Roulette Benno Winkel Roulettespieler Millionär Author SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Author D.Selzer-McKenzie
Video: 4 Teile
Video Teil 1
http://www.youtube.com/watch?v=cjroB-Isqss
Video Teil 2
http://www.youtube.com/watch?v=Hv3joz6tDis
Video Teil 3
http://www.youtube.com/watch?v=FeCyvjDEOpg
Video Teil 4
http://www.youtube.com/watch?v=bHwc3FhmynU
Gewinnen ist ein Beruf
Eine Welle von Ausgelassenheit schwappte am Abend des 14.September durch den eleganten Salon des Hamburger Hotels „Atlantic“, nachdem die Innenaufnahmen für das Filmlustspiel „Ingrid - die Geschichte eines Photomodells“ fertiggedreht worden waren.
Ein Dutzend Filmgirls - Nachwuchsschauspielerinnen und Tänzerinnen - quirlte munter in den Sektgläsern, die immer wieder neu gefüllt wurden. Gastgeber war ein junger Krösus, der selbst gern Photomodell mimt. Er zog eine hübsche schwarzhaarige Statistin auf den Schoß und küßte, als Araberscheich verkleidet, dem 18jährigen portugiesischen Pin-up-Girl Hannita Hallan den linken Zeigefinger. Ein Bildreporter mußte in zweihundert Aufnahmen die neckischsten Posen festhalten.
Der Spleen, sich im Glanze hübscher Girls zu sonnen oder sich mit Löwenbabies und Eisbären photographieren zu lassen, gehört zum Zeitvertreib des Gastgebers. Er ist kein Adonis und kein echter Bel ami, aber er rühmt sich seit Monaten eines Vermögens von eineinhalb Millionen Mark. Außer vielen Freundinnen besitzt er vier Autos und einen Schrank voller Anzüge von letztem modischen Schnitt, darunter ein Modell, das auf dem deutschen Schneidertag am 5. September mit einer Goldmedaille preisgekrönt worden ist.
Unter seinem spitzen Kinn kräuselte sich ein haariges Attribut, das er als „Assyrerbart“ bezeichnet. Erst vor kurzer Zeit gab dieser Golden boy seinen schlichten bürgerlichen Namen Benno Eitel Winkel der Öffentlichkeit bekannt. Er nennt sich, wenn man nach seinem Beruf fragt, „Kaufmann“, lebt aber - das wurde inzwischen gerichtsnotorisch - seit Jahren vom Glücksspiel.
Das Internationale Institut für Rouletteforschung hat ihm den Ehrennamen „Bezwinger der Spielbanken und erfolgreichster Spieler unseres Jahrhunderts“ verliehen. Er selbst läßt sich am liebsten „Roulette-König“ titulieren.
Noch vor einem Jahr entrüstete sich ein Hamburger Richter darüber, daß ein ausgewachsener Mann sich mit einer „so brotlosen Kunst durchs Leben schlägt“. Schon damals war Benno Winkel elegant gekleidet. Zur Gerichtsverhandlung hatte er auf Anraten seines Rechtsanwaltes sogar seine Krawatte geknotet, um seriöser zu erscheinen. Sonst läßt er sie in extravaganter Art knotenlos aus dem Hemdkragen baumeln.
Winkel war damals des versuchten Betruges angeklagt, weil er auf einem Waschzettel mit der Überschrift „Es ist erreicht“ ein sogenanntes Ernährungssystem zum Kaufpreis von 50 Mark (zahlbar in zwei Raten) angeboten hatte. Dieses System sollte laut Waschzettel geeignet sein, „allen interessierten Roulette- Freunden mit starken Nerven und guter Konzentrationskraft“ bei einem Betriebskapital von nur 120 Mark „eine ständige Nebeneinnahme“ zu verschaffen.
Winkel garantierte sogar: „Ich bin bereit, Ihnen die Anzahlung von 120 Mark und eine Aufwandsentschädigung von 20 Mark - also insgesamt 165 Mark - zurückzuerstatten, falls Sie mir nachweisen, daß Ihr Spielkapital verlorengegangen ist oder auch nur verlorengehen kann.“
Der Richter wußte nicht, daß einer seiner pensionierten Kollegen im Casino Travemünde sich fast täglich mit einem solchen „Ernährungssystem“ eine kleine Nebeneinnahme verschafft. Die Verlustchancen sind dabei ebenso gering wie die Gewinne, da der „Ernährungsspieler“ nur mit kleinsten Einsätzen operiert.
