Sonntag, 28. August 2011

Bratislava Slovakia Reise Travel SelMcKenzie Selzer-McKenzie

Bratislava Slovakia Reise Travel SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie

Bratislava liegt heute ein wenig im touristischen Abseits. Dabei war das damalige Preßburg zu Zeiten Maria Theresias die Mitte Europas, bekannt für Handwerk, Möbel, Stiefel und Uhren.

 Also gut, ausnahmsweise — aber nur ganz kurz! Eigentlich darf sie ja nichts aus den Vitrinen holen. Wenn so ein Stück zu Boden fallen würde, wäre der Schaden nicht zu ersetzen. Sie schließt die Glas¬vitrine auf, nimmt die Uhr heraus, ganz sachte. Die ist deutlich leichter als gedacht: eine Taschenson¬nenuhr aus dem 17. Jahrhundert. Klein wie eine Streichholzschachtel, geschnitzt aus Holz und Elfenbein. Und so schön, dass es überhaupt nicht schlimm wäre, wenn sie nicht funktionierte.
Schmaler Schatten
Aber das tut sie. Die Kuratorin des kleinen Museums in Bratislava hält die Uhr ins Licht. Tatsächlich: Der kleine Zargen in der Mitte wirft seinen schmalen Schatten auf eine eingravierte Zahl: drei Uhr nach-mittags. Die Kuratorin lächelt, als sei sie stolz auf das Schmuckstück. Als habe sie selbst die Uhr vor 400 Jahren gefertigt Durch das Fenster hinter ihr ist die Burg der Stadt zu sehen. Die slowakischen Staats-flaggen flattern vor einem stahlblauen Himmel.

Diese Stadt war einmal am Puls der Zeit. Als die Sonnentaschenuhr hier in einer Werkstatt an der Donau gebaut wurde, hieß Bratislava noch Pozsony und war die Hauptstadt Ungarns. Preßburg, so nannten es seine deutschsprachigen Bewohner, war bekannt für sein Handwerk, seine Möbel, Stiefel, Uhren. Vieles, was damals „state of the art" war in Europa, kam von hier. Die Habsburger regierten aus dem gerade mal 70 Kilometer entfernten Wien die halbe europäische Welt. Und obwohl Preßburg natürlich viel kleiner war als Wien, weit weniger prächtig und längst nicht so großspurig, lag es doch immer nahe genug an der Machtzentrale der Dynastie, um sich im Glanze Wiens zu sonnen. Als Maria Theresia nach dem Tod ihres Mannes den Thron bestieg, war der ungarische Königstitel der einzige von insgesamt 63, den ihr niemand streitig machte. Preßburg wurde die Lieblingsstadt der Re-gentin. Preßburg war die Mitte Europas. Ein wenig jedenfalls.
Und heute? Während sich Prag und Budapest zu
sammen mit Wien längst als kulturhistorisches

Reisedreieck im Herzen des Kontinents etablie haben, ist Bratislava — nun ja — ein klein wenig it Abseits geblieben. Natürlich wirft jedes Donaukreu; fahrtschiff hier Anker. Und weil das Bier in der slc wakischen Hauptstadt billig ist wie sonst kaut irgendwo in Europa, fallen an den Wochenende britische Junggesellenpartys über die Altstadt lx Ansonsten ist Bratislava ziemlich verschont gebli( ben vom touristischen Ansturm. Und mögliche weise ist das kein Nachteil.
Kantenloser Redefluss
Bratislavas Stadtzentrum liegt keine drei Kilomet von Österreich entfernt und klingt doch komple anders. Wenn man kein Slowakisch versteht, kan sich diese Sprache anhören, als würden Beschwi rungsformeln gemurmelt oder ein Gedicht zui Einschlafen, so kantenlos fließen die Buchstabe und Worte ineinander. Man weiß nicht, von was c die Rede ist, lauscht im Kaffeehaus aber völlig fa ziniert den Gesprächen an den Nebentischen. Urwer durch die Fußgängerzone bummelt, hofft bei jedem Straßenmusiker, er möge doch gleich auch zu singen beginnen, und zwar bitte ein slowaki¬sches Lied. Bloß bei der Fahrt mit dem Auto macht Slowakisch keine Freude: Es ist so gut wie unmög¬lich, im Vorbeifahren Straßennamen auseinander-zuhalten, in denen sich die Konsonanten zu kleinen Partys versammelt haben.
Aber Bratislavas Innenstadt lässt sich ja gut zu Fuß erkunden. Die weltberühmte Stare mesto ist aller¬dings erst einmal ein Schock. Viel, viel Geld hat man in den vergangenen Jahren in die Restaurierung der historischen Straßenzüge gesteckt. Selbst jene Ge-bäude, die davon noch nicht profitiert haben, ver-mitteln in den unterschiedlichen Stadien ihres zeit-lupenartigen Verfalls ein Stück europäischer Ver-gangenheit. Leider sieht man von all dem nur wenig, weil das meiste hinter Postern und Plakaten verborgen ist: Bratislavas Gastronomen und Kon¬zertveranstalter wetteifern augenscheinlich darum, wer die meisten Gebäude mit Werbung zukleistern kann. Vor allem in der Fußgängerzone nimmt das groteske Formen an. Warum müssen Cafes und Restaurants, die mit ihren Tischen tennisplatzgroße Areale der Altstadtgassen blockieren, an die Fassaden rund herum auch noch Banner und Fahnen be¬festigen, mit denen sie auf eben jene tennisplatz¬großen Areale aufmerksam machen? Und warum klebt oder hängt an jedem Brunnen, jeder Parkbank und fast jedem Kirchturm ein Poster?
Zum Glück beschränkt sich der Plakatierwahnsinn auf eine Handvoll Straßen im Zentrum. Um sie herum liegt das andere Bratislava, das ruhigere, das echtere. Rund um die Obchodnä, die Ladenstraße der Einheimischen. In der Michaelervorstadt. Oder

