Donnerstag, 26. Januar 2017

Im Reich der Inka - Hörbuch

Im Reich der Inka – Hörbuch
Author D. Selzer-McKenzie
YoutubeVideo: https://youtu.be/V90q2IyoygE


Als Francisco Pizarro und seine spanischen Begleiter im De-
  zember 1533 Cuzco erreichten, wurden sie von den Inka dort
  als Befreier begrüßt. Sie hatten Atahuallpa, einen der Söhne
  Huayna Capacs (Tabelle 1), im nördlichen Hochland des
  heutigen Peru, in Cajamarca, gefangengenommen, und es
  schien, als wären sie aus dem Nirgendwo gekommen, um die
  Sache seines Bruders Huascar zu unterstützen, jenes Sohnes,
  der nach dem Tod Huayna Capacs die Nachfolge angetreten
  hatte. Atahuallpa hatte seinem Vater als Anführer während
  eines langen Krieges an der Nordgrenze des Inkareiches ge-
  dient, und als Huayna Capac starb, war die Armee im Nor-
  den unter seinem Befehl geblieben. Huascar, von seinem Vater
  in Cuzco zurückgelassen, nahm zu Recht an, daß es zu einer
  Auseinandersetzung mit seinem Bruder kommen werde. Ein
  Krieg zwischen den beiden brach aus. Zum Zeitpunkt von
  Pizarros Ankunft hatte Atahuallpa den Krieg gewonnen, und
  Huascar war gefangengenommen worden. Pizarros Eingreifen
  in Cajamarca stellte eine plötzliche und völlig unvorhersehba-
  re Wende für Huascars Seite dar.
  Huascar, bei Pizarros Ankunft ein Gefangener der Truppen
  Atahuallpas, wurde auf Befehl seines Bruders - der sich zu
  dieser Zeit bereits in der Hand der Spanier befand - getötet,
  bevor er in das spanische Lager gebracht werden konnte. In
  Cajamarca befahl Pizarro seinerseits die Hinrichtung Ata-
  huallpas. Als er die Hauptstadt der Inka, Cuzco, im südlichen
  Hochland des heutigen Peru erreichte, traf er auf einen weite-
  ren Bruder, Manco Inca, der von den Inka in Cuzco zum
  nächsten Herrscher gewählt worden war. Pizarro und Manco
  verbündeten sich, um, so nahm zumindest Manco an, gegen
  Atahuallpas Truppen zu kämpfen, die noch nicht besiegt
  worden waren.1
  Die glücklichen Umstände seiner Ankunft und seine skru-
  pellose Tat gaben Pizarro ein mächtiges Reich der Neuen Welt
  in die Hand. Die Inka herrschten über ein Gebiet, das vom
  7
    
  Karte 1:
  (nach Hyslop 1990)
  Hochland Ekuadors im Norden bis Mittelchile im Süden
  reichte. Im Westen bildete der Pazifik die Grenze, die Ost-
  grenze befand sich auf den niedrigeren Stufen der Andenkette
  im Amazonas- und Chaco-Becken.2
  Die Inka nannten dieses Gebiet „Tahuantinsuyo“ oder „die
  vier Teile“ (Karte 1). Die wesentliche Unterteilung war jedoch
  in Hälften, Hanansaya und Hurinsaya. Die Teilung in saya
  war typisch für die meisten Gebiete, über die die Inka herrsch-
  ten; die Stadt Cuzco selbst war in Hanan- und Hurinsaya
  gegliedert. Hanansaya bestand noch aus zwei weiteren Teilen:
  Chinchaysuyo und Andesuyo. Hurinsaya umfaßte die übrigen
  beiden Teile: Collasuyo und Condesuyo. Die saya/suyo- Glie-8
  derung konnte durch Bezug auf den menschlichen Körper beschrieben werden: Wenn jemand (in Cuzco) mit seinem
  Rücken zur aufgehenden Sonne stand, lagen Chinchaysuyo
  und Andesuyo auf der rechten Seite, Collasuyo und Con-
  desuyo befanden sich links.3 Die Teile waren nicht gleichwer-
  tig: Chinchaysuyo und Collasuyo waren größer und hatten
  ein höheres Prestige als Andesuyo und Condesuyo.
  Das Tahuantinsuyo umfaßte Teile des Territoriums von fünf
  heutigen Anden-Republiken. Wenn wir den Aufwand der Inka
  beim Bau von Straßen und Brücken, bei Projekten zur Was-
  serkontrolle und bei der Umsiedelung von Bevölkerung zwi-
  schen Regionen, der Koordinierung des Ackerbaukalenders
  zwischen verschiedenen ökologischen Zonen und schließlich
  bei der Nutzung von Ressourcen in weit entfernten Gebieten
  betrachten, beeindrucken uns die Fähigkeiten der andinen Be-
  völkerung genauso wie einst die Spanier, die als erste das Inka-
  reich betraten. Wenn wir zu den Leistungen der Inka außerdem
  die Entwicklung der Bronzeherstellung, des fein eingepaßten
  Steinmauerwerks, hervorragende Tapisserie-Webereien und an-
  dere Handwerksleistungen hinzufügen, die alle während des
  relativ kurzen Zeitraums der Inkaherrschaft entstanden, dann
  bekommen wir einen Eindruck von der Höhe des Erreichten bei
  diesen Gesellschaften vor ihrem Kontakt mit Europa.
  Die technischen und künstlerischen Leistungen der Inka
  waren die Folge eines Entwicklungsprozesses von Jahrtausen-
  den andiner Kultur, dabei waren die Inka die Erben früherer
  andiner Staaten, wie die Ergebnisse archäologischer Forschun-
  gen gezeigt haben. Es gab allerdings vor der Ankunft der Eu-
  ropäer keine Schrift. Um die verschiedenen Arten von Infor-
  mationen aufzuzeichnen, die für die Verwaltung eines großen
  Reiches notwendig sind, benutzten die Inka Knotenschnüre,
   quipo  genannt. Von einer Hauptschnur hingen eine Anzahl Schnüre mit Knoten herab. Die Informationen wurden verschlüsselt, indem man verschiedenfarbige Schnüre und ver-
  schiedene Knotentypen verwendete. Am einfachsten konnten
  durch diese Knoten numerische Information festgehalten wer
  den (Abb. 1). Die Position der Knoten auf einer Schnur zeigte
  9
    
  Abb. 1: Ein Beamter zeigt
  Topa Inca einen quipo
  (Guaman Poma de Ayala,
  1936, S. 335 [337]).
  an, welchen Platz im Dezimalsystem eine Zahl einnahm.4 Die
  Inka benutzten die quipo  für Zensus- und andere Zahlenangaben. Quipo  wurden auch für nicht-numerische Listen verwendet (siehe Tabelle 5) sowie als Hilfen, um mündliche Be-
  richte über die Inka-Herrscher aufzuzeichnen. In diesem Fall
  waren die Menschen, die die Knoten anbrachten oder durch
  sie ausgebildete Personen die einzigen, die diese quipo  entzif-fern konnten. Als die Spanier über die Inka schrieben, hielten
  sie viele Aspekte andiner Kultur fest, die schwer, wenn nicht
  sogar überhaupt nicht archäologisch erforscht werden kön-
  nen. Historiker und Ethnologen, die sich mit den Anden be-
  schäftigen, haben daher ihre Aufmerksamkeit häufig den Inka
  gewidmet, da ihre Kultur uns dank der Schriften der Spanier
  besser zugänglich ist.
  Über die Inka gibt es schriftliche Zeugnisse, aber diese sind
  nicht unproblematisch. Die Spanier beherrschten am Anfang
  10
  nicht das gesamte Inkareich und wußten in den ersten Jahren nach ihrer Ankunft in Cuzco nur wenig darüber. Erst die fort-gesetzten Entdeckungszüge führten dazu, daß um 1540 der
  größte Teil des Gebiets, das einst der Herrschaft Cuzcos un-
  terstand, von Spaniern unter Führung Francisco Pizarros er-
  obert worden war. Obwohl die Spanier eng mit Angehörigen
  der inkaischen Elite und anderen Einheimischen zusammen-
  lebten, befanden sie sich zunächst am Rand einer Welt, die ih-
  rer gewohnten Kultur sehr fremd war, und beobachteten von
  dort als Augenzeugen die Ordnung, die die Inka aufgebaut
  hatten. Zunächst schrieben sie einfach ihre Beobachtungen
  auf; sie waren beispielsweise besonders von den monumenta-
  len Bauten der Inka beeindruckt. Was wir über die Inka erfah-
  ren können, ist in solchen Berichten zu finden, aber viele
  wichtige Aspekte andiner Kultur wurden kaum wahrgenom-
  men oder übersehen.
  Ein offizieller Bericht der Ereignisse bei der Eroberung
  wurde von Francisco Pizarros Sekretär verfaßt und 1534 ver-
  öffentlicht. Verschiedene andere Spanier verfaßten in den er-
  sten Jahren nach der spanischen Eroberung sogenannte Chro-
  niken. Was sie beobachteten und erlebten, schrieben sie auf,
  aber ihr Zugang zu dieser an sich fremden Welt war noch sehr
  begrenzt. Dennoch sind ihre Berichte oder Chroniken alles,
  was wir über die Zeit der Herrschaft der Inka-Dynastie in den
  Anden besitzen.
  Von den Werken aus den ersten Jahrzehnten nach dem spa-
  nischen Einfall wurde nur ein einziges von einem Angehörigen
  der Inka-Elite verfaßt. Titu Cusi Yupanqui, Kopf der Dynastie
  an ihrem Zufluchtsort in Vilcabamba, diktierte einen Bericht
  an den spanischen König über die Behandlung seiner Vorfah-
  ren durch die Spanier (1570). Er behandelte aber nur die Er-
  eignisse nach der Ankunft der Spanier und nicht die vorspani-
  sche Zeit.5
  Das Interesse an der Geschichte der Inka setzte erst etwa
  ein Jahrzehnt nach dem Einfall Pizarros ein. Zu diesem Zeit-
  punkt hatten die Spanier entdeckt, daß die Inka durchaus
  Mittel zur Weitergabe von Informationen über ihre Vergan-
  11
  genheit hatten, indem sie entweder die Informationen gezielt auswendig lernen ließen oder Erinnerungshilfen wie die quipo, die Knotenschnüre, benutzten. Zumindest eine Gattung der Ge-schichtserinnerung wurde öffentlich vorgetragen: Die cantares, wie sie auf spanisch hießen, wurden gesungen oder rezitiert.
  Sie mußten auswendig gelernt werden, und man kann vermu-
  ten, daß ihr Versmaß dabei half, den Inhalt genau weiterzuge-
  ben. Eine zweite Gattung waren Malereien auf hölzernen Ta-
  feln mit Angaben über einzelne Persönlichkeiten. Eine dritte
  Gattung schließlich war eine Form nicht-öffentlicher Berichte,
  die Informationen über Eroberungen und Tribute für denje-
  nigen, der einmal Nachfolger des Herrschers werden sollte,
  festhielten. Angaben aus solchen inkaischen Quellen wurden
  in die spanischen Geschichtswerke aufgenommen, und Ange-
  hörige der Elite Cuzcos haben noch im 17. Jahrhundert Be-
  richte über ihre Vergangenheit tradiert, auch wenn die eben
  beschriebenen verschiedenen Gattungen nicht alle erhalten
  geblieben sind oder zumindest sehr verändert wurden.6
  Spanische Autoren geben selten die genauen Quellen ihrer
  Texte an, so daß wir nicht wissen, woher sie ihre Informationen
  bekamen. Wir können nicht beurteilen, ob sie Gehörtes genau
  niederschrieben (und übersetzten) oder ihr Quellenmaterial
  frei nacherzählten, zusammenfaßten und interpretierten. Daß
  sie inkaische Quellen benutzten, ist sicher. Sie schrieben weit
  mehr über die Geschichte der Inka (und weit weniger über die
  anderen Völker Südamerikas), weil sie auf einheimische hi-
  storische Überlieferungen zurückgreifen konnten.
  Obwohl ihre Darstellungen auf inkaischen Überlieferungen
  beruhten, so ist doch keine direkte Niederschrift historischer
  Traditionen der Inka erhalten, da alle Geschichtswerke auf
  spanisch verfaßt wurden. Selbst wenn Überlieferungen der In-
  ka relativ genau übersetzt wurden, birgt die Übertragung in
  eine andere Sprache Probleme für unser Verständnis.
  Die Spanier haben dem ihnen Erzählten vermutlich eine
  chronologische Ordnung gegeben, das heißt, sie haben die in-
  kaische in eine den Spaniern geläufige Form übertragen.
  Wenn beispielsweise die Spanier ihre Informationen von den
  12
  Bewahrern der Lebensgeschichten einzelner Herrscher gesammelt haben, dann ist die historische Abfolge der Inka-Herr-
  scher, die sich in den meisten Geschichtswerken findet, mögli-
  cherweise die Folge einer Interpretation der Quellenangaben,
  da eine chronologische Abfolge wie in der spanischen Ge-
  schichtsschreibung eingeführt wurde. Die Abfolge der Herr-
  scher wäre dann eine Hispanisierung der ursprünglichen in-
  kaischen Überlieferung.7
  Eine der ersten Darstellungen über die Geschichte der Inka
  ist im zweiten Band des umfangreichen Werkes von Pedro
  Cieza de León enthalten, eines spanischen Soldaten, der mit
  dem Gouverneur von Peru 1549-1550 das Land bereiste. Er
  erzählt die Geschichte der Inka-Dynastie von der Zeit ihres
  mythischen Ursprungs und ersten Ahnen, Manco Capac, bis
  zur Ankunft der Spanier, ein Zeitraum von elf Generationen
  (Tabelle 1). Cieza schrieb die historischen Traditionen der In-
  ka nieder, wie sie in Cuzco von Spezialisten mündlich überlie-
  fert wurden, und bemerkt, daß er sich in Cuzco und den Pro-
  vinzen auf prominente Angehörige des Inka-Adels als Quellen
  verlassen habe.8
  Tabelle 1: Inka-Herrscher
  seit Anfang des 15. Jahrhunderts bis 1532
  Inka-Herrscher
  Panaca
  1 Manco
  Capac
  Chima
  2 Sinchi
  Roca
  Raura
  3 Lloque
  Yupanqui
  Awayni
  4 Mayta Capac
  Usca Mayta
  5 Capac Yupanqui
  Apu Mayta
  6 Inca
  Roca
  Vica
  Quirao
  7 Yahuar
  Huaca
  Aucaylli
  8 Viracocha
  Inca
  Sucso
  9 Pachachuti
  Inca
  Yupanqui
  Inaca
  10
  Topa Inca Yupanqui
  Capac
  11
  Huayna Capac
  Tumipampa
  Huascar
  Atahuallpa
 
  13
  Der Inhalt anderer Geschichtswerke, die von Spaniern kurz nach der Eroberung verfaßt wurden, entspricht in groben
  Zügen Ciezas Bericht, d.h. sie beginnen mit dem mythischen
  Ursprung Manco Capacs und berichten über die Ereignisse in
  den folgenden zehn Generationen. Obwohl diese Berichte -
  dies mag überraschen - in vielen Einzelheiten der dynastischen
  Abfolge voneinander abweichen, berichten sie doch weitgehend
  übereinstimmend über die Expansion durch Eroberung des
  Inka-Reiches, die größtenteils unter den letzten drei Inka-Herr-
  schern stattfand: Pachacuti, Topa Inca und Huayna Capac. Ver-
  schiedene spanische Autoren geben an, daß Angehörige der
  Inka-Elite ihre Informanten waren. Ein Historiker aus dem
  17. Jahrhundert, der Jesuit Bernabe Cobo, benutzte, wie er
  schreibt, das Manuskript eines älteren Autors, aber fast die-
  selben Informationen konnten noch zu seiner Zeit in Cuzco
  gesammelt werden. Er erwähnt, daß nur die Inka diese Ge-
  schichten kannten und daß andere Indianer nichts davon
  wußten.9
  Die damaligen Darstellungen spanischer Autoren sind die
  Grundlage für alle späteren Werke über die Inka. Alle Texte
  sind darüber hinaus zeitgebunden. Vom 16. Jahrhundert bis
  ins 19. Jahrhundert wurde der Staat der Inka studiert, um
  sogenannte primitive Gesellschaften zu verstehen. Primitive
  Gesellschaften waren ein Konstrukt der Evolutionisten, die
  glaubten, alle Gesellschaften auf der Erde hätten ähnliche
  Entwicklungsstufen durchlaufen.10 Erst in der zweiten Hälfte
  des 19. Jahrhunderts begann man, die alten erzählenden Wer-
  ke zu benutzen, um eine Geschichte der Inka zu schreiben11 -
  Geschichte im Sinne einer chronologischen Erzählung von
  Ereignissen, von denen man glaubte, sie seien tatsächlich ge-
  schehen. Da die Erzählungen über die Inka entsprechend der
  dynastischen Abfolge chronologisch geordnet werden konn-
  ten, lag es nahe, sie für die Historiographie zu verwenden.
  In neuerer Zeit ist jedoch vorgebracht worden, daß die
  Spanier keine Form (oder mehrere Formen) von Geschichte
  festhielten, sondern Mythen, in denen die inkaische Sozial-
  organisation beschrieben war.12 Eine implizite Annahme, die
  14
  ihren Ursprung in dem Begriff der primitiven Gesellschaft hat, besagt, daß primitives Denken sich von unserem unterscheidet
  und Ereignisse nicht in einer chronologischen Reihenfolge
  festhält. Das primitive Denken erzeugt Mythen, nicht Ge-
  schichte.13 Doch obwohl die inkaischen Formen historischer
  Überlieferung sich von den historischen Traditionen der Spa-
  nier unterschieden, wurde bisher nicht versucht, ihre Eigenart
  zu definieren. Wir können nicht annehmen, daß die Spanier
  die mündlichen Traditionen fehlerlos in eine europäische
  Form umwandelten, aber genauso falsch erscheint die An-
  nahme, daß die Inka keine eigene historische Sicht entwickelt
  hätten. Zweifellos ist ein Teil des Materials, das die Spanier
  verwendeten, legendär. Beispielsweise hat ein Forscher festge-
  stellt, daß die Geschichten über Mayta Capac, den 4. Herr-
  scher, solchen über Herkules ähneln.14 Auch legendäre Ein-
  zelheiten wurden zusammen mit normalen Ereignissen in
  einer nahtlosen Erzählung verarbeitet, die als „wahr“ angese-
  hen wurde.
  Von einiger Bedeutung ist es, daß Nicht-Inka, die außerhalb
  Cuzcos von Spaniern befragt wurden, ähnliche Informationen
  über die Inka-Herrscher gaben, die für die Expansion verant-
  wortlich waren. Viele Zeugen kannten Huayna Capac, den
  11. Herrscher; andere kannten auch seinen Vater Topa Inca
  oder hatten von ihren Vorfahren von ihm gehört. In Chincha,
  einem Tal an der Südküste des heutigen Peru, wurde eine Ab-
  folge von vier lokalen Herrschern festgehalten, die bis zur
  Generation Pachacutis, des 9. Inka-Herrschers, zurückreichte,
  was die vermutete zeitliche Abfolge bei den Inka-Herrschern
  bestätigt.15
  In der folgenden Darstellung soll aus den genannten Quel-
  len eine Sicht der Inka-Geschichte entwickelt werden. Zwei
  Geschichtswerke sind besonders wichtig: Das erste wurde 1551
  von Juan de Betanzos geschrieben, der mit Angelina Yupanqui
  verheiratet war, einer Frau aus dem inkaischen Hochadel und
  Mitglied der Abstammungsgruppe Pachacutis. Betanzos’ enge
  Verbindung zu wichtigen Mitgliedern der Inka-Dynastie und
  seine Kenntnisse ihrer Sprache ermöglichten ihm den Zugang
  15
  zu den dynastischen Überlieferungen. Er gibt sehr viele Daten über Pachacuti, den 9. Herrscher, wieder, und die überlieferte
  Lebensgeschichte dieses Herrschers könnte seine Quelle gewe-
  sen sein.16
  Die andere Geschichtsdarstellung war von Pedro Sarmiento
  de Gamboa verfaßt worden. Sarmiento gehörte zum Gefolge
  des Vizekönigs Francisco de Toledo. Im Auftrag des Vizekönigs
  stellte er 1572 eine Geschichte nach Angaben von Mitgliedern
  der Inka-Dynastie zusammen. Obwohl er schreibt, seine Infor-
  mationen stammten direkt aus der mündlichen Überlieferung
  der Inka, scheint sein Bericht auch Daten zu enthalten, die von
  der spanischen Verwaltung und anderen über die Dynastie ge-
  sammelt worden waren.17 Sarmientos Bericht über das Leben
  Pachacutis behandelt dieselben Themen, die sich auch bei Be-
  tanzos finden, wenn auch nicht immer in derselben Reihen-
  folge. Er könnte Betanzos’ Manuskript benutzt haben. Aber
  trotz der strukturellen Ähnlichkeit bei den behandelten The-
  men, sind die Darstellungen der beiden Autoren so unter-
  schiedlich, daß umfangreiche Textkopien ausgeschlossen wer-
  den können. Da die mündlichen Überlieferungen der Inka mit
  Hilfe von quipo  festgehalten wurden und diese Form sich für Aufzählungen von Informationen anbietet, kann ein von
  beiden genutzter mündlicher Bericht über die Lebenszeit die-
  ses Herrschers die strukturellen Ähnlichkeiten erklären. Die
   quipo,  die Pachacutis Leben festhielten, wurden zusammen mit der Mumie des Herrschers gefunden, als Polo Ondegardo,
  ein spanischer Beamter, 1559 nach den mumifizierten Überre-
  sten der Inka-Herrscher suchte (die noch immer als Kult-
  objekte dienten). Dies ist ein weiterer Beweis für diese Hypo-
  these.18
  Sarmiento und Betanzos sind eine wichtige Grundlage der
  folgenden Darstellung. Neben einer Übersicht über die Erobe-
  rungen der Inka geben beide Autoren auch zahlreiche Infor-
  mationen über die soziale Organisation Cuzcos, sowohl vor
  der Ausdehnung des Reiches als auch danach. Tatsächlich ist
  die Reihenfolge der Ereignisse nicht so wichtig, und es wird
  nicht behauptet, daß sie historisch korrekt sei.
  16
  Als die Spanier die Herrschaft über das Reich an sich rissen, übernahmen sie die Verwaltung eines Gebietes, das für die Versorgung der Armeen der Inka und Unterstützung der Unter-
  nehmungen der herrschenden Elite bestimmt war. Die Spanier
  begannen sofort, im Andengebiet Wirtschaftsformen einzu-
  führen, die ihnen erlaubten, ein Leben wie in ihrer europäi-
  schen Heimat zu führen. Bei diesem Unterfangen wurden sie
  überall von den vorhandenen Organisationsformen behindert.
  In zwei Kapiteln dieses Buches (Kapitel 6 und 7) werden spa-
  nische Verwaltungsdokumente unsere wichtigsten Informati-
  onsquellen für die Herrschaft der Inka in den Provinzen sein.
  Es ist nicht leicht, die Natur der inkaischen Territorialorgani-
  sation zu klären, da die Dokumente sich nicht ausdrücklich
  darauf beziehen, wie die Zustände in der Vergangenheit wa-
  ren, sondern zeitgenössischen spanischen Zwecken dienen.
  Angaben aus diesen Quellen können aber zusammen mit In-
  formationen aus den Geschichtswerken dazu dienen, ein Bild
  von der vergangenen Welt der Inka zu entwerfen.
  Cuzco steht im Mittelpunkt dieser Studie, und die religiöse
  Erhöhung der Dynastie ist ihr Kern. Es gibt keine „inkaische
  Version“ der Geschichte, aber indem wir ihren Standpunkt
  einnehmen, können wir uns ihrer Sicht annähern. Dabei sollte
  man versuchen, keine vorgegebenen Kategorien bei ihrer Be-
  schreibung zu verwenden. Eine genaue Kenntnis des primären
  Quellenmaterials führt zur Entwicklung neuer Kategorien.
  Diese Studie bringt verschiedene Aspekte dessen zusammen,
  was die Ethnologen als Weltsicht bezeichnen und was man bei
  der Beschreibung europäischer Kulturen in Kategorien wie
  Religion, Wissenschaft und politische Ideologie aufteilt. Wenn
  in den folgenden Kapiteln von dem übernatürlichen Status der
  Inka-Herrscher, von der zeremoniellen Organisation Cuzcos
  und von der Beziehung zwischen der Dynastie und natürli-
  chen Felsformationen die Rede ist, dann handelt es sich dabei
  um verschiedene Aspekte inkaischer Glaubensüberzeugungen.
  Diese kann man nicht von dem inkaischen Verständnis der na-
  türlichen Umwelt trennen, also von dem, was wir als Wissen-
  schaft bezeichnen würden.
  17
  Auch wenn wir uns ernsthaft bemühen, die Weltsicht eines zeitlich und räumlich weit entfernten Volkes zu verstehen,
  und obwohl diese Studie versucht, die Perspektive der Inka zu
  vertreten, bleibt das Endprodukt doch immer unsere eigene
  Sicht. So wie die Technik, dreidimensionale Gegenstände zwei-
  dimensional wiederzugeben, eine wichtige Entwicklung in der
  westlichen Kunst war, so hat sich unsere Fähigkeit, Bilder der
  Vergangenheit zu entwickeln, seit Beginn der ersten Untersu-
  chungen über die Inka entwickelt. Wie eine perspektivische
  Zeichnung, sind unsere Bilder nicht identisch mit dem Origi-
  nal, sondern nur eine Annäherung.
  2. Die Entstehung des Inkareiches
  Ein Bericht über den Ursprung und die Herkunft der Inka fin-
  det sich in dem Geschichtswerk von Sarmiento de Gamboa.
  Vier Brüder und vier Schwestern, von denen zwei die Ahnen
  der Inka-Dynastie werden sollten, kamen aus dem mittleren
  von drei Fenstern an einem Ort namens Tambotoco hervor.
  Aus den seitlichen Fenstern kletterten zwei andere Vorfahren
  mit den Namen Maras und Sutic. Menschen, die von diesen
  beiden anderen Vorfahren abstammten, lebten in Cuzco, als
  Sarmiento sein Buch schrieb. Die Geschichte erklärt auch,
  welche anderen Abstammungsgruppen aus der Gegend von
  Tambotoco mit den Inka nach Cuzco gekommen waren und
  welche dort bereits siedelten, als die Inka in die Gegend ka-
  men. Sarmientos Geschichte behandelt nicht nur den Ur-
  sprung der Inka: Sie erklärt, wie die verschiedenen Gruppen
  von Einwohnern in die Gegend von Cuzco kamen. Indirekt ist
  es eine Beschreibung der Sozialorganisation der Stadt.19
  Tambotoco befand sich auf einem Hügel nahe Pacaritambo,
  etwa 30km südlich von Cuzco (Karte 2). Obwohl keine Anla-
  ge mit drei Fenstern in dieser Gegend entdeckt wurde, gibt es
  dort eine Höhle, die als der inkaische Ursprungsort aus den
  Mythen identifiziert wurde. Der Ort war ein wichtiges Heilig-
  tum der Inka und könnte von ihnen baulich verändert worden
  sein; möglicherweise wies er einst drei Fenster auf. Zwei
  relativ späte Quellen bilden die drei Fenster als quadratische
  Nischen ab, und eine Quelle stellt sie in einer horizontalen
  Reihe dar.20 Ob diese Darstellung rein symbolisch war oder
  auf dem Aussehen des Heiligtums beruhte, werden wir viel-
  leicht nie wissen, da das Heiligtum offenbar die Aufmerksam-
  keit der spanischen Missionare erregt hat, die schon bald nach
  der spanischen Einnahme Cuzcos solche Orte suchten, um sie
  zu zerstören.
  Angehörige der inkaischen Abstammungsgruppen führten
  ihren Ursprung auf Manco Capac und eine seiner Schwestern
  zurück. Bei Sarmiento heißt diese Schwester Mama Ocllo, in
  19
    