Winkel verteidigte sich sehr geschickt mit Kostproben der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur über Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Gesetze des Zufalls.Als Gerichtssachverständiger hatte sich der Hamburger Mathematikprofessor Dr. Lothar Collatz zur Verfügung gestellt. Er verwarf souverän Winkels autodidaktische System-Thesen unter Berufung auf den empirischen Grundsatz des verstorbenen Professors für Aerodynamik und angewandte Mathematik an der Harvard-Universität in Boston, Richard von Mises: „Wir arbeiten eben mit der streng genommen nicht überprüfbaren Annahme der ‘Unmöglichkeit eines Spielsystems’, weil sie durch die ungezählten Versuche unglücklicher Systemspieler nahegelegt wird.“ (Winkel verschwieg aus opportuner Zurückhaltung, daß er damals über 100 000 Mark durch Systemspielen „verdient“ hatte.)
Schließlich wurde Winkel freigesprochen, nachdem er zum Beweis der Behauptung, daß er kein Betrüger sei, sondern ernsthaft jahrelang gearbeitet habe, mit meterlangen Statistiken und Kurvenblättern angerückt war. Dem realistischen Professor Coollatz schwindelte: „Es ist schade um die Zeit, die darauf verwendet worden ist.“ Das reizte Winkel im gekränkten Stolz des Fanatikers erst recht zum Widerspruch: „Bei mir ist die Zeit nicht zu schade, sondern dies ist der Sinn meiner Zeit.“
Den Keim zu dieser merkwürdigen Lebensauffassung hat vor vierzehn Jahren ein Studienrat am Hamburger Wilhelm-Gymnasium gelegt. Er traktierte seine Oberschüler nicht nur mit Rechenschieber und Logarithmentafeln, sondern auch mit der abseits vom eigentlichen Unterrichtspensum liegenden Kombinatorik, der Grundlage der Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Die meisten Schüler konnten dabei kaum folgen. Nur der mathematisch hochbegabte Rektorsohn Benno Winkel begriff dieses Jonglieren mit Zahlen und arithmetischen Reihen. Der Studienrat hatte seine Freude daran, aus dem blassen Filius des 1933 abgesetzten Volksschulrektors Max Winkel aus Geierswalde in Ostpreußen ein kombinatorisches Talent zu machen.
Dieser Mathematik-Sport nahm ein jähes Ende, als das Wehrbezirkskommando dem Benno Winkel zum 30.November 1942 einen Gestellungsbefehl in die elterliche Wohnung schickte. Der Kommiß konnte allerdings den schmächtigen Jungen nicht verdauen. Wegen akuten Magenleidens wurde der verhinderte Rekrut bei allen weiteren Nachmusterungen für „zeitlich untauglich“ befunden. Er benutzte diese Wehrdienst-Untauglichkeit nicht nur zu medizinischen Kuren, sondern stand mitten im totalen Krieg,
als seine Schulkameraden an der Ostfront die „Stalinorgeln“ pfeifen hörten, mit hektisch geröteten Wangen am kreisenden Roulette der Spielkasinos. Auch während des totalen Krieges blieben die Spielkasinos Baden-Baden, Zoppot und Baden bei Wien geöffnet.
1943 machte Winkel im Casino Baden bei Wien mit kleinsten Einsätzen sein erstes Spiel. Er hatte sich inzwischen Einblick in sogenannte klassische Roulette-Systeme verschafft, deren Zahl über tausend liegt. 1944 pickte die Gestapo den jungen Hasardeur auf und sperrte ihn vier Wochen lang in ein festes Haus. Darauf arbeitete er einige Monate als kaufmännischer Angestellter. Im Wirbel des Zusammenbruchs landete Winkel schließlich wieder in Hamburg und betätigte sich hier in Nachkriegsgeschäften. 1950 wurde er Besitzer eines Ecarté-Clubs und Teilhaber an zwei ähnlichen Unternehmen , gab aber dieses Gewerbe bald wieder auf. Dann brütete er monatelang in seinem Studien-Kabinett - einer Art Miniatur-Museum des Roulettespiels - über seinen eigenen Systemen; das heißt, er wandelte ab und versuchte zu perfektionieren, was andere vor ihm in Hunderten von Schwarten fixiert haben. Dabei stieß er u.a. auch auf sein „Ernährungssystem“, über das sich die Juristen wunderten.
