Dienstag, 30. Juli 2013

Oper Arena von Verona – von SelMcKenzie Selzer-McKenzie


Oper Arena von Verona – von SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Author D.Selzer-McKenzie





4       Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, vor allem aber diesem Anfang jetzt und hier, zur blauen Stunde nach Sonnenuntergang. In der milden Brise flattern die Fahnen, und im Amphitheater von Verona erlöschen, von un¬sichtbarer Hand gesteuert, nach und nach fast alle Scheinwerfer. Tausende von Lichtpünktchen flackern im Parkett und auf den Rängen, bewegen sich wie eine Kompanie von Glühwürmchen, die Ballett tanzt. Als hier 1913 zum ersten Mal Verdis „Aida" aufgeführt wurde, gab es keinen Strom an den Sitzplätzen in der Arena: Wer sein Libretto studieren wollte, musste eine Kerze mitbringen. Das Ritual des Kerzenanzündens hat überlebt.
Die Römer konnten Akustik
Auf der Bühne werden sie gleich die ganz große Oper geben und das ewige Lied von Freundschaft und Liebe spielen, von Hass und Eifersucht, von Erlösung und Tod. Unter freiem Himmel, ohne Mikrofon oder Verstärker, weil die Römer schon vor 2000 Jahren etwas von Akustik verstanden. Die Musiker im Orchestergraben sind trotz all ihrer einstudierten Professionalität ein wenig nervös, was auch für die Sänger, Solisten und vie¬len Statisten gilt. Bei einer typischen „Aida" nach traditionell monumental inszenierter Veroneser Art umgibt ein Hofstaat von 500 Priestern, Soldaten, Sklaven, Dienern und Schaulustigen

(und gerne auch ein paar Pferden) die nubische Prinzessin, die mit Amneris, der Tochter des Pharaos Ramses, ums Herz des ägyptischen Heerführers Radames kämpft. Die ersten Takte von Verdis Werk erlösen zwar die 15.000 Besucher in der Arena von der erwartungsvollen Erregung, die sich bei ihnen den ganzen Tag lang

Die Schauspieler verbringen ihre Pause in den Katakomben der Arena.

angestaut hat. Doch einer im Publikum bekommt feuchte Hände - und konzentriert sich.
Er kommt zu jeder Vorstellung, die ganze Opern¬saison bis Anfang September, und braucht für keine eine Eintrittskarte. Er hat seinen festen Standort: von der Bühne aus gesehen rechts, etwas erhöht im Rang - bei weitem nicht der bes¬te Platz, aber einer, von dem aus er das Gesche¬hen gut beobachten kann Ob sie nun wie heute Abend „Aida" spielen oder wie in den nächsten Tagen „Nabucco", „La Traviata", „Il Trovatore" und „Rigoletto" - er braucht kein Libretto. Er kennt alle Opern auswendig, singt sie im Kopf mit. Schwarze Hose, weißes Hemd, grau melier¬tes Haar mit Seitenscheitel, blitzende Augen, eine tiefe Bariton-Stimme, vor allem aber zwei flinke Hände, trotz der großen Beanspruchung ganz ohne Schwielen: Giancarlo Soave ist der Cla¬queur der Arena di Verona. Er organisiert den Applaus der 14.999 anderen Zuschauer - ehren¬amtlich, ohne Bezahlung.
Signale fürs Publikum
Wenn der Tenor zur Arie „Celeste Aida" anhebt und die holde Sklavin als Königin seiner Ge¬danken rühmt, beginnt es in Signore Soave zu kribbeln. Noch ein paar Takte, der Solist hält in¬ne - und der Claqueur setzt ein. „Brave, ruft er, klatscht energisch in die Hände und bricht damit
den Masse. Vom Parkett mit den gepolsterten Sesseln bis hinauf in die letzte Reihe an der Kante des Amphitheaters, wo man auf den kühlen römischen Steinquadern sitzt, frisst sich der Applaus durch die Reihen wie ein vom Wind angefachtes Buschfeuer. „Ich ma¬che den Künstlern Mut. Und signalisiere dem Publikum, wann es applaudieren kann. Die Leute sind vorsichtig: Niemand will sich mit einem Klatschen zum falschen Zeitpunkt blamieren", sagt Giancarlo Soave. Der rüstige 75-Jährige hat zwar früher als Krankenpfleger gearbeitet, doch sein Leben gehört der Veroneser Oper. „Star¬tenor Mario del Monaco hat mich vor vielen Jahrzehnten einmal gefragt, ob ich für ihn den Applaus machen könne. Ich habe zugesagt und bin seither immer hier." Ob er Publikum und Künstler mit seinen Beifallsbekundungen nicht täuscht? „Ach was", sagt der Claqueur, „wem ei¬ne Vorstellung nicht gefällt, dem gefällt sie nicht. Gegen 15.000 Besucher, denen eine Inszenierung nicht passt, kann ich beim besten Willen nicht anklatschen."
Bezahlte Auspfeifer
Doch was ist, wenn ihm selbst eine Darbietung missfällt? Wenn eine Stimme für Giancarlo Soave das falsche Timbre hat? Wenn der Applaus-Initiator spürt, dass die sängerische Disposition des Solisten an diesem Abend nicht stimmt, der Künstler seine Rolle also psychisch und physisch nicht ausfüllen kann? Muss ein Sänger den Claqueur also auch fürchten, weil er sich von

