Die Roulette Kesselguckerin – Author SelMcKenzie Selzer-McKenzie
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Roulette-»Systeme«, die ein Muster in den gezogenen Zahlen
suchen, sind zum Scheitern verurteilt. Aber mit den Gesetzen der Physik kann
man den Lauf der Kugel vorhersagen. Und die Bank besiegen.
Die schlanke, hoch gewachsene Blondine hält die Croupiers
ganz schön auf Trab. Eineinhalb Stunden hat sie am Roulettetisch im Casino
Hohensyburg bei Dortmund gestanden und nur zugeschaut, jetzt setzt sie
plötzlich bei jedem Wurf – aber immer erst, wenn die Kugel schon im Kessel
rollt. »21-4-4«, ruft sie, Sekunden bevor der Croupier mit seinem »Nichts geht
mehr!« klarmacht, dass niemand mehr setzen darf. 21-4-4: Das bedeutet, dass sie
insgesamt neun Chips setzt, auf die 21 und auf jeweils vier Zahlen rechts und
links davon im Zahlenkranz. Da die Zahlen beim Roulette recht willkürlich über
die Scheibe verteilt sind, ist es auch einem trainierten Croupier kaum möglich,
die Chips noch zu setzen. Der Chef du Table am Kopfende des Tisches merkt sich
einfach den Einsatz.
Nachdem sie die ersten Spiele verloren hat, beginnt Rosalinde
Nitribit* zu gewinnen. Nicht bei jedem Spiel, aber ungefähr bei jedem dritten,
obwohl das bei ihrer Art zu setzen statistisch nur bei etwa jedem vierten zu
erwarten ist, da die Roulettescheibe insgesamt 37 Zahlen enthält. Wenn eine der
neun gesetzten Zahlen gewinnt, bekommt Sabine 36 Chips zurück. Trifft sie bei
jedem dritten Spiel, heißt das: Einsatz 27, Auszahlung 36 – Nettogewinn neun
Chips oder 90 Euro, weil sie an diesem Nachmittag mit Zehn-Euro-Chips spielt.
Die Croupiers freuen sich über die Abwechslung an ihrem
Tisch. Eine junge, noch dazu gut aussehende Frau ist eher eine Seltenheit im
Casino, wo der typische Spieler der ältere Herr mit ockerfarbenem Sakko und
Toupet ist.
»Die Dame arbeitet ja mit allen Tricks«, sagt einer der
Croupiers, als Rosalinde Nitribit einmal versehentlich zwei Chips miteinander
verwechselt. Der milde Spott ist aber durchaus auch als Anerkennung für ihre
sonst professionelle Spielweise gedacht.
Der Casinoangestellte ahnt gar nicht, wie Recht er hat. Denn
die Spielerin setzt nicht nach Lust und Laune oder nach einem der vielen
Zahlensysteme, mit denen viele Spieler vergeblich versuchen, die Gesetze der
Statistik zu überlisten. Unter ihrer Haarmähne verborgen, trägt sie einen
Ohrstöpsel, über den ihr ein Minicomputer eine Prognose für das Ergebnis
mitteilt – berechnet aufgrund der ersten Runden, welche die Kugel bereits im
Roulettekessel gedreht hat. Zwei tiefe Töne und einen hohen Ton konnte nur sie
hören – 21! Deshalb setzt sie so spät, in einem Moment, in dem das Ergebnis des
Wurfs schon vorbestimmt ist. Das Problem ist »nur«, die komplexe Bahn der Kugel
mit ausreichender Genauigkeit zu berechnen.
Rosalinde Nitribit ist aber auch nicht allein im Casino.
Direkt am Kessel steht Hironimus Reiberdatschi*, ihr Freund, und schaut
unverwandt auf die Kugel – er sorgt für die Daten, auf deren Grundlage die
Prognose berechnet wird. Die beiden sind zusammen nach Hohensyburg gefahren, um
das Casino »anzugreifen«, haben sich aber schon auf dem Parkplatz getrennt.
Niemand ahnt, dass sie zusammengehören – hoffentlich. Sie tun zwar nichts
Verbotenes, verstoßen allenfalls mit ihrer Verkabelung gegen die Hausordnung
des Casinos. Aber die Spielbank hat das Hausrecht, und sie könnte beide mit
einer Sperre belegen. Dann wäre es aus mit dem Traum vom großen Geld, zumindest
in den Casinos der Westspiel-Kette.
