Schmelzende Devisenbestände
Author D. Selzer-McKenzie
https://youtu.be/_6sTgkIVt30
In der vergangenen Dekade erlebten viele Schwellenländer
einen wirtschaftlichen Aufschwung. Das hohe Wirtschaftswachstum führte dazu,
dass Staaten wie China riesige Fremdwährungs-reserven bilden konnten. Seit
Mitte letzten Jahres hat sich dieser Trend umgekehrt. Die kumulierten Devisenreserven
der Emer-ging Markets sind seither um rund 500 Milliarden Dollar klei¬ner
geworden.
Welche Folgen hat das? Wird der Abbau der Reserven zu einem
"Quantitative Tightening" (QT) führen, also zu einer Straffung der
Finanzierungsbedingungen? Und entspräche ein solches QT womöglich in seiner
Größe dem Quantitative Easing (QE) der
US-Notenbank Fed? Könnten die Renditen der US-Staatsanleihen
dadurch steigen? Und was bedeutet der Rückgang von Reserven für die
Volkswirtschaften der Emerging Markets?
Diesen Fragen wollen wir in diesem Beitrag nachgehen. Der
Ab-bau der Reserven ist zweifelsohne ein Signal dafür, dass sich in den
Schwellenländern die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für
Wirtschaftswachstum, Leistungsbilanzen und Kapitalzuflüsse verschlechtert
haben. Die Währungsreserven dienen nun ihrem Zweck als eine Art Stoßdampfer
gegen den Druck auf die jewei-lige Währung und als Puffer gegen versiegende
Kapitalströme aus dem Ausland.
In den zehn Jahren von 2004 bis 2014 haben sich die
Gesamt-reserven (ohne Gold) von 26 großen Emerging-Markets-Volkswirt-schaften
fast versechsfacht. Sie stiegen von 1,3 auf 7,7 Billionen US-Dollar. Nach einer
Welle von Zahlungsbilanzkrisen in den Emerging Markets in den späten 1990er und
frühen 2000er Jahren begannen die Staaten damit, Währungsreserven als Puffer
gegen mögliche künftige Schocks aufzubauen.
Die makroökonomischen Bedingungen in diesem Jahrzehnt waren
sehr hilfreich für den Aufbau der Reserven. Die hohen Rohstoff-preise halfen
den Exporteuren dabei, hohe Leistungsbilanzüber-schüsse zu erzielen. Die
globale Bedeutung Chinas wuchs in die¬ser Zeit. Trotz des hohen
Wirtschaftswachstums blieben die Spar¬quoten im Reich der Mitte außergewöhnlich
hoch, was in eine erhebliche Reserveakkumulation mündete. Die globale Suche
nach Rendite seitens der Investoren, die durch die Niedrigzins-politik in den
entwickelten Ländern angeheizt wurde, machte die Emerging Markets zu einem
attraktiven Ziel für Kapitalströme.
Seitdem der Aufbau von Währungsreserven in den globalen Schwel-lenländern
endete, kam es zu einem Rückgang von 7,7 auf 7,2 Bil-lionen US-Dollar von Juni
2014 bis Juni 2015. Der Mammutan-teil dieses Rückgangs entfiel auf China mit
300 Milliarden Dollar, gefolgt von Russland mit 120 Milliarden Dollar und
Saudi-Ara¬bien mit 70 Milliarden Dollar. Malaysia und die Türkei hatten
kleinere Rückgänge von 25 bzw. 10 Milliarden Dollar zu ver¬zeichnen. Die Gründe
waren unterschiedlich. In China waren Ka¬pitalabflüsse und Sorgen um das
künftige Wachstum der Auslöser. Dagegen sind die schrumpfenden Reserven in
Saudi-Arabien ein Spiegelbild der niedrigen Ölpreise. In Russland war die
Verklei¬nerung des Währungspolsters die Folge von Sanktionen und einer
Kapitalflucht im Gefolge einer scharfen Abwertung des Rubels.
