Sonntag, 17. April 2016

Fahrradtour an der Rhone


Fahrradtour an der Rhone

Author D. Selzer-McKenzie

Video: https://youtu.be/7Q-W7VdyzX4

Mit dem Drahtesel durch die Eidgenossenschaft: Von Andermatt nach Genf führt der

Rhöne-Radweg, der das Prädikat Traumtour verdient. Es geht durch Wiesen, Wälder, an Seen und Plantagen vorbei, die besonders während der Erntezeit eine Versuchung sind.

 

0)- Zugegeben - auch wir haben Obst gemopst. Aber der Sündenfall war vorprogrammiert: Rot¬golden glänzende Äpfel, saftige Birnen, Trauben zuckersüß, rot und weiß... wer in der Erntezeit durch den Garten Eden der Schweiz radelt, der bleibt nicht beim Müsliriegel. Schon alleine deswe¬gen hat der Rhöne-Radweg, die Route führt von Andermatt nach Genf, das Prädikat Traumtour verdient. Aber Vorsicht! Vor den süßen Lohn hat der liebe Gott die Müh gestellt. Und die fordert in Gestalt des Furka-Passes gleich nach dem Start¬schuss 1.000 Höhenmeter von den Waden.

Wie ein Gemälde mit Tupfen

„Mir ist's unter allen Gegenden, die ich kenne, die liebste und interessanteste", hat der vielgereiste Goethe schon verkündet. Aus gutem Grund: Im Westen ragen eisige Gipfelzacken, dominiert vom 3.583 Meter hohen Galenstock in den Himmel. Darunter leuchten sattgrüne Wiesen im ersten

 

Morgenlicht. Heustadl wie aus dem Märchenbuch verleihen dem Gemälde dunkelbraune Tupfen. Dazu rattert der knallrote Glacier Express im Tal-boden langsam durchs Bild.

Einziger Wermutstropfen: Die Radroute liegt noch im frostigen Schatten. Helmmütze, Handschuhe und Überhose kommen zu ihrem ersten und ¬so viel vorweg - auch einzigen Einsatz. Am En¬de des Urserentals bei Realp klettert die Sonne über den Gotthard-Pass. Im Nu macht sie dem Quecksilber Beine. Im Thermometer herrscht Springflut, es hüpft von knapp über Null auf angenehme 25 Grad. Die Rampe hoch zum Fur-ka sorgt für einen weiteren Anstieg der körpereigenen Betriebstempera¬tur. Zum Glück wurden die weiten Schleifen hoch zum Pass angelegt, so bleibt noch etwas Luft für das gran¬diose Bergkino ringsherum. Schon 1865 wurde diese wichtige Handels-

 

verbindung ausgebaut. Endlich oben auf der Pass-höhe reicht der Blick weit in die Walliser Alpen hinein. Zusätzlich sorgt ein Blick auf das Höhen¬profil der Tour für ein breites Grinsen. 23 harte Kilometer liegen hinter uns. Aber 296 Kilometer liegen vor uns, alle ohne nennenswerte Gegen¬anstiege. Die nächsten 20 Kilometer werden gar zum Härtetest für die Bremsen. blauen Eisgrotte ist ein Muss. Gut so, denn unsere Felgen glühen ohnehin. Hier entspringt sie also, die Rhöne, die Patronin unserer Traumtour. Stürzt über blankpolierten Granit zu Tal und fließt fort¬an über 812 Kilometer zum Mittelmeer.

An der Kleinen Scheidegg vorbei

Auch für uns geht es weiter nach unten. Auf ge-schotterten Radwegen begleiten wir im weiten Gomser Tal die Rhöne, die hier im Kanton Wallis Rotten heißt. In Ernen sind viele Bürgerhäuser mit Wappen und Fresken verziert. Hier bietet sich eine landschaftlich reizvollere Variante über Ausser-binn an. Die paar Extrakilometer auf zum tech¬nisch schwierigen Pfad sind mit einigen steilen Anstiegen garniert, dafür meiden wir aber die stärker frequentierte Hauptstraße.

Kurz vor Brig bieten sich in Betten und Mörel Gondelfahrten hoch zum Aletschgletscher an. Der größte Gletscher der Alpen walzt sich vom Kanton Bern und den Gipfeln von Jungfrau, Mönch und Eiger hinunter ins Wallis. Der

 

Dame-de-Val&e und auf dem nochmal 40 Meter höheren Spitz die Burgruine von Tourbillon, wel¬che die Bischöfe von Sitten einst als letzten Zu¬fluchtsort erbauen ließen.

In Martigny beschreibt die Rhöne fast einen rech¬ten Winkel. Der Radweg verläuft weiterhin leicht bergab, auf wechselnden Uferseiten. Aber bei schö¬nem Wetter bläst gerne mal ein thermischer Ge¬genwind aus dem Tal herauf. Wir schlagen der Brise ein Schnippchen, pausieren zunächst unter schattigen Platanen an der Place Centrale. Das südländische Flair verleitet zum Schlendrian, aber wir haben heute noch einen Termin an der Schwei¬zer Riviera.

