Strom und Energie Trading von Selzer-McKenzie SelMcKenzie
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/4g5vp-MePOs
Der deutsche Strommarkt ist im Umbruch: Nach der
Liberalisierung des Markts Ende der Neunzigerjahre erzwingen heute die
ehrgeizigen Ziele der Energiewende den schnellen Wandel. Doch während der
forcierte Ausbau der erneuerbaren Energien den Endverbraucherpreis auf neue
Rekordstände treibt, sind die Groß-handelspreise auf Talfahrt gegangen. Wir
schauen uns im Folgenden das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage an der
Strombörse genauer an und erklären, warum eine Erholung der Kohlepreise und ein
Anstieg der CO2-Preise den Abwärtstrend der börsengehandelten Strompreise
zumindest kurzfristig bremsen könnten.
Strom steht im Zentrum der Energiewen-de. Im Fokus der
öffentlichen Diskussion standen dabei zuletzt vor allem die stei-genden
Verbraucherpreise, die sich infol¬ge der immer höheren Umlagen für die
erneuerbaren Energien ergeben (Gra¬fik 1). Wir wollen uns aber im Folgenden
nicht in die lange Reihe derjenigen ein¬reihen, welche die Chancen und Risiken
dieser Energiewende analysieren und bewerten. Vielmehr gilt unser Interesse dem
Teil des Markts, der heute nach der Liberalisierung Ende der Neunzigerjahre
zumindest auf den ersten Blick den Prin-zipien eines freien Markts folgt: dem
Zu-sammenspiel von Angebot und Nachfrage an den Strombörsen. Im Folgenden
wollen wir schauen, welche Faktoren heute die Preisbildung an den
Großhandelsmärkten bestimmen. Dazu werfen wir zunächst einen Blick auf die
Struktur von Angebot und Nachfrage, um dann die wichtigsten Preisdeterminanten
zu betrachten und deren Einfluss auf die künftige Preisent¬wicklung abzuleiten.
Beginnen wir mit der Nachfrage, deren auffälligstes Merkmal
die starken Schwan¬kungen sind. Der sogenannte Lastverlauf hängt zum einen von
der Tageszeit und
Grafik 1: Steuern und Abgaben treiben Strompreis für private
Haushalte
in Cent je kWh bei einem Jahresverbrauch von 3.500 kWh 30
25
20
115°5 11111111111111
2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013
• KWK-Aufschlag"
• EEG-Umlage
• Stromsteuer • Konzessionsabgabe
• Mehrwertsteuer Erzeugung, Transport, Vertrieb
*ab 2011 inkl. §19-Umlage und Offshore-Haftungsumlage
zum anderen von der Jahreszeit ab. Das stellt die
Produzenten insofern vor große Herausforderungen, als die Ware Strom nur sehr
begrenzt speicherbar ist. Darü¬ber hinaus ist die Nachfrage zyklisch: In
Deutschland entfällt fast die Hälfte der Nettonachfrage (ohne Eigenverbrauch
der Stromerzeuger) auf die Industrie (46 Pro¬zent), weshalb die Stromnachfrage
im Konjunkturverlauf, wenngleich unterpro-portional, schwankt. Auf
Preisschwankun¬gen reagiert die Nachfrage dagegen kurz¬fristig kaum.
Langfristig führt ein dauer¬hafter Strompreisanstieg aber sowohl bei den
privaten Haushalten als auch in der Industrie zu einem Anpassungsverhalten.
Laut einer Auswertung des Sachverstän-digenrats wird die Preiselastizität in
der Industrie auf -0,6 geschätzt. Das bedeu-tet, ein Anstieg des Strompreises
um 1 Prozent führt ceteris paribus zu einem Rückgang der Nachfrage um 0,6
Prozent.
Stromverbrauch unter zyklischen Schwankungen gewachsen
Im langfristigen Trend seit 1990 ist der Stromverbrauch in
Deutschland leicht gestiegen. Der Bruttostromverbrauch (inklusive des
Eigenverbrauchs der Erzeuger) lag im vergangenen Jahr laut
Grafik 2: Stromnachfrage im langfristigen Trend steigend
trotz fallender Stromintensität
indexiert 1990 = 100 Mrd.
kWh
120 640
110 620
100 600
580
90
560
80 540
70 520
60 500
1990 1995 2000 2005 2010
• pro Kopf
(links) Bruttostromverbrauch
(rechts)
• je BIP-Einheit
(links)
der AG Energiebilanzen, einem Zusam-menschluss von Verbänden
und For-schungsinstituten der Energiewirtschaft, bei knapp 600 Milliarden
Kilowattstunden, 44 Milliarden Kilowattstunden höher als 1990 (Grafik 2). Vor
allem die steigenden Einkommen, aber auch eine bis 2005 leicht gewachsene
Bevölkerung wirkten verbrauchssteigernd und überkompen-sierten damit den Effekt
einer gestiegenen Stromproduktivität (Einheit reales BIP je Stromverbrauch).