Winkel selbst spielte ab 1952 bereits mit „längerem Atem“ und setzte seine ganze Rücklage von 5000 Mark aufs Spiel. Die Gewinne häuften sich, je länger er durchhielt. Allerdings verlor er auch wieder, einmal 150 000 Mark in einer Woche. Er will dann weiter an seinen Systemen („Ich habe nicht nur eins, sondern jongliere mit mehreren“) gefeilt haben und führt seine große Erfolgsserie ab Dezember vergangenen Jahres auf diese Filigranarbeit zurück. Er spielte in Dutzenden von Casinos, einschließlich Monte Carlo, wo er nur 12 000 Mark gewann.
Winkel verfügt über einen Stapel von fünfzig Jahreseintrittskarten, für die er 5000 Mark bezahlte. Die meisten Gewinne aber heimste er im Casino Travemünde ein, und zwar in mehreren Etappen insgesamt 700 000 Mark.
Vor jedem geplanten Großangriff läßt Winkel erst einmal sämtliche Coups (Treffer) der vergangenen Wochen notieren. Allein in Travemünde „arbeiten“ für ihn acht Beobachter für einen Tageslohn von zwanzig Mark pro Person. Aus den von ihnen notierten Zahlenreihen (sogenannten Permanenzen) zieht er dann das Fazit für seinen neuen Angriff. Er stellt ganze Kolonnen von Zahlen zusammen, die nach den geläufigen Wahrscheinlichkeitsgesetzen eine große Anzahl von Treffern enthalten sollen.
Amateure, die mit wenigen Zügen viel gewinnen wollen und deshalb ihre Chips genau so placieren wie Winkel, sind oft enttäuscht. Sagt Winkel: „Jeder professionelle Spieler weiß, daß er sich nur wellenförmig vorspielen kann. Man muß mitunter einen langen Atem haben, um wieder auf den Gipfel zu kommen.“ Deshalb bringt Winkel mindestens 50 000 Mark an den Spieltisch mit.
Die Spannung in dem weißen Casino-Palast an der Ostsee stieg auf den Siedepunkt, als auch noch ein zweiter Meister des Systemspiels, der Wiener Buchmacher Erich Puch, 43, mit seiner Gruppe über die Spieltische von Travemünde herfiel. Puch läßt hauptsächlich seine Ehefrau und seine schmuckbehängte schwarzhaarige Assistentin Hildgard Hübner, 23, die am Gewinn beteiligt ist, am grünen Zahlenteppich „arbeiten“. Sie setzten stur jeden Tag die Zahlenreihe, die er ihnen mittags auf den einen Zettel in die Hand drückt. Puch selbst, den die Atmosphäre des Spielsaals aufregt („Das Spiel ist eine eigene Macht, die das Denken vernebelt“), bleibt im Hintergrund oder sieht zur Ablenkung Filme an. Seiner Assistentin ist vertraglich jeder Umgang mit Männern untersagt, damit das „Betriebsgeheimnis gewahrt“ bleibt.
Die Folgen des systematischen „Bandenspiels“ zeigten sich sehr bald: Die Spielbank Travemünde hatte von Januar bis Juli etwa 1 250 000 Mark weniger Brutto-Einnahmen als während der gleichen Monate im Vorjahr. Diese Summe haben die beiden organisierten Spielsyndikate weggetragen.
Nach dieser Bilanz unterbreitete der 31jährige Winkel dem doppelt so alten Casino-Direktor Henri Neid Anfang August das Angebot: Er, der Roulette-König, werde sofort mit seinem ganzen Mitarbeiterstab aus Travemünde abrücken und niemals wiederkommen, wenn die Bank ihm eine monatliche Leibrente von 50 000 Mark aussetze und ihn außerdem mit etwa zehn Prozent am Jahresgewinn beteilige.
Direktor Neid strich seinen wohlgepflegten Bart und sagte nur: „Das ist wohl ein Witz.“ Neid, der alle Schliche des Roulettespiels seit seiner Jugend kennt, hält an der Version fest, Winkel sei nichts als ein raffinierter „Bandenspieler, der eben Glück gehabt hat“. Darauf kündigte Winkel eine neue Offensive gegen den weißen Spielbank-Palast an der Ostsee an, die jetzt beginnen soll.
Die Hartnäckigkeit, mit der er die Travemünder Spieltische belagert, hat tiefere Gründe. Er möchte in erster Linie eine alte Rechnung mit Henri Neid aus den Jahren 1948/49 begleichen. Damals wurden in der Bundesrepublik die ersten Spielbanken eröffnet. Der junge Nachkriegskaufmann („Ich machte Export- und Importgeschäfte auf eigene Rechnung“) hatte sich an eine Finanzgruppe gehängt, die in Travemünde ein Casino gründen wollte. Doch wurde seine Gruppe über Nacht „von Leuten aus Belgien“ ausmanövriert.
