügte er hinzu: »Ich bin nicht sehr gebildet und besitze nur eine geringe Weisheit. Mit denen werde ich fertig, und deshalb braucht ihr euch nicht zu sorgen. Wenn ich in der Debatte unterliege, dann ist es das Versagen eines chinesischen Mönchs und hat überhaupt nichts mit euch zu tun. «'
Xuanzangs letztes Treffen mit Silabhadra vor seiner Abreise nach China zeigt, dass der Ehrwürdige Silabhadra Xuanzangs Mission schätzte. Nachdem die Priester in Nalanda ihn gedrängt hatten zu bleiben, weil China in ihren Augen nur ein Grenzland sei, ein böses Land, führten sie ihn zu Silabhadra, damit Xuanzang seine Intentionen fortsetzen konnte. Xuanzang drückte all seine Zuneigung gegenüber Indien und seine Dankbarkeit dafür aus, dass Silabhadra ihm die Abhandlung über die Stufen der YogaPraxis ausgelegt hatte, und er erklärte, dass er die geheiligten Stätten gesehen und die tiefgründige Auslegung verschiedener Schulen gehört habe. Dennoch wolle er zurückkehren, um für andere zu übersetzen und ihnen zu erklären, was er gehört hatte. Auf diese Weise wolle er die Freundlichkeit seines Lehrers zurückzahlen, und aus diesem Grund könne er nun nicht mehr länger verweilen.
Der Ehrwürdige erwiderte freudig: »Dies ist in der Tat der Wunsch eines Bodhisattva, und das ist es auch, was ich von dir erwarte. Lasst ihn die notwendigen Vorbereitungen treffen, und ihr solltet ihn nicht mehr länger davon abhalten.«"
Als Xuanzang erfuhr, dass der Ehrwürdige Silabhadra sich auf seinem Sterbebett nach ihm erkundigt habe, schrieb er: »Ich fühlte einen tiefen Stich in meinem Herzen und konnte mich von einer solchen Verletzung nicht erholen. Oh, es war, als wäre ein Boot im duhkhasagara [Ozean des Elends] gekentert oder ein himmlisches Wesen hätte sein Augenlicht verloren. Wie unerwartet schnell war das Gefühl eines schmerzlichen Verlusts aufgekommen! «
In seinem Brief an den berühmtesten Schüler des Ehrwürdigen schreibt Xuanzang weiter:
Der grosse Dharmakara[DharmaBewahrer]Meister hat in der Vergangenheit die Tugend gehegt und für eine lange Zeit der Zukunft Verdienste angehäuft. Aus diesem Grund war er mit einer harmonischen und noblen Natur und einem einzigartig aussergewöhnlichen Talent ausgestattet. Er hat die Tugend Buddhas, das Aryadeva, geerbt und den Glanz Nagarjunas erweitert. Die Fackel der Weisheit hat er neu entfacht und die Fahne des Dharma erneut gehisst. Er hat den Vulkan des Irrglaubens gelöscht und den Fluss der Unwahrheit am Fliessen gehindert. Er hat die erschöpften Reisenden zu den geistigen Schätzen geführt und all jenen neue Aussichten eröffnet, die ihre Richtung verloren hatten. Er war zugleich ein weiter Ozean und ein luftiger Berg und eine Säule im Gefüge des dharmaparyaya [Tor des Buddhismus].
Als ich (in Indien) die Wahrheit suchte, hatte ich die Ehre der Verbindung mit Seiner Hochwürden und des Vorteils aus seinem Unterricht. So mittelmässig und unintelligent ich auch war, in seiner edlen Gesellschaft wurde ich zugänglicher.
Als ich ihm Lebewohl sagte, bevor ich in mein Land zurückkehrte, bot er mir seinen tiefen und aufrichtigen Rat an, der immer noch in meinen Ohren nachhallt. Ich hätte gewünscht, dass er lang lebe, damit er als edles Beispiel und Vorbild diene. Nie hätte ich mir vorgestellt, dass er uns eines Tages für immer verlassen würde — wie unerträglich!
Euer Ehrwürden hat seit langem seinen edlen Unterricht und in der asrama [Einsiedelei] einen Status erworben. Es muss für Euch schwer gewesen sein, die Sehnsucht nach dem dahingeschiedenen Guru zu unterdrücken. Was können wir tun? So sind die Gesetze des Universums, was können wir tun? Ich wünsche Euch, dass ihr Eure Gefühle der Trauer überwinden möget.

638 n. Chr. Abenddämmerung — die schönste Tageszeit in Indien. Im Kloster Kapota, östlich von Nalanda. Auf seinem Weg nach Bengalen verrichtet Xuanzang seine Gebete vor einer berühmten SandelholzStatue des Bodhisattva Avalokitesvara. Es ist eine kostbare Statue, von einer hölzernen Balustrade eingezäunt. Menschen suchen dort ihr Omen, das davon abhängt, wie sie die Statue mit Blumengirlanden verzieren. Bleiben die Blumen an der Statue haften, so glauben die Pilger, gehen ihre geheimsten Wünsche in Erfüllung. Xuanzang kniet nieder und spricht drei Gebete.
Im ersten betet er darum, seine Blumen mögen auf der Hand Buddhas aus Sandelholz haften bleiben und er somit nach Beendigung seiner Studien sicher in sein Land zurückkehren können. Im zweiten Gebet hofft er darauf, dass die Blumen auf den Armen Buddhas aus Sandelholz haften mögen, damit er im TushitaHimmel wiedergeboren werde, um dem Buddha Maitreya zu dienen. Mit dem dritten Gebet bittet er darum, dass die Blumen am Hals Buddhas haften bleiben, damit er weiss, dass er die BuddhaNatur besitzt und vielleicht ein kommender Buddha wird. Die Blumengirlanden bleiben an allen erwünschten Stellen haften, und der Bodhisattva ist mit Blumen übersät.'

