Sonntag, 7. August 2011

Greenland Grönland Reise Travel Natur SelMcKenzie Selzer-McKenzie


Greenland Grönland Reise Travel Natur SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie

Der Wind wird immer frecher. Er zerrt an Wim¬pern und Augenbrauen und frisst sich langsam durch die federbettdicke Daunenjacke. Dann reißt er einem beinahe die Mütze vom Kopf. Doch man verzeiht ihm das alles. Schließlich gibt es dafür Grönland pur.
Skulpturen aus Eis
Wer einmal in der Arktis war, so heißt es, der kom
me immer wieder. Gut möglich, denn es macht
Spaß, auf dem kleinen knallorangefarbenen Boot

durchs Packeis zu flitzen — durch die größte Eiskunstausstellung der Welt. Vorbei an haushohen Skulpturen aus Eis. Eine sieht aus wie ein Vogel, die andere wie eine vom Himmel gefallene Wolke. Die Künstler heißen Sonne und Wind. Jede Minute mo¬dellieren sie ihre Werke neu, schleifen hier was ab, pressen dort etwas zusammen. Und das Wasser ap¬plaudiert dazu, plätschert und gurgelt, grummelt, schmatzt und zischt. Die Eisblöcke sind irgendwann und irgendwo von einem Gletscher gekracht. Die ei¬nen lieben die Fernreise, treiben tausende Kilometer weit. Andere bevorzugen den Tagesausflug und ver

flüssigen sich nach ein paar Stunden in einem de unzähligen Fjorde Ostgrönlands.
Tobias, der Fahrer, bremst das Boot mitten auf der Wasser. Er steuert eine Eisscholle an und wirft de Anker. Dann hilft er beim Aussteigen. Die erstes Schritte sind noch unsicher. Die flache, wohnzim mergroße Scholle wackelt. „Sie kann nicht bre chen", beruhigt Tobias. „Der größte Teil liegt unte Wasser, nur ein Sechstel ragt sichtbar heraus." E packt die Thermoskanne aus, gießt Kaffee in bunt Plastikbecher und verteilt Kekse: Kaffeepause auf de Eisscholle! Die Sonne scheint, und ohne Fahrtwie