  Karte 2: Chilques- und Mascas-Gebiet (nach Julien 1991)
  anderen Berichten Mama Guaco. Wenn die Spanier die Be-
  zeichnung „Inka“ benutzten, so bezogen sie sich sowohl auf
  die Nachfahren dieses Paares als auch auf andere Gruppen,
  die den Status „Inka“ erhalten hatten. Diese größere Gruppe
  umfaßte eine Anzahl von Ethnien aus der Gegend von Cuzco,
  die auch unter einem anderen Namen bekannt sind. So lebten
  in der Gegend von Pacaritampo zwei Gruppen, die Chilques
  und Mascas. Angehörige dieser Gruppen waren auch Inka,
  obwohl sie nicht von dem Paar abstammten, das die Dynastie
  hervorbrachte. Was die Gruppe aller Inka zu verbinden schien,
  war eine Initiation nach einem ähnlichen Ritus. Bei einigen
  Gruppen war ein Bestandteil der Initiation von Jungen das
  20
  Durchbohren der Ohren, damit ein goldener Zylinder als Ohr-schmuck getragen werden konnte. Die Spanier nannten die so
  initiierten Menschen daher orejones  oder „Großohren“. Wir wissen nicht, welche weiteren Zeichen für den Status als Inka
  es für andere Männer oder auch für Frauen gab.21
  Die Nachkommen von Manco Capac und seiner Schwester
  sicherten sich eine zunehmend mächtigere Stellung. Es ist
  schwierig für uns, die frühe Geschichte der Inka vor der im-
  perialen Expansion zu ermitteln. Die spanischen Beschreibun-
  gen der Inka-Geschichte behandeln diese Frage nicht in der
  Weise, wie ein moderner Historiker es tun würde. Trotzdem
  enthält die historische Überlieferung, die an Betanzos und
  Sarmiento weitergegeben wurde, indirekt auch Informationen
  über das frühe Cuzco. Die zugrundeliegende Geschichte, so-
  weit man sie ermitteln kann und wenn man mythische Einzel-
  heiten beiseite läßt, ist nicht unglaubhaft und kann immerhin
  als eine Version der Vergangenheit angesehen werden, soweit
  man dabei in Erinnerung behält, daß Fehler und Mißver-
  ständnisse bei der Weitergabe sie verändert haben können.
  Diese Geschichte berichtet über die Ankunft der Gruppe aus
  Brüdern und Schwestern in Cuzco. Auf dem Weg dorthin
  machten sie mehrmals Halt, und nicht alle von ihnen erreich-
  ten die Stadt lebend. Die Zugehörigkeit zu Abstammungs-
  gruppen wurde über die männliche Linie bestimmt (s.u. S. 46),
  und drei Gruppen führten ihre Abstammung auf einen dieser
  Brüder zurück, einschließlich der Abstammungsgruppe der
  Herrscher, die von Manco Capac abstammte. Nur im Fall der
  Gruppe der Nachfahren Manco Capacs wird die weibliche
  Vorfahrin genannt.22
  Ein Problem, das vielleicht auf die Überlieferung durch die
  Spanier zurückgeht, ist der Mangel an Informationen über die
  Rolle der Frauen. Wenn die Inka Heiraten nutzten, um Bünd-
  nisse mit anderen Gruppen zu schließen, wie es während einer
  Periode ihrer Geschichte der Fall gewesen zu sein scheint, so
  beruhten die politischen Beziehungen zwischen den Inka und
  anderen Gruppen nicht nur auf Eroberung. Nun gibt es noch
  heute im Raum von Cuzco eine Hierarchie zwischen Grup-
  21
  pen, die Heiratspartner tauschen, bei der die „Frauengeber“
  eine höhere Stellung einnehmen als die „Frauennehmer“.23
  Die spanischen Autoren erwähnen solche Statusunterschiede
  nicht, aber ein einheimischer Autor bestätigt, daß es solche
  Unterschiede auch in der Vergangenheit gab.24 Diese Status-
  unterschiede sollte man in Erinnerung behalten, denn wenn
  die Inka uns über die Heiratsbündnisse früherer Generationen
  berichten, so berichten sie uns auch über eine implizite Unter-
  ordnung oder Gleichheit in den politischen Beziehungen zu
  anderen Gruppen im Raum von Cuzco. Die Geschichte über
  den Aufstieg zur politischen Macht im Raum von Cuzco ist
  die Geschichte von Eroberungen wie auch von Bündnissen.
  Die inkaischen Geschwister fanden bei ihrer Ankunft meh-
  rere Gruppen in dem Ort vor, der einmal Cuzco werden soll-
  te. Zwei lebten dort seit Urzeiten, während drei Gruppen, die
  nach ihren Führern hießen und aus derselben Gegend wie die
  Inka kamen, vor ihnen in das Gebiet von Cuzco eingewandert
  waren. Die alteingesessenen Gruppen waren die Sauaseras
  und Guallas. Die Guallas wohnten nahe dem späteren Arcu
  Puncu, einem Tor, das in Cuzco während der frühen spani-
  schen Besetzung gebaut wurde und durch das die Straße zum
  Titicacasee hinausging (Karte 3). Die Sauaseras lebten bei
  dem heutigen Kloster Santo Domingo. Offensichtlich waren
  es kleine Gruppen von Ackerbauern, deren Felder nahe bei ih-
  ren Wohnorten lagen.
  Die Inka griffen zuerst die Guallas an und töteten sie alle.
  Dann bedrohten sie die Sauaseras, die einen Führer der drei
  oben genannten Gruppen - mit Namen Copalimayta - zu
  Hilfe holten. Die Inka besiegten Copalimayta und nahmen
  ihm sein Land ab. Auf diesem Land, wo später auch der
  Tempel Coricancha gebaut wurde, ließen sie sich nieder. Von
  dieser Zeit an hielten die Inka das Gebiet zwischen den
  Flüssen Huatanay und Tullumayo besetzt, wo sich Cuzco
  entwickeln sollte.25
  Zwei Gruppen blieben übrig, die Alcabizas und Culunchi-
  mas, so genannt nach den Führern, die zuerst in das Cuzco-
  Tal eingewandert waren. Sie besetzten Land auf der anderen
  22
    
  Karte 3: Die Region urn Cuzco vor der Ausdehnung des Inkareiches Seite des Huatanay, die Alcabizas nahe dem ersten Santa Cla-ra auf der Plaza de Nazarenas und die Culunchimas in der
  Gegend nordöstlich von Belen an seinem ersten Standort in
  Coripata (Karte 3). Die Inka nahmen den Alcabizas ihr Land,
  indem sie die Quellen ihres Bewässerungssystems besetzten.
  Die Culunchimas wurden gezwungen, Tribut zu zahlen.26
  Hintergrund für diese Darstellung Sarmientos scheint zu
  sein, daß die Inka, die Alcabizas und Culunchimas einen ge-
  meinsamen Ursprung hatten. Es wird uns nicht erzählt, aber
  es scheint der Geschichte zugrunde zu liegen, daß all diese
  Gruppen Teile einer größeren Einheit waren, die in das Gebiet
  des Cuzco-Tals eindrangen, entweder durch unbekannte Um-
  23
  stände gezwungen oder aus eigenem Antrieb. Während die Inka das Land der Guallas und der Sauaseras mit Gewalt an
  sich rissen und dabei alle oder fast alle Einwohner töteten,
  wurde die Vorherrschaft gegenüber jenen Gruppen, die mit
  den Inka verwandt waren, auf friedlicherem Wege durchge-
  setzt. Ist die inkaische Geschichte vielleicht ein entstellter Bericht über die Expansion der Gruppe, zu der sie ursprünglich
  gehörten? Wenn dem so ist, so verbirgt sich dahinter die all-
  mähliche Machtverschiebung von anderen Zentren nach
  Cuzco. In den erhaltenen Berichten der Inka verschwindet die
  größere Einheit im Hintergrund.
  Es gibt keine endgültige Antwort auf die Frage, welche grö-
  ßere Gruppe dies gewesen sein könnte. Wenn die Ursprungs-
  mythe der Inka eine historische Situation als Kulisse benutzt,
  könnte die größere Gruppe das Gebiet von Pacaritampo be-
  wohnt haben, wo die Gruppen mit den Namen Chilques und
  Mascas noch zur Zeit der spanischen Eroberung lebten. Die
  Inka könnten zu einer dieser Gruppen gehört haben, oder die
  Chilques und Mascas waren Teile einer noch größeren Einheit.
  Ein anderes Problem ist die Zugehörigkeit der Guallas und
  Sauaseras. Nach der inkaischen Version der Ereignisse waren
  es unabhängige Dörfer. Wenn diese ebenfalls zu einer größe-
  ren Gruppe gehörten, dann hatte der inkaische Einfall in ihr
  Gebiet eine politische Bedeutung.27 Nach dem Bericht dar-
  über, wie die Inka das kleine Landstück, auf dem das spätere
  Cuzco errichtet wurde, einnahmen, springt die Inka-Überlie-
  ferung schnell auf eine Ebene, auf der eine Anzahl regionaler
  Mächte miteinander konkurrieren. Das Wechselspiel zwischen
  Mächten auf dieser höheren Ebene könnte auch die früheren
  Ereignisse beeinflußt haben, die dann aus der Sicht der Inka
  beschrieben wurden.
  Die Inka beherrschten später nicht nur die lokalen Gruppen
  in der Nachbarschaft, sondern Regionen weit darüber hinaus,
  und sie waren deshalb wohl nicht bereit, eine Version ihrer
  frühen Geschichte zu bewahren, nach der sie einst anderen
  Gruppen untergeordnet und - vom Gipfel ihrer späteren im-
  perialen Macht aus betrachtet - eine unbedeutende lokale
  24
  Macht waren. Die Beherrschung einer jeden Gruppe, auf die sie an ihrem Weg von der Zeit ihres wunderbaren Erscheinens
  bis zum Ende stießen, ist eine absichtliche Überhöhung wenig
  vielversprechender Anfänge und einer späteren erfolgreichen
  Wende.
  Alles in allem nennt die dynastische Überlieferung elf Gene-
  rationen von der Zeit Manco Capacs bis zu Huayna Capac,
  der kurz vor Pizarros Ankunft starb (Tabelle 1). In die Berich-
  te über die Lebensläufe dieser „Könige“ sind bestimmte Zei-
  chen eingearbeitet, die die Expansion der Inka ankündigen.
  Eines ist ein heiliges Objekt in Form eines Vogels, genannt
  Inti. Manco Capac brachte dieses Bildnis aus Tambotoco mit.
  Jeder Inka besaß ein ähnliches heiliges Objekt, genannt huaoque  oder „Bruder“, das an seine Nachkommen weitergegeben wurde. Inti war der huaoque  von Manco Capac. Manco Capac und einige Generationen nach ihm wohnten im Inticancha,
  und der Name, der „die Einfriedung des Inti“ bedeutet, könn-
  te sich auf den Ort beziehen, an dem Inti wohnte.
  Das Objekt selbst wurde in einem aus Stroh geflochtenen
  Kasten aufbewahrt, der von Manco Capacs Nachfahren für
  die nächsten fünf Generationen nicht geöffnet wurde, bis
  Mayta Capac den Mut dazu aufbrachte. Manche heiligen
  Objekte konnten sprechen, und Inti gab Mayta Capac nun
  Ratschläge. Zu dieser Zeit genossen die Alcabizas und Culun-
  chimas noch eine gewisse Autonomie, sie waren den Inka
  noch nicht vollständig untergeordnet. Mayta Capac unterwarf
  sie mit Waffengewalt. Das heilige Objekt Inti hatte also mit
  Kriegsführung zu tun. Mayta Capacs Sohn, Capac Yupanqui,
  war der erste Inka-Herrscher, der außerhalb der direkten Nach-
  barschaft Cuzcos Eroberungen durchführte. Capac Yupanqui
  und seine direkten Nachfolger unternahmen Feldzüge gegen
  Völker im Umkreis von etwa 20 km von Cuzco.28 Die Her-
  ausnahme des Inti aus seinem Behälter markiert also den
  Punkt, an dem die Inka begannen, jenes aggressive Verhalten
  zu zeigen, das zum Entstehen des Reiches führte.
  Die Inka gewannen von dieser Zeit an regionale Bedeutung,
  wenn auch ihre Überlieferung nicht berichtet, ob sie unab-
  25
    
  Karte 4: Cuzco-Region am Beginn der Ausdehnung des Inkareiches
  hängig handelten oder als Untergebene von anderen stärkeren
  Gruppen. Sie könnten damals noch den Ayarmacas unterge-
  ordnet gewesen sein, einer Gruppe im Nordwesten von Cuzco.
  Capac Yupanqui heiratete Curihilpay, von der es hieß, sie sei
  die Tochter eines wichtigen Machthabers bei den Ayarmacas
  gewesen. Nach allen Berichten waren die Ayarmacas die wich-
  tigste Gruppe in dieser Region (Karte 4). Der politische Führer
  der Ayarmacas war unter dem Namen Tocay Capac bekannt.
  Die Bezeichnung capac,  wenn sie einem Eigennamen folgt, bedeutet „erblicher Herrscher“ oder „König“. Da das Wort fak-tisch einem Titel entspricht, konnte man damit einen Men-
  schen bezeichnen, der den Titel zu einem bestimmten Zeitpunkt
  innehatte. Die inkaische Version der Ereignisse vor der Ausdeh-
  nung des Reiches kann interpretiert werden als ein Bericht der
  zunehmenden Bedeutung der Inka gegenüber anderen lokalen
  Mächten, und als wichtigste unter ihnen den Ayarmacas.29
  26
  Probleme entstanden, als Capac Yupanquis Sohn, Inca Ro-ca, Mama Micay heiratete, eine Frau aus der Gruppe der
  Guayllacanes, einer lokalen Macht, die Gebiete am Urubam-
  ba-Fluß nahe des heutigen Pisac einnahm. Die Guayllacanes
  hatten Mama Micay ursprünglich Tocay Capac versprochen.
  Eine Auseinandersetzung zwischen den Guayllacanes und
  Ayarmacas entstand. Während der Feindseligkeiten, die für
  die Guayllacanes mit einer Niederlage endeten, bekam Mama
  Micay einen Sohn. Eine der Bedingungen für den Frieden war,
  daß die Guayllacanes diesen Sohn entführen und Tocay Capac
  übergeben sollten. Durch Verrat, der vielleicht begünstigt
  wurde durch die Ayarmaca-Herkunft von Curihilpay, seiner
  Großmutter, wurde Inca Rocas und Mama Micays Sohn ge-
  fangengenommen und zu Tocay Capac gebracht. Der Junge -
  er hieß Yahuar Huaca - beeindruckte und erschreckte Tocay
  Capac, und er ließ ihn deshalb am Leben. Mit Hilfe einer an-
  deren regionalen Macht, die ihr Zentrum im Gebiet von Anta
  nordwestlich von Cuzco hatte, befreiten die Inka den Jungen.
  Später schlössen die Inka und Ayarmacas ein Heiratsbündnis.
  Eine Tochter von Inca Roca mit Namen Curi Ocllo wurde To-
  cay Capac als Ehefrau gegeben, während Yahuar Huaca eine
  Tochter von Tocay Capac, die Mama Chicya hieß, heiratete.30
  Die Heiratsverbindungen zeigen, daß die Inka zur Macht
  von gleichem Rang wie die Ayarmacas aufgestiegen waren.
  Aus einer untergeordneten Stellung hatten sie Gleichheit oder
  mindestens annähernde Gleichheit erreicht. Die Heiraten
  spiegeln die zunehmende Bedeutung der Inka in der Region
  um Cuzco. Sie scheint auch die Grundlage für militärische
  Bündnisse gewesen zu sein. In den Feldzügen, die Capac Yu-
  panqui führte, waren die Inka noch den Ayarmacas unterge-
  ordnet und handelten vermutlich bis zu einem gewissen Grad
  nach deren Plänen.
  Die Machtverhältnisse wandelten sich jedoch während der
  nächsten zwei Generationen, und zwar zugunsten der Inka.
  Viracocha, der Sohn Yahuar Huacas, führte Krieg gegen Tocay
  Capac und blieb siegreich. In der Version der Inka, wie von
  Sarmiento berichtet, ist dieser Sieg nur einer unter mehreren.
  27
    
  Karte 5: Gruppen im
  Inkareich, die im Text
  erwähnt werden (nach
  Rowe, in Lyon 1974,
  Urrutia 1985, Karte 1;
  Rowe 1948, Karte)
  In einer anderen Darstellung des Lebens von Viracocha, bei
  Cieza de León, gibt es genauere Angaben über die Eroberungen
  Viracochas. Nach Ciezas Bericht wagte sich Viracocha weit über
  Cuzco hinaus und unterwarf Gruppen, die in bis zu 100 km
  Entfernung in Richtung Titicacasee siedelten. Sarmiento scheint
  dagegen die Bedeutung Viracochas herunterzuspielen. Die Nie-
  derwerfung Tocay Capacs könnte ein entscheidender Moment
  in der Geschichte der inkaischen Eroberungen gewesen sein,
  aber er bekommt ebenfalls keinen herausragenden Platz in
  Sarmientos Darstellung.31
  Für Sarmientos Geschichte ist der Angriff auf Cuzco durch
  die Chancas, eine politische Einheit mit Zentrum im/ Gebiet
  von Andahuaylas nördlich von Cuzco (Karte 5), und der Auf-
  stieg Pachacutis, eines der Söhne Viracochas, zentral. Pachacuti ist die Hauptperson in der Inka-Geschichte, wie sie Sarmiento
  und Betanzos überliefern. Während seiner langen Regierungs-
  zeit unterwarfen er, seine Brüder und seine Söhne zahlreiche
  unabhängige Völker der Herrschaft Cuzcos. Die Stadt selbst
  wurde neu organisiert, geeignete Verwaltungsformen entstan-
  28
  den, und neue Kunststile spiegelten das Prestige und die Macht der Inka-Elite. Die Umwandlung von Cuzco und der herrschenden Elite wird in den folgenden Kapiteln erläutert.
  Die Geschichte der Inka-Expansion bei Sarmiento hat eine
  besondere Ausrichtung. Sie konzentriert sich auf diejenigen
  politischen Gruppen, die der Inka-Herrschaft zunächst wider-
  standen und durch Waffengewalt unterworfen wurden. Die
  Inka erreichten den Anschluß von Gruppen oft durch die blo-
  ße Androhung von Gewalt, aber solche Verhandlungen waren
  als Thema für den Geschichtsschreiber nicht so interessant
  wie Schlachten. Wegen dieser Voreingenommenheit wird uns
  hauptsächlich berichtet, welche Völker stark genug waren,
  den Inka zu widerstehen.
  In den Berichten über den Widerstand dieser Gruppen sind
  sehr interessante Informationen über die Herrschaftsstruktur
  enthalten. Folgt man Sarmiento, bezeichnete man die ver-
  schiedenen militärischen Führer, die die Inka besiegten, mit
  dem Titel capac.  Wie oben erklärt, bedeutet capac  nach einem Eigennamen „erblicher Herrscher“. Sarmiento scheint sich jedoch nicht bewußt gewesen zu sein, daß dieser Begriff ein
  Titel und kein Eigenname war. Jene Anführer, die sich capac
  nannten, waren den Inka besonders wichtig. Betanzos schreibt,
  daß Pachacuti beabsichtigte, alle Völker Cuzco zu unterwer-
  fen, und zwar besonders jene Herrscher zu entfernen, die capac waren, „weil es nur einen capac  geben sollte, ihn selbst“.32
  Da dies ein wichtiger und einzigartiger Aspekt in der histo-
  rischen Überlieferung der Inka ist, werden wir ein besonderes
  Augenmerk auf das werfen, was die Inka über die politische
  Organisation anderer Gruppen mitteilen: über solche Grup-
  pen, die Widerstand leisteten, und über Herrscher, die capac hießen.
  Der erste capac,  den die Berichte nennen, ist der schon er-wähnte Tocay Capac, der Führer der Ayarmacas (Karte 4).
  Zwei andere, die in der Gegend bei Cuzco lebten, Chiguay
  Capac und Pinau Capac (von den Pinaguas), wurden während
  der Feldzüge unter Viracocha besiegt und nehmen keinen be-
  sonderen Platz in Sarmientos Darstellung ein. Ein vierter,
  29
  Cuyo Capac, hatte als Herrscher seinen Sitz bei Pisac und wurde in einer frühen Phase der Regierung Pachacutis besiegt,
  direkt nach dem endgültigen Feldzug gegen Tocay Capac; die-
  se Kampagne gegen Tocay Capac hatte zu dessen Gefangen-
  nahme und zu lebenslanger Einkerkerung Cuyo Capacs ge-
  führt. Auf Cuyo Capacs ehemaligem Land, in Pisac, legte
  Pachacuti später einen privaten Landsitz an.33
  Zahlreiche Feldzüge fanden zu dieser Zeit in der Gegend
  von Cuzco statt. Bei diesen Kämpfen in ihrer näheren Umge-
  bung handelten die Inka allein, während sie bei ihren Vorstö-
  ßen in entfernte Gebiete offenbar mit ihren alten Feinden, den
  Chancas, verbündet waren.34
  Ihr erster erfolgreicher Vorstoß führte sie gegen die Soras
  (Karte 5). Dieser Feldzug wird mit vielen Einzelheiten bei Be-
  tanzos beschrieben, unter fast völligem Ausschluß von Anga-
  ben über andere Kriege;35 Sarmiento hingegen betont einen
  nachfolgenden Feldzug gegen Chuchi (oder Colla) Capac, den
  Herrscher der Collas (Karte 5). Die Soras könnten für die In-
  ka eine besondere Bedeutung gehabt haben, die uns nicht klar
  ist, während die Bedeutung des Sieges über Colla Capac ein-
  deutig ist: Die Inka übernahmen dadurch ein sehr großes Ge-
  biet. Nach der Niederlage Colla Capacs konnten die Inka ihre
  Herrschaft über die gesamte Titicacasee-Region und das Ge-
  biet südwestlich zum Pazifik ausdehnen.36 Von diesem Zeit-
  punkt an war der Landbesitz der Inka größer als der jeder an-
  deren politischen Einheit in den Anden zu ihrer Zeit. Was als
  eine Auseinandersetzung zwischen Gruppen im Gebiet von
  Cuzco und ihren Nachbarn begonnen hatte, war zu einem
  Reich geworden.
  Obwohl Pachacutis Leistungen vielleicht übertrieben wur-
  den, ist die Absicht, das gesamte Andengebiet der Herrschaft
  Cuzcos zu unterwerfen, zu seiner Zeit bereits deutlich. In
  Sarmientos Bericht erfolgte die Neuorganisation Cuzcos kurz
  nach Verteidigung der Stadt gegen die Chancas und bevor die
  Inka Colla Capac besiegten, was ein Hinweis darauf wäre,
  daß Pachacutis imperialer Ehrgeiz der Erwerbung eines gro-
  ßen Territoriums vorausging. Allerdings dürfte die umgekehr-
  30
  te Reihenfolge eher der Realität entsprechen. Die Inka fanden sich vermutlich im Besitz eines Reiches, bevor ihnen bewußt
  wurde, daß sie ihre Hauptstadt entsprechend umwandeln
  mußten, damit sie ihr neues Ansehen und ihre Macht wider-
  spiegelte.
  Wie auch immer, die Inka scheinen noch immer mit den
  Chancas verbündet gewesen zu sein. Dieses Bündnis zerfiel
  während eines Feldzuges in Parcos, nahe dem heutigen
  Ayacucho, wo die Verbündeten auf erheblichen Widerstand
  stießen. Der Anführer der Chancas desertierte zusammen mit
  seiner Armee; und der Bruder Pachacutis führte die Inka-
  Armee unter seinem Kommando weiter nach Norden, als ihm
  befohlen worden war, und provozierte so eine Konfrontation
  mit Cuzmango Capac und dessen Verbündetem, Chimo Capac
  aus dem Reich Chimor (Karte 5). Cuzmango Capac, der das
  Gebiet um das heutige Cajamarca beherrschte, und Chimo
  Capac, der ein eigenes Eroberungsprogramm an der Küste im
  Westen begonnen hatte, besaßen zusammen genug Macht, um
  den Inka eine ernsthafte Niederlage beizubringen. Vermutlich
  dank glücklicher Umstände konnte Pachacutis Bruder diese
  beiden Herrscher in einer Schlacht besiegen und gefangen-
  nehmen und somit einen möglicherweise höchst gefährlichen
  Konflikt beenden, bevor er richtig begonnen hatte.37
  Die Festigung der Inka-Herrschaft über ein so großes Ge-
  biet beanspruchte zwar geraume Zeit, die einmal einverleibten
  Völker blieben aber dauerhaft Teil des Reichs. Versuche aus-
  zubrechen, so wie die Rebellion der Collas kurz nach dem
  Sieg über Chimo Capac und Cuzmango Capac, waren erfolg-
  los.38
  Auf diesem und folgenden Feldzügen überließ Pachacuti
  den Befehl seinen Brüdern und seinen Söhnen, als er alt genug
  war, befehligte sein Sohn Topa Inca die Inka-Armeen. Ein
  weiterer wichtiger Feldzug gegen drei Herrscher, die als capac bezeichnet wurden, fand im Hochland des heutigen Ekuador
  statt. Diese Herrscher - Pisar Capac, Canar Capac und Chica
  Capac - leisteten Widerstand gegen die Inka. Obwohl es hieß,
  alle drei seien gefangengenommen worden, kämpfte einer von
  31
  ihnen oder ein Nachfolger gleichen Titels, Pisar Capac, später gegen die Inka in Tomebamba, dem Sitz ihrer Verwaltung im
  südlichen Hochland Ekuadors. Pisar Capac verbündete sich mit
  Pillaguaso, einem Führer von Gruppen aus dem Gebiet von
  Quito (Karte 5). Noch vor Pachacutis Tod hatten die Inka das
  gesamte Hochland Ekuadors ihrem Reich angeschlossen.39
  Pachacuti lebte lange genug, um die Geburt eines Enkels zu
  erleben, den er zum Nachfolger seines Sohnes Topa Inca er-
  nannte. Obwohl seine Bemühungen, die Nachfolge bei den
  Inka über zwei Generationen zu regeln, letztlich erfolgreich
  waren, versuchten die Collas bei seinem Tod, wieder ihre
  Freiheit zurückzugewinnen, als ob Pachacuti allein die Macht
  der Inka aufrechterhalten hätte. Diesmal ging der Aufstand
  von den Collas aus dem Umasuyo, einem Teil des Colla-
  Gebiets nördlich des Titicacasees, aus (Karte 7). Als die Collas zuerst unterworfen worden waren, hatten sich die militärischen Aktionen auf das Urcosuyo, den anderen Teil des Colla-
  Gebiets, in dem der Colla Capac lebte, konzentriert. Damals
  hatten sich die Bewohner des Umasuyo friedlich untergeord-
  net. Vermutlich wegen ihres späteren Aufstands nahm Topa
  Inca eine Neuorganisation der Region vor und richtete dort
  private Landsitze ein. Dieses Thema wird später noch genauer
  besprochen, wenn die Besitzungen der verschiedenen dynasti-
  schen Verbände behandelt werden.40
  Topa Inca schlug den Aufstand der Colla nieder und zog
  dann weiter nach Süden zu einer Militärkampagne, auf der er
  weitere unabhängige Gruppen unterwarf, unter anderem jene
  aus dem Gebiet des heutigen Zentralchile. Nach dem Tod
  seines Vaters fand nur ein einziger anderer Feldzug statt, der
  Topa Inca ins Andesuyo führte, in die dicht bewaldete Region
  östlich Cuzcos.41
  Die Eroberungen waren weitgehend abgeschlossen, als
  Huayna Capac die Macht von seinem Vater erbte. Er kämpfte
  an der heutigen Nordgrenze Ekuadors, und er annektierte die
  Provinz Atacama nördlich des Gebiets in Chile, das sein Vater
  bereits erobert hatte. Eine Verteidigung wurde an der Grenze
  östlich des heutigen Sucre, in Bolivien, organisiert, um Einfäl-
  32
  1e von unabhängigen Völkern jenseits der Grenze zu unter-binden, die als Chiriguanáes bezeichnet wurden.42
  Huayna Capac starb plötzlich, unmittelbar vor dem spani-
  schen Einfall unter Francisco Pizarro und Diego de Almagro.
  Weitere Vorhaben, neue Gebiete zu unterwerfen, kamen zu
  einem Halt oder wurden von dem Bürgerkrieg zwischen Par-
  teien aus der Elite Cuzcos überschattet. Der Bürgerkrieg war
  eine Katastrophe großen Ausmaßes. An der Spitze der Sieger
  stand ein Sohn Huayna Capacs namens Atahuallpa, der mit
  seinem Vater in Ekuador gekämpft hatte und dort mit den In-
  ka-Armeen geblieben war, als der Körper seines Vaters nach
  Cuzco zurückgebracht wurde. Atahuallpas Anführer hatten
  gerade begonnen, sich die Kontrolle über Cuzco zu verschaf-
  fen, als der Einfall der Spanier sie unterbrach. Sie hatten die
  Tötung aller Mitglieder der gegnerischen Familien befohlen,
  die in Cuzco gefunden werden konnten.43
  Cuzco war der Mittelpunkt des Machtbereichs der Inka. Es
  hatte den Bürgerkrieg ohne Zerstörungen überstanden. Als
  die Spanier die Stadt Ende 1533 betraten, begriffen sie erst-
  mals wirklich, welch ein Reich sie erobert hatten.
  3. Die Hauptstadt Cuzco
  Als die Spanier nach Cuzco kamen, sahen sie eine Stadt, die
  durch die Eroberungen der Inka verändert worden war. Die
  physische Anlage der Stadt, der Baustil, die zahlreichen Hei-
  ligtümer in der Stadt und im umliegenden Tal - das alles war
  neu geschaffen worden, um Cuzcos Rolle als Zentrum des
  Reiches zu spiegeln. Die Veränderungen reichten jedoch noch
  tiefer, als der äußere Anblick zeigte, denn sie umfaßten die
  Verwandlung der Bewohner Cuzcos in eine Führungselite, die
  fähig war, militärische Unternehmen weit entfernt von ihrer
  Heimat zu befehligen und ehrgeizige Vorhaben außerhalb ih-
  rer Heimat durchzuführen. Dazu gehörte auch die Erziehung
  und Motivation der Eliteangehörigen, damit diese die Ziele
  ihrer Vorfahren verwirklichten.
  Um die Umwandlung der physischen und sozialen Ordnung
  Cuzcos zu verstehen, ziehen wir wiederum Sarmiento und
  Betanzos als Quellen heran. Allerdings neigen beide Autoren
  dazu, alle Neuerungen einem einzigen Inka-Herrscher zuzu-
  schreiben, nämlich Pachacuti. In mündlicher Überlieferung
  können Ereignisse, die während eines langen Zeitraums statt-
  fanden, in einer einzigen Kulmination von Aktivitäten zusam-
  menfallen, oder ihre Reihenfolge kann neu geordnet werden,44
  so daß die Zuschreibung aller Neuerungen an Pachacuti nicht
  zutreffen muß. Trotzdem gibt uns die Beschreibung über die
  Entwicklung Cuzcos einen Überblick über den Gesamtprozeß.
  Obwohl wir uns nun im folgenden nicht auf Personen,
  sondern auf Cuzco konzentrieren, bleibt die zentrale Rolle
  Pachacutis, weil die vorhandenen Quellen ihn in den Mittel-
  punkt stellen und wir leider kein anderes Material haben.
  Betanzos beschreibt ein größeres Bauprojekt, das von Pacha-
  cuti im Tal von Cuzco unternommen wurde. Pachacuti baute
  die Stadt um, ebenso Inticancha, den religiösen Mittelpunkt,
  der danach Coricancha oder „goldene Einfriedung“ hieß. Der
  Inka-Herrscher ordnete auch mehrere Kanalbauvorhaben im
  Tal an als Teil einer Reform, durch die das Land im Umkreis
  34
  von 10 km der Stadt angegliedert und zum Wohle der Stadt-bewohner erschlossen wurde.45
  Pachacuti befahl den lokalen Führern aus der Gegend um
  Cuzco, die ihm Gehorsam geschworen hatten, in die Stadt zu
  kommen. Er entwarf dann einen Plan, um Cuzco zu versorgen
  und den Bewohnern zu erlauben, auf lange Feldzüge zu gehen,
  ohne ihren Lebensunterhalt zu verlieren. Der Plan umfaßte die
  Verteilung von Land, die Festlegung von Grenzen und den
  Bau von Speichern. Dazu gehörte auch die Versorgung von
  Cuzco mit Lebensmitteln. Zunächst waren diese Lebensmittel
  für die Menschen bestimmt, die bei den Bauprojekten im Tal
  beschäftigt waren. Wenig später organisierte Pachacuti auch
  die Herstellung von Stoffen als Tribut, einschließlich von Tü-
  chern zum Tragen von Steinen und Erde, damit die Arbeiter
  bei den Bauprojekten nicht ihre eigenen Tragtücher benutzen
  mußten.46
  Ein Teil von Pachacutis Plan war, die Führer aus den Gebie-
  ten um Cuzco mit Frauen aus seiner eigenen Abstammungs-
  gruppe zu verheiraten. Ihre Nachkommen, die die Macht
  dieser lokalen Führer erbten, wären somit durch Verwandt-
  schaftsbeziehungen an die Inka-Dynastie gebunden. Er schick-
  te auch Abgesandte in die Gebiete dieser lokalen Herrscher
  und ließ Ehen zwischen den jungen Männern einer Gruppe
  mit den Frauen einer anderen schließen, um so die Bindungen
  zwischen den Gruppen zu stärken. Die jungen Leute, die ver-
  heiratet wurden, erhielten als Geschenke Kleidung und die
  nötigen Haushaltsgegenstände.47
  Das Ergebnis dieser Politik war ein Hinterland aus einzel-
  nen Gruppen, die an Cuzco sowie untereinander gebunden
  waren und die die Grundversorgung der Stadtbevölkerung ga-
  rantierten. Alle vier Monate erhielten die Menschen, die von
  Cuzco abhängig waren, alles Nötige aus den Tributen, die
  dieses Hinterland lieferte.48
  Betanzos erzählt uns leider nicht, wer diese lokalen Führer
  waren, und gibt nur an, daß sie Pachacuti Gehorsam ge-
  schworen hatten. Wir wissen, daß der Status der Inka auf eine
  Anzahl von Gruppen ausgedehnt wurde, die bei Cuzco lebten.
  35
  Sie wurden als orejones  bezeichnet, da sie, um den Status als Inka zu erhalten, initiiert worden waren und bei diesem
  Ritual erhaltene Ohrpflöcke trugen, aber sie waren keine
  Mitglieder der Abstammungsverbände der Inka-Dynastie -
  das heißt, sie waren nicht notwendigerweise über die männli-
  che Linie mit Manco Capac verwandt.49 Sie wohnten in der
  Umgebung Cuzcos, und wir können annehmen, daß dies die
  Gruppen waren, deren Herrscher Pachacuti durch Heirat an
  Cuzco band. In manchen Werken werden sie als „Inka durch
  Privileg“ (oder „ernannte Inka“) bezeichnet.
  Die Verwandlung Cuzcos betraf sowohl die Stadt als auch
  das Land rundherum, sowohl die Mitglieder der dynastischen
  Gruppen als auch die Bevölkerung in der Region um Cuzco.
  Aber wie sah Cuzco aus, bevor dieses ehrgeizige Programm
  ausgeführt wurde?
  In den historischen Berichten erscheint Cuzco zunächst als
  eine kleine landwirtschaftliche Siedlung, die bei dem Intican-
  cha lag. Diese Siedlung befand sich zwischen den Flüssen
  Huatanay und Tullumayo und erstreckte sich von dem späte-
  ren spanischen Kloster Santo Domingo bis zum Zusammen-
  fluß der beiden Flüsse (Karte 3); sie bestand aus vier cancha oder Umfriedungen: Quinticancha, Chumbicancha, Sayrican-cha und Yarumbuycancha.50 Ein kleiner Hof mit Namen
  Caritampucancha, von dem es hieß, Manco Capac selbst habe
  dort Cuzco gegründet, wurde in der Liste der Heiligtümer
   (huaca)  von Cuzco genannt. Der Hof lag innerhalb der
  Mauern des Klosters Santo Domingo (Karte 6). Inticancha er-
  scheint auch auf der Liste der Heiligtümer, beschrieben als ein
  kleines Haus, in dem die Schwestern des ersten Inka lebten.
  Bei Ausgrabungen in Santo Domingo und nordwestlich davon
  in Bauten an der heutigen Calle San Agustin wurden Tongefä-
  ße und Gebäudereste gefunden, die stilistisch in die Zeit vor
  der imperialen Ausbreitung fallen. Die archäologischen Funde
  belegen die Lokalisierung der frühen Siedlung, wie sie Sarmi-
  entos Quellen nennen.51
  Hier lebten die Nachkommen von Manco Capac bis zur
  Zeit Inca Rocas, der sein eigenes Haus auf Land baute, das
  36
    
