Whistler Mountains in Canada
Video
http://www.youtube.com/watch?v=znPZ6ZUdNTE#
Author D.Selzer-McKenzie
Der kanadische Ski-Ort Whistler bereitet sich auf die Winterspiele 2010 vor — und will ver-hindern, dass Bären auf Sportler treffen.
WHISTLER, im August. Da ist Marissa, die, magisch angezogen vom Duft frischer Hamburger, von einem Fastfood-Kiosk nichts übrig ließ als einen Haufen Bretter. Bezahlt hat sie nicht, auch nicht mit dem Leben — Michael Allan sei Dank. Er ist der Bärenbeauftragte, und er sieht selbst ein bisschen aus wie ein Bär. Breit ist er, wort¬karg, und er trägt an den nackten Waden Pelz. 15 Mutterbären zählte er am Ende der letzten Saison hier oben in Whistler, außerdem drei Männchen. Einige Bären haben den Winter nicht überstanden.
Und im nächSten Winter wird es nicht besser. In einem halben Jahr, vom 12. bis zum 28. Februar 2010, werden in Vancou¬ver die Olympischen Winterspiele ausge¬tragen. Die meisten Wettkämpfe in den Schneesportarten finden in Whistler statt, dem Bergort 115 Kilometer nordöstlich von Vancouver, der nach dem Pfeifen des Murmeltiers benannt ist. Eine friedliche Koexistenz zwischen Mensch und Bär ist das Ziel der Gemeinde. Aber. die Bobbahn führt durch Bärengebiet. Der Schießstand der Biathleten steht dort. Und weil Bären je nach Futterlage in ihrem Terrain immer nur auf- und absteigen, aber nicht spontan in ein benachbartes Gebiet abwandern, werden sie dann wohl auch erscheinen.
Bären! 71 sind im unmittelbaren Um¬kreis von Whistler registriert. Sie nutzen die Golfplätze, weil das Gras dort so gut schmeckt; die Skipisten, weil sie da wun¬derbaren Klee finden; die Campingplätze in der Hoffnung auf ein Barbecue. Bear
smart, eine Schutzgemeinschaft zur Erzie¬hung von Mensch und Bär, hat sich dem friedlichen Miteinander verschrieben. Die Leiterin Sylvia Dolson, Hobby-Tierfoto¬grafin, deutsche Eltern, kanadischer Pass, hat gerade einen Knigge zum Umgang mit Bären verfasst, und weil die nicht lesen können, müssen Touristen und olympi¬sche Gäste verstehen, wie man mit Bären umgeht, oder noch besser: wie man sie um¬geht. Helfen sollen Bearsmart und Micha¬el Allan, der Bärenflüsterer. Er ist Whist¬lers Bären seit mehr als einem Jahrzehnt auf der Spur. Er zählt und benennt, doku¬mentiert und katalogisiert sämtliche Schwarzbären in den Blackcomb Moun¬tains rund um den Wintersportort. Was ist zu tun? Raum geben, Regeln aufstellen.
Da ist Katie, die Bärin, die diesmal mit drei Nachkommen auf Nahrungssuche ist, weil ihr Ältester nicht auf eigenen Pfoten stehen will — obwohl sie schon wieder Zwillinge hat. Da ist Slumber, der trotz sei¬ner 400 Pfund so zärtlich erscheint, wenn er seine Auserwählte betört, doch ebenso gnadenlos wie elegant seine Konkurren¬ten vertreibt. Michael Allan kennt sie alle, beurteilt ihren Gesundheitszustand, be¬obachtet ihre Gewohnheiten. Und wenn er nicht schlafen kann, geht er hinauf in die Berge zu den Bären. Ihr Grunzen, Schmatzen und Schnaufen beruhigt ihn so sehr, dass er selbst bald schnarcht. Kein Bär hat ihm je etwas getan.
Mitte der sechziger Jahre wohnten nur 25 Menschen in Whistler. Auf jeden Men¬schen pro Quadratkilometer kamen zwei Bären. Jeder hatte Platz, mehr als genug. Heute geht man sich immer weniger aus dem Weg. Die Schutzräume werden klei¬ner. Die schnellste Bobbahn der Welt, die bei den Olympischen Winterspielen in Whistler zu herzstockenden Geschwindig¬keiten führen soll, steht in einem der letz¬ten Stückchen kanadischen Regenwaldes. Es wird eng — für die Bären.
Im Sommer ist die Bären-Beobachtung ein wunderbares Erlebnis. Gemeinsam mit Michael Allan kommt man in den Blackcomb Mountains zehn Meter an sie heran: an die mächtigen Männchen, die
auf den grünen Skipisten ihre Bäuche mit frischem Klee füllen. Und an die besorg¬ten Bärenmütter, die ihre Jungen in die Wipfel der hohen Hemlocktannen scheu¬chen, sobald sich Gefahr nähert. Michael Allan wird nicht müde, den Touristen zu erklären, wie viel Platz die Bären brau¬chen. Sie sollen den Menschen in der Kate¬gorie „nicht gefährlich, nicht essbar, also komplett uninteressant" ablegen.
