Roboter-Trader auf dem Vormarsch
Author D. Selzer-McKenzie
YoutubeVideo: https://youtu.be/LE9NczHYn6U
2017 ist das Jahr der Roboter, zumindest in der
Online-Anlageberatung. Denn kein zweites Jahr bringt hierzulande eine dermaßen
große Veränderung in der Branche der Robo-Advisor wie dieses Jahr: Anfang des
Jahres waren sie noch kleine Start-up-Unternehmen, deren Existenz nur von
wenigen Privatanlegern mit hoher Affinität zu Online-Diensten einerseits und
zur Wertpapieranlage andererseits überhaupt wahr-und angenommen wurden. Doch
binnen dieses Jahres hat sich das Volumen an Kundengeldern nicht nur auf rund eine
Milliarde Euro ungefähr verdoppelt. Es haben sich auch neue große Anbieter der
automatisierten Anlageberatung in Stellung gebracht, darunter die Comdirect
Bank-Tochter „cominvest" und die Deka-Tochter „bevestor". Im Kampf um
Marktanteile öffnen Kooperationen mit etablierten Finanzdienstleistern den
Zugang zur breiten Kundenbasis.
tliche der frühen Start-ups hat¬ten sich als Herausforderer
der etablierten Finanzdienstleister verstanden. Den klassischen Filial¬banken
und Finanzvertrieben sollten Marktanteile abgenommen werden. Inzwischen ist das
Gros der Robo-Ad-visor vom Konfrontations- auf einen Kooperationskurs
umgeschwenkt. Vom Angriff auf die traditionellen Finanz¬häuser ist immer
weniger die Rede. Das hängt auch mit dem Angebot der Robo-Advisor zusammen: Als
Spezia¬listen bieten sie Online-Finanzdienste nur zu einer vergleichsweise eng
ge¬fassten Aufgabenstellung, eben der Ka-pitalanlage in Wertpapieren. Mit
dieser Fokussierung können komplette Bank-verbindungen nicht ersetzt werden.
Dazu müssten die Plattformen ihre digitalen Fähigkeiten
ausbauen und in personalisierte Kundenberatung investieren, urteilt auch
Carmela Me-lone, Senior-Analystin bei MyPrivate-Banking Research. In der Studie
„Glo-bal Robo-Advisor Benchmarketing 2017" hat die Schweizer
Marktfor-schungsfirma jüngst Robo-Advisor in elf Staaten untersucht und ihre
Stär¬ken und Schwächen analysiert. Selbst die führenden Anbieter seien nicht in
der Lage, das volle Potenzial automa-tisierter Anlageberatung auszuschöp-fen.
Der klassische Rob o-Advis or kon¬zentriere sich ausschließlich auf das
Portfoliomanagement. Bei den vor-und nachgelagerten Prozessen der
Kundenbeziehung bestehe noch viel
Aufholbedarf, so Melone. Persona-lisierte
Informationsangebote seien ebenso selten wie weiterreichende
Finanzplanungstools.
ZWEI PROBLEMFELDER
Vor allem zwei Problemfelder lassen die einstigen
Herausforderer zuneh-mend die Zusammenarbeit suchen: Zum einen bestehen ernst
zu nehmen-de regulatorische Pflichten. Im August wies die Finanzaufsichtsbehörde
BaFin ausdrücklich darauf hin, dass der Ser¬vice der Robos aus rechtlicher
Sicht in der Regel den Tatbestand der Anla-geberatung erfülle, für die
zumindest eine Erlaubnis nach dem Gewerberecht benötigt werde. In vielen Fällen
bieten die Online-Dienste gar eine Finanz-
portfolioverwaltung an, die eine Er-laubnis nach dem
Kreditwesengesetz erfordert. Liegt keine Erlaubnis vor oder werden die damit
verbundenen Folgepflichten des Wertpapierhandels-gesetzes (WpHG)
beziehungsweise der Gewerbeordnung (GewO) nicht erfüllt, müsse der Anbieter mit
erheblichen Problemen rechnen.