  Karte 6: Cuzco (nach Hemming, 1970, Abb. 2)
  oberhalb der ursprünglichen Siedlung lag. Dieser Inka-Herr-
  scher legte neue Bewässerungskanäle an oder ließ vorhandene
  umbauen, damit diese Wasser auf die von den Bewohnern
  Cuzcos bearbeiteten Felder leiteten.52 Durch die Neuvertei-
  lung des Wassers machte er das Land oberhalb des Inticancha
  offenbar für eine Besiedlung attraktiver.
  Von der Zeit Inca Rocas an errichtete jeder Inka-Herrscher
  sein eigenes Haus oder einen Palast und zog es vor, nicht in
  den Gebäuden seines Vaters zu leben. Die Lage verschiedener
  Paläste kann noch festgestellt werden. Wenn wir Cuzco als
  37
  Wohnort der Angehörigen der Dynastie ansehen, dann können wir annehmen, daß die Stadt sich allmählich auf Land
  oberhalb Santo Domingos ausdehnte. Die Beziehung zwischen
  der Erweiterung der Stadt und der Weiterentwicklung der
  Bewässerungsanlagen deutet daraufhin, daß sich der ländliche
  und landwirtschaftliche Charakter der Siedlung noch nicht
  geändert hatte.53
  Im Gegensatz dazu war die Neuorganisation Cuzcos, die
  Pachacuti zugeschrieben wird, eine plötzliche Abkehr von dem
  langsamen Wachstum der Vergangenheit. Es heißt, Pachacuti
  habe der Stadt einen neuen Plan gegeben, bei dem er die
  Hauptstraßen festlegte und die Bauten für die dazwischenlie-
  genden Straßenblocks entwarf. Zur Neuorganisation gehörte
  auch die Umsiedlung von Bewohnern aus ihren Häusern in
  Siedlungen nahe der Stadt, der Abriß dieser Häuser und der
  Neubau Cuzcos von den Grundmauern auf.54
  Der Plan Cuzcos hatte die Umrisse eines Pumas (Karte 6).
  Die Festung Sacsahuaman oberhalb der Stadt bildete den
  Kopf. Der Hauptplatz Aucaypata lag zwischen den Vorder-
  und Hinterbeinen. Coricancha befand sich unterhalb des
  Pumaschwanzes, und wir können sie mit den Sexualorganen
  des Tieres gleichsetzen. Der Umriß des Pumas war noch im
  19. Jahrhundert gut zu erkennen, und mindestens zwei Stra-
  ßen, die dem Pumaumriß folgen, tragen Namen der zugehö-
  rigen anatomischen Teile des Pumas (pumachupa „Puma-
  Schwanz“; pumacurco „Puma-Rücken“). Der Puma nimmt
  den gesamten Raum zwischen den Flüssen Huatanay und
  Tullumayo ein.55
  Zum Neuaufbau Cuzcos gehörten auch zusätzliche Arbei-
  ten an dem Kanalsystem, das Wasser für den Ackerbau liefer-
  te. Die Verteilung des Wassers auf die Felder könnte zu dieser
  Zeit grundlegend verändert worden sein und Cuzco selbst
  einen mehr städtischen Charakter angenommen haben. Be-
  sondere Aufmerksamkeit galt der Arbeit an dem Flußkanal
  zwischen Cuzco und Mohina am Ende des Cuzco-Tals. Der
  Neubau könnte zur Neuverteilung des Wassers und zur Re-
  form der Landnutzung geführt haben. Solch eine Neuorgani-
  38
    
  Abb. 2: Sacsahuaman
  sation hing vermutlich mit der Expansion zusammen. Es
  heißt, Pachacuti habe das Land neu organisiert, damit die Inka
  die landwirtschaftliche Produktion auf einem hohen Niveau
  halten konnten, selbst wenn Teile der Bevölkerung auf militä-
  rischen Feldzügen oder bei anderen weit entfernten Vorhaben
  beschäftigt waren.56
  Der Neubau Cuzcos wurde nach Betanzos mit den feinsten
  Materialien und den besten damals bekannten Baumethoden
  ausgeführt. Die Bauarbeiten dauerten etwa 20 Jahre. Sarmiento
  beschreibt das fein bearbeitete und gut eingepaßte Steinmau-
  erwerk.57 Die Bauten waren noch recht gut erhalten, als Be-
  tanzos und Sarmiento darüber schrieben. Ihre Überreste sind
  heute nur noch in den Grundmauern der Gebäude sichtbar,
  die später durch die Spanier errichtet wurden, denn diese zo-
  gen es vor, daß ihre Bauten die Architekturstile Spaniens spie-
  gelten. Zwei große Erdbeben, 1650 und 1950, haben Cuzco
  weitgehend zerstört, aber Aussagen aus der Zeit nach dem er-
  sten Erdbeben deuten darauf hin, daß die Bauten aus in-
  kaischem Steinmauerwerk kaum betroffen waren.58
  Zwei Bauwerke waren besonders wichtig. Das erste ist die
  Festung über Cuzco, die Sacsahuaman hieß (Karte 6, Abb. 2).
  Sarmiento schreibt die Erbauung des Sacsahuaman Topa Inca
  39
  zu. Die monumentalen Mauern der Festung mit ihrer charak-teristischen Zickzackform ähneln einer anderen Inka-Festung
  in Bolivien, die wahrscheinlich während Topa Incas Herr-
  schaft gebaut wurde. Die Mauern des Sacsahuaman zeigen
  Spuren von mindestens zwei größeren Bauphasen, die darauf
  hinweisen, daß nach der Errichtung ein größerer Umbau vor-
  genommen wurde.
  Hinter den monumentalen Mauern auf einem Hügel über
  Cuzco gab es verschiedene Bauwerke. Die Bauten wurden von
  den Spaniern abgetragen, um aus dem Material das spanische
  Cuzco zu bauen, wobei allein für den Bau der Kathedrale eine
  große Menge Steine aus der Festung gebrochen wurde. Aus-
  grabungen in einem Teil der Festung brachten die Grundmau-
  ern verschiedener Gebäude zutage, einschließlich eines Rund-
  baus, der einer der Türme gewesen sein könnte, die in den
  frühen Beschreibungen der Spanier erwähnt werden.
  Wir haben gewisse Kenntnisse über die Art, wie die Festung
  genutzt wurde, weil die Inka sie einnahmen und gegen die
  Spanier verteidigten, als sie 1536 versuchten, Cuzco zurück-
  zuerobern. Um die Festung anzugreifen, mußten sich die
  Spanier die Schlucht von Carmenga hinaufkämpfen und dann
  jede der monumentalen Mauern einnehmen, bis sie es wagen
  konnten, einen letzten Angriff gegen die Verteidiger der Türme
  zu führen.
  Es gibt keine Beschreibungen davon, wie die Festung vor
  Ankunft der Spanier verteidigt wurde, aber Beschreibungen
  von Kämpfen während der inkaischen Eroberungen zeigen,
  daß generell Belagerungen von Feinden in einer Verteidigungs-
  stellung häufig waren. Wenn dies zutrifft, müssen die Inka be-
  absichtigt haben, sich bei Gefahr von der Stadt in die Festung
  zurückzuziehen. Als die Chancas sie angriffen, sind sie jedoch
  nicht so vorgegangen, denn damals kämpften die Inka im of-
  fenen Gelände in und bei Cuzco.59
  Die Festung und ihre Bauten hatten auch einen heiligen
  Charakter. Ein besonders heiliger Platz war ein Sitz mit Na-
  men Sabacurinca, in Stein geschnitten und nahe am oder im
  Sacsahuaman gelegen. Er wurde verehrt, und dort wurde ge-
  40
    
