Uckermark Reise Travel SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/IzJRppKoMaY
Der Weg ist das Ziel. Der Stress soll zu Hause bleiben. „Auf
keinen Fall mit dem eigenen Auto", warnen Freunde, die sich in der Region
ausken¬nen. Denn viele Feldwege sind gesperrt für den motorisierten Verkehr.
Die Kopfsteinpflaster-straßen schütteln einen ständig durch und stra¬pazieren
die Stoßdämpfer des Wagens. Und die Geschwindigkeitsbegrenzungen in den vielen
kleinen Dörfern ärgern sowieso nur. Besser ist es, die Uckermark zu erleben,
wie sie sich gibt: lang¬sam, mit Muße und ganz nah an der Natur.
Wer Lust hat auf ein Rendezvous mit der Ein¬samkeit,
entdeckt die ländliche Region nördlich
IMPF Uckermark:
au Viel Natur: über 400 Seen
• Größter, aber
dünn besiedel¬ter Landkreis Deutschlands
• Rund 80
Kilometer von Berlin
von Berlin mit Pferd und Planwagen: eine Woche lang im
Schneckentempo über alte Pfade und kaum befahrene Sträßchen trotten, vorbei an
Herrensitzen und Backsteinkirchen, angetrieben von nur einem PS. Mit dem
Fahrrad ginge es zwar deutlich schneller, und geübte Wanderer schaffen ein paar
Kilometer mehr am Tag. Doch es geht ja ums genussvolle Reisen und darum, einmal
ganz nachhaltig zu entspannen.
Die Nervosität reist allerdings mit — glücklicher¬weise aber
nur am ersten Tag. „Keine Angst: Sie brauchen null Erfahrung mit Pferden",
hatte Katrin van Zwoll, Chefin von Celine Caravan, am Telefon die letzten
Bedenken zerstreut — oder es zumindest versucht. Denn das neue Heim samt
Zugtier verursacht erst einmal eine große Portion Unsicherheit. Der Planwagen
ist etwa so groß wie ein klassisches Campmobil und bietet mit einem Stockbett
und dem Tisch samt zwei Bänken, die sich zu einem Doppelbett umbauen lassen,
Platz für eine kleine Familie (für vier Erwachsene wird's schon eng). Gasherd,
Kochgeschirr, Licht von einer Zwölf-Volt-Batterie, Bettwäsche, De¬cken und ein
Wassertank: Die Organisatoren ha¬ben an alles Wichtige gedacht.
Sieben Tage, sieben Seen
Mit exakter Routenbeschreibung, Karte und Satellitenbildern
hat Katrin van Zwoll unter an-derem unsere „Sieben-Seen-Tour"
ausgearbeitet. Doch wo übernachten das Pferd und die Pas¬sagiere im Planwagen?
„Öffentliche Camping¬plätze gibt es hier nur wenige. Doch wir haben an vielen
Stellen in der Region Grundstücke gepach¬tet oder Arrangements mit anderen
Eigentümern getroffen", sagt die Besitzerin des Caravan-verleihs. So sind
die Schlafplätze — am Waldrand oder auf einer Wiese, auf einer Lichtung oder
direkt am See — genau beschrieben. Die Idylle ist meist
perfekt, die Zivilisation weit weg. Und auch die Toiletten: „Natur pur",
heißt es bei der Ein¬weisung mit einem Augenzwinkern, „ein Klapp¬spaten ist im
Wagen."
Dann führt einen Katrins Kollegin Nadin in den Stall.
„Unsere Pferde sind Kaltblüter. Diese Tiere sind gutmütig und nicht aus der
Ruhe zu brin¬gen. Aber auch gelehrig und clever: Mathilde hat Eure Tour schon
oft gemacht und wird den Weg fast alleine finden." Mathilde: So heißt also
unse¬re Begleiterin für die nächsten sieben Tage, die schon kräftig am Strick
zieht. Eine Dame von im¬posanter Größe und mächtigem Gewicht, aber angeblich
doch von recht zartem Gemüt: „Wenn man sie mit einem halben Eimer Kraftfutter
be-sticht, lässt sie sich ohne Murren vor den Plan¬wagen spannen." Wie das
geht, zeigt Nadin und bringt einem auch bei, wie der Strick zum Anbinden
geknotet und Mathilde gestriegelt wird und wie ihre Hufe gesäubert werden.