Aber auch wer die rechtlichen An-forderungen meistert, wird
nicht automatisch von potenziellen Kun¬den gefunden. So ist es nicht zuletzt
auch der rasche Zugang zu einem attraktiven Kundenstamm, der für die
Kooperation mit traditionellen Finanzhäusern spricht. Die Robo-Advisor bieten
dabei ihre innovativen
Online-Dienste der vorhandenen Kun¬denbasis an. Beispiele
für Zusammen¬arbeit gibt es viele: Elinvar mit M.M. Warburg oder Scalable
Capital mit ING-Diba oder Whitebox mit der VW Bank. BlackRock, weltgrößter
Fonds¬anbieter, ist zusammen mit zwei deut¬schen Risikokapitalgebern bei
Scalable Capital aus München mit 30 Millionen Euro eingestiegen. Volks- und
Raiff-eisenbanken nutzen unter dem Namen „Meinlnvest" eine White
Label-Lösung des Robo-Advisors VisualVest. Und der Robo-Advisor investify hat
mit der Hamburger Sparkasse (Haspa) ei¬nen neuen Gesellschafter gewonnen. Ganze
Übernahmen wie von easyfolio durch die Privatbank Hauck & Aufhäu-ser sind
vergleichsweise selten.
Die großen Finanzkonzerne haben eher die Kraft, eigene
Online-Dienste zu entwickeln und am Markt zu po-sitionieren. Das zeigt vor
allem der diesjährige Markteintritt von „com-invest" aus dem
Commerzbank-Kon-zern. „Es ist nicht zu spät, in den Markt einzutreten",
sagt Melone. Qualitativ seien kaum Unterschiede zwischen den hauseigenen
Angebo¬ten der Banken und jenen der Start-ups zu erkennen. Statt eines
Ver-drängungswettbewerbs dürfte der Branchenwandel in den kommenden Jahren eher
von der Kooperation und Koexistenz von Off- und Online-Anbietern geprägt sein.
Die wahre Konkurrenz der etablierten Finanz-dienstleister drohe nicht durch die
heimischen Robo-Advisor, sondern falls die global agierenden Daten-Plattformen
wie Amazon, Google oder Alibaba in den Markt standar-disierter
Finanzdienstleistungen ein-dringen würden. „Da unsere Kunden-daten bereits zum
Großteil über dem Atlantik gespeichert sind, bedroht dies die bisher überlegene
Kunden-beziehung der Bank zum Anleger", prophezeite unlängst ein
Beobachter der Branche. Umso weniger können es sich die etablierten
Finanzhäuser leisten, an der „Online-Front" nicht gut aufgestellt zu sein.
DIGITALE DIENSTE MIT ANALOGEN GESPRÄCHSPARTNERN
Eine Beschränkung ausschließlich auf Online-Kanäle gilt
allerdings zuneh-mend als problematisch bei der Erobe-rung großer Marktanteile.
„Die Kun-den wollen nicht nur unkompliziert investieren, sondern auch
Betreuung, wenn Probleme entstehen. Das Fehlen der menschlichen Interaktion
müssen reine Robo-Advisor durch die Ent-wicklung innovativer Tools
ersetzen", sagt Melone. Wer diese Kundenbin-dung nicht schaffe, sei
austauschbar. Die Masse der Kleinanleger beschäf¬tige sich selbst nicht
hinreichend mit den Themen Börse und Wertpapiere. Sie benötigten Expertenrat,
der sich nicht allein mit Online-Fragebögen abdecken lässt. Chats, Blogs,
Videos und Social Media-Kanäle für persona-lisierte Services können das nur
teil-weise auffangen.
Die Studie misst ihnen aber große Be-deutung als Ergänzung
zum eigentli-chen Robo-Advisor zu. Letztendlich wünscht sich ein Großteil der
Kunden zumindest die Möglichkeit zum per-sönlichen Gespräch. Beim Berliner
Robo-Advisor Liqid nimmt die Hälfte der Kunden das Gesprächsangebot mit dem
Finanzteam wahr. Damit verschwimmen die Grenzen zwischen etablierten
Finanzdienstleistern und den Robo-Advisorn etwas, die ur-sprünglich genau im
Verzicht auf den Einsatz menschlicher Berater ihre Stär-ke sahen. „Wenn man den
Anspruch hat, Kunden nicht nur rein digital, sondern optional auch persönlich
zu beraten, dann rechnet sich das Ge-schäft nur ab gewissen Größen. Bei 50
Basispunkten für ein 5000 Euro-In-vestment liegt der Bruttoertrag bei 25
Euro", rechnet Christian Schneider-Sickert, Gründer und Geschäftsführer
des digitalen Vermögensverwalters Liqid, vor. Diese Marge sei für eine
zu-sätzliche Beratung zu gering. Konse-quenterweise hat der Mitte 2015
ge-gründete Online-Vermögensverwalter seine Einstiegshürde auf 100.000 Euro
festgelegt.
