Freitag, 19. Februar 2016

Schmelzende Devisenbestände


Schmelzende Devisenbestände

Author D. Selzer-McKenzie

https://youtu.be/_6sTgkIVt30

In der vergangenen Dekade erlebten viele Schwellenländer einen wirtschaftlichen Aufschwung. Das hohe Wirtschaftswachstum führte dazu, dass Staaten wie China riesige Fremdwährungs-reserven bilden konnten. Seit Mitte letzten Jahres hat sich dieser Trend umgekehrt. Die kumulierten Devisenreserven der Emer-ging Markets sind seither um rund 500 Milliarden Dollar klei¬ner geworden.

Welche Folgen hat das? Wird der Abbau der Reserven zu einem "Quantitative Tightening" (QT) führen, also zu einer Straffung der Finanzierungsbedingungen? Und entspräche ein solches QT womöglich in seiner Größe dem Quantitative Easing (QE) der

 

US-Notenbank Fed? Könnten die Renditen der US-Staatsanleihen dadurch steigen? Und was bedeutet der Rückgang von Reserven für die Volkswirtschaften der Emerging Markets?

Diesen Fragen wollen wir in diesem Beitrag nachgehen. Der Ab-bau der Reserven ist zweifelsohne ein Signal dafür, dass sich in den Schwellenländern die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Wirtschaftswachstum, Leistungsbilanzen und Kapitalzuflüsse verschlechtert haben. Die Währungsreserven dienen nun ihrem Zweck als eine Art Stoßdampfer gegen den Druck auf die jewei-lige Währung und als Puffer gegen versiegende Kapitalströme aus dem Ausland.

In den zehn Jahren von 2004 bis 2014 haben sich die Gesamt-reserven (ohne Gold) von 26 großen Emerging-Markets-Volkswirt-schaften fast versechsfacht. Sie stiegen von 1,3 auf 7,7 Billionen US-Dollar. Nach einer Welle von Zahlungsbilanzkrisen in den Emerging Markets in den späten 1990er und frühen 2000er Jahren begannen die Staaten damit, Währungsreserven als Puffer gegen mögliche künftige Schocks aufzubauen.

Die makroökonomischen Bedingungen in diesem Jahrzehnt waren sehr hilfreich für den Aufbau der Reserven. Die hohen Rohstoff-preise halfen den Exporteuren dabei, hohe Leistungsbilanzüber-schüsse zu erzielen. Die globale Bedeutung Chinas wuchs in die¬ser Zeit. Trotz des hohen Wirtschaftswachstums blieben die Spar¬quoten im Reich der Mitte außergewöhnlich hoch, was in eine erhebliche Reserveakkumulation mündete. Die globale Suche nach Rendite seitens der Investoren, die durch die Niedrigzins-politik in den entwickelten Ländern angeheizt wurde, machte die Emerging Markets zu einem attraktiven Ziel für Kapitalströme.

Seitdem der Aufbau von Währungsreserven in den globalen Schwel-lenländern endete, kam es zu einem Rückgang von 7,7 auf 7,2 Bil-lionen US-Dollar von Juni 2014 bis Juni 2015. Der Mammutan-teil dieses Rückgangs entfiel auf China mit 300 Milliarden Dollar, gefolgt von Russland mit 120 Milliarden Dollar und Saudi-Ara¬bien mit 70 Milliarden Dollar. Malaysia und die Türkei hatten kleinere Rückgänge von 25 bzw. 10 Milliarden Dollar zu ver¬zeichnen. Die Gründe waren unterschiedlich. In China waren Ka¬pitalabflüsse und Sorgen um das künftige Wachstum der Auslöser. Dagegen sind die schrumpfenden Reserven in Saudi-Arabien ein Spiegelbild der niedrigen Ölpreise. In Russland war die Verklei¬nerung des Währungspolsters die Folge von Sanktionen und einer Kapitalflucht im Gefolge einer scharfen Abwertung des Rubels.

