Grundlagen: Entdecken Sie japanische Charttechniken – von D.Selzer-McKenzie
Ichimoku Kinko Hyo – Wolkencharts
Ursprung und Kerngedanken
Die Indikatortechnik „Ichimoku Kinko Hyo“ (IKH) stammt
aus dem Land der aufgehenden Sonne. Sie wurde in den
30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von dem japanischen
Journalisten Goichi Hosoda (1898–1982) entwickelt.
Ein Tross von Studenten soll ihm bei den Kalkulationen der
Parameter geholfen haben – man bedenke, dass es damals
weder Taschenrechner noch Computer gab. Ichimoku
Kinko Hyo besteht aus fünf Indikatoren, zwei davon bilden
die obere und untere Begrenzung der Wolke. Die Indikatoren
beschreiben das innere Marktgleichgewicht zwischen
Angebot und Nachfrage. Das Gleichgewicht zwischen Preis
und Zeit wird über die Zeittheorie, die Wellentheorie und
die Kurszielbestimmung beschrieben. Die „Wolkencharts“
– wie sie umgangssprachlich bezeichnet werden – fi nden
nur langsam ihren Weg in die Handelsräume der westlichen
Welt. Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass dort bisher
wenig Literatur über Ichimoku Kinko Hyo veröff entlicht
wurde. Was bietet der IKH dem Trader nun? Jede Menge.
Ein Blick auf den Wolkenchart setzt den Trader über folgende
Punkte ins Bild:
• die Trendrichtung
• die Trendstärke
• Unterstützungen und Widerstände
• Kauf- und Verkaufssignale.
Ichimoku Kinko Hyo ist also ein echter Tausendsassa. Der
allererste Blick auf einen Wolkenchart stiftet allerdings bei
den meisten in erster Linie Verwirrung: nichts ist auf einen
Blick erkennbar. Es bedarf viel Übung, Wolkencharts zu
interpretieren.
Konstruktion eines Wolkencharts
In Bild 1 sehen Sie den EUR/USD-Tageschart. Grundlage für
einen Wolkenchart sind Candlesticks. Wir sehen, dass der
SelMcKernzie
SelMcKenzie
Chart nicht mit dem aktuellen Schlusskurs aufhört, sondern
die Wolke in die Zukunft gezeichnet wird. Ebenso einzigartig
ist, dass eine der Linien (Chikou Span) rückwärts projiziert
wurde. Diese Projektionen in die Zukunft (= Wolke) und in
die Vergangenheit (= Chikou Span) sind einzigartig und ein
wichtiges Element bei der Analyse und Prognose.
Vier der fünf Linien sind Durchschnittslinien. Allerdings
wird zu deren Berechnung nicht der sonst häufi g verwendete
Schlusskurs herangezogen, sondern der Mittelwert von
Tageshoch und Tagestief. Dieser entspricht übrigens dem Mittelwert
eines High-Low-Preiskanals.
Durch die Verwendung von Durchschnittslinien ist klar,
dass der IKH ein lupenreiner Trendfolger ist. In einem Seitwärtstrend
ist er überfordert – wie alle anderen Systeme, die
auf Gleitenden Durchschnitten beruhen.
= Kijun-Sen = Standard-Linie (rote Linie)
Kijun-Sen ist der Mittelwert vom höchsten und tiefsten Kurs
der letzten 26 Tage. Die Richtung von Kijun-Sen spielt eine
wichtige Rolle, um die Richtung des Marktes zu beurteilen.
Bedingt durch die Berechnung über 26 Tage reagiert Kijun-
Sen bei einem Trendwechsel allerdings recht träge.
= Tenkan-Sen = drehende Linie (blaue Linie)
Tenkan-Sen ist der Mittelwert vom höchsten und tiefsten
Kurs der letzten neun Tage. Er ist der unruhige Partner von
Kijun-Sen.
= Senkou Span 1 = vorauseilende Linie (grün)
Senkou Span 1 ist der Mittelwert von Kijun-Sen und Tenkan-
Sen. Es ist also der Mittelwert aus der Summe zweier Mittelwerte.
Der Clou ist aber, dass dieser Wert, genau wie sein Kompagnon
Senkou Span 2, 26 Tage in die Zukunft projiziert wird.