Es erscheint aussergewöhnlich, dass Xuanzang tatsächlich über seine BuddhaNatur im Zweifel war. Denn durch den Ehrwürdigen Silabhadra war er zu der Annahme gelangt, dass nicht jedermann die BuddhaNatur besitze und nicht jeder zur Erleuchtung finden könne. Dieser Glaube verringerte erheblich die Anziehungskraft der buddhistischen Schule, die er nach seiner Rückkehr nach China zu gründen versuchte.'
Xuanzangs intellektuelle Neugier war unersättlich. 'Zu der Zeit, als es aussah, als hätte er die meisten seiner Ziele erreicht, war er entschlossen, weiterzumachen und nachzusehen, was es alles gab, nach Verständnis zu suchen und den übrigen, weiten Subkontinent Indiens zu erkunden. Von 638 an klapperte Xuanzang vier Jahre lang beide Küsten Indiens und weite Teile des Landesinnern ab, eine mehr als 5000 Kilometer lange Wanderung. Hatte er den Eindruck gewonnen, dass es noch weitaus mehr zu wissen, eine weitere Schule zu beherrschen gab, nachdem er erst einmal die Türen zur buddhistischen Philosophie und Metaphysik aufgestossen hatte? Eine weitere Anziehung scheint in der Aussicht auf den Besuch der Geburtsorte einiger anderer grosser buddhistischer Philosophen gelegen zu haben — und zwar dem des Skeptikers Nagarjuna, dem Dharmapalas, dem Lehrer Silabhadras, und dem des Logikers Dignaga, ebenso wie er in Nordindien zu den Orten gepilgert war, die mit den idealistischen Philosophen Asanga und Vasubandhu in Beziehung standen.
Er hatte den Drang, neue gelehrte Abhandlungen zu sammeln sowie Reden über die letzte Wirklichkeit, Arbeiten zur Logik und Grammatik und heilende Sutras aus anderen buddhistischen Zentren. Diese waren vermutlich in den 527 Kästen verpackt, die er mit auf die Heimreise nach China nahm. Xuanzang suchte nicht nur für sich selbst nach der Wahrheit, sondern er trug auch 224 Sutras und 192 Abhandlungen aus MahayanaArbeiten zusammen, wie auch Sprüche, Disziplinvorschriften und Abhandlungen aus sechs HinayanaSchulen —um eine »Bibliothek der Wahrheiten« zu bilden. Seine chinesischen Landsleute brauchten sich dann von einander widersprechenden Übersetzungen nicht mehr beirren zu lassen; sie konnten nun die Texte anhand der Quellen selbst lesen.
In einem der WeisheitsSutras heisst es: »Wenn du ostwärts ziehst... lass all deine Gedanken an Müdigkeit, an Schlaf, Essen und Trinken, Tag und Nacht, Kälte und Wärme fahren;
belaste dich nicht nicht mit dergleichen Dingen; verschwende keinen Gedanken daran.«
WANDERUNGEN ENTLANG DER OSTKÜSTE
Xuanzangs schriftlicher Bericht über die Königreiche im übrigen Indien ist weniger ausführlich als der über Nordindien und viel ungenauer in den Angaben zu seiner Verweildauer an jedem Ort.' Wir wissen, dass er im Königtum Irana im Osten von Nalanda in Westbengalen war. Er berichtet, in dieser Gegend gebe es zehn Klöster und viertausend Priester. Erneut vertiefte er sich in das Studium der Bücher des Hinayana, die seinem eigenen idealistischen Glauben am weitesten entfernt standen.'
Von dort folgte Xuanzang dem Lauf des Ganges, bis er das heutige Bangladesh erreicht hatte, das damals ein dicht bewaldetes Gebiet war, in dem Wildelefanten, Rhinozerosse, Wölfe und schwarze Leoparden hausten.' In nördlicher Richtung erreichte der Pilger schliesslich Assam.
Das Land war flach und feucht; die Ernten waren normal; die Jakobsfrucht und der Kakao wurden, wenngleich reichlich vorhanden, sehr geschätzt; es waren stetige Ströme und Zisternen bis in die Städte; das Klima war herrlich... Der herrschende König... war der Kaste nach ein Brahmane... Seine Majestät war ein Freund des Wissens, und seine Untertanen folgten seinem Vorbild; fähige Männer kamen von weither, um hier zu studieren; wenngleich der König kein Buddhist war, so behandelte er vollendete sramanas [Gelehrte] mit Respekt.'
Später besuchte Xuanzang auf Einladung des Königs Assam, obwohl der ein Hindu war.
In Assam erfuhr Xuanzang, dass die Grenzen von Sichuan in China nur sechzig Tagesreisen entfernt lagen. Jedoch die Berge und Flüsse steckten voll giftiger Schlangen und voller Pestschwaden. Als er sich weiter südlich an der Küste in Samatata in der Nähe des heutigen Dhaka) aufhielt, hörte er von sechs Königreichen im Osten; darunter das heutige Myanmar Burma), Thailand, Kambodscha und Vietnam.
Auf dem Rückweg nach Indien überquerte er sämtliche Mündungsarme des Ganges«, wie sie auf den heutigen Kartenwerken bezeichnet werden, und erreichte die berühmte Hafenstadt, in der einst Faxian und Yijing ihre Seereise zurück nach China angetreten hatten. Dort in Tamrallipti (Tamluk), 65 Kilometer südwestlich von Kalkutta, erfuhr er, dass mitten im Ozean ein Land namens Simhala (Sri Lanka) liegen solle, das wegen seiner Gelehrten des frühen Buddhismus ausgezeichnet war. Ein Südinder, den er traf, erklärte ihm, dieses heilige Land liege Tausende Kilometer weit entfernt. Er solle nicht den Weg übers Meer nehmen wegen des Risikos von Stürmen und Schlechtwetter; es sei besser, bis Orissa im Süden zu gehen, sich die heiligen Spuren an der Ostküste anzusehen, sich mit Gelehrten zu unterhalten und bis an die äusserste Südspitze Indiens zu reisen. Von dort aus könne er ein Boot über die Palkstrasse nehmen und in einigen Tagen Simhala erreichen.
Auf seinem Weg nach Süden traf er auf einen Stupa im Bau, der zu Ehren des Mannes errichtet wurde, der einen prahlerischen Philosophen aus Südindien besiegt hatte. »Dieser grossspurige Aufschneider war in die Stadt gekommen und mit seinem in einem kupfernen Harnisch steckenden Bauch herumstolziert, der ihn davon abhalten sollte, in ein grosses Gelächter auszubrechen, und mit einem Licht auf dem Kopf, um die Ignoranten und Dummen zu erleuchten.«
Xuanzang machte Halt in einer Hafenstadt Orissas. In heissen tropischen Nächten war es ihm bei klarem und wolkenlosem Himmel zuweilen, als sähe er »in grosser Entfernung die glitzernden Strahlen des kostbaren Juwels oben auf dem Stupa des BuddhaZahns; seine Erscheinung [war] wie die eines funkelnden Sterns inmitten des Raums«.9 Diese Vorstellung, er könne Strahlen aus Simhala wahrnehmen (das in mindestens 1600 Kilometer Entfernung lag), scheint eine Art phantasievollen Sprungs gewesen zu sein, bei dem Simhala zum Leitstern für seine lange Reise in den Süden Indiens wurde .
ERKUNDUNG DER FELSGROTTE
Als nächstes bedeutendes buddhistisches Zentrum besuchte Xuanzang SüdKosala.
Dieses Land von mehr als 6000 li Umfang war von Bergen umgeben und bestand aus lauter Wäldern und Sümpfen; der Umfang seiner Hauptstadt betrug mehr als 40 li. Der Boden des Landes war reichhaltig und fruchtbar, die Städte und Dörfer standen eng beieinander; die Menschen waren wohlhabend, von grosser Gestalt und von' dunkler Hautfarbe; der König war von Geburt ein Kschatria, von Religion ein Buddhist und von bemerkenswerter Mild tätigkeit. Es gab über 100 buddhistische Klöster und mehr als 10.000 Brüder, sämtlich Mahayaner."
ZahnTempel im heutigen Sri Lanka. Als Xuanzang sich an der Nordostküste Indiens aufhielt, vermeinte er, das Glänzen eines Juwels oben auf dem ZahnStupa wahrnehmen zu können.
SüdKosala war als Heimat des berühmten buddhistischen Philosophen Nagarjuna wohl bekannt, der vermutlich in der Zeit um 100200 n. Chr. gelebt hat. Nagarjuna war der Begründer des Madhyamika (mittlerer Weg), einer Schule des MahayanaBuddhismus, deren wesentliches Gedankengut bis zum heutigen Tag in Tibet, China und Japan überlebt hat. Die. MadhyamikaSchule war besonders für ihre Systematisierung des Vollkommenheit der WeisheitSutras bekannt. Madhyama bedeutet Mitte; die Madhyamikas sind diejenigen, die den mittleren Weg zwischen Bejahung und Verneinung gehen.
Nagarjuna gehörte zu denen, die das MahayanaKonzept von der Leere entwickelten und sich gegen die starren Kategorien der Existenz und der NichtExistenz wandten, indem er nach einem Mittelweg zwischen Bestätigung und Verneinung suchte. Er glaubte, dass der Weg zur Erleuchtung über die Kontemplation der Unwirklichkeit oder Leere führe. Die Lehre von der Leere oder vom Nichts lieferte der buddhistischen Kunst eine neue Grundlage, denn nunmehr wurde es möglich, Buddha darzustellen, denn nun konnte man behaupten, es handle sich nicht um eine Darstellung der tatsächlichen Wirklichkeit, sondern vielmehr um deren schwachen Abglanz»
Während seines Aufenthalts in SüdKosala vernahm Xuanzang einige der Legenden, die um »diesen zweiten Buddha« herum entstanden waren, wie Nagarjuna manchmal genannt wurde." Darunter gab es einige über Nagarjuna als Magier, doch eine der Legenden, die Xuanzang aufzeichnete, erzählt davon, wie dem König, der für Nagarjuna ein Kloster in den Bergen errichten liess,
die Finanzmittel dazu ausgegangen waren. Das Kloster mit Säulengängen und hochaufragenden Hallen, das zuweilen auch als Taubenkloster bezeichnet wird, befand sich an einem ungewöhnlichen Ort: »Diese Hallen besassen fünf Ränge ... mit Tempeln, in denen sich goldene BuddhaStatuen in Lebensgrösse von vollkommener künstlerischer Schönheit befanden... das Licht fiel durch Fenster, die man in den Fels geschlagen hatte, in die Kammern.«" Und noch faszinierender war: »Vom hohen Berggipfel aus stürzten kleine Bergströme hinab wie kleine Wasserfälle, flossen durch die verschiedenen Geschosse, wanden sich um die Seitengalerien und verschwanden dann von selbst.«14 Und gerade beim Bau dieses Gebäudes war dem König das Geld ausgegangen; Nagarjuna sorgte für reichlichen Ersatz, indem er die Felsen einfach in Gold verwandelte!
Dieses herrliche, aus dem Felsgestein herausgearbeitete Kloster mit goldenen Buddhas und Wasserfällen hatte auch schon Faxian zwei Jahrhunderte zuvor nach seiner Reise durch Indien beschrieben.13 Mehrere solcher Felsenklöster, wie Ellora und Ajanta, sind ebenso gross wie das Taubenkloster; ihre Skulpturen und Wandgemälde sind weltberühmt.
In den fünfziger Jahren erzählte ein chinesischer Historiker Xuanzangs Reise nach Westen in Form eines Romans nach." Das Buch enthält eine unvergessliche Schilderung von Xuanzangs Besuch einer tief in den Berg geschlagenen Grotte, die ein Dämon besetzt hielt, vor dem die Menschen sich fürchteten. Die Flügel waren zu Ruinen zerfallen. Xuanzang stiess auf umgestürzte Kerzenleuchter, Spinnengewebe und pechschwarze Hallen. Hinter juwelenbesetzten Vorhängen standen die Statuen des vergangenen, des gegenwärtigen und des kommenden Buddhas. Xuanzang warf sich auf die Knie nieder, fühlte sich traurig und ihn fröstelte. Dann entfernte er den Staub vom Altar vor den drei Buddhas. Je weiter er sich in den Bergstollen hineinwagte um so höher waren die Wände. Nachdem er mehrere Höfe durchquert hatte, kletterte er auf einen hohen Turm. Ein Fuchs — oder war es eine Katze? — rannte ihm über die Füsse. Ein Gebäude war zum Aufheben von Sutras bestimmt, Texten in Sanskrit, die auf Palmblätter geschrieben waren und nunmehr unter Staub und Mehltau versanken. Er vernahm das Flattern der Fledermäuse, als er zu einem grossen, sitzenden, ganz mit Jade bedeckten Körper Buddhas gelangte. Im flackernden Licht seiner Fackel erschien es ihm beinahe, als wäre der Buddha zum Leben erweckt worden.
IN ANDHRA UND IM SÜDEN
Nachdem er in SüdKosala erfahren hatte, dass der König dem Studium und den Künsten gegenüber wohl gesinnt war und es dort hundert Klöster und zehntausend Mönche gab, machte Xuanzang sich die Küste entlang auf den Rückweg durch das alte, zwischen den Flüssen Godavari und Krishna gelegene Königtum Andhra." Er gibt an, dass es dort zwanzig Klöster mit fünftausend Mönchen gab. Dies war die Heimat des grossen Logikers Dignaga, dessen Schriften Xuanzang gut kannte. Er hatte sie sowohl in Kaschmir wie auch unlängst in SüdKosala studiert. Ein Stupa aus Stein erinnerte an den Ort, an dem Dignaga seinen Klassiker Abhandlung über die Logik verfasst hatte. Xuanzang schildert die Legende von Dignaga, der sich den Rat des Bodhisattvas der Weisheit, Manjusri, anhört, eine Geschichte, die illustrieren soll, dass Dignaga den HinayanaBuddhismus aufgab, als er dem Bodhisattva zuhörte.
Von SüdKosala aus ging er in das Königtum Dhanakataka, gewöhnlich mit der modernen Stadt Bezwada gleichgesetzt. Xuanzang schrieb, dass es dort eine grosse Anzahl buddhistischer Klöster gegeben habe, von denen viele aufgegeben worden seien. Etwa zwanzig darunter waren nach wie vor aktiv; die dreitausend Mönche hingen überwiegend der Philosophie Nagarjunas an. Xuanzang studierte mit ihnen gemeinsam während der Regenzeit des Jahres 639 und lehrte sie seinerseits einige seiner Lieblingstexte. Die berühmteste Stätte im Königreich war der grosse Stupa in Amaravati, ein Bau aus dem dritten Jahrhundert, der wegen seiner herausragenden Steinmetzarbeiten in der Geschichte der indischen Plastik grosse Bedeutung erlangt hat.'
Er strebte weiter nach Dravida im Süden, dem Land der Tamilen, dessen Hauptstadt Kancipuram war. Dort hielt er sich während der RegenEinkehrzeit 640 länger auf, als er nach Simhala unterwegs war. Kancipuram war der Geburtsort von Dharmapala, der als Xuanzangs geistiger Grossvater bezeichnet wurde, weil er den Ehrwürdigen Silabhadra unterrichtet hatte. Xuanzang weiss eine dramatische Geschichte vom jungen Dharmapala zu berichten: Dieser war kurz davor, die Prinzessin von Kancipuram zu ehelichen, und an seinem Hochzeitsabend wurde er plötzlich mitten im Gebet von einem Gott in ein Kloster entführt, wo er seiner Berufung als Mönch Folge leistete.
Xuanzang stand unter dem Einfluss dieses Anhängers der YogacaraSchule, der Autor mehrerer gerühmter Werke der MahayanaLiteratur war, darunter sein Kommentar zu Vasubandhus Dreissig Versen. Im Jahr 649, als Xuanzang sich auf den Heimweg nach China machte, fertigte er eine Synthese aus zehn Kommentaren indischer Philosophen zu den Dreissig Versen an, die sich im wesentlichen auf Dharmapalas Kommentar stützte. Sie entwickelte sich zum Standardwerk des Idealismus in China und Japan.
Simhala (Sri Lanka) in der Phantasie:
Xuanzang widmet der heiligen Insel auf seinem Weg nach Süden ein ganzes Kapitel. Er hatte angenommen, dass die Mönche in Simhala sich in der Abhandlung über die Stufen der YogaPraxis gut auskannten, doch als er sich mit einem simhalesischen Mönch unterhielt, stellte er fest, dass der ihm auch keine bessere Erklärung als der Ehrwürdige Silabhadra geben konnte. Faxian jedoch hatte einen glühenden Bericht über seinen zweijährigen Aufenthalt in Simhala geschrieben. Xuanzang führte die berühmtesten Legenden an über die Ursprünge dieses Volkes und die Geschichte Mahendras, Ashokas Sohn, der dieser Insel den Buddhismus gebracht hatte. Xuanzang beschrieb den Tempel mit dem Zahn und bezeichnet ihn als Land der Juwelen, da dort zahlreiche Edelsteine zu finden sind. Nach wie vor ist er, aus demselben Grund, unter diesem Namen bekannt.
Xuanzang gibt im einzelnen wieder, dass die Mönche »sehr genau in der Befolgung der Regeln, vollkommen klar in der Meditation und der Weisheit und in ihrem vorbildlichen Verhalten sehr ernsthaft waren«. Schöne Worte des Lobes, doch das Land war nicht so gesegnet wie seine Mönche. Während sich Xuanzang nach Kancipuram aufmachen wollte, hatte Simhala infolge einer Palastrevolution unter Bürgerkrieg und Hungersnöten zu leiden. Gerade als er sich anschickte, die dreitägige Segelreise nach Simhala anzutreten, begegneten ihm dreihundert simhalesische Mönche und rieten ihm dringend davon ab, seinen Plan weiter zu verfolgen.
UNTERWEGS AN DER WESTKÜSTE
Über seine Reise von Dravida in Südindien in die Gegend des heutigen Bombay an der nördlichen Westküste, eine Strecke von immerhin fast 1500 km, hat Xuanzang nicht viel zu berichten. In Begleitung von siebzig simhalesischen Mönchen wanderte er nach Nasik, der Hauptstadt von König Pulakesin II. Dieses Gebiet war bereits als Maharashtra bekannt. Der König war ein mächtiger Monarch mit einer starken Neigung zum Militärischen, der mit seinen Waffen prahlte. Die Menschen im Land zogen den Tod der Untreue vor, und der König, per Geburt der Kriegerkaste zugehörig, liebte die kriegerische Kunst über alles. Xuanzangs Biograph berichtet, dass dessen Generäle, wann immer »sie im Kampf gegen seine Feinde antraten und in der Schlacht unterlagen, nicht etwa auf irgendeine Weise bestraft wurden, sondern lediglich Frauenkleider anlegen mussten, damit sie gedemütigt wurden«." Daraufhin begingen viele von ihnen Selbstmord. Ähnlich wie König Harsha hielt König Pulakeshin mehrere hundert Elefanten, denen er. wenn die Schlacht nahte, viel Wein zu trinken gab, damit sie
Feinde in die Flucht schlugen. Xuanzang schrieb:
Da der König diese Männer und Elefanten besitzt, behandelt er seine Nachbarn mit Verachtung. Er gehört der Kaste der Kschatria an, und sein Name ist Pulakeshin... Seine Pläne und Unternehmen sind vielfältig, und seine wohltätigen Handlungen sind über grosse Entfernungen wahrzunehmen. Seine Untertanen folgen ihm mit vollkommener Unterordnung. In der gegenwärtigen Zeit hat Siladitya Maharaja [König Harsha] die Nationen von Ost bis West erobert und seine Waffen bis in die entlegensten Gegenden getragen, doch nur die Menschen dieses Bezirks haben sich ihm noch nicht ergeben.

Xuanzangs Beschreibung der Bewohner des Maharashtra spiegeln deren Ruf noch zur Zeit des britischen Imperialismus wider, denn sie gehörten zu den letzten, die sich der Kolonialmacht unterwarfen.
Obwohl die CalukyaDynastie hinduistisch war, gab es hundert buddhistische Klöster im Königreich. Xuanzang beschreibt eins davon:
Im Osten dieses Landes gibt es eine Gebirgskette, ein Gebirgskamm über dem anderen, reihenweise Bergspitzen und schiere Gipfel. Hier war ein Kloster, dessen Fundament in einem dunklen Engpass lag, und seine luftigen Hallen und tiefen Kammern waren in die Klippen hinein getrieben und ruhten auf der Spitze, die Reihen der Hallen und Stufenterrassen hatten die Klippen im Rücken und blickten in den Abgrund... Innerhalb der Anlage... stand ein grosser, 30 Meter hoher Tempel, in dem sich eine mehr als 21 Meter grosse BuddhaStatue aus Stein befand; über der Statue schwebten sieben Schirme, die weder hingen noch getragen wurden... Die Malereien an den Wänden dieses Tempels schildern die Entwicklung Buddhas als Bodhisattva, darunter die Umstände, die dazu geführt haben, dass er Bodhi wurde, und die Omen, die seinem Ableben beiwohnen, alle waren hier in Gross und Klein aufgezeichnet.'
Xuanzang erwähnte, dass der Logiker Dignaga »sehr oft an diesem Ort weilte«. Dieses Kloster ist als die Grotten von Ajanta mit ihren berühmten Felsentempeln identifiziert worden. In Ajanta gibt es herrliche Wandmalereien; die Umgebung mit den spektakulären Felsspornen, die in einen smaragdgrünen Teich eintauchen, ist dramatisch; ein entzückender Wasserfall ergiesst sich an einem Ende hinein. Dreissig Felsengrotten waren aus dem steilen Abhang eines hufeisenförmigen Felssporns herausgeschlagen worden.
Ebenso wie die Klöster in den Oasen längs der Seidenstrasse lagen die Einkehrorte der indischen Mönche gewöhnlich in der Nähe alter Handelsstrassen. Wegen des salzigen Sumpflands entlang der Küste verliefen diese Strassen von den westlichen Seehäfen nahe Bombays über die Westghats, die Xuanzang beschrieben hat, zum Binnenlandzentrum Ujjiani oder nach Bharukaccha (Broach) an der Küste. Gewiss ist Xuanzang einer solchen Handelsstrasse gefolgt, als er sich von Ajanta in Maharashtra nach Broach aufgemacht hatte.


Archäologische Übersicht über die indische Karte der Handelsrouten und der Stätten mit grösseren Felshöhlen

AjantaGrotte

Aussenansicht und Eingang zum Höhlentempel in Bhaja aus dem späten zweiten bis frühen ersten Jahrhundert v. Chr. Solche Grotten, wichtige Zentren des Ritus, der Pilgerfahrt und des Studiums, besassen grosse Kulthallen.

