Roulette - Die Berechnung des
Zufalls
D.Selzer-McKenzie
Das
Zufallsprinzip
Was
ist Zufall ?
Im
Sinne der landläufigen Vorstellung und der alltäglichen Erfahrung ist ein
zufälliges Ereignis zumeist etwas seltenes, das der gewohnten Ordnung und der
gesetzmäßigen Entwicklung der Dinge entgegenläuft. In der
Wahrscheinlichkeitsrechnung, die sich im wesentlichen mit Zufällen beschäftigt,
müssen wir von dieser Vorstellung abgehen. Hier nämlich haben die zufälligen
Ereignisse eine Reihe ganz charakteristische Eigenschaften, insbesondere treten
sie bei Massenerscheinungen auf.
Unter
Massenerscheinungen versteht die Wissenschaft solche Vorgänge, die aus einer
großen Anzahl von gleich- oder fast gleichberechtigten Ereignissen bestehen.
Der Gedanke, dass der Zufall Gesetzen unterworfen sein soll, ist vielleicht
nicht sehr einleuchtend für den, der an die blinde Herrschaft von Glück und
Unglück glaubt. Die Wissenschaft vom Zufall - das ist die Summe aller
Wahrscheinlichkeitstheorien - leugnet auch keineswegs die Möglichkeit eines
individuellen Glücksfalls oder gar den Wert einer Vorahnung. Doch über den
Ausgang eines einzelnen Zufallsereignisses lässt sich deshalb niemals eine
bindende Aussage machen, weil beide Begriffe sich logisch ausschließen.
Alles
Zufällige spiel sich im Raum des Möglichen ab. Das "Wahrscheinliche"
aber enthält immer die Einschränkung des Zufalls. Was aber ist
„wahrscheinlich"? Kant sagt in einem oft zitierten Satz: „Wahrscheinlich
ist dasjenige, was für wahr gehalten, mehr als die Hälfte der Gewissheit auf
seiner Seite hat". Damit ist die Möglichkeit der mathematischen Aussage angesprochen.
Ohne Berechnung werden wir also die Probleme nicht lösen können.
Damit
begeben wir uns auf das Gebiet der „Stochastik". Schon in der Frühzeit der
Wahrscheinlichkeitsrechnung wurde diese Bezeichnung von einem Mitglied der
bedeutenden Mathematikerfamilie Bernoulli geprägt. In der zweiten Hälfte des
letzten Jahrhunderts erfuhr der Begriff eine Wiederbelebung. Günther Menges
schreibt in seinem Grundriß der Statistik, der sich mit ihrer Theorie befasst:
„Alles, was auf der Wahrscheinlichkeitsrechnung aufgebaut ist oder sonst wie
mit ihr zu tun
hat,
bezeichnet man als Stochastik. Insofern ist dieses Spezialgebiet der Mathematik
auch die „Wissenschaft zum Zufall", weniger was seine Ursachen, als
vielmehr, was seine Wirkungen betrifft.
Natürlich
war es immer das Bestreben nachdenklicher Menschen, dem Zufall auf die Schliche
zu kommen. So gehört seit undenklichen Zeiten die Berechnung von
Wahrscheinlichkeiten zu den Beschäftigungen kluger Geister. Würfelspiele gab es
schon 400 v.Chr. Das Spiel um Geld mittels Werfen einer Münze ist gewiß noch
älter. Im Zusammenhang mit Glücksspielen unternahm man schon in der Renaissance
Versuche zur Berechnung zufälliger Ereignisse. So stammt das Wort
„Hassard" aus einer eigentümlichen Abschätzung des Erwartungsgrades einer
bestimmten Anzahl von Augen beim Würfeln. Das arabische Wort Asar bedeutet
„schwierig". Mit diesem Wort bezeichnete man die Kombination von Augen,
die mit 3 Würfeln nur auf eine Weise möglich ist: 3 oder 18 Augen.
Eine
richtige Wahrscheinlichkeitsrechnung begann aber erst in der Mitte des
17.Jahrhunderts mit den Forschungen von drei Franzosen: dem reichen
Aristokraten Chevalier de Merä, mit Blaise Pascal und Pierre de Fermat. Pascals
Hauptinteresse waren Philosophie und Religion. Fermat war von Beruf Jurist.
Bekannt geworden ist er vor allem als einer der bedeutendsten
Zahlentheoretiker, der sich abends nach den Ratssitzungen diesem Spezialgebiet
widmete. Chevalier de Merä, der ein leidenschaftlicher Glücksspieler war, legte
Pascal eine Aufgabe vor, mit der er sich lange herumgequält hatte und die für
ihn praktische Bedeutung hatte. Pascal löste diese Aufgabe und teilte sie
Fermat in einem Brief vom 29.Juli 1654 mit, der dessen und seine eigene Lösung
an den bekannten Mathematiker Huygens weiter gab.
Es
besteht kein Zweifel, dass die hervorragenden Gelehrten, die sich mit den
mathematischen Problemen des Zufalls, in konkreter Form also mit Fragen des
Glücksspiels befassten, schon damals die wichtige Rolle jener Wissenschaft
voraussahen, die später als Wahrscheinlichkeitsrechnung bezeichnet wurden. Alle
diese Gelehrten waren sich einig, dass sich bei massenhaften zufälligen
Ereignissen klare Gesetzmäßigkeiten herausbilden. Aber die Zeit war noch nicht
reif, die Begriffe und Methoden der Wahrscheinlichkeitsrechnung exakt zu
formulieren. So wurden ausschließlich elementare arithmetische und
kombinatorische Methoden verwendet. Heute sind die Bereiche
Wahrscheinlichkeitsrechnung, Statistik und die moderne „Theorie der
Spiele" exakte Zweige der Wissenschaft. Und - das sagte nach Kant auch
Marx: „Eine Wissenschaft
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