  Abb. 3: Inkaische Stützmauer unterhalb Santo Domingo
  opfert. In der Liste, in der die Heiligtümer beschrieben werden, ist er aufgeführt, weil seinetwegen die ganze Festung verehrt
  wurde.60 Unglücklicherweise trägt diese kurze Beschreibung
  wenig zum Verständnis dessen bei, was die Festung den Inka
  genau bedeutete.
  Die Coricancha andererseits war mit dem Sonnenkult der
  Inka verbunden. Obgleich die spanischen Geschichtswerke sie
  einen „Tempel“ oder den „Sonnentempel“ nennen, war sie auch
  ein Wohngebäude. Sie erscheint nicht als Heiligtum auf der
  vollständigsten Liste, die erhalten ist, aber auf einer anderen, kürzeren Liste, wo sie als „Haus aus Gold“ und als „Haus der
  Sonne“ beschrieben wird.61 Die Sonne hatte Besitz und viel-
  leicht auch Frauen, wie im folgenden Kapitel erläutert werden
  wird, und ein Wohnsitz könnte deshalb notwendig gewesen
  sein. Vielleicht gab es keinen Bedarf an einer besonderen Ka-
  tegorie rein religiöser Architektur.
  Heute befinden sich die Kirche und das Kloster von Santo
  Domingo auf den Resten der Coricancha (Abb. 3). Vier Räu-
  me der Anlage wurden beim Bau des Klosters weiter benutzt.
  41
  Umbauten aus der spanischen Kolonialzeit sind bei zwei von ihnen in neuerer Zeit entfernt worden, und die hohe Qualität
  des Steinmauerwerks ist wieder sichtbar.62
  Obwohl die Inka auch wichtige Gebäude aus Lehmmauer-
  werk errichteten, sind die in verschiedenem Stil gehaltenen
  Bauten aus Steinmauerwerk die eindrucksvollen stummen
  Zeugen der Inka-Geschichte, wie sie in den historischen Be-
  richten enthalten ist. Verschiedene Orte, die dem Verband der
  Nachkommen Pachacutis zugeordnet werden können (dessen
  Mitglieder bis in die Kolonialzeit überlebten), zeigen jenen
  speziellen Stil der Steinbearbeitung, der auch bei Bauwerken
  wie der Coricancha genutzt wurde, also bei Bauten aus der
  Zeit des Neubaus von Cuzco. Dieser Baustil unterscheidet sich
  von dem der Gebäude aus der Regierungszeit von Pachacutis
  Enkel Huayna Capac oder aus der frühen Kolonialzeit, wäh-
  rend der ein Architekt, der einige von Huayna Capacs Bauten
  entworfen hatte, weiter tätig war.63
  Obwohl es nicht möglich ist, den Bericht über die Neuanla-
  ge Cuzcos zu bestätigen, so beweisen die monumentalen Bau-
  werke doch, daß jemand große materielle und menschliche
  Ressourcen aufgewandt hat. Das Bearbeiten und Einpassen von
  Basaltsteinen war von einem Handwerker oder einer Gruppe
  von Handwerkern hoch entwickelt worden. Die Grundpläne
  und Einzelheiten der Bauten deuten daraufhin, daß in frühen
  Zeiten wie auch während Huayna Capacs Regierung archi-
  tektonischen Entwürfen große Aufmerksamkeit geschenkt
  wurde, auch wenn die Verwandtschaft mit alltäglichen Wohn-
  gebäuden deutlich erkennbar ist. Die Überreste beweisen,
  daß ein Bauprogramm von monumentalen Gebäuden über
  mehrere Jahrzehnte vor der spanischen Eroberung ausgeführt
  wurde.
  Es wäre aber ein großer Fehler, Cuzco nur als eine An-
  sammlung monumentaler Bauwerke anzusehen. Die Monu-
  mentalbauten sind nur ein äußeres, sichtbares Zeichen einer
  Veränderung anderer Art. Die Inka beanspruchten, Nach-
  kommen der Sonne, eines wichtigen übernatürlichen Wesens,
  zu sein. Cuzco wurde umgebaut, um den heiligen Charakter
  42
  des Ortes wie auch die besondere Natur seiner Bewohner zu demonstrieren.
  Der Bericht von Betanzos ist besonders wertvoll, da in ihm
  eine Ideologie zum Ausdruck kommt, die die Bewohner
  Cuzcos zu einem einzigen imperialen Unternehmen vereint.
  Betanzos beschreibt Ereignisse, die tatsächlich einer Weihung
  Cuzcos entsprachen, sowohl des Ortes wie auch der Men-
  schen. Vor der Neuanlage der Stadt beabsichtigte Pachacuti,
  ein Haus für die Sonne zu bauen. Dieses übernatürliche We-
  sen - das in der Überlieferung manchmal mit einem anderen
  namens Viracocha verwechselt wurde - erschien Pachacuti in
  einem Traum am Vorabend des Einfalls der Chancas. Die
  Sonne eröffnete Pachacuti, daß die Inka seine Nachkommen
  (für die Inka war die Sonne männlich) waren und als die
  Nachkommen der Sonne berühmt werden würden. Ein Bild
  der Sonne sollte angefertigt werden, um in dem von Pachacuti
  geplanten Haus zu wohnen.64
  Eine wesentliche Rolle beim Bau und der Weihung des
  Hauses der Sonne spielten die Nachbarvölker, die Pachacuti
  bei seinem Sieg gegen die Chancas geholfen hatten. Nachdem
  die Steine in dem Steinbruch von Sallu ausgemessen worden
  waren, wurde die Aufgabe, sie nach Cuzco zu bringen und
  das Haus zu errichten, unter diesen Nachbarvölkern verteilt.65
  Nach dem Wiederaufbau der Inticancha und der Stiftung
  von Besitz für den Unterhalt des Sonnenkults, wie im folgen-
  den Kapitel beschrieben, erfolgte eine Weihe. Die hohen Adli-
  gen Cuzcos steuerten große Mengen Mais, feiner Kleidung
  und Kameliden (die in den Anden heimischen Alpaka und
  Lama) sowie auch eine gewisse Zahl von Jungen und Mäd-
  chen für ein Opfer bei. Ein großes Feuer wurde angezündet,
  und der Mais, die Kleidung und Kameliden wurden ver-
  brannt. Die Kinder wurden bei dem capacocha  genannten
  Opfer lebendig in dem Heiligtum begraben. Mit dem Blut der
  geopferten Tiere wurden von Pachacuti und einigen seiner
  Militärführer auf dem neuen Gebäude Striche gezogen. Sie
  zeichneten auch Linien über die Gesichter desjenigen, der dem
  Haushalt der Sonne vorstehen sollte, und über die Gesichter
  43
  der 500 Frauen, die für den Kultdienst bestimmt worden waren. Dann kamen die Bewohner Cuzcos, Männer und Frauen,
  um Brandopfer von Mais und Koka darzubringen. Als sie fer-
  tig waren, erhielten auch sie eine Gesichtsbemalung, diesmal
  von dem Verwalter des Haushalts der Sonne.
  Von diesem Zeitpunkt an bis zur Fertigstellung des Bild-
  nisses der Sonne wurde eine Fastenzeit angeordnet und das
  Opferfeuer ständig unterhalten. Als das Bild aus Gold - die
  dreidimensionale Darstellung eines Kindes - fertiggestellt war,
  wurde es von dem Verwalter des Haushalts sorgfältig einge-
  kleidet und mit verschiedenen Attributen versehen. Es bekam
  zu essen, indem man vor ihm Feueropfer darbrachte, wodurch
  ein Brauch entstand, der danach von dem Verwalter des
  Haushalts aufrechtzuerhalten war. Von diesem Zeitpunkt an
  waren nur wichtige Angehörige der Inka-Elite in der Gegen-
  wart des Bildnisses zugelassen. Ein Steinabbild, nach spani-
  schen Angaben in Form eines Zuckerhutes, wurde auf dem
  Hauptplatz von Cuzco errichtet. Als das goldene Hauptbild-
  nis fertiggestellt worden war, hatte man es durch Cuzco ge-
  tragen, um den Ort zu segnen. Zum Zeitpunkt der Weihe
  wurden Miniaturnachbildungen aus Gold, die die von Manco
  Capac abstammenden Abstammungsgruppe darstellten, auf
  dem Hauptplatz am Fuß des Steinbildnisses vergraben. Von
  diesem Tag an wurden regelmäßig Kameliden bei dem Stein-
  bildnis geopfert.66
  Betanzos verbindet diese Weihung mit der Verehrung, die
  Adlige aus Cuzco in den Provinzen genossen. Inka aus Cuzco
  wurden als Angehörige der Sonne verehrt. Vor ihnen wurde
  geopfert (arpa).  Die Stadt Cuzco selbst war auch heilig. Reisende, gleich wie bedeutend sie waren, mußten sich ihr mit
  einer Last auf den Schultern nähern. Die Punkte entlang der
  Straßen, von wo die Reisenden zuerst die Stadt sahen, waren
  heilige Orte.67
  Hat Pachacuti Cuzco tatsächlich geweiht? Eine Form von
  Weihung könnte bei der Errichtung von Bauten, die mit dem
  Sonnenkult zusammenhingen, oder beim monumentalen Neu-
  aufbau der Stadt insgesamt durchgeführt worden sein. Ob die
  44
  rituelle Darstellung der Beziehung zwischen der Inka-Dynastie und einem wichtigen übernatürlichen Wesen wirklich stattfand oder nicht, ist unwichtig. Entscheidend ist, daß diese
  Geschichte die Grundlage für den Glauben lieferte, die Inka
  seien eine Art übernatürlicher Wesen, sie müßten deshalb ge-
  achtet werden und man müsse ihren Befehlen gehorchen.
  4. Die Inka – Selbstverständnis und Riten
  Der Neuaufbau Cuzcos wurde von einer großen sozialen Um-
  gestaltung begleitet. Durch beides sollte eine soziale und
  räumliche Umwelt geschaffen werden, die die übernatürliche
  Stellung der Nachkommen Manco Capacs widerspiegelte. Die
  Reform veränderte die Regeln für die Bildung von Abstam-
  mungsgruppen und schuf hochentwickelte Rituale, durch die
  Statusunterschiede dargestellt wurden. Eine kurze Übersicht
  der Abstammungsregeln und der Ritualorganisation in Cuzco
  soll dies verdeutlichen.
  Der Kernpunkt der Reform war eine Neudefinition dynasti-
  scher Abstammung. Um die Tragweite der Reform verständ-
  lich zu machen, müssen zunächst die Prinzipien inkaischer
  Abstammung beschrieben werden.
  Zugehörigkeit zu einer Abstammungsgruppe scheint über
  die männliche Linie definiert worden zu sein. Obwohl in
  symbolischen Darstellungen beide Geschlechter bei den Inka
  eine Rolle spielen, berechneten die Nachkommen Manco
  Capacs - Frauen wie Männer - die Abstammung von ihren
  Vorfahren über die männliche Linie. Diese Sicht des Ver-
  wandtschaftssystems der Inka vertreten viele Wissenschaftler;
  allerdings findet in den letzten Jahren auch eine bilaterale Ab-
  stammungsrechnung (über die weibliche wie männliche Linie)
  größeren Zuspruch.68 In Wahrheit jedoch wurde die bilaterale
  Abstammung der einheimischen Bevölkerung in den Anden
  durch spanisches Recht und spanische Missionspolitik aufge-
  zwungen, und ihre Einführung verwischt die Natur der frühe-
  ren Systeme.69 Die Argumentation für die Zugehörigkeit über
  die männliche Linie beruht hauptsächlich auf den Verwandt-
  schaftsbegriffen, wie sie in Lexika der Inka-Sprache erhalten
  sind, wie auch auf einigen anderen Quellenangaben.
  Eine detaillierte Rekonstruktion des Verwandtschaftssy-
  stems der Inka ist hier nicht möglich, aber einige Prinzipien
  müssen umrissen werden. Bezeichnungen für Verwandte de-
  finieren das Geschlecht (sowohl des Sprechers wie auch des
  46
  Angesprochenen), die Generation und das Altersverhältnis zwischen Individuen derselben Generation. Sie können auch
  klassifikatorisch sein, das heißt, sie erfaßten auch Menschen,
  die weiter entfernte Verwandte waren. Das Wort pana  zum Beispiel bedeutet Schwester, wenn der Sprecher ein Mann ist,
  aber auch Cousine. Auf diese Weise war das Wort für Schwe-
  ster auf die weiblichen Verwandten derselben Generation aus-
  gedehnt worden.70
  Von Bedeutung war die Generationszugehörigkeit. Das Wort
  für Generation ist viñay,  von dem Verb viñachini „ernähren oder großziehen“.71 Der Begriff viñakmaci  bezeichnet Altersgenossen oder diejenigen, die zusammen aufgewachsen sind.
  Innerhalb jeder Generation oder Gruppe von Geschwistern
  wurden die Geschwister gleichen Geschlechts zusammenge-
  faßt. Begriffe, die für Affinalverwandte benutzt wurden (für
  solche Menschen, die durch Heirat zur eigenen Gruppe gehö-
  ren), verbanden häufig eine Person mit einer Gruppe von Ge-
  schwistern gleichen Geschlechts oder zwei solche Gruppen
  untereinander.
  Das System definierte also einen Mann im Verhältnis zu
  seinen klassifikatorischen Brüdern und Schwestern (seinen bio-
  logischen Brüdern und Schwestern, Cousins und Cousinen),
  seinen Kindern und den Kindern seiner klassifikatorischen
  Brüder. Die Frauen waren in fast gleicher Weise definiert, und
  zwar im Verhältnis zu ihren klassifikatorischen Brüdern und
  Schwestern (biologische Geschwister, Cousins und Cousinen)
  und den Kindern ihrer klassifikatorischen Brüder.
  Die Söhne und Töchter einer Frau waren jedoch Mitglieder
  der Abstammungsgruppe des Vaters, und deshalb ist die Paral-
  lele nicht vollständig. Ein Sohn wurde von seinem Vater churi genannt, eine Tochter buarmi churi (wörtlich „ein weiblicher churi11)  oder ususi.  Im Gegensatz dazu waren die Kinder einer Frau huahua. Huahua  ist der allgemeine Begriff für Nachkommen und wurde sowohl für Menschen wie auch Tiere be-
  nutzt.72
  Mehrere Begriffe bezeichneten sowohl nahe Verwandte wie
  auch allgemein Mitglieder der eigenen Abstammungsgruppe.
  47
  Einer davon ist huaoque.  Zum einen bedeutet er Bruder oder Cousin eines Mannes, aber auch ein Mitglied der Abstammungsgruppe des Mannes, das gleichen Alters oder älter ist.
  Der Begriff pana,  von einem Mann für seine Schwester gebraucht, bezeichnet auch ein Mitglied seiner Abstammungs-
  gruppe. Churi  ist das Wort, das Männer nicht nur für ihre Söhne, sondern auch für alle jüngeren Angehörigen ihrer Abstammungsgruppe gebrauchen. Wie bereits erwähnt, nannte
  ein Mann seine Tochter huarmi churi,  was „weibliche churi“
  bedeutet.73
  Wenn die Inka sich selbst als intipchurin  bezeichneten, dann nannten sie sich nicht „ Söhne  der Sonne“.74 Sie sagten damit vielmehr, sie seien Mitglieder der Gruppe aus den
  Männern und Frauen, die ihre Abstammung auf die Sonne zu-
  rückführten. Da ihre ersten menschlichen Ahnen Manco Ca-
  pac und eine seiner Schwestern waren, entstand die Beziehung
  der Inka zu ihrem Sonnen-Vorfahren offenbar über dieses
  Paar, obwohl die genaue Verbindung nicht erläutert wird.
  Frauen waren Mitglieder einer Abstammungsgruppe über
  die männliche Linie. Bei Heirat außerhalb dieser Gruppe gab
  es eine Reihe von Begriffen, die die neue Beziehung zwischen
  der Abstammungsgruppe der Frau und der ihres Mannes be-
  schrieben. Das Wort caca  oder cacay  bezeichnete Männer, die mit einer Abstammungsgruppe durch Heirat verwandt waren.
  So nannte ein Mann beispielsweise seinen Schwiegervater ca-
   ca.  Ein Mann und sein Schwager nannten einander ebenfalls caca.
  In unserem System der Verwandtschaftsrechnung sind dies
  Affinalverwandte, das heißt, sie sind durch Heirat verwandt,
  aber die Inka benutzten diese Begriffe auch für Verwandte, die
  nach unserem Verständnis blutsverwandt sind. So wurde caca
  für den Bruder der Mutter verwendet, der wie die ebenso be-
  zeichneten Schwiegerverwandten nicht zu der Abstammungs-
  gruppe gehörte.75 Während unser System (und damit auch das
  der Spanier, das in den Anden eingeführt wurde) die Kern-
  familie als Mittelpunkt des Verwandtschaftssystems ansieht,
  mit einer Berechnung von Blutsverwandtschaft auf beiden Sei-
  48
  ten über eine bestimmte Zahl von Generationen hinauf, waren bei den Inka die Grenzen zwischen der Kernfamilie und
  anderen Verwandten weniger deutlich, und die Grenzen zwi-
  schen Abstammungsgruppen, die über die männliche Linie
  definiert wurden, wichtiger.
  So wurden beispielsweise die Männer, die mit Mama Ana-
  huarque, der Frau Pachacutis, verwandt waren, als cacacuzcos bezeichnet.76 Sie waren Angehörige einer Abstammungsgruppe, die durch Heirat mit den Nachkommen Manco Capacs
  und seiner Schwester verwandt war. Da Sarmiento uns etwas
  über die Herkunft der Frauen erzählt, die in jeder Generation
  den Führer der dynastischen Abstammungsgruppe heirateten,
  können wir andere Gruppen von cacacuzcos  identifizieren.
  Indem man einen obersten Ahnen bestimmte, konnte genau
  festgelegt werden, wer ein Mitglied der Gruppe war und wer
  nicht. Es gab keine Überschneidungen zwischen Abstammungs-
  gruppen. Nun lebten in Cuzco verschiedene Gruppen von
  Menschen, die ihre Abstammung nicht von Manco Capac
  herleiteten, wie jene Gruppen, die aus Nachkommen von den
  zwei Brüdern Manco Capacs bestanden. Obwohl die Mitglie-
  der dieser Gruppen noch als Inka angesehen wurden und ob-
  wohl ihre Verbindungen zu den Nachfahren Manco Capacs
  genealogisch sein mochten, gehörten ihre Angehörigen nicht
  zu der dynastischen Abstammungsgruppe der Inka an sich.
  Innerhalb der Gruppe der als Inka bezeichneten Menschen
  gab es erhebliche Statusunterschiede. In der Ursprungsge-
  schichte der Inka, wie sie im zweiten Kapitel nach Quellen
  aus Cuzco wiedergegeben ist, wurde festgestellt, daß einige
  Gruppen, die zur Zeit der spanischen Eroberung den Rang
  von Inka hatten, eine Blutsverwandtschaft mit der Abstam-
  mungsgruppe Manco Capacs aufwiesen, die auf die Zeit des
  „Ursprungs“ zurückging. Diese Menschen waren aber ein-
  deutig keine Nachkommen Manco Capacs. Manco Capac
  brachte zehn Gruppen aus der Gegend von Tambotoco mit,
  einschließlich jener beiden, die von seinen Brüdern abstamm-
  ten. Abkömmlinge all dieser Gruppen - bis auf jene, die
  Cuzco wieder verließen - befanden sich noch in Cuzco, als die
  49
  schriftlichen Berichte mit historischen Traditionen der Inka aufgezeichnet wurden.77
  Der Ursprung der Inka in Sarmientos Bericht ist demnach
  eine Geschichte darüber, wie die verschiedenen Gruppen, die
  zur Zeit der spanischen Eroberung in Cuzco lebten, dorthin
  gekommen waren. Sie ist eine verschlüsselte Darstellung der
  Statusunterschiede zwischen Gruppen, die zu der größeren
  Einheit der Inka gehörten. Die Vergangenheit diente in diesem
  Fall dazu, bestimmte Aspekte der Sozialorganisation Cuzcos
  zu erklären und zu rechtfertigen. Da nach Betanzos’ Bericht
  Pachacuti die soziale und religiöse Ordnung in Cuzco mit der
  gleichen Großzügigkeit änderte, mit der er auch die Neuanla-
  ge der Stadt anging, entspricht die überlieferte Zusammenset-
  zung der Bevölkerung der Situation nach seinem Eingriff.
  Als die Spanier in Cuzco ankamen, war der Verband der
  dynastischen Nachkommen (also der Nachfahren Manco Ca-
  pacs) in elf Gruppen unterteilt, die panaca  hießen. Jede führte ihre Herkunft auf einen der elf Herrscher zurück, die die zentralen Personen in den historischen Berichten aus Cuzco sind.
  Die Inka-Herrscher praktizierten die Mehrehe und hatten ent-
  sprechend viele Kinder. Nach der Definition der spanischen
  Berichte gehörten zu der panaca  alle Nachkommen eines
  Herrschers außer dem Sohn, der die Herrschaft übernahm;
  dieser und vielleicht auch seine Brüder aus der Ehe zwischen
  ihrem Vater und der Hauptfrau (coya)  bildeten ihre eigene neue panaca.  Bei Sarmiento folgt auf die Lebensgeschichte jedes Herrschers ein Verweis auf den Namen seiner panaca  und auf ihre Repräsentanten, die zur Zeit der Abfassung seines
  Buches noch in Cuzco lebten. Der Aufteilungsprozeß, durch
  den die panaca  entstanden, ist ein wichtiger Bestandteil der historischen Berichte.
  Allerdings enthalten diese Berichte auch Hinweise auf eine
  Reform der Abstammungsregeln etwa zur Zeit der Neuorga-
  nisation Cuzcos. Teil dieser Reform war die Einführung der
  Schwesternheirat. Über mehrere Generationen bis zu Pacha-
  cuti waren in der Dynastie Heiratsbündnisse mit nicht-inkai-
  schen Gruppen üblich. Dieses Muster wurde von Pachacuti
  50
  plötzlich durchbrochen, denn er verheiratete seinen Sohn Topa Inca mit dessen Vollschwester Mama Ocllo und erlaubte
  dem Paar, noch zu seinen Lebzeiten seine Nachfolge anzutre-
  ten. Von diesem Zeitpunkt an sollte das Paar, das als politi-
  sches Oberhaupt die Nachfolge übernahm, aus Vollgeschwi-
  stern bestehen.
  Die Einführung der Schwesternheirat war ein radikaler
  Bruch mit der Vergangenheit. Ehebündnisse durch die Heirat
  einer Hauptfrau konnte es mit Nicht-Inka oder mit verwand-
  ten Gruppen nicht mehr geben. Aber was war der Grund für
  diese Neuerung in den dynastischen Praktiken der Inka? Die
  Umstände beim Herrschaftsantritt Topa Incas geben einen
  Hinweis. Sarmiento berichtet, daß Topa Inca nicht der erste
  Sohn war, der als Nachfolger ausgewählt worden war. Zuerst
  hatte Pachacuti Amaru Topa ernannt, einen älteren Sohn, der
  sich als hervorragender militärischer Führer bewährt hatte.
  Dann änderte Pachacuti seine Ansichten und ernannte Topa
  Inca, der für 15 oder 16 Jahre im Haus der Sonne verborgen
  gehalten worden war und den niemand „außer als Zeichen
  besonderer Gunst“ gesehen hatte.78 Als der Zeitpunkt für To-
  pa Incas Initiation gekommen war, schuf sein Vater einen
  gänzlich neuen Ritus und baute weitere vier Häuser für die
  Sonne. Schließlich wurde Amaru Topa zu seinem Bruder ge-
  führt. Als er den Reichtum und die wichtigen Adligen in Topa
  Incas Begleitung sah, fiel er ehrfurchtsvoll nieder. Pachacuti
  ließ Topa Inca dann zum Hauptplatz Cuzcos führen, zusam-
  men mit den heiligen Bildnissen, in einer Zeremonie, die
  prächtiger war als alles, was man je zuvor in Cuzco gesehen
  hatte. Für Topa Inca wurden Opfergaben in einem Feuer ver-
  brannt. Es folgte Topa Incas Initiation und dann seine Heirat
  mit seiner Vollschwester Mama Ocllo.79
  Sarmiento gibt diese Ereignisse wieder, ohne sie zu inter-
  pretieren. Die Schwesternheirat fällt zusammen mit der Aner-
  kennung der heiligen Natur Topa Incas und der Einführung
  eines Kultes für ihn. Obwohl sich Sarmiento auf die Herrscher
  konzentriert, können wir aus seiner Darstellung ableiten, daß
  es sich in Wirklichkeit um eine Anerkennung des heiligen Sta-
  51
  tus handelte, der in der Linie der direkten Nachfahren Manco Capacs vererbt wurde. Was geschah, war nicht nur eine Heiligung der Person des Herrschers, sondern eine Heiligung der
  Dynastie selbst. Die Inka waren intipchurin,  die „Nachkommen der Sonne“. Diejenigen, die diese Blutslinie bewahrten,
  waren heiliger als jene, deren Väter Inka waren, aber deren
  Mütter entweder keine gute Position in der Abstammungslinie
  oder überhaupt keine genealogische Verbindung zu Manco
  Capac hatten.
  Ein einheimischer Autor, der Anfang des 17. Jahrhunderts
  schrieb, Pachacuti Yamqui Salcamaygua, bemerkt, daß Man-
  co Capac niemanden finden konnte, der seiner Schwester
  gleich war, und sie deshalb heiratete, um sicherzustellen, daß
  die Inka nicht „ihre Kaste verloren“.80 Die Vorstellung, man
  verlöre eine soziale Position, wenn man jemanden von niedri-
  gerem Status heiratete, ist auch den Beschreibungen von Gua-
  man Poma de Ayala zu entnehmen, der die verderblichen Zu-
  stände in der Kolonialzeit darstellt, in der frühere gute Sitten aufgegeben worden seien.81 Die Heirat innerhalb der Dynastie
  war also ein Weg, um den besonderen Status zu bewahren,
  der in der Linie Manco Capacs vererbt wurde.
  Ein anderer Grund für die Heirat zwischen Bruder und
  Schwester war vielleicht, daß man dadurch keine Schwieger-
  verwandten bekam. Bei den heutigen Bewohnern der Anden,
  die noch Abstammungsgruppen benutzen, ist eine durch Hei-
  rat entstandene Beziehung nicht symmetrisch: Die Gruppe, zu
  der die Frau gehört, hat eine überlegene Position gegenüber
  der Gruppe, in die sie heiratet.82 Die Informationen über den
  Aufstieg der Inka sind in den historischen Berichten verschlüs-
  selt. Zunächst den Ayarmacas untergeordnet, erreichten die
  Inka zur Regierungszeit Yahuar Huacas Gleichrangigkeit in
  der Machthierarchie durch den gegenseitigen Austausch von
  Frauen. Indem die Inka später innerhalb der eigenen dynasti-
  schen Linie heirateten, vermieden sie es, die Überlegenheit ei-
  ner anderen Gruppe anzuerkennen. Zu der Zeit, als Pachacuti
  seinen Sohn und seine Tochter miteinander verheiratete, hatte
  es keine politischen Vorteile mehr, ein Heiratsbündnis außer-
  52
  halb der dynastischen Abstammungsgruppe zu suchen. Es bedeutete nur einen Verlust von Ansehen.
  Da diese Erklärung jedoch in den Berichten nicht direkt zu
  finden ist, muß sie mit Vorsicht vorgetragen werden. Es gibt
  jedoch Hinweise darauf, daß Heiraten ein wichtiges Mittel
  waren, um sich eine höhere Position gegenüber anderen zu si-
  chern. Als Viracocha, Pachacutis Vater, plante, den wichtig-
  sten Machthaber im Titicacasee-Gebiet zu unterwerfen, be-
  absichtigte er, sich mit dessen lokalen Rivalen zu verbünden.
  Doch bei der Ankunft im Titicacasee-Gebiet stellte Viracocha
  fest, daß dieser Rivale den lokalen Machthaber bereits alleine
  besiegt hatte. Die Beziehungen Viracochas zu seinem poten-
  tiellen Verbündeten waren freundlich, aber als er bei einem
  gemeinsamen Trinkgelage dessen Tochter zur Heirat angebo-
  ten bekam, wich Viracocha sofort zurück und bemerkte, er sei
  zu alt zum Heiraten.83 Wenn man die hier skizzierten Überle-
  gungen anwendet, können wir daraus schließen, daß Vira-
  cocha eine Heirat vermeiden wollte, da sie Unterordnung
  symbolisiert hätte.
  Wenn solche Heiraten eine Unterordnung bedeuteten, er-
  klärt dies die Praxis von Pachacuti, Frauen seiner Abstam-
  mungsgruppe an die politischen Führer jener Gruppen zu
  verheiraten, die dem Reich angeschlossen worden waren. Be-
  tanzos berichtet mehrmals, daß Pachacuti und seine Nachfol-
  ger inkaische Frauen an lokale Herrscher verheirateten, so-
  wohl bei Cuzco wie auch in weiter entfernten Gebieten.84
  Heiraten waren für die Inka weiterhin ein nützliches politi-
  sches Werkzeug.
  Damit ist auch deutlich, daß die Zeugung von Nachkom-
  men durch den Herrscher für die Dynastie wichtig war.
  Pachacuti zeugte nicht nur ein Bruder-Schwester-Paar, das die
  nächste Einheit der dynastischen Abstammungsgruppe her-
  vorbringen sollte, sondern er heiratete auch alle seine Schwe-
  stern. Da die Gruppenzugehörigkeit über die männliche Linie
  bestimmt wurde, war es vorteilhaft, so viele Kinder wie mög-
  lich zu zeugen. Töchter waren besonders wertvoll, weil die
  Inka selbst nicht „die Kaste verlieren“ wollten und deshalb
  53
  vorzugsweise Frauen aus der eigenen Gruppe heirateten, und weil Frauen politisches Kapital außerhalb Cuzcos bildeten.85
  Obwohl uns diese fremde Welt mit ihren politischen und
  verwandtschaftlichen Berechnungen kaum zugänglich ist, gibt
  es noch ein Thema, das nicht übergangen werden kann: Die
  Teilung Cuzcos in zwei Teile (saya),  die Hanancuzco und Hurincuzco genannt wurden. Betanzos verbindet die Entstehung
  der beiden saya  mit Pachacutis Reformen. Nach der Neuanlage Cuzcos verteilte Pachacuti die neuen Wohnstätten auf die
  verschiedenen panaca  der Dynastie. Alle panaca  der Herrscher vor ihm sollten in Hurincuzco wohnen, dem Gebiet zwi-
  schen den beiden Flüssen, das von der Coricancha bis zum
  Zusammenfluß des Huatanay und Tullumayo reichte (Karte
  6). Dies war der Teil, in dem die Inka bis zur Herrschaft Inca
  Rocas gelebt hatten. Die drei Anführer, die Pachacuti bei sei-
  nem Sieg über die Chancas und bei der Weihung Cuzcos ge-
  holfen hatten, sollten sich ebenfalls dort niederlassen. Das
  Gebiet von Hanancuzco, oberhalb des Hauses der Sonne, soll-
  te von seinen eigenen Nachkommen bewohnt werden.86 Die
  Bewohner sollten jene Nachkommen Manco Capacs sein, die
  ihre Abstammung über die männliche und weibliche Linie
  verfolgen konnten. Die Bewohner von Hurincuzco waren im
  Gegensatz dazu Nachfahren von Manco Capac nur über die
  männliche Linie. Die Mütter der drei Anführer waren keine
  Inka. Ebenso waren die weiblichen Vorfahren, von denen die
  anderen panaca  abstammten, keine Inka.
  Die Teilung in Hanancuzco und Hurincuzco war mehr als
  nur eine Teilung in zwei Stadtbezirke. Die Stadt war jetzt -
  physisch und gedanklich - zweigeteilt: In das alte Cuzco, das
  an gleicher Stelle lag wie die erste Siedlung der Inka und von
  den Gruppen bewohnt wurde, die von Manco Capac ab-
  stammten und mit der frühen Geschichte der Stadt verbunden
  waren; und in das neue Cuzco, das räumlich oberhalb des al-
  ten lag und von den Gruppen bewohnt wurde, die mit der
  Reichsausdehnung verbunden waren und die das Prestige ih-
  rer Blutlinie erhielten, indem sie so nahe wie möglich unter-
  einander heirateten.
  54
  Die neue räumliche Gliederung scheint wirklich die Wahl der Wohnorte bestimmt zu haben. Mit Sicherheit lagen die
  Paläste Pachacutis und der beiden Herrscher nach ihm in Ha-
  nancuzco.87 Angehörige der panaca  konnten jedoch auch au-
  ßerhalb der Stadt oder auf nahegelegenen Landsitzen leben.
  Wir kennen kein Verbot, nach dem Angehörigen der beiden
  Teile Cuzcos die Heirat untereinander untersagt war. Der
  Wohnort kann von anderen Umständen als nur der Abstam-
  mung abgehangen haben.
  Vielmehr entstand die Verbindung von Abstammungsgrup-
  pen zur räumlichen Aufteilung Cuzcos dadurch, daß ihnen
  zur Verehrung bestimmte heilige Plätze (huaca)  zugewiesen wurden, die sich in Cuzco und im Umland der Stadt befanden. Mehr als 300 huaca  wurden so verteilt. Welche Ab-
  stammungsgruppen den Kult einer bestimmten huaca  unterhielten, scheint in einem quipo  festgehalten worden zu sein.
  Einzelne Bestandteile der Liste wurden wohl durch Knoten
  dargestellt. Die überlieferte Liste der huaca  könnte von einem solchen quipo  stammen, wobei jede Schnur die huaca  auf einer bestimmten Linie festhielt. Diese Linien wurden in der Li-
  ste als ceque  bezeichnet. Die meisten dieser imaginären Linien gingen von der Coricancha aus,88 aber einige verzweigen sich
  auch von bestimmten ceque,  als ob sie in dieser Art an den quipo  geknotet gewesen waren, denn es war möglich, an die senkrecht herabhängenden Schnüre eines quipo  weitere Ne-benschnüre zu knüpfen, um darauf zusätzliche Angaben fest-
  zuhalten. Alles in allem gab es 41 ceque  und mindestens 328
   huaca.
  Die Abstammungsgruppen aus Cuzco waren für den Kult
  der huaca  auf einer bestimmten ceque  zuständig. Aus der erhaltenen Liste der huaca  kann man die Zuordnung rekonstruieren.89 Aber nicht nur die panaca,  sondern auch andere Gruppen mit Beziehungen zur frühen Geschichte Cuzcos - die
  als ayllo  bezeichnet wurden - unterhielten huaca  auf einzelnen ceque.  Aus der Liste der huaca  können wir die räumliche Organisation Cuzcos rekonstruieren. Wie das Tahuantinsuyo
  war die Stadt in vier Teile gegliedert. Zuerst wurde Cuzco in
  55
   saya  geteilt, also in Hanancuzco und Hurincuzco. Dann wurde es weiter in suyo  untergliedert: Zu Hanancuzco gehörten Chinchaysuyo und Andesuyo, zu Hurincuzco Condesuyo und
  Collasuyo. Die folgenden Tabellen fassen die rekonstruierte
  Zuordnung der Abstammungsgruppen zu den huaca  der ein-
  zelnen suyo  zusammen. Alle Gruppen wurden dafür mit einer Nummer gekennzeichnet, die ihre genealogische Position an-zeigt (siehe Tabelle 1), sowie mit einem Buchstaben, je nach-
  dem, ob die Gruppe eine panaca  oder ein ayllo  ist. Der Name des Inka-Herrschers, der der Vorfahr der jeweiligen panaca
  ist, erscheint in Klammern (Tabelle 2).
  Tabelle 2: Verteilung der panaca  und ayllo  auf die suyo (nachRowe 1979, Abb. 8)
   Chinchaysuyo
  10P/Capac Ayllo (Topa Inca)
  9P/Iñaca Panaca (Pachacuti)
  6P/Vica Quirao Panaca (Inca Roca)
  1A/Chawin Cusco Ayllo
  2A/Ayraca Ayllo
  4A/Huacaytaqui Ayllo
   Andesuyo
  eP/Sucso Panaca (Viracocha)
  7P/Aucaylli Panaca (Yahuar Huaca)
  3A/Tarpuntay Ayllo
  5A/Sañoc Ayllo
   Collasuyo
  4P/Usca Mayta Panaca (Mayta Capac)
  5P/Apu Mayta Panaca (Capac Yupanqui)
  3P/Awayni Panaca (Lloque Yupanqui)
  6A/Sutic Ayllo
  7A/Maras Ayllo
  8A/Cuycusa Ayllo
   Condesuyo
  2P/Raura Panaca (Sinchi Roca)
  1P/Chima Panaca (Manco Capac)
  9A/Maska Ayllo
  10A/Kesco Ayllo
  56
  Tabelle 3: Anordnung der panaca  und ayllo  in Paaren Chinchaysuyo 10P/1A
  Andesuyo
  9P/2A 8P/3A
  6P/4A 7P/5A
  Condesuyo
  4P/6A Collasuyo
  2P/9A 5P/7A
  1P/10A 3P/8A
  Neben der laufenden Sorge für den Kult der huaca  in Cuzco waren die panaca  und ayllo  auch besonders mit ihrem suyo verbunden, das sie während des jährlichen Situa-Festes, einem
  Reinigungsritual, säuberten. Je eine panaca  und ein ayllo wurden für dieses Ritual zu einem Paar verbunden, und diese
  Paarung ist auf der dritten Tabelle wiedergegeben. Die Zahlen
  und Buchstaben, die die Gruppen bezeichnen, entsprechen
  denen auf der zweiten Tabelle.
  Die hochentwickelte Organisation Cuzcos reflektiert ihre
  Umwandlung in die Hauptstadt des Inkareiches. Aber ent-
  spricht die überlieferte Form derjenigen aus der Zeit der Neu-
  organisation, oder ist sie vor der spanischen Eroberung noch
  einmal verändert worden? Auf der erhaltenen Liste fehlt die
   panaca  des 11. und letzten Herrschers, Huayna Capac. Wenn wir Pachacuti, dem 9. Herrscher, die Anordnung der panaca
  und ayllo,  wie in Tabelle 3 dargestellt, zuschreiben, so hat er nicht nur bereits seine eigene panaca  untergebracht, sondern auch die seines Sohnes, Topa Inca. In diesem Fall könnte die
  Organisation mit zehn ayllo  und zehn panaca  vollständig gewesen sein, ohne daß eine weitere Veränderung geplant war.
  Die Einführung der Schwesternheirat sollte vielleicht den Pro-
  zeß der weiteren Aufsplitterung in panaca  stoppen.
  Andererseits könnte die Organisation so eingerichtet wor-
  den sein, daß neue panaca  und ayllo  untergebracht werden konnten, oder sie könnte in der Zeit nach Pachacuti geändert
  worden sein.90 Sollte das der Fall sein, muß es einen Weg ge-
  geben haben, neue ayllo  zu bilden, da die panaca  symmetrisch mit ayllo  verbunden waren.
  57
  Nach Betanzos bildeten die Kinder der Herrscher mit nicht-inkaischen Frauen eine getrennte Abstammungsgruppe.91 Auf
  diesem Weg könnte in jeder neuen Generation ein weiteres
   ayllo  gebildet worden sein. Diese neuen ayllo  gehörten zu Hurincuzco, da die einzelnen Mitglieder nur ihrem Vater nach
  Inka waren. Geht man von einer unendlichen Abfolge von
  Herrschern aus, hätte man das System unbegrenzt ausdehnen
  können.
  Aus dem Blickwinkel Pachacutis war ein Wachstum des Sy-
  stems vielleicht nicht wünschenswert. Um die Symmetrie in
  der Zuordnung zu Hanan- und Hurincuzco zu erhalten, muß-
  ten panaca  fortschreitend von hanan  nach hurin  absteigen, während die ayllo  schrittweise aufstiegen. Obwohl es offenbar Pachacutis Absicht war, Hanansaya mit seinen eigenen Nachkommen zu bevölkern, hätte die Weiterentwicklung des Sy-
  stems nach weiteren acht Generationen dazu geführt, daß sei-
  ne eigene panaca  von Hanan- nach Hurinsaya wechselte.
  Was auch immer beabsichtigt war, der Schöpfer des Systems
  konnte nicht sicherstellen, daß seine Nachkommen sein Werk
  unverändert ließen. In gewisser Weise waren jedoch alle neuen
   panaca  nur eine Erweiterung seiner eigenen. Neue Generationen entstanden, aber die Heirat mit der Vollschwester bewirk-
  te, daß die neuen Generationen so weit wie möglich seiner ei-
  genen ähnelten.
  5. Inka und huaca –
  die Bedeutung des Übernatürlichen
  Cuzco selbst war ein heiliger Ort, bewohnt von Geschöpfen,
  die ihre Abstammung auf die Sonne zurückführten. Diese ge-
  nealogische Verbindung scheint den Inka übernatürliche Stel-
  lung verliehen zu haben. „Sie waren mehr als Menschen“,
  schreibt ein spanischer Verwaltungsbeamter.92 Der Begriff capac  war ein Zusatz, teilt Betanzos mit, der „sehr viel mehr als König“ bedeutet.93 Der übernatürliche Status, über den die
  Inka verfügten, wird deutlich belegt durch die gleiche Behand-
  lung, die Inka - soweit sie nahe mit Manco Capac verwandt
  waren - und andere übernatürliche Wesen in den Anden ge-
  nossen.
  Übernatürliche Wesen, wie auch heilige Orte und heilige
  Objekte, wurden in der Kategorie der huaca  zusammengefaßt.
  Es gibt wichtige Unterschiede unter ihnen, die wir nicht völlig
  verstehen. Die meisten huaca  waren aus Stein. Manche hatten eine menschliche Form, männlich oder weiblich, und manche
  waren die Kinder oder Gatten anderer huaca.  Andere waren Darstellungen von Tieren. Sie wurden von bestimmten Personen versorgt, die mit ihnen sprachen und deren Aufgabe es
  war, ihnen Opfer darzubringen. Es war eine Gnade, mit huaca
  sprechen zu können, und diese Fähigkeit verlieh anscheinend
  einen besonderen Status. Eine andere Kategorie von huaca
  waren die mumifizierten Überreste von Vorfahren, die als
   mallquis  bezeichnet wurden. Auch sie hatten Menschen, die für sie sorgten, und besondere Rituale. Eine dritte Kategorie
  von huaca,  genannt conopas,  war den einzelnen Haushalten heilig. Eines der Kinder - Sohn oder Tochter - erbte alle heiligen Objekte; sie wurden nicht unter den Nachkommen aufge-
  teilt.94
  Von Topa Inca an wurden die Inka-Herrscher so behandelt,
  als gehörten sie zu den wichtigeren huaca.  Ihr übernatürlicher Status leitete sich vermutlich von ihrer Beziehung zur Sonne ab.
  Es hieß, der Status stieg nach einem Begräbnisritus, purucaya, 59
  der ein Jahr nach dem Tod eines regierenden Inka durchgeführt wurde. Der Ritus fand offensichtlich auch nach dem
  Tod der Ehefrau des Herrschers statt, da es Hinweise auf die
   purucaya-Rhen  für Mama Ocllo, die Tochter Pachacutis und Schwester-Ehefrau von Topa Inca, gibt. Dieser Ritus wurde
  von verschiedenen spanischen Autoren mit der katholischen
  Heiligsprechung gleichgesetzt, obwohl die damit angedeutete
  Ähnlichkeit zwischen den Mumien der Inka und katholischen
  Heiligen trügerisch ist.95
  In der Inka-Geschichte von Sarmiento ist Topa Inca der er-
  ste Inca, der zu Lebzeiten wie ein übernatürliches Wesen be-
  handelt wurde. Von der Zeit seiner Machtübernahme an er-
  scheint er wie eine bedeutende huaca.  Die Spanier, die über die Inka schrieben, hatten ihre eigene Vorstellung von König-tum und begriffen den Anspruch auf einen übernatürlichen
  Status bei den Nachkommen Manco Capacs nicht völlig. Viel-
  leicht standen die Kandidaten, die nach dem Tod Huascars
  und Atahuallpas für die Nachfolge als Herrscher vorgeschla-
  gen wurden, nicht nahe genug an der Blutlinie, die übernatür-
  lichen Status verlieh. Vielleicht hat aber auch die Niederlage
  von Huascar und Atahuallpa den übernatürlichen Status ent-
  wertet.
  Wie auch immer, in den historischen Darstellungen findet
  man klare Hinweise auf die übernatürliche Stellung der Inka.
  So erzählt Sarmiento uns, daß Topa Inca nach seiner Krönung
  auf seinen Feldzügen im Norden wie eine huaca  behandelt wurde. Niemand wagte, ihm ins Gesicht zu sehen. In einiger
  Entfernung zur Straße, auf der er reiste, beteten ihn die Men-
  schen von den Berggipfeln an. Bei der Durchreise erhielt er
  Opfergaben. Einige opferten ihm Koka, andere rissen sich
  Augenwimpern aus und bliesen sie in seine Richtung. Diese
  letzte Form des Opfers konnten selbst die Ärmsten der Sonne
  geben. In den Städten, die Topa Inca besuchte, wurden Opfer-
  gaben vor seinem Sitzplatz verbrannt, in derselben Weise, wie
  die Sonne „ernährt“ wurde.96
  Daß die Menschen sich entfernt hielten, ist ein Hinweis auf
  die heilige Stellung des Inka. Cieza de León, ein spanischer
  60
  Soldat, beschreibt dieses Verhalten und erzählt, daß die Inkaherrscher sehr gefürchtet wurden und daß unter den Zu-
  schauern großes Geschrei entstand, wenn einmal der Schleier
  von der Sänfte des Inka glitt. Anderswo schreibt er, daß ihr
  Geschrei aus verschiedenen ehrenvollen Titeln als Zeichen der
  Verehrung bestand.97
  Das Wort, das Sarmiento benutzte, wenn es um die Behand-
  lung Topa Incas ging, ist mochar,  eine spanische Entstellung eines Inka-Wortes für eine besondere Geste der Verehrung.
   Mocba  war eine Form der Opfers, die huaca  von ihren rituellen Spezialisten erhielten. Es bestand darin, die linke Hand zu
  der huaca  zu halten und die Finger zu öffnen, „als ob man einen Kuß gibt“. Nur die rituellen Spezialisten durften zu der
   huaca  gehen. Die gewöhnlichen Menschen versammelten sich anderswo und nahmen nur an einer rituellen Anrufung nach
  der Zeremonie teil. Übernatürliche Wesen wie die Sonne und
  der Donner wurden auf diese Weise angebetet und ebenso die
  herrschenden Inka.98
  Die Sonne wurde rituell ernährt, und die rituelle Ernährung
  (durch das Verbrennen von Opfergaben) des Inka, eines le-
  benden Wesens, das wie jedes andere lebende Wesen essen
  mußte, bekräftigt nur die Gleichsetzung zwischen Sonne und
  Inka-Herrscher. Diese war auch auf andere Weise offensicht-
  lich. Die Sonne besaß Häuser im Zentrum des neuen Cuzco
  nahe der Inticancha, dem Wohnort der ersten Generationen
  der Inka, sowie in vielen der Provinzen. Eine große Zahl von
  Frauen wurde dem Dienst für die Sonne zugewiesen, ebenso
  wie Abhängige, die yanacona  genannt wurden. Um die Op-
  fergaben zu produzieren und den riesigen Haushalt der Sonne
  zu unterhalten, erhielt der Kult Land und Herden. Schließlich
  besaß die Sonne noch verschiedene Kostbarkeiten.“ Dieser
  Besitz ähnelte in Umfang und Art jenem, den jeder Inka-
  Herrscher - zumindest von Pachacuti an - während seiner
  Lebenszeit anzuhäufen versuchte.
  Obwohl wir den Umfang des Besitzes der Sonne nicht ken-
  nen, wurde in jeder Provinz zum Nutzen dieses übernatürli-
  chen Wesens Land bearbeitet, und einige Provinzen waren
  61
  ganz dem Kult der Sonne gewidmet.100 Vielleicht war der Besitz direkt mit dem Personal und den Häusern der Sonne in
  diesen Regionen verbunden. Zur Zeit der spanischen Erobe-
  rung war Vila Oma, ein Bruder Huayna Capacs, der oberste
  Verwalter der Sonne.101
  Jeder Inka verfügte über Besitz mit ähnlichen Ressourcen,
  das heißt mit Frauen, Abhängigen, Land, Herden und kostba-
  ren Gütern.102 Ehefrauen konnten eigenen Besitz haben, und
  selbst die Bildnisse, die huaoque,  die manchmal als Vertreter des Inka dienten, konnten über Eigentum verfügen.103 Die
  Ausstattung für den Kult der früheren Herrscher war von
  Pachacuti eingerichtet oder zumindest gefördert worden, als
  er den Mumien seiner Vorfahren Geschenke machte.104
  Am besten ist der Besitz jener Inka-Herrscher, die das Reich
  eroberten, dokumentiert; er umfaßte auch Land in einiger
  Entfernung von Cuzco. Eine Beschreibung von Topa Incas
  Besitz gibt eine Idee von seinem Ausmaß und seiner Vielfalt.
  Als die Spanier Cuzco erreichten, wurde dieser Besitz von ei-
  nem seiner Urenkel verwaltet und umfaßte Paläste am Haupt-
  platz von Cuzco, Paläste auf dem Land nahe Cuzco in Calis-
  puquio, Chinchero, Urcos (heute Urquillos) und Guaillabamba,
  die Provinz Parinacocha auf den Westhängen der Kordillere
  im Westen Cuzcos mit einer Bevölkerung von 4000 Haushal-
  ten, eine zweite Provinz in Quipa (nahe Pucara) und Azanga-
  ro im nördlichen Titicacasee-Becken mit 4500 Haushalten,
  einschließlich von außenliegenden Gemeinschaften im Cara-
  baya-Gebiet östlich des Sees, wo Gold gewaschen wurde, und
  eine dritte Provinz in Achambi im Süden Cuzcos auf der
  Westseite der Andenkordillere, mit 4500 Haushalten.105
  Ein Teil dieses Besitzes wurde vermutlich durch Eroberun-
  gen und die Ausrottung der Bewohner erworben. Beispiels-
  weise besaß Pachacuti mehrere Ländereien im Urubamba-Tal
  (Karte 8), die er sich auf diese Weise angeeignet hatte. Nach
  einem erfolglosen Versuch, ihn im Gebiet der Cuyos bei Pisac
  zu ermorden (Karte 4), vernichtete dieser Inka-Herrscher die
  Bewohner Cuyos’ und setzte seinen Feldzug durch das Uru-
  bamba-Tal fort. Er legte mehrere private Landsitze in diesem
  62
  Gebiet an, von denen einer die berühmte archäologische Fund-stätte Machu Picchu ist.106 Als Topa Inca beim Tode seines
  Vaters einen Aufstand der Collas niederschlug, stieß er auf
  starken Widerstand in Asillo, in einem Gebiet, wo er später
  private Besitzungen anlegte.107
  Die Besitzungen der Sonne und einzelner Inka-Herrscher
  ähnelten jenen anderer wichtiger huaca,  wenn auch nicht ermittelt werden kann, ob die Inka diese Einrichtungen nach
  dem Vorbild vorhandener Institutionen schufen oder als erste
  mit der Vergabe von Besitz an die huaca  begannen. Die Inka-Herrscher gaben Geschenke von Land, Frauen, Abhängigen,
  Herden und kostbaren Gütern an einzelne huaca.  Wichtige huaca,  die durch tragbare Bildnisse repräsentiert wurden, kamen einmal im Jahr nach Cuzco. Sie sollten dort vorhersagen,
  was im nächsten Jahr passieren würde. Huaca,  deren Vor-
  hersagen aus dem vorangehenden Jahr eingetroffen waren,
  wurden reich belohnt. Wie es scheint, konnten huaca  auch be-straft werden. Sie konnten sogar getötet werden, und eine
   huaca,  die vernichtet worden war, wurde als atisca  bezeichnet.108
  Die Inka, die Sonne und eine Anzahl regionaler huaca  unterhielten verschiedene Arten von Beziehungen untereinander.
  Beispielsweise gaben die Inka Geschenke an die Sonne, aber
  es war möglich, diese durch ein Spiel zurückzugewinnen, das
   ayllusca  hieß. Das Ziel des Spiels war, eine Stoffschlange, die in die Luft geworfen wurde, mit einer ayllo  oder Bola einzu-fangen. Dieses Spiel konnte auch mit anderen übernatürlichen
  Wesen gespielt werden.109
  Eine Geschichte über das erste Zusammentreffen zwischen
  Topa Inca und Pachacamac, der wichtigsten huaca  an der Kü-
  ste, gibt uns einen Rahmen zum Verständnis der Beziehungen
  zwischen mächtigen übernatürlichen Wesen. Als Topa Incas
  Mutter, Mama Anahuarque, mit ihm schwanger war, kam
  eine Stimme aus ihrem Bauch und sagte ihr, es gebe an der
  Küste einen Schöpfer in dem Tal Irma (für Ichma, dem heuti-
  gen Lurin-Tal unmittelbar südlich von Lima). Als Topa Inca
  erwachsen war, erzählte seine Mutter ihm, was sich ereignet
  63
  hatte, und ihr Sohn beschloß, nach diesem übernatürlichen Wesen zu suchen. Er reiste zu dem Ort, der heute als Pachacamac bekannt ist (Karte 5), und verbrachte viele Tage fastend
  und betend, bis Pachacamac schließlich mit ihm sprach.
  Pachacamac erzählte Topa Inca, daß er alle Dinge „hier un-
  ten“ geschaffen habe, und wir interpretieren dies als „an der
  Küste“. Er sagte auch, daß die Sonne sein Bruder sei und alle
  Dinge „dort oben“ geschaffen habe, das heißt im Hochland.
  Der Inka und seine Begleiter brachten Pachacamac umfang-
  reiche Opfer dar. Als er gefragt wurde, welche Arten von Op-
  fern er gerne hätte, antwortete Pachacamac - der aus einem
  Stein sprach -, daß er eine Frau und Kinder habe und daß die
  Inka ihm ein Haus bauen sollten. Topa Inca baute ihm ein
  Haus in Pachacamac. Pachacamac sagte ihm auch, er habe
  vier Kinder. Eins befand sich im Tal von Mala an der Küste
  nach Süden, ein zweites in Chincha, an der Küste noch weiter
  im Süden, ein drittes in Andahuaylas, im Hochland bei
  Cuzco, und das vierte war ein tragbares Bildnis, das er Topa
  Inca gab.110
  Die Geschichte wurde offensichtlich aus der Sicht der Inka
  erzählt, da sie das bereits existierende Heiligtum in Pachaca-
  mac nicht erwähnt. Das Heiligtum ist seit Anfang dieses Jahr-
  hunderts von Archäologen untersucht worden, und sie fanden
  heraus, daß es an diesem Ort schon ein halbes Jahrtausend
  vor der Entstehung des Inkareiches bestand. Es ist keine Über-
  raschung, daß Verwandtschaftsbegriffe als Ausdruck für die
  Beziehungen zwischen Pachacamac und anderen, geringeren
  übernatürlichen Wesen wie auch zwischen Pachacamac und
  der Sonne benutzt werden: In der Geschichte sind Pachaca-
  mac und die Sonne Brüder. Interessanterweise wird keine
  hierarchische Beziehung zwischen den beiden ausgedrückt.
  Schließlich waren beide Schöpfer und die Vorfahren heiliger
  Wesen: Pachacamac hatte seine huaca- Kinder und die Sonne die Inka.
  In diese Geschichte eingearbeitet ist die Vorstellung, daß es
  mehr als einen Schöpfer gab und daß die Sonne ein wichtiger
  Schöpfer war. In anderen Berichten, die auf Informationen aus
  64
  Cuzco beruhen, war die Sonne einer obersten Gottheit untergeordnet, die oft als Viracocha Pachayachachi bezeichnet
  wird und von der es heißt, sie habe alles erschaffen.
  Ob die Inka einen obersten Schöpfer neben der Sonne
  kannten, ist eine offene Frage. Eine Gottheit namens Ticci
  Viracocha oder Viracocha Pachayachachi ist in einer Anzahl
  von Berichten als oberste Schöpfergottheit beschrieben, ein-
  schließlich in denen indianischer Autoren. m Im 16. Jahrhun-
  dert wurden von den Spaniern Parallelen zwischen den reli-
  giösen Überzeugungen der Indianer und dem Katholizismus
  gesucht, und die Identifizierung eines obersten Schöpfers
  könnte ein Teil eines Versuchs sein, das Christentum auf dem
  einheimischen Glauben aufzubauen. Vorspanisches Vorkom-
  men von christlichen Überzeugungen wurde als Beweis für de-
  ren „Wahrheit“ benutzt, und sie waren ein wichtiges Instru-
  ment bei der Missionierung der indianischen Bevölkerung.
  Diese Bemühungen sind manchmal durchsichtig, wie zum Bei-
  spiel wenn der Fund eines Keramikgefäßes mit drei Köpfen im
  Alti piano von Bolivien von einem Augustiner als Hinweis auf
  einen Glauben an die Dreifaltigkeit interpretiert wurde.
  Die Verwirrung über Viracocha in den Quellen deutet dar-
  auf hin, daß die Gleichsetzung dieses Wesens mit einem ober-
  sten Schöpfer ähnlich dem christlichen Gott falsch sein mag.
  Wenn Betanzos uns berichtet, daß die Inka glaubten, Vira-
  cocha Pachayacachi habe die Sonne erschaffen, erwähnt er
  auch, „sie ändern ihre Geschichte“ und manchmal sagen sie,
  die Sonne sei der Schöpfer, während sie zu anderen Zeiten die
  Schöpfung Viracocha zuschreiben. Sarmiento ist überzeugt,
  daß Viracocha ein oberster Schöpfer ist, aber es gibt auch in
  seinem Bericht Hinweise auf Unklarheiten: Die meiste Zeit
  sind die Inka „Söhne der Sonne“ (seine Übersetzung von in-
   tipchurin),  aber an einer Stelle nennt er sie „Söhne Viracochas“. Er lokalisiert auch einen „Tempel der Sonne und die
   buaca  von Ticci Viracocha“ auf einer Insel im Titicacasee.
  Diese Insel war eng mit dem Sonnenkult verbunden, und die
  Hinzufügung eines Heiligtums für Viracocha könnte ein
  christlicher Versuch sein, Viracocha und den Sonnenkult zu
  65
  verschmelzen. Polo schreibt, er habe in Cuzco nach dem Haus Viracochas gesucht, ohne es zu finden, und er fügt an, man
  habe ihm erzählt, daß es am selben Platz wie die Häuser der
  Sonne liege. Schließlich gibt es Verwirrung darüber, welches
  übernatürliche Wesen Pachacuti vor dem Angriff der Chancas
  in Susurpuquio erschienen ist. Betanzos sagt, es sei Viracocha
  Pachayachachi gewesen. Sarmiento beschreibt die Erscheinung
  als ein Wesen „wie die Sonne“. Molina gibt ein Gespräch
  wieder, in dem sich das übernatürliche Wesen als die Sonne
  identifiziert.112
  Es gab weiterhin eine lokale Gottheit, die als Viracocha be-
  zeichnet wurde. Cristobal de Molina, ein Priester, der in Cuzco
  Indianer missionierte, erwähnt einen Berg in einer Provinz
  südlich Cuzcos mit Namen Cacha Viracocha. Hier hatte
  Huayna Capac einen Kult eingerichtet. Betanzos fügt an, daß
  dieser Kult Frauen und yanacona  erhielt und vermutlich auch Ressourcen, um ihn mit Opfergaben zu versorgen.113 Die Verehrung dieser Gottheit könnte mit dem Sonnenkult verwech-
  selt worden sein. Eine andere Möglichkeit ist, daß mehrere
  übernatürliche Wesen die Bezeichnung Viracocha als Bestand-
  teil ihres Namens führten. Viracocha Pachayachachi selbst
  könnte ein weiteres übernatürliches Wesen gewesen sein oder
  ein Aspekt der Sonne.
  Ein wichtiger Grund für Zweifel an der Existenz eines
  obersten Schöpfers neben der Sonne ist das Fehlen von Bele-
  gen für die materielle Versorgung des Kults einer solchen
  Gottheit. Wichtige übernatürliche Wesen waren nicht arm; sie
  hatten Besitz, der ein komplexes Programm von Diensten und
  Opferungen möglich machte. Wenn es ein separates, wichtiges
  Schöpferwesen gab, können wir erwarten, daß es Ressourcen
  im vergleichbaren Umfang wie die Sonne besaß. Das ist je-
  doch nicht der Fall.
  In dem kurzen Bericht des Priesters Jose de Arriaga über
  religiöse Praktiken wird kein oberster Schöpfer erwähnt. Er
  stellt vielmehr fest, daß die buaca  die runapcamac  waren, was er als „Schöpfer der Menschen“ übersetzt.114 Vielleicht ist
  gemeint, daß die huaca  die Erzeuger der Lebewesen waren, 66
  daß sie der Ursprung von Lebensformen oder belebten Objek-ten waren. Schnelle religiöse Veränderungen nach der spani-
  schen Eroberung beeinträchtigen unser Verständnis des in-
  kaischen Glaubenssystems. Allerdings wurde der Sonnenkult
  nicht sofort ausgerottet. Selbst im 17. Jahrhundert traf Ar-
  riaga noch auf religiöse Praktiken, die mit dem Kult der Son-
  ne und anderer inkaischer übernatürlicher Wesen zusammen-
  hingen.
  In der oben zitierten Geschichte bezeichnet Santillán so-
  wohl die Sonne wie auch Pachacamac als Schöpfer. Wenn die
  andinen Völker an verschiedene Schöpfer und die damit ver-
  bundenen getrennten Ursprünge verschiedener Menschen
  glaubten, dann hatten sie mit einer neuen Mythe zu kämpfen,
  die die Spanier einführten: Nach dieser stammten alle Men-
  schen von Adam und Eva ab, die von einem einzigen überna-
  türlichen Wesen geschaffen worden waren. Das übernatürli-
  che Wesen der Christen mochte verschiedene Aspekte haben,
  aber es war das einzige übernatürliche Wesen in der Welt, ab-
  gesehen von dem Teufel, einem bösen Alterego, das nicht ver-
  ehrt wurde. Die Konstruktion eines andinen Schöpfers, der
  dem obersten Wesen der Christen ähnlich war, könnte gehol-
  fen haben, den Übergang zum Christentum zu erleichtern,
  und er könnte fast unbewußt von christlichen Autoren einge-
  führt worden sein, selbst von jenen indianischer Herkunft.
  In Santilláns Geschichte finden sich die Umrisse einer an-
  deren Weltsicht, und zwar eines Weltbildes, das spezifisch
  inkaisch sein mochte. Zwei Welten, Küste und Hochland,
  wurden getrennt geschaffen. Die Beziehung zwischen ihren
  obersten übernatürlichen Wesen entsprach Verwandtschafts-
  bindungen. Bestimmte Aspekte der inkaischen Verwaltung,
  wie sie im siebten Kapitel diskutiert werden, folgen der ge-
  danklichen Teilung des Raums, wie sie in Santilláns Geschich-
  te dargestellt wird; es gibt zwei Listen über die Art der Dien-
  ste, die unterworfene Provinzen den Inka leisten mußten, eine
  für die Küste und eine zweite für das Hochland.115
  Vielleicht hat Santilláns Bericht einen historischen Gehalt.
  Beispielsweise entstand tatsächlich eine Beziehung zwischen
  67
  Topa Inca und Pachacamac, weil der Inka Geschenke an den Kult gab. Pachacamac hat vermutlich weitere Gaben von
  Huayna Capac erhalten. Ein einheimischer Autor, dessen Vor-
  fahren Huayna Capac auf Feldzügen gefolgt waren und In-
  formationen über die Reisen dieses Inka in der nördlichen
  Hälfte des Reiches geliefert haben, schreibt, daß Pachacamac
  Huayna Capac an die Küste rief. Als Huayna Capac der Auf-
  forderung nachkam, bat Pachacamac darum, nach Chimo ge-
  bracht zu werden, nahe der heutigen Stadt Trujillo, wo er mit
  einem beachtlichen Aufwand an Bediensteten untergebracht
  wurde. Huayna Capac versprach, den ehrgeizigen Wunsch
  Pachacamacs zu erfüllen.116
  Die Überreste der monumentalen inkaischen Bauwerke
  können noch heute in Pachacamac angesehen werden, und die
  Bedeutung der inkaischen Präsenz ist erkennbar. Bestimmte
  Aspekte der Einrichtungen für Pachacamac, wie zum Beispiel
  eine Anlage, in der dem Kult geweihte Frauen wohnten, konn-
  ten identifiziert werden. Ein Friedhof mit Grabstätten von
  Frauen wurde auf einer Terrasse der Plattform gefunden, die
  die Inka an dem Ort errichteten. Wegen der Trockenheit an
  der peruanischen Küste ist die Kleidung der Toten, die einst zu
  Pachacamacs Kult gehörten, erhalten geblieben. Die Frauen
  trugen Kleidung in inkaischem Stil.117 Die Inka übten auch
  einen starken Einfluß auf die materielle Kultur in Chincha
  aus, das heißt, das Tal mit dieser untergeordneten buaca  stand auch im Zentrum ihrer Interessen, entsprechend der Stellung
  der buaca  als Kind Pachacamacs.118
  Pachacamac hatte eine „Heimat“ an der Küste, die der
  inkaischen Expansion vorausging. Wenn wir die Geschichte
  historisch auslegen, erzählt sie uns, wie Verhandlungen und
  nicht Eroberungen die Beziehung zwischen den Inka und dem
  Pachacamac-Kult prägten.
  Der Kult der Sonne ging ebenfalls der Zeit der inkaischen
  Expansion voraus, aber dieser Kult spielte in der inkaischen
  Vergangenheit eine Rolle und über die Beziehung zur Sonne
  konnte nicht verhandelt werden wie über die zu Pachacamac.
  Auf der Insel Titicaca in der Nähe von Copacabana (Karte 5)
  68
  befand sich ein heiliger Felsen, von dem geglaubt wurde, die Sonne sei daraus hervorgegangen. Dies war der pacarisca  oder der Ursprungsort der Sonne. Es gibt keine Geschichte über ein
  Zusammentreffen zwischen den Inka und diesem übernatürli-
  chen Wesen, in dem seine „Menschlichkeit“ erkennbar wird,
  und daher wissen wir nicht, ob das mit Titicaca verbundene
  übernatürliche Wesen ursprünglich als Inhaber eines bestimm-
  ten Geschlechts mit Ehepartnern und Kindern aufgefaßt
  wurde. Frühe Vorstellungen über dieses übernatürliche Wesen
  können durch die Adoption als Vorfahr in der dynastischen
  Abstammungsgruppe verwischt worden sein. Versuche, die
  dynastische Linie mit dem heiligen Felsen auf der Insel Titi-
  caca zu verbinden, führten zu einer Variante im Ursprungs-
  mythos der Inka. Statt aus einer Höhle in Pacaritambo her-
  vorzugehen, kamen Manco Capac und seine Schwester, die
  Vorfahren der Inka, von der Insel Titicaca.119
  Die Inka könnten den Anspruch auf eine Beziehung zur
  Sonnengottheit usurpiert haben, nachdem dieser Anspruch in
  den Jahren vor der inkaischen Expansion von einer anderen
  Gruppe erhoben worden war. Die Collas, deren Machtzen-
  trum im nördlichen Titicacasee-Becken lag, beanspruchten die
  Auszeichnung, „Nachkommen der Sonne“ zu sein, als sie ge-
  gen die Inkaherrschaft rebellierten.120 Eine enge Verbindung
  zu einem wichtigen übernatürlichen Wesen zu behaupten
  mochte ein ideologisches Mittel sein, um militärische und di-
  plomatische Machtstrategien zu ergänzen. Vielleicht war der
  Anspruch mit der Colla-Herrschaft im Titicacasee-Gebiet vor
  den Inka-Eroberungen verknüpft. Wenn die Beziehung zur
  Sonne ein gewisses Alter hatte, dann haben sich die Inka eine
  Rolle angeeignet, die schon vorher existierte.
  Wie auch immer, die Inka „besiegten“ Titicaca nicht. Im
  Gegenteil, als pacarisca  der Sonne hatte die huaca  einen Platz in dem Reichskult. Ein größeres Bauprojekt wurde auf der Insel Titicaca begonnen. Die Bewohner auf der benachbarten
  Copacabana-Halbinsel wurden umgesiedelt, und eine mul-
  tiethnische Gemeinschaft von Menschen aus mehr als 40 Völ-
  kern wurde auf der Halbinsel angesiedelt. Der Kult wurde
  69
  von hochrangigen Mitgliedern der inkaischen panaca  geleitet.
  Vermutlich wurde der Kult mit Ressourcen ausgestattet, um
  Bedienstete zu unterhalten und ein komplexes Programm von
  Opferungen zu ermöglichen. Der Zugang zu dem Ort war be-
  schränkt und den Collas wurde verboten, an dem capac raymi
  und inti raymi  teilzunehmen, den wichtigsten Festen des inkaischen Zeremonialkalenders.121 Der Titicaca-Kult wurde
  okkupiert und verändert, um die Verbindung zwischen der
  dynastischen Linie der Inka und diesem wichtigen übernatür-
  lichen Wesen zu spiegeln.
  Es war notwendig, mit einer wichtigen buaca  zu verhandeln oder sie in anderer Weise zu neutralisieren, weil diese Wesen
  selbst politische Macht hatten. Obwohl es keine Fälle von be-
  deutenden übernatürlichen Wesen gibt, die gegen die Inka
  kämpften, finden sich zahlreiche Hinweise auf die Teilnahme
  geringerer buaca  am Krieg oder am Widerstand gegen die Herrschaft Cuzcos. Wenn wir Sarmientos Darstellung genau
  verfolgen, so erkennt man, daß der Einfall der Chancas in
  Cuzco durch zwei huaca  geleitet wurde.122 Juan de Santa Cruz Pachacuti berichtet mehrmals von Schlachten, bei denen
  die Inka gegen bekannte buaca  kämpften oder bei denen
  übernatürliche Wesen der inkaischen Seite halfen.123 Die Inka
  nahmen meistens das Bildnis Manco Capacs und andere mit
  in die Schlacht. Ebenso konnte ein lebender Herrscher eine
  Abbildung von sich in die Schlacht schicken, so daß er danach
  den Ruhm für einen Sieg in Anspruch nehmen konnte.124
  Angaben über den Status von Inka und übernatürlichen
  Wesen zeigen eine gänzlich andere Aufteilung der natürlichen
  und übernatürlichen Welt als unsere eigene. Auf der einen Sei-
  te überzeugten die Inka ihre Untertanen, daß sie „mehr als
  Menschen“ waren - daß sie übernatürliches Wissen besaßen,
  daß sie mit übernatürlichen Wesen sprechen konnten und daß
  sie mit einem wichtigen übernatürlichen Wesen eng verbun-
  den waren. Auf der anderen Seite griffen wichtige übernatür-
  liche Wesen in das menschliche Leben ein und wiesen selbst
  einen hohen Grad von „Menschlichkeit“ auf. Sie mußten ver-
  sorgt werden, und sie konnten sprechen. Sie spielten eine
  70
  wichtige Rolle auf der politischen Bühne, indem sie Bedingungen für ihre Akzeptanz der Inka-Herrschaft aushandelten
  und indem sie dieser Widerstand leisteten. Wie im Fall der
  Inka, die die Abstammung von einem übernatürlichen Wesen
  beanspruchten, konnten huaca  genealogische Beziehungen zu der menschlichen Bevölkerung haben. Es existierte keine
  scharfe Trennung zwischen den Kategorien natürlich und
  übernatürlich.
  Schärfer waren die Grenzen zwischen Abstammungsgrup-
  pen definiert. Anstelle einer einzigen Art von menschlichen
  Wesen gab es viele von ihnen. Wenn eine Gruppe mächtig ge-
  worden war, konnte sie ihre Beziehungen zu den anderen neu
  festlegen. Die Inka definierten ihre Abstammungsgruppe und
  deren Rolle in der andinen Welt neu und begannen danach,
  ihre Vorstellung von Ordnung auf andere andine Gruppen
  auszudehnen, die in den von Cuzco beherrschten Provinzen
  lebten.
  6. Organisation der Provinzen
  Inka und huaca  besaßen Land, Herden und abhängiges Ge-
  folge. Einige dieser Besitztümer entsprachen ganzen Provin-
  zen. Zum Besitz Topa Incas gehörten Gebiete in einiger Ent-
  fernung von Cuzco: Parinacochas, Azangaro und Achambi.
  Zwei Inseln vor der Copacabana-Halbinsel im Titicacasee
  bildeten zusammen mit der Halbinsel ein separates Territori-
  um, das dem Kult der Sonne geweiht war.125 In einigen Fällen
  bildete Topa Incas Besitz keine getrennte Provinz, sondern
  war mit dem Land der Sonne vermischt.126 Trotzdem bestand
  der Besitz einzelner Inka und wichtiger übernatürlicher Wesen
  - ob in irgendeiner Weise zusammengefaßt oder nicht - aus
  separaten, umgrenzten Territorien, die physisch von anderen
  Provinzen getrennt waren.
  Es gibt zahlreiche Hinweise auf „Provinzen“ in den spani-
  schen Dokumenten, oft bezeichnet mit dem Namen der dort
  wohnenden Gruppe. Wir können allerdings nicht annehmen,
  daß die Begriffe in spanischen Dokumenten indianische Vor-
  stellungen von räumlicher Organisation korrekt wiedergeben.
  Hatten die Inka eine Vorstellung von Territorien, die durch
  Grenzen definiert waren?
  Die Inka hatten eine Vorstellung von begrenztem Territo-
  rium und definierten Provinzen aufgrund von festen Grenz-
  linien. Die Grenzen zwischen Provinzen im Hochland waren
  entlang landschaftlicher Merkmale gezogen, selbst dort, wo
  sie durch unbewohnte Gebiete gingen.127 Obwohl solche Ge-
  biete den Spaniern leer erschienen, waren sie als Weideflächen
  für domestizierte und wilde Kameliden (Lama, Alpaka, Gua-
  naco, Vikuña) wirtschaftlich wertvoll. Auch dienten sie zur
  organisierten Jagd auf andere Wildtiere.
  Territorien waren begrenzt, aber die Menschen, die einer
  Provinz angehörten, mußten nicht notwendigerweise innerhalb
  ihrer Grenzen leben. Die Inka siedelten zahlreiche Gruppen
  um, sowohl innerhalb ihrer Heimatgebiete wie auch in ent-
  fernt liegende Regionen. In einigen Fällen wurde ein Gebiet
  72
  entvölkert und dann mit Gemeinschaften von Menschen verschiedener Herkunft neu besiedelt.128 Gruppen von Menschen
  aus der Nähe Cuzcos wurden zur Sicherung in neu annektier-
  te Gebiete geschickt. Oft hatte die Umsiedlung auch mit der
  Güterproduktion zu tun. Gemeinschaften von Handwerkern
  fanden sich in der Nähe von inkaischen Verwaltungszentren,
  damit sie nahe bei den Speichern lebten, in denen ihre Pro-
  dukte untergebracht wurden. Menschen wurden eingezogen,
  um einzelnen Inka zu dienen, und in Gemeinden auf den Län-
  dereien der Inka-Herrscher angesiedelt. Für inkaische Projekte
  wie Bergbau, Koka-Anbau und militärische Garnisonen war
  die dauerhafte Umsiedlung von Gemeinschaften in Gebiete
  weit entfernt von ihrer Heimat erforderlich. Menschen aus
  hochliegenden Provinzen wurden in tieferliegenden Talgebie-
  ten angesiedelt, um Nahrungsmittel für ihre Ursprungsprovin-
  zen anzubauen.129
  Personen, die dauerhaft umgesiedelt wurden, hießen miti-
   ma.  Viele wurden in Gebieten außerhalb ihrer Heimatprovinzen angesiedelt, aber gehörten weiterhin zu ihrer Ursprungs-
  provinz, so als ob sie herangezogen worden wären, um einen
  Arbeitstribut dieser Provinz zu erfüllen, wie im nächsten Ka-
  pitel beschrieben werden wird. Sie unterstanden vermutlich
  den politischen Autoritäten der Regionen, in die sie umgesie-
  delt worden waren.130
  Betrachten wir nun genauer die inkaische Provinz-Auftei-
  lung in einem Teil des Inkareiches, dem Titicacasee-Gebiet
  (Karte 7). Zunächst einmal berücksichtigt sie die Gliederung
  des gesamten nördlichen Collasuyo in eine westliche und öst-
  liche Hälfte, genannt Urcosuyo und Umasuyo. Südlich Cuzcos
  bildete die Straße ins Collasuyo die Grenze zwischen Urco-
  suyo und Umasuyo. Vor Erreichen des Titicacasees, in Ayaviri,
  teilte sich die Straße in zwei Zweige, die ebenfalls Urcosuyo
  und Umasuyo hießen und die den Titicacasee westlich bzw.
  östlich passierten, bis sie südlich des Sees, in Caracolla im
  heutigen bolivianischen Hochland, wieder aufeinandertra-
  fen.131 Die Grenze zwischen Urcosuyo und Umasuyo scheint
  den Titicacasee zu durchschneiden, obwohl die Einordnung
  73
    
