Reise nach Jinja Uganda
Author D.Selzer-McKenzie
Der Author Selzer-McKenzie war kürzlich in Uganda und hat die Filmaufnahmen dort auch selber gedreht.
Die Quelle des Nils war
über Jahrhunderte ein
sagenumwobeneOr rt,
nach dem Forscher und
Abenteurer suchten -
eine Reise nach Jinja in
Uganda, wo der längste
Strom der Welt seinen'
Anfang nimmt.
Als wir ankamen, fanden wir keinen
Grund mehr, in diese Stadt
sereist zu sein. Sie bot uns keine
Schönheit, und auch der Fluss,
der unsere Sebnsucht war' von dessen trä:
ger Entpuppung aus seinem Quellsee und
äuset äann immer schneller werdendem
Eilen wir uns Kopfbilder gemacht hatten,
war nur ein fließendes Grau unter einer
srellen Sonne. Seine Wasser waren träge,
äh hätt"tt sie noch nicht verstanden, dass
ihre Zeit als stiller See vorüber und sie
sich auf den Weg gemacht hatten, durch
Länder und fremdes Raunen zu fließen'
Es war Mittagszeit, als wir inJinja ankamen,
und a[eJ Leben in der Stadt hatte
sich in die Schatten herunterggkommener
Häusereingänge zurückgezogen' Häuser,
die verfielen, ohne die Spur einer malerlschenD
ekadenzz u hinterlassen.N icht die
fliesende Zeit trieb sie zum Untergang'
,ottä"ttt die Gleichgültigkeit eines Ortes,
an dem man Geld verdient, aber keine Heimat
hat. Nur am Rande der Stadt, unten
am Uferdes Flusses, zevgen noch einige
Villen vom kolonialen Flair, das die englische
Krone einst über das Reich vieler Könige
legte: Uganda. –
wre D-ornenilach cler MüLll in unsere
Augen. Es war nicht mehr MtiLll als in anderen
afrikanischen Städten, doch schien es
uns wie Lawinen, die unsere Erwartungen
begruben. In unseren Gedanken hatten
wir die Stadt mit einer Fern-der-Welt-Atmosphäre
überzogen, sie erhöht, wie man
eben erhöht, was geheimnisumwobien ist.
Nun stolperten wir durch die staubigen
Straßen, ermattet von der Sonne des Aquators,
mit dem schalen Geschmack der Enttäuschten
in unserem Mund.
Quere fontes de Nili, suchend nach den
Quellen des Nils, so träumten sich schon
die Agypter an diesen Fluss. Jene Suche
war gleichbedeutend mit einem Ding der.
Unmöglichkeit. Der Nil galt seit biblischen
Zeiten als Strom der Menschheit
und integraler Bestandteil des Universums.
Aus dem Urschlamm in dieWeltge.
trieben, so behaupteten die Pharaonen,
und im Totenbuch der Agypter stand geschrieben,
schreckliche Dämonen bewachten
diesen Ort. Dass es gelingen könnte,
die.Quellen zu finden, nein, das schien
den frtihen Geographen und Historikern
so unwahrscheinlich, als wolle rnan Gott
oder den Kern aller Schöpfung finden.
In den Vorstellungen des Danlals speiste
der Nil das Leben, und folglich musste
seine Quelle ein geheimer, jedem Menschen
unzugänglicher Ort sein. Weiter als
bis nach Khartum im Sudan, dort, wo sich
der Blaue und der Weiße Nil vereinen.
