Donnerstag, 31. März 2011

Coimbra Portugal Reise Travel SelMcKenzie Selzer-McKenzie


Coimbra Portugal Reise Travel SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie

Sie liegt weit im Landesinneren, die portugiesische Stadt Coimbra. Die ehemalige Römersiedlun
am Mondego glänzt mit Szene-Kneipen, Second-Hand-Läden und Avantgarde-Bühnen.
► Es ist nur ein Augenblick, 20 Sekunden lang
oder vielleicht auch drei Minuten, dann ist alles
vorbei bis zum nächsten Abend. Vom westlichen
Ufer des Mondego kann man diesen Moment nicht
übersehen. Jogger unterbrechen ihr Training, Gas-
sigeher ihr Stöckchenwerfen. Jeder bleibt stehen,
jeder schaut hinüber zur Stadt. Und es soll schon
Autofahrer gegeben haben, die auf der Rua da Gu-
arda Inglesa derart heftig auf die Bremse traten, dass
ihnen der Hintermann in den Kofferraum ge-
rauscht ist In diesem Mo-
ment nämlich be-
ginnt die Stadt
zu leuchten, zuerst in den oberen Straßen, dann allmählich
auch weiter unten — als würde eine Ladung
flüssiges Gold über Mauern und Türme ausgeschüttet.
Kurz darauf liegt Coimbra in der anbrechenden
Dämmerung wie jede andere Stadt Portugals.
Tief verborgen
Coimbra? Kennt niemand, oder? Geht ja einigen
portugiesischen Städten so: Wer fährt denn schon
nach Braga oder Evora oder Guarda? Für die meisten
Reisenden besteht Portugal ja nur aus der Algarve
und vielleicht noch aus einem Abstecher nach
Lissabon. Coimbra liegt tief verborgen im Landes-
innern: 100 Kilometer südöstlich von Porto,
50 entfernt von den Stränden des Atlantiks.
Zufällig schaut man
hier nicht vorbei.
Es gab Zeiten, in
denen die
europäische Welt genau hierhin schaute. Gleich
Beginn des 14. Jahrhunderts hatte der portugie
sehe König Dom Dinis die Universität aus dem we
offen gelegenen Lissabon ins verschlossene Land
innere verlegt. Der Herrscher glaubte, dass die ah
schiedene Lage und die Natur den Studenten gut ti
würden und trug wohl nicht ganz zu Unrecht d
Beinamen „der Weise". So wurde aus der ehema
gen Römersiedlung am Ufer des Mondego eine
dade dos estudantes, eine Stadt der Lehre und c
Studiums. Mit einer Universität, die in den koi
menden Jahrhunderten mit dem werbewirksam
Logo "Älteste Uni Portugals" hausierte.
Es ist diese Uni, die Coimbra bis heute prägt Zt
einen, weil ihre Gebäude eine Stadt oberhalb
Stadt bilden, Türme und Kapellen, ein wunderhi
scher botanischer Garten und mit der Bibliob
Joanina eine der prächtigsten Bibliotheken
Iberischen Halbinsel. Alles zusammen eine arc
tektonische Krone an genau jener Stelle, an der
dem Siedlungen Portugals von einer Burg oder ei
Festung bewacht werden. Zum anderen, weil 20.'
Studenten in einer 100.000-Einwohner-S
natürlich einen ziemlichen I
fluss auf das Leben hal
In Coimbra gibt es n
Szene-Kneinen
Second-Hand-Läden und Avantgardebühnen
als in anderen Städten Portugals.
Und am Hang hinauf zur Cidade
Universitaria ziemlich viele alte Gebäude,
die von studentischen WGs in
Beschlag genommen worden sind. Aus
ihren Fenstern hängen Flaggen mit
Friedens- und Attac-Motiven. Auch das
sieht man sonst nicht so oft.
Diese steilen Wohnlagen sind übrigens
der beste Ort, um sich der Stadt zu
nähern, die sich von außen so majestätisch
gibt. Zu Blumentöpfen veredelte
Olivenölkanister stehen anarchisch
ungeordnet auf der Gasse, zwischen
den Pflastersteinen sprießt Gras, aus
geöffneten Küchenfenstern kommt der
Duft von Kartoffeln und Sardinen, die Katzen unter
den Fenstern maunzen hungrig. Vor einiger Zeit hat
die Stadtverwaltung damit begonnen, die bröselnde
Bausubstanz in diesen Straßenzügen zu restaurieren.