Wandgemälde, bekannt als Bodhisattva mit dein Blauen Lotus, in Grotte Nr. 1 in Ajanta. Die einzigen erhaltenen buddhistischen Gemälde Indiens sind hier zu besichtigen
Während des Sommers 641 in Nasik hat er vermutlich die Felsgrotten von Bhaja im Süden besucht  oder in der Säulenhalle von Ajanta gestanden, in der religiöse Zeremonien der Versammlungen der Sanghas abgehalten wurden. Oder vielleicht hat er vor der erhabenen Malerei haltgemacht, die als der Bodhisattva des Blauen Lotus« bezeichnet wird, beeindruckt von der Gelöstheit auf diesem Antlitz, eingereiht in den enddlosen Pilgerstrom, der durch die Jahrhunderte hierher kam.
Weiter nördlich hat Xuanzang Malva besichtigt, einen kultivierten und zivilisierten Teil Indiens, den er mit Magadha verglich. Er behauptet, dass es dort mehrere hundert Klöster mit mehr als zwanzigtausend HinayanaBuddhisten gegeben habe, bei weitem die grösste von ihm je erwähnte Zahl. »Ihre Sprache ist elegant und klar«, teilt er mit. »Ihr Wissen ist umfassend und tiefgründig. « Im fünften Jahrhundert war Malva die Heimat von Kalidasa, dem vielleicht grössten Dichter der in Sanskrit verfassten Literatur.
Xuanzang war zur KathiawarHalbinsel unterwegs. Dort traf er mehr Bauern als Händler; damals wie heute lebten die Menschen des Königreichs Valabhi auf der Halbinsel vom Handel mit dem Persischen Golf. In einem der Seehäfen an der Westküste erfuhr er von Persien, dessen SassanidenReich kurz vor dem Niedergang stand. Xuanzang berichtet:
Sie stauen das Wasser, um ihre Felder zu bewässern. Die Menschen sind reich und wohlhabend. Das Land erzeugt Gold, Silber, Kupfer, Bergkristalle... seltene Perlen und verschiedene kostbare Gegenstände. Ihre Handwerker wissen, wie man feine Brokatseide, Wollstoffe, Teppiche und dergleichen webt. Sie besitzen viele shenPferde und Kamele... Es gibt zwei oder drei sangharamas [Klöster] mit mehreren hundert Priestern, die hauptsächlich die Lehre des Kleinen Fahrzeugs studieren.'
Er erfuhr ebenfalls von Hormus, einer Stadt am Persischen Golf, und von einer Insel im Südwesten, die das Land der Westlichen Frauen genannt wurde."
Von diesem Punkt an fällt es zunehmend schwer, der Fährte des Pilgers zu folgen. Sein eigener Bericht und der seines Biographen gehen auseinander.' Er bereiste Nordindien und Sindh, das mit dem heutigen Pakistan übereinstimmt. Multan im Land Morasampuru ist der einzige der von ihm erwähnten Orte, den wir mit Sicherheit identifizieren können. Die dortigen Menschen opferten den Göttern und verehrten den Sonnengott Surya. Xuanzang besichtigte den berühmten Sonnentempel in Multan und beschrieb ihn: »Dort gibt es einen der Sonne gewidmeten Tempel, der sehr prächtig und überreich dekoriert ist. Die Statue des SonnenDeva ist aus Gelbgold und mit seltenen Juwelen besetzt. Sein göttlicher Scharfblick offenbart sich auf geheimnisvolle Weise, und seine spirituelle Macht wird jedermann kundgetan.«
Xuanzang bemerkte, dass selbst die Könige und die hochstehenden Familien der Fünf Indien es nie versäumten, Juwelen und kostbare Edelsteine zu opfern: »Menschen aller Länder kommen hierher, um ihre Gebete zu verrichten; immer sind einige Tausend ins Gebet vertieft.« Es gab auch ein Haus der Barmherzigkeit, das die Armen und Kranken mit Lebensmitteln, Getränken und Heilmitteln versorgte."
Vielleicht erinnerte sich Xuanzang daran, dass er die Porträts des Sonnengottes in Bodh Gaya und Bamiyan gesehen hatte. In Nordindien gab es nämlich mehrere bedeutende Tempel, die der Verehrung Suryas vorbehalten waren. »Sogar im primitiven Buddhismus wurde Sakyamuni [der historische Buddha] mit dem Sonnengott identifiziert, und seine Geburt ähnelte dem Aufgehen einer weiteren Sonne.«
Die Statue des Sonnengottes und der Tempel in Multan waren, wie Xuanzang berichtet, von Teichen und blumenreichen Hainen, geschmackvoll arrangierten Dachziegeln und gewundenen Stufen umgeben, die allesamt ein Gefühl der Bewunderung hervorriefen. Solch eine Oase stimmt nicht mit dem volkstümlichen persischen Zweizeiler über Multan überein:
Vier Dinge hat Multan mehr als nur kaum,
nämlich Staub, Bettler, Hitze und Beerdigungsraum."
ERNEUTER AUFENTHALT IM KLOSTER NALANDA
Xuanzang hielt sich zwei Monate lang in Parvata in der Gegend des Flusses Jamur auf, 700 /i nordwestlich von Multan, bevor er 642 zu einem zweiten Aufenthalt nach Nalanda zurückkehrte. Nachdem er seinem Lehrer, dem Ehrwürdigen Silabhadra in Nalanda, seine Reverenz erwiesen hatte, studierte er in der Nähe mit einem Philosophen, der als Autorität auf dem Gebiet der Grammatik und Logik galt. Dann nahm er die Studien bei dem ausgezeichneten Gelehrten und Exzentriker namens Jayasena wieder auf, der seine eigene Schule der Weisheit betrieb. Xuanzang war allmählich in den versteckten Bedeutungen der unterschiedlichen Schulen des Buddhismus versiert, obwohl in den weitschweifigen, spekulativen Kommentaren der jeweiligen Schule vielerlei Schwierigkeiten steckten; die buddhistische Philosophie hatte sich zu einem der am besten entwickelten Systeme des indischen Denkens entwickelt.'
Xuanzang studierte bei Jayasena das LankavataraSutra, ein Grundriss der idealistischen Philosophie in Versen. Er hielt sich mehrere Monate bei ihm auf, weil er einige der zweideutigen Stellen der Abhandlung über die Stufen der YogaPraxis, ein Werk, mit dem er vertraut war, zu lösen versuchte; diese Schrift, daran sei erinnert, war es, die ihn vor allen anderen nach Indien gelockt hatte. Er mühte sich mit den Textpassagen in einem Werk der Logik ab, das sich mit den Methoden der Widerlegung und der Argumentation beschäftigt. Er fragte beharrlich nach Erklärungen für die Passagen, die in ihm noch Zweifel hervorriefen.' Hat er, wie der französische Philosoph Abelard im zwölften Jahrhundert, einen gesunden Skeptizismus als Schlüssel zum Wissen und zum Verstehen angesehen?Welcher Natur waren seine Zweifel? Selbst nach zwanzig Jahren Studium war er sich über einige der Ideen und Interpretationen unschlüssig, die ihm auf seinen Reisen in Indien begegnet waren.
Der junge Xuanzang, der aus China wegzog, wurde vom buddhistischen Ideal geleitet, so wie es in einer der WeisheitsSutras zum Ausdruck kommt. Nachdem es den wahren Pilger dazu auffordert, alle Gedanken an Essen, Schlafen, Müdigkeit, Kälte und Hitze zu vertreiben, rät es, sich völlig von der menschlichen Sphäre zu lösen. Schliesslich kommt es auf den Kern der buddhistischen Lehre zu sprechen:
Lasse keine dualistischen Begriffe über Subjekt und Objekt, innen und aussen, usw. zu; drehe dich während des Gehens zu keiner Seite hin, weder nach links noch nach rechts, denke nicht an die Punkte auf dem Kompass, weder an vorne noch an hinten, weder an oben noch an unten; lasse dich nicht von deiner Form (rupa), deinem Fühlen (vedana), Denken (samina), Körperbau (sanskara) und Bewusstsein (vijana) beunruhigen. Warum? Weil derrenige, der bei diesem Gehen in GeburtundTod beunruhigt ist und nicht im buddhistischen Leben, nie zu Prajnaparamita [Wahre Weisheit] vorstossen wird."
In der Einsiedelei Jayasenas hatte Xuanzang einen unheilvollen Traum. Er sah, dass die Zellen in Nalanda leer und schmutzig
waren, und als er genauer hinblickte, schien ein Wasserbüffel darin zu hausen. Dann erblickte er Manjusri, den Bodhisattva der Weisheit, der ihm ein grimmiges Feuer zeigte, das alle Dörfer und Städte in der Umgebung des Klosters heimsuchte. Manjusri sagte ihm: »Du solltest bald heimkehren, denn nach zehn Jahren wird König Harsha tot und Indien verödet sein. Bedenke, was ich dir gesagt habe.«
Tatsächlich starb König Harsha im Jahr 647, also früher, als Xuanzang vorausgesagt worden war. In Indien jedoch herrsch
ten Hunger und Chaos, wie im Traum prophezeit. Für eine Periode von fünf oder sechshundert Jahren herrschten dort nur Dunkelheit, Verwirrung und Niedergang. Offensichtlich hatten sich durch den Tod König Harshas »die Bindungen gelockert, die das Reich zusammengehalten hatten«."
642 kehrte Xuanzang erneut ins Kloster Nalanda zurück. Diesmal hielt er gelegentlich Vorlesungen und widmete sich
dem Verfassen einer Abhandlung, die Über die Übereinstim
mung der Prinzipien genannt wird. Darin unternimmt er den Versuch, die idealistische Schule, die von den beiden grossen
Idealisten Asanga und Vasubandhu entwickelt worden war,
mit der Schule des mittleren Weges des Skeptikers Nagarjuna zu versöhnen. Er bemühte sich nachzuweisen, dass es keinen
bedeutenden Unterschied gab zwischen dem Glauben, dass nur geistige Geschehnisse wirklich sind (Idealismus), und dem Glauben, dass die einzige Wirklichkeit in der Weisheit liegt, jedwede Wirklichkeit zu leugnen (PrajnaSchule).
Seine Rückkehr fiel mit einer Einladung von König Harsha zusammen, der um Entsendung von vier Mönchen aus Nalan
da gebeten hatte, die mit Anhängern des Hinayana an einer
religiösen Debatte in Orissa teilnehmen sollten. Obwohl Xuanzang zu denen gehörte, die man als Teilnehmer der Debatte
vorgesehen hatte, fiel sie aus unbekannten Gründen ins Wasser.
Statt dessen sah Xuanzang sich in einen Disput mit einem hinduistischen Brahmanen verwickelt. Dieser Mann hatte, ähnlich
wie später Luther seine berühmten 95 Thesen an der Kirchenpforte in Wittenberg, 44 Sätze an der Klosterpforte in Nalanda angeschlagen und erklärt, wenn jemand auch nur einen einzigen dieser Sätze widerlegen könne, werde er, der Verfechter dieser Sätze, seinen Kopf verpfänden!
Xuanzang nahm die Herausforderung an. Bevor er sich mit dem Brahmanen auseinandersetzte, kritisierte er die Anhänger des Samkhya und des VaiseshikaSystems innerhalb der hinduistischen Philosophie, zwei der berühmtesten rivalisierenden Schulen jener Zeit. Nachdem er auf die Argumente der Anhänger dieser beiden Schulen eingegangen war, tadelte er sie wegen der Vielzahl der hinduistischen Asketen, indem er vortrug, ein Mann, dessen Körper über und über mit Asche beschmiert sei, ähnele nur einer Katze, die in einer Ecke des Kamins geschlafen habe; ein Mann, der ein Halsband aus Schädeln trage, erinnere ihn an einen Vampir in einem Schädelacker; ein Mann, der einer Sekte angehöre, deren Mitglieder sich mit Dung einrieben und menschliche Exkremente ässen, »stinke wie das Schwein in seinem Pfuhl«. Er fragte: »Wie könnt ihr Hindus bloss derartige Dinge als Nachweis der Weisheit ansehen? Sind sie nicht viel eher Beweise des Wahnsinns und der Torheit?
Bei all seiner Hinwendung zur buddhistischen Philosophie in Indien blieb Xuanzang teilweise dem Glauben an die Mässigung verpflichtet, der mit seiner konfuzianischen Erziehung im Einklang steht.
Letztendlich besiegte Xuanzang mit seinen Argumenten jedermann, auch den Brahmanen, der ihn zu dieser Auseinandersetzung herausgefordert hatte. Statt von ihm die Einhaltung seines Versprechens zu verlangen, bat Xuanzang ihn zuerst darum, sein Diener zu werden. Dann bestand er darauf, dass die beiden sich lang und ausführlich unterhielten, und auf der Grundlage dieser Gespräche schrieb er Die Zerstörung des Irrglaubens, in der er die Argumente der Hindus und des Hinayana widerlegte. Danach entliess Xuanzang den Brahmanen, der voller Freude zum König von Assam eilte, um ihm von den bemerkenswerten Fähigkeiten dieses Meisters des Gesetzes zu berichten. Der König zögerte keinen Augenblick und schickte einen Kurier los, um Xuanzang an seinen Hof einzuladen.
BEGEGNUNG MIT DEM WAHRSAGER
Ende 642. Ein gewöhnlicher Tag, ein Tag wie jeder andere. Einen Tag, bevor der Kurier des Königs von Assam eintraf, betrat ein nackter Jain namens Vajra völlig überraschend Xuanzangs Zelle in Nalanda. Da dieser wusste, dass die Jains ihrer hellseherischen Fähigkeiten wegen berühmt sind, stellte er ihm eine Reihe von Fragen. »Sollte ich sogleich heimkehren? Sollte ich noch länger in Indien verweilen? Kann ich sicher nach China zurückkehren? Wie lange habe ich noch zu leben?« Der Wahrsager gab ihm derartige Antworten, dass sie sich auf vielfältige Weise auslegen liessen. Als Xuanzang ihm jedoch erzählte, dass er viele heilige Statuen und Bücher zusammengetragen habe und nicht wisse, wie er diese heil nach China bringen könne, gab der Wahrsager ihm interessante Informationen.
»König Harsha und König Kumara von Assam werden dir Transportmittel zur Verfügung stellen«, sagte er.
»Aber ich habe noch keinen von beiden getroffen«, warf Xuanzang ein. »Es gibt keinen Grund, warum sie mir eine solche Freundlichkeit erweisen sollten.«
»Sei unbesorgt.« Der Wahrsager teilte ihm danach mit, dass beide Könige ihm eine Eskorte schicken würden und er ohne jeden Unfall sicher nach Hause heimkehren werde."
Xuanzang hatte sich entschlossen, nach China zurückzukehren. Als die Mönche in Nalanda davon erfuhren, baten sie ihn, doch noch länger bei ihnen zu bleiben, indem sie vorbrachten, der Geburtsort Buddhas liege nun mal in Indien und die geheiligten Spuren Buddhas seien nur in Indien zu finden. Überdies sei China ein unbedeutendes Land, das nur eine oberflächliche Religion besitze. Natürlich würden dort nie Buddhas geboren werden. Die Menschen seien engstirnig und durch und durch grob. Die klimatischen Bedingungen seien unangenehm und die Strassen nicht ungefährlich. »Weshalb denkst du daran zurückzukehren?«
»Als der König des Gesetzes die Prinzipien seiner Lehre aufstellte, bestimmte er sie zur universellen Ausbreitung«, erwiderte Xuanzang, der chinesische Mönch. Und dann setzte der chinesische Patriot, dem TangReich untertan und Kaiser Taizong ganz ergeben, zu den Worten an: »Im Gegenteil, China ist ein sehr zivilisiertes Land, dessen Bewohner gesitteten Umgang miteinander pflegen, dessen Kaiser klug und scharfsinnig ist und dem seine Minister treu ergeben sind, und ein Vater ist seinen Sohn gegenüber gütig, während sich der Sohn seinem Vater gegenüber ehrerbietig verhält. Güte und Rechtschaffenheit werden geschätzt und die Alten und Weisen respektiert.«35
Dies war ein Echo der konfuzianischen Lehre in Reinkultur, denn im Konfuzianismus gilt eine angemessene soziale Ordnung als höchstes Gut. Diese Ordnung nimmt ihren Anfang beim Herrscher an der Spitze, verläuft über den Prinzen, die Beamten, Gelehrten und Edelleute bis hinab zum Familienvater, von denen ein jeder Autorität über die ihm Untergebenen besitzt, jedoch zugleich auch dazu verpflichtet ist, sich vorbildlich zu verhalten. »Richtige Beziehungen« werden für jede Verbindung sorgfältig definiert, für Vater und Sohn, Herrscher und Untertan, den Ehemann und die. Gemahlin, den älteren und den jüngeren Bruder, und so fort."
Diese angemessene Ordnung erstreckt sich auf das richtige Verhältnis zum Herrscher des HimMels oder den, Göttern. Daher fuhr der konfuzianische Patriot fort: »Ihre Weisheit entspricht jener der Götter. Sie handeln in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Natur... Sie können die Vögel und Tiere versklaven, die Gespenster und Geister inspirieren und die Prinzipien des Negativen [Yin] und des Positiven [Yang] zum Vorteil sämtlicher Geschöpfe nutzen.«"
Eine Lobeshymne, die er nach seiner Heimkehr nach China verfertigt hat? Mag sein, doch gewiss könnte sie aus Xuanzangs eigenem Mund stammen.
Und Xuanzang erinnerte die Mönche daran, dass kein geringerer Weiser als ihr eigener Vimalakirti einst gefragt hatte: Warum reist die Sonne über die Welt der Menschen?«
»Um die Düsterkeit zu vertreiben«, lautete die Antwort. Seinem Lehrer, dem Ehrwürdigen Silabhadra, erläuterte er die Gründe für seine Rückkehr.
Dieses Land ist der Ort von Buddhas Geburt; es ist mir unmöglich, es nicht mit Zuneigung zu betrachten; nur in HiuenTsiangs Absicht, hierher zu kommen, lag es, das grosse Gesetz zu Gunsten seiner Mitmenschen zu erkunden. Seit meiner Ankunft hier, hast du, Herr, geruht, mir die Yogacharyabhumisastra zu rezitieren und die unklaren Passagen zu untersuchen. Ich habe die heiligen Stätten unserer Religion besucht und angebetet und die tiefschürfende Auslegung der unterschiedlichen Schulen vernommen. Mein Geist war voll der Freude, und mein Besuch hier, das erkläre ich feierlich, war mir von grösstem Nutzen. Ich möchte nun zurückkehren und das, was ich gehört habe, den anderen übersetzen und erklären, damit auch die anderen dazu veranlasst werden, dir gleichermassen dankbar zu sein, wie ich es war, als ich diese Dinge gehört und verstanden habe; und aus diesem Grund bin ich nicht gewillt, meine Heimkehr aufzuschieben und noch länger hier zu verweilen.
Xuanzang begann, seine Bücher, seine Statuen, seine Manuskripte für die Heimreise zusammenzutragen. Zwei Tage danach tauchte der Kurier des Königs von Assam auf. Sein Eintreffen leitete das Finale von Xuanzangs Aufenthalt in Indien ein.