kam keiner der entsandten oder selbstberufenen
Sucher. Von Quellen fand man
dort keine Spur. Der Fluss, er schien im
mer noch ein Stück weiter zu fließen, als
des Menschen Erkenntnis reichte. Aristoteles
vermutete seinen Anfang im Inneren
eines silbernen Berges - und lag damit geographisch
fast richtig. Claudius Ptolemäus,
der Shootingstar unter den frtihen
Geographen, behauptete 150 nach Christus,
es sei das Schmelzwassedre r trlonaberge,
aus denen sich der gewaltige Fluss
speise, und er zeichnete die Quellen auf
seiner Weltkarte irgendwo in Ostafrika
zwischen Seen und Bergketten. Der Nil sei
aus einem bodenlosen Grund .geboren,
vermutete Herodot, dem es 460 vor Christus
gelang, am ersten Katarakt dieses Flusses
bei Assuan zu stehen. Was er nicht
wusste und was jahrhundertelang unentdeckt
blieb: Den einen Nil aus einer Quelle,
den gibt es nicht. Der Nil vor Herodots
Augen war die Verschmelzungz weierBrüder,
die an verschiedenen Orten geboren
wurden und. die ihre Lebensenersie aus
zahllosen Zuflüssen saugten. Erst zürei Soldaten
des Herodes gelang es 66 vor Christus,
über den Blauen Nil hinaus und auf
dem Weißen Nil bis in das Sumpfgebiet
des Sud vorzudringen, wo ihre Reise in
den mäandernden und von Schlingpflanzen
überwachsenenF lussarmene ndete.
Quere fontes de Nili, so waren auch wir
nach Jinja gekommen. Lange waren die
Namen jener, die sich zu anderen Zeiten,
unter anderen Bedingungen auf unseren
Weg gemacht hatten, durchunsere Phantasie
geflattert und unserer tatsächlichdn
Reise vorausgeeilt. Burton, Livingstone,
Speke und Stanley, nur vier von vielen
mehr, die Ostafrika durchquerten, als der
Fluss einen Namen, aber keine Geographie
hatte. Vier Kilometer von Jinja änt-
. fernt donnerten damals noch die Wasser
der Owen-Fälle auf fünfhundert Meter
Breite sieben Meter tief. So bot er sich
dem englischen Abenteurer John Hanning
Speke, der im Jahr 1862 im Auftrag der britischen
Afrikanischen Gesellschaft die Lösung
des jahrtausendealten Geheimnisses
fand: Es gab keine Quelle. DerWeiße Nil,
er trank aus den Wassern des Viktoriasees.
,,Das Rätsel ist gelöst", telegrafierte,
er aus Khartum nach London und wurde
bei seinerRückkehr mit Heldenehren emofansen.
Weiß der Himmel, was wir erwartet hatten.
Wir hätten es besser wissen können.
als uns vom Glanz des Mysteriums, vom
Klang der alten Geschichtenl ocken zu lassen.
Nür ein paar Sekunden braucht Google
Earth, um denAustritt des Nils aus seinem
Quellsee bildschirmftiillend zu zoomen.
Deutlich erkennbar die Fischfabriken
am Ufer des Flusses, die Industrieschlote
und auch der Schornstein der
Brauerei, dniben am anderen Ufer des
Flusses.D ie Owen-Fälles ind nach der Errichtung
eines Staudamms im Jahr 1960
lange in den Wassern des Viktoriasees untergegangen,
bald wird einige Kilometer
von diesem Damm ein neuer errichtet. der
das Land und auch das benachbarte Kenia
mit Strom aus Wasserkraft speisen soll.
Dafln werdend ie Stromschnellend er Stärke
fünf, die Jinja Ruhm unterWassersportlern
verliehen und einigen Wildwasserrafting-
Firmen Touristen und Geld einbringen,
so wie die Owen-Fälle versinken.
Wir brauchten eine Weile, um zu begreifen,
dass jene Verengung des Sees, aus der
heraus sich der Nil wie ein gerades Rohr
windet und weiße Flachbauten aus Beton
ihm dabei zusehen, tatsächlich jener Ort
war, um dessentwillen wir hierher gereist
waren.S eit SpekesZ eiten waren die umliegendenWälder
abgeholzt, und der Ort, an
dem der längste Fluss der Welt seinen An¬fang nimmt, sah irgendwie nackt und aus¬geliefert aus. Das Schild, welches von der Quelle des Nils zeugte, fanden wir nicht. Wir fanden es nicht, weil wir nicht such¬ten, so entmutigt waren wir von der Bana¬lität dieses Ortes. Um das Denkmal für Speke zu sehen, hätten wir auf die andere Seite fahren müssen, doch weder am Mit¬tag noch am Abend unserer Ankunft sa¬hen wir ein übersetzendes Boot. Hilflos und lustlos spazierten wir die ersten Ufer-kilometer des neu geborenen Flusses ent¬lang, scherzten mit den Kindern und lie
ßen uns schließlich fort vom Fluss und hin
hin¬ein in Straßen locken, in denen blühende Bougainvilleen dem grauen Anblick Ein¬halt geboten.