Aber jetzt schaut es so aus, als sei das Geld ausgegangen.
Überall Gerüste, aber keine Arbeiter.
Überall aufgerissene Straßen, aber niemand, der mit
dem Verlegen der Pflastersteine weitermacht. Stattdessen
Verkaufsschilder in den Fenstern: Hier in den
alten Gassen von Coimbra ist die Eurokrise nicht
nur eine Schlagzeile in den Fernsehnachrichten geblieben.
Irgendwer hat einen Graffito auf eine Hauswand
gesprüht, in Rot und Grün, den Nationalfarben
Portugals: „Esst Ihr weiter Euer Fastfood — und
lasst uns unseren Fa.do!"
Ob sich Coimbra den Gleichmachern der Globalisierung
geschickt verweigert hat oder von ihnen
einfach übersehen wurde, spielt eigentlich keine
Rolle: Man kann hier jedenfalls stundenlang umherstreifen,
ohne an jenen Kettenläden oder Franchise-Restaurants vorbeizukommen, die die meisten
Innenstädte Europas mittlerweile so beliebig und
austauschbar gemacht haben. Stattdessen entdeckt
man kleine Cafds und winzige Pastelerias, in denen
die Großmütter gerade mit dem heißen Blech aus
der Backstube kommen. Läden, in denen Platz ist
für zwei Regale mit Schmuck und die Werkbank der
Kunstschmiedin, der zweite Kunde aber schon in der
Tür stehen muss. Selbst auf der Rua Visconde da
Luz, der Promenade der Stadt, sind die allermeisten
Geschäfte in Familienbesitz, und statt Coffee-to-go-
Filialen gibt es Kaffeehäuser wie das großartige Cafd
Santa Cruz, das in einem alten Kirchengewölbe residiert.
Und wenn sich halb Coimbra nach Sonnenuntergang
auf den kleinen Plätzen der Stadt trifft
und über Gott und die Welt diskutiert, dann wird
selbstverständlich Wein aus der Region getrunken.
Sowieso sind das die schönsten Stunden des Tages,
wenn die Hitze aus den Mauern entweicht wie Luft
aus einem Ballon, wenn das letzte Licht des Tages
sich aus Leibeskräften festklammert und partout
noch nicht verschwinden will. Es sind diese Stunden,
in denen eine zeitlose, außerweltliche Atmosphäre
allmählich aus den Mauern hinaus in die
Stadt zu strömen scheint. In denen Coimbra
verwandelt, sich nicht mehr richtig in der Ge
wart festhalten kann und langsam in den J
hunderten zurückrutscht. Dann ist es, als sc
sich die Zeit hier einen Teufel um lineare
schriften. Als habe sie kleine Paralleluniversei
öffnet, aus denen die Epochen hinaus und ineii
der sickern.
Diese Stunden sind auch die Zeit der Fadosäi
Schließlich sind wir in Portugal. Spätestens um
ist in den Cafds, Clubs und Restaurants, die
musik auf draußen aufgestellten Schildern ver
chen, kein Platz mehr zu bekommen, auch v
Konzerte selten vor zehn oder elf am Abend lx
nen. Sobald die Musiker die Bühne betreten (b
hungsweise die Ecke im Lokal, die als Bühne dis
wird es mucksmäuschenstill. Fado-Balladen
musikalische Trostpflästerchen für die Kratze]
Alltags, sie berühren 20-jährige Studenten eb
wie 80-jährige Rentner. Viele, die nach dem Enc
nes Liedes begeistert applaudieren, haben zug
Tränen in den Augen.
Musik der Studenten
In Coimbra wird übrigens ein eigener, lokaler
Stil gepflegt, der Fado de Coimbra, ursprünglic
Musik der Studenten. Sie handelte von Liebschi
der Sehnsucht nach besseren Zeiten und der Sc
heit der Stadt. Weil das Themen sind, mit d
auch andere etwas anfangen können, handelt
der moderne Fado de Coimbra von Liebschaften
Sehnsucht nach besseren Zeiten und der Schö
der Stadt. Und manchmal geht es in den Lieden
jenen Moment, in dem es scheint, als werde
Ladung flüssiges Gold über Mauern und T
ausgeschüttet. In dem alles zu glühen schein
käme das Leuchten von innen heraus. Bis das
verblasst Und das Lied verhallt.

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