Mit diesen Reminiszenzen rührt der Roulette-Millionär an Vorgänge, die in dicken Faszikeln der Gerichte in Hamburg, Lübeck und Kiel aktenkundig sind. Alle Entwicklungswege der Spielbank Travemünde führen zurück in die Landschaft am Hohen Venn, jenseits der deutschen Landesgrenze. Von dort stammen die beiden Granden des Casinos: Hauptgesellschafter Isidore Prosmans, der Geldmann, und Henri Neid, der Fachmann.
Der heute 62jährige Neid hat die prickelnde Atmosphäre des Glückspiels schon als Schuljunge in sich aufgenommen, wenn die Kavalkade der Spieler in eleganten Landauern durch seinen Heimatort Moresnet brauste, und sich in dem einzigen erlaubten Casino weit und breit - dicht in der Nähe des väterlichen Kramladens - an die Spieltische setzte. Dann drückte sich der kleine Ladenstift die Nase am Casinofenster platt und wünschte sich, ein reicher Mann zu werden, statt lebenslänglich Petroleum und Heringslake im väterlichen Laden zu riechen. Das damals so stark frequentierte Casino lag im merkwürdigsten Zipfel Westeueropas: in der Enklave der Vergessenheit „Neutral-Moresnet“. Dieser etwa 360 Hektar große Zipfel zwischen Belgien und Deutschland war bei der Grenzziehung nach dem Wiener Kongreß 1814/15 durch einen Vermessungsfehler außer acht
geraten. Nachdem das Versehen bemerkt worden war, einigten sich die Anrainer, das Gebiet als neutral zu respektieren.
Mit dem ersten Weltkrieg ging auch die Neutralität von Moresnet zu Ende. Das Spielcasino hatten schon vorher preußische Gendarmen geschlossen. Moresnet wurde von Belgien einkassiert. Henri Neid optierte zwar für Belgien, suchte aber sein Glück hauptsächlich im deutschen Aachen und später in Saarbrücken, wo er Kaffeehäuser aufmachte.
Als in den zwanziger Jahren Moresnet wieder Hasard gespielt werden durfte, zur Belebung des Fremdenverkehrs, gründete Neid - zusammen mit einem biederen Bäckermeister - den „Union-Club“. 1930 hatte er bereits genug Geld beisammen, um auf eigene Faust ein kleines Spielcasino in Chaudfontaine bei Lüttich zu eröffnen. Nach dem deutschen Einmarsch 1940 ließ er sich dann von dem deutschen Oberfeldkommandanten in Lüttich, General Keim, die Konzession für das luxuriöse Casino in Spa erteilen. Erst kurz vorher hatte Neid den blonden Mannequin Hedwig Mackowiak, ehemalige Schönheitskönigin von 1928 aus Elberfeld, geheiratet.
Spa entwickelte sich zum Dorado der belgischen Lebewelt. Der Oberfeldkommandant genehmigte Neid sogar eine Omnibuslinie, damit die Geldleute, die sich an Wehrmachtslieferungen und Lebensmittelschiebungen bereichert hatten, bequem an die Roulettetische gelangen konnten. „In Spa wurde damals sagenhaft hoch gespielt“, weiß General Keims früherer Dolmetscher. „Die dicksten Brieftaschen schmolzen dahin. Neids Küche und Keller boten auch noch 1944 den reichen Gourmets exquisite Leckerbissen. Die Gestapochefs Graf und Lücke gingen bei Neid ein und aus.“ Als die deutschen Truppen abgezogen, hatte Neid ein stattliches Vermögen angesammelt, das ihm die nationalistischen Resistenzler der „Armée blanche“ mißgönnten. obwohl Neid sich ihrer auch bisweilen wohlwollend erinnert hatte. Eine belgische Zeitung schrieb damals: „Neid ist der Typ des Opportunisten, sein Vaterland ist das Land, in dem er das meiste Geld verdienen kann.“ Nach einer belgischen Aufrechnung hatte Neid während des Krieges einen Vermögenszuwachs im Werte von rund einer Million Dollar zu verzeichnen gehabt.
Die Amerikaner fühlten sich nach 1945 in der Etappe von Spa ebenso wohl wie ihre deutschen Vorgänger. Aber das Casino war tot. Neid saß achtzehn Monate in einem Internierungslager, bis ein stämmiger CIC-Offizier sich für ihn einsetzte. Dieser geschäftstüchtige Funktionär des amerikanischen Geheimdienstes, Robert Prince aus Ohio, interessierte sich allerdings weniger für Neid persönlich als für dessen Sekt- und Kognakvorräte und Neids Schwägerin Elisabeth Mackowiak. Schließlich heiratete CIC-Prince die aus Frankfurt evakuierte Dame, bevor er nach Deutschland versetzt wurde und später eine Schlüsselposition bei einer Betreuungsstelle für „Displaced persons“ in Hamburg erklomm.
