Berlin 2.Juni 1967
Was geschah am 2. Juni 1967?
Um den Schah-Besuch in Berlin ranken sich viele Mythen. Die
beklemmendste Variante lautet: Eigentlich sollte Reza Pahlevi in Deutschland
ermordet werden. Der Schlüssel zur Aufklärung des Rätsels liegt in einem Archiv
in Washington.
Jeder, der sich einmal mit den Ursprüngen der Studenten- und
der 68er-Bewegung beschäftigt hat, wird sich einer maßgeblichen Irritation
ausgesetzt gesehen haben: der Frage, wie der am Abend des 2. Juni 1967 mit
tödlicher Wirkung auf den Germanistikstudenten Benno Ohnesorg abgegebene Schuss
zu beurteilen ist – als fahrlässige Tötung, als Totschlag oder als gezielter
Mord. Und falls Letzteres zutreffen sollte – worin hat das Motiv des Mörders
bestanden? Hatte er aus eigenem Antrieb oder im Auftrag anderer, gar einer
staatlichen Behörde gehandelt? Von der Beantwortung dieser Fragen ist abhängig,
wie der Fall von heute aus politisch und historisch zu bewerten ist.
Von diesem unaufgeklärten Sachverhalt geht noch immer eine
erhebliche Verunsicherung aus. Wenn man etwa von der »Ermordung Ohnesorgs«
spricht, dann zieht das ganz andere Schlussfolgerungen nach sich als im Falle
einer der beiden anderen Tötungsvarianten. Solange das aber nicht geklärt ist,
muss offenbleiben, was zu einer so folgenreichen Protestbewegung wie der am
Ende der sechziger Jahre geführt hat. Es ist ganz so, als fehlte noch immer die
Grundlage für eine angemessene Historisierung: Die Unsicherheit in der
Beurteilung des 2. Juni steht wie ein unsichtbarer Stolperstein vor einer
zeitgeschichtlichen Einordnung jenes Ereignisses, das nicht nur eine Zäsur in
der Berliner Geschichte, sondern eine in der Bundesrepublik insgesamt markiert.
Benno Ohnesorg stirbt
Beim Versuch einer ersten Bewertung des 2. Juni glaubte
zumindest die außerparlamentarische Linke sicher sein zu können, diesen – wie
das Hans Magnus Enzensberger getan hat – als einen »nicht erklärten Notstand«
bezeichnen zu können. Und in der Tat, es sprach angesichts des
Sicherheitsaufwandes, der vom 27. Mai bis zum 4. Juni 1967 für den Staatsbesuch
des Schahs betrieben worden war, vieles dafür, diesen als mehr als nur
ungewöhnlich zu qualifizieren. Der Schweizer Dokumentarfilmer Roman Brodmann,
der den Auftrag hatte, den Herrscher vom Pfauenthron auf seinen Reisestationen
zu begleiten, gab seinem Film anschließend nicht umsonst den Titel Der
Polizeistaatsbesuch. Zwei Begriffe, die ursprünglich nichts miteinander zu tun
hatten, verschmolzen zu einem terminologischen Ungetüm. Das hatte seine Gründe.
Denn die damals ergriffenen Sicherheitsvorkehrungen waren
exorbitant. Insgesamt mehr als 30.000 Polizisten kamen bundesweit zum Einsatz.
Ganze Autobahnabschnitte mussten wegen der Fahrtroute des hohen Gastes gesperrt
werden. Und in Bayern wurden aus sicherheitsrelevanten Gründen über hundert
iranische Studenten gar gezwungen, das Bundesland zu verlassen und sich während
der gesamten Besuchsdauer woanders aufzuhalten – nicht ohne durch tägliches
Aufsuchen des jeweiligen Polizeireviers vor Ort die eigene Unschuld unter
Beweis zu stellen. Sie galten als unkalkulierbares Sicherheitsrisiko. Das hatte
es in der Bundesrepublik zuvor noch nicht gegeben.
Nachdem schon in Bonn sowie in München gegen den Schah
protestiert und am Abend zuvor dessen Regime auf einem Teach-In im Auditorium
maximum der Freien Universität angegriffen worden war, demonstrierten an jenem
2. Juni 1967 in West-Berlin mehr als 3.000 Menschen, vor allem Studierende, vor
dem Schöneberger Rathaus. Handzettel waren verteilt worden, mit denen der Schah
des Mordes bezichtigt wurde. Unter dem Porträt des Monarchen hieß es: »Gesucht
wird Schah Mohamed Reza Pahlawi wegen Mord und Folterungen an dem Journalisten
Karimpour Schirazi, an dem Außenminister Hossein Fatemi, an dem Justizminister
Lotfi nach vorherigem Ausreißen der Augen, an einundsiebzig oppositionellen
Offizieren, an Hunderten von Kommunisten, an ziviler Bevölkerung
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