Weil es an kaum einem anderen Ort der Welt einerseits so viele Schwarzbären und anderseits ein so attraktives Sportangebot für Menschen gibt, hat Michael Allan viel zu tun. Seine Familie sieht er kaum. Nach kurzem Überlegen fällt ihm ein: Seine Tochter müsste jetzt in der vierten Klasse sein. Seine Frau hat sich daran gewöhnt, die Nummer zwei zu sein nach den Bären.
Wo noch zur Jahrhundertwende die Trapper den Bibern das Fell abzogen, wo die Goldsucher ihren Lebenstraum begru¬ben, weil sie nichts als wertloses Katzen¬gold fanden, wo die Gleisarbeiter mit kräf¬tigen Hammerschlägen die Schienen für die Great Eastern Railway in Richtung Pa¬zifik in den gefrorenen Boden trieben, dort entstand eine der größten zusammen¬hängenden Sportregionen Nordamerikas. Und ein Gefährdungsgebiet für Schwarz¬bären. Weil sie die köstliche Bepflanzung am Rande des Highways 99 lockt (Löwen¬zahn), sind Zusammenstöße mit Men¬schen programmiert. Im Sommer stapft immer wieder ein Bär über den Mountain¬bike-Trail, raubt unvorsichtigen Wande-rern den Rucksack und zahlt mit dem Le¬ben dafür. Jeder Bär, der sich einem Men¬schen nähert, wird erschossen. Das sind die schwärzesten Stunden für die Bären¬schützer, für Michael Allan. Er weiß, wel¬cher Bär -wann wo ist, weil er die Reviere und Wege seiner Schützlinge kennt. Und schon wird es einfach, den Bären zu identi¬fizieren, der aufgrund der Tatzeit und des Ortes der Verdächtige ist.
Und weil auch in Kanada die Winter wärmer werden, haben die Bärenschützer ein weiteres Problem. Die Bären schlafen nicht zuverlässig durch. Manche entschei¬den ganz gegen den Winterschlaf und ver¬
lassen sich darauf, dass es auch im Winter genügend Nahrung gibt — Vogelfutter zum Beispiel. Sie marodieren durch die Berge und schlendern durchs Dorf. So wie Jea¬nie, die große braune Bärin, die in einer kalten Neujahrsnacht über die Einkaufs-straße Whistlers flanierte. Sie hat ihre Scheu vor Menschen vollständig verloren. Ihre Nachkommen brechen in die Speise-kammern ein. Für sie und ihre Verwand¬ten sind auch Supermärkte kein Tabu.
Bären dürfen nicht lernen, dass mensch¬liche Nahrung auch Bären schmeckt, dass man auch Abfall essen kann. Einmal auf den Geschmack gekommen, ist es dem Bä¬ren egal, ob ein Mensch im Weg ist oder nicht. Der Bär will dann haben, was im Auto, im Zelt oder im Rucksack ist. Er mag Zahnpasta, Kaugummi, Sonnen¬milch, alles, was intensiv riecht. Und liebt Süßes. Unvergessen der Augenblick, als eine japanische Touristin mit einem Do¬nut nach einem Bären warf, während sie im Sessellift saß. In den Augen von Micha¬el Allan funkelt Mordlust, wenn er von sol¬chen Dummheiten erzählt.
Einbruchsichere Speisekammern und bärensichere Mülltonnen, die man nur durch beidhändiges Greifen, Drücken und Halten des stählernen Deckels öffnen kann, sind das eine. Das andere sind auf¬geklärte Touristen, die keine Abfälle lie-genlassen, kein Vogelfutter streuen, kein unverpacktes Essen in ihren Fahrzeugen
- vergessen und die ihre Kleidung wechseln, nachdem sie intensiv gekocht haben. Und wenn dann doch ein Bär kommt? Ruhig bleiben, sich groß machen, auf keinen Fall tot stellen, beruhigend murmeln, denn auch Bären wollen nicht streiten. Niemals den Rucksack oder das Essen hinwerfen. Der Bär will mehr. Abstand gewinnen, das ist das Wichtigste. Abstand von den Bären und ihren Schlafstätten, die direkt an den Sportstätten liegen. Olympia 2010: Der Highway 99 ist fertig, Hunderte Blumen formen bereits jetzt die olympischen Rin¬ge in den städtischen Beeten. Zum Glück ohne Löwenzahn — Bearsmart und Micha¬el Allan sei Dank. Sonst säße schon in je-dem Beet ein Bär.
Montag, 31. August 2009
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