Die Szene von Xuanzangs grösstem Triumph in einer Debatte fand im zwölften Monat des Jahres 642 in der Hauptstadt König Harshas am Ganges statt. Der Pilger war auf dem Höhepunkt seiner Kräfte; er hatte mit Königen, mit dem Grosskhan und mit bedeutenden buddhistischen Leitfiguren verkehrt. Zwölf oder dreizehn Jahre lang war er kreuz und quer über den indischen Kontinent gezogen und zu einem der grössten Metaphysiker des mittelalterlichen Büddhismus geworden.
BEGEGNUNG MIT KÖNIG HARSHA
Im Alter von vierzig Jahren machte er die berauschende Erfahrung, dass sowohl der König von Assam wie König Harsha, der :etzte der grossen buddhistischen Herrscher vor der Periode des Triumphs des Hinduismus und der Invasion des Islam, ihn umwarben und sich sogar um ihn rissen.
Genau wie der Wahrsager ihm geweissagt hatte, erschien ein Kurier des Königs von Assam mit einer Einladung in dessen '250 Kilometer östlich von Nalanda gelegene Hauptstadt Gaunati. Da Xuanzang König Harsha bereits zugesagt hatte, dass tr zu einem späteren Zeitpunkt an seinen Hof kommen werde, wusste er nun nicht, für wen er sich entscheiden sollte. Schliess
verbrachte er zwei Monate beim König von Assam, der _nn nicht nur mit allen Ehren empfing, sondern ausserdem,
wohl bereits Hindu, Laienmitglied in der buddhistischen Gemeinde wurde. Um dem König zu gefallen, schrieb Xuanzang die dritte seiner Abhandlungen, die in Indien entstanden,
Werk über die Drei Personen des Buddha: den Phantombuddha, der ein irdisches Leben zu führen scheint; den Sozialbuddha, der sich den Bodhisattvas mitteilt; und den Transzendentalen Buddha.
König Harsha, inzwischen von einer Militärexpedition zurückgekehrt erfuhr, dass sich der chinesische Pilger beim König von Assam aufhielt. Er verlangte, dass Xuanzang sofort zu ihm zurückkehrte. Nach einer eher närrischen Zurschaustellung seiner prahlerischen Tapferkeit beugte sich der König von Assam als Vasall diesem Willen. Er rüstete eine grosse Flussflotte aus und machte sich mit seinem chinesischen Gast in die Hauptstadt König Harshas am Ganges auf.
In einer dramatischen Begegnung mitten in der Nacht — vermutlich konnte der König nicht bis zum Morgen abwarten —schlugen mehrere hundert Soldaten im Licht der flackernden Fackeln auf die Trommeln. Wenn der König sich in Gang setzte, war er stets von Trommlern begleitet, die »bei jedem Schritt einen Trommelschlag ertönen liessen«; keinem anderen König war es erlaubt, in Begleitung von Trommlern zu marschieren, die mit ihm Schritt hielten. König Harsha gelangte zu Xuanzangs Pavillon, verbeugte sich zu seinen Füssen, streute Blumen aus und rezitierte lange Verse zu seiner Ehrung.
Gross war der Respekt vor religiösen Führern in Indien, und nicht minder gross war König Harshas Bemühen um Xuanzang und um den MahayanaBuddhismus. Ähnlich wie zahlreiche andere regierende Monarchen verfolgte er eine bewusste Politik der Unparteilichkeit gegenüber den heftig miteinander konkurrierenden Religionen. In der Öffentlichkeit folgte er dem Vorbild seines Vaters und verehrte die Sonne, opferte Shiva, dem Gott der Hindus, und förderte die Anhänger des Buddhismus. Als er dazu neigte, Xuanzang vorzuziehen und das empfindliche Gleichgewicht der Religionen untereinander aus dem Auge zu verlieren, hatte dies ernsthafte Folgen, die ihn beinahe das Leben kosteten.
König Harsha schätzte talentierte Menschen in seinem Königreich, so dass er, Xuanzangs Schilderungen zufolge, sie häufig »an den Löwenthron« oder den ersten Ehrenplatz führte und aufmerksam ihren Worten lauschte. Der König selbst betätigte sich sowohl als Dichter wie auch als Dramatiker. Eine der Leuchten an seinem Hof war der berühmte HinduDichter Bana, der in einem bekannten Gedicht in Sanskrit später über ihn schrieb. König Harsha belohnte ständig »die Gebildeten, die Klugen und die Frommen«.2
König Harsha hatte, vielleicht aus politischen Gründen wie denen des Prestiges, wie auch aus allgemeiner Neugierde heraus ein Jahr vor Xuanzangs Besuch diplomatische Beziehungen zu China aufgenommen. Er sagte zu ihm: »Du kommst aus China, und ich habe gehört, dass ihr eine musikalische Komposition mit dem Titel >Triumph des Prinzen von Chin [Qin]< in eurem Land habt. Mir ist dieser Prinz von Chin nicht bekannt und auch seine verdienstvollen Taten nicht, die ihm ein solches Lob seiner selbst eingetragen haben. «
Xuanzang antwortete ihm in einer ungewöhnlichen Passage. Normalerweise blieb es seinem Biographen überlassen, seine persönlichen Reaktionen aufzuzeichnen. Diesmal jedoch führte er seine Antwort für König Harsha in seinem Bericht über die Westlichen Regionen für den Kaiser an. Er erklärte König Harsha, sein Kaiser sei einst Prinz von Chin gewesen und das Volk habe dieses Loblied und den Tanz im Jahr 620 geboren, um seinen Sieg über die letzten Widersacher der TangDynastie zu feiern. Alsdann nutzte Xuanzang die Gelegenheit, um in hochtrabendem Chinesisch eine Lobrede auf seinen Kaiser anzustimmen.
Zu jener Zeit befand sich das ganze Land in einem Zustand des völligen Aufruhrs ohne einen Herrscher, der das Volk regierte. Menschliche Leichen lagen in hoch aufgeschichteten Haufen auf den wilden Feldern, und menschliches Blut strömte in den Flüssen. Nachts tauchten böse Sterne am Himmel auf, und während des Tages herrschte eine unheilvolle Atmosphäre. Die drei Flüsse ächzten unter den habsüchtigen Schweinen, und die vier Meere wurden durch Giftschlangen aufgestört. Als Sohn des Kaisers führte der Prinz seine Truppen persönlich an und schlug die rebellischen Kräfte mit Zustimmung der Himmelsordnung nieder. Mit seiner militärischen Macht stellte er im ganzen Land den Frieden und im Universum die Ruhe wieder her, wodurch Sonne, Mond und Sterne wieder hell schienen. Da die Menschen im ganzen Reich ihm gegenüber grossen Dank empfanden, komponierten sie die Musik zu seinem Lobe.
Bei ihrem nächsten Treffen im Palast des Königs Harsha
manschte der König Die Vernichtung eines Irrglaubens zu
hen, eine von Xuanzang in Nalanda verfertigte Abhandlung. Nazh dem Studium dieser Polemik gegen die Widersacher des MahayanaBuddhismus, sowohl von Seiten der Hinayana wie der Hindus, wandte der König sich mit folgenden Worten an seinen Hof: »Ich habe vernommen, dass, so wie das Licht des Glühwurms beim Aufgang der Sonne in all ihrer Pracht verschwindet und so wie der Lärm von Hammer und Sichel verstummt, wenn der Himmeldonner ertönt, alle anderen angesichts der Lehre, die der Meister vertritt, vernichtet worden sind.«5
König Harsha schlug ein grosses Turnier in Kanyakubja vor, zu dem er die Anhänger sämtlicher religiöser Schulen einlud. Xuanzang hatte bereits an einer fünftägigen religiösen Debatte teilgenommen, die der König von Kapisa viele Jahre zuvor einberufen hatte, doch sie war von viel kleinerem Kaliber gewesen.
DIE DEBATTEN BEIM GROSSEN TURNIER
642, im zwölften Monat in Kanyakubja. Stundenlanges Warten. Xuanzang beobachtet, wie die Könige der achtzehn Vasallenreiche, dreitausend buddhistische Mönche, dreitausend Hindus und Jains sich versammeln. Manche der Besucher treffen auf Elefanten ein, andere in Karren, manche werden in Sänften befördert, viele werden von Schirmen behütet und von Standarten umgeben, und alle berühmten Besucher werden von einer Gefolgschaft an Dienern begleitet. König Harsha und der König von Assam führten die Prozession an. Ein riesiger, kunstvoll aufgeputzter Elefant trug eine goldene Statue Buddhas auf dem Rücken. König Harsha, als Gott Indra verkleidet und mit einer weissen Fliegenpeitsche in der Hand, schreitet zur Rechten der Statue, und der König von Assam, als Brahma verkleidet und mit einem Sonnenschirm in der Hand, geht zur Linken.
Die Mönche singen heilige Hymnen. Blumen werden auf den Weg der heiligen Prozession gestreut. Vor und hinter der Statue sitzen auf Elefanten die Musiker, die ihre Trommeln schlagen. Xuanzang und die Hofgeistlichen des Königs reiten ebenfalls auf Elefanten, dahinter die Vasallenkönige und hochstehende Besucher. König Harsha stellt die goldene BuddhaStatue auf einem mit Juwelen besetzten Thron ab. Diese Feier von »mehr als orientalischer Pracht« findet nach einem kilometerlangen Ritt vom Königspalast entfernt am Ort der Grossen Debatte statt. Als Höhepunkt lädt König Harsha zu einem aufwendigen Bankett ein, bringt der BuddhaStatue Opfer aus Gold, Gewänder und weitere Kostbarkeiten dar und beschenkt alle Mönche. Erst dann wird dem buddhistischen Meister des Gesetzes die Redeerlaubnis erteilt. Xuanzang erklärt mit klarer und fester Stimme und in eleganter und wohlklingender Sprache seine Abhandlung von der Überlegenheit des MahayanaBuddhismus. Er verhält sich ernst und ist so hübsch wie eine Figur auf einer Malerei anzuschauen.'
Das Drama gewinnt an Schärfe. Während der fünf Tage dauernden Debatte verwandelt sich das theologische in ein richtiges Schlachtfeld. Xuanzangs Widersacher schäumten vor Wut und stiessen Todesdrohungen gegen ihn aus. Als dem König dies zu Ohren kam, gab er einen Erlass heraus, dem zufolge edermann, der dem Mönch einen Schaden zufüge, umgehend enthauptet werde, und jeder, der ihn beschimpfe, seiner Zunge verlustig gehe. Da es niemand wagte, Xuanzangs Lehre während der achtzehn Tage zu widerlegen, in denen man auf Herausforderungen eingehen konnte, erklärte der König ihn kurzerhand zum Gewinner der Debatte und veranlasste eine triumphale Prozession, um diesen Sieg zu feiern.
Viele Jahre später gesteht Xuanzang in einem Brief an einen seiner Widersacher: »Als einer der unseren die Lehrsätze der MahayanaSchule darlegte, vertrat der andere die Ziele des Hinayana. Im Verlauf der Debatte wurde unser Argumentieren zwangsläufig immer hitziger. Bei der Verteidigung der Wahrheit wurde auf persönliche Gefühle wenig Rücksicht genommen. Daher kam es zu Zusammenstössen. Doch sobald die Debatte vorüber war, trugen wir es einander nicht nach. «8
Xuanzang sehnte sich danach, seine Heimreise antreten zu können, doch König Harsha bestand darauf, ihn nach Prayaga, dem heutigen Allahabad, mitzunehmen, wo der König sich darauf vorbereitete, sein sechstes Fünfjahresalmosen zu spenden. Der König verschenkte seinen gesamten Besitz, ausgenommen seine Kriegspferde, Kriegselefanten und so weiter. Seltene Kleinode, kostbare Stoffe und besondere Speisen wurden zuerst Buddha, dann dem Sonnengott, danach Shiva, dem Gott der Hindus, bis hinunter zu den zehntausend Mönchen, den Brahmanen, Jains und zuletzt den Armen und Waisen geopfert. Am Ende verschenkte der König — ähnlich wie Prinz Visvantara in der BuddhaLegende, der seine Güter und seine Familie als Almosen weggab — seine sämtlichen Juwelen und Kleider, bis er schliesslich gezwungen war, sich in Lumpen zu hüllen.
Dann kamen die achtzehn Vasallenkönige an die Reihe, die von einem Beschenkten zum nächsten gehen mussten, um die Geschenke des Königs wieder auszulösen. Xuanzang hatte diese eigenartige Zeremonie schon in Bamiyan kennengelernt; diesmal fand sie an einem für Hindus besonders heiligen Platz, nämlich auf »dem Feld der Wohltaten« in Prayaga, statt.
BEGINN DER HEIMREISE
Nachdem die Zeremonie des Almosengebens vorüber war, suchte Xuanzang um die Erlaubnis zur Abreise nach. Beide Könige versuchten, ihn unter Vorwänden von seinem Entschluss abzubringen. Schliesslich verzweifelte Xuanzang. Um die Dringlichkeit seiner Mission zu betonen, nahm er Zuflucht zu den Schriften: »Wer immer jemand daran hindert, das Wissen der Religion zu verbreiten, wird Generation für Generation blind geboren. «>
Im April 643 willigten die Könige endlich in seine Abreise ein, und Xuanzang erhielt die Militäreskorte eines nordindischen Königs, damit er seine kostbaren Bücher und Statuen auf Pferden befördern konnte, sowie einen der besten Reitelefanten König Harshas. Er war ungewöhnlich gross und konnte in seinem Howdah acht Personen befördern sowie 3000 Goldstücke und 10.000 Silberstücke, die Xuanzang für seine Reisekosten mitgegeben worden waren. Der Appetit dieses Elefanten war enorm, denn er konnte vierzig Bündel Stroh und zwanzig Brote in zwei Tagen konsumieren. Niemand konnte sich daran erinnern, dass jemals zuvor einem Mönch ein Elefant geschenkt worden wäre.
Drei Tage später, als Xuanzang bereits unterwegs war, jagten die beiden Könige ihm auf Pferden hinterher und holten die Karawane wie glückliche Schuljungen ein. Sie überreichten ihm Briefe mit beeindruckenden roten Siegeln, die als Passierscheine galten und die Herrscher derjenigen Länder, die er durchqueren wollte, dazu verpflichtete, ihn jeweils mit einer frischen Eskorte zu versorgen. Soweit es in seiner Macht lag, bot König Harsha seine Hilfe beim Schutz der Westgrenzen Chinas an.
UNTERGANG VON SCHRIFTEN IM INDUS
Xuanzang wandte sich mit seiner Karawane nach Nordwesten. In der Regenzeit 643 unterbrach er seine Heimreise in einem Kloster im Norden von Kanyakubja. Danach durchquerte er Nordindien über Jalandhara und Taxila und schlug fast genau jieselbe Route ein wie die, über die er dreizehn Jahre zuvor in üntgegengesetzter Richtung gezogen war.
In Jalandhara schlossen sich seiner Karawane hundert Priester an, die ebenfalls Schriftrollen und Statuen mit sich führten und sich freuten, in der Gruppe sicher aufgehoben zu sein, als sie über die von Wegelagerern verseuchten Pässe zogen. Xuanzang schickte einen Mönch als Vorhut voraus, dem er — wenn er angehalten werden sollte — zu sagen aufgetragen hatte: »Wir haben eine weite Strecke zurückgelegt, um das Gesetz zu sehen. In unserem Gepäck befinden sich nur Schriftrollen, Statuen und heilige Reliquien. Wir bitten euch, uns zu beschützen und uns keine Gewalt anzutun.«