Es war die Zeit der Spielbankgründungen. In Bad Neuenahr hatte sich bereits am 15. Dezember 1948 die Roulettescheibe zum erstenmal gedreht. Auch in Norddeutschland suchten die verschiedensten Interessengruppen (darunter Benno Winkel innerhalb einer Finanzgruppe „Keller-Berger“) bei der schleswig-holsteinischen Landesregierung um eine Spielbank-Konzession nach. In Führung lag der Pächter des Kurhauses im Sol- und Moorbad Segeberg, Werner Lang. Es fehlten ihm aber finanzkräftige Hintermänner.
Da interessierte eine mit Lang bekannte Modeschöpferin aus Brüssel, die über so gute internationale Beziehungen verfügte, daß man ihr schon im ersten Weltkrieg Kontakte à la Mata Hari nachgesagt hatte, einen ihrer reichsten Bekannten, den belgischen Industriellen Isidore Lucien Victor Prosmans, 42, für dieses Projekt.
Auch Neids Schwager Prince hatte inzwischen bei Casino-Planer Lang vorgefühlt. Der belgische Millionär Prosmans und der nicht minder geschäftstüchtige Neid-Schwager erkannten sehr bald: Das verträumte Segeberg entsprach nicht ihrem Plan, im Norden ein feudales Ersatz-Casino für das verlorengegangene Zoppot zu schaffen. Sie fanden das Ostseebad Travemünde viel attraktiver. Dort hatte sich schon einmal - bis zum Verbot 1872 - ein munterer Spielbetrieb entfaltet.
Casino-Planer Lang (mit guter Querverbindungen nach Kiel) wurde umgestimmt, nachdem er als Gesellschafter in die neu zu gründende Travemünder Spielcasino-Betriebs-GmbH. aufgenommen werde, ohne direkt eigenes Kapital einzubringen.
Für die Vergabe der Konzession war das Landesinnenministerium (damals unter der Leitung des SPD-Genossen Käber) zuständig. Als die Verhandlungen mit den Vertretern der Landesregierung endlich erfolgreich abgeschlossen worden waren, hatten sich die von Kurhausverwalter Lang vorgestreckten Spesen - für diverse Bewirtungen - auf 24 000 Mark angesummt.
Außer Isidore Prosmans waren inzwischen noch einige finanzkräftige Interessenten gefunden worden, die der Gründungs-GmbH beitraten. Aber noch fehlte der eigentliche Experte - ein neuer Francois Blanc, der durch langjährige Erfahrungen in dieser gewinnbringenden Branche die Garantie dafür bot, daß Travemünde das „Monte Carlo des Nordens“ werden würde. Es war für den belgischen Millionär Prosmans wie für den ebenfalls Geldchancen witternden Amerikaner Mr. Prince selbstverständlich, daß dieser Experte nur Henri Neid heißen konnte.
An einem grauen Januartag 1949 traf denn auch der Spielbank-Experte Neid, leicht mitgenommen und argwöhnisch, in Hamburg ein. Er wußte nicht einmal, wo dieses Travemünde, für das man ihn in Aussicht genommen hatte, liegt. Außerdem bedrückte ihn sehr, daß er sich irregulär in Deutschland aufhalten mußte, denn gegen ihn schwebte in Belgien immer noch ein Kriegsgerichtsverfahren*.
*Erst am 15.März 1950 wurden die Akten über Neids Kriegsgewinne geschlossen. Befremdet stellte der Vorsitzende des „Conseil de Guerre“ in Lüttich fest, daß wichtige Belastungsdokumente verschwunden waren. Schließlich lautete das Urteil auf ein Jahr Gefängnis (durch Internierung verbüßt) und eine Million Francs (84 000 Mark) Geldbuße.
Aber Schwager Prince wußte wieder einmal Rat. Er brachte Neid mit dem Leiter des Travel Office der britischen Besatzungsmacht in Hamburg, dem RAF-Major Alastair McKinnon, zusammen, der eine provisorische Aufenthaltsgenehmigung besorgen konnte. Später beschaffte der Major noch weitere Bescheinigungen nachdem ihm - nach seinen Angaben - zugesichert worden war, daß seine Dienste mit einer ständigen einprozentigen Gewinnbeteiligung am Spielcasino belohnt werden würde. Als er dann nur ein Taschengeld erhielt, revanchierte er sich nach seinem Ausscheiden aus der Royal Air Force durch peinliche Tips über Prosmans, Prince und Neid an die deutschen Finanzbehörden.