einem unsichtbaren Freund in einen unsicht¬baren Feind verwandeln könnte? In einen Buh¬mann? In den 50er-Jahren, zur Zeit von Maria Callas, fochten konkurrierende Primadonnen ihren kalten Krieg nämlich gerne auch mit bezahlten Auspfeifern aus.
Ein Funken Magie
„Nein. Niemals! In all den 48 Jahren habe ich noch nie etwas Schlechtes gerufen", entgegnet Giancarlo Soave und breitet theatralisch seine Arme aus, als stehe er nun selbst auf der großen Bühne. Der Claqueur von Verona zieht also bei weitem nicht alle Register seiner alten Zunft, die einst mit harten Bandagen kämpfte und bereits Solisten erpresste, als der Applausometer noch gar nicht erfunden war. Sein Klatschen, sagt er mit leuchtenden Augen, sei auch immer ehrlich: »Ich lasse mich jeden Abend aufs Neue verzau¬bern." So ist sein Applaus nie routiniert, sondern mal dankbar (wenn ihn eine Sopranistin betört) und mal euphorisch (wenn sein Idol Pläcido Domingo den Heldentenor gibt). Am Ende ist sein Klatschen eigentlich immer erschüttert und hingerissen und begeistert zugleich, weil wieder einmal der Funken Magie übergesprungen ist, der in jeder Oper steckt. Auf seinem reservierten Sitz hält es ihn dann nicht mehr. „Viva Maes¬tro!", ruft der Claqueur und springt auf. Und weil auch dem allergrößten Meister Ehre gebührt, schallt dann noch ein „Viva Verdi! Viva! Viva!" durch die Arena.
Wenn um Mitternacht die letzten Takte Musik verklingen, ist ein Opernabend in Verona aber noch lange nicht zu Ende: „Das Leben ist viel zu kurz. Versäumte Freuden sind unwiederbring¬lich verloren. Da wäre es doch eine Sünde, gleich ins Bett zu gehen. So eine Nacht muss man lang und langsam ausklingen lassen", meint Robert Schweitzer, der seit 25 Jahren Reisen nach Verona

organisiert. Das sehen anscheinend auch die Mitglieder des Vereins „Verona Lirica" so, in dem sich 700 Opernbegeisterte organisiert ha¬ben. Viele davon sind in den Cafs und Restau¬rants um die Arena anzutreffen. Hier sitzt oft auch der Journalist Gianni Villani, der genau Buch geführt hat, wie viele „Aidas" er hier schon gehört hat: 279. Auch Maria Callas hat er in dem Amphitheater noch erlebt, bei seinem ersten Opernbesuch im Alter von neun Jahren.
Seither dokumentiert der Reporter die Geschich¬te der Festspiele und kennt auch die ganzen Anekdoten: „Die Sänger waren früher unglaub¬lich abergläubisch. Sie hatten unzählige Amulette und Madonnenstatuen in ihren Kabinen. Ein Solist ist auch nicht aufgetreten, weil er eine schwarze Katze hinter der Bühne gesehen hatte." Doch manchmal meint es das Schicksal auch gut mit den Organisatoren: Als bei einer „Carmen"-Aufführung der Tenor erkrankte und auch sein Ersatz plötzlich seine Stimme verlor, entdeckte ein Mitarbeiter einen amerikanischen Tenor im Publikum, der eigentlich nur die Vorstellung genießen wollte. Doch der Gast wurde beim Orchester versteckt und sang die Oper meis¬terlich - während sein erkrankter Kollege auf der Bühne nur Pantomime spielte.
Wie die Luft zum Atmen
„Das Leben ohne Musik ist ein Fehler. In die Oper zu gehen ist kein Hobby - wir brauchen sie wie die Luft zum Atmen", sagt Giuseppe Tuppini, der Vorsitzende des Zirkels. Um seine zukünftige Ehefrau zu testen, schleppte er sie zu insgesamt sieben Vorstellungen von „Turandot" - hinter-einander. „Inzwischen sind wir verheiratet", schmunzelt er. „Aber die Oper ist immer noch meine Geliebte."


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.