Jinja, nach seiner Gründung als Han¬delsposten im Jahr 1901, entwickelte sich innerhalb nur eines Jahrzehnts zum indus¬triellen Mittelpunkt Ugandas, im Wesentli¬chen dank der Geschäftstüchtigkeit indi¬scher Einwanderer. Von Tilapia, Tee und Textilien wurde manche Familie reich. Als Idi Amin, der irre Diktator Ugandas, in den siebziger Jahren die indischen Ein¬wohner des Landes verjagte, war Jinja lan
ge die Hochburg der Textilindustrie. Nach Amins Sturz im Jahr 1979 wechselten die Plantagen und Fabriken in südafrikani¬sche Hände, Aufstieg und Untergang la¬gen in dieser Stadt nahe beieinander, und wer recherchierte, der fände wohl so man¬chen ugandischen Buddenbrook.
Spekes großmundiges Ergebnis der Su¬che fand schnell Zweifler. Der Entdecker Richard Francis Burton, mit dem Speke 1858 den Tanganjikasee gefunden hatte, hielt diesen für die Quelle des Nils. Speke wurde bald nach seiner Rückkehr ge-schmäht und starb zwei Jahre später an ei¬nem angeblichen Jagdunfall. Im Jahr 1866 schickte die ehrgeizige Royal Geographi¬cal Society ihr bestes Pferd im Stall, den le¬gendären Entdecker David Livingstone, der den Tanganjikasee erreichte und dann verschollen blieb, bis ihn der amerikani¬sche Reporter Henry Morton Stanley mit dem berühmten Satz „Mister Livingstone, I presume" nach Jahren fand. Stanley war es, der auf seiner zweiten Afrikareise 1874 segelnd keine Verbindung zwischen dem Tanganjika und dem Nil, wohl aber zwi¬schen Viktoriasee und Nil fand und Speke post mortem rehabilitierte.
Nun könnte die Geschichte zu Ende sein, doch der Nil entwindet sich bis heute der letzten Gewissheit. Erst Ende des neunzehnten Jahrhunderts fand der deut¬sche Arzt und Afrikaforscher Richard Kandt heraus, dass der achthundertfünf-zig Kilometer lange Kagera, dessen Ur¬sprung im Nyungwe-Wald von Ruanda liegt, der eigentliche Quellfluss des Wei¬ßen Nils ist. Weil aber auch der Kagera sich aus anderen Flüssen speist, gibt es neue Namen im Verzeichnis der Sucher nach den Nilquellen. Im April 2006 schlu¬gen sich der Brite Neil McGrigor und zwei Neuseeländer tiefer in den Nyungwe¬Wald als je ein Entdecker, vielleicht je ein Mensch zuvor und fanden einen Sprudel, der den Nil speisen soll und den bisher be¬kannten Fluss um einhundert Kilometer verlängert.
Und wir? Wir gingen an die Quelle nicht zurück, aber versöhnten uns mit dem Fluss, als wir mit einem Schlauch¬boot seine Stromschnellen durchquerten. Und mit jedem Kilometer flussabwärts nicht mehr nach den Ursprüngen fragten, sondern neues Sehnen fanden. Nach dem Albertsee, in welchen der Viktoria-Nil sich ergießt, um als Albert-Nil wieder aus¬zutreten, nach dem Sud, in dessen Amphi¬bienlandschaft sich auch der Fluss ver¬läuft, und nach dem vierundzwanzigtau¬send Quadratmeter großen Delta, aus wel¬chem er sich schließlich ins Meer ergießt
Donnerstag, 13. August 2009
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