Donnerstag, 31. März 2011

Lötschental Schweiz Reise Travel SelMcKenzie Selzer-McKenzie

Lötschental Schweiz Reise Travel SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie

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Wenn aus jungen ledigen Burschen Hexen und Dämonen werden, ist Tschäggättun. Mit finsteren Masken und zotteligen Fellen ziehen sie zwischen Lichtmess und Faschingsdienstag durch die Dörfer und erschrecken Leute. Ein Brauch, der auf heidnisch-alemannische Wurzeln zurückgeht.

 Ein unwirtlicher Winterabend im Lötschental. Der Schneesturm fegt dicke weiße Flocken vor sich her. Auf der gegenüberliegenden Seite der men-schenleeren Straße scheppert ein schlecht geschlos-sener Fensterladen im Wind. Was für eine Insze-nierung für das Spektakel, für das das größte nörd
Die Lötschentaler Fasnachtsmasken sind ganz schön furchteinflößend.

liche Seitental der Rhöne seit Jahrhunderten be-kannt ist: die Tschäggättä. Wilde Gestalten mit grimmigen Larven und zotteligem Fell ziehen lär-mend durch die Dörfer.
Radau nach Feierabend
Jedes Jahr zwischen Lichtmess und dem Gigiszisch
tag, unserem Faschingsdienstag, jagen sie nach
Feierabend mit Radau durch das Tal, er
schrecken Passanten und schwärzen den
jenigen das Gesicht, an die sie nah genug
herankommen. Junge, meist unverhei
ratete Burschen, die den Brauch
mit den heidnisch-alemanni
schen Wurzeln pflegen und
am Leben erhalten. Unter ei
ner der Masken steckt Tho¬mas. Wegen des Berufs hat er das Lötschental schon lange verlassen, doch zum Tschäg¬gättun kommt er immer wie¬der zurück, schlüpft in abge¬tragene, nach links gedrehte Kleider, wirft die alten Bcho-pen (Felle von Ziege und
Schaf) darüber, streift Säcke
über die Stiefel, um Fußab¬drücke zu vermeiden, und zieht die Triämhändschen an, Hand¬schuhe aus Garnresten vom We¬ben. Um die Hüfte baumelt die Trichla, eine respektable Kuhglocke, die bei jedem Schritt laut scheppert „und auf Dauer furchtbar schwer ist", wie Thomas lachend erzählt, bevor er seine Larve mit den furchteinflößenden Gesichts¬zügen über den Kopf zieht.
Das Tschäggättun ist selbst in grimmig
schweißtreibende Angelegenheit. Seine Wurzel ha der Brauch in der einstigen Siedlung Giätricl gegenüber Wiler, wo bitterarme, von allen vertriebe ne Menschen im Mittelalter nachts als Schurten diebe zu Raubzügen aufbrachen, um das Notwen digste zum Leben zu erbeuten. Wilde Verkleidungen und Masken sollten sie unkenntlich machen. Da Wort Tschäggättä kommt von der gescheckten Auf machung.
Das und noch viel mehr erzählt Agnes Rieder. Sie ü die Grand Dame der Maskenschnitzerei, die re nommierteste ihrer Zunft im Lötschental. Nich nur, dass die zierliche Frau seit 40 Jahren mit virtu oser Hand Masken von höchster künstlerische Qualität anfertigt. Ihre Familie, allesamt Masken schnitzer, hat im ehemaligen Kelle; der zu warn war, um darin Lebensmittel zu lagern, eine Ausstel lung eingerichtet (Montag bis Samstag Besich tigung nachAnmeldung, Tel. 0041/27/939139. www.maskenkellerch). Heute befindet sich hier m mehr als 400 Exemplaren eine der größten Masken sammlungen Europas. Ein Großteil gefertigt vo Familienmitgliedern und allesamt als sogenannt Traglarva geschnitzt, die auch immer wieder zur Gebrauch ausgeliehen wurden und werden. Wäh rend sie die Schürze umbindet und sich an di Werkbank setzt, um ihren wissbegierigen Besucher zu zeigen, wie aus einem Stück Holz ein Charaktei kopf entsteht, erzählt Agnes Rieder aus der G( schichte. „Manche alte Masken haben einen deu lich afrikanischen Einschlag", erzählt sie und ch von, wie die Erzählungen der heimkehrende Missionare einst die Schnitzer beeinflussten. Wuchtig waren die Larven, vergleichsweise primit und allesamt gehömt. Auch an den noch nicht ricl tig angeordneten Augen erkennt man die älteste Stücke in den Ausstellungsräumen. Die meisten d: von sind zottig. Im Lauf der Jahre wurden sie leicl ter und filigraner. Irgendwann waren sie so gefrai
Das war in der Zeit, als das Tschäg¬gättun etwas aus den Rudern lief. Zu wild trieben es manche und spielten unter dem Schutz der Maske derbe, gewalttätige Scherze. Heute wird wie¬der mehr Wert auf die künstlerische Arbeit gelegt.
Während sie erzählt, hat Agnes Rieder dem groben Klotz mit kräftigen Hie¬ben eine erste Form gegeben. Ihr Material ist traditionell Arvenholz, ge¬wonnen von genügsamen Nadelbäu¬men, die in großer Höhe wachsen. Im Lötschental waren diese Bäume seit je¬her kostbar, weil es nur wenige davon gab. Da ist es gut, den Förster zu ken¬nen, der einen benachrichtigt, wenn er ein geeignetes Stück findet. Auch für die richtigen Accessoires brauche es Glück und Organisations¬talent..Zähne etwa seien immer schwer zu bekom¬men, und man müsse schon früh am Morgen in den Schlachthof gehen, erzählt Agnes Rieder, während sie eine, Schale herumgehen lässt: eindrucksvolle Kauwerkzeuge von Ziegen, Kälbern, Kühen und Pferden mit langen, massiven Wurzeln.
Zähne sind entscheidend
Zusammen mit einer großen, markanten Nase und dem obligatorischen Fell von Bergziege oder dem gewellten Pelz von Lötschentaler Schwarznasen-schafen sind die Zähne entscheidend für das Aus-sehen der Maske. Wie er sie gestaltet, ist Stil des Schnitzers. Agnes Rieder ist die Künstlerin, die unter anderem für ihre Augenbrauenpartien bekannt ist. Ehemann Ernst macht lustige Gesichter, während