Reiseweg Xuanzangs von Indien nach Westchina (von Jalandhara nach Kaschgar
644, am Neujahrsfest. Nachdem Xuanzang seit Prayaga eine Strecke von etwa 1500 Kilometer zurückgelegt hat, erreicht er die Stadt Hund und schickt sich an, den Indus zu überqueren. Er ruht neben seinem prächtigen Elefanten aus, bevor er sich an die gefährliche Überquerung wagt. Sein übriges Gefolge hat Boote aufgesucht, die hochauf mit Schriftrollen, Reliquien, Statuen und seltenen Blumensaaten beladen sind, die er aus allen vier Himmelsrichtungen Indiens zusammengetragen hat. Doch dann geschieht eine furchtbare Katastrophe: gerade als sie sich mitten auf dem kilometerbreiten Indus befinden, kommt ein Sturm auf, der die Boote ins Wanken und beinahe. zum Kentern bringt. Dabei gehen die Bewacher der Schriftrollen und Blumensaaten über Bord und müssen gerettet werden. Fünfzig seiner kostbaren Manuskripte und all seine Blumensaaten fallen ins Wasser.
Der König von Kapisa befindet sich zum Zeitpunkt der Katastrophe ganz in der Nähe. Als er schliesslich Xuanzang begegnet, lautet seine erste Frage: »Hattest du nicht indische Blumensaaten mitgeführt?« Er erklärt ihm: »Das ist der einzige Grund für den Sturm, der das Boot heimgesucht hat. So ist es seit jeher bis heute geblieben. Wer immer den Fluss mit den Saaten von Blumen zu überqueren trachtet, der muss ähnliches Unglück gewärtigen. «"
luanzang schickte nach Udyana, um frische Kopien der verlorenen Schriften anfertigen zu lassen, und wartete fast zwei Monate auf deren Eintreffen in Hund, der Winterhauptstadt König Kapisas im Norden von Attock. Der König von Kaschmir kam ihm ebenfalls entgegen, um ihm seine Reverenz zu erweisen. Beide bemühten sich, vom chinesischen Hof Unterstützung gegen mögliche Feinde zu finden.
HINDUKUSCH UND PAMIR
Der König von Kapisa begleitete Xuanzang persönlich bis zum Gebirge des Hindukusch und stellte ihm einen Führer sowie hundert Träger für den Transport der Vorräte, Stroh für den Elefanten inbegriffen, zur Verfügung. Ähnlich wie Hannibals Alpernüberquerung der Alpen mit Elefanten und Gepäck war im Juli des Jahres 644  die Überwindung des KawakPasses viel schwieriger als erwartet. Die meisten der Träger scheinen noch vor der Passhöhe aufgegeben zu haben, die in mehr als 4000 Metern Höhe liegt. Xuanzangs Biograph behauptet, an diesem Ort habe seine Karawane nur noch aus sieben Priestern, zwanzig Gefolgsleuten, einem Elefanten, zehn Eseln und vier Pferden bestanden. Xuanzang schreibt:
Dieser Gebirgspa ss liegt sehr hoch; die Klüfte sind wild und gefährlich, der Pfad ist gewunden, und die Grotten und Höhlen gehen ineinander über. Mal betritt der Reisende ein' tiefes Tal, mal steigt er zu einem hohen Gipfel hinauf, der im Hochsommer vom ewigen Eis umfangen ist. Indem er Stufen aus dem Eis herausschlägt, kommt der Reisende voran, und nach drei Tagen erreicht er den höchsten Punkt des Passes... Dort bläst ein eisiger Wind von schneidender Kälte erbarmungslos; Schneewehen häufen sich in den Tälern. Reisende, die vorankommen wollen, wagen es nicht, auf ihrem Weg eine Rast einzulegen. Sogar die Vögel, die sonst in wirbelnden Kreisen fliegen, können an diesem Punkt nicht mehr in die Lüfte steigen, sondern überqueren den Gipfel zu Fuss und fliegen dann erst abwärts. Betrachtet man die Berge ringsherum, so erscheinen sie einem wie kleine Hügel. Doch ist dies der höchste Gipfel von allen.'
Nachdem sie sich drei weitere Tage abgemüht hatten, stiegen sie den Pass hinunter und gelangten nach Andarab, wo es drei kleine Klöster gab. Hier ruhten sie sich fünf Tage lang von den Strapazen aus, bevor sie weiter nach Kunduz am Ufer des Oxus zogen. Xuanzang hatte sich bereits zuvor einmal zur Zeit einer Familienintrige und Palasttragödie in Kunduz aufgehalten. Diesmal geschah nichts Dramatisches. Xuanzang und sein Gefolge gönnten sich wieder eine Verschnaufpause, diesmal einen Monat lang, und warteten auf das Eintreffen der Kopien der wichtigen Schriften, die auf den Grund des Indus gesunken waren. Mit einer Eskorte des Herrschers von Kunduz und in Begleitung einiger Händler zog Xuanzangs Karawane weiter.
Statt sich für die nördliche Karawanenroute nach Samarkand zu entscheiden, auf der er einst nach Indien gekommen war, zog er den Oberlauf des Oxus hinauf, überquerte das PamirGebirge und erreichte Kaschgar.13 Dies war die Route, auf der Marco Polo im Jahr 1271 nach China zog. Von Kaschgar aus reiste Xuanzang auf der südlichen Seidenstrasse, die ihn nach Yarkand und Khotan führte, dann weiter ostwärts am südlichen Rand der TaklamakanWüste bis Dunhuang am Knotenpunkt der nördlichen und der südlichen Seidenstrasse.
Am Oberlauf des Oxus stiess die Karawane auf eine Ansiedlung Weisser Hunnen, die in dieser wilden Gegend Zuflucht suchten. Xuanzang berichtet von ihren seltsamen Sitten.' Etwa 60 Kilometer weiter legte seine Karawane für einen Monat in Faizabad im Königreich Badakhshan eine Pause ein, da die Pässe des Pamir von Schneemassen blockiert waren. Diese Gegend war für ihre Pferde, Lapislazuli und Rubinminen berühmt. Es gab drei oder vier buddhistische Klöster und einige Mönche in diesem abgelegenen Vorposten.
In Richtung Osten zogen Xuanzang und sein Tross etwa 300 Kilometer dieses kahle, weglose und nahezu unzugängliche PenjTal hinauf. Auf einigen der Behelfsbrücken über den Fluss kamen sie sich, um mit den Worten eines russischen Schriftstellers zu sprechen, wie »eine Träne an einer Augenwimper« vor." Sie zogen an zusammengescharrten Anhäufungen von Schlamm und Steinhütten vorbei, bis sie auf die PamirGebirgskette stiessen. Diese Hochlandebenen, erklärte er, befanden sich zwischen den verschneiten Bergen und »deswegen war das Klima kalt und wehte ständig der Wind.« Hier in einer Höhe von mehr als 4000 Metern erreichten sie das Ufer des Grossen Drachensees, den John Woods 1838 wiederentdeckte und auf den Namen VictoriaSee taufte.
Xuanzang erkannte die riesigen Ausmasse dieses Sees mit einer Ausdehnung von 200 /i von Ost nach West und von 50 /i von Nord nach Süd; weiter fielen ihm die tiefblaue Färbung des Wassers, dessen frischer Geschmack und Klarheit auf.' Er äusserte sich zu den Wassermonstern, die in dessen Tiefen hausen, zu den Fröschen in einer unendlichen Artenvielfalt und zu einigen etwa drei Meter grossen Vögeln, deren Gelege so gross wie ein Wasserkrug war. Er spekuliert sogar darüber, dass es sich um Straussenvögel gehandelt haben könnte. So phantastisch dies auch erscheinen mag, die Encyclopedia Britannica von 1911 sagt, dass es am Unterlauf des Oxus Straussenvögel gegeben haben könnte."
Wegen der angeschwollenen Flüsse, die ein Überqueren mit schwer beladenen Tieren unmöglich machten, könnte Xuanzang den Weg über den WakhijrPass in 5145 Meter Höhe vor gezogen haben. Dies ist die grosse Wasserscheide Zentralasiens. Im TaghdumbashPamir haben zwei Flüsse ihren Ursprung: der Oxus, der 1600 Kilometer nach Westen fliesst und sich in den Aralsee ergiesst, und der Yarkand, der Hunderte von Kilometern nach Osten in die TaklamakanWüste in China strömt. Vermutlich nahm er die Grosse Pamirstrasse an einem anderen Pass.18 Jedenfalls bezeichnete Marco Polo dieses Bergmassiv, dieses Amphitheater aus höchsten Gipfeln, als das Dach der Welt, denn die Gebirgskette des Hindukusch, die das heutige Afghanistan durchzieht, des Karakorum in NordPakistan, des Pamir in Afghanistan und Tadschikistan sowie des TianshanGebirges in China treffen an diesem PamirKnoten aufeinander.
IN DER OASE KASCHGAR
Nach seiner anstrengenden Kletterei ruhte Xuanzang einen Monat lang in Tashkurghan aus, wo die Sarikol lebten. Von deren König, den er als aufrechte und aufrichtige Person beschreibt und als jemanden, der den Buddhismus ehrte, war er beeindruckt. In dem alten Palast war ein Kloster eingerichtet, das dem Mönch Kumarajiva gewidmet war, einem der grossen Übersetzer des MahayanaBuddhismus. Auf seinem Weg nach Indien hatte Xuanzang den Geburtsort Kumarajivas in Kucha besucht.
In Tashkurghan stiess er auf die Ruinen einer berühmten Festung, auch als Schloss der Jungfrau bekannt, und erfuhr deren Legende. Eine chinesische Prinzessin der HanDynastie war mit dem König von Persien verlobt und mit Eskorte in dessen Hauptstadt gezogen. In Tashkurghan versperrten Räuber ihnen den Weg, so dass ihre Eskorte sie auf einen isolierten Gipfel führte, wo sie von felsigen Abgründen umgeben war und sich daher in Sicherheit befand. »Als die Ruhe wiederhergestellt war und die Reise fortgesetzt werden sollte, entdeckte der für die Braut verantwortliche Gesandte des Königs, dass sie schwanger war. Nach einer Untersuchung fand er heraus, dass der SonnenDeva die Dame jeden Tag um die Mittagsstunde besucht hatte und das Kind, das sie unter dem Herzen trug, seines war.
Menschen aus Tashkurghan waren so beeindruckt, dass sie sie ersuchten, bei ihnen zu bleiben und ihre Herrscherin zu werden; die in dieser Gegend herrschenden Regenten sollen ihrem wunderbar geborenen Sohn entsprungen sein. Aurel Stein versichert, dass es sich bei der Festung westlich des TashkurghanFlusses um den von Xuanzang besuchten Ort handelt.

