Menschliche Blutgefässe aus dem Drucker
Author D.Selzer-McKenzie
https://youtu.be/1RMzhv7swfE
Herkömmliche künstliche Hautmodelle bestehen meist aus den
beiden obersten Schichten der Haut. Ein internationales Forscherteam
entwickelte ein dreilagi-ges Vollhautmodell aus Unterhautfett, Dermis und
Epidermis. Ein Schlüssel zum Erfolg: Den Experten gelang es mit einem
30-Druckverfahren, künstliche ver¬zweigte Blutgefäße aus neuartigen Materialien
herzustellen.
Die Haut ist unser größtes und vielseitigstes Organ: Sie
schützt und isoliert unseren Körper, fühlt und atmet, nährt Immunzellen und
schei-det Giftstoffe aus. Trotz dieser komplexen Auf-gaben ist ihr
schichtweiser Aufbau vergleichs-weise einfach. Daher haben Wissenschaftler
bereits in den 1980er Jahren damit begonnen, menschliche Hautzellen in
Kulturschalen zu züchten und künstliche Haut für medizinische Implantation
nachzubilden. Allerdings lassen sich bislang nur die oberen beiden Schichten
der Haut, die Dermis und die Epidermis, im Labor kultivieren. Zu einem
vollständigen Hautsystem gehört jedoch auch das mehrere Millimeter dicke
Unterhautfettgewebe. Um das Gewebe am Leben zu erhalten, muss die Schicht nicht
nur mit Nährstoffen versorgt werden, son¬dern es muss auch der Abtransport von
Stoff-wechselprodukten sichergestellt sein. Lösungen für diese schwierige
Aufgabe entwickelte ein eu-ropäisches Forschungskonsortium unter Führung des
Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik ILT in Aachen. Nach vier Jahren konzentrierter
Arbeit kann es einen großen Erfolg vorweisen: Es ist gelungen, ein dreilagiges
Vollhautmodell aus Unterhautfett, Dermis und Epidermis mit einer Dicke von bis
zu 12 Millimetern im Bioreaktor herzustellen und zu versorgen.
ArtiVasc 3D heißt das interdisziplinäre Projekt, an dem fünf
Fraunhofer-Institute, acht Univer-sitäten und sieben Industriepartner mitwirken
(siehe Kasten). Ein Kernstück sind feine, ver-zweigte Röhrchen, die mithilfe
eingebauter Poren den Stoffaustausch gewährleisten und so die Versorgung
dreidimensionaler Hautgewebe ermöglichen. Diese künstlichen Gefäße werden aus
einem synthetischen Polymer hergestellt, das sich aus der Acrylsäure ableitet.
Entwickelt am Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymer-forschung IAP in
Potsdam, zeichnet sich dieser neuartige Kunststoff durch günstige mechani¬sche
Eigenschaften, Zellverträglichkeit und gute Prozessierbarkeit aus: Das anfangs
zähflüssige Acrylat härtet unter der Einwirkung von Licht aus.
Stereolithografie heißt dieses Laser-basierte Ver¬fahren,
mit dem sich erstmals verzweigte Gefäße mit einem Innendurchmesser von nur 500
Mi¬krometer und entsprechend dünnen Wand¬stärken herstellen lassen. Die Daten
für die gewünschten 3D-Strukturen generiert ein CAD-Programm, das vom
Fraunhofer-Institut für Werk¬stoffmechanik IWM in Freiburg zusammen mit
Ingenieuren der Universität Aalto in Helsinki und der Universität Loughborough
entwickelt wurde.
Schicht für Schicht
»Wir können die verzweigten Kunstgefäße Schicht für Schicht
aufbauen. In Zukunft soll es durch das Zusammenspiel eines
Tintenstrahldru¬ckers mit der hochaufgelösten Laser-induzierten Vernetzung auch
möglich werden, unterschied¬liche Materialien zu kombinieren«, erklärt Dr.
Nadine Nottrodt vom ILT, die das Verbundpro¬jekt koordiniert. Das Inkjet-System
ist schon jetzt Teil einer automatisierten Prozessanlage, die am
Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart
entwickelt wurde. »In dieser Maschine möchten wir künftig verschiedene
Komponenten kombinieren. Denn die Gefäße selbst sind ja nur ein Gerüst, auf dem
sich verschiedene Körperzellen anlagern und dann zu einem Hautmodell
zusammenwachsen müssen«, sagt Nadine Nottrodt.