Letztere ist seit 1990 im Durchschnitt um 1 Prozent p.a. gestiegen, wobei in
den letzten zwei Jahren mehr als doppelt so hohe Effizienzfortschritte zu
verzeichnen waren.
Der Vormarsch der erneuerbaren Energien infolge der
ehrgeizigen Pläne der Bundesregierung ist rasant
Auf der Angebotsseite sind die tragenden Säulen in
Deutschland noch immer die fossilen Energieträger, die über die Hälfte der
Stromerzeugung ausmachen, sowie die Kernkraft mit weiteren knapp 16 Pro¬zent
der Stromerzeugung (Grafik 3). Aller¬dings ist der Vormarsch der erneuerbaren
Energien infolge der ehrgeizigen Pläne der Bundesregierung rasant. Im ver¬gangenen
Jahr stemmten sie bereits22,6 Prozent der Bruttostromerzeugung. Den größten
Anteil leistet die Windkraft mit 8,1 Prozent. Aber auch die Bedeutung der
Photovoltaik ist rasant gestiegen: Im vergangenen Jahr lag deren Anteil bei 4,2
Prozent. Treiber dieser Entwicklung ist das seit dem Jahr 2000 geltende
Er¬neuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das zum einen Netzbetreiber verpflichtet,
Strom aus erneuerbaren Energien vor¬rangig einzuspeisen, und zum anderen
Anlagenbetreibern auf 20 Jahre einen Mindestpreis garantiert. Vor allem bei der
Photovoltaik zog dies einen Ausbauboom nach sich, welche infolgedessen im
ver¬gangenen Jahr knapp 40 Prozent der installierten Leistung der
Regenerativ-anlagen ausmachte. Zugleich lieferte diese Technologie aber nur
knapp ein Fünftel des gesamten EEG-Stroms.
Merit-Order-Effekt der erneuerbaren Energien drückt
Großhandelspreis und lässt die EEG-Umlage steigen Grundsätzlich hat jede
Kraftwerkstech-nologie ihre eigene Kostenstruktur. Die »Merit-Order« gibt die
Einsatzreihenfolge an, in welcher die Kraftwerke herangezo-gen werden, den
Strombedarf zu decken. Schematisch bestimmt sich der Preis entsprechend den
Grenzkosten der zuletzt eingesetzten Technologie (siehe Grafik Merit-Order
Seite 37). Bezogen auf die variablen Kosten ist die Atomkraft die günstigste
(konventionelle) Technologie, die kaum noch existierenden Ölkraftwerke sind
dagegen die teuersten. Gasturbinen und (Pump-)Speicherkraftwerke werden
Grafik 4: Strompreise an der EEX —je kurzfristiger, desto
volatiler
Grundlast, Euro je MWh 907
zum Ausregeln von Lastschwankungen eingesetzt und
entsprechend als Spitzen-lastkraftwerke bezeichnet. Steinkohle-kraftwerke
nehmen aufgrund ihrer mittel-hohen variablen Kosten und ihrer mittel-großen
Flexibilität eine Zwischenstellung ein. Viele erneuerbare Energien haben
variable Kosten von nahezu null. Mit anderen Worten, in Stunden mit hoher
Einspeisung an erneuerbaren Energien sind Kraftwerke mit niedrigeren variablen
Kosten preissetzend, sodass bei gleicher Handelsmenge ein niedrigerer Preis
resul-tiert (»Merit-Order-Effekt«). Die Produzen¬tenrente der konventionellen
Kraftwerks¬betreiber sinkt entsprechend. Mit den niedrigen Preisen sinken auch
die Ver¬marktungserlöse aus den erneuerbaren Energien bzw. es steigt die
Differenz zwi¬schen zugesagten Vergütungen und tat¬sächlichem Preis. Grob
gesprochen wird diese Differenz durch die EEG-Umlage gedeckt, die von den
meisten Endkunden als Zuschlag auf den Strompreis zu zahlen ist. Dieser
Zuschlag ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Somit klaffen
Endkundenpreis und Großhandelspreis immer stärker auseinander.
Die damit verbundene Problematik wollen wir nicht weiter
vertiefen, denn unser Interesse gilt den Großhandelspreisen. Auch wenn ein
Großteil des Stromabsat¬zes unabhängig von den Börsen abgewi¬ckelt wird, sind
die Preise an den Börsen die Referenzpreise. Ebenso wie im außer-börslichen
Handel wird an der Leipziger Strombörse EEX zwischen Spot-Märkten
Grafik 5: Strompreis unter Druck
Euro je MWh 100
und Terminmärkten unterschieden sowie Grundlast (1.00 bis
24.00 Uhr) und Spit-zenlast (Peak/Off-Peak). Der Referenzpreis für den
deutschen Stromhandel ist der Phelix-Future (Physical Electricity Future). Die
kurzfristigen Preise sind deutlich volatiler als die langfristigen, was der
schwankenden Nachfrage bei gleichzeitig witterungsabhängigen erneuerbaren
Energien zuzuschreiben ist (Grafik 4). Ab und an gibt es sogar negative Preise,
wenn das Netz zu überlasten droht und Kraftwerke aus dem Markt gedrängt werden
müssen.
