Interview mit dem Buchauthor Pater Anselm Grün
Author D.Selzer-McKenzie
Video:
http://www.youtube.com/watch?v=q5yyBn1reXU
Pater Anselm Grün ist einer der welt
weit berühmtesten und erfolgreichs¬ten geistlichen Autoren. Seine Bücher wur¬den in über 3o Sprachen übersetzt und haben eine Gesamtauflage von mehr als 15 Millionen erreicht. Der Benediktinermönch und promovierte Theologe verkörpert ge¬nau das, was sich die meisten Sinnsuchen¬den von einem Geistlichen erhoffen: leben¬dige Spiritualität, Weltoffenheit und ein ausgeprägtes Verständnis für die Sorgen und Sehnsüchte der Menschen. Kein Wunder, dass sein weiser und warmher¬ziger Rat in Managerseminaren ebenso ge¬fragt ist wie in seinen vielen Vorträgen und Kursen. Zur Feier des 65. Geburtstages von Pater Anselm Grün erscheinen im Herder Verlag ganz besondere Geschenk-ausgaben seiner schönsten Texte.
Worin besteht für Sie die Quintessenz der mönchischen Lebensform?
• Mönch ist einer, der wahrhaft Gott sucht. So versteht es Benedikt. Das ist auch für mich entscheidend. In der Gemeinschaft der Brüder, in einem klar strukturierten Tag mit fünfmaligem Chorgebet und in der Stille der Meditation halte ich Ausschau nach Gott. Aber diese Suche nach Gott verlangt auch ehrliche Selbsterkenntnis. Die Mönche der Wüste aus dem vierten Jahrhundert sind überzeugt, dass wir Gott nicht erkennen können, ohne vorher
uns selbst zu erkennen. So hält mich das Mönchsein innerlich lebendig. Ich suche nach meiner eigenen Wahrheit und ich suche nach Gott. Und in dieser Suche bin ich offen für die Menschen, deren letzte Sehnsucht ja auch Gott ist.
Dem Ordensleben der Benediktiner liegt die „Regula Benedicti" zugrunde, die Bene¬dikt von Nursia im 6. Jahrhundert zu Papier gebracht hat. Was ist für Sie persönlich das Überzeugende an diesem Regelwerk?
4 Wir nehmen die Regel Benedikts nicht als Gesetzbuch, das wir wörtlich befolgen, sondern als spirituelles Dokument. Mich überzeugt die Weite des Herzens, die die Regel durchzieht und die auch das Ziel benediktinischer Spiritualität ist. Und mich überzeugt das weise Maß, das die Regel auszeichnet, die Weisheit im Um¬gang mit dem Menschen. Es ist eine op
timistische Sicht des Menschen, die aus dem Glauben an Christus im Bruder und in der Schwester kommt.
0" Obwohl Sie Ihren Lebenswandel den christ¬lichen Geboten und Ordensnormen verschrie¬ben haben, geben Sie sich nicht als erhaben über weltliche Dinge, sondern zeigen sich von Ihrer menschlichen Seite. Und Sie äußern sich zu Themen, die man von einem Mönch erst einmal weniger erwartet, beispielsweise zum Verliebtsein. Wie kommt das?
41 Als Mönch wird man mit seiner eige¬nen Wirklichkeit konfrontiert. Und im Herzen eines Mönches sind die gleichen Sehnsüchte wie im Herzen eines jeden an¬deren Menschen. Dazu gehört eben auch die Sehnsucht nach Liebe und die Erfah¬rung des Verliebtseins. Entscheidend ist für den Mönch, dass er alles, was sich in seiner Seele regt, immer wieder in die Be¬ziehung zu Gott hinein hält.
Seit Ende der 7oer Jahre schreiben Sie Bücher. Was bewegt Sie dazu?
• Die 68er- Revolution hat uns junge Mönche damals bewegt, alles, was wir im Kloster gelernt haben, in Frage zu stellen. Wir haben Psychologie studiert, Gruppen¬dynamik praktiziert und Zen-Meditation geübt. Von diesen Erfahrungen her haben wir dann die Schriften der frühen Mönche aus dem 4. bis 6. Jahrhundert gelesen und neu gedeutet. Die Erfahrungen, die wir da¬bei gemacht haben, haben wir zuerst in Vorträgen und Artikeln in der benedikti-nischen Monatsschrift formuliert. Als wir spürten, dass das für viele ein heilsamer Weg ist, haben wir die Münsterschwarzacher Kleinschriften heraus-gegeben. Darin haben wir wichtige Themen der monastischen Spi¬ritualität und der Litur¬gie aufgegriffen und sie im Dialog mit der Psy¬chologie in einer neu¬en und verständlichen Sprache dargestellt. Mir war es wichtig, den
Reichtum der christlichen Tradition dem Menschen von heute so zu vermitteln, dass er davon leben kann.
• Als unglaublich produktiver Autor haben Sie über 200 Titel veröffentlicht. Welche innere Haltung hat sich beim Schreiben bewährt?