Das Finanzministerium in Kiel hatte vor der Genehmigung der Gesellschafterliste nicht einmal nach Herkunft der 150 000 Mark gefragt, die das Handelregister für Devisenausländer Isidore Prosmans ausweist. Die Zoll- und Steuerfahndungsstellen in Lübeck wollten es aber genau wissen.
Nach langen Verschleierungsmanövern fand Prosmans schließlich die Version: „Ich habe diesen Betrag im Bundesgebiet durch Geschäfte, die ich im einzelnen nicht angeben möchte, selbst verdient.“ Der Fall wurde zunächst mit einer Buße von 50 000 Mark bereinigt. Sie tat Prosmans nicht weh, da schon der erste Jahresgewinn aus seinem offiziellen Spielbank-Anteil ihn hinreichend entschädigte. Der weiße Casino-Palast wirkte wie ein Magnet.
Es meldeten sich allerdings auch die Geister der Vergangenheit. Voran Neids Schwager Prince, der seine Vermittlungsdienste nicht umsonst getan haben wollte. Er hatte sich sowohl für Henri Neid als auch für den Hauptgesellschafter Prosmans bei alliierten und deutschen Dienststellen engagiert und drängte auf Umsatzbeteiligung und Provision. Im Hintergrund drohten alte Belastungsakten aus Princes CIC-Zeit.
Neid wurde diesen Alpdruck erst los, als sein amerikanischer Schwager samt Ehefrau im Mai 1952 überstürzt nach Canton im Staate Ohio/USA abreiste. Kurz darauf erließ das Amtsgericht Hamburg einen Haftbefehl gegen Prince wegen Devisenvergehens und aktiver Bestechung (AZ 157 Gs. 1411/52 III). Vor seiner Flucht aus Deutschland hatte Prince seinem Schwager Neid eine hohe Abfindung abgeknöpft und in Juwelen angelegt. Neid mußte später wegen dieser „Geschenke“ an einen Devisenausländer eine Buße von 10 000 Mark zahlen.
Zoll-und Steuerfahndung warfen weiterhin Argusaugen auf den weißen Casino-Palast an der Ostsee. Die Recherchen richteten sich hauptsächlich gegen den belgischen Millionär Prosmans wegen des Verdachts, er habe zusammen mit Prince illegale Einfuhrgeschäfte abgewickelt und Millionen in Deutschland verdient, ohne Zölle und Steuern zu entrichten*. *Die eingeführten Waren sollen angeblich auf gefälschte Freiimport-Lizenen der Jeia hereingeholt und dabei als Geschenksendungen für „displaced persons“ deklariert worden sein.
Der schwergewichtige Millionär Prosmans, der sich vor Jahresfrist eine große weiße Villa an der Avenue Franklin Roosevelt 244 in Brüssel-Süd hat bauen lassen, ist ein internationaler Geschäftsmann mit zahlreichen Handelsunternehmen im Ausland, zum Beispiel in Tanger, Kanada und Ägypten (Spezialität: Pharmazeutika). Außerdem besitzt er eine Fabrik in Lüttich. Im Oktober 1951 überzeugte sich Prosmans zum letztenmal in Travemünde, wie gut das Geschäft an den neun Spieltischen florierte. Dann kehrte er nach peinlicher Sistierung durch die Staatsanwaltschaft des Amtsgericht Aachen der Bundesrepublik den Rücken.
Wenige Monate später erließ das Amtsgericht Hamburg einen Haftbefehl gegen ihn. Prosmans bat um freies Geleit; er wollte dann Aufklärung über seine Geschäfte geben. Doch die Bitte wurde abgelehnt. Dagegen waren die Steuerbehörden bereit, sich mit Prosmans in der Schweiz oder in Österreich zu treffen, um eine pauschale Unterwerfungssumme auszuhandeln. Doch Prosmans kam nicht. Als er schließlich die Steuerforderung überhaupt zurückwies, wurde sein Spielbankanteil samt aufgelaufenem Gewinn mit Arrest belegt.
Erst vor wenigen Wochen hat sich Prosmans, vertreten durch einen Hamburger Rechtsanwalt, vor dem Finanzgericht in Kiel verglichen; Er zahlte (ohne Schuldanerkennung) freiwillig 100 000 Mark Steuern und Zölle nach und übernahm die Verfahrenskosten in Höhe von etwa 150 000 Mark. Darauf wurde der Haftbefehl aufgehoben und das blockierte Vermögen freigegeben.