WACHSTUM VORPROGRAMMIERT
Robo-Advice kann vielen Sparern erst-mals die Möglichkeit
eröffnen, am Kapi¬talmarkt zu investieren. Entsprechend groß ist das
Wachstumspotenzial. Die Branchenvertreter selbst sehen den neu entstehenden
Markt erst ganz am Anfang. Bereits im Jahr 2020 werde der Online-Vertrieb für
Spar- und An-lageprodukte laut der Beratungsfirma McKinsey von heute 20 auf 35
Prozent steigen.
Das internationale Finanzconsultant-Unternehmen Oliver Wyman
traut insbesondere Deutschland eine hohe Dynamik zu — nicht zuletzt, weil die
Ausgangsbasis beim angelegten Vo-lumen im Vergleich zu den USA noch gering ist.
Die Experten schätzen, dass hierzulande bislang rund 800 Millionen Euro von den
Anbietern eingesammelt wurden. Bereits Ende des Jahres dürf¬te die Marke von
einer Milliarde Euro durchbrochen sein. Und bis zum Jahr 2021 soll das
hierzulande verwaltete Vermögen 42 Milliarden Dollar, also gut 35 Milliarden
Euro, erreichen. Das entspreche einem Wachstum von 165 Prozent jährlich, was
mehr als doppelt so hoch sei wie die Prognose für die in-ternationale
Wachstumsrate.
Der Anstieg beruhe vor allem auf den zunehmenden Angeboten
etablierter Finanzdienstleister, die mit eigenen Robos auf den Markt kommen.
Oliver Wyman zählt rund 30 Anbieter am deutschen Markt. Deren Zahl wird
al-lerdings eher in dieser Größenordnung bleiben als mit den verwalteten
Kun-dengeldern mitwachsen. „Die Branche ist kein Nullsummenspiel, genauso wie
im Offline-Markt werden auch im Online-Markt nicht alle überleben",
prophezeit auch Schneider-Sickert von Liqid. Die Akzeptanz beim Kun¬den wächst
rasch, insbesondere wenn die Kunden eine höhere Affinität zu Online-Medien oder
dem Thema Wert-papieranlage haben. Bei anderen Ziel-gruppen tut man sich
schwerer. Teil der Herausforderung sei es, sagt Schnei¬der-Sickert, nicht nur
spannende neue Dienste anzubieten.
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AUCH AKTIV GEMANAGTE FONDS UND EINZELWERTE
Tatsächlich beschränkt bislang die Mehrheit der
Online-Vermögensver-walter die Wertpapierauswahl von vorneherein auf passive
Indexfonds. Kunden können allenfalls zwischen fixen oder variablen
ETF-Portfolios wählen und werden nach Anlagehori-zont und Risikoprofil
verschiedenen Portfolio-Lösungen zugeordnet, die dann regelbasiert, aber nicht
mehr individuell zusammengestellt werden. Der geringe Managementbedarf und
die geringen Kosten der eingesetzten Anlageinstrumente
sollen den Kos-tenvorteil gewährleisten, der bei der Gewinnung von Kunden ein
zentrales Argument darstellt. Dem nicht ganz zu Unrecht drohenden Gefühl der
An-leger, „in eine Schublade gesteckt" zu werden und Chancen mit aktiv
gema-nagten Fonds oder gar ausgewählten Einzelaktien zu verpassen, begegnen
einige Plattformen mit einem erwei-terten Angebot: Robo-Advisor wie In-vestify,
Liqid oder Visualvest bieten Anlegern aktiv gemanagte Fonds und alternative
Finanzprodukte an.
Ein rein passives ETF-Angebot werde langfristig nicht zum
Erfolg führen, deshalb wolle man sich weiterentwi-ckeln, erklärte
beispielsweise Schnei¬der-Sickert von Liqid. Dazu will sich das Berliner
Unternehmen mit einer Mobile App zur laufenden Berichter¬stattung und
Information der Anleger positionieren. Und im Private Equity-Geschäft
kooperiert Liqid mit der Ver-mögensverwaltung HQ Trust. Aber auch an
Einzeltitel trauen sich „Robos" schon heran: Der Vermögensverwal¬ter DJE
Kapital AG beispielsweise bietet mit „solidvest" eine digitale Lö¬sung an,
die auch in einzelne Aktien und Anleihen investiert.
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