 
  Inkaische
  Provinzen in
  3, Abb. 7.1)
  Collasuyo (nach
  Karte 7:
  Julien 199
  74
  verschiedener Orte entlang dieser Grenze im Seegebiet uneindeutig ist. Als die Bewohner des Collasuyo verteilt wurden,
  um inkaische Provinzen zu bilden, folgte die Teilung der
  Grenze zwischen Urcosuyo und Umasuyo. Beispielweise wur-
  den zwei Völker, die Canas und Canches, zusammengefaßt
  und dann gemeinsam entlang der UrcosuyoAJmasuyo-Grenze
  in zwei Provinzen geteilt. Die Pacajes waren entlang derselben
  Linie auf zwei Provinzen verteilt. Die Lupacas hingegen ge-
  hörten insgesamt ins Urcosuyo.132
  Die Lupaca-Provinz scheint eine „normale“ Provinz gewe-
  sen zu sein, das heißt, sie bestand aus einer Bevölkerung, die
  eine Tributbeziehung mit Cuzco eingegangen war und von
  den Inka organisiert wurde, um die üblichen Güter herzustel-
  len und die üblichen Dienste zu leisten. Wir haben keine
  Hinweise darauf, daß die Provinz einem einzelnen Inka oder
  einem übernatürlichen Wesen gehörte. Es gibt Daten über die
  Struktur der Lupaca-Provinz zur Zeit der Inka-Herrschaft,
  aus einer Verwaltungsuntersuchung von 1567.133 Zwei huno
  (oder Einheiten von 10000 Haushalten) wurden eingerichtet.
  Ein einzelner Ort, Chucuito, diente als Zentrum für die Inka,
  und die Herrscher der Lupacas, die die Arbeitskräfte entspre-
  chend den Forderungen Cuzcos bereitstellen mußten, lebten
  dort. Einige Haushalte wurden dauerhaft dazu bestimmt, Gü-
  ter zu produzieren oder Dienste zu leisten, und sie wurden in
  speziellen Dörfern bei Chucuito angesiedelt.134
  Das Gebiet der Collas war ebenfalls entlang der Urcosuyo/
  Umasuyo-Grenze geteilt, aber zumindest ein Teil scheint von
  den Inka nach anderen Regeln als die Lupaca- und Pacajes-
  Provinzen behandelt worden zu sein. In dem Gebiet befanden
  sich zwei kleine Territorien, die dem Dienst für einen einzelnen Inka oder für die Sonne geweiht waren. Eins davon waren die
  4500 Haushalte in Azángaro, die Topa Inca gehörten; das
  andere Gebiet war Arapa, das der Sonne zugeordnet war. Arapa
  war ein Teil eines größeren Gebietes namens Chiquicache,
  und es ist möglich, daß ganz Chiquicache der Sonne gehörte.
  Es gibt keine Dokumente über den Grund für die Einrich-
  tung dieser Besitzungen. Wenn sie hauptsächlich ökonomi-
  75
  sehen Zwecken dienten, so können wir annehmen, daß Arapa frostgetrocknete Kartoffeln produzierte, denn in der frühen
  Kolonialzeit war die Gegend auf deren Herstellung speziali-
  siert.135 Während der Kolonialzeit wurde einer der wichtig-
  sten Weidegründe für Alpaka, Umasbamba im Hochland an
  der Grenze zwischen Peru und Bolivien, von den curaca  aus Azángaro beherrscht, und die Woll- und Fleischerzeugung
  könnte auch bei den Inka die Aufgabe dieser Provinz gewesen
  ein.136 Eine oder beide Gegenden könnten auch die Arbeits-
  kräfte gestellt haben, die im benachbarten Tiefland von Cara-
  baya Gold wuschen. Die Bewohner von Chiquicache wurden
  als mitima  in die östlichen Tiefländer geschickt, um Nahrungsmittel für die Hochland-Provinz zu beschaffen;137 und
  ein ähnlicher Zugang zu Gebieten ins Tiefland bestand ver-
  mutlich für die Menschen aus Azángaro.
  Weil sie einzelnen Personen oder übernatürlichen Wesen
  dienten, könnten die Bewohner der Provinz yanacona  gewesen sein, wie jene Menschen, die auf den Ländereien Huayna
  Capacs in Yucay arbeiteten.138 Auf dem Land in Yucay lebten
  zwei huaranca (2000 Haushalte), die sowohl mitima  als auch yanacona  waren, also von anderswo umgesiedelt waren - in diesem Fall aus dem Chinchaysuyo und dem Collasuyo -, und
  auf Dauer für den Inka Huayna Capac tätig waren.139 Wir
  können Gruppen von orejones  im Azángaro-Gebiet nachweisen und mitima  aus der Canas-Region in Chiquicache, aber größtenteils scheinen diese Ländereien von den einheimischen
  Collas bewohnt worden zu sein.140
  Im Titicacasee-Gebiet gab es zwei Territorien, die zu buaea
  gehörten. Das eine war Copacabana, wie im vorherigen Kapi-
  tel beschrieben. Eine zweite wichtige buaea  bildete ein großer Sandsteinfels bei Pucara, ein heiliger Platz schon seit mindestens einem Jahrtausend vor den Inka. Die Inka verschönerten
  den Ort mit Bauten und könnten einen Kult eingerichtet
  haben, für den wie bei anderen buaea  Besitz bereitgestellt wurde.141
  Ein weiterer Provinztyp findet sich am äußersten Nord-
  bzw. Südrand des Titicacasee-Beckens, in Ayaviri und Paria.
  76
  Beide Orte waren Zentren von Provinzen, die von miüma  be-völkert waren. Informationen, die Cieza de León 1549 vor
  Ort sammelte, deuten daraufhin, daß beide Provinzen nach
  einem Feldzug der Inka geschaffen worden waren. Die dort
  wohnende Bevölkerung wurde vernichtet, und die Gebiete
  wurden mit Haushalten aus mitima  neu besiedelt.142 Paria war ein wichtiges Sammelgebiet für die Inka-Armeen. Menschen aus dem benachbarten Hochland, Charcas, die für die
  inkaischen Kampagnen in Ekuador rekrutiert wurden, ver-
  sammelten sich zuerst in ihrer Provinz-Hauptstadt Sacaca.
  Dann wurden die Soldaten aus Charcas in Paria mit anderen
  aus der gesamten Region eingezogenen Soldaten vereinigt.143
  Paria lag an der Hauptstraße der Inka. Ayaviri im Norden be-
  fand sich ebenfalls an der Hauptstraße und könnte eine ähnli-
  che Funktion gehabt haben. Die Entvölkerung eines Gebietes
  und seine Neubesiedlung mit mitima- Siedlern könnte ein Mittel gewesen, um strategisch wichtige Orte besser zu sichern.
  Das inkaische Cochabamba im östlichen Tiefland des
  Collasuyo (Karte 7) ist ein weiterer Typ einer Inka-Provinz.
  Cochabamba war als ein Zentrum organisierten Maisanbaus
  aufgebaut worden. Die meisten der ursprünglichen Bewohner
  wurden von den Inka in andere Gebiete ausgesiedelt, und
  Menschen aus dem benachbarten Hochländern und aus dem
  nördlichen Titicacasee-Gebiet wurden von Huayna Capac an
  ihre Stelle gesetzt.144 Huayna Capac organisierte auch eine
  großangelegte Kokaproduktion in Pocona (Karte 7), östlich
  von Cochabamba, und brachte Siedler aus dem Südteil des
  Reiches dorthin.145
  Eine große Zahl von mitima  wurde auch in Arequipa, im
  Hinterland der Südküste Perus, angesiedelt, vermutlich um in
  einer ähnlichen Einrichtung zu arbeiten. Manche von ihnen
  stammten aus der Canas/Canches-Provinz im Hochland süd-
  lich und östlich von Cuzco; einige kamen aus dem Chilques-,
  Chumbivilcas- und Yanahuaras-Gebiet im Condesuyo südlich
  Cuzcos; und einige andere aus dem Collaguas-Territorium
  nördlich von Arequipa.146 Obwohl es fast sicher ist, daß die
   mitima  bei Arequipa für die Inka Mais in großen Mengen
  77
    