am Hügel unterhalb der Burg: enge, steile Gassen, kleine Bars mit zwei oder drei Tischen vor der Tür und drinnen auch nicht viel mehr. Noch ein paar Schritte weiter nach oben, an der Burg selbst, sitzen die Verliebten auf Brüstungen und Mauern und Treppen und schauen hinab auf die Donau, sitzen und schauen und hoffen, dass dieser Abend, diese Stunde, diese Minute nie vorbei sein möge. Hier oben, wo der Lärm der Stadt kaum mehr ist als ein weißes Rauschen von ganz weit weg und der Gesang eines einzelnen Vogels die ganze andere Welt domi¬nieren kann, ist sich Bratislava vielleicht am nächs¬ten: ganz bei sich, den Blick gerichtet in die Ferne.
Architekturstile
Von hier kann man gut sehen, aus wie vielen unterschiedlichen Architekturstilen sich die Stadt zusammensetzt, die nacheinander Brezalauspurc und Pozsony und Preßburg war und nun Bratislava heißt: unter uns die Altstadt mit dem Alten Rathaus, erbaut im 14. Jahrhundert. Der Martinsdom, mit dem sie im 13. Jahrhundert begonnen haben und der auf einem noch viel älteren Friedhof steht. In seinem Innern kann man — gleich neben der Statue des Heiligen, der übrigens hier in Bratislava seinen Mantel mit dem Bettler geteilt haben soll — durch eine Glasscheibe tief hinunter bis zu zwei Skeletten schauen. Die großzügigen, prächtig restaurierten Barock-Palais, die sich die ungarischen Adligen er¬richten ließen, als Maria Theresia die Stadt zu einer Großstadt machte. Die Erhebung links ist der Slavin-Hügel, an dem sich die Archi¬tektur der Stadt gewisserma¬ßen in die Höhe geschraubt

hat, von den mittelalterlichen Festungsmauern über die Wunschhäuser der sozialistischen Nomenklatu¬ra bis hinauf zu den Glas-, Holz- und Stahl-Bun¬galows der Neureichen. Und jenseits der Donau die mittlerweile farbenfroh gestrichenen Plattenbauten — Petrzalka, Wohnungen für 150.000 Menschen, das größte Bauprojekt der sozialistischen Ära.
Wie fast überall im mittleren Osten Europas waren das auch in Bratislava die Jahre, in denen man den architektonischen Zauber der Stadt bestenfalls ver-wahrlosen ließ. Viel öfter aber rückten die Bagger an, um die Bausubstanz vergangener Jahrhunderte aus dem Weg zu bulldozem. Dennoch freut man sich beim Bummel durch Bratislava über viele Straßenzüge, die so auch vor 200 Jahren ausgesehen haben mögen. Auch wenn der Spaziergang hinauf zur Burg unterbrochen wird, weil man zuerst den Tunnel unter der Stadtautobahn finden muss.
Von all dem will man in Bratislava heute nicht mehr viel wissen: Es gehört zu den Wesensmerkmalen vieler Städte im mittleren europäischen Osten, die Last der jüngeren Vergangenheit nicht auf ewig mit sich herumschleppen zu wollen. Die Zukunft ist schließlich viel interessanter! In den nächsten Jah¬ren jedenfalls möchte die slowakische Hauptstadt näher an die Mitte Europas heranrücken. Mittler¬weile verbindet sogar schon ein Donaushuttle die EU-Hauptstadt Bratislava mit der EU-Hauptstadt Wien, Fahrzeit 75 Minuten. Die Kutschen der Habs¬burger werden damals wesentlich länger benötigt haben. Möglicherweise ist man hier ja bald wie
der am Puls der Zeit. Wie schon damals, als sie hier Sonnentaschenuhren bauten, die heute noch wunderbar funktio¬nieren

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