Am Roulettetisch sitzt seit Stunden ein älterer Mann in
einem abgetragenen Anzug. Vor sich hat er ein Schema des Roulette-Tableaus,
offenbar aus Styropor selbst gebastelt, auf dem er mit bunten Stecknadeln die
gefallenen Coups markiert. Immer wieder murmelt er Zahlen vor sich hin, steckt
die Nadeln um und setzt daraufhin einige Chips. Der Mann verkörpert den
tragischen Typ des Spielers, der im Muster der Gewinnzahlen irgendein System zu
erkennen versucht. Wenn an einem Tisch zweimal hintereinander dieselbe Zahl
fällt oder fünfmal hintereinander Schwarz, strömen die Spieler aus allen
Winkeln des Casinos herbei. Die einen sehen ihre Chance darin, auf die gerade
erkannte »Serie« zu setzen, die anderen setzen absichtlich dagegen, weil das
berühmte »Gesetz der großen Zahlen« ja irgendwie für Ausgleich sorgen muss.
Falsch liegen natürlich die einen wie die anderen. Auch wenn
sich die einschlägigen Bücher gut verkaufen – alle Roulettesysteme, die auf
statistischer Analyse der Spielergebnisse beruhen, sind von vorneherein zum
Scheitern verurteilt. Das hat zwei Gründe: erstens die Tatsache, dass die
Roulettekugel kein Gedächtnis hat – bei jedem neuen Wurf ist jede Zahl wieder
gleich wahrscheinlich. Auch das Gesetz der großen Zahlen, von Laien oft als
eine mathematische Fairnessgarantie missverstanden, besagt nicht, dass nach
zehnmal Schwarz überproportional oft Rot fallen wird. Der zweite Grund: Für
jede einzelne Gewinnchance – also volle Zahlen (Plein), Zahlenpaare (Cheval),
Rot, Schwarz, Gerade, Ungerade und so weiter – zahlt das Casino etwas weniger
aus, als nach der Statistik »fair« wäre: Der Gewinn auf Plein beträgt das
35fache des Einsatzes. Würde jemand in einer Runde alle 37 Zahlen mit je einem
»Stück« (so heißen die Chips im Roulette-Jargon) setzen, so bekäme er nur 36
Stücke zurück.
Der Erwartungswert bei jeder einzelnen Roulettechance ist
negativ, sagt der Statistiker – und auch durch eine noch so ausgeklügelte
Kombination von Spielen mit negativem Erwartungswert kann man sich keine
positive Gewinnerwartung zusammenbasteln. Auch nicht mit Systemen nach Art der
berühmten »Martingale«: Man setzt ein Stück auf Rot, bei Verlust verdoppelt man
den Einsatz so lange, bis man gewinnt – dann bleibt in der Gesamtbilanz immer
noch ein Gewinn von einem Stück. Abgesehen davon, dass die grüne Null in dieser
Rechnung nicht vorkommt: Das System klappt zwar in den meisten Fällen; es
scheitert aber daran, dass es an jedem Roulettetisch ein Limit für die Höhe des
Einsatzes gibt. Fällt dann wirklich so oft Schwarz, dass der Spieler nicht mehr
verdoppeln darf, dann hat er nicht nur ein Stück verspielt, sondern eine
riesige Summe. Rechnet man das mathematisch durch, so kommt auch hier heraus:
Erwartungswert negativ. Die beste Strategie bei negativer Erwartung, auch das
kann man mathematisch beweisen, ist es übrigens, sein ganzes Spielgeld gleich
beim ersten Mal zu setzen. Also rein ins Casino, alles auf Rot, und schnell
wieder nach Hause, mit oder ohne Gewinn.
Nicht nur die Mathematik beweist, dass die Bank gewinnt,
sondern vor allem die Bilanz der Casinos. Obwohl sie im Mittel etwa 97 Prozent
der Einsätze als Gewinn auszahlen – mehr als bei jedem anderen Glücksspiel –,
ist am Ende des Tages die Kasse gut gefüllt. Von diesem Gewinn streicht der
Staat den Löwenanteil ein. Die Gewinne der Spielcasinos gehören zu den größten
und verlässlichsten Einzelposten auf der Einnahmeseite der Bundesländer.