  Karte 8: Das Urubamba-Tal (nach Protzen, 1993, Abb. 1.2)
  anbauen sollten, könnten auch andere Gründe ihre Umsied-
  lung veranlaßt haben. Einige Gruppen, wie die Collaguas,
  scheinen dorthin gebracht worden zu sein, um Mais für ihre
  Heimat im Hochland zu pflanzen, wie es in den Anden bei
  Gruppen üblich war, die im Gebirge nahe der Ackerbaugrenze
  lebten und deren Nahrungsversorgung daher unsicher war.
  Andere Gruppen wurden nach Arequipa gebracht, um dem
  Kult des heiligen Berges Putina zu dienen. Ähnliche Kulte
  wurden für anderen Berggipfel im Raum von Arequipa einge-
  richtet und von den Inka mit Land, Abhängigen, Frauen und
  Herden versehen.147
  Es ist somit offensichtlich, daß es verschiedene Arten von
  Provinzen gab. Es mochte organisatorische Ähnlichkeiten
  zwischen ihnen geben haben - beispielsweise können be-
  stimmte wirtschaftliche Aktivitäten überall auf ähnliche Weise
  organisiert worden sein -, aber bestimmte Unterschiede sind
  erkennbar. Einige Provinzen bildeten sich um städtische Zen-
  tren, in anderen wie Cochabamba und die Ländereien der In-
  ka-Herrscher fehlten solche Hauptorte. Zudem unterschieden
  sich die städtischen Zentren in verschiedenen Typen von Pro-
  vinzen vielleicht. Beispielweise verfügten Orte wie Paria und
  Ayaviri vermutlich über Speicheranlagen, um durchziehende
  78
  Armeen zu verpflegen, über Personal und Einrichtungen, um Menschengruppen für längere Zeit zu versorgen, und vielleicht auch über einen großen Platz für Versammlungen, im
  Gegensatz zu Zentren, die keine Sammelpunkte für Truppen
  waren.148
  Wenn zu erwarten war, daß sich in einem Zentrum öfters
  Inka-Adlige aufhielten oder daß dort sogar Angehörige der
  inkaischen Abstammungsgruppe auf Dauer lebten, so wurde
  es offenbar ähnlich der inkaischen Hauptstadt angelegt. Inka-
  Herrscher führten oft persönlich militärische Kampagnen an.
  Sie nahmen einige der wichtigsten religiösen Bildnisse mit und
  feierten wichtige inkaische Feste wie capac raymi  auch außerhalb von Cuzco. Capac raymi  war eine komplexe Abfolge von Ritualen, die mit der Initiation der Jungen verbunden war und
  während eines Zeitraums von 23 Tagen stattfand. Zu ihr ge-
  hörten Besuche auf den heiligen Bergen bei Cuzco, dem Hua-
  nacauri, Anahuarque und Yavira.149 Ein indianischer Autor,
  dessen Vorfahren Huayna Capac bei seinen Kämpfen in
  Ekuador begleitet haben, berichtet, daß der Inka-Herrscher
  auf dem Weg ins Kampfgebiet capac raymi  in Vilcas - im
  mittleren Hochland Perus - und Quito feierte.150 Wo immer
  die Initiation der inkaischen Adligen stattfand, mußten be-
  stimmte Charakteristika der heiligen Landschaft neu geschaf-
  fen werden, um sie angemessen durchzuführen.
  Zentren der Inka konnten aber auch äußerlich sehr unter-
  schiedlich sein, obwohl sie gleichen Zwecken dienten. Ein
  spanischer Verwaltungsbeamter bemerkte, daß die inkaischen
  Hauptorte ceque  wie Cuzco hatten; diese konnten sich auf markante Punkt der lokalen Landschaft beziehen und mußten
  die Anlage aus Cuzco nicht exakt kopieren.151 Neben den
  heiligen Plätzen, die zu Ritualen wie dem capac raymi  gehörten, lagen auf den ceque  in Cuzco auch solche Punkte, von denen astronomische Beobachtungen zur Festlegung des Aus-saat- und Erntetermins gemacht wurden. Die ceque  in den Provinzzentren könnten solche örtlichen Beobachtungspunkte
  festgehalten haben und mußten dann anders ausgerichtet sein
  als die Linien in Cuzco.152
  79
  Die Inka organisierten auch die Produktionsaktivitäten jeder Provinz. Beispielsweise wurden Enklaven von Webern und
  Töpfern in allen Provinzen eingerichtet. Aufgrund dieser Or-
  ganisation verfügen wir über Informationen zur Einführung
  einer gemeinsamen Provinzstruktur.
  7. Die Dezimalorganisation
  Provinzen, einschließlich solcher im Besitz eines Inka-Herr-
  schers oder eines übernatürlichen Wesens, waren auf die Ab-
  gabe von Tributen hin organisiert. Wenn ein neues Gebiet
  annektiert wurde, wurden in großem Umfang Land und be-
  weglicher Besitz eingezogen. Weitere Enteignungen fanden
  möglicherweise später statt, aber die laufende Verwaltung ei-
  ner Provinz erforderte meistens nur die Bereitstellung von Ar-
  beitskräften durch die Untertanen, wobei deren Arbeit dann
  auch zur Produktion von Gütern führte.153
  Jede Provinz wurde von einem Gouverneur inkaischer Her-
  kunft regiert. Er hatte richterliche Gewalt und konnte jede Art
  von Strafen, einschließlich körperlicher, festlegen. Der Gouver-
  neur hatte das Recht, Stellvertreter zu ernennen, die michoc genannt wurden, und er wurde von Rechnungsführern unterstützt, die quipocamayo  hießen und Aufzeichnungen auf quipo festhielten.154 In gewissen Abständen kamen andere Inka in
  die Provinz, um bestimmte Aufgaben zu übernehmen, wie zum
  Beispiel eine Volkszählung durchzuführen, die Güter in den
  Speichern zu prüfen oder bei Heiraten vorzustehen.155
  In einer Provinz, die größtenteils von der autochthonen Be-
  völkerung bewohnt wurde, wurde eine Verwaltungsstruktur
  eingeführt, die die Volkszählungen und die Rekrutierung von
  Menschen für Arbeitsaufgaben erleichterte. Die Posten in die-
  ser Organisation wurden mit Einheimischen besetzt. Die Be-
  völkerung wurde in Dezimaleinheiten gegliedert, und eine
  hierarchische Ordnung diente dazu, die Befehlskette festzule-
  gen (Tabelle 4). Die Einführung einer Dezimalstruktur erleich-
  terte die Volkszählungen, die Berechnung des Arbeitsdienstes
  und die Verteilung von Aufgaben.
  Die aufsteigende Hierarchie der Dezimaleinheiten erweckt
  den Eindruck einer fast utopischen Ordnung, und deshalb ist
  es von Wissenschaftlern bezweifelt worden, daß diese Organi-
  sation außer als Zähleinheit für Zensuszwecke überhaupt ei-
  nen praktischen Wert hatte. Spanische Verwaltungsdokumen-
  81
  te aus einzelnen Provinzen und Aufzeichnungen aus quipo,  die sie gelegentlich wiedergeben, erlauben uns jedoch zu verstehen, wie das System funktionierte und wann die Dezimalein-
  teilung angewandt wurde.156
  Tabelle 4: Dezimaleinheiten von 10 bis 10000
  (Quellen: Falcón 1867, S.464; Santillán 1879, S.17-18)
  Name der Einheit Zahl der Tributpflichtigen
  huno 10000
  pisca huaranca
  5 000
  huaranca
  1000
  pisca pachaca
  500
  pachaca
  100
  pisca chunca
  50
  chunca 10
  Die Dezimalordnung hielt sich an die vorhandene Bevölke-
  rungsstruktur. Ein Studium der Dezimalgliederung in der Lu-
  paca-Provinz zeigt, daß die ursprüngliche Gliederung der Be-
  völkerung in Lupaca ein wichtiger Faktor bei der Einführung
  der Dezimalordnung war. In der Lupaca-Provinz wurden zwei
   huno (20000 Haushalte) gebildet, aber die huno  waren unterschiedlich auf die sieben Untergliederungen verteilt, die die
  vorinkaische Organisation der Lupacas charakterisieren. Un-
  ter den Inka konzentrierte sich jede der sieben Untergruppen
  um einen Ort. Jeder Ort war wie Cuzco in saya  geteilt (ha-nansaya, hurinsaya).  Bei den Tributpflichtigen wurden nach ethnischer Herkunft und wirtschaftlicher Stellung Aymara
  und Uru unterschieden. In den größeren Orten umfaßte jede
   saya  eine huaranca  tributpflichtige Aymara, und die saya scheinen die wichtigste Verwaltungsgliederung gewesen zu
  sein. Zwei Orte waren kleiner und bestanden insgesamt nur
  aus einer huaranca  von tributpflichtigen Aymara. In diesen Fällen bildete also der ganze Ort die Verwaltungseinheit innerhalb der huno.  Wie wir feststellen, sind die Führer der Dezimalorganisation die Schlüsselpunkte des Systems: Im Fall
  der Lupaca-Provinz die Führer der huno  und huaranca.  157
  82
  Die beiden huno  sind vermutlich aus Verwaltungsgründen paarweise gruppiert worden. Jeder curaca  einer huno  besaß einen quipo  mit den Volkszählungsdaten für die gesamte Provinz, der dazu diente, den Zensus des anderen zu überprüfen.
  In den benachbarten Colla-Provinzen wohnten beispielsweise
  die Verwalter einer Wirtschaftsenklave in der anderen. Diese
  Art der Zweiteilung diente als Kontrolle oder förderte Kon-
  kurrenz zwischen Produktionsgebieten und scheint von den
  Inka für diese Zwecke institutionalisiert worden zu sein.158
  Da das Aufbringen von Arbeitskräften der Hauptzweck der
  Dezimalordnung war, erleichterte eine Gliederung der Bevöl-
  kerung nach den Dezimaleinheiten eine gleichmäßige Ver-
  teilung der Arbeitsaufgaben. Überdies lag die Verteilung der
  Arbeit auf die einzelnen in der Hand der unterworfenen Be-
  völkerung, und so waren die Menschen dort für Unregelmä-
  ßigkeiten verantwortlich.
  Die Arbeitszuweisung insgesamt erfolgte durch die Inka und
  beruhte auf einer Volkszählung. Nachdem eine Bevölkerung
  in Dezimaleinheiten gegliedert und gezählt worden war, konn-
  te die Arbeitszuteilung in Cuzco oder auch anderswo vorge-
  nommen oder verändert werden. Es gab keine Provinzverwal-
  ter oder Beamte für solche Aufgaben außer dem Gouverneur
  und seinen Vertretern, wie sie oben beschrieben wurden.
  Die Zuweisung von Arbeit basierte auf der Dezimaleinteilung
  der Bevölkerung. Bei der Zuweisung war die Gesamtzahl der
  Haushalte entscheidend. Eine solche inkaische Arbeitszuteilung
  ist für die Chupachos (Karte 5) erhalten geblieben (Tabelle 5).
  Obwohl es insgesamt 4108 Haushalte gab, erfolgte die Zutei-
  lung nach der abgerundeten Dezimalzahl von vier huaranca,
  also 4000 Haushalten. Beispielsweise wurden 400 Haushalte
  oder 10 Prozent der Gesamtzahl angewiesen, Tapisserie-Webe-
  reien herzustellen. 40 Haushalte oder 1 Prozent der Gesamt-
  zahl wurden für die Herstellung von Keramik abgestellt. Von
  den 108 Haushalten, die über die Gesamtzahl hinausgingen,
  scheint eine Gruppe von 40 für eine Aufgabe verteilt worden
  zu sein, und die übrigen 68 wurden für den Dienst an einem
   tambo,  einer Raststation an den Inka-Straßen, abgeordnet.
  83
  Tabelle 5: Arbeitsdienstverteilung bei den Chupachos (Quelle: Helmer 1955-57, S.40,41)
  Prozent
  Aufgabe Gesamtzahl
  von 4.000
  Bergarbeiter (Goldgewinnung)
  120 3
  Bergarbeiter (Silbergewinnung)
  60
  1,5
  Bauarbeiter in Cuzco
  400
  10
  Feldarbeiter in Cuzco
  400
  10
  Abhängige (yanacona)  Huayna Capacs
  150
  3,75
  Wachen für den Körper Topa Incas
  150
  3,75
  Wachen (yanacona)  für die Waffen
  Topa Incas
  10 0,25
  Garnison in Chachapoyas
  200
  5
  Garnison in Quito
  200
  5
  Wachen für den Körper Huayna Capacs
  20
  0,5
  Federarbeiter
  120
  3
  Honigsammler
  60
  1,5
  Weber von feinen Stoffen (cumpi)
  400
  10
  Hersteller von Farben (für Textilien)
  40
  1
  Hirten für die Herden der Inka
  240
  6
  Wächter der Maisfelder
  40
  1
  Arbeiter auf a/Y-(Chilepfeffer-)Feldern
  40 1
  Arbeiter in Salzbergbau
  (unterschiedlich)
  60/50/40
  1,5/1,25/1
  Anbauer von Koka
  60
  1,5
  Jäger für die inkaischen Hirschjagden
  40
  1
  Sohlenmacher (für Sandalen)
  40
  1
  Holzarbeiter
  40
  1
  Töpfer
  40 1
  Wachen für den tambo  von Huänuco
  68
  1,7
  Träger zwischen tambo
  80 2
  Wachen für die Frauen des Inka
  40
  1
  Soldaten und Träger
  500
  12,5
  Arbeiter auf inkaischen Felder
  500 12,5
  Gesamtzahl
  4,108 112,7
  Der Gegensatz zwischen dauerhafter und zeitweiliger Arbeit
  war die wichtigste Unterscheidung beim inkaischen Arbeits-
  tribut. Im Fall der Chupachos waren etwa die Hälfte der
  Haushalte auf Dauer einer Aufgabe zugewiesen. Ein Vorsteher
  84
  einer pachaca,  Martin Carcay, beschreibt die Arbeitszuweisung, die seine pachaca  betraf, so: „Sie wurden angesiedelt, wo der Inka sie hinschickte, und kamen niemals auf ihr eigenes Land zurück, denn sie blieben als mitima  an dem Platz, wo sie angesiedelt wurden. Die 50 Tributpflichtigen, die zu-rückblieben, teilten die Feldarbeit und andere Aufgaben, die
  ihnen zugewiesen wurden, unter sich auf.“159
  Tributpflichtige, die auf Dauer eine bestimmte Arbeit aus-
  führen mußten, hießen camayo.  Carcays Aussage und die Liste über die Arbeitszuweisung in Chupachos ermöglichen uns
  zu verstehen, welche Arten von Status es beim inkaischen Ar-
  beitsdienst gab. Carcay sagt, daß Menschen, die eine be-
  stimmte Arbeit ausführen mußten (also camayo),  gleichzeitig auch mitima  sein konnten, wenn sie von den Inka umgesiedelt worden waren. Die Liste enthält überdies vier Einträge zu
  Menschen, die entweder als Abhängige oder Wachen für die
  Körper bzw. Waffen zweier Inka-Herrscher eingeteilt worden
  waren. Nur in zwei Fällen werden diese als yanacona  bezeichnet, aber wir können diese Benennung auf die übrigen
  ausdehnen. Diese yanacona  waren zugleich camayo,  das heißt, sie arbeiteten auf Dauer in einem bestimmten Bereich, und ih-re Nachkommen erbten diese Arbeitsverpflichtung. Sie waren
  zudem auch mitima,  denn sie waren von den Inka umgesiedelt worden, um diese Arbeiten zu leisten.160
  Eine Form des Arbeitsdienstes, die Carcay nicht nennt, ist
  der der mitayo. Mitayo  waren nicht dauerhaft zugeteilt und können mit jenen Menschen gleichgesetzt werden, die nach
  Carcays Beschreibung „die Feldarbeit und andere Aufgaben,
  die ihnen zugewiesen wurden, unter sich aufteilten“. Sie dien-
  ten als ein Reservoir für relativ unspezialisierte Arbeitsanfor-
  derungen.
  Seit vielen Jahren wird von Historikern die grundlegende
  Verpflichtung zum Arbeitsdienst, die unterworfene Gruppen
  gegenüber den Inka hatten, als die mita  bezeichnet. Der Begriff mita  bezeichnet eine Aufgabe, die im Turnus ausgeführt wird, und so ist diese Verpflichtung auch als eine Art Fronar-beit aufgefaßt worden. Man nahm an, daß nur die Arbeit
  85
  kleiner Personengruppen davon ausgenommen worden sei, das heißt, sie wurden dem allgemeinen Arbeitskräftereservoir
  entzogen, um als Abhängige in verschiedener Form zu dienen.
  Damit unterstanden sie nicht länger den politischen Führern
  ihrer Heimat.161 Es wurde vermutet, daß die Zahl der so aus-
  gegliederten Menschen im Verlauf der Inka-Geschichte an-
  stieg, so daß mit der Zeit mehr und mehr Menschen den
  Inka direkt unterstellt waren und dem Verband ihrer Ur-
  sprungsgruppen nicht länger angehörten. So gesehen war die
  historische Entwicklung dieser Gruppe Ausdruck einer grö-
  ßeren Veränderung in der politischen Organisation in den
  Anden.162
  Mit Zunahme der Dokumente über die inkaische Provinz-
  verwaltung ist diese Annahme unhaltbar geworden. Die Ar-
  beitsverpflichtung einer Provinz umfaßte Dienste, die zeitwei-
  lig geleistet werden mußten, wie auch andere, die dauerhaft
  verteilt wurden. Die dauerhaft zugewiesenen Arbeiten waren
  erblich, und wenn eine Familie ausstarb, mußte eine andere
  Familie aus dem Ursprungsgebiet diese Aufgabe übernehmen.
  Die Menschen konnten in großer Entfernung von ihrer Hei-
  matprovinz angesiedelt werden und hatten möglicherweise
  Beziehungen zum Inkastaat, die sich auf ihre Identität aus-
  wirkten, aber die Verbindung zu ihrer Heimat blieb erhalten.
  Die Vorstellung, daß eine zunehmende Zahl von Menschen
  dauerhaft für Arbeiten abgeordnet wurde, ist eine Annahme,
  die erst noch der Beweise bedarf.
   Mita  bezieht sich auf den Turnuscharakter einer Aufgabe und nicht auf eine Kategorie von Diensten. Einige Aufgaben,
  wie Dienst in einer Garnison oder beim Koka-Anbau, wurden
  auf Rotationsbasis durchgeführt. Im Fall des Garnisonsdien-
  stes waren alle dafür eingesetzten Menschen camayo,  die in ihren Dörfern ihre Felder bestellten, während der Dienst in
  der Festung selbst unter ihnen rotierte (mita).16i  Koka wurde dreimal im Jahr geerntet, und die Arbeiter wechselten sich ab,
  um diese Arbeit auszuführen; da die Arbeiter nicht speziali-
  siert waren, waren sie mitayoJ64  Ein Unterschied zwischen mita  als einem organisatorischen Prinzip, das die Rotation 86
  einer Arbeitsaufgabe bedeutet, und mitayo  als nicht-spezialisierte Arbeit sollte beachtet werden.
  Ein wesentlicher Unterschied in der inkaischen Klassifika-
  tion bestand zwischen den mitayo  und den camayo. Camayo waren Menschen, die auf Dauer eine bestimmte Arbeit ausführen mußten. Listen von camayo  sind von zwei spanischen Autoren aufgezeichnet worden.165 Jeder Autor gibt zwei verschiedene Listen von Arbeiten, eine von den camayo-Diensten
  der Hochland-Provinzen und eine zweite von ähnlichen Dien-
  sten an der Küste. Obwohl sie weitgehend übereinstimmen,
  gibt es Unterschiede.
  Wenn man die obige Liste aus Chupachos mit diesen allge-
  meinen Aufstellungen vergleicht, so erkennt man eine generel-
  le Ähnlichkeit, aber es gibt auch Unterschiede, die vielleicht
  bedeutsam sind. Chupachos war ein Gebiet, das einem einzel-
  nen Inka-Herrscher gehörte, und die Unterschiede gehen wohl
  auf diese besondere Stellung zurück. Beispielsweise waren 800
  Haushalte - 20 Prozent der gesamten Bevölkerung - zur Ar-
  beit in Cuzco abgeordnet, wo sie „Mauern errichteten“ oder
  die Bauarbeiter mit Nahrungsmitteln versorgten.166 Wenn,
  wie der oberste curaca  von Chupachos aussagte, die Provinz dem Inka-Herrscher Huascar unterstand, war diese große
  Gruppe vielleicht rekrutiert worden, um Paläste für diesen
  Inka zu bauen. Es könnte auch andere Arbeitszuweisungen
  geben, die mit diesem besonderen Status der Chupachos zu-
  sammenhängen. Trotzdem scheint es, als wäre die Wirtschafts-
  organisation ähnlich gewesen wie die anderer Provinzen.
  Im Hinblick auf die Arbeitszuteilung gab es einen wichtigen
  Unterschied zwischen den Provinzen. „Normale“ Provinzen
  wurde eingerichtet, um Arbeitskräfte zu stellen; deren Rekru-
  tierung war der wichtigste Zweck der Dezimalorganisation.
  „Besondere“ Provinzen - beispielsweise solche, die einer Person
  oder einem übernatürlichen Wesen gehörten wie Chupachos,
  Parinacochas, Azángaro und Achambi - konnten zu besonde-
  ren Arbeitsleistungen für ihren Besitzer herangezogen werden.
  Sie waren allerdings so strukturiert, daß sie auch dieselben
  Güter und Dienste wie „normale“ Provinzen hervorbrachten.
  87
  Die oben beschriebenen Provinzen könnte man auch als
  „Basis-Provinzen“ bezeichnen, das heißt, sie hatten eine Be-
  völkerungsbasis, aus der Haushalte für Arbeit - wo auch im-
  mer benötigt - abgezogen werden konnten. Daneben gab es
  andere, meistens kleinere Einheiten, die ein bestimmtes Gebiet
  umfaßten und somit „Provinzen“ waren. Aber sie waren nicht
  für die Rekrutierung von Arbeitskräften eingerichtet, sondern
  bezogen diese vielmehr selbst aus den „Basis-Provinzen“. Zur
  Abgrenzung kann man diese „zusammengesetzte Provinzen“
  nennen, da sie entstanden, indem man Menschen aus Basis-
  Bevölkerungen anderswo zusammenzog.
  Eine solche Provinz war Copacabana, die von den Inka für
  den Kult Titicacas eingerichtet worden war. Die gesamte
  Copacabana-Halbinsel wurde mit mitima  besiedelt, die aus 42 verschiedenen Gebieten zusammengezogen worden waren
  (Karte 7). Wenn diese Menschen camayo  waren, wie es scheint, so mußten sie bei Absinken ihrer Zahl aus ihrer Heimat ersetzt werden und wurden deshalb noch zusammen mit ihrer
  Heimatprovinz erfaßt. Die Bewohner der Provinzen Ayaviri
  und Paria, die ebenfalls aus raifrma-Siedlern bestanden, könn-
  ten ähnliche Verbindungen zu ihren Herkunftsgebieten gehabt
  haben.
  Cochabamba war ebenfalls eine „zusammengesetzte“ Pro-
  vinz (Karte 7). Dorthin brachte Huayna Capac Gemeinschaf-
  ten aus mitima  des Collasuyo-Gebiets, um in dem Tal in gro-
  ßem Maßstab Mais anzubauen. Als camayo  waren sie über
  die Dezimalorganisation ihrer Herkunftsprovinz rekrutiert
  worden und wurden von dort ersetzt, sollte ihre Familie sich
  nicht fortpflanzen. Die Bindung an ihre Herkunftsprovinz war
  noch deutlich zu erkennen, da zur Erntezeit Menschen aus
  ihren Provinzen als mitayo  herangezogen wurden, die nach Cochabamba gingen, dort Mais ernteten und ihn möglicherweise auch zu einem bestimmten Punkt transportierten.
  Die camayo  hatten daneben kleine Felder, auf denen sie
  Nahrung für ihren eigenen Haushalt anbauten. Die Anbau-
  früchte, die sie in Gemeinschaft produzierten, waren für ande-
  re bestimmt.
  88
  Die mitima  in Cochabamba kamen aus verschiedenen Provinzen: Carangas, Quillacas, Soras, Lupacas, Pacajes und zwei
  Gruppen der Collas. Wir haben einige Kenntnisse über die
   huno-Organisation: Die huno,  die Cochabamba einschloß, bestand aus den Charcas wie auch aus anderen Gruppen von
   mitima.  167 Die mitima,  die oben aufgelistet wurden, waren jedoch keine Charcas und gehörten nicht zu dieser huno,  sondern kamen von anderswo im Collasuyo. Menschen aus
  Charcas scheinen nicht an dem Maisanbauprojekt beteiligt
  gewesen zu sein, soweit es sich aus den heute zur Verfügung
  stehenden Quellen ermitteln läßt. Das Cochabamba-Tal bilde-
  te also eine kleine zusammengesetzte Provinz auf dem Gebiet
  der Chaicas -huno.
  Im Osten von Cochabamba, in Pocona, gab es eine weitere
  Provinz, die auf eine bestimmte Produktion spezialisiert war,
  in diesem Fall auf die von Kokablättern (Karte 7). Koka wur-
  de in den Tälern des Tieflands nördlich von Pocona angebaut.
   Mitayo,  die aus Pocona, aber auch Sacaca und anderen
  Hochlandgebieten kamen, wurden ausgeschickt, die Koka zu
  ernten und auf ihrem Rücken zu einem Abgabepunkt im
  Hochland zu tragen. Pocona stellte auch die camayo,  die auf Dauer abgeordnet waren, um die Materialien für die Verpak-kung der Koka zu sammeln und sie für den Transport vorzu-
  bereiten, und die in den Tälern des Tieflands, wo die Koka
  wuchs, lebten. Die Nahrungsmittelproduktion fand nicht in
  diesen Tälern statt, und die von den mitayo  und vielleicht auch den camayo  konsumierten Lebensmittel wurden anderswo angebaut.168
  Ein größerer Teil der Bevölkerung in Pocona bestand gänz-
  lich aus mitima.  Ihre wichtigsten curaca  stammten aus Condes (im Condesuyo), Chinchaysuyo und Collasuyo. Vielleicht
  standen sie heterogenen Gruppen von Menschen vor, die aus
  den Provinzen dieser drei der vier suyo  des Inkareiches stammten. Da die Bezeichnungen für die suyo  aber auch für die Untergliederung der Cuzco-Provinz selbst verwendet wurden - die gänzlich oder zumindest größtenteils von orejones
  bewohnt wurde -, kamen manche dieser Menschen vielleicht
  89
  aus der Gegend von Cuzco. Die zweite wichtige Bevölke-rungsgruppe in Pocona waren die Chuyes, von denen es hieß,
  sie seien aus dem Cochabamba-Tal in die Provinz Pocona ge-
  bracht worden.169 Weiter wurden Menschen aus den südlich
  gelegenen Charcas-Provinzen in die Täler zum Koka-Anbau
  geschickt, und weitere Gruppen, wie zum Beispiel die Yam-
  paräes aus dem Gebiet des heutigen Sucre, scheinen auch Be-
  standteil des Projektes gewesen zu sein, da sie in der frühen
  Kolonialzeit noch an der Koka-Produktion in diesen Tälern
  beteiligt waren.
  Huayna Capac organisierte die Produktion in Pocona wie
  auch Cochabamba um, obwohl er in beiden Fällen eine Or-
  ganisation, die sein Vater geschaffen hatte, vorfand. Sarmien-
  to erwähnt einen einzigen Besuch Huayna Capacs in der Re-
  gion, wobei er feststellt, daß der Inka in Cochabamba wegen
  der Fruchtbarkeit des Landes eine große Zahl von mitima  angesiedelt habe; außerdem habe er Pocona neu organisiert und
  dort eine Festung wiederaufgebaut, die sein Vater angelegt
  hatte.170 Da seine Reformen in Cochabamba die Umsiedlung
  von Bevölkerung in Pocona und Cochabamba umfaßte, waren
  die beiden Projekte nicht voneinander zu trennen, sondern
  Teil einer einzigen Neuorganisation der Verwaltung.
  Es fällt auf, daß sie dennoch recht verschieden sind. Poco-
  na, das in Teilen aus mitima  bestand, die weit von ihren Heimatprovinzen angesiedelt wurden, diente als Bevölkerungs-reservoir, von dem die Arbeitskräfte für die Koka-Produktion
  in den nahegelegenen Tiefländern geschickt wurden. Die Re-
  krutierung erfolgte also in zwei Stufen. Im Fall von Cocha-
  bamba beschränkte sie sich auf eine Stufe: Die Arbeitskräfte
  wurden aus der Ursprungsprovinz eingezogen und direkt ein-
  gesetzt.
  Die Unterschiede in der Organisation mögen auf den Unter-
  schieden zwischen den Anbaupflanzen Mais und Koka beru-
  hen. Im Fall der Koka scheint die Bevölkerung in Pocona
  nicht nur die Erntearbeiter, sondern auch den Unterhalt für
  die in den Tälern niedergelassenen camayo  geliefert zu haben.
  Die Anwesenheit in zwei verschiedenen Anbaugebieten war
  90
  notwendig, und eine enge Nachbarschaft zwischen diesen erwies sich als günstig. Von der Koka heißt es, sie sei ein Monopol der Inka gewesen. Die Heranziehung von Menschen
  von außerhalb, um Koka anzubauen und ihre Aufbewahrung
  und ihren Transport durchzuführen, könnte auch die nötige
  Kontrolle gewährleistet haben, um das Monopol durchzu-
  setzen.
  Ein weiterer Faktor sollte bedacht werden. Huayna Capac
  ist für den Maisanbau in Cochabamba verantwortlich, aber
  wir wissen nicht, ob er oder sein Vater den Kokaanbau in Po-
  cona eingerichtet hat. Wenn Topa Inca damit begonnen hat,
  dann können wir den Kokaanbau in Pocona vielleicht mit ei-
  nem Projekt vergleichen, das dieser Inka-Herrscher in Chu-
  pachos organisiert hat. Dort wurden vier pachaca  von mitima eingezogen, um die inkaischen Garnisonen zu besetzen. Zwei
  stammten aus der Provinz der Quechuas, unmittelbar nörd-
  lich von Cuzco, und zwei bestanden aus orejones  der Provinz von Cuzco. Diese Menschen wurden in den Hochland-Gemeinden in Chupachos angesiedelt, wo sie für ihren eige-
  nen Unterhalt Ackerbau betrieben sowie auch für den Unter-
  halt derjenigen unter ihnen sorgten, die auf rotierender Basis
  eingezogen wurden, um in den Garnisonen im Tiefland weiter
  östlich zu dienen. Die Besatzungen in den Garnisonen bauten
  nicht ihre eigene Nahrung an, sondern beschäftigten sich
  damit, Waffen herzustellen. Die mitima  im Hochland der Chupachos hatten überdies Zugang zu hochgelegenen Weidegründen für Herden wie auch zu Koka-Feldern auf niedrige-
  ren Höhenlagen. Der Dienst in den Garnisonen war somit
  nicht unzumutbar hart, da dafür gesorgt war, daß die umge-
  siedelten Menschen sich mit allem Notwendigen versorgen
  konnten.171
  Eine ähnliche Rekrutierung von Menschen aus der Nähe
  Cuzcos ebenso wie eine m/towa-Bevölkerung als Zwischen-
  station für die Rekrutierung von Arbeitern für benachbarte
  Tieflandgebiete finden sich offenbar in Pocona. Die Art, wie
  das Projekt in Pocona organisiert war, deutet darauf, daß sein
  Schöpfer Topa Inca war. Vielleicht wurde die Organisation in
  91
  Pocona und Chupachos aber auch von Sicherheitsinteressen in einem Grenzgebiet bestimmt, da die Täler am Rande des von
  den Inka kontrollierten Gebietes lagen.
  Im Fall von Pocona gibt es jedoch noch andere Hinweise
  darauf, daß das Projekt auf Topa Inca zurückging: Neben den
  in Pocona angesiedelten mitima  waren die Chuyes, Charcas und Yamparaes an der Koka-Produktion in den Tälern beteiligt. Diese Gruppen waren von Topa Inca besiegt worden,
  nachdem sie sich in der Festung Oroncota am Fluß Pilcomayo
  südlich von Sucre eingeschlossen hatten, ein bemerkenswerter
  Fall von Widerstand gegen die Inka. Außer den mitima  waren nur diese Gruppen an der Koka-Produktion für die Inka beteiligt. Andere Gruppen, die in gleicher Entfernung lebten,
  wie beispielsweise die Carangas, waren ausgeschlossen. Die
  Zusammensetzung der herangezogenen Gruppen ist ein Hin-
  weis darauf, daß ihre Beteiligung an dem Projekt in Pocona
  auf Topa Inca zurückgeht.172
  Das Projekt in Cochabamba sollte mit der Organisation der
  Maisproduktion auf den Ländereien Huayna Capacs in Yucay
  verglichen werden (Karte 8). Zweitausend camayo,  jeweils tausend aus Collasuyo und Chinchaysuyo, wurden im Urubamba-Tal nahe dem heutigen Yucay angesiedelt. Sie bauten
  dort Mais an und Koka in den tieferliegenden Tälern Tono
  und Avisca. Die Kokablätter, heißt es, waren dreimal mehr
  wert als alle anderen und für den Verbrauch in Huayna Ca-
  pacs Haushalt bestimmt. Huayna Capac ließ in Yucay Häuser
  bauen und ein kleines Tal für Erholungszwecke einrichten.173
  Betrachtet man also Yucay und Cochabamba, so wurden
  die camayo  für den Maisanbau aus großer Entfernung heran-gebracht und sorgten für ihre Bedürfnisse aus Feldern nahe
  jenen, die sie für die Inka bestellten. Es gab keine „Basis“-
  Bevölkerung dazwischen, von der Menschen eingezogen wur-
  den, um die Anbauprojekte zu betreiben. In keinem dieser
  Fälle scheinen Sicherheitsaspekte wichtig gewesen zu sein.
  Allerdings war eine Einrichtung geschaffen worden, um Mais
  in großem Maßstab zu produzieren, und die andere, um eine
  kleinere Menge für die panaca  Huayna Capacs anzubauen.
  92
  Man beginnt also zu verstehen, wie die Inka die Produktion für verschiedene Zwecke organisierten. Der Zeitpunkt und
  der persönliche Stil einzelner Herrscher waren ebenso wie die
  Ansprüche unterschiedlicher Anbaupflanzen oder die Lokali-
  sation des Projekts wichtige Faktoren. Im Fall der Gemein-
  schaften, die die Güter produzierten, müssen wir noch weiter
  untersuchen, wie ihre Produkte verteilt und von wem sie
  letztlich verbraucht wurden. Selbst im Fall von Dienstleistun-
  gen, wo der Empfänger eindeutig zu sein scheint, wie der
  Staat beim Militärdienst, haben wir noch keine Vorstellung
  von dem ideologischen Rahmen, der solche Dienste erklärte
  und rechtfertigte. Was man findet, sind einzelne Aspekte der
  Wirtschaftsorganisation, die die Inka einführten. Die Quellen
  erlauben uns, einzelne Fälle zu untersuchen, und diese Teil-
  sicht auf das Ganze läßt uns vermuten, daß die Inka Wirt-
  schaftsaktivitäten in großem Maßstab umorganisierten und
  dabei große Menschenmengen bewegten. Wenn an einem
  neuen Wohnort Anbau möglich und wünschenswert war, so
  erhielten die Haushalte Land für ihre eigene Grundversor-
  gung. In Chupachos erfaßte die Arbeitszuweisung der Inka
  alle Haushalte in der Provinz. Die Heranziehung von Men-
  schen aus allen Untereinheiten der Chupachos führte zur Bil-
  dung zahlreicher neuer Gemeinschaften, deren Angehörige
  von überall in der Provinz stammten. Eine umfassende Umor-
  ganisation der gesamten Wirtschaft in der Provinz war die
  Folge.
  Trifft dies zu, so waren die Inka bis zu gewissen Grad für
  die Rationalisierung des Wirtschaftsleben auf lokaler Ebene
  verantwortlich. Sie hatten dafür Anlaß und Fähigkeiten, und
  die vorhandenen Belege stützen die Hypothese, daß die Inka
  eine von ihnen entworfene Ordnung in ihrem Herrschaftsge-
  biet verbreiteten.
  8. Schöpfung und Ordnung
  Während unser Verständnis für die Wirtschaft der Inka in den
  Provinzen in den letzten Jahren erheblich gewachsen ist, fehlt
  uns oftmals noch der Zugang zu dem gedanklichen Hinter-
  grund der Eroberungen. Für einige Autoren ist Ideologie das,
  was die Elite eines Reiches ihren Untertanen aufzuzwingen
  versucht, als ein Mittel, um ihre Unterordnung zu erreichen.
  Sie wird hauptsächlich als ein Werkzeug angesehen, um An-
  hänger zu gewinnen, wobei angenommen wird, daß sie zu-
  gleich auch das Glaubenssystem der Elite selbst ist. Aber
  Glaube leitet nicht nur Handlungen, sondern ist selbst eine
  wirksame Kraft. In dieser Untersuchung war es unser Interes-
  se, aufgrund der Quellen, die auf historischen Traditionen der
  Inka beruhen, den Prozeß der Expansion zu verstehen wie
  auch den gedanklichen Rahmen, in den er eingebettet war.
  Wir haben die Frage angesprochen, wie eine kleine Gruppe,
  die ursprünglich nur auf lokaler Ebene eine Macht darstellte,
  einen Plan zur Beherrschung und Organisation großer Gebiete
  des Andenraums entwickelte und warum sie das tat.
  Das Quellenmaterial zeigt, daß die Inka eine aktive Rolle
  bei der Reorganisation des von ihnen beherrschten Gebietes
  spielten und eine von ihnen entworfene neue Ordnung ein-
  führten. Sie waren zudem in der Lage, ihre Beziehungen zu
  anderen andinen Gruppen und zur übernatürlichen Welt neu
  zu definieren.
  Unsere Versuche, diese vergangene Welt zu rekonstruieren,
  bleiben unvollkommen. Wenn von den Spaniern Menschen,
  die zur Zeit der spanischen Eroberung Erwachsene waren,
  befragt wurden oder wenn Informationen aus inkaischer hi-
  storischer Überlieferung gezogen wurden, so enthielten diese
  Quellen auch Einzelheiten darüber, wie die Inka ihren Platz
  im Universum sahen. Wegen des Verlustes ihrer Autonomie
  nach der Gefangennahme Atahuallpas hatte sich die Sicht ih-
  rer eigenen vorspanischen Vergangenheit verändert, um - fast
  unmerklich - der geschichtlichen Entwicklung unter den 94
  Spaniern einen Platz einzuräumen. Wie am Beginn festgestellt, sind die Stimmen der Menschen in den Anden auch durch die
  Übersetzung ins Spanische verändert worden. Doch selbst an-
  gesichts dieser Mängel finden sich in den vorhandenen Quel-
  len noch Spuren der inkaischen Sicht.
  Durch den glücklichen Sieg der Inka über die Chancas und
  den Sieg über eine zweite, noch wichtigere politische Macht
  im Titicacasee-Gebiet entwickelte sich in den Anden ein Reich.
  Cuzco wurde neu aufgebaut und neu organisiert; die Beziehun-
  gen zwischen den Inka und dem mächtigsten übernatürlichen
  Wesen im südlichen Andenhochland wurden durch Monumen-
  talbauten in Cuzco und anderswo dargestellt; und Institutio-
  nen für ständige Kriegsführung, die Verwaltung weit entfern-
  ter Gebiete und die Erziehung der Elite wurden entwickelt.
  Als die Spanier ankamen, beschrieben sie eine Ordnung, die
  die Inka aufgebaut hatten. Heute, 500 Jahre danach, ist das
  wenige, was wir über die inkaische Vergangenheit erfahren kön-
  nen, in jenen Berichten enthalten. Für das weitere Studium der
  Inka gibt es verschiedene Ansatzpunkte. Da sind zum Beispiel
  die Darstellungen lokaler religiöser Praktiken aus den Kam-
  pagnen zur Christianisierung der andinen Völker im 17. Jahr-
  hundert, die uns erlauben könnten, das inkaische Glaubenssy-
  stem vor der Expansion besser zu verstehen. Ahnenkult, wie
  er in diesen Berichten beschrieben wird, ist in den Anden weit
  verbreitet gewesen. Die Zeremonien für die verstorbenen
  Herrscher in Cuzco können sehr wohl aus allgemein-andinen
  Praktiken entwickelt worden sein, denn Sarmiento erzählt
  uns, daß Pachacuti den inkaischen Ahnenkult neu organisier-
  te. Noch im 17. Jahrhundert wurden einige dieser Kulte be-
  trieben.174 Aber ob die Kulte schon immer über Ressourcen
  für regelmäßige Opfergaben verfügten oder ob dieser Reich-
  tum auf eine Neuerung durch die Inka zurückging, ist ungewiß.
  Die Untersuchung allgemeiner andiner Praktiken könnte die
  Forschung in jene Periode der inkaischen Geschichte führen,
  die durch Dokumente zu den Inka selbst unzugänglich ist.
  Dieses Bild, wenn auch unvollständig, gibt uns eine bessere
  Grundlage für die Interpretation der materiellen Überreste
  95
    