Saint Maurice, Aigle, schon überragen die ersten Segel der Jachten die Schilflandschaft der Rhöne-mündung. Kompliment - selbst im Sumpflaby¬rinth von Les Grangettes stimmt die Beschilde¬rung auf das i-Tüpfelchen. Die Schweizer machen keine halben Sachen. Wander-, Rad-, Mountain¬bike-, Kanu- und selbst Skaterwege sind ausgear¬beitet und signalisiert. Überhaupt, die gesamte Rhöne-Route wird durchgehend von Schienen be-

 

tern zu jeder Zeit die Möglichkeit, eine Runde zu schwimmen. Baden und Biken, endlich! In Mon-treux hüpfen wir im Abendlicht noch in die Flu¬ten. Das wuchtige Chateau Chillon, das moderne Spielcasino, die prunkvollen Nobelhotels - die Ufermeile Montreuxs ist eine Augenweide. Am längsten bleiben wir allerdings bei der Bronzesta¬tue von Freddie Mercury, die schon gleich nach ihrer Enthüllung 1996 zur Pilgerstätte seiner Fans wurde. Der Frontmann der Rockgruppe Queen wohnte und arbeitete hier in seinem Tonstudio. Absolut einzigartig ist auch die Uferbepflanzung: Zypressen, Eukalyptusbäume, Sequoias aus Ka¬lifornien mit einem Stammumfang von sechs Metern - der Radweg führt direkt durch diesen global-genial botanischen Garten.

Auch Vevey setzt voll auf die Kunst: Hier wird die Radroute zum Lehrstück über moderne Kunst. Eine Charly-Chaplin-Statue - auch er ge¬noss bis zu seinem Tode 1977 das milde Klima und das Panorama des Genfer Sees bis hin zum Mont Blanc von seinem Anwesen über den Hü¬geln der Stadt. Für ein echtes Wow-Erlebnis sorgt

 

 

 

Äpfel, Trauben, Birnen - während der Erntezeit ist die Schweiz wie der Garten Eden.

Stockalper-Palast in Brig mit seinen blattvergol¬deten Türmen, die eigenwillige Burgkirche Sankt Romanus oberhalb von Raron bei Visp, der Walliser Holzstadl, deren riesige Granit¬scheiben an den Stelzenbeinen die Mäuse vom stiebitzen des Korns abhalten sollen... die Rhö-ne-Route ist in diesem Abschnitt ein einziger Reigen sakraler und profaner Baukunst.

Ab Sierre beginnt das Unterwallis und plötzlich sprechen alle Französisch. Voilä, der Radweg führt in die milde und sonnige Rhöne-Ebene, in den größten Obstgarten der Schweiz. Weit und enorm steil klettern die Rebstöcke die Bergflanken hoch. Doch die Strecke bleibt in der Ebene und schlängelt sich durch den verführerischen Garten Eden, wo einem die Früchte schier in den Mund wachsen. Sion wird von zwei markanten Felszacken inmit¬ten der Ebene angekündigt. Darauf thront zum einen die bald 1.000-jährige Kirchenburg Notre-

 

„We are the champions”: nach der langen Fahrt zu Freddies Füßen am Genfer See entspannen.

gleitet. Die Dichte der Bahnhöfe ist groß. Selbst in kleinen Dörfern ließe sich der Zug per Knopfdruck stoppen und das Rad darin verstauen. Spielt das Wetter mal verrückt oder geht die Puste aus, gibt es jederzeit einen unkomplizierten Plan B. Das Konzept wird durch die Servicegesellschaft Swiss-trails erweitert: Sie organisiert Hotels nach Wunsch und erledigt den Gepäcktransport. Nur mit dem Tagesgepäck erhöhen sich Aktionsradius und Fahrspaß enorm. Zudem stellt sich bei Be-sichtigungen nicht die Frage, wer auf das Gepäck aufpasst.

Das Ziel naht: der Genfer See

Ab sofort geht es zwar nicht mehr ständig bergab, sondern abgesehen von kleinen Wellen fast immer eben am Ufer des gigantischen Genfer Sees ent¬lang. Dafür haben wir auf den letzten 100 Kilome-

 

Fast zehn Meter hoch und aus Aluminium: Die Gabel von Jean-Pierre Zaugg ist außergewöhnlich.

„La Fourchette" von Jean-Pierre Zaugg. Die fast zehn Meter hohe Alugabel steckt seit 1995 ein¬fach so mitten im See.

Schattige Alleen, kurze Anstiege in die omniprä¬senten Weinberge, Burgen und Schlösser en masse - die Route ist ein Gedicht. In Lausanne führt sie direkt am Olympischen Museum mit seinen ausgedehnten Gärten vorbei. In Genf en-det unser Rausch durch die Reben. Der radfahre-rische Brückenschlag von einsamen, hochalpi¬nen Gefilden zur mediterranen, kosmopoli¬tischen Weltstadt. Genf ist der Stammsitz der UNO und hier tagt das Rote Kreuz. Genf lebt multikulti und bietet eine enorme Lebensquali¬tät. Nur eines konnten wir in Genf nicht ganz so gut: Äpfel klauen




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