Mit diesem ungewöhnlichen Vergleich endete ein Ermittlungsverfahren, das über drei Jahre lang auch die Spielbank Travemünde überschattet hatte. Jetzt kann Hauptgesellschafter Prosmans wieder nach Westdeutschland einreisen und sich selbst davon überzeugen, wie inzwischen der Spielpalast an der Ostsee zu einer Bastion des Fremdenverkehrs geworden ist. Der Besuch des Bades während der Sommersaison hat sich von 1949 bis 1953 (über 33 000 Besucher) fast verdreifacht. Trotz des verregneten Sommers meldeten sich auch in diesem Jahr 9 000 Ausländer (das waren zehnmal mehr Ausländer als im Jahre 1950) bei der Kurverwaltung an.
Die prickelnde Atmosphäre in dem großen weißen Casino-Palast, dessen Farbanstrich jährlich 112 000 Mark kostet, lockt auch das „mittlere Publikum“ vom Badestrand an den Spieltisch. Es stellt mit seinen Gelegenheitseinsätzen die größte Zahl der Verlierer und macht die Bank reich. Die Nettoüberschüsse der Bank betrugen von 1949 bis 1953 bei einer Gesamteinnahme von rund 16 821 000 Mark rund 4,7 Millionen Mark. Im Februar 1954 kam dann das Casino Travemünde in eine ungewohnte Situation. Nach der ersten Monatshälfte mußte die Gesellschaft den Kommanditisten mitteilen: „Leider haben die Spieler sehr viel getroffen und uns damit außergewöhnlich hohe Verluste in kurzer Folge zugefügt . . . Verlustsaldo für uns 27 130,84 Mark.“
Die Gesellschafter bekamen einen Schreck, als ihnen Direktor Neid mit dem Datum vom 17. Februar 1954 „ganz besonders vertraulich“ mitteilen ließ: „Da die Spielbank-Reserve nur 200 000 DM beträgt und wir den Gesellschaftern alle übrigen flüssigen Mittel bis auf den notwendigen Betriebsmittelbedarf überlassen haben, sehen wir uns nunmehr wahrscheinlich in der peinlichen Lage, die Gesellschafter darum zu bitten, uns einen Teil der Vorschüsse zurückzuzahlen.“
Am 22.Februar schrieb dann die Casino-Betriebsgesellschaft an den schleswig-holsteinischen Finanzminister Dr. Schaefer: „Wir haben uns in dieser Sache sowohl schriftlich als auch in einer eilig einberufenen Gesellschafterbesprechung ebenfalls an unsere Gesellschafter gewandt und sie um beschleunigte, zweckentsprechende Überbrückungsmaßnahmen gebeten.“ Auch Neid bekam den ungewöhnlichen Vorstoß der beiden Roulette-Könige Winkel und Puch direkt am Monatsgehalt zu spüren. Es schrumpfte schon einmal auf 213 Mark zusammen, denn dieses Gehalt ist mehr eine Erfolgsprämie und steht in einem gewissen Schlüsselverhältnis zum Gewinn. Neid ist allerdings gleichzeitig einer der Hauptgesellschafter mit 75 000 Mark Gesellschaftsanteil und hat sich - genau wie Prosmans - vertraglich eine besonders günstige Anteilsquote am Jahresgewinn der Spielbank (durch sogenannte Vorabpunkte) vertraglich gesichert.