  Cuzcos. Diese Untersuchung hat sich bisher fast ausschließlich
  mit schriftlichen Zeugnissen beschäftigt, doch auch die mate-
  riellen Überreste der Inka sind herausragende Belege für ihre
  imperialen Ziele. Objekte aus Ton, Textilien und Bauwerke
  dienten zu symbolischer Kommunikation.
  Bei einigen Gruppen von Erzeugnissen, wie der Keramik
  und den Textilien, ist ein hohes Maß an Standardisierung zu
  erkennen. Motive und ihre Anordnung werden aus einem be-
  grenzten Repertoire von geometrischen Mustern gewählt.
  Frühere Kunststile, wie zum Beispiel auf den Tongefäßen der
  peruanischen Moche- und Nazca-Kulturen, bevorzugten Dar-
  stellungen aus der natürlichen Umwelt, doch das Interesse an
  naturalistischen Abbildungen war zur Zeit des Inkareiches
  geringer geworden. Wegen der Vergänglichkeit ihres Materials
  sind weniger Textilien als Keramiken erhalten geblieben. Als
  weitere Kunstform gab es eine Reihe von Porträts der Inka-
  Herrscher auf bemalten Holztafeln, die angefertigt wurden,
  um sie im kleinen Kreis zu betrachten. Es könnte auch Abbil-
  dungen auf Stoffen für eine ähnliche Verwendung innerhalb
  der Dynastie gegeben haben, doch waren diese Darstellungen
  Abb. 4: Inkaisches
  Männerhemd im
  Karo-Muster (California
  Academy of Sciences)
  96
    