Andere Schwellenländer schafften es, ein Abschmelzen der Re¬serven zu vermeiden, oder bauten sogar weitere Devisenbestän¬de auf. Rohstoffexporteure wie Kolumbien und Südafrika ließen ihre Währungen abwerten und absorbierten so den „Terms-of-

 

 

Trade"-Schock durch niedrigere Rohstoffpreise, ohne dass di Reserven fielen. Indien verzeichnete einen spürbaren Anstie seiner Reserven, was die seit 2013 besseren Makrobedingungel und die mit der folgenden Reformagenda von Premierministe Modi verbundenen Erwartungen widerspiegelt. Beides sorgte fü Kapitalzuflüsse.

GEGENWIND FÜR DIE SCHWELLENLÄNDER

Während sich die Gründe des Reserverückgangs in jedem Land unterschiedlich darstellen, so senden sie zusammengenommen doch deutliche Signale für mögliche rauhe Winde, denen sich die Emerging Markets gegenübersehen werden. Gerade Faktoren, die in der vergangenen Dekade diese Länder unterstützt hatten, erweisen sich nun als Probleme.

So gehen die Rohstoffstrategen von Goldman Sachs Global Invest-ment Research (GIR) in den kommenden Jahren von einem Über-angebot aus, was die Preise von Rohstoffen niedrig halten dürfte. Auch die Verlangsamung von Chinas Wirtschaftswachstum dürfte mittelfristig weitergehen, was sich in Kapitalabflüssen nieder¬schlagen würde. Wenn sich das Reich der Mitte zu einer mehr konsumorientierten Wirtschaft wandelt, sollten auf längere Sicht auch die Sparraten von ihrem derzeit hohen Niveau aus sinken. Und die Normalisierung der Zinsen in den USA und der damit verbundene Anstieg des globalen Zinsniveaus werden vermutlich den Appetit der Investoren auf Anlagen in den Emerging Markets schmälern.

Der notwendige Ausgleich bisheriger Ungleichgewichte in den aufstrebenden Märkten wird zu niedrigerem Wachstum und lang-sameren Kapitalzuflüssen führen. Allerdings dürfte der Rückgang der Fremdwährungsreserven für einige Länder eher eine Nor¬malisierung als eine akute Gefahr darstellen. Denn anders als in den späten 1990er und frühen 2000er Jahren sind die Devisen¬reserven einer Reihe von Emerging Markets gemessen an den kurzfristigen Auslandsschulden vergleichsweise hoch.

 

Auch wenn sich der Abbau der Fremdwährungsreserven in den Emerging Markets für einige Zeit fortsetzt, gibt es gute Gründe, anzunehmen, dass die Auswirkungen eines derartigen „Quanti¬tative Tightenings" auf die US-Finanzbedingungen pro Dollar viel kleiner sein werden als die QE-Programme der Fed.

Zum einen hat der Rückgang der Fremdwährungsreserven von ausländischen Notenbanken nicht den Signalwert eines Quanti-tative-Easing-Programms. Denn wichtiger noch als der quantita¬tive Umfang der QE-Programme war häufig deren Orientie¬rungsfunktion hinsichtlich der künftigen Politik der amerikani¬schen Zentralbank. Zum zweiten hat der Abbau von Währungs¬reserven die entgegengesetzte Wirkung auf den Wechselkurs, als sie Verkäufe von Treasuries durch die Fed hätten. Zweck der Fremdwährungsverkäufe durch eine ausländische Zentralbank ist es, den Wechselkurs der heimischen Währung stabil und so¬mit den Dollar niedrig zu halten. Und drittens haben Verkäufe von Devisenreserven „harte" Grenzen, denn diese Reserven haben eine bestimmte Zusammensetzung und sie sind „endlich", können also aufgebraucht werden. Die Kraft eines Quantitative Easings hingegen resultiert zum Teil gerade daraus, dass es, zu¬mindest vom Konzept her, theoretisch unbegrenzt ist.



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