Andere Schwellenländer schafften es, ein Abschmelzen der
Re¬serven zu vermeiden, oder bauten sogar weitere Devisenbestän¬de auf.
Rohstoffexporteure wie Kolumbien und Südafrika ließen ihre Währungen abwerten
und absorbierten so den „Terms-of-
Trade"-Schock durch niedrigere Rohstoffpreise, ohne
dass di Reserven fielen. Indien verzeichnete einen spürbaren Anstie seiner
Reserven, was die seit 2013 besseren Makrobedingungel und die mit der folgenden
Reformagenda von Premierministe Modi verbundenen Erwartungen widerspiegelt.
Beides sorgte fü Kapitalzuflüsse.
GEGENWIND FÜR DIE SCHWELLENLÄNDER
Während sich die Gründe des Reserverückgangs in jedem Land
unterschiedlich darstellen, so senden sie zusammengenommen doch deutliche
Signale für mögliche rauhe Winde, denen sich die Emerging Markets
gegenübersehen werden. Gerade Faktoren, die in der vergangenen Dekade diese
Länder unterstützt hatten, erweisen sich nun als Probleme.
So gehen die Rohstoffstrategen von Goldman Sachs Global
Invest-ment Research (GIR) in den kommenden Jahren von einem Über-angebot aus,
was die Preise von Rohstoffen niedrig halten dürfte. Auch die Verlangsamung von
Chinas Wirtschaftswachstum dürfte mittelfristig weitergehen, was sich in
Kapitalabflüssen nieder¬schlagen würde. Wenn sich das Reich der Mitte zu einer
mehr konsumorientierten Wirtschaft wandelt, sollten auf längere Sicht auch die
Sparraten von ihrem derzeit hohen Niveau aus sinken. Und die Normalisierung der
Zinsen in den USA und der damit verbundene Anstieg des globalen Zinsniveaus
werden vermutlich den Appetit der Investoren auf Anlagen in den Emerging
Markets schmälern.
Der notwendige Ausgleich bisheriger Ungleichgewichte in den
aufstrebenden Märkten wird zu niedrigerem Wachstum und lang-sameren
Kapitalzuflüssen führen. Allerdings dürfte der Rückgang der
Fremdwährungsreserven für einige Länder eher eine Nor¬malisierung als eine
akute Gefahr darstellen. Denn anders als in den späten 1990er und frühen 2000er
Jahren sind die Devisen¬reserven einer Reihe von Emerging Markets gemessen an
den kurzfristigen Auslandsschulden vergleichsweise hoch.
Auch wenn sich der Abbau der Fremdwährungsreserven in den
Emerging Markets für einige Zeit fortsetzt, gibt es gute Gründe, anzunehmen,
dass die Auswirkungen eines derartigen „Quanti¬tative Tightenings" auf die
US-Finanzbedingungen pro Dollar viel kleiner sein werden als die QE-Programme
der Fed.
Zum einen hat der Rückgang der Fremdwährungsreserven von
ausländischen Notenbanken nicht den Signalwert eines
Quanti-tative-Easing-Programms. Denn wichtiger noch als der quantita¬tive
Umfang der QE-Programme war häufig deren Orientie¬rungsfunktion hinsichtlich
der künftigen Politik der amerikani¬schen Zentralbank. Zum zweiten hat der
Abbau von Währungs¬reserven die entgegengesetzte Wirkung auf den Wechselkurs,
als sie Verkäufe von Treasuries durch die Fed hätten. Zweck der
Fremdwährungsverkäufe durch eine ausländische Zentralbank ist es, den
Wechselkurs der heimischen Währung stabil und so¬mit den Dollar niedrig zu
halten. Und drittens haben Verkäufe von Devisenreserven „harte" Grenzen,
denn diese Reserven haben eine bestimmte Zusammensetzung und sie sind
„endlich", können also aufgebraucht werden. Die Kraft eines Quantitative
Easings hingegen resultiert zum Teil gerade daraus, dass es, zu¬mindest vom Konzept
her, theoretisch unbegrenzt ist.
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