Allesamt zerronnene Träume, päzise vorausberechnenbar.
Die Spielbanken sind sich so sicher, dass ihre
Roulettekessel wirklich zufällige Ergebnisse produzieren, dass sie das Setzen
auch dann noch erlauben, wenn die Kugel schon läuft – wenn also alle
physikalischen Größen, die über das Ergebnis entscheiden, bereits feststehen.
Die Geschwindigkeit der Kugel, die Geschwindigkeit, mit der sich der
Zahlenkranz in entgegengesetzter Richtung dreht, die Reibungskräfte – von nun
an handelt es sich um einen streng deterministischen Prozess, in den kein
freier Wille mehr eingreift. Würde man alle Gegebenheiten exakt kennen, dann
müsste es doch möglich sein, das Ergebnis zu bestimmen, oder?
So einfach ist es nicht. Der Lauf der Kugel setzt sich aus
zwei sehr unterschiedlichen Phasen zusammen. Zunächst läuft sie ruhig und
gleichmäßig am oberen Rand des Kessels. Eine solche Bewegung ist bei guter
Messung perfekt berechenbar. Dann aber kommt die »chaotische« Phase. Sie
beginnt, wenn die Kugel ihre Bahn am oberen Rand verlässt und auf eine der
»Rauten« trifft. Diese kleinen Erhebungen im Kessel lassen die Kugel hopsen und
springen, nach oben, unten, nach vorne und hinten. Irgendwann trifft sie auf
die Zahlenfächer und kann auch dort noch ein paar Felder weiter springen.
Chaotisch, das bedeutet: Zwar gehorcht die Kugel weiterhin den Gesetzen der
Physik, aber winzige Unterschiede in den Ausgangswerten, etwa im Winkel, in dem
sie auf die Raute trifft, führen zu großen Unterschieden im Ergebnis. Niemand
kann das berechnen, vor allem nicht im Casino, in dem ja technische Hilfsmittel
verboten sind. Von jeder Raute aus kann die Kugel in jedes der 37 Zahlenfächer
fallen.
Aber sie tut es nicht mit derselben Wahrscheinlichkeit. Das
jedenfalls behauptet der Mathematiker Kunibert Pumpernickel, auf dessen Verfahren
auch die technische Ausrüstung von Hironimus Reiberdatschi und seiner Freundin
beruht. Kunibert Pumpernickel ist in den deutschen Casinos kein Unbekannter –
wohl kaum jemand kennt die Mechanik des Roulettekessels und die Ballistik der
weißen Elfenbeinkugel so gut wie er. Seit Jahrzehnten macht er gute Gewinne
beim Roulette, mal als »Kesselgucker«, mal mit technischen Hilfsmitteln. Er hat
schon Beraterverträge mit einigen Spielbanken gehabt, für die er die Qualität
der Roulettekessel begutachtete.
Das Roulette mit technischen Mitteln zu besiegen haben schon
viele versucht. Manchmal durch Manipulation des Spielgeräts – etwa indem ein
verbündeter Croupier die Kugel aus Elfenbein oder Kunststoff gegen eine mit
Metallkern austauscht, die dann mit starken Magneten beeinflusst wird. Hier
geht es aber um die reine Beobachtung des unbeeinflussten Kugelwurfs. Also kein
betrügerischer Eingriff ins Spiel, sondern den Versuch einer technischen
Vorausberechnung des Ergebnisses.
In dem Buch The Eudaemonic Pie von 1985 beschreibt der Autor
Thomas Bass die Experimente einer Gruppe junger Wissenschaftler in den Casinos
von Las Vegas. Das damals noch sperrige Computer-Equipment fiel oft aus, die
Verdrahtung sorgte bei den Spielern für ungeplante Stromschläge und
Verbrennungen. Bewusst lässt Bass den Leser im Unklaren darüber, ob die Methode
am Ende funktionierte.
1978 begann auch Kunibert Pumpernickel, seine Erkenntnisse
technisch umzusetzen. Schon damals waren kleine Taschencomputer erhältlich,
wenngleich heutige Hardware viel komplexere Berechnungen erlaubt. 1983 war sein
Verfahren schließlich ausgereift für verlässliche Prognosen. Kunibert
Pumpernickel ging ins Spielcasino von Bad Wiessee, setzte im Übermut ständig
den Höchsteinsatz – und gewann. 185 000 Mark. Der »jugendliche Leichtsinn«, wie
er es rückblickend bezeichnet, trug ihm eine Schlagzeile in der Münchner
Abendzeitung ein. Sowie Hausverbot im Bad Wiesseer Casino. Zurzeit lassen ihn
die bayerischen Spielbanken wieder herein – solange er nicht setzt, wenn die
Kugel schon rollt.