Tatsächlich ist es bereits gelungen, die künst-lichen Gefäße
zu besiedeln: innen mit Endo-thelzellen und außen mit Fettzellen, die mittels
Gewebebiopsien von Patienten gewonnen wurden. »Dazu haben wir erst einmal eine
passende Beschichtung entwickelt, damit sich die Endothelzellen überhaupt
anheften können. Außerdem haben wir nach Wegen gesucht, wie sich diese Zellen
gleichmäßig auf der gesam¬ten Innenfläche der Röhrchen verteilen. Das klappt
nun auch in den verzweigten Gefäßen sehr gut und ist ein großer Schritt in
Richtung Hautmodell«, sagt Dr. Kirsten Borchers, die das ArtiVasc-Projekt am
Fraunhofer-Institut für
Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart
leitet: »Die künstlichen Gefäße sind ja kein Selbstzweck, sondern sollen in
Gewebemo¬delle integriert werden.«
Damit die künstlichen Adern die ihnen zuge-dachte Aufgabe
erfüllen können, müssen sie mit einer Schicht aus Fettzellen und vernetzter
Gelatine umhüllt werden. Keine leichte Aufgabe, betont Kirsten Borchers: »Reife
Fettzellen sind sehr empfindlich. Wir mussten also ein Verfahren entwickeln, um
diese Zellen aus menschlichem Fettgewebe herauszupräparieren, ohne dass sie
zerstört werden. Danach mussten sie kultiviert und schließlich
weiterverarbeitet werden.« Für jede dieser Herausforderungen fand Birgit Huber
von der Universität Stuttgart eine Lösung. »Zusammen haben wir eine Suspension
aus Fettzellen in einer Gelatinelösung entwickelt, die zellschonend zu einem
Gel vernetzt werden kann. Diese Mischung können wir über einen automatischen
Dispensierer schichtweise in einen kleinen Bioreaktor einbringen, in dem schon
das verzweigte Röhrensystem festmontiert ist«, erläutert die
Fraunhofer-Forscherin. Die Gelati-nelösung — Borchers nennt sie einfach
»Biotinte« — hat es in sich: Sie ist dünnflüssig genug für die Handhabung im
Dispensierer oder auch im Inkjet-Drucker. Zugleich aber lässt sie sich nach
Bedarf mit einem Lichtstimulus zu einem Hydro¬gel vernetzen, das an die
Festigkeit unterschied¬licher Gewebe angepasst werden kann: Als weiches Gel
eignet sich das Material als Matrix für die eingelagerten Fettzellen. Auf diese
Weise lässt sich ein Gewebe von fast einem Zentimeter Dicke um die künstlichen
Röhrchen aufbauen —aus rund einer Million Fettzellen.
Gewebe versorgen
»Wir können dieses Fettgewebe-Konstrukt im Bioreaktor einige
Tage am Leben halten, wenn wir ihm über Röhrchen Kulturmedium zuführen. Das
zeigt, dass die Versorgung eines derart großen Gewebemodells mit unserem
künstlichen Gefäß wirklich funktioniert«, freut sich Kirsten
Borchers. Voraussetzung dafür sind künstliche Poren mit einem Durchmesser von
etwa hundert Mikrometern, die beim Aushär¬ten der Acrylat-Röhrchen ausgespart
wurden. Diese winzigen Öffnungen sind eine technische Meisterleistung — doch
verglichen mit den Poren in echten Geweben sind sie groß.
Deshalb arbeitet Kirsten Borchers an einer al-ternativen Lösung,
die dem natürlichen Vorbild noch näher kommt. Das Material der Wahl ist auch
hier Gelatine, die aus Kollagen gewonnen wird. »Damit die Gelatine auch durch
das La¬serverfahren zu stabilen feinen Röhrchenstruk-turen verfestigt werden
kann, müssen wir die Zähflüssigkeit der Lösung und die Vernetzungs-eaktion noch
auf diesen Prozess maßschnei-Jern«, sagt die promovierte Biologin und erklärt
auch gleich, wie dieses Kunststück gelingen soll: »Unsere
Gelatine ist chemisch so verändert, dass sie sich mittels UV-Licht vernetzen
lässt. Diese chemischen Modifizierungen können wir inzwischen sehr gut
kontrollieren und damit ein¬stellen, wie fest und wie stark quellbar nachher
unsere Gele sind.«
Noch lässt sich die »Biotinte« nicht so präzi-se verarbeiten
wie das synthetische Polymer. »Wenn wir so weit sind, können wir auf Poren
verzichten, denn Gelatine ist von sich aus per¬meabel. Und die Endothel- und
Fettzellen kön¬nen darauf auch ohne vorherige Beschichtung anwachsen«, betont
Kerstin Borchers. Schlie߬lich stammt das Material aus der natürlichen
Gewebematrix und könnte — so die Vision der Wissenschaftler — dereinst von
körpereigenen Strukturen ersetzt werden.
Doch noch ist das Zukunftsmusik. »Ich sehe unser Hautsystem
frühestens in einigen Jahr-zehnten als Implantat im Menschen. Aber als
Testsystem könnte es schon in wenigen Jahren zum Einsatz kommen«, erläutert
ArtiVasc-Koordinatorin Nadine Nottrodt. Der Bedarf ist immens: Denn jede neue
Substanz, die in Me¬dikamenten, Reinigungsmitteln oder Kosmetika für die
Anwendung beim Menschen vorgesehen ist, muss auf seine Wirksamkeit und
Verträglich¬keit getestet werden. Ein möglichst naturnahes Hautmodell,
insbesondere eines mit Fettschicht und künstlichem Blutgefäßsystem, könnte hier
gute Dienste leisten — und künftig Tierversuche ersetzen
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