= Senkou Span 2 = vorauseilende Linie (orange)
Senkou Span 2 ist der Mittelwert vom höchsten und tiefsten
Kurs der letzten 52 Tage. Dieser wird ebenfalls 26 Tage in
die Zukunft projiziert. Senkou Span 2 verläuft aufgrund der
beschriebenen Berechnungsmethode häufi g waagerecht.
Wird der Bereich zwischen Senkou Span 1 und Senkou Span
2 eingefärbt oder schraffi ert, hat man die Wolke (= Kumo)
geschaff en.
= Kumo = Wolke (grau eingefärbte Fläche)
Senkou Span 1 und Senkou Span 2 werden 26 Tage in die
Zukunft projiziert, die Fläche dazwischen ist die Wolke. Kumo
ist das zentrale Element von Ichimoku Kinko Hyo. Nicht umsonst
heißen sie Wolkencharts und nicht umsonst nennen sich ihre
Anwender „Kumotrader“.
Aufgrund der Berechnungsvorschriften ist die Wolke
ähnlich einem in die Zukunft projizierten 17 Tage- (Mittelwert
von neun und 26) und 52-Tage-Durchschnitt. Die Wolke
wird unter anderem als Filter für die Bewertung der Kaufund
Verkaufssignale verwendet.
= Chikou Span = verzögerte Linie (schwarz)
Die Konstruktion von Chikou Span ist denkbar einfach:
Der aktuelle Kurs wird um 26 Tage rückwärts projiziert,
Der Chart zeigt die einzigartige Konstruktion eines Ichimoku-Charts: Die Projektion in die Zukunft (= Wolke) und
in die Vergangenheit (= Chikou Span).
Q
B1) Konstruktion des Wolkencharts im EUR/USD
Um die Trendstärke deutlicher darzustellen, kann das Momentum auf Kijun-Sen (MomKijun) berechnet und in
einem separaten Indikatorfenster angezeigt werden.
Quelle: www.tradesignalonline.com
B2) Trendstärke im EUR/USD
somit entsteht ein Linienchart. Trendumkehrformationen
– wie zum Beispiel eine Kopf-Schulter-Formation – lassen
sich im Linienchart einfacher und schneller erkennen als
in einem Candlestick-Chart. Chikou Span kann als Sentiment-
Indikator verwendet werden: Liegt Chikou Span
über „seinem“ Kurs, ist die Stimmung gegenüber der vor
SelMcKenzie
Info
Mehr zu den Wolkencharts
können Sie in dem Buch
„Ichimoku Wolkenchart Trading –
Besser traden mit der
Wolkenchart-Indikatorentechnik“
nachlesen.
ISBN: 978-1-291-22343-9
Seiten: 389
Verlag: SelMcKenzie Publishing
Preis: 7,80 Euro
26 Perioden positiver liegt Chikou Span unter „seinem“ Kurs,
ist die Stimmung gegenüber der vor 26 Perioden gefallen.
Chikou Span ist der zweite Filter, der für die Bewertung der
Kauf- und Verkaufssignale verwendet wird. Die Berechnung
der einzelnen Linien ist immer inklusive des aktuellen
Tages.
Trendrichtung
Die Trendrichtung festzustellen ist unkompliziert: Befi ndet
sich der Kurs über der Wolke, liegt per Defi nition ein Aufwärtstrend
vor. Befi ndet sich der Kurs unter der Wolke, liegt ein
Abwärtstrend vor. Befi ndet sich der Kurs in der Wolke, liegt
ein Seitwärtstrend vor. Es lässt sich also auf einen Blick
erkennen, ob Kauf- oder Verkaufssignalen gefolgt werden
sollte.
Trendstärke
Die Trendstärke wird über den Neigungswinkel von Kijun-Sen
angezeigt. In einem idealen Trend beträgt dieser in einem
normal skalierten Chart 45 Grad. Programmierfreaks können
das Momentum auf Kijun-Sen (MomKijun) berechnen
und in einem separaten Indikatorfenster anzeigen lassen.