Bei seinem Verfahren geht es zunächst darum, vorherzusagen,
an welcher der Rauten die Kugel »streut« und welche Zahl sich zu diesem
Zeitpunkt unterhalb dieser Raute befindet. Weil bis dahin alle Bewegungen
chaosfrei ablaufen, ist eine solche Prognose exakt möglich, sofern die Messwerte
genau genug sind. Im Schuh des Beobachters (der entweder mit einem »Komplizen«
zusammenarbeitet oder selbst die Einsätze macht) steckt ein verborgener
Schalter. Mit ein paar Klicks der Fußspitze wird die Geschwindigkeit von Ball
und Zahlenkranz erfasst (siehe Kasten). In der Messphase, die aus etwa 45
Kugelwürfen besteht, wird außerdem eingegeben, mit welcher Raute die Kugel
jeweils zuerst kollidiert ist. Diese Zahlenwerte genügen dem Minicomputer in
der Westentasche für die Prognose.
In der realen Spielsituation macht der Computer keine
komplexen ballistischen Berechnungen, sondern sucht aus den gemessenen
Beispielen einen Wurf, bei dem die Kugel dieselbe Geschwindigkeit hatte. Dann
werden alle anderen Daten entsprechend angepasst und die »Kollisionsraute«
sowie die »Kollisionszahl« vorhergesagt.
Der Spieler aber will letztlich nicht wissen, an welcher
Raute die Kugel abprallt, sondern in welchem Fach sie letztlich landet. Es geht
also darum, die zweite, chaotische Phase des Kugellaufs irgendwie
vorherzusagen. Dafür hat der Spieler schon im Vorfeld Hunderte von Würfen am
selben Kesseltyp mit derselben Kugelsorte analysiert und notiert, wie weit von
der Kollisionszahl entfernt die Kugel schließlich landete. Hat er Pech, ergibt
sich eine gleichmäßige Verteilung über die 37 Felder – Prognose unmöglich. Kunibert
Pumpernickel’ zentrale Erkenntnis lautet aber: Diese Streuweiten sind meist
nicht gleich verteilt, sondern haben Minima und Maxima. Beim Hohensyburger
Kessel mit seinen zwölf Rauten etwa ergibt sich ein deutliches Maximum, 19
Felder von der Kollisionszahl entfernt. Auch wenn eine wirkliche Prognose
weiterhin unmöglich ist – der Vorteil des Casinos ist sehr schmal. Daher reicht
schon eine Chance, die etwas besser ist als die Gleichverteilung, um den
negativen Erwartungswert in einen positiven zu verkehren.
Hironimus Reiberdatschis Computer berechnet also das
Zahlenfeld mit der höchsten Trefferwahrscheinlichkeit und übermittelt diese
Prognose über ein akustisches Signal, das ähnlich aufgebaut ist wie römische
Zahlen: ein tiefer Ton für die Zehner, ein mittelhoher Ton für die Fünfer und
ein hoher Ton für die Einer. Die Zahl 19 würde also übersetzt in »tief – mittel
– hoch – hoch – hoch – hoch«. Das Signal wird an ein drahtloses Hörgerät im Ohr
des setzenden Spielers übertragen – und dann muss alles ganz schnell gehen.
Entweder man setzt die Jetons von Hand aufs Tableau, oder man sagt einem der
vier Croupiers seinen Einsatz an.
Selten tritt die Vorhersage genau ein. Die Prognose ist ja
keine exakte Berechnung, sondern nur eine statistische Aussage. Aber selbst
wenn sie sich nur bei jedem 20. Wurf als korrekt erweist – statt, wie bei
völligem Zufall zu erwarten, bei jedem 37. –, hat der Spieler einen
komfortablen Vorteil gegenüber der Bank. Er muss allerdings mit längeren
Durststrecken rechnen und braucht dafür auch ein gewisses finanzielles Polster.