  Abb. 5: Mama Huaco Coya,
  die erste Inka-Königin.
  Bemerkenswert sind die
  Nadeln an Kleid und Schal
  (Guaman Poma de Ayala,
  1936, S. 120)
  selten, und keine ist erhalten geblieben. Unter den erhaltenen
  Überresten finden sich nur wenige erkennbare Darstellungen
  von Menschen, Pflanzen oder Tieren.
  Eine Anzahl von inkaischen Männerhemden, die uncu  hie-
  ßen, kann man in Museumssammlungen besichtigen (Abb. 4).
  Diese Hemden wurden in Tapisserie-Technik aus Alpakawolle
  oder Baumwollfasern gewebt. Aufgrund der Feinheit der We-
  berei waren es leichte, weich fallende Kleidungsstücke. Be-
  sonders auffällig ist bei den erhaltenen Hemden, daß die mei-
  sten in vier standardisierten Mustern gewebt wurden. Die
  Hemden wurden überdies in einer einheitlichen Größe herge-
  stellt, mit Ausnahme von zwei kleineren Exemplaren, die als
  Kleidung für junge Männer oder für huaca  gedient haben könnten.175 Männer trugen über den Hemden einen langen
  Umhang, der auf der Brust verknotet wurde. Die Frauenklei-
  dung ist schwerer zu untersuchen, da sie nicht zu erkennbaren
  Kleidungsstücken zusammengenäht wurde. Statt dessen wur-
  97
    
  de ein großes Stoffviereck um den Körper geschlungen, dessen
  obere Ränder auf den Schultern zusammengesteckt wurden.
  Das röhrenförmige Kleidungsstück wurde dann durch einen um
  die Hüften gewickelten Gürtel zusammengehalten (Abb. 5).
  Ein kleineres, quadratisches Tuch wurde über den Schultern
  getragen und vorne mit einer Nadel zusammengesteckt.
  Wegen der nur einzeln erhaltenen Stücke gibt es keine
  kompletten Sätze Männer- oder Frauenkleidung. Es gibt aber
  Angaben darüber, welche Kostüme bei verschiedenen Ritualen
  in Cuzco getragen wurden, und diese deuten daraufhin, daß
  es bestimmte standardisierte Kleidungsstile gab. Zu solchen
  Kleidungsstilen gehörten auch Schmuck und andere Verzie-
  rungen wie die schon erwähnten Nadeln aus Gold oder Silber
  bei den Frauen, goldene Ohrpflöcke für die Männer, bestimm-
  te Formen von Kopfschmuck, Frisuren und Gesichtsbema-
  lung. Kleidung war bei den Inka wie in anderen Regionen der
  Welt eine wesentliche künstlerische Ausdrucksform.
  Die Keramik war ebenfalls standardisiert. Zwei Stilarten
  sind sehr leicht zu identifizieren, selbst wenn von ihnen nur
  eine kleine Scherbe eines weit größeren Gefäßes gefunden
  wird. Einer besteht aus einem Bandmuster, das „Farnmuster“
  genannt wird, Linien, die schräg von einer schwarzen Linie
  ausgehen, und auf den natürlichen orangefarbenen Grund des
  gebrannten Tons gemalt wurden (Abb. 6). Dieses Bandmuster,
  kombiniert mit anderen, wird als Stil A bezeichnet. Stil A
  Abb. 6: Inkaische Keramiken aus einem Grab in Sacsahuaman (University of Cuzco Museum). Links: Schüssel in Stil A (muc 1/15151). Mitte: Schüssel im Stil B (muc 1/1524). Rechts: Schüssel im Stil A (muc 1/15424) 98
    
  Abb. 7: Inkaische Keramiken aus Copacabana
  (American Museum of Natural History).
  Links: Schüssel im Stil Urcosuyo Polychrome (AMNH 5700).
  Rechts: Schüssel im Stil Urcosuyo Polychrome (AMNH 5701)
  wurde auf unterschiedlichen Gefäßtypen verwendet, auf Töp-
  fen und Flaschen verschiedener Größe, flachen und konvexen
  Tellern und tiefen Schalen mit geraden Wänden. Ein anderer
  Stil bestand aus Bändern hängender Dreiecke, die schwarz auf
  einem tief-purpurfarbenen Hintergrund gezeichnet wurden
  (Abb. 6). Diese Bänder, in Verbindung mit anderen Muster-
  bändern, bildeten den Dekorationsstil B. Stil B findet sich auf
  den gleichen Gefäßtypen wie Stil A. Es gibt Stilvarianten, eine
  davon eine sehr ausgeprägte Form des Stils B, die Urcusuyo
  Polychrome genannt wird und zusätzliche Farben und ein Re-
  pertoire sehr komplizierter Bänder verwendet (Abb. 7). Ande-
  re Inka-Gefäße haben von diesen Stilen verschiedene Muster
  und gehören offenbar nicht zu den Gefäßsätzen, die in einem
  der standardisierten Stile verziert wurden.176
  Wir wissen nicht, wozu die Gefäßsätze verwendet wurden,
  die in einem der normierten Stile verziert wurden, da die mei-
  sten vollständig erhaltenen Gefäße aus Gräbern stammen,
  aber die Gefäßformen deuten daraufhin, daß sie zum Servie-
  ren von Essen dienten. Es gab öffentliche Anlässe, bei denen
  von zu Hause mitgebrachtes Essen serviert wurde. Während
  Angehörige der inkaischen Abstammungsgruppen möglicher-
  weise nur Eßgeschirr aus Gold und Silber benutzten, konnten
  99
    
  die anderen Inka und selbst Nicht-Inka bei diesen Gelegenhei-
  ten ihre kostbar dekorierte Keramik zu Schau stellen.177
  Die Muster auf Keramik oder Kleidungsstücken gingen auf
  eine komplizierte Wechselbeziehung zwischen Herstellern und
  Verbrauchern zurück. Eine eklektische Mischung aus Stilen
  entstand, mit einigen erkennbaren Modetrends. Während sich
  zeitliche Veränderungen und eine gewisse mechanische Zu-
  sammenstellung in den mit der Dynastie verbundenen Objek-
  ten zeigen, gibt es auch deutliche Hinweise auf andere Kräfte
  bei der Entstehung dieser Stile. Besonders bei der Keramik,
  wo sich der imperiale Stil offenbar nicht allmählich aus Vor-
  läufern in der Gegend von Cuzco entwickelt hat, können wir
  die Hand von einzelnen Künstlern oder Künstlergruppen er-
  kennen. Stil A und B sind komplexe und bewußte Komposi-
  tionen, die einer Reihe von Regeln folgen, die ihren Ursprung
  in den kreativen Bemühungen eines oder mehrerer Menschen
  haben. Es sieht aus, als ob jemand einen geschickten Hand-
  werker ausgewählt und ihn gebeten hätte, einen Stil zu ent-
  Abb. 8: Nordwestliche Mauer der Halle E, Coricancha
  100
    
  Abb. 9: Torbogen aus
  weißem Granit nahe
  Rundbau in Machu Picchu
  wickeln, der den späteren Betrachtern ein Gefühl von Ord-
  nung vermittelt. Wir wissen weniger über den Ursprung der
  Textilmuster, aber die Ergebnisse vermitteln eine ähnliche Bot-
  schaft wie die Keramik.
  Eine andere Botschaft sprechen die inkaischen Steinbauten.
  Die Inka hinterließen einen Bestand an monumentalen Stein-
  bauwerken, der ihre Sicht von sich selbst und ihrer Rolle in
  der andinen Welt wiedergibt. Architektonische Formen bilden
  ein wichtiges Medium, diese Sicht auszudrücken.178
  Die Inka bauten mit fein eingepaßtem Steinmauerwerk
  (Abb. 8 und 9) aus einer großen Zahl von Gesteinsarten (Basalt,
  Kalkstein, rotem Rhyolith, grünem Porphyr, Granit und ande-
  ren). Sie benutzten in wichtigen Gebäuden allerdings auch
  Adobe (Lehmziegel), und Mauern aus einfachen Mauerwerk
  konnten verputzt und bemalt werden, weshalb man Bauten
  aus anderen Materialien nicht für unbedeutend halten sollte.
  101
    
  Dennoch werden wir uns Steinmauerwerk und natürlichen
  Felsbildungen zuwenden, da sich in ihnen wichtige Aspekte
  inkaischer Glaubensvorstellungen darstellen.
  Feines Steinmauerwerk wurde in freistehenden Gebäuden
  und bei Mauern benutzt. Viele Bauten in Cuzco bestanden dar-
  aus. Die Stadt wurde jedoch seit der spanischen Eroberung
  ständig bewohnt und umfangreiche Neubauten wurden vorge-
  nommen, so daß die inkaische Stadt weitgehend verschwunden
  ist. Inka-Bauten mit genau eingepaßtem gereihten Steinmauer-
  werk finden sich auch im Cuzco- und Urubamba-Tal zwischen
  Pisac und Machu Picchu verwendet (Karte 8). Obwohl Stein-
  mauerwerk auch in den Provinzen vorkam, sind diese Täler
  eindeutig das Entwicklungsfeld für den inkaischen Architek-
  turstil.179
  Steinmauerwerk im Inka-Stil wurde häufig zum Bau recht-
  eckiger Gebäude verwendet, aber es diente auch als Dekora-
  tion, um natürliche Felsbildungen abzuwandeln, die entweder
  Teile von Gebäuden waren oder einzeln standen. Diese natür-
  lichen Felsen wurden oft in bestimmter Funktion in Gebäude
  Abb. 10: Mauer aus schwarzem Basalt auf natürlichem Fundament
  im Sektor von Intihuatana, Pisac
  102
    
  Abb. 11: Natürliches Fundament und Mauern aus weißem Granit
  im Sektor von Intihuatana, Machu Picchu
  eingefügt, beispielsweise als Fundamente und untere Mauer-
  abschnitte (Abb. 10 und 11). Es lassen sich also Wechselbe-
  ziehungen zwischen „natürlicher“ und „gebauter“ Umwelt fest-
  stellen.180
  Einige Orte in den Tälern von Cuzco und Urubamba schei-
  nen errichtet worden zu sein, um Felsbildungen zu nutzen.
  Solche Felsen finden sich oft auf steilen Graten, so daß die
  Lage der Orte an sich beeindruckend ist. Solche Plätze sind
  Beispiele für die einfallsreiche Nutzung von natürlichem
  Steinvorkommen und Steinbearbeitung von hoher Qualität. In
  Machu Picchu wurde überall der einheimische weiße Granit
  in den Fundamenten und Mauern der Gebäude verbaut, und
  man findet die bildhauerische Bearbeitung von natürlichen
  Felsen (Abb. 11). Weißer Granit könnte als besonders anspre-
  chendes Material geschätzt worden sein, denn andere Orte in
  derselben Gegend zeigen das gleiche Interesse der inkaischen
  Baumeister an diesem Stein.181 In Pisac im Urubamba-Tal in-
  spirierte ein Vorkommen feinkörnigen Basalts die Inka-
  Baumeister zu sehr fein bearbeiteten Steinbauten (Abb. 10,13).
  103
  Im Cuzco-Tal selbst war das beste vorhandene Gestein Kalkstein. An verschiedenen Orten im Callachaca-Gebiet und
  oberhalb Cuzcos waren Kalkstein-Felsen der Mittelpunkt von
  Gebäudekomplexen. Höhlen und die Vorderseiten von Klip-
  pen wurden mit Reihen von Steinmauerwerk reich verziert
  oder wurden bearbeitet, um inkaischen Architekturformen zu
  ähneln.182 In den meisten Fällen scheinen funktionale Erwä-
  gungen minimal oder überhaupt nicht vorhanden gewesen zu
  sein.
  Einige dieser Orte sind als das Eigentum bestimmter Personen
  identifiziert worden. Wissenschaftler, die sich mit Architektur-
  Stilen beschäftigen, haben angefangen, deren Entwicklung zu
  rekonstruieren. Sie konnten mit Hilfe von Dokumenten, die
  bestimmte Ländereien bestimmten Herrschern zuordnen (da
  diese Ländereien von deren panaca  geerbt wurden, konnten die Besitzverhältnisse in der spanischen Kolonialzeit untersucht werden), diese Stilentwicklung mit bestimmten Perioden
  der Dynastie verbinden. Stilistische Regeln bei Bauten, die mit
  Pachacuti verbunden waren, unterscheiden sich von denen der
  Gebäude, die für Huayna Capac oder in den ersten Jahren der
  spanischen Kolonialzeit gebaut wurden.183
  Die Orte mit der beeindruckendsten Verwendung von fei-
  nem Naturstein, Machu Picchu und Pisac (Abb. 12, 13), ge-
  hörten Pachacuti.184 Historische Überlieferungen der Inka, die
  Grundlage für die Bücher von Betanzos und Sarmiento, erzäh-
  len uns von der Erneuerung Cuzcos während seiner Herr-
  schaft. Die Neuorganisation der Landwirtschaft im Cuzco-Tal
  ist in diesen Berichten ebenfalls klar beschrieben, aber die
  Umwandlung von natürlichen Merkmalen der Landschaft für
  anscheinend ästhetische Zwecke wird nicht erwähnt. Baupro-
  jekte wie die Errichtung von Kanälen und Ackerbauterrassen
  waren auch Veränderungen der natürlichen Umwelt, aber die-
  se Arten von Projekten lassen sich nur schwer als Ausdruck
  der inkaischen Weltsicht interpretieren, außer man sieht sie
  als Teil eines Programms, bei dem die natürliche Umwelt in
  solchem Maße neu geordnet wurde, daß selbst natürlichen
  Felsbildungen eine bestimmte Ästhetik auferlegt wurde.
  104
    
  Abb. 12: Machu Picchu mit dem Berg Huayna-Picchu im Hintergrund
  Die natürliche Umwelt neu zu ordnen - sie tatsächlich umzu-
  formen - könnte hinter dem inkaischen Interesse an natürli-
  chen Steinvorkommen gestanden haben, aber noch besser kann
  diese Aktivität aus den schriftlichen Quellen interpretiert
  werden. Viele Einzelheiten der andinen Landschaft, besonders
  im Raum von Cuzco, waren den Inka heilig. Viele der Plätze,
  die in und um Cuzco als huaca  genannt werden, waren Steine verschiedenen Typs, einige davon vermutlich zutageliegende
  Felsen. Achtung und Furcht waren die Reaktionen gewöhnli-
  cher Menschen auf Objekte mit übernatürlicher Macht. Wenn
  105
    
  Abb. 13: Die Terrassen von Pisac
  die Inka die Umrisse natürlicher Steine bearbeiteten, damit sie
  inkaischen Architekturformen ähnelten, so sagten sie etwas
  aus über ihre eigene Position in der natürlichen Welt als
  Schöpfer, die Ordnung bringen.185
  Die Abstammung der Dynastie von der Sonne wurde am
  Anfang der inkaischen Expansion offenbart, wenn wir der
  relativen Chronologie der historischen Traditionen folgen.
  Statt „dem Bilde Gottes entsprechend“ oder „Werkzeug Got-
  tes“ zu sein - Rollen, die im christlichen Denken der Spanier
  einen Menschen kennzeichnen konnten -, waren die Inka Teil
  der Gottheit selbst: sie wurden „mehr als Menschen“.186 Weil
  ihr Vorfahr ein Schöpfer war - in dem Sinn eines Wesens, das
  Ordnung ins Chaos bringt -, waren auch sie Schöpfer.
  Die Inka bildeten eine Klasse von Wesen, die anderen Men-
  schen überlegen war. Nachdem diese Gleichsetzung stattge-
  funden hatte, war die Nähe zu der Linie, die den speziellen
  Status vererbte, entscheidend. Es gab Inka verschiedenen
  Grades. Vor diesem Hintergrund erklärt sich eine Anordnung
  Pachacutis:
  „Er befahl und erließ, daß diejenigen aus seiner Abstam-
  mungslinie und seine Nachkommen, wenn sie echte Inka
  durch Abstammung in männlicher und weiblicher Linie aus
  der Stadt Cuzco waren (und das sagte er, weil er einige seiner
  106
  Töchter an lokale Herrscher gegeben hat, sowie viele Töchter von Männern seiner Abstammungslinie, und sie an diese
  Herrscher verheiratet hat, um sie sich und der Herrschaft
  Cuzcos zu unterwerfen, und diese Anordnung betraf sie
  nicht), eine oder zwei Falkenfedern als Zeichen an ihrem
  Kopfschmuck tragen sollten, damit sie erkannt und behandelt
  und verehrt wurden von allen Menschen als seine Nachkom-
  men; und wenn jemand anderes dieses Symbol, daß er aus
  Cuzco sei und zu den wichtigen Menschen gehöre, nutzte,
  würde er dafür sterben.“187
  Die Inka verwandelten die andine Landschaft. Die Verände-
  rung der Menschen durch die Inka war so wichtig wie die ma-
  teriellen oder institutionellen Veränderungen. Andine Völker
  gehörten nicht einer Art von Wesen an, sondern vielen. Wenn
  eine Gruppe von Wesen mächtig wurde, konnte sie ihre Be-
  ziehungen zu den anderen neu definieren. Es war dieser Pro-
  zeß der Neudefinition, der hinter der Umwandlung Cuzcos
  stand. Wie durch ihren Vorfahren, den Sonnengott, fand eine
  Schöpfung statt, und das Schicksal aller Beteiligten änderte
  sich.
  Glossar
  adobe
  Spanische Bezeichnung für luftgetrocknete Lehmziegel.
  ají
  Spanische Bezeichnung aus den Taino-Sprachen der Kari-
 
  bik. Chili-Pfeffer, Capsicum frutescens.
  arpa Bestimmte
  Opferform.
  atisca Eine
   buaca (siehe dort), die getötet worden war, wurde als
  ,atisca’
  bezeichnet.
  ayllo
  Hier allgemein für eine Gruppe von Menschen verwendet.
  ayllos
  Bolas. Waffen zu Jagd- und Kampfzwecken, aus meist drei
  durch Schnüre verbundenen Steinen, die auf die Beine ei-
  nes Jagdtieres oder Menschen geworfen wurden.
  ayllusca
  Ein Wettspiel, bei dem eine Schlange aus Stoff in die Luft
  geworfen und mit einer Bola „gefangen“ wurde. Wurde
  gewöhnlich von dem Inka-Herrscher und Vertretern des
  Besitzes der Sonne gespielt. Gespielt wurde um Land der
  Sonne und wohl im Gegenzug auch um das des Herr-
  schers.
  caca
  Mutterbruder eines Mannes. Außerdem die Männer, mit
 
  denen ein Mann über seine Ehefrau verwandt war.
  cacacuzcos
  Wörtlich, die Schwäger der Inka.
  camayo
  Jemand, der den Inka diente, indem er auf Dauer eine be-
  stimmte Arbeit leistete oder ein Handwerk ausübte. Diese
  Arbeiter verfügten über Felder für ihren eigenen Unterhalt.
  cantares
  Spanische Bezeichnung für die Lieder oder Gesänge, die
  über das Leben jedes Inka-Herrschers verfaßt und bei ver-
  schiedenen Anlässen öffentlich vorgetragen wurden.
  capac
  Wenn der Begriff nach einem Namen steht, bedeutet er
  „viel mehr als ein Herrscher“, das heißt „heiliges Herr-
  schertum“.
  capacocha
  Von den Inka organisiertes Menschenopfer, in Cuzco und
  den Provinzen durchgeführt.
  capac raymi
  Eines der beiden jährlichen Feste zur Sonnenwende. Bei
  diesem wurden junge Männer, die zu den Inka gehörten,
  als Erwachsene initiiert.
  ceque
  Wörtlich „Linie“. Der Begriff bezieht sich auf die imagi-
  nären Linien, die eine bestimmte Gruppe von Heiligtü-
  mern verbanden. Diese Linien gingen von oder bei der
  Coricancha aus oder von einer anderen Linie. Von der
  Idee her ähnelte die Anordnung der ceque  der eines quipo, auf dem die Heiligtümer festgehalten wurden.
  churi
  Ein Wort, das „Sohn“ bedeutet, wenn der Sprecher ein
 
  Mann ist. Der Begriff bezieht sich auch auf die jüngeren
  108
  Mitglieder der eigenen patrilinearen Abstammungsgruppe, von einem Mann gebraucht.
  conopas
  Heilige Objekte, die einzelnen Haushalten gehörten.
  coya
  Die Frau, die die Hauptfrau des Inka-Herrschers war.
  cumpi Feiner
  Stoff.
  curaca
  Eine Gruppe von Führern des Dezimalsystems, zusam-
  mengesetzt aus jenen, die 100 oder mehr Haushalten vor-
  standen.
  huaca
  Ein Schrein, ein Heiligtum, ein übernatürliches Wesen.
  huahua
  Die Bezeichnung für einen Sohn oder eine Tochter, wenn
  die Sprecherin eine Frau war. Auch eine allgemeine Be-
  zeichnung für Nachkommen.
  huaoque
  Bruder eines Mannes. Auch Bezeichnung für die Angehö-
  rigen der eigenen patrilinearen Abstammungsgruppe, die
  so alt wie man selbst oder älter waren, von einem Mann
  gebraucht.
  huaranca
  Eine Einheit des Dezimalsystems aus 1 000 Haushalten.
  huarmi churi
  Ein weiblicher cburi.
  huno
  Eine Einheit des Dezimalsystems aus 10000 Haushalten.
  inti
  Die Sonne, bei den Inka eine Gottheit. Auch der Name ei-
  ner steinernen Vogelfigur, die als heiliger Haushaltsgegen-
  stand von den Inka aufbewahrt wurde.
  inti raymi
  Das wichtigste Sonnenwendfest.
  intipchurin
  Wörtlich „Nachkomme der Sonne“, allgemein ein Ange-
  höriger der Abstammungsgruppe der Sonne, das heißt der
  Herrscherdynastie.
  mallquis
  Die mumifizierten Vorfahren, die verehrt wurden.
  michoc
  Der Assistent eines inkaischen Provinzgouverneurs.
  mita
  Eine abwechselnd ausgeführte Aufgabe.
  mitayo
  Jemand, der zeitweilig für die Inka Dienste leisten muß.
  mitima
  Jemand, der umgesiedelt worden war, um den Inka dau-
  erhaft Dienste zu leisten. Deshalb war eine solche Person
  auch gleichzeitig immer ein camayo (siehe dort).
  mocha
  Ein Opfer an die huaca,  von religiösen Spezialisten ausgeführt, bestand aus der Geste eines Kusses.
  orejones
  Spanische Bezeichnung, bedeutet „Großohren“. Wurde
  für die Männer aus der inkaischen Abstammungsgruppe
  verwendet, die goldene Ohrpflöcke trugen.
  pacarisca
  Der Ort, aus dem eine bestimmte Gruppe von Menschen
  hervorgekommen war, ihr mythischer Ursprung, wie eine
  Höhle oder eine Quelle.
  pachaca
  Eine Einheit des Dezimalsystems aus 100 Haushalten.
  pana
  Schwester, wenn der Sprecher ein Mann ist.
  panaca
  Die Teilgruppe der Inka-Dynastie, die von einem be-
  stimmten
  Herrscher
  abstammt.
  109
  purucaya Ein
  umfangreiches Ritual, das einige Zeit nach dem Tod
 
  eines Inka-Herrschers abgehalten wurde.
  quipo
  Ein mnemotechnisches Hilfsmittel aus Knotenschnüren,
  das numerische Angaben festhalten konnte und vielleicht
  auch dazu diente, das Auswendiglernen und die Wieder-
  gabe von mündlichen Überlieferungen zu unterstützen.
  quipocamayo Ein Beamter, der gwz’po-Aufzeichnungen führte.
  saya
  Die Bezeichnung für Teil eines Ganzen. Beispielsweise
  wurden Inka-Städte gewöhnlich in zwei Teile gegliedert:
  Hanansaya und Hurinsaya.
  suyo
  Die Bevölkerung des Reiches war in vier Teile geteilt, die
  zusammen als Tahuantinsuyo bezeichnet wurden. Einzeln
  hießen die Teile Chinchaysuyo, Andesuyo, Condesuyo und
  Collasuyo.
  tambo
  Ein Raststelle an den Straßen der Inka.
  uncu Männer-Hemd.
  ususi
  Eine andere Bezeichnung für Tochter, von einem Mann
  gebraucht.
  vinachini Auf-,
  großziehen.
  vinakmaci
  Altersgenossen, oder jene, die zusammen aufgezogen wur-
  den.
  vinay Generation.
  yanacona
  Menschen, die dazu bestimmt wurden, 
  einem übernatürlichen Wesen zu dienen.
  

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