• Beim Schreiben habe ich immer kon¬krete Menschen vor Augen, denen ich auf ihre Fragen antworten möchte. Und es ist mir bei allem, was ich schreibe, wichtig zu fragen: Wie kann ich daraus leben? Wel¬che Erfahrung steckt hinter theologischen Aussagen? Wie komme ich an die Erfah¬rung der spirituellen und theologischen Aussagen heran? Und wie kann ich die Er¬fahrung für mich und für die Menschen heute fruchtbar machen?
"Ich möchte weiterhin für die Menschen schreiben: in Gelassenheit, Weisheit und Milde."
• Gibt es so etwas wie eine Grundbotschaft, die Sie als Autor Ihren Lesern ans Herz legen möchten?
4 Eine Grundbotschaft, die ich in vie¬len Büchern immer wieder formulieren möchte: In Dir ist ein Raum der Stille, in dem Gott in Dir wohnt. Und dort, wo Gott in Dir wohnt, bist Du frei von den Urtei¬len und Erwartungen der Menschen. Dort bist Du heil und ganz. Dort kommst Du mit Deinem ursprünglichen und einma¬ligen Bild in Berührung, das Gott sich von Dir gemacht hat. Da bist Du rein und klar. Dein innerster Kern ist auch von Schuld nicht infiziert. Ich möchte den Menschen Mut machen, dass sie ihre einmalige Le¬bensspur in diese Welt eingraben und dass sie von Gott gesegnet und bedingungs¬los angenommen sind. Und dass sie als Gesegnete — das ist ja die Bedeutung von Benediktus und Benediktiner—ein Segen sind für die Menschen
• In Ihren Schriften kommt die Formulie¬rung „geerdete Spiritualität" vor. Was meinen Sie damit genau?
• Geerdete Spiritualität meint für mich einmal, dass die Spiritualität sich kon¬kret ausdrücken muss, etwa in Ritualen, oder in der Art und Weise, wie ich arbei¬te, rede, lebe. Spiritualität muss sichtbar sein in meiner Lebenskultur. Und zum andern bedeutet geerdete Spiritualität für mich die Haltung der Demut. Demut heißt ja humilitas. Das kommt von hu¬mus, Erde. Demut ist der Mut, hinabzu-steigen in meine eigene Erdhaftigkeit, in die Tiefen meines Menschseins, in meine eigene Wahrheit. Demut heißt für mich auch: mit beiden Füßen auf der Erde ste¬hen, keine spirituellen Höhenflüge zu ma¬chen. Das christliche Paradox ist ja, dass nur der zum Himmel aufsteigt, der zuvor zur Erde hinabgestiegen ist.
• Wenn Sie sich zurückerinnern an den jungen Mann, der Sie bei Ihrem Eintritt ins Kloster waren: Was hat sich für Sie verän¬dert? Wie haben Sie sich verändert?
• Als ich ins Kloster eintrat, war ich sehr vom Leistungsgedanken geprägt. Ich woll¬te für Gott und für die Kirche etwas leis¬ten. Doch dann kam ich nach ein paar Jahren mit meinen eigenen Gefühlen und mit meinem Unbewussten in Berührung. Jetzt ist es für mich wichtig, dass der be¬nediktinische Rhythmus mich wach hält und dass er mich auf Gott hin treibt, da¬mit ich nicht stehen bleibe in meiner Su¬che nach Gott und in meiner Suche, den Menschen Gott nahe zu bringen.
• Das Älterwerden erfüllt viele Menschen mit gemischten Gefühlen — Sie hingegen betrach¬ten es anscheinend gelassen. Weshalb?
• Das Älterwerden ist eine spannende Auf¬gabe. Es ist wie in der Natur. Im Herbst bringen wir die Ernte ein. Und die Far¬ben werden bunter und milder. Das ist für mich die Aufgabe des Alters: die Frucht meines Lebens dankbar zu genießen und dankbar weiter zu reichen. Und Milde und Weisheit auszustrahlen. Ich hoffe, dass es mir gelingt.
• Der 65. Geburtstag ist für viele Menschen ein besonderes Ereignis. Welchen Stellenwert hat er für Sie?
• Im Kloster wird man mit 65 Jahren nicht pensioniert. Insofern ist der 65. Geburts¬tag kein so entscheidender Einschnitt für mich. Aber der 65. Geburtstag erinnert mich daran, dass ich im Pensionsalter bin, dass ich mich nicht mehr mit Arbeit be¬weisen muss. Und er ist eine Einladung, manches loszulassen und gelassen die Jahre zu leben, die mir Gott noch schenkt. Gelassenheit heißt für mich aber noch nicht, dass ich die Hände in den Schoß lege. Ich möchte auch weiterhin für die Menschen arbeiten, schreiben, Vorträge und Kurse halten, aber eben in Gelassen¬heit und Weisheit und Milde.
Buchauthor Pater Anselm Grün im Interview SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Montag, 18. Januar 2010
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