Robert Harting – Diskus-Weltmeister Berlin 2009
Author D.Selzer-McKenzie
Eigentlich hätte Robert Harting eine
Lederjacke tragen müssen, als er
am Mittwochabend im Berliner
Olympiastadion den Diskus 69,43 Meter
weit schleuderte. Denn vermutlich war es
ein Akt der Rebellion, dass er mit diesem
gewaltigen Wurf, seinem sechsten, Weltmeister
wurde. ,,Bei James Dean wird's
ein Mythos", sagte jedenfalls Eike Emrich,
Vizepräsident des Deutschen Leichtathletik-
Verbandes,,,u ndb ei Robert Harting
soll's ein Disziplinarverfahren werden?"
Damit spielte er, nach dem großen
Wurf des riesenhaften Berliners und dessen
Verbalinjurien, auf die Ikone deS ewigen
Halbstarken an. Der Titel von dessen
berühmtestemF ilm jedenfatls.,j Rebewl ithout
a cause", passt großartig zu Robert
Harting und seiner Art. Auf Deutsch
heißt er: ,,. . . denn sie wissen nicht, was
sie tun".
So mitgenommen di.irfte selten einWeltmeister
gewesen sein wie der 135 Kilogramm
schwere Athlet am Donnerstag
früh. Harting bekam kaum die Augen auf
nach der mit Empfang und Disco, mit
Champagner und Wodka durchfeierten
Nacht. Und den Mund kriegte er schon gar
nicht auf. Am Mittwochabend hatte er das
Publikum - 30 000 im Berliner Olvmpiastaclion
und Millionen vor den fernsehgeräten-
langew artenl assena uf seinenb esten
Wurf, dann katapultierte er sich vom
zweiten auf den ersten Platz und ließ seine
Geftihle explodieren. Erzerriss sein Nationaltrikot
- mit einer Lederjacke wäre das
schwierigerg ewesen- , packte dasü, berlebensgroße
Maskottchen, hob es mühelos
hoch und ließ es an den Beinen über sein
Quadratmeter großes Kreuz baumeln. ,,Er
kam gleich angerannt und haute mir seine
Pranke ins Gesicht", brummte er später.
,,Den musste ich erst mal wesräumen."
Schließlich spurtete der 24-jährige Berliner
mit aller Kraft die Gegengerade hinunter
und versuchte mit mächtigen, übermütigen
Sprüngen die Kamera zu erreichen,
die an Kabeln dicht über der Bahn
läuft. Dabei machte sein Kreislauf
schlapp. Harting hatte sich im Überschwang
vergaloppiert
Das passierte ihm nicht zum ersten Mal
und war eine Kleinigkeit im Vergleich zu
dem, was er sich zwei Tage zuvor geleistet
hatte. Emrich versuchte ihn am Dontrerstag
rauszupauken. ,Was Robert sagen
will", hob der Soziologieprofessoar n, und
es folgten wortreiche Erklärungen dafür,
dass man von einem Athleten ,,in der Hitze
des Gefechtes" und ,,im psychischen
Ausnahmezustand" nicht erwarten könne,
als ,,Diplomat im Trainingsanzug" und
,,abgeklärt" zu sprechen. ,,Danke", sagte
Harting in die folgende Sprachlosigkeit.
,,Du kannst einfach besser reden als ich."
Trotzdem muss nicht nur:der sroße Wurf
von Harting gewürdigt werdä, sondern
auch sein Versuch einer Entschuldigung.
,;Alle, die sauer auf mich sind", bat er am
Mittwochabend im Stadion, ihm zu verzeihen.
Am Donnerstagmorgenk lang dass o:
,,Ich muss dann hier noch.sagen, dass ich
teilweise ein bisschen enttäuscht bin, dass
man das ein kleih wenie absichtlich auch
falscha ufgefassht at. Icliwerde daraust ernen.
Und muss mich bei dieser Gelesenheit
für die Außerungen entschuldigeri; da
stehe ich auch zu." Und dann erklärte er, dass es doch auch menschlich sei zurückzu¬schlagen, wenn man nach anderthalb Jah¬ren Vorbereitung vor dem wichtigsten Wettkampf gestört und genervt werde. Da hatte Harting im Geiste wieder seine Le¬derjacke an.
Im Internet waren Harting und sein Trainer Werner Goldmann im Trainingsla¬ger auf die Nachricht gestoßen, dass Gerd Jacobs den Ausschluss von Harting aus der Mannschaft gefordert habe. Eine Falschmeldung zwar, doch Jacobs ist eine Reizfigur, seit er vor den Olympischen
Spielen im vergangenen Jahr — da galt im deutschen Sport noch die inzwischen über¬holte Devise, dass Bundestrainer niemals mit Doping in Berührung gekommen sein durften — im Fernsehen bekanntmachte, dass Goldmann ihm in der DDR muskel¬bildende Hormone verabreicht habe, ob¬wohl er nicht volljährig war. Das kostete Goldmann fast die Anstellung und Har-ting fast seinen Trainer. Er hoffe, dass sein Diskus gegen eine von den Anti-Doping¬Brillen springe, die die Dopingopfer ver¬teilten, brach es aus Harting heraus, als er im Stadion auf Journalisten traf.
„Warum einen Athleten bestrafen, der in sich geht und sich entwickelt?", fragte Vizepräsident Emrich. Präsident Cle¬mens Prokop beharrte dagegen im Früh¬stücksfernsehen, Auge in Auge mit dem Riesen, darauf, dass Gold und Entschuldi¬gung eben nicht alles erledigt hätten. Man müsse nach der WM unbedingt spre¬chen, sagte, er, und Harting stimmte zu. Er hatte schon vor Wochen angekündigt, dass er nichts von Prokops Arbeit halte und dessen Rücktritt fordern werde.
Wie er Nerven und Rivalität einsetzt, zeigte Harting auch bei seinem Titelge¬winn. Mit dem ersten Wurf, 68,25 Meter weit, habe er erst mal seinen Vize-Weltmeis¬tertitel von Osaka verteidigt, sagte er. Dann sei es darum gegangen, dass niemand ihm das Berliner Olympiastadion wegnehme. 67,04 Meter und zweimal 67,80 Meter warf er, hatte einen ungültigen Versuch — und griff dann zum Äußersten. „Ich habe mich innerlich erst mal verprügelt", verriet er. Dann nutzte er mit einem Urschrei seine letzte Chance zu einem gewaltigen Wurf, wie er ihm noch nie in seinem Leben ge¬lungen war: bis auf 57 Zentimeter an die Marke von 70 Meter heran und vor allem 28 Zentimeter weiter als der beste Wurf des von Anfang an führenden Polen Piotr Malachowski (69,15 Meter). Dann gehör¬ten das Olympiastadion und die ganze Welt ihm. Er konnte die Lederjacke auszie-hen
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