Schrecken der Casinos: Winkel in Monte-Carlo (l.) und in Nordafrika (mit Schatzmeister)
Trotz seiner äußeren Gelassenheit läßt Neid seine Chefcroupiers jede Placierung notieren, die von den „Spielbanden“ Winkel und Puch gesetzt wird. Er studiert genau ihre Einsätze und Coups und läßt sich auch mitten in der Nacht den Saldenstand der Großgewinner melden. Außerdem achtet die Direktion jetzt peinlich auf die Einhaltung der Maximumklausel: Wo bereits ein „Bandenspieler“ Maximum (den höchstmöglichen Einsatz von 70 Mark je voller Nummer) placiert hat, darf kein anderer Spieler noch einen Chip hinsetzen. Diese strittige Situation ergab sich vor einigen Wochen, als Winkel gerade zu seiner jüngsten Offensive ausholte. Als Benno Winkel seine vorher überlegten Einsätze placieren wollte, erklärten Chefcroupier und Saalchef Winkels Partie, die rund 2500 Mark eingebracht hätte, für ungültig. Er habe regelwidrig fünf Nummern, die bereits von seinem Vis-a-vis, einem bankrottem Variete-Unternehmer, mit dem höchstmöglichen Einsatz gesetzt worden waren, nochmals mit dem Maximum belegt. Die Travemünder Casino-Ordnung schreibt jedoch vor: „Wird an einem Tisch das Maximum auf irgendeine Chance durch zwei oder mehrere Personen überschritten, so ist es das Recht der Direktion, diese Überschreitung zu untersagen.“
Bis vor einigen Wochen wurde diese Klausel indes niemals angewandt. Dazu gibt die Casino-Direktion den Kommentar: „Der Spielleitung ist es überlassen, die Überschreitung . . . in Einzelfällen zu gestatten. Nach internationalem Brauch wird Überschreitung jedoch grundsätzlich nicht gestattet, wenn der Eindruck vorhanden ist, daß mehrere Personen sich zu einem Zusammenspiel vereinigen. Dieses Spiel nennt man auch Bandenspiel.“
Roulette-König Winkel verwahrte sich gegen den Vorwurf, daß er mit seinem Vis-à-vis ein Bandenspiel betreibe. Er habe zwar früher zusammen mit ihm operiert, sich aber von ihm seit einigen Tagen getrennt und diese Trennung der Spielbank-Direktion mitgeteilt. Es sei allerdings Pech, daß dieser ehemalige Mitarbeiter Einblick in sein System bekommen habe und deshalb - wenn auch dilettantisch - ihm nachzueifern versuche. Doch der Protest nutzte nichts. Bald tuschelte man an allen Tischen, die Spielbank-Direktion wolle sich ihres gefährlichsten Gegners dadurch entledigen, daß sie ihn daran hindere, seine vorher ausgeklügelten Nummern zu setzen.
Winkel wehrte diese Sonderbehandlung ab, und sein agiler Sozius, der sich Maron nennt und Winkels Einkünfte als Schatzmeister verwaltet (Winkel: „Er verfügt über die Hälfte meines Gewinnes und kümmert sich auch sehr intensiv um meine Frau“), muckte auf. Trotz der Klausel wollen Winkel und sein Adlatus diese Woche ein neues Gruppenspiel beginnen.
Andere Casinos reagierten ähnlich: In Mentone bei Nizza hat Winkel nach einem Erfolgsabend vor kurzem erlebt, daß die Casinodirektion einfach den Spielsaal für die nächsten Tage zuschloß, bis Winkel abgereist war. Fragt Winkel: „Warum sollen immer nur die Spieler das Risiko tragen? Wie viele haben schon ihre Existenz aufgeopfert. Erst vor einigen Monaten hat sich der ehemalige Lübecker Senator Rechtsanwalt Dr. Oppermann nach einer langen Pechsträhne erhängt. Er hatte außer seinem eigenen Vermögen noch etwa 80 000 Mark, die ihm als Notar anvertraut worden waren, durchgebracht.“ Vor solchen Kurzschlüssen hält sich Roulette-König Winkel gefeit. Er spottet über die makabre Atmosphäre des Spielsaals, in dem hinter den Spielern auch die Halbwelt kauert, immer bereit, sich an einen Gewinner zu hängen. Nicht weit entfernt davon sitzen die Spekulanten des Unglücks, die jeden Schmuck und jeden parkenden Wagen in Kommission nehmen.
Das ist die Kehrseite aller Casinos, in denen Winkel und der nicht ganz so erfolgreiche Wiener Systemtechniker Puch, die Schrecken der Bankhalter, bisher über zwei Millionen Mark zusammengebracht haben.
Winkel hätte jüngst eine Spielpause eingelegt. Die Bettelbriefe und Heiratsangebote aus aller Welt aber rissen nicht ab. Die Sage von seinem schnell erworbenen Reichtum (den „Schatzmeister“ Maron, Winkels ehemaliger Schulkamerad und Intimus, hütet) strahlte sogar nach Spanien. Eine Mutter in Sevilla offerierte ihre Tochter Dolores für das Brautbett. Den Roulette-König aber bewegte zur Zeit ein anderes Problem. Er überlegte, wie er seinen Spielgewinn am sichersten anlegen kann, und trägt einen kleinen porösen Baustein, als Probe eines neuen Baustoffes „Elastizell“, in der Hosentasche mit sich herum. „Elastizell“ soll durch Winkel die Welt erobern. Winkels Lieblingsplan jedoch bleibt: sich selbst an einem deutschen Spielcasino zu beteiligen - am liebsten an dem Travemünder Unternehmen. Dann hätte der König endlich sein Schloß.
Mittwoch, 13. Januar 2010
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