Blick auf das PamirGebirge, das Xuanzang überquerte, um von Afghanistan nach Kaschgar zu gelangen.
Als sich die Karawane auf dem Weg von Tashkurghan nach Kaschgar durch eine enge Schlucht zwischen überhängendem Felsgestein schlängelte, schwärmte eine Räuberbande den Hohlweg hinunter; Xuanzangs Begleiter, die Händler, unter denen sich Panik breitmachte, flohen verängstigt die Berghänge hinauf. Der mächtige Elefant von König Harsha trampelte wild. Die Räuber jagten dem erschreckten Elefanten hinterher, bis der in den Fluss sprang und ertrank. Aurel Stein vermutet, dass Xuanzang seinen Elefanten in der TangitarSchlucht unterhalb von Tar Bashi verlor.
Xuanzang folgte der Spur, die quer über die öde Hochebene von Chickiklik verlief, an den westlichen Hängen der massigen, weissen Kuppel von MuztaghAta vorbei.' Der zweithöchste Gipfel im PamirGebirge ist 7434 Meter hoch. »Ein Berg schreibt Xuanzang, »dessen Dunstnebel aufsteigen, die sich bei der Berührung mit dem Felsen in Wolken verwandeln; seine schieren Felsen von imposanter Höhe schienen kurz vor dem Einstürzen zu stehen. Auf dem Gipfel dieses Berges stand ein prächtiger Tope [Stupa].«22 Er schildert, dass dieser zum Gedenken an einen Arhat gebaut worden sei, der der Legende zufolge seit der Zeit Buddhas in Trance gelebt hatte.

TangitarSchlucht, die nach Aurel Steins Meinung der Engpass gewesen war, an dem die Räuber Xuanzangs indischen Elefanten verfolgten, der daraufhin in den Fluss stürzte und ertrank
Xuanzang scheint Kaschgar auf dem Fluss Gez, einem Nebenarm des Kizil [Qizil], erreicht zu haben. Als er sich der westlichsten Oase Chinas näherte, nahm er viele Sandhügel und wenig fruchtbaren Boden wahr. Über die Oase schreibt er: »Sie brachte gute Ernten hervor und Obst und Blumen im Überfluss.« Xuanzang besuchte den berühmten Basar in Kaschgar: »Man stellt in diesem Land Filz und Tuch von ausgezeichneter Qualität ebenso wie schöne Wollstoffe her. Darüber hinaus verstehen sich die Einwohner auf das Weben verschiedener Arten von feinen und weichen Teppichen. « Xuanzang fielen die grünen Augen der Menschen auf — ein Hinweis darauf, dass ein Teil der Bevölkerung sogdischen oder ostiranischen Ursprungs war."
In Kaschgar gab es Hunderte von buddhistischen Klöstern mit mehr als tausend Mönchen, von denen die meisten der realistischen HinayanaSchule angehörten. Überreste zweier buddhistischer Stätten in Kaschgar sind erhalten geblieben. Die erste, die Grotte der Drei Unsterblichen aus dem zweiten Jahrhundert, ist aus den Felsen des Flusses Quiakmakh herausgehauen. Heute liegt sie etwa zehn Meter oberhalb des Flussbetts. Sie besteht aus zwei Kammern; Spuren von Wandmalereien sind in der linken Kammer zu erkennen. Die zweite Stätte, das ehemalige Dorf Hanoi, war zur Zeit der TangDynastie eine lebendige buddhistische Ansiedlung. Es wird angenommen, dass Xuanzang den dortigen MauritimStupa besichtigt hat . Über die Art der Regierung in Kaschgar liegen von Xuanzang keine Äusserungen vor, doch wissen wir, dass die Oase in der TangZeit unter chinesischer Verwaltung stand und der Militärgouverneur ein chinesischer Beamter war ."
 
MauritimStupa, den Xuanzang in der alten Stadt Hanoi in der Nähe Kaschgars besucht haben soll

Reiseweg Xuanzangs von Indien nach Westchina (von Kaschgar
nach Loulan)
IN DER OASE KHOTAN
Als nächstes peilte Xuanzang Khotan an, vierzehn Tagesreisen auf der Karawanenstrasse entfernt. An der südlichen Seidenstrasse war Khotan die grösste Oase; sie lag am Fusse des kahlen, gezackten KhunlunGebirges zwischen Tibet und China. Auf dem Weg machte er für ein paar Tage in der blühenden Oase von Yarkand (Shache) Station. Als der König von Khotan vernommen hatte, dass Xuanzang sich auf seinem Territorium aufhielt, machte er sich auf den Weg, um ihn im September 644 in die Hauptstadt zu begleiten. Xuanzang kam in einem HinayanaKloster unter. Dies ist rätselhaft, denn hatte er uns nicht mitgeteilt, dass es hundert Klöster und mehr als fünftausend Mönche gebe, die meisten davon dem Mahayana zugeörig?
Die Überreste der alten Stadt Yotkan gelten als die von Kho:an, die Xuanzang offensichtlich beeindruckte.
Diese Stadt, schreibt er, hatte einen Umfang von etwa 4000 li, mehr als die Hälfte davon waren Sanddünen; auf der sehr begrenzten bebauten Fläche wuchsen Getreide und Obst unterschiedlicher Art; im Land wurden Teppiche, feine Felle und Seide von künstlerischer Textur erzeugt; auch wurden weisse und schwarze Jade abgebaut. Das Klima war ideal, doch gab es Wirbelwinde und Sandstürme. Die Menschen waren freundlich und liebten das Handwerk; sie lebten in wohlhabenden Umständen und gingen ordentlichen Beschäftigungen nach. Die Nation schätzte Musik, und die Menschen tanzten und sangen gern; einige wenige kleideten sich in Wolle und Pelz, die meisten trugen Seide und bedruckten Kattun... Die Schrift war aus Indien übernommen worden.
Im Südosten der Hauptstadt besuchte Xuanzang ein Kloster, das zum Gedenken an die erfolgreiche Einführung der Seidenkultur aus China errichtet worden war. (Khotan war damals ein unabhängiges Königreich.) China hatte eifersüchtig das Geheimnis der Seidenzucht gehütet, und ein kaiserliches Dekret belegte eventuelle Enthüllungen mit Folterstrafen. Daher vergingen viele Jahrhunderte, bevor sich irgendwelche Kenntnisse vom Ursprung dieses sagenhaften Stoffes verbreiten konnten. Einer alten, von Xuanzang berichteten Legende zufolge gelangten um 140 v. Chr. Larven der Seidenraupen und Maulbeersaaten nach Khotan. Der König von Khotan, der mit einer chinesischen Prinzessin vermählt war, hatte seine Gemahlin angewiesen, die Mittel zur Seidenherstellung zu beschaffen. Sie verbarg die Larven der Seidenraupen und Maulbeersaaten in ihrer Haarpracht. An der Grenze suchten die Wächter überall, doch trauten sie sich nicht, im Haar der Prinzessin nachzusehen. Später gründete sie ein Nonnenkloster, in dem die ersten Seidenraupen gezüchtet wurden. Xuanzang sah die Stämme der alten Maulbeerbäume, angeblich die Überreste der ersten gepflanzten Bäume.
Überall in Khotan stiess Xuanzang auf indische Einflüsse. Der König selbst beanspruchte für sich, ein Nachkomme Vaisravanas zu sein, einer buddhistischen Gottheit aus Nordindien. Die Khotanesen schrieben ihre Bekehrung zum MahayanaBuddhismus Vairocana zu, dem indischen Buddha des Tantrischen und Esoterischen Buddhismus, der nach Khotan gelangt war. Zu seinen Ehren baute man ein Kloster. Indische Einflüsse konnte Xuanzang auch in örtlichen Traditionen erkennen, auch, dass Khotan von indischen Einwanderern aus Taxila kolonisiert worden war. Sie behaupteten, von jenen Männern abzustammen, die Ashokas Sohn Kunala geblendet hatten, weshalb man sie verbannt habe."
Xuanzang besuchte die Stätte 'jener prächtigen BuddhaStatue mit einer kostbaren, juwelenbesetzten Krone, die aus Kaschmir stammte. Ausserhalb Khotans sah er die berühmte Statue aus Sandelholz in Pima, die den weiten Weg von Kausambi in Mittelindien zurückgelegt hatte, die illustre UdayanaStatue, die der König von Kausambi noch zu Lebzeiten Buddhas in Auftrag gegeben hatte." Wie waren all diese Statuen bis nach Khotan gelangt? Einige durch die Luft. Und eine Legende besagt, dass ein Pilger eine Statue tagsüber, die Statue dafür den Pilger in der Nacht beförderte.
Sieben oder acht Monate lang blieb Xuanzang in Khotan, einerseits weil der König ihn darum gebeten hatte, andererseits weil er zum dritten Mal auf das Eintreffen der Ersatzkopien einiger der Schriften wartete, die im Indus untergegangen waren; einen Monat in der Stadt Hund, einen Monat in Kunduz und nun viele Monate in Khotan. Zu Beginn seines Aufenthaltes in Khotan traf er einen Händler aus Turfan, der in die TangHauptstadt unterwegs war; daher konnte Xuanzang dem Kaiser ein langes »Memorandum« schreiben, in dem er ihm ankündigte, dass er sich auf dem Weg nach Hause befinde.
Xuanzang suchte zahlreiche Klöster und heilige Stätten in der Umgebung auf. Häufig waren dies »die unter Sand begrabenen Ruinen von Khotan« in der Nähe eines Flusses, der einst die KunlunBerge hinuntergeströmt und dann ausgetrocknet war; es handelte sich um die untergegangenen Städte Dandan Oiluq, Rawak und Niya (Jingjue), die dank der archäologischen Expeditionen von Aurel Stein eine gewisse Berühmtheit erlangten. Im Osten Khotans lag einst eine fruchtbare Gegend, die, wie Xuanzang bemerkte, zu einer versiegten, alten Stadt verfallen war, bis ein Edelmann aus Khotan sein Leben opferte, um sich mit dem »NagaGeist des Flusses« zu vermählen. Nach seiner Heirat mit diesem Naga kehrte das Flusswasser wieder zurück, und die Menschen konnten ihr Land erneut bewässern." Diese Legende half bei der Interpretation einer faszinierenden Malerei, die Stein in Dandan Oiluq  entdeckte.
Westlich der Hauptstadt gab es Hügel, die von Ratten bewohnt waren. Xuanzang erzählt die Legende über den Ursprung der Verehrung dieser Nagetiere. Eine rattenköpfige Gottheit auf einer anderen Wandmalerei in Dandan Oiluq hatte den Kuratoren des British Museum manches Kopfzerbrechen bereitet, bis Aurel Stein sich an Xuanzangs Geschichte erinnerte, der zufolge heilige Ratten und deren Rattenkönig die Zaumzeuge der Pferde eines der HunnenEindringlinge zerbissen hatten, auf diese Weise zu seiner Niederlage beitrugen und das Land retteten.« Der griechische Geschichtsschreiber Herodot berichtet eine ähnliche Geschichte, in der einer überwältigenden Bedrohung — der Invasion der ägyptischen Armee —durch Mäuse Einhalt geboten wurde, die die feindliche Ausrüstung dermassen zernagten, dass die Ägypter schliesslich völlig hilflos waren.
Gemälde einer kurvenreichen Frau in einem Teich und eine Statue Vaisravanas. Bei der Frau soll es sich um den Nagini, einen Wassergeist, handeln.