Die MomKijun-Linie kann mithilfe der Formationsanalyse
und Divergenzen zwischen Kursentwicklung und MomKijun
in die Analyse mit einbezogen werden. In Bild 2 ist dies auf
einem EUR/USD-Tageschart mit einem 17-Perioden-Momentum
auf Kijun-Sen dargestellt.
Unterstützung und Widerstände
Eines der wichtigsten Konzepte im Bereich der Technischen
Analyse ist das von Unterstützung und Widerstand. Bei
Ichimoku zeigt die Wolke Unterstützungs- und Widerstandslevel
an. Aufgrund der Berechnung der beiden wolkenbegrenzenden
Linien sind die Unterstützungs- und Widerstandslevel
dynamischer Natur.
Ist der Kurs oberhalb der Wolke, fungiert die obere
Begrenzung der Wolke als erstes Unterstützungslevel und
die untere Begrenzung der Wolke als zweites Unterstützungslevel.
Ist der Kurs unterhalb der Wolke, fungiert die
untere Begrenzung der Wolke als erstes und die obere
Begrenzung der Wolke als zweites Widerstandslevel. Die
Widerstands- und Unterstützungsniveaus werden häufi
g nach dem ersten Durchbruch nochmals getestet. Je
dicker die Wolke, desto massiver ist die Unterstützungsund
Widerstandszone – und desto höher ist auch die
Volatilität.
Je dünner die Wolke, desto geringer die Volatilität und
desto einfacher gestaltet es sich für den Preis, die Wolke
nachhaltig zu durchbrechen und damit den Trendwechsel
zu bestätigen.
Signalerzeugung
Bei insgesamt fünf Linien und einer Wolke gibt es erwartungsgemäß
nicht nur eine Variante der Signalerzeugung,
sondern fünf. Hinzu kommt, dass jede der Varianten in der
Ausprägung stark, neutral oder schwach ausgebildet sein
kann – und dann natürlich für Long- oder Short-Positionen.
Aufgrund der Konstruktion der Linien ist klar, dass die
Signale auf Basis von Gleitenden Durchschnitten generiert
werden. Solche Signale müssen gefi ltert werden. Bei
Ichimoku gibt es zwei Filter: die Wolke und Chikou Span.
Über diese beiden Elemente können die Signale auch bewertet
werden – als stark, neutral oder schwach. Grundsätzlich
gilt, dass sich bei einem Kaufsignal der Kurs über der Wolke
befi nden sollte und Chikou Span über „seinem“ Kurs (von vor
26 Perioden). Bei einem Verkaufssignal sollte sich der Kurs
unter der Wolke befi nden und Chikou Span unter „seinem“
Kurs (von vor 26 Perioden).
Variante 1: Kreuzung Kijun-Sen und Tenkan-Sen
Ein Kaufsignal liegt vor, wenn Tenkan-Sen von unten nach
oben Kijun-Sen kreuzt (Golden Cross). Ein Verkaufssignal
liegt vor, wenn Tenkan-Sen von oben nach unten Kijun-Sen
kreuzt (Death Cross).
Hier sehen Sie Ichimoku-Signale beim DAX im zeitlichen Ablauf, kombiniert mit weiteren Methoden der
Technischen Analyse.
Quelle: www.tradesignalonline.com
B3) Praxistest im DAX I
SelMcKenzie
Hier sehen Sie den weiteren Kursverlauf des DAX. Nach einer kleinen Korrektur läuft er weiter nach oben.
Quelle: www.tradesignalonline.com
B4) Praxistest im DAX II
Variante 2: Kreuzung Kijun-Sen und Preis
Ein Kaufsignal liegt vor, wenn der Preis von unten nach oben
Kijun-Sen kreuzt. Ein Verkaufssignal liegt vor, wenn der Preis
von oben nach unten Kijun-Sen kreuzt.
Variante 3: Ausbruch des Preises aus der Wolke
Ein Kaufsignal liegt vor, wenn der Kurs die Wolke von unten
nach oben kreuzt und dabei die obere Begrenzungslinie
auf Schlusskursbasis durchbricht. Ein Verkaufssignal liegt
vor, wenn der Kurs die Wolke von oben nach unten kreuzt
und dabei die untere Begrenzungslinie auf Schlusskursbasis
durchbricht.