einer der Söhne mit seinen Rambomasken einen Kontrast zu den klassischen Exemplaren liefert. Der Bummel durch den Maskenkeller wird zur Ent-deckungstour. Die Rieders sind herzliche Gastgeber, die mit viel Enthusiasmus erklären. Etwa die feinen Unterschiede, dass „Bchäggättä die mit Holzmas-ken und Fellen verkleideten Gestalten sind und mit Fuigini, Otschini oder Hibschi Liit alle anderen mas-kierten Gestalten bezeichnet werden". So Andreas, einer der sechs Riederkinder, der selbst zehn Jahre als Tschäggättä unterwegs war.
Der Part des zweifachen Familienvaters war das Be-malen der Larven. „Mit der Farbe erhält die Maske ihre Seele", erklärt er. Ursprünglich wurden Blut und Grünspan vermischt, um das Holz zu veredeln. Später nahm man den Sud von Wurzeln. Etwa zehn bis 50 Stunden dauert es, bis mit Fantasie und handwerklichem Geschick eine fertige Larve ent-standen ist. 500 bis 2000 Schweizer Franken

Zeit stehen geblieben
Mit guter Kondition und Erfahrung im Gelände be gibt man sich im Lötschental auf einen Thuren ldassiker. zur Hollandiahütte, hinter der sich dfi breite Zunge des Aletschgletschers ins Tal schiebt Der Aufstieg beginnt in Blatten. Hier scheint die Zei stehen geblieben zu sein. Säge, Mühle, der reakti vierte historische Dorfbackofen und die winziger Bauernhöfe vermitteln hier Puppenstuben-Atmo sphäre. Zunächst geht es langsam bergauf in der Talschluss. Im Maiensäss ziehen sich die Spurer vorbei an Häusern, denen der Schnee bis zu der Fenstern reicht Bald wird es steiler. Gletscherspalter fordern die Aufmerksamkeit. Aber bei jeder Kehn wird man belohnt mit einem Blick ins Tal. Ir gendwann sind die bunten Gebetsfahnen zum Grei fen nah, die vor der Hütte im Wind flattern. Und wei weg der Lärm und Krach der Bchäggättä, die jetz im Tal durch die Gassen ziehen.

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