Votivtafel, die Haarpracht der Seidenprinzessin darstellend, in der sie Seidenlarven und Maulbeersaat versteckte, um die Geheimnisse der Seidenherstellung aus China nach Khotan zu schmuggeln.
Neben seinen Erkundungen in und um Khotan startete Xuanzang mit einer Art Lehrmarathon. In einer 24stündigen Sitzung hielt er vor dem König und der Bevölkerung Vorlesungen, in denen er seine alten Lieblingstexte behandelte, die Abhandlung über die Stufen der YogaPraxis und den Schatz der buddhistischen Philosophie aus der Feder Vasubandhus, als der noch ein Realist der HinayanaSchule war, und eine berühmte, von Paramartha 563 übersetzte Textsammlung mahayanischer Philosophie, die Xuanzang alle studiert hatte, als er noch ein junger Mönch in Chengdu war. Er las auch über den vierten Kommentar, den Arthur Waley als »den mit  dem unvorstellbar langen Namen« beschrieb, den die Chinesen Abidharma nennen."
IN DIE WÜSTE
Von Khotan aus näherte Xuanzang sich Niya in der TaklamakanWüste.
Wenn wir von hier nach Osten gehen, betreten wir eine grosse, driftende Sandwüste. Dieser Sand erstreckt sich wie eine treibende Strömung über eine grosse Entfernung, die vom Wind zusammengestaucht oder zerstreut wird. Die Reisenden hinterlassen nicht die geringsten Spuren... und häufig ist der Weg verweht, und so wandern sie ziemlich bestürzt hierhin und dorthin, ohne jeden Führer noch Richtungshinweis. Die Reisenden betrachten daher die Knochen der Tiere als Wegmarken. Weder Wasser noch Gras und Kräuter lassen sich finden, und oft wehen beisse Winde. Sobald diese Winde aufkommen, werden _Menschen wie Tiere verwirrt und vergesslich, und dann bleiben sie völlig unfähig (krank). Zuweilen vernimmt man traurige und klagende Laute und mitleiderregende Schreie, so dass sich der Geist der Menschen wegen des Anblicks und der Geräusche dieser Wüste verwirrt und sze bald nicht mehr wissen, wohin sie gehen. Deshalb überleben so viele eine solche Reise nicht. Doch das alles :st nur das Werk von Dämonen und bösen Geistern.'
Marco Polo sagte, dass Nachzügler der Karawane »bösartige Geister in der Luft vernehmen, die derartige Reden führen, dass man sie für Reisegefährten halten könnte, denn sie reden jedermann mit Namen an... [sie] folgen diesen Stimmen und verlieren den rechten Weg aus den Augen, so dass sie nie wieder mit ihren Kumpanen vereint und allein aufgefunden werden... und auf diese Weise finden sie nicht mehr den Weg zu ihnen zurück, und da sie nunmehr ohne Speis und Trank sind, gingen viele in der Vergangenheit verloren und starben.« Manchmal hören sie »viele Musikinstrumente die Luft erfüllen, und Trommeln mehr als jedes andere Instrument, sowie das Klirren von Waffen«."
Doch die nackte Wirklichkeit von brackigem Wasser und zur Neige gegangenen Vorräten für Tiere und Menschen waren bereits entmutigend genug. Xuanzangs Karawane mit ihren kostbaren Statuen und Manuskripten erreichte schliesslich das heutige Cherchen (Qiemo). Der Sand wird an durchschnittlich 145 Tagen im Jahr mit Windstärke 5 in der Wüste verweht, wodurch Xuanzangs und Marco Polos Beschreibungen von den Gefahren einer Wüstendurchquerung glaubwürdig sind.' Xuanzang liefert nur wenige Details über seine Reise bis zur nächsten Oase Charkhlik (Ruoqiang) oder über das Ödland in der weiträumigen Gegend, die den ausgetrockneten Salzsee LopNor umfasst, auf dessen Salzkruste zu gehen schlimmer war als auf dem Eis der Gletscher.
Unweit der Oase Charkhlik liegt die archäologische Stätte Miran, wo sich viele Statuen befanden und noch eine weitere Darstellung des Visvantara Jataka, der Geschichte von dem sich selbst aufopfernden Prinzen. Wahrscheinlich hat Xuanzang die Tempelruinen gesehen. Hier stellte Aurel Stein einmal mehr Überlegungen zu seinem Schutzpatron Xuanzang an: »In einer Gegend, in der alles tot und öd ist, scheinen die spirituellen
Ausstrahlungen derer, die vor vielen Jahrhunderten vorüberzogen, viel länger an den auffallenden Orientierungspunkten zu haften als dort, wo das Leben immer noch geschäftig verläuft.«"
Xuanzangs Aufzeichnungen enden mit seiner Ankunft auf dem Gebiet von Loulan, dem einst mächtigen Königreich, das sich 1500 /i von Khotan entfernt befindet. Er betrachtete diese letzte Strecke seiner Reise als innerhalb der Grenzen des chinesischen Reichs und daher als nicht berichtenswert. Huili, sein Biograph schliesst Dunhuang noch mit ein, aber der Pilger endet mit wenigen Sätzen, die einen eleganten Epilog abgeben.
Ich habe ausführlich nationale Landschaften bekanntgemacht und territoriale Unterteilungen ermittelt. Ich habe die Merkmale nationaler Sitten und klimatischer Erscheinungen erklärt. Moralisches Verhalten ist nicht beständig, und der Geschmack ist verschieden; wo sich der Sachverhalt nicht gründlich überprüfen lässt, verbietet es sich, dogmatisch zu sein. Wo immer ich hinkam, fertigte ich Aufzeichnungen an, und während ich erwähnte, was ich gesehen und gehört habe, erfasste ich das Streben nach der [chinesischen] Zivilisation. Es ist eine Tatsache, dass von hier bis dort, wo die Sonne untergeht, alle die Wohltätigkeit [Seiner Majestät] erfahren haben, und wo sein Einfluss hinreicht, bewundern alle seine vollkommene Tugend. Nachdem die ganze Welt unter einer Herrschaft vereinigt worden ist, war ich nicht mehr als ein einzelner Mensch auf einer politischen Mission, der auf einer Kurierstrecke unzählige li zurückgelegt hat."

Reiseweg Xuanzangs von Westchina nach Hause (von Loulan nach Chang'an)
Sechzehn Jahre zuvor hatte der steckbrieflich gesuchte Xuanzang gegen den ausdrücklichen Willen des Kaisers China verlassen. Als er sich nun der Grenze des TangReiches näherte, konnte er nicht ahnen, wie man ihn empfangen würde. Am besten war es, wenn er dem Kaiser Nachricht gab, dass er als treuer Untertan zurückkehrte. Ein junger Mann aus Turfan, der mit einer Handelskarawane nach China auf dem Weg war, diente als Bote, der dem Kaiser ein Schreiben zukommen lassen sollte.
In seinem Brief berichtete Xuanzang von seinem Streben nach buddhistischer Unterweisung und den erhabenen Worten in den Schriften. Er skizzierte seine Reisen über die weiten Ebenen des wandernden Sandes, über schneebedeckte Berge und deren Abgründe und entlang der Wellen des heissen Meeres.
Da ich eine Reise von mehr als 50.000 li hinter mich gebracht habe, ungeachtet der tausend Unterschiede in den Sitten und dem Verhalten, die ich kennengelernt habe, den unzähligen Gefahren, denen ich begegnet bin, bin ich dank der Gottheit des Himmels ohne Unglück zurückgekehrt und opfere nunmehr meine Huldigung mit unbeschadetem Körper und einem von der Erfüllung meiner Gelübde zufriedenen Geist. Ich habe den GhridrakutaBerg (Geiergipfel] gesehen und am BodhiBaum gebetet; ich habe nie zuvor gesehene Spuren erblickt; nie zuvor gehörte heilige Worte vernommen; spirituelle Wunder erlebt, die alle Wunder der Natur übertrafen; habe von den grossen Qualitäten unseres erhabenen Kaisers Zeugnis abgelegt und ihm die hohe Wertschätzung und die Lobpreisung des Volkes gewonnen.'
Er schliesst damit, dass es ihm nach dem Ertrinken des grossen Eefanten nicht gelungen sei, genug Pferde zum Transport der Schriftrollen aufzutreiben, doch trotz dieser Schwierigkeit hoffe er, sofort zu einem Besuch Seiner Majestät aufzubrechen.
Sieben oder acht Monate gingen ins Land. Schliesslich kehrte ein Bote mit einer beruhigenden Antwort des Kaisers zurück.
Ich bin hoch erfreut zu vernehmen, dass der Lehrer heimgekehrt ist. Ihr könnt mich so schnell wie möglich aufsuchen und auch die fremden Mönche mitbringen, die das Sanskrit und die Bedeutung der Schriften verstehen. Ich habe die Ämter von Kustana [Khotan] und der anderen Regionen bereits angewiesen, Euch eine Eskorte zur Verfügung zu stellen, und daher braucht Ihr keine Träger und Pferde zu besorgen. Auch habe ich den Beamten in Tunhuang [Dunhuang] Weisungen erteilt, Euch in der Wüste zu empfangen, wie auch jenen von Shanshan [Charkhlik], Euch in Chemo [Cherchen] zu empfangen
Erholung in der Oase Dunhuang

Als Xuanzang die Depesche des Kaisers erhalten hatte, brach er von Khotan auf. Der Kaiser hatte ihn reichlich mit Führern und Ausrüstung versorgt, und in jeder Oase auf seiner Strecke wartete Hilfe, aber die Reise durch die Wüste ist stets mühsam und ungewiss. Wie manch erschöpfter Reisender ruhte Xuanzang sich in der Oase Dunhuang aus. Vermutlich hat er sich vor einigen der schönen Wandmalereien und Plastiken des beeindruckenden Schreins, der Bibliothek und Galerie buddhistischer Kunst in den TausendBuddhaGrotten ausgeruht. Wahrscheinlich ist er in viele Höhlen gegangen, hat sich umgesehen und einige der Inschriften der Händler gelesen, die aus Dankbarkeit für erfolgreiche Reisen oder in der Hoffnung, dass ihre Karawanen heil am Bestimmungsort ankommen, grosszügig gespendet hatten. Dunhuang war das Eingangstor zur Seidenstrasse, die wohl aus den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung stammt, eventuell auch noch älter ist. Kamel und Pferdekarawanen aus Indien und dem Turfanbecken in Zentralasien aus der einen Richtung, und von der TangHauptstadt Chang'an aus der anderen Richtung machten hier halt.
Sein Biograph sagt nur, dass Xuanzang in Dunhuang einen weiteren Brief an den Kaiser schrieb. Eine Wandmalerei in der Grotte Nr. 103 in Dunhuang jedoch stellt Xuanzangs Karawane dar, als der ihm von König Harsha geschenkte Elefant auf dem Weg vom Pamirgebirge nach Kaschmir noch nicht ertrunken war; dort wird auch der Pilger porträtiert, der für seine sichere Heimkehr Dank sagt.' Mehrere Seidenmalereien in Dunhuang stellen den Prototyp des Pilgerreisenden dar. Ein wunderbar exemplarisches Beispiel hängt im Musee Guimet in Paris.

Wandgemälde in der DunhuangGrotte Nr. 103 mit der Darstellung von Xuanzangs Rückkehr aus Indien und seinem grossen weissen Elefanten, dem Geschenk König Harshas.
Durch eine eigenartige Verwicklung spielte Xuanzang mehr als zwölf Jahrhunderte nach seiner Verschnaufpause in Dunhuang eine entscheidende Rolle. Aurel Stein hatte gehört, dass ein grosser Schatz an Manuskripten in einer der Grotten aufbewahrt werde. Auf seiner zweiten Expedition (19061908) traf Stein sich mit dem ignoranten und etwas exzentrischen daoistischen Abt Wang, einem selbsternannten Wächter der Grotten, die zu Beginn des frühen neunzehnten Jahrhunderts zu Ruinen zerfallen waren. Der Abt hatte einen Künstler vor Ort damit beauftragt, vertraute Szenen von Xuanzangs legendärer Reise auf einer Loggia eines DunhuangTempels zu malen. Als Stein diese Porträts sah, teilte er dem Abt Wang mit, dass er den Spuren des Pilgers über 10.000 /i von Indien bis Dunhuang gefolgt sei.
Der launische Abt öffnete daraufhin eine bislang versiegelte Grotte für Stein; sie war wegen der marodierenden Heere seit dem elften Jahrhundert verschlossen geblieben. Manuskripte waren bis hoch an die Decke gestapelt, und seidene Tempelfahnen waren in kräftiges Segeltuch eingewickelt. Der Umfang dieses Schatzes — 30.000 Manuskripte und 20.000 andere Kunstgegenstände, darunter Malereien auf Seide und auf Papier, Fahnen und Stickereien — übertraf sämtliche Vorstellunzen. Viele Manuskripte waren in chinesischer Schrift geschrieben Diese Öffnung von Grotte Nr. 17 lenkte die AufmerksamKeit der ganzen archäologisch interessierten Welt auf die längst ergessenen Grotten von Dunhuang Ähnlich wie die kamboZschanische Tempelstadt Angkor Wat, die der Dschungel überwuchert hatte, galt Dunhuang mit seinen kilometerlangen Jrottengängen bis zu Steins Zugang als verloren oder wurde znoriert. Später fand man ein Exemplar des DiamantSutra aus dem Jahr 868, das als frühestes Beisoiel des Buchdrucks betrachtet wird.

Tempelfahne aus Seide mit einem Wandermönch, Prototyp des Pilgerreisenden

DunhuangGrotte
   
Statue des Buddha Sakyamuni mit der Geste der Schutzgewährung.