Variante 4: Kreuzung Senkou Span 1 und Senkou Span 2
Ein Kaufsignal liegt vor, wenn Senkou Span 1 von unten nach
oben Senkou Span 2 kreuzt. Ein Verkaufssignal liegt vor, wenn
Senkou Span 1 von oben nach unten Senkou Span 2 kreuzt.
Variante 5: Kreuzung Chikou Span mit Preislinie
Ein Kaufsignal liegt vor, wenn Chikou Span den Kurs von
unten nach oben kreuzt. Ein Verkaufssignal liegt vor, wenn
Chikou Span den Kurs von oben nach unten kreuzt.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Der DAX liefert am 14.01.2011 im 5-Minuten-Chart (Bild 3)
ein anschauliches Beispiel dafür, wie die fünf Signalvarianten
nacheinander auftreten und somit ein qualitativ hochwertiges
Kaufsignal generieren.
Die Signale in ihrer zeitlichen Reihenfolge: Als erstes
kreuzt der Preis über Kijun-Sen. Vier Kerzen später kommt es
zu einem Golden Cross zwischen Tenkan-Sen und Kijun-Sen.
Da sich diese beiden Kaufsignale unterhalb der Wolke ausbilden,
sind sie mit großer Vorsicht zu genießen. Nochmals
zwei Kerzen später kreuzt Chikou Span über den Kurs. Damit
bestätigt ein Filter die beiden Kaufsignale. Der DAX nimmt
nun Kurs auf die Wolke. Während die erste Kerze in der Wolke
schließt, kreuzt der (kurze) Senkou Span 1 über dem (langen)
Senkou Span 2 – damit wurde ein weiteres Kaufsignal generiert.
Der DAX schaff t es nach drei Anläufen, über der oberen
Begrenzung der Wolke zu schließen.
Dieser Kumo-Breakout als solches ist ein starkes Kaufsignal.
In diesem speziellen Fall, nachdem alle anderen
Signalvarianten ebenfalls ein Kaufsignal generiert haben,
spricht nichts dagegen, mit dem entsprechenden Risikound
Money-Management eine Long-Position einzugehen.
Mit dem Kumo-Breakout hat auch der zweite Filter das Kaufsignal
bestätigt. Dieser Chart off enbart allerdings noch mehr:
Ein bullisch Harami (Candlestick-Muster, bei dem der Körper
der zweite Candle innerhalb des Körpers der ersten Candle
liegt) läutet eine untere Trendwende ein und diese Candlestick-
Formation ist der Kopf einer doppelten Schulter-Kopf-
Schulter (SKS)-Formation. Insbesondere Chikou Span eignet
sich für die klassische Formationsanalyse, da er als „simpler“
Linienchart einen klaren Blick auf das Kursgeschehen ermöglicht.
Für risikofreudigere Trader bietet sich aufgrund der SKS
und des bullisch Harami der Long-Einstieg bereits nach der
Kreuzung Tenkan/Kijun an. Im weiteren Verlauf (Bild 4) fungiert
die obere Begrenzung der Wolke als Unterstützung
und der DAX kann sich nach einer kleinen Korrektur weiter
nach oben bewegen.
Fazit
Die westliche Welt der Technischen Analyse wurde mit
Ichimoku Kinko Hyo um eine mächtige Methode bereichert.
Der Chart off enbart auf einen Blick und ohne Interpretationsspielraum,
ob sich der Preis im bullischen oder bärischen
Territorium befi ndet. Mit einer einzigen Einstellung der Parameter
können Sie in jedem Zeithorizont auf Anhieb den
Trend bestimmen. Der (langfristige) Investor kann seine Anlageentscheidung
mit den gleichen Einstellungen treff en wie
der Trader im 5-Minuten Chart. Ichimoku Kinko Hyo ist eine
durch und durch dynamische Methode. Widerstands- und
Unterstützungszonen werden mit jedem neuen Preis an das
neue Preisniveau angepasst. Für den Einsteiger ist das sicher
eine Herausforderung. Diese Dynamik in Kombination mit
der Projektion in die Zukunft und in die Vergangenheit macht
diese Methode so einzigartig und wertvoll. Die Wolke ist das
zentrale Element und gibt die weitere Strategie vor.
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