Wir betrachten deshalb den weniger schwankungsanfälligen
Strom-Future des nächstfälligen Kalenderjahres. Grafik 5 zeigt, dass der
deutsche Strompreis seit gut zwei Jahren deutlich unter Druck steht. Mit rund
37 Euro je Megawattstun-de ist Strom für das nächste Kalenderjahr so billig wie
zuletzt vor acht Jahren. Bemerkenswert ist der Preisrückgang in den letzten
zwei Jahren vor allem vor dem Hintergrund der Stilllegung von acht
Atomkraftwerken. Denn um noch einmal im Schema der Merit-Order zu argumen¬tieren:
Ein geringeres Angebot an Atom¬kraft müsste theoretisch zu einem höhe¬rem Preis
führen. Doch dieser Effekt wurde offensichtlich überkompensiert. Zum einen ist
in dieser Zeit der Anteil der erneuer¬baren Energien gestiegen. Zusätzlich
bedingt durch die vorher bestehenden Überkapazitäten am Markt blieben damit die
Steinkohlekraftwerke als Mittel-lastwerke preissetzend. Deren Strom-erzeugungskosten
sind aber infolge der starken Preisrückgänge an den Kohle-märkten sowie im
europäischen Emissi-onshandel deutlich gesunken. Niedrigere Grenzkosten
wiederum führen zu niedri-geren Preisen.
Kohlepreis — wichtige Determinante für börsengehandelte
Strompreise Bestätigt wird der starke Einfluss der Kohlepreise in einer
einfachen Regressi-onsanalyse. Denn die Vorjahresverände-rung des Strompreises
ließ sich in den vergangenen fünf Jahren durch die Verän¬derung des
Kohle-Futures (in Euro) gut erklären (Grafik 6). Dabei haben wir den
nächstfälligen Kohle-Future mit einem Monat Verzögerung eingehen lassen. Die negative
Konstante könnte dabei den preismindernden Struktureffekt eines steigenden
Angebots aus erneuerbaren Energien abbilden. Der CO2-Preis leistet in unserer
empirischen Betrachtung zwar überraschend (noch) keinen signifikanten
statistischen Erklärungsbeitrag, was aber wohl vor allem den parallel
gefallenen Kohlepreisen geschuldet sein dürfte. Tat-sächlich hat aber der
CO2-Preis durchaus einen signifikanten Einfluss auf die Strom-erzeugungskosten:
Denn selbst in einem moderneren Kohlekraftwerk werden laut Umweltbundesamt je
produzierter Kilowattstunde Strom knapp 750 Gramm CO2 ausgestoßen. Das
bedeutet, dass ein Anstieg des CO2-Preises um 1 Euro
Mehr erneuerbare Energien verschieben Angebot nach rechts
je Tonne die Kosten für eine Megawatt-stunde Strom um 0,75
Euro erhöht.
Wie aber sieht die künftige Entwicklung der Strompreise aus?
Derzeit ist in der Terminkurve eher eine Seitwärtsbewe-gung auf Sicht der
nächsten zwei Jahre eingepreist. Wir können uns sogar vor-stellen, dass die
Preise leicht steigen werden. Eine wichtige Rolle spielt dabei die von uns
erwartete Erholung der Kohle-preise. Zum einen arbeiten einige
Kohle-produzenten bereits unrentabel und dürf-ten deshalb ihr Angebot
zurückfahren, zum anderen dürfte China angesichts der niedrigen Weltmarktpreise
verstärkt Kohle im Ausland kaufen. Zudem dürfte Indiens Importbedarf weiter
anziehen. Da auch in den USA wieder verstärkt auf Kohle zurückgegriffen wird,
dürfte der Kohle-preis eher steigen, zumal sich auch im Euroraum die Konjunktur
leicht beleben sollte. Unterstützung für den Strompreis dürfte auch ein Anstieg
der CO2-Preise geben. Wir rechnen damit, dass sich im Trilog eine Einigung für
das »Backloa-ding« finden wird und folglich 900 Millio-nen Zertifikate bis 2016
zurückgehalten werden. Dass die Strompreise dennoch nur unterproportional
zulegen werden, ist dem zeitgleich weiter fortschreitenden Ausbau der
erneuerbaren Energien ge¬schuldet. Die damit verbundenen Kosten lassen die
EEG-Umlage steigen, der Groß-handelspreis dagegen wird belastet.
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