Kultur des Lachens
Dort begrüßt der Hotelleiter Robert Peroni seine Eisschollen-Ausflügler am Abend. „Willkommen in der Steinzeit! Wir sind hier an einem der ursprüng¬lichsten Orte auf Grönland." Die ersten Siedler ka¬men erst vor 100 Jahren. „Inzwischen gibt es im Hotel Strom und Wasser, aber noch nicht in jedem Zimmer Duschen", bittet er um Nachsicht. Der ehe¬malige Extrembergsteiger aus Südtirol kam 1980, zwei Jahre vor den ersten Touristen. Anfangs schien ihm das Land langweilig. Doch immer mehr begeis¬terte ihn die arktische Natur. In einer waghalsigen Expedition überquerte er das Inlandeis ohne Schlit¬tenhunde und technische Hilfsmittel wie GPS und Handy. Schließlich waren es aber die Menschen, die ihn so faszinierten, dass er immer wieder kam und auf Drängen der Einheimischen blieb. „Es ist eine Kultur des Lachens und der Herzlichkeit", schwärmt er und seine Augen leuchten dabei. Draußen liegen bunte Häuschen wie hingewürfelt auf den Hügeln, dahinter lugen schroffe Berge hervor. Auf den Leinen vor den Türen flattert frische Wäsche im Wind. Ein paar Schlittenhunde dösen im Wollgras.
Einer der ersten Europäer, die am Ende des 19. Jahrhunderts nach Ammassalik kamen, war Gustav Holm mit seiner „Frauenbootexpedition". Mit den wendigen, offenen Booten, in denen früher
die Frauen ruderten, konnte er sicher durch die Eisschollen navigieren. Noch heute verstopft Packeis regelmäßig den Kong-Oscar-Fjord, sodass die Hauptstadt Tasiilaq neun Monate im Jahr von der Außenwelt abgeschnitten und nur über Helikopter erreichbar ist. Damals drohte die einheimische Bevölkerung von knapp 300 Einwohnern auszuster¬ben. Das Königreich Dänemark eröffnete eine Mis¬sionsstation und übernahm die Kolonialherrschaft. Seitdem ist Grönland Teil Dänemarks, hat aber seit 1979 eine autonome Selbstverwaltung. Heute leben an der gesamten Ostküste 3500 Dänen und Inuit. Tobias wohnte bis zu seinem 17. Lebensjahr noch in einer Erdhöhle. Ein Nachbau der damaligen Win-terbehausung steht unterhalb der Kirche. Hier ist es stockdunkel und riecht nach feuchter Erde. Eine sol¬che Höhle war gleichzeitig Küche, Schlafzimmer und Toilette für 20 bis 30 Inuit. Dabei schlief eine siebenköpfige Familie auf einem Platz von der Größe eines Bettlakens. „Einige mögen das für pri¬mitiv halten. Im Grunde genommen waren sie klü¬ger als wir und energiesparender. Sie brauchten kei¬ne Heizung. Denn sie bauten ihre Erdhäuser mit tief liegendem Eingang, wohl wissend, dass Wärme nach oben steigt", sagt Robert.
Größter Gletscher der Welt
Das Rote Haus baute er als Sozialstation für arbeits-lose und alkoholgefährdete Jugendliche. Heute ist es außerdem Hotel, Begegnungsstätte und Tourismus¬unternehmen. Dabei versucht er, mit seinem Kon¬zept für sanften Tourismus die Kultur der Inuit, so gut es geht, zu erhalten. Als größter Arbeitgeber in Ammassalik beschäftigt Robert knapp 50 Ange¬stellte. Die meisten davon sind Ostgrönländer. Sie or¬ganisieren Bootsfahrten durchs Packeis, Trekking- und Eisklettertouren oder Ausflüge zum Inlandeis. Fast ganz Grönland wird vom größten Gletscher der Welt bedeckt, eine Fläche, die fast fünfmal so groß
wie Deutschland ist. Bei Isertoq blickt man auf die gigantische Eiswüste, die sich bis zum Horizont er-streckt — und doch sieht man nur einen winzigen Ausschnitt. Der Eispanzer ist bis zu dreieinhalb Kilometer dick und drückt 800 Meter tief ins Erd-innere. Würde man das Land vom Eis befreien, ent-stünde eine riesige Erdschüssel. Nur der Rand wäre bewohnt. Schmilzt das Grönlandeis, steigt der Meeresspiegel um etwa sechs Meter. Forscher hoffen, dass der Eispanzer doch stabiler ist als angenom¬men. Bei Eisbohrungen in zwei Kilometer Tiefe wur¬de herausgefunden, dass „Grünland" vor 450.000 Jahren so dicht bewaldet war wie Schweden und dass das danach entstandene Eis einer späteren Wär¬meperiode standgehalten haben muss, bei der es wesentlich wärmer war als heute.
Helle Sommernächte
Der Sommer auf Grönland dauert von Juli bis Au-gust. Die Temperatur steigt bis auf 18 Grad im Schatten, die Nächte bleiben hell. Die perfekte Zeit für eine Wanderung. Am Rand der Schüssel erwacht das Leben. Zwergnelken, Gletscherhahnenfuß und die Nationalblume, das arktische Weideröschen, blü¬hen. Pinkfarbenes Stengelloses Leimkraut leuchtet zwischen den Steinen in den Bergen. Wanderwege gibt es nicht — nur Richtungen. Die Schuhe sinken in Mooskissen und man läuft niemals allein: Unzäh¬lige daumennagelgroße Mücken folgen auf Schritt und Tritt. Glück hat, wer im einzigen Supermarkt noch ein Mückennetz ergattern konnte. Von den Gipfeln, die bis 1000 Meter hoch sind, hat man einen fantastischen Blick auf den Kong-Oscar-Fjord, eine der Endstationen für Eiskunstwerke. Im letzten Zipfel des Fjords treffen sich jeden Sommer die Tagesaus¬flugsschollen zum letzten Mal auf dem Wasser. Zu dieser Jahreszeit sind die schwimmenden Puzzleteile

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.