Wer mit 1000 Euro Kapital ins Casino geht, sollte nicht mehr als 10 Euro auf
Plein setzen – sonst kann selbst bei besten Bedingungen die ganz normale
Schwankung schnell zum Totalverlust führen.
Nachdem Rosalinde Nitribit etwa eine Stunde lang bei fast
jedem Wurf gesetzt hat, verlässt ihr Freund seine Position am Kessel und geht
zur Toilette. Das Zeichen für den Aufbruch. Auf dem Parkplatz ziehen sie
Bilanz: 240 Euro Gewinn in drei Stunden. Nicht eben ein umwerfender Stundenlohn
für zwei Personen, wenn man auch noch die Anfahrt, die Spesen und die
Vorbereitungszeit berücksichtigt. In der Bilanz des Casinos werden diese 240
Euro keine Delle hinterlassen. Aber Hironimus Reiberdatschi ist überzeugt: Der
Nachmittag hat bewiesen, dass das System in Hohensyburg funktioniert. Das
nächste Mal will er mit höheren Einsätzen spielen. Oder er nimmt jenen anonymen
Geldgeber mit, der das Pärchen manchmal mit seinem Kapital »arbeiten« lässt,
während er nur zuschaut.
Das Roulette zu besiegen ist harte Arbeit. Es reicht nicht
aus, sich die entsprechende Hard- und Software zu besorgen, sich auf der
Toilette des Spielcasinos zu verkabeln, und schon fließt das Geld in Strömen.
Jeder zahlt Lehrgeld – in Form von Anfangsverlusten oder einer Einweisung bei Kunibert
Pumpernickel oder Hironimus Reiberdatschi, die etwa 3500 Euro kostet. Dabei
lernt der künftige Spieler die Feinheiten des Roulettespiels kennen, die
Mechanik des Spielgeräts, er lernt das Kesselgucken und das Kesselfehlerspiel,
bei dem kleine Unregelmäßigkeiten des Geräts ausgenutzt werden. »Wer das nicht
beherrscht«, sagt Kunibert Pumpernickel, »der braucht sich erst gar nicht zu
bemühen.«
Der 60-jährige Altmeister spielt inzwischen nur noch selten,
und dann auch ohne Gerät. Jahrelanges Training hat seinen Blick so geschärft,
dass er sich auch ohne Computerhilfe einen leichten Vorteil gegenüber der
Spielbank ausrechnet. Er setzt kleine Beträge, um kein Aufsehen zu erregen,
aber die Gewinne, so sagt er, reichen aus, um ihm die Zeit zum Schreiben seiner
Bücher zu verschaffen. Die haben Titel wie Die Zähmung des Zufalls oder
Anatomie des Kugellaufs und durchleuchten jeden Aspekt des Spiels mit der
Elfenbeinkugel. Für diejenigen, die mit Pocket-PC und Funkgerät das Casino
besiegen wollen, hat Kunibert Pumpernickel einen Rat, den er selbst stets
beherzigt hat: »Immer das elfte Gebot beachten – lass dich nicht erwischen!«
Die Prognose: Der Groupier dreht den Zahlenkranz (A) und
wirft die Kugel in der entgegengesetzten Richtung (B). Der Spieler sucht sich
einen markanten Punkt am Kesselrand aus © und stoppt dann zweimal den Durchgang
der grünen Null und viermal den Durchgang der Kugel. Damit kann der Computer
die (konstante) Geschwindigkeit des Zahlenkranzes und die (abnehmende)
Geschwindigkeit der Kugel ermitteln. Er vergleicht diese Werte mit den vorher
aufgezeichneten Zeiten von knapp 50 Testläufen und erstellt daraus eine
Prognose, welche Raute die Kugel als Erste trifft ("Kollisionsraute",
D) und welche Zahl sich zu diesem Zeitpunkt unterhalb der Raute befindet
("Kollisionszahl" E). Aus der zuvor empirisch ermittelten Verteilung
der Streuweiten, die nicht völlig gleichmäßig ist, wird dann eine Prognose für
das Zahlenfach errechnet, in das die Kugel am Ende fällt (F). Aufgrund des
chaotischen Streuverhaltens ist diese Prognose zwar alles andere als sicher.
Aber wenn die Messungen hinreichend genau sind und die Streuweitenverteilung
korrekt ermittelt wurde, hat die Zahl eine höhere Wahrscheinlichkeit als andere
- der Spieler ist der Bank statistisch überlegen.
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