Xuanzang war stolz, dass er dem Kloster Grosse Glückseligkeit 150 Kügelchen von Buddhas Fleisch und eine Schachtel mit Knochenreliquien verehren konnte. Sowie seine sieben BuddhaStatuen, die grösste etwa 1,20 Meter hoch.'
Heute ist bekannt, wie drei dieser Statuen ausgesehen haben. Eine war eine UdayanaStatue, von der vermutlich über die Jahrhunderte hinweg Kopien angefertigt wurden. Bei den UdayanaStatuen handelt es sich üblicherweise um stehende Figuren, in lange Gewänder gehüllt, deren Faltenwurf symmetrisch arrangiert ist und deren Handstellung Gesten der Beschwichtigung und des Erbarmens ausdrücken. Bei zwei dieser Figuren handelte es sich um Kopien einer Statue des predigenden Buddha. Pratapaditya Pal schrieb, dass einige der von Xuanzang mitgebrachten Statuen so ähnlich ausgesehen haben müssen wie die auf  den obigen Abbildungen.
Xuanzang trug auch 657 Schriften mit seltsamen indischen Schriftzeichen zusammen, die entweder auf Birkenborke oder den zugeschnittenen, in mehreren Schichten übereinandergelegten Blättern eines Palmbaums geschrieben und in 520 Kästen aufbewahrt waren. Diese wurden als 224 Mahayanische Sutras und Abhandlungen eingeordnet; Schriften verschiedener, meistens ziemlich unbekannter Hinayanischer Sekten, und nicht weniger als 36 allgemeine Werke der Logik und 13 zur Grammatik. Eine Bilderrolle auf Seide aus Dunhunag stellt zwanzig Pferde dar, die diese Schriften befördern und in einen Tempel
elegant gekleideten Priestern und Beamten einziehen. Nach seiner Heimkehr war es nun Xuanzangs sehnlichster Wunsch,
viele dieser Schriften wie möglich zu übersetzen.
UNTERREDUNG MIT DEM KAISER
Xuanzang hatte zwei Unterredungen mit dem Kaiser im Phoenixpalast in Luoyang, der zweiten kaiserlichen Hauptstadt. Ihre zweite Begegnung ist gut dokumentiert.
Nachdem man Platz genommen hatte, fragte der Kaiser ',Weshalb seid Ihr (nach Indien) gegangen, ohne es Fundzutun?«
Der Meister antwortete entschuldigend: »Als ich mich auf meine Reise vorbereitete, habe ich mehrmals Petitionen an Eure Majestät geschickt, doch da mein Vorhaben unwürdig war, genoss ich nicht das Privileg einer offiziellen Antwort. Wegen der äussersten Aufrichtigkeit meiner Suche nach dem Gesetz entfernte ich mich eigenständig. Für diesen Verstoss bitte ich Eure Majestät um Vergebung. Der Kaiser erwiderte: »Da Ihr ein Mönch seid, unterscheidet Ihr Euch auf diesem Gebiet von den Laien. Ich bin erfreut, dass Ihr Euch unter Einsatz Eures Lebens zu Fromm und Nutzen der ganzen Bevölkerung auf die Suche nach dem Gesetz begeben habt. Es besteht kein Anlass, mich um Vergebung zu bitten
Als der Kaiser sich erstaunt zeigte, dass es ihm möglich war. eine solche Reise zu unternehmen, antwortete Xuanzang in diplomatischer Rede, dass ihm dies nur dank des universellen Prestiges der neuen Dynastie möglich gewesen sei.
Ich habe gehört, dass der Himmlische See für jene nicht weit entfernt liegt, die auf einem schnellen Wind dahinzureiten vermögen, und es fällt nicht schwer, einen aufgewühlten Fluss zu überqueren, wenn man in einem Drachenboot segelt. Da Eure Majestät den Thron bestiegen haben, um über das Land zu herrschen, war Eure Tugend und Mildtätigkeit in allen Gegenden verbreitet, wobei der Wind der Sittlichkeit bis in die heissen Länder des Südens blies und Euer politischer Einfluss bis weit jenseits des Pamir reicht.'
Hier erkannte Xuanzang die bemerkenswerten Erfolge des Kaisers in der Aussenpolitik an. Der Kaiser fand Xuanzang voll klarer Informationen über Klima, Erzeugnisse, Herrscher, Sitten und Geschichte der Völker Zentralasiens und Indiens. Daher regte er an, Xuanzang möge ein Buch schreiben. »Diese buddhistischen Königreiche«, sagte der Kaiser abschliessend. »sind so weit entfernt, dass unsere Geschichtsbücher uns bisher nur sehr unvollkommenen Bericht über die heiligen Stätten und die religiösen Lehren gegeben haben. Da Ihr dies alles kürzlich mit eigenen Augen gesehen habt, solltet Ihr einen Bericht verfassen, in dem all diese neuen Informationen zu finden sind.«" Dies war ein ungewöhnlicher Kommentar von einem Kaiser, der gewöhnlich wegen des mächtigen Einflusses eines seiner konfuzianischen Berater als Gegner des Buddhismus dargestellt wird.
Der Kaiser, der deutlich erkannte, dass Xuanzang ein Mann von grossem Talent war, forderte ihn auf, sein Berater in asiatischen Angelegenheiten zu werden. Xuanzang erklärte, dass er in jungen Jahren Mönch geworden und vollkommen von buddhistischen Studien in Beschlag genommen sei: »Wenn Eure Majestät mir befehlen, in ein weltliches Leben zurückzukehren, so wäre dies, als zöge man ein Boot vom Wasser aufs Land. « Der Kaiser hatte beabsichtigt, Xuanzang eine Audienz von einigen Minuten zu gewähren, doch die Unterhaltung dünkte ihn so interessant, dass der Schwager des Kaisers ihn daran erinnern musste, dass Xuanzang in der offiziellen Herberge untergebracht war und bald aufbrechen müsse, wenn er nicht für die Nacht ausgesperrt werden wollte.
Huili zufolge protestierte der Kaiser: »Ich habe noch nicht alles gesagt, was ich in unserer hastigen Unterredung habe sagen wollen. Ich wünsche, dass Ihr mit mir nach Osten auf meine politische Inspektionsreise zieht, so dass ich mich neben meiner Tätigkeit als Kommandeur des Heeres weiterhin mit Euch unterhalten kann. Was haltet Ihr davon?«
Xuanzang versuchte, dieses Ansinnen mit Hinweis auf seine Erschöpfung nach der langen Reise abzulehnen. Der Kaiser trinnerte ihn daran, dass er in fremden Ländern ganz allein habe reisen können und dass dieser Ausflug »für ihn nur eine kurze Wegstrecke« bedeute.
Xuanzang widersprach, indem er vortrug, dass er nichts zur kaiserlichen Kampagne beitragen könne und überdies die Klosterrregeln bestimmten, dass es einem Mönch untersagt sei, als Beobachter an einem Feldzug teilzunehmen: »Da dies ein Gebot Buddhas ist, muss ich es Eurer Majestät mitteilen. Es war für mich ein Glücksfall, wenn Eure Majestät Erbarmen mit mir hätte. Der Kaiser nahm ihn beim Wort und liess das Thema fallen.
BERICHT ÜBER DIE WESTLICHEN GEGENDEN
Xuanzang machte sich an die Abfassung seiner Schrift Bericht über die Westlichen Gegenden, an der er ein Jahr lang schrieb und die er 646 fertigstellte. Er hatte eine Unzahl von Notizen, Schilderungen aus eigener Anschauung und unpersönliche Aufzeichnungen der verschiedenen Königreiche in Indien und anderswo. Er merkte an, dass jede Provinz über einen eigenen Beamten verfügte, der einen Bericht der Ereignisse verfasste: »Offizielle Annalen und Staatspapiere, gute und schlechte, sind aufgezeichnet, und Instanzen öffentlicher Kalamität und Glücksfälle werden im Detail bekanntgemacht« ', Material aus »den obigen siebzig Königreichen«.
Die Geschichtsschreibung ist seit jeher eine der grossen Stärken der Chinesen gewesen. In der Tat lag die grösste literarische Leistung der HanDynastie (206 v. Chr. Bis 220 n. Chr.) in der Geschichtsschreibung." (Im Gegensatz zur chinesischen Auffassung von der Zeit, die linear ist, wird die der Inder häufig als zyklisch beschrieben.)1> Obwohl er ein Erbe dieser Tradition war, schleppte Xuanzang bestimmte Vorlieben mit sich herum, die seinen Hintergrund widerspiegeln. Bei seinem Interesse für Regierungen und Verwaltungen, seiner frühen Lektüre der konfuzianischen Klassiker und seiner Begeisterung für den Buddhismus lässt er Vorurteile erkennen. Jedoch war er buddhistischen Herrschern gegenüber nicht blind parteiisch, noch vernachlässigte er die Qualitäten nichtbuddhistischer Könige."
Der moderne Historiker Ainslie Embree hat sich gefragt, ob Xuanzang Indien als so angenehm empfunden habe, weil er sich in einem buddhistischen Land aufhielt und sich selbst und die chinesische Bevölkerung davon überzeugen wollte, wie vorteilhaft es wäre, wenn auch sie Buddhisten würden. Embree misstraute Xuanzangs Zuverlässigkeit, weil der das Klima auf seinen Reisen in Nordindien als warm und angenehm empfunden hatte."
Andere Historiker wie Percival Spear und Vincent Smith waren für die lebhaften Berichte des frommen Faxian und Xuanzangs dankbar, weil sie den schieren Daten, Namen der Dynastien und offiziellen Inschriften, die für diese frühe Periode zum Rüstzeug der Historiker gehören, »Fleisch und Blut« hinzugefügt hätten."
DER TOD DES KAISERS UND DIE GROSSE WILDGANSPAGODE
Xuanzang setzte mit einer Gruppe von Übersetzern, die der Kaiser ihm zur Verfügung gestellt hatte, seine Arbeit an den Übersetzungen emsig fort. Einer von ihnen war Huili, sein Biograph. Wann immer möglich, setzte Xuanzang sein Prestige ein, um die Position des Buddhismus im TangChina zu stärken." Der Kaiser bat ihn ein zweites Mal, ihm als Berater zur Seite zu stehen. Wiederum lehnte Xuanzang ab. Dies scheint ein Dreh und Angelpunkt gewesen zu sein, denn plötzlich gab der Kaiser sein Interesse an Xuanzangs Übersetzung seines Lieblingsbuchs, an der Abhandlung über die Stufen der YogaPraxis, zu erkennen. Nachdem er es studiert hatte, drückte der Kaiser sein Bedauern darüber aus, dass die Beschäftigung mit seinen politischen und militärischen Obliegenheiten ihn der Möglichkeit beraubt habe, den Buddhismus im Detail zu studieren. Er ging noch weiter: Er erklärte, der Buddhismus sei dem Konfuzianismus, Daoismus und anderen Philosophien überlegen. Der Kaiser ordnete an, dass man neun Kopien zwecks Verteilung an die neun Abteilungen seines Kaiserreichs anfertige und willigte darin ein, eine kaiserliche Vorrede zum Gedenken an Xuanzangs neue Übersetzungen zu verfassen.
Im letzten Lebensjahr des Kaisers, als seine Gesundheit immer mehr verfiel, bestimmte er Xuanzang zu seinem geistigen Berater. Häufig bestellte er ihn in den Palast, wo beide so manche Stunde mit Diskussionen über den Buddhismus verbrachten. Der Kaiser, der ahnte, dass er bald sterben werde, befragte Xuanzang über die buddhistische Lehre von der Vergeltung der guten und bösen Taten und über die frühen Offenbarungen der buddhistischen Weisen in Indien. Einen Monat vor seinem Tod war er so ergriffen, dass er laut klagte: »Es ist ein Jammer, dass ich Euch so spät begegnet bin und ich den Buddhismus nicht in einem grösseren Ausmass verbreiten konnte.«22 Am fünfundzwanzigsten Tag des fünften Monats klagte er über leichte Kopfschmerzen und bat Xuanzang, die Nacht bei ihm im Palast zu verbringen. Am Tag darauf starb er.
Dem Kaiser Taizong folgte sein neunter Sohn nach, der als Kaiser Gaizong bekannt wurde. Nicht anders als sein Vater hielt der neue Kaiser Xuanzang in hohen Ehren und gewährte ihm reichliche Unterstützung bei seinen Übersetzungsarbeiten.
    
Die im siebten Jahrhundert eigens zur Unterbringung der von Xuanzang aus Indien mitgebrachten Schriften errichtete Grosse Wildganspagode, die seitdem häufig restauriert wurde.

Es finanzierte zwei wichtige Klöster in Chang'an, obwohl er —im Gegensatz zu seinem Vater — kein wirkliches Interesse an den Lehren des Buddhismus zeigte.
Dessen ungeachtet schlug Xuanzang dem Kaiser Gaizong unerschrocken vor, er solle eine Pagode an der Stelle des ersten Klosters errichten lassen, um die buddhistischen Schriften und Statuen zu beherbergen, die er aus Indien mitgebracht hatte. Er wies darauf hin, dass sie in einem Steinbau weniger der Gefahr eines Feuers ausgesetzt seien, denn damals baute man chinesische Tempel aus Holz. Xuanzang dachte an einen hohen Steinbau mit vielen Geschossen wie jene, die er in Indien gesehen hatte. In seinen Augen sollte diese Pagode die »Grossartigkeit eines grossen Landes zeigen und ein Denkmal für den Buddha Sakyamuni sein«. Ein kaiserlicher Sekretär wurde damit beauftragt, den Meister zu informieren: »Da die Pagode, die Ihr zu bauen beabsichtigt, so hoch 'ist, wird es vermutlich zu schwierig werden, sie ganz aus Stein zu errichten. Sie sollte aus Ziegelsteinen gebaut werden.«  Sie wurde im indischen Stil fünfgeschossig gebaut und fiel schmaler aus, als Xuanzang vorgeschwebt hatte. Er selbst half dabei, Ziegelsteine für den Bau der Grossen Wildganspagode, wie sie genannt werden sollte, heranzuschaffen. Die Bauzeit nahm zwei Jahre in Anspruch.
Die Grosse Wildganspagode ist erhalten und steht noch :mmer in der sogenannten TangStadt von Chang'an, dem heutigen Xi'an. Chang'an war im siebten Jahrhundert die grösste Stadt der Welt. Sie hat sowohl den TangKaiser als auch den chinesischen Pilger genährt, »der bis dahin ungesehene Spuren Buddhas geschaut und bis dahin ungehörte heilige Worte vernommen hatte«.
In dieser grossartigen Periode des mittelalterlichen Buddhismus schmiedete Xuanzang neue Bande zwischen den beiden _sossen Zivilisationen Asiens. Er diente während der 16 Jahre .auernden Reise als gewiefter Diplomat. Wo immer er sich auch aufhielt, zeigte er sich über alles informiert. Der TangKaiser Gaizong bezeichnete ihn, und dies zu Recht, als »Juwel des Reichs«.

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