Der erste echte Test ist die Fahrt zum Rastplatz Nummer
eins, einer Wiese direkt an einem See mit kleiner Badestelle. Netterweise kommt
Nadin mit uns Novizen mit und verspricht: „Ich schaue jeden Tag mal nach Euch
und dem Pferd. Doch für Notfälle gebe ich Euch auch noch meine Handynummer.
Gute Nacht!" Nach schnellen Spaghetti mit Tomatensoße kuscheln wir uns
dann rasch ins Bett. Mathilde funktioniert der-
weil, das stellt sich am nächsten Morgen heraus, nicht nur
als vor Kraft strotzender Antrieb, son¬dern auch als verlässlicher Wecker: Weil
sich Planwagen und Pferd die Koppel teilen, klopft sie schon früh am Morgen an
die Wagentür und mahnt die Langschläfer: Zeit fürs Frühstück!
Gegenverkehr gibt's nicht
Mit gespitzten Ohren (Mathildes Signal, dass al¬les in
Ordnung ist, auch wenn sie nicht immer den saftigen Löwenzahn fressen darf, der
am Wegesrand wächst) zieht sie den Planwagen munter durch eine Landschaft ohne
Gegen¬verkehr. Das Tempo wird auf ein natürliches Maß zurückgedreht, und so
fallen plötzlich all die Details auf, die sonst im Rausch der modernen
Geschwindigkeit verloren gegangen wären. In einem Pappelwäldchen sprießt eine
Kolonie Schirmpilze — das perfekte Essen, während Ma¬thilde ihren Hafer mampft.
In den Seen springen Fische vor bunten Bootshäuschen im Abendlicht. Und wer die
Wasserburg von Gerswalde ansteu¬ert oder mit klappernden Hufen die
Kas¬tanienallee zu Schloss Kröchlendorff hinauffährt, fühlt sich wie die Herren
von Arnim, die hier einst ebenfalls zu Ross unterwegs waren.
Dabei sind es gerade einmal 80 Kilometer vom Norden Berlins
bis hierher, nur eine gute Stunde Fahrt vom Rand der quirligen Hauptstadt. Doch
Menschen gibt es in der Uckermark nur wenige. Einige Einheimische und ein paar
Zugereiste aus den Metropolen, die hier mitten im abgeschiede¬nen Nirgendwo
ihren Platz an der Sonne gefun¬den haben, verteilen sich auf winzige Dörfer,
die so versteckt liegen, dass sie bislang niemand im Renovierungswahn
verunstalten konnte.
Deutschlands flächenmäßig größter Landkreis liegt im
vergessenen Norden Brandenburgs zwi¬schen Polen und Mecklenburg-Vorpommern. Er
misst mehr als 3000 Quadratkilometer — und ist mit gerade einmal 142.000
Einwohnern einer der am dünnsten besiedelten. Wenn dann aber plötz¬lich einige
auffällig-unauffällige Kleinbusse mit getönten Scheiben am Wegesrand stehen und
auf dem Feldweg nur noch junge Männer auf- und abspazieren und einen mit
professioneller Aufmerksamkeit abschätzen, weiß man: Um die Ecke muss das Haus
der Bundeskanzlerin liegen. Ab und an genießt auch Angela Merkel einen freien
Sommertag in ihrer alten Heimat.
Nahezu unbegrenzte Weite
Mathilde zieht derweil den Planwagen weiter. Die Hufe
klappern, die Achsen ächzen, und am Ende eines langen Tages riecht alles
wunderbar nach Pferd. Der Rhythmus der Reise ist Tag für Tag der gleiche:
Zugtier anspannen, Schritt für Schritt die Natur in sich aufnehmen, ein paar
Walderdbeeren sammeln oder am Wegesrand wilde Pflaumen pflücken, Zugtier
ausspannen, striegeln und putzen, dann den Nachmittag ver¬trödeln: So lässt es
sich leben! Der Alltag ist schnell vergessen in der Uckermark — angesichts
ihrer scheinbar unbegrenzten Weite wirkt die Region auch wie eine Landschaft
von ei¬nem anderen Stern.
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